w 7 .— -— __-_-_-_ “‘- MAREA MAGDALENA m WERKEHVON HEMEL, HEY-SE", scam um "mom - Thesis far this 93st cf M. A. mzcmm STAT-E umveaserrv Gerhard m Rea-Emer' 1-95-51 ‘fi—nh EHES‘S "rm; ' L [B R A R Y Michigan State UniverC‘ ‘I «n- . -_ .91 $00M USE ONLY MARIA MAGDALEHA IN WERKEN VON HEBBEL, HEYSE, SCHLAF UND THOMA by Gerhard John Reimer A THESIS Submitted to Michigan State University in partial fulfillment of the requirements for the degree of MASTER OF ARTS Department of German and Russian 1965 INHALTSANGABE EINLEITUNG I. DIE MARIA MAGDALENA DES NEUEN TESTAMENTS II. III. A. B. C. D. E. Die neuteetamentliche Darstellung Eine Sflnderin Vergebung der Sunden Eine Dienerin Vermittlerin der Erlfisungsbotschaft HEBBELS MARIA MAGDALENA A. B. O. D. E. F. Das Work Der Zeitwechsel Die Rolle der Nebengestalten Klara ale Schuldnerin Klara ale Erlaserin Klara ale Frau HEYSES MARIA VON MAGDALA A. B. Dae Work Judas und Flaviua 0. Maria die Missverstandene D. E. Die Bekehrung Mariaa Maria ale Frau Seite IA 16 19 25 25 25 28 51 55 59 45 45 48 51 55 Iv. SCHLAFS JESUS UND MIRJAM 59 A. Bee Work 59 B. Mirjam.die Sfinderin 62 0. Die Verfinderung 68 V. THOMAS MAGDALEHA 78 A. m3 Hark 78 B. Bin Vergleich zwischen Hebbels und Thomas Bremen 81 I. Die Nebengeatalten 81 2. Klara und Leni 85 5. Die Dramen als Gesellschaftskritik 89 C. Leni der Sfindenbock 92 ZUSAMMENFASSUNG 96 BDCHERVERZEICHNIS 102 EINLEITUNG Diese Arbeit entstand aus einer Neugierde fiber den Titel von Hebbels Drama Maria Magdalena, worin aber keine Person mit diesem Namen er- soheint. Wilhelm Kosch sagt fiber die Maria Magdalena als Gestalt in der neueren Literatur nur, dass sie seit Hebbel oft als der Typus des gefallenen Madchens gilt. Nach einem ersten Vergleich dieses Dramas mit der im Neuen Testament fiberlieferten Geschichte hat der Verfasser sich fiberzeugt, dass hier gemeinsame Elemente vorhanden waren, aber nicht a11e, die der Bibelfigur angeharen. Dasselbe bestatigte sich dann bei der Lektfire anderer, mit diesem Namen betitelten Werken. Es ist bemerkenswert, dass der Maria Magdalenen-Stoff in neuerer Zeit aelten verwertet worden ist, denn wie die hier betrachteten Werke zeigen, bietet es dem Dichter, Leser sowie auch dem Kritiker interessante Mbglichkeiten. Im Mittelalter war Maria Magdalena eine der beliebtesten biblischen Gestalten und wurde von den Dichtern oft und farbenreich dargestellt, wie Helen M. Garth in ihrer Arbeit §§igt Mary Magdalene in Mediaeval Literaturel klar zeigt. Ausser den vier Werken, um die as sich hier zunachst handelt, nennt Kosch nur noch sechs andere Worke, welche von diesem Motif getragen werden: die von Wilhelm Molitor, 1865, Luise von Ploennies, 1870, Fr. Karl Schubert, 1875, Fr. Anton L8we, 1876, August Gotze, 1879 und Dietrich Vor- werk, 1902. Diese Arbeit soll sich auf die folgenden vier Werke beschranken: Maria Magdalena (1844) von Friedrich Hebbel, Maria von Magdala (1899) 1Helen Meredith Garth, Saint Mary Magdalene in Mediaeval Litera- ture (Baltimore, 1950). 2 von Paul Heyse, Jesus und Hirjam (1901) von Johannes Schlaf und Magdalena (1912) von Ludwig Thoma. Von diesen ist Schlafs Werk eine Novella; die anderen sind Dramen. Diese Dichter wurden aus dem Grunde gewahlt, weil sie noch fur die heutige Literaturforschung von Wichtig- keit sind. Dass zwei der Dichtungen sich mit der historischen und zwei mit modernen Magdalenen-Gestalten beschaftigen, ist fur diese Arbeit ein glficklioher Zufall, denn dadurch wird ein wertvollerer Vergleich beider Arten der Behandlung des Themas m8g1ich. Das Aufdecken gewisser Elements der neutestamentlichen Magda- lenen-Geschichte gilt fur diese Arbeit als primar, und, um diese Untersuchung systematisch aufzunehmen, wird im ersten Kapitel der Versuch gemacht, die wichtigsten Elemente dieser neutestamentlichen Geschichte hervorzuheben. Eventualle Ergebnisse sollen als Grundlage der Untersuchung der genannten Werke Verwendung finden. Die vier Werke sollen in vier entsprechenden Kapiteln behandelt werden und zwar in der Folge, in der die Werke geschrieben wurden. In der Zusam- menfassung sollen dann die Ergebnisse der einzelnen Kapitel kurz hervorgehoben und verglichen werden im Hinbliok auf zwei Fragen: 1) Inwiefern finden die Elements der neutestamentliichen Geschiohte in diesen Werken Verwendung? und 2) Was fur gemeinschaftliche Elements treten in diesen Werken auf? In so fern der Verfasser es hat feststellen kfinnen, ist eine Motivstudie fiber disses Thema bis jetzt nicht unternommen worden. Nur eine Arbeit wurde entdeckt, die sich diesem Thema annahert, nam- lich die von Gertrud Rudiger mit dem Titel "Magdalenen-Literatur vom Mittelalter bis zur Gegenwart", erschienen 1911 in Die Frau (Band 18). 5 In ihrer Arbeit handelt es sich aber nur um einen historischen und z.T. inhaltlichen fiberblick fiber die betreffende Literatur wahrend der diesbezfiglichen Zeitspanne von 500 Jahren. Und von den Werken, die in der vorliegenden Arbeit behandelt werden sollen, erwahnt Rudiger nur Heyses. Der Verfasser hofft also, durch seine Studie fur dieses bis jetzt nur wenig beachtete Thema einiges Interesse zu erwecken. I. DIE MARIA MAGDALENA DES NEUEN TEST WENTS A. Darstellung im Neuen Testament Maria Hagdalena stammte wahrscheinlich aus dem Dorfe Magdala oder Magadin, daher der Zuname. Magdala lag unweit von Tiberias und es war in Magdala,wo Jesus die Viertausend mit sieben Broten speiste. (Matt. 15, 59) Dies war ein Ort berfihmt durch seinen Reiohtun, denn die ganze Gegend beachaftigte sich mit der Herstellung von feinem farbigem Wollstoff. Es war aber auch ein Ort des moralischen Verfalls, ein zweites Sodom.1 Diese Maria Magdalena wird in allen vier Evangelien erwahnt, und alle vier behandeln das Magdalenen-Motif in ziemlich derselben Art und Weise. Nur wenig wird fiber sie gesagt; es handelt sich zumeist nur um ein Jahr aus ihrem Leben oder h8chstens deren zwei. Zum ersten Mal wird sis in Lukas 8, 2 erwahnt, we as heisst, dass etliche Weiber Jesus nachfolgten, "die er gesund gemacht hatte von den basen Geistern und Krankheiten, namlich Maria, die da Magdalena heisst, von welcher waren sieben Teufel ausgefahren."2 Erst im Zusammenhang mit der Passions- und Auferstehungsgeschichte Jesu wird sie wieder erwahnt. Bei der Kreuzigung ist sie unter den Weibern, "die von ferne solches schauten.“ (Joh. 25, 49) Bei der Grablegung heisst es wieder: "Aber Maria Magdalena und Maria des Joses Mutter, sahen, wo er hingelegt ward.” (Mark. 15, 47) Am dritten 1Fiir den Reichtum und den Zustand des Verfalls gibt Edersheim belegte Auskunft. Siehe Alfred Edersheim, The Life and Times‘gg Jesus the Messiah (London, 1899), S. 571. 2A11e Bibelzitaten sind hier der fibersetzung Luthers entnommen. 5 Tage nach der Grablegung, so erzahlen die Evangelien, gingen diese Weiber, die bei der Kreuzigung zugegen waren, um seinen Leib einzu— salben. Johannes erzahlt, dass Maria Magdalena frfih kam, und sah, a"dass der Stein vom Grabe weg war. Da lauft sie und kommt zu Simon Petrus und zu dem.andern Jfinger, welchen Jesus liebhatte, und spricht zu ihnen: Sie haben den Herrn weggenommen aus dem Grabe." (Joh. 20,1) Den Evangelien Lukas und Johannes gemass war as Maria Magdalena, der sich Jesus zuerst nach seiner Auferstehung zeigte: Maria aber stand vor dem Grabe und weinte draussen. Als sie nun weinte, schaute sis in das Grab und sieht zwei Engel in weissen Kleidern sitzen, einen zu den Haupten und den andern zu den Ffissen, da 316 den Leichnam Jesu hingelegt hatten. Und dieselben sprachen zu ihr: Weib, was weinest du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiss nicht, wo sie ihn hingelegt haben. Und als sie das sagte, wandte sie sich zurfick und sieht Jesus stehen und weiss nicht, dass es Jesus ist. Spricht Jesus zu ihr: Weib, was weinest du? Wen suchest du? Sie meint, es sei der Gartner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo hast du ihn hingelegt, so will ich ihn holen. Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf hebraisch: Rabbuni! das heisst: Meister! Spricht Jesus zu ihr: Rfihre mich nicht an! denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Gehe aber hin zu meinen Brudern und sage ihnen: ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. Maria Magdalena kommt und verkfimdigt den Jfingern: Ich habe den Herrn gesehen, und solches hat er zu mir gesagt. (Jeh. 20, 11 - 18) Zu dem, was das Neue Testament eindeutig fiber Maria Magdalena sagt, hat die Tradition vieles hinzugeffigt. Sie fangt damit an, dass verschiedene andere Frauen des Neuen Testaments ffir Maria Magdalena gehalten werden. In der Literatur des Westens werden Maria von Bethanien und die grosse Sfinderin, die Jesu Ffisse salbte, meist als die Magdalena betrachtet. Dies kann zum Teil daher kommen, dass die Gestalt der Maria Magdalena dadurch an Bedeutung gewinnt, durch dies 6 Zusammenbringen verschiedener Gestalten in eine einzelne hat man ein vollkommen abgerundetes Bild der Sfinde, Busse, Bekehrung und ein darauf folgendes gottgeweihtes Leben, ein Bild, das vielfaoh in den Predigten der noch frfihchristlichen Kirche Anwendung gefunden hat. Auch kann es zum Teil daher kommen, dass Maria von Bethanien und die grosse Sfinderin ahnliche Zfige wie die Maria Magdalena zeigen. Maria Magdalenas grfisstes Verlangen war as je, dem gestorbenen Christus den letzten Liebesdienst durch die Einbalsamierung seines Leibes zu zeigen. Erinnert dies nicht gleich an die Bereitwilligkeit der grossen Sfin- derin, ihre Liebe ffir Christus durch das Salben seiner Fuses zu zei- gen? Dasselbe gilt ffir Maria von Bethanien, die ihn auch einsalbte. Die Folgerungen aus der Darstellung der grossen Sunderin im Lukas Evangelium annten auch daffir sprechen, dass sie die Maria Mag- dalena ist: das siebente Kapitel endet mit der Schilderung der grossen Sunderin, die Jesu Ffisse salbte, und zu der Jesus sprach, I'Dir sind deine SUnden vergeben," und gleich darauf wird erwahnt, dass Jesus sieben Teufel aus Maria Magdalena austrieb. Hierzu kommt, dass das Besessensein von sieben Teufeln Bildsprache fur einen sundhaften Zu- stand kfinnte sein. Dies wird umso mehr bestatigt, wenn man bedenkt, dass Magdala, Marias Heimatort, ein Ort des moralischen Verfalls war. Dass die grosse Sfinderin und Maria von Bethanien dieselbe Person sind,ware mfiglich, wenn.man es wie folgt betrachtet: Alle vier Evangelien enthalten je eine Salbungsepisode, wo eine Frau Jesu FUsse salbt, und im Evangelium des Johannes ist dies Maria von Bethanien. Es kbnnte zwar betont werden, dass die vier Frauen nicht dieselben sind; denn, obwohl sie alle die Liebestat der Salbung gemeinsam 7 haben, werden sie verschiedentlich beschrieben. Nur im Evangelium Johannes z.B. erscheint der sundhafte Zustand der Frau. Hier muss man aber bedenken, dass die Unterschiede aus der persbnlichen Ansicht und Anslegung des Verfassers stemmen kfinnten. Ihr Leben nach der Auferstehung Jesu wird hm Neuen Testament nicht erwahnt und ist heute noch im.Dunkel gehfillt. Gerade dem geheimp nisvollen Element ist es aber zu verdanken, dass spater viele und oft phantastische Geschichten fiber ihren Lebenslauf entstanden sind. Die im.Abendland bekannteste literarische Fassung ihres Lebens verlauft ungefahr wie folgt: Nash der Himmelfahrt blieb sie eine Zeitlang in Bethanien. Darauf setzte eine Christenverfolgung ein und sie und ihre Schwester Martha wurden von ihren Verfolgern in sin Boot ohne Segeln und Ruder dem Unwetter ausgesetzt, gelangten nach Massilien, wo sie viele Heiden durch Predigen und Wundertaten bekehrten. Ihr Bruder Lazarus folgte ihnen und wurde als Bischof eingesetzt. Maria Magdalena aber verbrachte die letzten dreissig Jahre als Einsiedlerin in der Wfiste, aus welcher sie die Engel zu Gott entffihrten.5 0b nun Maria Magdalena, Maria von Bethanien und die grosse Sunderin ein und dieselbe Person sind, ist, wie schon angedeutet, unsicher und kann streitig gemacht werden. Da aber die Literatur des Abendlandes diese von Gregorius im sechsten Jahrhundert "festgestellte" Auslegung fraglos angenommen hat, soll diese Meinung auch fur diese Arbeit gelten. Die weitere Entwicklung dieser Gestalt, besonders im Laufe des Mittelalters, wo sie verschiedentlich mit der Samariterin am Brunnen, der Ehebrecherin, die gesteinigt werden sollte, und den 5Nach J. B. Mayor inig Dictionary 22.322 Bible, herausgegeben von James Hastings (New York, 1911), Ed. III, S. 285. 8 fflnf anderen Marien des Nsuen Testaments (daruntsr Maria, der Mutter Jesu) verwechselt wurde, bleiben unbeachtet, besonders insofern diess keinen Beitrag zur Bedeutung der neutestamentlichen Maria Magdalena maehsn. Auch bleiben unbeachtet die Einzelheiten der Mutmassungen fiber ihr spateres Leben-~solchs scheinbar v811ig unbegrfindbaren Be- hauptungen wie die, dass Maria Magdalena und Johannes der Taufer Braut und Brautigam auf der Hochzeit zu Kana waren, wo Jesus das Wasser zu Wain machte--denn hier soll es sich darum handeln, was dis Verastelung- en der Bedeutung der im Neuen Testament fiberliefsrten Magdalenen— gesohichte ist und wie diese von den betreffenden Dichtern gebraucht und angewendet wird. Interessant ist aber, dass die mittelaltsrliche Deutung, die der Maria Magdalena immsr mehr zuschreibt und die sis mit einem sich stets vergrBssernden Kreis von andern Gestalten identifiziert, nicht un- wahrscheinlich sohon vor der Abschliessung des Neuen Testaments seinen Anfang genommen hatte, denn es ist allein das letzte vollendete Evangelium, namlich Johannes, das eindeutig behauptst, dass Maria dagdalena die srste Person war, der sich Jesus offenbarts und dass die Frau, die Jesu Ffisse salbte, Maria von Bethanien war. Knapp dargestellt warsn die wichtigen Elements aus dem Leben der Maria Magdalena, auf Grund des Vorhergehenden, auf folgenden visr Punkten, die vor allem in diessr Arbeit Anwendung finden, reduzierbar: 1. “Sis war eine Frau, die war sine grosse SUnderin." 2. Sis fand Vergebung; Jesus sprach zu ihr, "Dir sind deine Sunden vergeben." (Luk. 7, 48) 9 5. Sis stellte sich in den Dienst ihres Meisters; sis war unter den Weibern, "die ihnen Handreichung taten, von ihrem Hebe." (Luk- 8. 5) 4. Es war Maria Magdalena, die dsr Menschheit zum ersten Mal die erlfisende Botschaft von der Auferstehung braohte: "Maria Magdalena kommt und verkfindigt den Jfingern: Ich habe den Herrn gesehen." (Joh. 20, 18) B. Eine SEnderin Maria Magdalena, "sine Frau, die war eine grosse Sfinderin"-- zwei wichtige warter, eins Frau und sine Sfinderin. Die Pharisaer, die sich im Hause Simon befanden, sowohl als Jesus, nannten sis sine Sfinderin. Obwohl Johannes viellsicht andeuten will, dass sis eine Hure war, so srgeht es aber doch nicht eindeutig aus dieser Darstel- lung, was ihre Sfinde war. Das Nennen der genauen Taten ist hier auch nicht wichtig. Gegeben ist, dass sis sine SUnderin war. Der allgemeinen Auffassung nach ist Sfinde sin fibertreten von @eaetzsn. Ho kein Gesstz ist kann auch keine fibertretung sein. Der alleinige gfiltige Grund sines Gesetzes ist absr das Kohl sines Volkes. Wenn das Gesetz Moss z.B. bestimmte Speisen oder Ehebruch verbietet, so beruht dieser Verbot darauf, dass diese bestimmten Speisen und Ehe- brush ffir einen Menschen und seine Gesellschaft schadlich sind. Durch fibertretung disses Gesetzes, d.h. durch SUndigen, schadet der fiber- treter entweder sich selbst oder seinsn Mitmenschen. Ffir die Kinder Israels war der Dekalog dasszsetzbuch, das Moral und Ethik bestimmte. Es war ffir ihre Umstande und ihr peranliches Leben zutreffend und sie erkannten es als von Gottes Hand gegeben. Das Vorhaben sines Gesetzes muss immer nur dasselbe sein, aber die Einzelheiten kannen Von Volk zu Volk und von Gegend zu Gegend anders sein. 10 Wis stand Jesus selbst zu diesem Begriff der Sfinde? In wie fern war seine ethische Auffassung sin Produkt seines Zeitaltsrs und seines Volkes? Er greift auf den Keimgsdanken dss Dekalogs zurfick, reduziert das Ganze auf einen Punkt und behandelt seine Mitmenschen wie Erwaoh- sens, indem er ihnen nur dies sine Gesetz gibt: Liebe deinen Nachsten als dich selbst. Das ist ja gerade was das Mosaischs Gesstz wollte! Es handelte sich nur um das Wohl der Msnschsn. Dies konnte mituntsr auch bedeuten, dass Sfinds, dass sins Obertretung gestraft werden musste, und anstatt dass der ganze Leib verderbs, musste das sfindige oder das kranke Glied zsrstfirt werdsn: "Krgsrt dich deine rschte Hand, so haue sis ab und wirf sis von dir. Es ist dir besssr, dass sins deiner Gliedsr verderbe und nicht der ganze Lsib in dis Halls geworfen werde." (Matt. 5. 50) Eine Ehebrecherin unter dem Volke z.B. wurde als sin gefahrliches Element angesshen und, um das Wohl dsr meisten Menschen zu sehfitzen--bsi der Formulisrung sines Gesetzss wird das Wohl dsr Massen immsr das Wohl sines Einzslnsn vorangestsllt--wurde sis gesteinigt. Das Mosaisohe Gssetz, das den Kindsrn Israels in der Frfihzsit ihres geschichtlichen Lebens gegsben wurde, wurde aber oft misverstan- den. Anstatt dass Strafe aus Liebe zur Menschheit vollzogen wurde, geschah sis oft aus einem Sinn der Rachs. Dis Ausffihrenden dankten Gott, dass sis nicht wie anders Leuts waren. Dies ist die Haltung, mit der die Pharisaer die grosse SUnderin betrachteten, als sis Jesu FUsse salbte. Und diess Haltung zur Sfinde teilt Jesus nicht. Das Gesetz hatte dem Einzelnen nicht seiner eigsnen Schuld bswusst gsmacht; es hatte vielmehr nur ein Bswusstsein der Schuld anderer erregt. Der Buch- ll stabs des Gesetzss wurde fUr wichtigsr als der Kern dss Gesetzss gehalten und Barmherzigkeit hatte somit ksinen Platz. Folglich sieht Jesus die Sfinderin anders an als die Pharisaer; er sisht ihr Elend und will ihr helfen. Diessr letzter Gedanke wird von Vorwsrk in seinem Drama Maggi Magdalena)+ entwickelt, indem die Mutter Jesu der Maria Magdalena sin Jugendsrlebnis Jesu erzahlt. Die Kinder in Nazareth, wo Jesus heran— wuchs, spielten gsrne Hochzsit. Es war in diessm Dorfe absr sin Madchen Namens Helge, desssn Mutter sins Ehebrecherin war. Als Helge nun auch mitspielsn wollts und um einen Brautigam warb, schrieen dis Kinder ihr zu, dass hier keins Ehebrechsrin mitspislen dfirfte. Als sis nun laut weinte und der in der Nahe spielende Jesus dies msrkts, tat es ihm leid um die Helge, ging zu ihr und sagte, er wfirds ihr Brautigam sein. Hinfort wurde Jesus in seinem Dorfe "der Ehebrecherbrautigam” genannt. Dies Verhalten Jesu den Sundern gegsnfiber muss seinsm Mitvolk oft ratselhaft vorgekommen sein. Der Mensch sollte sich vor Unreinhsit und Unreinem hfiten und hier war siner, von dem gesagt wurde, er sei von Gott gesandt, der mit Zbllnern ass und sich von einer sfindigen Frau dis Ffisse salben lisss. Disssr Jesus sagte nun, dass er nicht gskommen ssi, "das Gesetz oder die Prophetsn aufzulfissn." (Matt. 5, 17) Das was von jsher wahr gewesen war, das wird such in Zukunft wahr sein. Das was des Gesetzss Ziel war, das war auch das Ziel Jesu. Durch ihn war keine nsue Wahrheit in dis Welt gekommen, durch ihn wurde absr in so direkter aktuellsr Weiss auf das Wahre hingswiesen, dass die Phari- saer und Schriftgslehrten es nicht zu verstehsn vsrmochtsn. Der Ur- 5Dietrich Vorwsrk, Maria Magdalena (Stuttgart, 1902), S. 51 l2 grund ihres Handelns war, wie bei Jesus, das Wohl der Mitmenschen. Sis vsrstanden Jesus absr nicht. wie konnte sin Gesetz wie "Liebe deinen Nachstsn als dich selbst" das ganze Gesetz und die Prophetsn ersetzen? Gerade dies versucht Jesus in der Bergpredigt zu erklaren. Trotzdem wurde es absr von wenigen verstanden. Die msisten Pharisasr ' verstanden es nicht und wurden seine Gegner; die, die verstanden, verstanden nur,nachdem sis sine Sinnesanderung erfuhren. Ist dies nicht gerads das Bild sines historischen Zeitwschsels? Im.Rfickblick auf die Wichtigkeit des Christentums in der absndlandiaz schsn Kultur kann niemand leugnen, dass das Kommen Jesu ein Wende- punkt war. Ein solchsr Zeitwschsel ist von der nsuen Erkenntnis einer alten Wahrheit angsffihrt. In dissem Sinns ist ein Zeitwschsel, sine Reform, zum Teil das Herstellsn sines vormaligen besssrsn, oft als Ideal betrachteten Zustandss, und somit sin Teil des Lebens und Sterbens, des Auf und Nieder, des swigsn Atmsns der Natur. 1400 Jahre nach Christus war die von ihm gegrfindete Kirchewiedsr zu einem Tief- punkt gekommsn, we die Lehren Jesu ihren Sinn verloren hatten. Martin Luther vsrsuchte seiner Erkenntnis gemAss wieder auf die ewigen Hahrheiten hinzuwsisen und es srfolgts auf der ganzen Breite der Kirche sine Neubelsbung; absr wieder gab as die, die ihn nicht ver- standen, die an ihm schsitertsn. Ahnliche Beispisle lasssn sich auch aus dem rein sekularen Leben zitiersn, absr immer wieder handelt es sich, wie in den Morten von Schillsrs Marquis Posa, um die Wieder- herstellung dss vsrlorenen Adsls der Menschheit und deutst somit doch auf das Ewige hin. In unserem Zeitaltsr bedeutst viellsicht die amerikanische "Civil Rights Bill" den Beginn sines neuen Zeitalters. 15 Auch hier ist dsr Bewsggrund und die Bsffirwortung das Hohl dsr Mensch- heit. Mittlerweils erfolgen absr Missverstandnisss und Scheiterungen. Wis steht es damit, dass es sich hier um sine SUnderin handelt, nicht um einen SUnder? Nirgsnds im Neusn Testament hat man sins Geschichts von einem grossen sunder, dis als Parallels zu dieser Geschichte der grossen SUndsrin gelten kbnnte. Dies stimmt mit der allgemeinen Volksauffassung fibsrein, dass die Frau die Mbglichksit hat, tiefer zu fallen als dsr Mann. Dies Verhaltnis srklart Gsrtrud von Le Fort durch einen Vergleich Von Engsl, Frau und Mann. Der Fall dss geschlechtlosen Engels Luzifsr schsint schrscklicher als der Fall sines Menschen weil sr sin h8hsrss Wssen ist. In gleichem Sinne scheint der Fall dsr Fraup-die sich selbst in die Ewigksit projiziert, denn von ihrem Fleisch, Blut und Gebsin wird jede zukfinftige Generation geformt--schrecklicher als dsr Fall dss Mannes, denn sis ist das hfihere Geschfipf.5 Dies ist auch dis Ursache warum dsr Apokalyptiker dis Frau statt den Mann als dis verffihrsrische Kraft darstellt. Diese Frau sass "auf einem scharlachfarbensn Tier, das war voll lastsrlicher Namen . . . und an-ihrer Stirn war geschrieben sin Name, sin Geheim— nis: Das grosse Babylon, die Mutter dsr Hurerei und allerGrsusl auf Erden." (Offbg. 17, 5.u. 5) Nur noch grasslichsr, noch lasterlicher, als dies gefallene Wsib ist der Drachs, dsr gefallene Luzifer, dem ksin Geschlscht zugsschrisbsn wird. 5Gertrud von Le Fort, Die ewige Frau (Mfinchen, 1957), S. 16 ff. 14 C. Vergebung ihrsr Sandsn Diese Frau kam.zu Jesus und erhielt Vergebung ihrer Sfindsn. Sie suchte etwas, sis war unglficklich. Sis srwagte keinen Preis und kam.sogar dort zu Jesus, wo er sich in der Gessllschaft von Mannern befand, Von denen sis nichts als Spott und Verachtung erwartsn konnte. Wis sis in den Zustand dsr Sfinde geriet, wissen wir nicht. Visl- leicht war es weil sis in einer sundhaften Stadt erzogen wurde, wo all dies Sfindhafte zum taglichsn Leben gshfirte, und auch sin Teil ihres Lebens wurde. Somit ware dis Gesellschaft daran schuld. Ahnliche Verbaltnisse, wo die Gesellschaft fur dis Schuld dss Einzslnen vsrant~ wortlich ist, sind in der Literatur oft geschildert wordsn, besonders von den Naturalisten. A13 Beisnisl kfinnte Sonja, sins Art Maria Magda- lena, von Dostojevskijs Schuld und Sfihne srwahnt werden. In der Welt Sonjas gibt es nur sine Mbglichksit um sich selbst, ihre Stisfmutter und deren tier Kinder zu unterstfitzen, namlich, dass sie sich selbst den Mannern vorkauft. Mohl ist sis sich dsr Sfindhaftigksit dessen bewusst, absr gerads durch disses Bewusstsein erlangt sis die Gnade Gottes. Ala Raskolnikoff, dsr Harder, jemand finden will, dem er seine Schuld anvsrtrausn kann, gsht er zu Sonja. So begegnen sich Hure und Mfirder und finden durch gemsinsamss Lessn dsr Bibel Kraft und Starks. 3.1 Dostojevskij und vielen anderen von dsr Taine'schsn Milieutheorie bseinflussten Dichtern fallt dis Schuld dss Einzelnen weg. Auch ist Sonjas Buses, namlich ihr Entschluss Raskolnikoff nach Sibirien zu folgen, nicht als pers8nliche Reue zu verstehen, sondern als Busse ffir die Gesellschaft. Das Flshen dsr Sonja zu Gott war 15 vislmshr sin "Vsrgib mir, absr ich kann nicht andsrs. als, wie im Falls dsr Maria Magdalena, sin "Vsrgib mir, nur Dir will ich disnsn!" Wis schon angsdsutet, gshfirt dis Rsue oder dis Busse fiber begangener Tat sinsrseits zur Erlangung dsr Vsrgsbung, andrsrssits gilt es, dass dsr, bsi dem Vsrgsbung gesucht wird, vsrgibt. Den Zwsck der Vergebung findet man absr in der Notwendigksit dss Mitsinandsr- lobsns oder dsr Gemsinschaft dsr Menschen und beruht somit auf einem Gesetz der Menschheit. Am glficklichstsn ist dsr Mensch, wenn er von ssinsn Mitmsnschsn geliebt und geschatzt wird, am unglficklichstsn, wsnn er von ssinsn Mitmenschsn vsrstossen wird, wsnn er allein, verges- sen und ohne den Schutz mitleidigsr Msnschsn da stsht. Zwischsn Men— schsn sntstshsn absr immer wieder Spannungsn als Folgs von selbst- sfichtigsn Taten, und daher muss zwischsn Mensch und Mensch immer wieder Versfihnung stattfinden, wsnn die Gsmeinschaft fortbestshsn 5011. Her kann absr vergsben oder wer hat die Autoritat dazu? Jsder- mann kann vergsben, nur kann dsr Mensch sich nicht selbst vsrgsbsn, welchss schon dadurch klar wird, dass die Rotwendigksit dsr Vergebung auf die Notwsndigkeit dss Mitsinandsrlebsns dsr Msnschsn bestsht. Ffihlt dsr Mensch die Notwsndigksit dsr Vergebung, so muss er dorthin zurfickgehsn, wo das Verhaltnis abgsbrochsn ist. Dies bsdeutet, dass er von dem Vergsbung verlangt, an dem er Unrecht getan hat oder von dem, dsr als Folge seiner hfiheren oder stsllvsrtrstsndsn Stellung mit Recht verzsihen kann. Somit wird es dsssen Pflicht zu vsrzsihsn, sonst wird er schuld an dsr Zsrstfirung dsr Einigksit dsr Gsssllschaft haben. Was geschisht durch Vsrgebung? Klar ist, dass dadurch keine 16 begangsns Tat ungeschshsn wird, ob der Vsrgsbung-Suchende auch noch so bussfsrtig ist. Auch bedsutst Vsrgebung nicht das Vergsssen dsr Missetaten dss Bittendsn; visl wenigsr bedsutst ss das Ertragsn sines solchen, denn das blosss Ertragsn deutet an, dass dsr, dsr um Ver- zeihung gebetsn wird, sich ffir hfiher als den Bittsnden halt. Es handelt sich dabei lediglich um das Uisdsrhsrstellsn sines frfiheren Verhaltnisses, indem dsr Bittsnde sich dss Angsbots bedisnt: "Komms zurfick zu mir, so knmme ich zu Dir!" Das gsschshsns Unrecht wird dabei nicht vsrgssssn, denn dsrjsnigs dsr vsrgibt, wsiss wohl, dass auch sr als Mensch dsr Versuchung ausgssetzt ist und somit dis Mfiglichksit sines Falls doch auch ffir ihn bestsht. Dies ist auch die Ursache warum sin Gott als solcher nicht vsrgsbsn kann, denn er ist ksin Mensch; Gott als Mensch, in der christlichen Religion als Jesus Christus, kann absr vergsben, denn als Mensch wurds er in allen Hinsichten versucht wie andere Menschsn. In dissem Sinne konnte Jesus mit Recht zu dsr sfindhaftsn Frau sagsn: "Dir sind deine Sfindsn vsrgsbsnl" D. Eine Disnerin Nachdsm Maria Magdalena von Jesus geheilt worden war, schloss sis sich den Frauen an, "die ihnen Handreichung tatsn von ihrem Habe.” (Luk. 8, 5) Hisraus ergsht glsich, dass die Frauen in dsr Grupps um Jesus sins andere Rolls spielten als dis Manner. Dis zwfilf Jfingsr waren alle Manner; dis predigtsn und tatsn selbst Sunder. Dis Frauen absr waren da um zu disnsn und zu untsrstfitzsn, um den Mannsrn ihre Arbsit zu srlsichtern. Was das Alts Testament betrifft, wird dis Frau in II. Moss 20 als 17 Eigsntum dss Mannes betrachtst, indem sis, mit ssinsn andern Frauen, unter seiner Habe gszahlt wird. Das Gesetz war dsr Frau nicht abgs- neigt, srkannte absr ihre Untsrstsllung dem Manne gegenfibsr und begrfindste dies zum Teil auf ihreSchuld beim Sfindenfall, indem sis dem Manna die verbotens Frucht vorhislt, sowis auf der Schfipfungs- geschichte, wo es heisst, dass Eva dem Adam als Hilfe gsgsbsn wurde. Die alt-testamentliche jfidische Frau schsint visllsicht unterdrfickt; diess Untsrdrfickung war absr nicht grfisssr als sis in den benachbarten Landsrn war, denn im ganzen Morgsnlande und vielleicht weit darfiber hinaus herrschte die Minderwertigkeit dsr Frau. In dem Jfidischsn Tsmpsl durften die Frauen nur his in den Vorhof kommen, die Manner absr in den Hof selbst. An dem Tsmpsldienst beteiligten sis sich nicht, absr bsi einem Bsgrabnis spielten sis sins wichtigs Rolls als Weh- klager und beim Empfang dsr siegreichsn Hsimkehrer aus der Schlacht erschienen sis mit Musik, Gesang und Tanzsn. Die Frau im Nsusn Testament schsint wsniger unterdrfickt als im Altsn Testament. W0 sis im Tsmpsl nicht mit dem Manns in den Hof kommen durfte, da kommt sis jstzt als fast seinesgleichen mit ihm.in die urchristlichen Erbauungsstundsn. Als Schicklichksitsrsgsl, visl— leicht weil dies die ngsl ffir dis nichtchristlichen Frauen dsr Gegend war, sollten sis absr noch einen Stirnschlsier tragen. Obwohl in dem Nsuen Testament mshrere hsrvorragsnde Frauen srwahnt werdsn--z.B. Lydia, dis bests Hslfsrin dss Paulus zu Philippi (Apg. 16, 14) und Evodia und Syntyche, die als "Mitarbsitsrinnen und Mitkampferinnsn im Evangelium” bezeichnet warden—~30 ist die Bstonung ffir sis ststs auf Helfsn und Untsrstfitzen. Dis Wsibsr dsr Glaubensbotsn sollten ihre 18 manner zu ihrem Disnst ermuntsrn und auch ihr Teil dazu bsitragen, dass die Lshre Jesu in dis Frausngsmfichsr sindrings. Ein kirchlichss Amt ffir die Frauen wurds schon in dsr urchristlichsn Kirchs singeffihrt, namlich das Amt dsr Diakonie. Die Arbsit dsr Diakonisssn, das Pflsgsn dsr Armsn und Kranksn, war auch besonders sins disnsnds. In dem urchristlichsn Zeitaltsr besteht mshr Frsihsit ffir dis Frau. Sis ist nicht mshr Eigsntum dss Mannss und dem Manns wird gesagt, er solls ssin Weib liebsn wie ssinsn eigsnen Lsib. (Eph. 5, 20) Was absr gsschshsn ist, ist nur, dass die Frau jetzt mit grfisssrsr Liebe und Rficksicht behandelt wird, und ihr Msnschssin wird durchaus nicht mshr bezweifslt. Dis alt-testamentliche Ordnung wird wsitsr bsibehaltsn, d.h. dsr Mann wird ffir das hfihsrs Geschfipf gehalten, und die Frau ist da als seine Hilfs. Paulus sagt noch sinmal, dass dsr Mann nicht um dss Weibss willen da ist, sondern das Weib um dss Mannss willsn. (1. Kor. 11, 9) Will visllsicht die Tatsachs, dass diess Ord- nung trotz dieser Andsrung standgshaltsn hat und dass diess im.grosssn und ganzen in allen Zsitsn bei den msisten Vfilksrn als dis richtigs Ordnung gsgoltsn hat, andeuten, dass hier irgendwis sine gehsimnis- volls Urmacht, sin Gotthsitsgssetz, im Spisls ist? Oder was gsschisht, wsnn diess Ordnung nicht beachtet wird, wenn die Frau ihre disnsnds Rolls abschlagt? Wird es dort nicht unmfiglich, schon rein bi010gisch gesshen, ffir dis Msnschhsit weitsr zu sxistisren? In dieser Ordnung besteht absr sin geheimnisvollsr Widsrspruch, denn dem Anschein nach sollte dis Folgerung davon ssin, dass dsr Mann das hfihsrs Gsschfipf ist: es ist er dsr bsdisnt wird. Der Wider- spruch lfist sich absr auf, wsnn man bsdenkt, was dsr Disnstwilligksit 19 zu Grunde lisgt, Wsr gsrne disnt, halt sich nicht ffir hfihsr als dsr, dem er disnt. Der Diensnde ist dsmfitig. Der christlichsn Auffassung nach ist Demut sin Zsichsn dsr Grfisss; wo Selbstsucht in einem Menschen herrscht, da fshlt dis Grfisss noch. Rhnlichs Aussagen fiber das frei- willige Sich-Untsrwerfsn findst man in den Sprichwfirtern siniger Vfilker. Man sagt, wsnn zwei sich streitsn, "Der Klfigsts gibt nach," oder wenn jsmand sich ffir klug halt, schrsibt man es seiner Dummhsit zu. Jesus deutst dassslbs an, wenn er sagt: "Der Grfissts unter such soll ssin wie dsr Jfingste, und dsr Vornshmsts, wie sin Disnsr." (Luk. 22, 26) Diese Rolls dss Dienens ist dsr Frau nicht nur aufgezwungsn worden, sis hat sis, allgsmsin gssprochen, williglich auf sich genome men und sich daruntsr bewahrt. E. Vsrmittlsrin dsr Erlfisungsbotschaft antral in der christlichsn Lshre lisgt die Aufsrstshung Jesu. Er, dsr Mensch wurde, litt und starb wie andere Menschsn, blieb absr nicht im.Grabs. Durch seine Aufsrstshung wird den Menschen sine nsus Hoffnung vsrkfindigt: Der Mensch wird nicht swig leidsn und dsr Tod selbst ist durch den Msnschensohn fibsrwunden worden. Und Maria Magda- lena war die srste Person, dis diess Tatsachs srfuhr. Indsm sis den Jfingern diess srlfisungbringsnds Botschaft brachts, wurde sis dis Vermittlerin dieser Botschaft ffir alle Msnschen und alle Zeitsn. Wis es in Neuen Testament fiber die Liebestat dsr grossen Sfindsrin heisst, dass diess Tat fibsrall srzfihlt werdsn wird, wo man Jesu Botschaft vsrkfindigen wird, so muss auch diess Tatsachs, dass die Frau die Vsrmittlsrin dieser Botschaft war, ansrkannt werden. 20 Dies wirft die Frags auf, warum sins Frau die Vsrmittlsrin dieser so wichtigen Botschaft ssin musste, ist es doch dsr Mann, dsr nicht nur dis Welt dsr Kultur und dsr Politik, sondern auch dis Welt dsr Religion bestimmt. Und wie dis Jungfrau Maria dis Erste war, dsr die Botschaft von dsr Gsburt Jesu verkfindigt wurds, ist es wieder sins Frau, dis hier dis Botschaft dsr Aufsrstshung Jesu tragt. Will dies nicht andeuten, dass, wie dis Frau im biologischen Sinne Leben gibt, so gibt sis auch im religifissn Sinne das Leben, und trotzdsm dsr Mann die wichtigere Rolls in dsr organisisrtsn Religion spielt, die Frau dsnnoch dis wahre Tragsrin dsr Religion ist? Als Vsrglsich und Illu— stration zuglsich k8nnte man hier erwahnsn, dass sis auch im wahrsn Sinne die Tragsrin dsr Msnschhsit ist, und nicht nur weil sis dis- jsnige ist,.dsr dis Menschheit ihre Gsburt zu vsrdanken hat. Dis SoziOIOgsn bswsisen, dass die Frau langsr lebt als dsr Mann, und, wie Gsrtrud Von Le Fort6 andsutst, gibt es in Europa visls Geschlschter, die in dsr Weltgsschichte von Bedsutung warsn, dis heute nur noch von der Ssite dsr Frau auffindbar sind. Sis dsutst fernsr an, dass die Geschlsch- ter dsr Frau viellsicht nis aussterben. Obwohl dis Bensnnung dsr Gs- schlechter oder Familisn mit dem Namen dss Mannss, wie as im Absndland fiblich ist, schsinbar die Wichtigksit dss Mannss hsrvorhebsn will, so ist es dsnnoch dis Frau, die die wahre Tragerin dsr Msnschheit ist. Wis sis dis nicht-ansrkannts Tragsrin dsr Msnschhsit ist, so ist sis auch die gehsime und nicht ansrkannts Trfigerin dsr Religion. Eine andere Antwort, die oft zu dieser Frags dsr Maria Magdalena als die Urtragsrin dieser Botschaft gsgsbsn wordsn ist, ist die, dass 6Gertrud von Ls Fort, Dis swigg Frag, S. 18. 21 sis dadurch dis schuld vertilgts, dis durch Evas Schuld bsi dem Sfindsn— fall auf ihr Geschlscht fiel. Vsrfolgt man diesen Gsdanksn, so sieht man glsich, dass Maria Magdalena dadurch das wsiblichengsnstfick von Jesus wird, denn dieser ist in die Welt gskommsn, um die Msnschsn von der Schuld, die durch den ersten Mann Adam in dis Welt kam, zu srlfissn. Diese Parallels scheint dem ersten Anblick nach wsit hsrgeholt,ist absr im.Hinblick auf die Rolls dsr Frau nicht ohne Rschtfertigung. Dis Rolls dsr Frau ist sins dsr Hingabe und in der Hingabe beruht das Erlfisungsgshsimnis. Es handelt sich um.die Willigksit alle Folgen um das Wohl anderer auf sich zu nshmsn. Dies ist als Thema verschiedent— lich in der Literatur behandelt. In Arnims Der tolls Invalids auf dem Fort Ratonnsau hat man sins klars Darstellung davon. Dis ganze Stadt wird hier von Francosur, dem tollen Invaliden, gsffihrdst, denn ssin Msnschenhass treibt alle anderen Bewohnsr dss Fbrts aus, einschlisss- lich seine Frau, und als sinzigsr wachter dss Arsenals fangt er an auf das lahmgslsgts Dorf loszuschissssn. Er schickt dis Nachricht, dass sr nur dann zu schissssn aufhfirsn wird, wsnn sis ihm den Kopf seiner Frau bringsn werden. Nash drsi Tagsn beschliesssn dis Bewohnsr dss Dorfes das Fort zu bestfirmsn, Obwohl dies ffir sis mit grosssr Gsfahr ver- bunden ssin wird. Als die Frau Rosalie dies hert, ist sis gleich um das Kohl ihres Gattsn sowis um das Wohl dsr Bswohner des Dorfss be- sorgt, und sis sntschliesst sich zu ihrem.Manne zu gshen, selbst wenn es ihr auch das Leben kostet. Der Mann erschissst sis absr nicht und durch ihre Hingabe hat sis nicht nur den Gattsn gsrsttet, sis bringt dadurch Versfihnung zwischsn ihm und den Bswohnsrn dss Dorfss. Ihr Erlfiser-Akt war nur dadurch mfiglich, dass sis ihrsr Rolls als Frau 22 getrsu war. Die Manner dss Dorfes wolltsn Gswalt brauchsn, um sich zu rstten, absr durch die Gswalt allein wars hier visl wsniger errsicht worden, als dis schwachs Frau in ihrsr Hingabs errsichts. Das sbsn Gesagte will andeuten, dass Maria Magdalena nicht nur dadurch als sin Typus dss Erlfissrs gsltsn kann, weil sis die Vermitt- lsrin dsr Erlfisungsbotschaft war, sondern auch dadurch, dass sis ihre Rolls als disnsnds sich Opfsrnds Frau erffillte. II. HEBBELS MARIA MAGDALEHA A. Das Werk Als Friedrich Christian Hebbel (1815 - 1865) sich nach unabgsschlo- sssnsm Jurastudium sntschloss Schriftstsllsr zu werdsn, vsrliess sr Hamburg und ging nach Mfinchsn, um dort in einem gr8sssrsn Kulturzsntrum seine dichterische Laufbahn anzutrstsn. Hisr in Mfinchsn fand sr die stofflichs Anrsgung ffir ssin drittss Drama, worfibsr er selbst schreibt: "Der Maria Magdalena . . . lisgt sin Vorfall zugrunde, den ich in Mfinchen selbst erlebte, als ich bsi einem Tischlsrmsistsr, dsr mit Vornamsn sogar Anton hiess, wohnts. Ich sah, wie das ganze shrbars Bfirgsrhaus sich verfinstsrts, als dis Gsns'darmsn den lsichtsinnigsn Sohn abffihrtsn, es erschfittsrte mich tisf, als ich dis Tochtsr, dis mich bedients, ordsntlich wieder aufathmsn sah, wie ich mit ihr im altsn Ton schsrzte und Posssn trisb."1 Mit dem Schrsibsn disses in Mfinchen erfundensn Dramas begann er dann in Kopenhagen (das Stfick ist aus Dankbarksit dem Kfinig von Dansmark gswidmst, dsr es ihm spatsr srmfiglichte nach Frankreich und Italisn zu gshen) und vollsndste ss 1844 in Paris. In ngensatz zu ssinem Erstlingsdrama, Judith, wo sin biblischss Verhfiltnis durch modsrns Augsn gssshsn wird, hat man in Maria Magda— lena sin heutiges Thema, das nach dsr Auffassung dss Neusn Testa- ments gssshsn wird. Die modsrns Maria Magdalena heisst Klara und ist die Tochter sines Tischlsrmsisters. Klara hat sich mit Leonhard verlobt und sich ihm hingegsbsn. Sis 1Frisdrich Hebbel, "An Sigmund Englandsr in London," Sémtliche Werke, Briefs, VII, besorgt von R. M. Werner (Berlin, 1907), S. 505. 24 lisbt ihn absr nicht und dsnkt noch stets an ihren Jugsndgslisbtsn Friedrich, dsr mshrsre Jahre studierts, von dem sis absr schon lange nichts gehfirt hat. Dis Eltsrn, besonders dis Mutter, beffirwortsn sine Heirat mit Leonhard, dsr untsrdssssn auf listigsr dsn Eltern Klaras unbswusstsr Weiss sine Schrsibsrstelle bskommsn hat und somit sine Zukunft frsi von finanzisllsn Sorgen ffir ihre Tochtsr sichsrn wfirde. Eines Tagss, gerads als Leonhard den Vatsr, Msistsr Anton,um seine Tochter Klara bitten will, kommen zwei Gsrichtsdisnsr und kfindsn an, dass Karl, dsr Sohn dss Tischlsrmsistsrs, sines Diebstahlss schul- dig ist. Die Mutter, dis Karl stets verteidigt hat, fallt darauf tot um. Leonhard schrsibt sich noch am sslben Absnd trotz aufkeimsndsr Mutterschaft von Klara los, sinmal weil sr von dem Vatsr erfahren hat, dass er mit ksinsr grossen Mitgift rschnsn kann und zweitsns, weil ihr Brudsr sin Dieb ist. Unterdesssn stellt es sich absr klar heraus, dass Karl nicht schuldig ist; somit wagt Klara sich zurfick zu Leonhard und fleht diesen an, sis zu heiraten, denn dies ist ffir sis nicht nur dsr sine zige Ausweg, um die Schands bsvorstshendsr Muttsrschaft als unverhei- ratetes Madchsn zu umgehsn, es ist auch dsr sinzigs Auswsg, um ihren sittsnstrsngen altsn Vatsr zu rstten, denn dieser hat ohne den Umstand dsr Klara zu wisssn gesagt, dass er sich tfitsn wfirds, wsnn sis in Unshre fallen sollte. Leonhard, dsr schon sin zwsitss Mfidchsn schwangsr gsmacht hat, weigsrt sich, trotz Gewisssnsbisss, ihrem Flshsn Gehfir zu gsben. Friedrich, dsr Jugsndgslisbts, ist inzwischsn zurfickgekommsn und 25 srfahrt dis ganze Situation dsr Klara von ihr selbst. Dis bsidsn liebsn sich noch und er achtst Klara ffir ihre Aufrichtigksit besonders hoch. Erzfirnt geht er zu Leonhard und will diesen zu einem Dusll zwingsn. Leonhard meint, er wolls ihn zwingsn, Klara zu heiraten und verspricht schon, sich am selbsn Absnd mit ihr zu vsrloben. Friedrich absr ant- wortst: "Das thu‘ ich, oder Ksinsr." (S. 61) Im Dusll srsticht Friedrich Leonhard und wird selber schwsr vsrwundet. Friedrich geht in diessm Zustand absr noch gleich zur Klara, um anzukfinden, dass dsr Neg ffir sis jetzt offen ist. Es ist absr schon zu spat, denn dis vfillig ver- zweifelts Klara ist gerads in den Brunnsn gssprungen und wird tot herausgezogsn. Nachdsm er diess Nachricht arfahrsn hat, stirbt dsr vsrwundete Friedrich such an Ort und Stells. Der erschfittsrte Vatsr bleibt jstzt ganz allein, denn Karl ist fortgelaufsn. Seine unbedingte Moral hat ihm seine ganze Familis gs- kostet. Er, der aus einer frfihsrsn Zsit stammt, kann nur noch sagen: "Ich vsrstehe dis Welt nicht mshr!" B. Der Zeitwechssl Der Titel disses Dramas, Maria Magdalena, vsrsstzt uns zurfick in sins Zeit, wo, ffir die Kultur dss Absndlandes, dsr grfisste und wichtig- ste Zeitwechssl stattfand, wie bsreits im ersten Kapitsl angsdeutst wurds. Maria Magdalena erlebte laut dem Nsusn Testament den Tod und die Auferstehung Jesu, sines Mannes, dsssen Leben ffir so wichtig gehalten wird, dass unssrs Zeitrschnung nach ihm.eingests11t wordsn ist. Dass Hebbel gerads disses Zeitaltsr durch den Titel indirskt erwahnt, ist ksin Wundsr, denn seine dramatische Theoretik ist abhangig 26 von der Ides dss Zeitwschssls. Obwohl Hebbel es bestrittsn haben soll, findst diess Theoretik ihre Grundlage in dsr panlogischsn GsschichtsphiloSOphie Hegsls. Diese Gsschichtsphilosophis ist das Resultat dsr Anwendung von Hsgsls bskannter philosophischen Auffassung: In jsdem Zustand dss Denkens und Ssins wird sin bsstimmtsr Zustand gesetzt (Thesis); das ist absr nur dadurch mfiglich, dass ssin Gegentsil mit gssstzt wird (Antithesis). Das Denksn und nach H's Mstaphysik das Wsrdsn dsr Wirklichksit besteht nur darin, dass sich sin dritter Zustand srgibt, dsr fiber dis beidsn Zustande hinausgsht, sis in sich "aufhsbt", d.h. sin nsuss Ganzss daraus bildst, das absr dis gsgsnsatz- lichen ersten Zustande als Spannung in sich snthfilt (Synthesis). Dis Spannung ffihrt wieder zu nsusn ngsnsatzsn.2 Bei Hebbel findst man also sins Gsschichtsauffassung, dis stwa wie folgt aussieht: Jsds Kultur will swig bestehsn,srstarrt absr dabei (Thesis). Der Wills zur Entwicklung beim Menschsn ist jedoch stark, und folglich entstsht sins Reaktion, die sins Andsrung verlangt (Anti- thssis). Diese Anderung ist nur durch das Erschsinsn sines grossen Einzslnsn mfiglich, dsr willens ist einen nsusn Weg anzubahnen. Durch das Opfer disses Einzslnen wird die Ungsrechtigkeit dsr ganzen Mensch- hsit fiberwundsn und sin nsuss, jeweils stwas besssrss Zeitaltsr als das vorangshends bricht an (Synthsss). Ein grosses Drama spielt, laut Hebbel, immer vor einem.Hintergrund einer fibergangsperiode, wo' dis alts Kultur abstirbt und die nsus gerads gsborsn werdsn soll; dsr Held oder die Heldin wird zwischsn diesen beidsn Zeitsn zerdrfickt. Betrachtst man Maria Magdalena mit diessm Hintsrgrund im Augs, 2"Georg Wilhelm.Frisdrich Hegs1,! Der Grosss Brockhaus (l6. Auflags), Y, S. 295. 27 so fiffnet sich glsich sins Interpretation, ja alles passt sOgar so zutreffend, dass die Theoretik fast Selbstzwsck scheint. Das abstsr- bends Zeitaltsr wird durch Meister Anton und seine Frau dargestsllt, das neue durch Leonhard und Friedrich; Klara ist die Heldin, die das Opfsr der Zeiten wird. Am beaten sieht man das alts Zeitaltsr, wsnn man es durch die Augen der Eltsrn mit dem neusn vsrglsicht. Eins Zsit dsr gessllschaft- lichen Umwalzung ist singetreten; dis Eltsrn sshsn sich von den Kindsrn durch deren besssrs Schulbildung bedroht: "Jetzt ist's andere, jetzt mfisssn wir Alten, die wir uns nicht auf's Lessn und Schrsibsn Verstehsn, uns von neunjfihrigen Bubsn ausspotten lasssn! Die Welt wird klfigsr und klfiger . . ." (S. 15)3 Die Eltsrn glauben noch fest an die Kirche und bestehsn auf rsgelmassigen Bssuch dsr Gottssdisnsts, wahrsnd die Jugend daran kaum mshr sin Interesse hat. Der Vater sagt von Karl: "Erstlich hat er mir gszsigt, dass man ssin Wort nicht haltsn braucht, zwsitsns, das es fiberflfissig ist, in die Kirche zu gshsn, und Gottes Gebots auf- zufrischsn." (S. 24) Auch glauben Msistsr Anton und ssinssgleichsn noch an sine straffe Eintsilung dsr verschisdsnen Stands und die damit ver— bundensn Ehrsrbistungsn an jeweils hfihere Stands. Das Unmfiglichste, was der Vater sich dsnken kann, ist, dass Lsute aus sinem.niedrigeren Stand, ihn als ihrssglsichen behandeln: "Sieh, ich gehe vorhin fiber die Strasss, da kommt dsr Pocksn-Fritz daher, dsr Gaudisb . . . Frfiher wagte dsr Hallunke nicht, mich anzusshen, jstzt trat er fresh auf mich zu und reichte mir die Hand. Ich wollts ihm einen hintsr dis Ohrsn 5Frisdrich Hebbel, "Maria Magdalena, " Siimtlichs Wsrkg, Dramgg, II, besorgt von R. M. Werner (Berlin, 1901), S. 1 - 71. Diese und alle nachfolgsnden Seitsnzitats in diessm Kapitsl sind diessm Drama entnommsn. 28 geben.“ (S. 40) Auch ist das alts Zeitaltsr durch sin streng gersgsl- tss Verhaltnis der Geschlechtsr zu sinandsr gekennzsichnst. Dis Mutter vsrsucht ihre Tochter vor Mannern zu schfitzsn. Wahrsnd sines Gssprachss fiber Leonhard sagt Klaras Mutter zu ihr: "Absr nur darum hab' ich ihm Erlaubnis gsgsbsn, dass er zu uns kommsn darf, damit er Dir nicht bsi Nsbel und Nacht aufpassen soll. Das hat msins Mutter auch nicht gs- litten!" (S. 14) 0. Die Rolls dsr Nsbsngestaltsn Das ganze Tun und Lassen dsr Eltsrn ist immer von ausssrhalb ihrer selbst stehsndsn Umstanden bestimmt. Es hat ssinsn Ursprung in 'der Tradition, wie aus obsn angeffihrten Zitaten klar hsrvorgsht, und geht dann hinfiber zu einer Furcht vor dem, was dis Leuts sagsn werden. Wenn dsr Vatsr dsr Klara sagt, dass er sich “den Ksrl abrasisrsn" wfirde, sollte sis in Unshre fallen, so ist ihm nur um ssinsn gutsn Namen zu tun, das Wohl dsr Klara ist Nebsnsache. Auch als Klara tot aufgehoben wird und ss sich herausstellt, dass sis, seine Tochtsr, diesen Schritt frsiwillig gsgangsn ist, ist ihm am ersten darum zu tun, dass nismand die Tatsachsn ihres Todss wisssn soll. In ssinsm Kampf um ssinsn gutsn Namen unter den Lsutsn im Dorf ist er in ssinsm sigsnen Hause ein Tyrann gsworden, und wohl gilt ihm dis Tagssbuchnotiz, die Hebbel fiber ssinsn eigenen Vatsr geschrieben hat: "Es gibt ksinen firgeren Mann, als den gemsinsn Mann im hauslichsn Krsiss.“ Unter ihm hat sich in ssinsm eigensn Hauss allss in Gesetzlichksit verwandslt: "Wir haben hier im Hauss zwei Mal zshn Gsbote. Der Hut gshfirt auf den dritten Nagsl, nicht auf den visrten! Um halb zshn Uhr muss man mfids 29 ssin! Vor Martini darf man nicht frisren, nach Martini nicht schwit- zen! Des steht in einer Reihe mit: Du sollst Gott ffirchtsn und liebsn!" (S. 62) So drfickt sich Karl aus, als er zum letzten Mal nach Hausa kommt. Reine Gesetzlichksit hat hier jeglichss msnschliche Gsffihl und das sohbpferische Denksn srsstzt. Dies ist sin Zeitaltsr, das es fur notwendig halt, sine Ehebrschsrin zu steinigsn, nur weil das Gesetz es vsrlangt: ohne jsglichss Kitgeffihl wird Klara aus der Welt gsdrangt. Leonhard stellt die Brficks von dsr altsn zur neuen Zeit dar. Ob- wohl, oder visllsicht auch gerads weil er sine bessere Zeit einffihren soll, findst man bsi ihm vielss, was ebenso verachtlich ist, und sbsn so wsnig sin menschlichss Ubsrlegsn andsutst, wie bsi Anton. Anton vsrgewaltigt dis alts Zsit durch ssinsn stsifen Bsgriff dsr Ehrs. Er kennt des Gesetzss Wort absr nicht den Sinn. Leonhard hingegen verge- waltigt dis neue Ethik der Vergebunm. Er nutzt die neue Zeit aus. Man braucht nur daran zu dsnken, wie sr seine Schrsibsrstelle durch Betrug srhislt. Er gewinnt den Vorteil fiber einen andern dadurch, dass er diesen -zwingt, sich vor dsr Vorsprachs auf dem Amts zu betrinksn. Somit srhalt er seine Stelle ohne Schwisrigkeiten. Ein wsitersr Beweis ware seine verantwortungsloss Neigung zur freien Liebe. Eben ist ein Hadchsn durch ihn schwangsr geworden und sOglsich, als stwas dazwischsn kommt, gs— schisht dassslbs mit einem anderen Nadchen. In-ihrsr Selbstsfichtigkeit stimmsn Anton und Leonhard fibersin; dsr gfiSssts Unterschisd zwischen den beidsn, und hierdurch steigert es sich zu Gegsnsatzsn, besteht darin, dass Anton sin selbstsfichtiger Tyrann ist, weil er ssinsn Namen beschfitzsn will, Leonhard wagt es absr sslbstsfichtig zu handeln, weil ihm nichts an ssinsm Namen gslegsn ist; die Selbstsucht ist somit zum 50 Zweck selbst gswordsn. Das sins Extrsm ist von dem anderen ausgelost Worden. Ein nicht unahnlichss Vsrhaltnis findst man auch unter den ersten Christen, um jenen Zeitwechssl wieder zu erwahnsn. Das Gesetz war bsi den Pharisaern und Schriftgslehrtsn zum Ziel selbst gewordsn; als nun sin Hsohsel angskfindigt wird, glauben sinige, sis mfissen sfindigsn, d.h, das bis vorhin gfiltigs Gesetz fibertretsn, um ihre Frsihsit vom Gesetz zu bsweisen oder sogar um dadurch Gutss herbeizubringen. Diese Einstsl- lung widsrlegt Paulus in einem Teil seines Brisfes an die Homer, wo er wie folgt anfangt: "Sollen wir denn in dsr Sfinds beharrsn, auf dass die Gnads desto mfichtiger werde? Das sei ferns!” (Rom. 6, 1 u. 2a) Gerade so wenig wie diess Haltung einiger frfihsn Christen den idealen Geist sines neuen Zeitaltsrs andsutets, so wenig dsutst auch Leonhard den idealen Geist dsr neuen anbrechsndsn Zsit an. Es handelt sich nfimlich um keins Vertsidigung dsr freisn Liebe! Friedrich ist derjenigs, dsr einen Blick in diess bessers Zsit gswahrt. Friedrich ist dsr sinzigs, dsr sich fiber etwas lustig machsn kann, die anderen sind alle totsrnst. Seine hsiters Einstellung spricht von gutsm Willen gegen jsdermann, von Freude am Leben. "Wodurch willst du fur das Leben danksn, als dadurch, dass Du lebst? Jauchzs, VOgsl, sonst verdienst Bu die Kehle nicht!" (S. 49) Das Hoffnungbringende und Markante an dieser neuen Zsit dsutst Friedrich am klarsten in seiner Todssstunde an. Er spricht von Ver- gsbung und Verstandnis zwischen.Msnschsn zu Anton: ”Geb' Er mir dis Hand darauf, dass Er seine Tochter nicht verstossen will--." (3. 70) A13 es sich herausstellt, dass Klara tot ist, sagt er: "Er dachte, als 51 Er ihren Jammsr ahnte, an die Zungen, die hinter Ihm herzischsn wfir— den, absr nicht an die Nichtswfirdigksit dsr Schlangen, denen sis ange- hfiren, da sprach Er sin Hort aus, das sis zur Vsrzweiflung trisb." (S. 70) Absr er, dessen Haltung schon davon zsugt, dass er in dieser neuen Zeit erzogsn worden ist, beschuldigt nicht nur den Vatsr, er ffihlt sich mitschuldig, hat auch er sich.mit einem "Darfibsr kann ksin Mann wag!” (S. 52) aus Furcht vor dem "Buben, dsr dazu sin Gesicht zichen konnte,” von dsr Klara abgswandt. Friedrich predigt in seiner letzten Stunds, dass das blosse Rechttun gsnfigt. Dies kann dsr alts Vater nicht verstshsn, denn ffir ihn ist der Lebenswandsl unablasbar von der Hochachtung seiner Mitmsnschen; statt Friedrich die Hand zu rsichsn, stsckt er beide Hands in dis Taschs. D. Klara als Schuldnsrin Zwischen diesen bsiden Weltsn stsht Klara. Sis ist in einer Zeit erwachssn, we sich vieles anfangt zu andern, absr den Einfluss ihrsr Eltsrn, vor allsm.ihrss starksn Vaters, kann sis nicht abschfittsln. 0b sis es will oder nicht, ihr tiefss Innerstss ist letzten Endes doch Von dem bsstimmt, was ihre Eltsrn glauben und lsbsn. Dis ausssrsn Ver- haltnisse, die Leute mit dsnen sis ausssrhalb dss Familisnkrsisss ‘verkshrt, passen sich absr schon zum Teil dsr neuen Welt an. Als Mensch hat sis diesen Umgang mit Mitmsnschen natig und ohne ihre sigsne Schuld wirkt sich auch dieser neue Geist auf sis sin und srzwingt sins zwsite Loyalitat von ihr. Dies fangt mit ihrer Liebe ffir Friedrich an; man kann sich vorstsllsn, dass Klara sich durch Friedrichs hsitsres Wessn zu ihm hingezogen ffihlts. Friedrich wird absr Student, was ihn in 52 sins etwas andere gssellschaftlichs Schicht als dis dss Tischlsr- msistsrs Familie stellt. Da er auch dis Notwsndigksit einer Ehs Ln bflrgsrlichen Sinne gsringsr schatzt als Klaras Familie, lasst er lan- gers Zsit nichts von sich horsn, Obwohl er inzwischsn zurfickgskommsn ist. Die Eltsrn ratsn dsshalb, sins Ehe mit Leonhard sinzugehsn, denn dieser ist doch aus ihrer gsssllschaftlichsn Schicht und verspricht mit einem Einksmmsn als Sskrstar auch einen besssrsn Unterhalt ffir ihre Tochtsr. Durch vsraltets Ansichtsn fallt dis Familis somit den Intrigsn Leonhards und dem Schicksal in dis Arms. Durch Klaras Hingabs an Leonhard zusammsn mit ihrer innsrsn Gobundenheit an das Alte gibt es ksinen Ausweg mshr. FUr den Menschsn dss neuen Zsitaltsrs hatte es in ihrem.Falls vsrschiedene Auswsgs gs~ gsbsn; sis hatte Friedrich statt Leonhard anflshsn konnsn sis zu hei- raten, und Friedrich ware sins Ehs mit ihr wahrschsinlich singsgangen. Damit wars dsr unshelichsn Gsburt ihres Kindss vorgebsugt warden. Oder sis hatte sinfach als madchsn ihr Kind gsbarsn kfinnsn, ohne auf das Drteil anderer zu achtsn; visls haben es nach ihr so gsmacht. Bei- des fordert absr sin volligss ffir sis unmbgliches SichPVerabschisden von der bfirgsrlichsn Moral, von dsr vatsrlichsn Denkwsiss. Untersucht man dies Vsrhfiltnis in Bezug auf Klaras Schuld, so fallt gleich auf, dass das Unrecht oder dis Sfinde ffir Klara nicht auf ihrer Hingabe an Leonhard beruht, such nicht sinmal auf ihrer Schwanger- schaft. Allsin dadurch hat sis dis Moral ihrer Zsit and Gsssllschafts- sohicht aush nicht fibsrtrsten, sondern ihr Schuldgefflhl scheint daher zu stammsn, dass sis durch dis Gsburt ihres Kindss dis Familis in Un- shre bringsn wird. In seiner Einlsitung zu Maria Magdalena sagt Richard 55 Maria Werner hisrfibsr: "Mir haben durchaus nichts Ungswehnlichss daran, im Gegsntsil gshert sin solches Vorwsgnehmsn dsr shslichsn Rschte zwischen Brautleute vor dsr Vermzhlung zu den gebrauchlishten Erschei- nungsn im.stsn dss niedsrsn Volkes." (S. XVIII) Sis fangt dert an sich sfindhaft zu ffihlen, we sis sisht, dass sis als unvsrhsiratste Mutter ihrem Vatsr Schands bringsn wird, denn bsver Leonhard dis Vsrlo- bung bricht, findst sich bsi ihr keine Reue fiber diess Tat. Neil ss nunmehr ksinen Auswsg gibt, bskennt sis, dass sis sine Sundsrin ist. Statt dass sis ss absr in Uirklichkeit ist, handelt es sich vislmshr um sin blosses Schuldgsffihl, denn wie kann das Aufdscksn einer Tat, statt die Tat selbst, SUnde ssin? Gestsigsrt wird dies Schuldgsfuhl durch Furcht vor ihrem Vatsr, dsr mit Selbstmord droht. Gsrads das Schuld— gsffihl kann absr durch sin blosses fibsrtretsn dsr moralischsn Vor- schriftsn einer Gsssllschaft sntstshsn, wenn diess such auf ksins Naturgssstzs und innsre fibsrzsugung gsgrfindst sind. Dies ist hier dsr Fall und somit kann man nicht sagen, dass sis auf Grund ihrer Schuld- geffihle sins Sfindsrin war. we Klara absr gesfindigt hat ist dert, wo sis sich einem Manne, ohne ihn zu liebsn, hingegsbsn hat. Ihr Hers war bsi einem anderen. Hier kann man von einem Ubertrstsn sines Naturgssetzss sprechen. Was war dsr Gsschlschtsakt zwischsn Leonhard und Klara sonst als sine gsgenssitige Vergswaltigung? Leonhard wollts dadurch beweisen, dass sis ihm.gsh5rts, und Klara wollts dadurch seine Beffirchtung widsrlsgen, dass sis ihn nicht heiraten will. Hisr, we die Natur es vsrlangts, ja dss Msnschsn Innerstss, dass sis liebsn sollte, liebts sis nicht, and war somit sich selbst untreu gswordsn. 51+ Diese Untrsus kann man angssichts dsr Verhaltnisss, unter densn sis lsbte, absr kaum gsgsn sis haltsn. Es ist nicht ihre Schuld, dass ihr Herz sich dem Friedrich gab. Hatte sis frfihsr gelsbt, we neeh ksin versfihnsndsr Friedrich sxistierts, dann wars sis nech ganz in den Verhaltnisssn gswsSsn,zu,densn ihr Glaubs, dank ihrer Erzishung, gshfir- ts. Leonhard wars dann zu ihr zurfickgskemmsn und hatte sis gsheiratst. Tisf’im.Herzsn ffihlt er, dass sr Klara heiraten muss, wie er gerads zu sich selbst sagt, als er durch Friedrich untsrbrochsn wird, und somit nicht zu Klara kommsn kann. Ganz dem Sinne dsr bfirgsrlichen Moral snt- sprechsnd ware dann sins normals Ehe sntstanden. So gssshsn wird dis Schuld Klaras sins unpsrsfinliche, denn sis hat nicht aus Mutwillen dis bfirgsrlichs Moral fibsrtrstsn; sis war nur in einer Epochs, we sis an zwei sich gsgenfibsrstshsndsn Zeitsn zugrunde ging. We zwei verschiedens Zeitaltsr ansinander stosssn, da muss als Folgs immer jemand straucheln und fshlen, weil er gerads in dem.fiemsnt lebt, as ea zwsierlei Moral gibt. Und wie Klara unschuldig stirbt, so ist such dsr Einzslns sowis die Gsssllschaft unschuldig, oder nur indirekt schuldig, an ihrem Tod. Ein weiterer Punkt, den man in Vsrbindung mit ihrer Schuld erwahnen muss, ist ihr frsiwilligsr Tod. Hisrzu kommt noch, dass sis nicht Selbst-Mfirdsrin werdsn kann, ohne Kindss-Mfirderin zu werden. Dazu hat Klara absr selbst sine Antwort, dis sis von jeglichsr Schuld diesbezfiglich frei macht: "Beides liebsr, als Vatsr-Mfirdsrin! O ich weiss, dass man Sfinds mit Sfinds nicht bfisst! Absr was ich jstzt thu', das kommt fiber mich.allsin! Gsb' ich msinsm Vatsr das Mssser in dis Hand, so triff‘t's ihn, wie mich! Mich triff‘t's immer! Dies gibt mir Muth und Kraft in all msiner Angst!" (S. 59) Die Lage hat sich so Zuge— 55 spitzt, dass nur zwei Mfiglichksiten bestshen, sis und dsr Vatsr oder nur sis allein muss stsrben, und sis muss wahlsn. Es handelt sich nicht um das Guts zu wahlsn, sondern um das wenigsr Schlschts, und ihre Wahl wird somit die gsreohts. So gssshsn ist sis nicht nur schuldfrsi an dieser Tat, dis Wahl dss Selbstmords macht sis sogar zu einem Erleser, and damit ist schon sin wsiterss hier zu besprechendes Element angs- schnitten werden. E. Klara als Erleserin Die erlfissnds Rolls dsr Klara srscheint hier gssteigert fiber die dsr Maria Magdalena, wie sis im ersten Kapitsl dargsstellt wurde. Sis, als das Opfer zwsier Zeitsn, erlangt fast dis Hehe sines Christus, im Gegensatz zu Maria Magdalena, denn war es nicht Christus, dsr sich zwischsn zwei Zeitsn befand und folglioh das Opfsr wurde? So gssshsn, passt Christus in dis Geschichtsauffassung Hebbsls hinsin. Auch er muss ffir Hebbel einer dsr grossen Einzslnen gswssen ssin, in densn er das Abspielen dsr Weltgsschichts sah--sin Einzslnsr, dsr durch ssinsn Opfertod dis Ungsrechtigksit dsr ganzen Welt fibsrwand und sin neues besssrss Zeitaltsr ermfiglichts. Diese hohe sdls Erleser-Rolle hat Hebbel hier einer bfirgerlichsn Tochtsr, dsr Klara, dsr modsrnsn Maria Magdalena, zugsschriebsn. Schon durch ihre Isolisrung ist Klara als sin Erlessr~Typus gsksnnzeichnet. Sis stsht in dsr Welt ohne jegliche Mfiglichkeit dsr Verstfindigung mit ihren Mitmenschen. Leonhard gibt ihr ksins Hoffnung trotz ihres Flshsns, dsr Vater ist hart gegsn sis selbst in der Todss- stunde, und zu Friedrich kann sis sich nicht durchdringen, weil sis 56 selbst noch einen unerschfitterlichen Glauben an die alts bfirgsrliche Horal hat. Diese Isolisrung ist fibrigsns nicht nur ihr zu sigsn, jsdsrmann im Drama spfirt sis, nur sis erfahrt sis in besonderer Weiss, als ob sis daffir aussrwahlt wars. Hisr schaut niemand dem andern in dis Seels. Bin Gshsimnis stsht zwischsn Mutter und Tochtsr, dsr Vatsr traut dem Sehns einen Diebstahl zu, obwohl er unschuldig ist, die Menschen heiraten nur noch weil es passend ist, nicht weil sis einandsr liebsn. Jeder- mann will selbststandig ssin und sich vor ksinsm entblfisssn. Dis sslbstaufgsbautsn Mauern zwischen Mensch und Mensch werdsn hehsr und hoher und schlissslich fshlt die gegenseitige Versehnung unter den Menschen ganzlich und ist nicht mshr herstellbar. Wis kann Vsrsfihnung hier wieder stattfinden? Nur durch sins sr- schfitternds Begsbenheit, die in die Welt hinsinschreit. Eine Natur- katastrophs, stwa sin Vesuv oder sin Schwarzer Tod, wars stwas, das dis Msnschen zusammsnbringen kennte. Wer weiss nicht von Begsbenhsitsn, we Msnschsn durch sin zusammsnerlittsnss Schicksal, an welchem beide ksins Schuld hattsn, einen innigsn Neg zu einandsr fanden, dsr sich andere nis gsfiffnet hatte? Dies wirft die Frags auf, wie sine solchs Begsbenheit herbeigebracht werdsn kann. Ein maturphenomsn kann dsr Mensch nicht herbeibringsn, um somit Vsrsfihnung unter den Menschen wieder hsrzustellsn, und wsnn er es konnte, so ware es ksin Natur- phsnemen mshr, sondern sin von Menschsn herbsigebrachtes Schicksal, welchss dis Furcht zwischen Menschen nur vergrfisssrn wfirds. Will dsr Mensch sin Ersignis herbeibringsn, das in diessm Sinne versfihnend wirkt, so muss es nismand Schaden bringsn, nismand einem andern bsvor- 57 zugen oder hintsrstellen. Der Mensch mit einem Erlfisungswillsn ist somit auf sich allein angewissen--eine weiters Ursache seiner Isolis- rung. Physisch darf dadurch nismand als er selbst angerfihrt werden. Er selbst! das ist es gerads. Gibt er sich selbst im gsgsbsnen Moment, we "die Zsit erffillt ist“, so kann dies das erschfittsrnde versehnung— bringsnds Ergsbnis werden. Diese Erleser-Rolle errsicht Klara aus Bskfimmsrnis um ihren Vater. Sis wird sich ihres Endss klar bewusst und dsr sinzigs Gedanks war ihr dabei, den Vatsr zu rsttsn. Dass dieser dis Schands einer gsfallsnsn Tochtsr nicht wfirds ertragsn kennsn, war sis sich bswusst, so bleibt ffir sis nur sins fibrig, sis muss aus der Welt ffir ihn: ". . . Msin Vatsr weiss von Nichts, er ahnt Nichts, und damit er nie Etwas erfahrt, geh' ich noch heute aus der welt!" (S. 59) Ffir sich selbst sisht und sucht sis ksine Art Gswinn durch diesen Schritt. Sis racht sich dadurch an nismand, auch tut sis es nicht weil es ihr jemand zumutet, um stwa sine Schands zu bedecksn: "O Gett, ich komms nur, weil sonst msin Vater kams!“ (S. 67) Kein Hort dss Selbstmitleids hat sis ffir sich. Nur ffir einen anderen tut sis dies und jsgliches unver- 36hnends Gsffihl gsgsn die Welt muss weichen. Wis Christus in seiner Todssstunds in Gegenwart dsr Soldaten, die ihn ans Krsuz geschlagen hattsn, betet: "Vater, vsrgib ihnen, denn sis wissen nicht was sis tunl", so betst Klara in ihrer letzten Stands, als sis noch zum letzten Mal an Leonhard denkt: "Vergisb uns unsers Schulden, wie wir vergsbsn unsern Schuldigern. Da ist's! Ja! Ja! ich vergsb' ihn gewiss, ich denke ja nicht mshr an ihn!" (S. 67) Ihr selbstloser srlesung-- bringendsr Tod wird dann durch die Freiwilligkeit ihres Todss besie- 58 gslt. Dies wird in Hebbels Text durch Sperrdruck dsr Werter "gestfirzt" und "gesprungsn" in Karls Bericht betont: "--Vater, sis ist nicht hinsin gestfirzt, sis ist gesprungen, sineMagd'hat‘s gssshsn!" (S. 70) Klara epfsrte sich ffir den Vatsr; indem sis sich ffir den Yatsr opferts, hat sis sich absr ffir dis Menschhsit gsopfsrt. Sis ist das Glied, das das Guts aus dem Alten und dem Neusn in einer Person vsrkfir- pert. Ffir den Vatsr wars es unmeglich gswsssn, dass er ssin Leben ffir einen andern hingsbs. Er lsbt unterm Gesetz, und untsrm Gesetz gibt es nur Gsrechtigksit; Barmhsrzigkeit und Versfihnung findsn hier ksinsn Platz. Hatts er Klaras Fall srfahren, bevor ihrem Teds, so hatte er sich selbst getfitst. Disser Tod ware ohne jsglichss versehnsnds Els- msnt gswessn, weil sin solcher Tod nur darum gesohehsn ware, weil dsr Vater das Zischen und Fingsrzsigsn dsr Msnschen nicht hatte ertragen kannsn. Wis Klara andeutst (“Gsb' ich meinem‘Vatsr das Messsr in dis Hand, so trifft's ihn, wie michl” S. 60), hatte er sis visllsieht nech zusrst getfitet, ahnlich wie sin Odoarde, mit ssinsm fiberstsigsrtsn Ehrgsffihl, seine Tochtsr Emilia Galotti srstach. Am Ends dss Dramas, nachdsm Vatsr Anton sich weigsrt Friedrich zu vsrsprechsn, dass er Klara verzsihen wird, sagt dsr Vatsr: "Ich vsrstehs die Welt nicht mshr!n Ist viellsicht sbsn das, was er nicht verstsht, dsr frsiwilligs Tod seiner Tochtsr ffir ihn? Das Sich-Hingsbsn sines Menschen ffir den andern? Im.symbolischen Sinne gssshsn ist Klara somit dis Person, die das Bindsglisd zwischsn zwei Zeitsn wird. Durch sis ist die Menschhsit ven sinem.Zsitaltsr zum andern gsffihrt werden. Sis hat den ng gsbahnt zu einer Zeit, in dsr dsr Menschhsit sin besssrss Leben mfiglich ist. Sis ist absr selbst untergsgangen, damit die Menschhsit nicht untsrzu— 59 gshsn brauchts. Praktisch gssshsn ist sis sins von densn, fiber die Glaser im.Sinns Hebbels schrsibt: "Immer treten besonders Einzelns aus der Vielhsit heraus, weeksn dis Welt aus ihrem herkfimmlichsn Trott und Schlaf und ermeglichen somit sine Fortsntwicklung, den Beginn einer neuen Zeit. Sis selber sfihnen ihren Frevsl mit tragischsm Untergang.“4 F. Klara als Frau Dis Rolls Klaras als Frau knfipft zutreffend an ihrer Erlfissr- Rolls an, denn es ist das Weibliche in ihr, welchss sis zu dieser Tat befahigts. Dies sisht man viellsicht am klarstsn durch sine Betrachtung von zwei kurzsn den 24. Februar 1857 datisrtsn Eintragungsn in Hebbsls Tagebuch: Durch Duldsn Thun: Ides dss Weibss e e * a * Klara dramatisch: Der Mensch soll treten in dis Welt, Wis in ssin signes Haus. Man geht nicht in dis Schlacht als Held, Man geht als Held heraus.5 Es scheint kaum Zufall, dass diess zwei dem ersten Blicke sich widsrsprechsndsn Eintragungsn auf einandsr folgsn. Zusrst fragt man sich; was ist dsr Zusammsnhang zwischen dsm.Duldsn dsr ersten Eintra- gung und der Schlacht dsr zweitsn, die das Bild sines Kampfers hervor- ruft? Duldsn setzt keins Passivitat voraus. Passiv ssin bedsutst viel mshr ksinen Antsil nehmsn, sich ohne jsgliche Betsiligung hin und fiHsrmann Glassr#st a1, Wags dsr deutschen Literatur (Frankfurt/M. u. Berlin, 1961), S. 227. 5Friedrich Hebbel, "Mfinchen, den 24stsn Febr.,"“'S'a‘mtlichs WerkeJ Tagebficher, I, besorgt von R. M. Werner (Berlin, 1907), S. 558 - 559. 40 her treiben lasssn. Dsmgsgenfibsr ist das Duldsn segar sins Tat. Duldsn heisst ohne Zorn leidsn, mit Gslasssnhsit oder Ergebung Widsrwartig- keiten hinnehmen. Kampft dsr Mensch in diessm Sinne, ist ssin Wills zum Guten nicht nur von momentansn ihm Ehrs bringsndsnhsldestaten abhangig: er kampft ffir dis Ewigkeit. Der Sisg sines solchen Kampfers wird erst am Ends dsr Schlacht oder mit ssinsm Tede klar. "Man geht nicht in dis Schlacht als Held, man geht als Held heraus." Disses wsibliche Element dss Duldens ffihrt uns auf den viellsicht offsnsichtlichstsn Unterschied zwischen Mann und Frau zurfick. Der Mann ist physisch stark, dis Frau hingegsn schwach. Der physisch Starks gibt Von seiner Begabung und srmeglicht durch seine Kraft den Aufbau, ja die Bswsgung dsr Welt. Die Begabung dsr Schwachen ist absr nicht ffir diess Welt, sis kann nicht immer wieder von sich selbst gsben; sis hat nur sines, das sis gebsn kann, und das ist sich selbst. Somit zsigt die Frau aus dieser Welt in die Ewigksit hinaus. Als Beispiel disses in dis Ewigksit Hineinzsigendsn kann man das rein Biologischs dsr Kindersrzsugung nehmsn. Durch das damit verbun- dens Leiden gibt sis sich selbst ffir kommsnde Gsnerationen hin. Hisrin srffillt dis Frau ihre Rolls und findst ihr Glfick. Dies will durchaus nicht sagen, dass die Frau nur durch Kindsrgsbarsn ihr Ziel srrsichen kann; sis kann auch auf anderen ngen in die Ewigkeit zeigen. Man braucht nur an das Schaffen einer von Drosts-Hfilshoff denken, denn such sis zeigt gerads durch ihr Schaffsn in die Ewigksit. Das Schaffsn einer solcher Dichterin ist im fibertragsnen Sinne absr ihr Kind, das auch ffir sis sin Duldsn kostete. Seltsn dringt sich sins Frau und Mutter auf die Bfihne dsr Welt. Tut sis dies, so geschisht ss auf Kostsn 41 ihrer ersten Berufung. "Durch Duldsn Thun" heisst sich ffigsn, sich untsrwsrfsn, nicht anwsissn. We immer sins Frau sich untsrwirft, we sis unterstfitzt statt zu ffihrsn, da erffillt sis ihre Rolls. Dies war ffir Hebbel, der dsr jungdeutschen Emanzipation dss Fleischss und besonders dsr Emanzipation dsr Frau heftig widerstrebts, sin Teil dsr hfichstsn Ordnung dsr Menschhsit; er strsbts nach einer Zeit, "in welchsr allss wieder an seine Stells treten, in welchsr das Weib dem Manna wieder gsgsnfiberstshsn wird, wie dieser dsr Gsssllschaft und wie dis Gesellschaft dsr Ides." (Verwort zur Maria Magdalena, 3. AA) Dies stellt ffir Hebbel dis Ordnung dar, die ffir dis Erhaltung dsr Menschheit eingehalten werden muss. Eur durch dss Weibes physi- schs Hingabs an den Mann ist die Gsburt sines neuen Lebens mfiglich. Es ist auch nur in dsr Hingabs im allgsmsinsn Sinn, dass neues Leben mfiglich wird. Das Senfkorn muss sterbsn, bsver eine neue Pflanze 6 hsrvorwachssn kann. Diese Ides dsr Frau, dis Hebbel in kurzen Zfigen angibt, wird in Klara Flsisch und Blut. Sis ist allem Anschsin nach ganz vom Manne abhangig. Sis flsht Leonhard an, kann ihn absr nicht zwingsn sis anzunehmsn, denn dieser Schritt muss von ihm selbst kemmsn. Als Felge ihrer Erziehung halt sis an einer innersn Untsrworfenhsit ihrem Vatsr gsgsnfibsr fest und ist ihm ganzlich preisgsgsben. In dem Moment, es 5Dsr Vsrfasser will nicht bshauptsn, dass der Mann dieser Selbstlosigkeit, die dsr Frau hier zugsschrisbsn wird, unfahig ist. Gewiss kann dsr Mann sich ffir andere aufopfern—-davon gibt es visle Beispisle. Um sine Harmonie zu srrsichen, braucht es Vsrschiedsn- heitsn oder sogar Gegensatze--dsr schaffsnde aggressive Mann und die sslbstlose Frau kfinnen in einem harmonischsn Ganzsn zsrschmslzen. Ebenso enthalt dsr Mann allein wieder verschiedens Elements: Das Selbst- 1oss, oder Wsiblichs, zerschmilzt wisdsrum mit anderen mannlichen Elementsn, um dsr Gestalt dss Mannes sine Harmonie zu gebsn. 42 geschisht noch in Lsenhards haue, als sich dieser entgfiltig von ihr absagt, we sis sisht, dass ihr Vater in Gefahr ist, weil sis sich nicht aus ihrer Unshre rsttsn kann, kommt ihr dsr Gsdanks, dass sis sich ffir ihn hingebsn wird. In dsmsslbcn Momsnt,fangt sis such an Frau zu werden. We sis verhsr nicht wussts wohin, ist sis sich ihres Zislss jstzt klar bswusst. Durch ihren Tod zeigt sis, dass sis starksr als ihr Vatsr ist, Dies war sin Schritt, dsn er auch als starker Mann, dsr seine Tranen unter allen Umstandsn zurfickzuhaltsn vermeehte, nicht hatte gshsn kfinnsn. Sis war ksins Heldin in ihrem Leben; im Tods wurds sis sine Heldin. sass»: Durch dis Hebbsl'schs Darstellung dsr zwei sich begsgnenden Zeitsn wird sin zutrsffsndsr Hintsrgrund ffir die Schildsrung dsr modernsn Maria Magdalena gsbotsn, denn im Hintsrgrund dsr Maria Magda- lena im Nsusn Testament lausrt dsr gresste Zsitwechsel unssrsr absnd- landiscsn Kultur. Klara, dis Maria Magdalena, ist gefallen, und insofsrn sis sich einem Manns, ohne ihn zu liebsn, hingsgsben hat, ist sis wohl zu bsschuldigsn; man ist absr gsnsigt, dis Schuld auf die vsrwickslten Umstands statt auf Klara selbst zu legsn. Dis Erlfissr- rolls, die Hebbel ihr zurechnst, erscheint hoch gsstsigsrt fiber dis dsr Maria Magdalena dss Nsuen Testaments. Diese Erlessr#Rells scheint ihren Grund darin zu haben, dass Klara ihre aufopfsrnds Rolls als Frau srffillt, denn Hebbsls Ides dsr Frau ist sine dss Duldsns und dsr Hingabs. III. HEYSES MARIA VON MAGDALA A. Bee Werk Wsnige deutschs Dichtsr haben fiber sins langsre Zsit geschrieben als Paul Heyss (1850 - 1914), dsr 1910 als srstsr deutschsr Dichtsr mit dem Nobslprsis bsshrt wurds. Trotz seines klassisoh—romantischsn Ein- flussss und Erbss—-sr wurds zwei Jahre vor Gosthes Tod gsborsn und in seiner Jugsnd lernts sr noch Eichsnderff ksnnen--wird er msist als Realist benannt. Disssr Individualist, bsi dem dis Ides noch stets den Vorrang hat, lisbt das prunksnds historische Kostfim and will das Schfine darstellsn. In ssinsm Drama Maria von Magdala vsrwendst er, als frei- dsnksnder Jude, sin neutestamentlichss Thema. Zur Vorgsschichte disses Dramas gehfirt dis Jugsndgeschichts dsr Maria Magdalena. Gegsn ihren Willsn wurde sis mit ffinfzshn Jahrsn an den visrzig Jahre alteren absr rsichstsn und geizigstsn Mann in Magdala vsrkauft. Drsi Jahre spater gelang es ihr nach Jerusalem zu sntflishsn, we sis ihr Leben mit sinsm.angsblichsn Frsund tsilts, dsr sis absr vsrliess, als ihr mitgsbrachtss Geld zur Neige ging. Nash diessm Ersignis bricht ihr Glaubs an Gott zusammen und, in den Worten Flavius', wie sine Schfilsrin Epikurs. findst sis nun nur sines, das ffir sis von Wart ist, namlich das Stillen ihrer Sinne. Ihr Ziel ist jstzt ualle Freudsn dsr Jugsnd zu gsnissssn und nicht zu fragen ob wir mergen viellsicht hasssn werdsn, was wir heute geliebt haben.“1 Somit wird sis dis, als dis sis im Volk bekannt war, die, wsnn sis sich sieben sinladst 1Paul Hsyss, Maria Von Magdala (Stuttgart u. Berlin, 1915), S. 21. Alle nachfolgsndsn Ssitsnzitats in diessm Kapitsl sind diessm Wsrke sntnommen. 44 zum.Weintrinken‘und Lautsnspisl, sich.ven sschs um Mittsrnacht vsrab- schiedet and van Siebentsn erst frfih mergsns. Trotz dieser Einstsllung zum Leben gestsht sis absr, dass dsr Durst ihrer Sssle nie gestillt wurds. Dies ist die Maria Magdalena, dis wir am Anfang dss Dramas ver uns haben. Im.Verdergrund dsr Handlung stehen in den ersten Aktsn zwei Persenen, Maria Magdalena und ihr Frsund Judas Ischariot, auf den sis schon ssit sinigsn Wochsn wartst. Eine dritts wichtigs Person, die gleiehfalls im.Anfang erscheint, ist Flavius, sin rfimischsr Wachter und der Neffs dss Pontius Pilatus. Flavius betritt Marias Wehnung, um.drsi jungs Manner, dis sis belastigsn, fort zu treibsn. Von diessm sowie Von Judas hert sis ven Jesus und den grossen Einfluss den er auf die Msnschen ausfibt. Darauf hat sis nur noch sin Vsrlangsn: Disssn Jesus muse sis sshsn. Und durch Flavius sell es ihr gelingsn, denn seine Wehnung grsnzt an den Gartsn Simone, we Jesus oft predigt, und durch die Hecke kann sis ihn ungestfirt bsebachtsn. Als sis nun zu diesem.Zwsck auf Einladung bsi Flavius sinkshrt, trifft sis dort den Hohsnpriestsr Kajaphas. Kajaphas, dsr schon um den Beifall, den Jesus vem Volke bskemmt, bssorgt und srzfirnt ist, mutet ihr zu, Jesus durch dis Reizs ihres sinnlichen Zaubsrs zu sntblessen und ihn somit ffir das Judentum unsohadlich zu machsn. {aria weigert sich und sagt: "Sprach das zu mir sin Priestsr dss Herrn?" (S. 46) Sis geht an die Hooks, um Jesus zu sshsn, schrsitst absr hindureh, da sis seine Werts von dieser Entfsrnung nicht vsrstshsn kann. Glsich wird sis in ihren prunksndsn Gswfindsrn als dis Ehsbrechsrin und Hurs Maria erkannt und das Velk hsbt an, wie das Gesetz Moss es vsrlangt, 45 sis zu steinigsn. Dis schon aufgshebsnsn Steins fallen absr wieder zur Erde, als Jesus spricht: “Wer unter Such ohne Sfinds ist, dsr werfs den ersten Stein auf sis!u (S. 52) Ans Dankbarksit nicht nur ffir diess physische Rsttung sondern ffir das Glfick, das sis durch ihn srfahrsn, sin Glfick, "das keins Rsus gebisrt und mich.umfangt weichsr und ssligsr als Lisbssarms" (S. 76), kshrt sie zum Hauss Simona zurfick, we sis Jesus mit kfistlichsr Earde salbt. Auch Judas, dsr aus heisssn patriotischen Gsffihlsn einen politischen Befrsisr in Jesus findsn wollts und jstzt schon ssit lfingsrer Zeit zwischsn Haas und Lsibe ffir Jesus gsschwankt hat, hat untsrdssssn sins Zumutung von Kajaphas srhaltsn, dass sr Jesus vsrratsn sells. Empfirt wiss er diess Zumutung zuerst zurfick. Be or sich nun absr um.des Msisters Willsn ven ssinsm gslisbtsn Wsibs vsrstesssn sisht und da Flavius ihm.sagt, dass Ram in diessm milden Naaarsnsr einen Freund finden wird, vsrrat sr ihn jstzt doch und Jesus wird ins Gsfangnis geffihrt. Am.folgsndsn Tags sell sr gerichtst werden. A Dies ist die Nachricht, dis Flavius dsr Maria am sslbsn Absnd bringt. Er sagt absr, dass sr dss Nachts ins Gsfangnis schlsiohen kenn- te, um, als Neffe dss Landpflsgsrs Pontius Pilatus, den Wfichtern zu gebieten, Jesus hsimlich frei zu lasssn, denn Pontius Pilatus habe Furcht, dsr Cesar in Rom.m8chts zfirnsn, dass hier unschuldigss Blut vergesssn wfirds. Ffir diess Tat wfirde sr von Maria absr sins klsins ngsntat vsrlangen, namlich, dass sis, dsr so sehr um Jesu Wohlsrgshsn zu tun ist, ihm in der kemmsnden Nacht daffir "sin wenig hold und freundlich ssinu mfichts. (S. 91) Fast vsrzweifslt lasst Maria ihn von sich mit dem Verstfindnis, dass er spfiter zurfickkommsn wird. 45 Gleich darauf erscheint Judas, dsr von Flucht spricht and Maria mit sich nshmsn will. Da sis absr gsstsht, dass sis nech diesen andern srwarte, gibt er ihr Bedenkzeit bis dsr Tag graut, dann absr "sin Leben mit mir in dsr Ferns, oder in Jerusalem sin Grab." (S. 97) Der Rfimsr kshrt zurfick und es ist als ob sins frsmds Gswalt dis vsrwandslte Maria zurfickhalt und ihr nicht srlaubt, die Tfire zu fiffnsn. Jesus wird darauf gskrsuzigt und Judas srhangt sich im.Maulbesrbaum vor Marias Tfir. Zusrst bsschuldigt Maria sich als Jesu Merdsrin; dsr Glaube an ssin heiligsr Wills siegt absr, und das Drama endst in rsligifiser Ekstase unter dem Krsuze dss stsrbsnden Msistsrs. B. Judas und Flavius Die Hauptgestalt disses Dramas, Maria von Magdala, wird von drsi Nebengestalten umkrsist, dis zur Fabel dss Dramas wichtig sind. Maria ist nicht nur als Hauptfigur von gresstsr Bedsutung, sis ist auch dis :omplizierteste und glaubhaftigsts Figur. Von den Nsbsnfigursn sind Flavius und Judas nicht sinfach absr manchmal hat man den Eindruck, dass ihre Handlungen ungsnfigsnd motivisrt sind oder dass Hsyss sis nur braucht, um die Rolls dsr Maria zu unterstfitzsn oder segar zu interpretieren. Und was Kajaphas bstrifft, ist seine Charaktsrisierung negativ; nur sin Zisl hat sr im Auge und allss ist ihm erlaubt dies sins Ziel zu srrsichen: Jesus soll irgendwis abgeschafft werden. Wis Maria, so ist auch Judas sine suchsnde Sssls; we es sich bsi Maria um sin Suchen nach einem innsrlichen Frisdsn handelt, handelt es sich bsi ihm um das Suchen nach einem politischen Befrsier. Es war ksine Botschaft dsr gsistlichsn Erlfisung, dis ihn fibsrzeugte Jesu Jfingsr 2+7 zu warden, sondern dsr gsbistsrischs Blick, als dieser im.Tsmpel ssinsn Wechslsrtiech umstiess. So stark wirkts sich dieser Blick auf Judas sin, dass er ohne ssin Teusrstss, Maria, zu benachriehtigen, mit Jesus in dis Wfiste zog. Dass sr absr wsnig verandsrt wurds durch diess Gemsin- schaft, zeigt sich schon darin, dass er sich ihm nicht unterstsllts. Nachdem er Maria von diessm Prophetsn srzahlts, fragt diess ihn, ob der Msistsr auch von ihr, seiner Frsundin, die die Frommsn nicht mshr in ihrer Mitts duldstsn, wfissts? Judas antwortsts nur: “Ist er dsr Richter fiber mich?" We Judas am gsnialstsn erscheint, ist dort, we sich seine Haltung dem Kajaphas gsgsnfiber offsnbart. Wohl verrat er Jesus an die Rbmsr, wie Kajaphas ihm zumutets, absr nicht um das versprechene Geld, sondern weil er sich an diessm Manns, dsr ihn zuerst als Messias fibsrzsugt hatte und der nun absr sagts "Gibt dem Kaiser, was dss Kaissrs ist," rashen wollts. Durch seine Hartnackigksit scheint die Hingabe Marias umso volligsr. Und durch ssinsn Freiwilligsn Tod im.Maulbeerbaum dsutst sr an, dass, wie er immer nach sigsnsm Gut— dfinken gshandslt hat, so will er auch ssinsn Tod entschsiden. Maria hat absr einen andern gsfundsn, von dem sie sich richtsn lasssn will. Flavius ist dsr ngsnspislsr dss Judas; durch das Werbsn dsr bsidsn yum Maria ist das schon klar. Er ist gsgen ssinsn Willsn nach Jerusalem gssandt werden und schmachtst hier nicht nur wsgsn Mangel an den Von ihm so gslisbtsn Vsrgnfigungsn seiner Hsimatstadt, weruntsr das Umgehen mit den rfimischsn Weibsrn sins wichtigs Rolls spielts, sondern er wird hier von den Judsn gshasst und als Unterdrficksr gehalten. Dis sinzigs Frau, die ihm hier in Jerusalem.von Wsrt scheint, ist Maria, an deren Tfir er mshrsrs Male im Dunksl dsr Nacht vergsbsns gspocht 1+8 hatte, denn diess hat sich fest gsschwersn, nis mit einem Manns Von dem Beer dss Unterdrficksrs zu.vsrkshrsn. Die msrkwfirdige Rolls, dis Hsyse Flavius zuteilt, ist das Inter- pretisren oder das Darstellen dss inkonssqusntsn Handslns dsr Judsn. Als Kajaphas ihn bittst, Jesus zu.vsrhaftsn, dsutst sr dissem.dis Lachsrlichksit dieser Situation an, denn als dsr Juden Feind warsn Jesus und die Rfimer Verbfindsts. Oder als Judas hfihnisch ssinsm Hass fflr Flavius Luft macht, srinnsrt dieser ihn daran, dass er, als Jfingsr Jesu, seine Fsinde liebsn sollte. fiberhaupt ist dieser Remsr gut ins formiert fiber das Leben und die Lshrsn Jesu. Dass absr ausgerschnst er der~erste ist, der Maria dis Botschaft von Judas Vsrrat und die Verhaftung Jesu bringt, scheint stwas gskfinstslt. fibrigens wird er duroh diess Rolls mit dem rfimischsn Soldatsn idsntifizisrt, dsr bsi dsr Krsuzigung ausrisf: “Wahrlich, dies ist Gottss Sohn!“ Flavius disnt dadurch als dis mannlichs Parallels zu Maria, denn am.Ends ruft er aus: "Der Siegsr war sr, und nicht susr finstsrsr Gett dsr Rachs.”_ (8. 110) Auch srksnnt sr somit die Gotthsit Jesu, jsdoch er, als Mann, musste erst den Bewsis dsr Krsuzigung sshsn, bsvor er glaubts; Maria glaubte ohne diesen Bswsis. C. Maria dis Missvsrstandsne Ffir die Gestalt dsr Maria bszisht Heyss sich hier auf drsi Per- sonenudes Nsusn Testaments und malt daraus sins abgsrundsts Gestalt. Diese drsi Psrsonsn sind Maria Magdalena und die zwei namsnlossn Frans en, die grosse Sfindsrin, dis Jesu Ffisss mit ihren Tranen wuseh und die Frau, die im Ehsbruch srtappt wurds und gsstsinigt werdsn sollte. 49 Somit ist sis glsich vor unsern Augsn als sins Ehsbrechsrin und Hure, dis dem jfidischen Gesetz gsmass dss Todss schuldig war. Hsyss schafft daraus absr sine Gestalt, die zum grosstsn Teil schuldles ist. Heyss gswinnt dss Lssers Mitleid ffir maria dadurch, dass sr sis mit anderen vsrglsicht. Einsrssits hat man Maria undwandrsrssits boson. dsrs Kajaphas und ssinsn Sohn Joab. Maria hat den Ruf untsrm Volk, dass sis das lustige Leben lisbt, und dass sis sine Hurs ist, Dieser Ruf ist auch nicht ohne Ursache, absr viel von dem, was das Volk ihr nachredst, ist unbsgrfindet und besteht auf Unwissenhsit dsr Tatsachsn. Sis wurde auf Grund ihrer Flucht von einem viel altersn Manne, den ihr von sslbst- sfichtigsn Eltsrn aufgezwungsn wurde, sine Ehsbrechsrin gsnannt. Allss dsutst absr darauf hin, dass sis den intimsn Verkehr mit Hannsrn stets ffir heilig hislt. Nachdsm sis nach Jerusalem zurfickkehrts, hislt sis es mit nur einem Manns. Als dieser sis verliess, durch keine Schuld, dis ihr zuzurschnsn wan und sis ihren jfidischsn Glauben verlor, behislt sis dsnnoch Respskt ffir das Verhaltnis mit dem Manne. Wsnn sis nach einem gemsinschaftlichsn Absnd mit Frsunden nur einen ffir dis Nacht bsi sich behalt, so wissen die Leute ss nicht, dass dieser gerads dsrjsnigs ist, den sis lieb hat, und nicht dsr Schfinsts oder dsr Rsichsts. Auch sagt sis von sich selbst, dass sis "nicht zur Schau stsht wie sin Wundsrtier auf den Marktsn ffir nsugierigs Gaffer." Ein intimss Leben mit dem Manns hat ffir sis nur dann Bedeutung, wsnn es auf Liebe gegrfin— dst ist. Ffir dis blesss Befrisdigung dsr ssxusllsn Begisrden hat sis keine Zeit. Noch wenigsr Zeit hat sis ffir das Anwenden ihrer wsiblichsn Reize ffir politische Zwscks. Da sis absr als Prestituisrts bskannt ist, wird sis irgendwis als Gsmeingut betrachtst und allss wird ihr zuge- 50 mutet; allss sell sis durch ihre Rsize srrsichen k8nnsn—-sinmal soll sie Jesus unschadlich machsn, indem sis ihn verffihrt, und sin anderss Mal 3011 sis ihn rstten, indem sis sich einem Manne hingibt! Vsrbundsn mit dem gutsn Willsn, den sie zeigt, ist sin Schuldgsffihl, welchss nach bitterer Erfahrung absr fast in sin Zwecklesigksitsgeffihl fibergeht. Dieser zum grosstsn Teil als Eelgs einer unfrsundlichen Umwslt heruntergekommsnen strafbarsn Buhlsrin gsgsnfibsr stehen Kajaphas und ssin Sohn Joab. Kajaphas ist sin Mann, dsr ssinsm Bsrufs nach sin Mann Gottes ist, ssin Hsrz ist absr angsffillt mit Haas und Rachs gsgsn allss, was ihn und ssinsn Stand bedroht; und Jesus ist ihm am msisten gshasst. Seine Beechuldigung gsgen Jesus lautet: "Dem Kaiser will er gsbsn, was dss Kaisers ist, und Gett was Gottss ist, uns absr, den Priestsrn Get- tes, nicht, was unssr ist." (S. 70) Selbst will er ihn nicht ver- nichten, denn das ware zu gefahrlich, weil Jesus visle Anhangsr hat. Zum zwsitsn dfirfsn er und die anderen Priestsr Jesus dem jfidischen Gesetz gemass jetzt nicht tfitsn, denn es sind die Tags dss Passah. Indessen versaumt er absr nicht jsmand anderem solches zuzumuten. Die Werte Jesu nach dem Evangelium Matthaus 25, 25 scheinsn hier zutreffsnd: “Weh such, Schriftgelshrtsn und Pharisasr, ihr Heuchlsr, dis ihr ver- zshnet Minze, Dill und Kfimmsl und lassst dahinten das Wichtigste im.Gesetz, namlich das Gericht, dis Barmhsrzigksit und den Glauben!" Der Sohn disses Heuchlers, Jeab, zeigt sine andere Ssite der Lasterung, denn bsi ihm.findst sich ksin Heuchsln mshr. Den Mund hat or stets voll frommsr Sprfichs, absr allss verwandslt sich bsi ihm in lauter Beshsit. Gsrads dis fortlaufsndsn Sprfiche aus dem heiligsn Gesetz werdsn bsi ihm zur Gottsslastsrung, manohmal dadurch, dass er 51 ssinsn sigsnsn Spruch hinzuffigt, z.B., als er betrunksn in Marias Wohnung hersinkommt, lallt er vor sich hin: "Israel ist sin vsrwfis- tstsr Weinstock, spricht Hosea, absr nech sind seine Trauben sfiss, spricht Joab, dsr Sohn Kajaphas." (S. 11) Oder er zitisrt einen Spruch in einer Situation,wo nur Sinnlichss dadurch zu vsrstshsn ist, wie, wsnn or von dem bsdrohtsn Jesus sagt, dass er nicht ix: Jesu Haut stscken.mbchte, auch wsnn dis schbns Maria zu ihm.sagsn wfirds: "Herr, thus mit deiner Magd, wie dir gefallt." (S. 56) Er kann nicht sinmal ssinsn Mund fiffnsn, ohne zu spottsn oder zu lastsrn. Wis andere stsht es bsi Maria! Ihrs ganze Stimmung ist sins solchs, dass, wsnn sis auch ihre buhlsrischsn Verse lisst, dabei stwas Echtss herauskommt: "Msin Freund spricht zu mir: Stehe auf, meins Freundin, meins Schfine, und kemm.hsr!/ Denn sishe, dsr Winter ist vergangsn, dis Blumsn sind hsrvorgskommsn, und die Turteltaube lasst sich h6rsn./ Msin Freund ist msin, und ich bin ssin, dsr unter Rosen wsidst." (S. 81) D. Die Bekehrung Marias Kajaphas und Joab sind trotz allsr ausssren Frdmmigksit Verdammte (und schuldigs; maria, dis dem Gssstze nach gsstsinigt werdsn sollte und die sich selbst schuldig ffihlt, ist im Vsrgleich dis Gsrechts. Trotz ihres Standss und Rufss hat sis stets das Echte gssucht, auch da we sis ihren Glauben vsrwarf. Als Judas sis am Anfang dss Dramas schein- bar vsrlasst, ruft sis aus: “Ich bin dis glattsn, lashelndsn Larvsn satt, dis Stutzer, deren Schsitsl nach Salben duftsn, und drunter ist's leer und dunkel wie sin taubsr Russ." (S. 8) Ihr Glaube und Vsrtrauen 52 kehrt in dem Moment zurfick, we sis hfirt, dass es einen Mann gibt, dsr Frisdsn gibt, dsr dis Msnschsn srffihren lasst,'“wie unsrffillte Wfinschs das Herz vsrzehrsn." Dieser Jesus soll nis sine Frau bsrfihrt haben, laut Judas, und gerads dies soll ihr sin Zsichen ssin, dass es sine Echthsit unabhangig von dem Sinnlichen gibt. Sis will ihn prfifen, und sshsn ob er nicht die Augsn niedsrschlagt, wie es alls anderen Manner tun beim Begsgnsn ihrer Blicks. Es ist als ob ihre Bsgegnung mit Jesus das Kulminieren ihres lsbsnslanglichsn Strsbsns nach Echt- hsit ist, denn als er gskreuzigt werdsn soll, sagt sis von ihm: ”Nur einer in dir (dsr Welt) war sin Mensch, den haben sis nicht dulden wellen in ihrer Mitts, weil sr schfin war und sis beschamts in ihrer- Hasslichksit." (s. 112) Obwohl dsr Wahn und die Ekstass, die die Vsrfinderung in dsr Maria bsgleiten, fast an sins pististischs Bekehrung erinnern, so ist dies bsi nfihsrsr Betrachtung keinsswsgs dsr Fall. Dis Bekshrung im orthodonen sewie im.pististischsn Sinne wird von einer Reue und Buses fiber sin vergangsnes gettlosss Leben bsgleitst und findst ihren Hfihs- punkt in der Aneignung dss stsllvsrtrstsndsn Tedss Christi. Maria gesteht die Sfindhaftigksit ihres bisherigsn Lebens und in gswissen Sinne wird sis such dis Sfindhaftigksit ihres wsitersn Lebens gsstshsn mfisssn. Was die Busse bstrifft, msint sis zu bfisssn, indem sis ihren Leib dem Flavius um Christi Willsn srgibt, und somit mit Jesus zusam- men an das Wohl dsr Msnschhsit tsilhabsn wird: "Ssi gstrost, du Heili- gsr! Ein Rotter wird kommsn, du sollst die frsis Gottssluft wieder athmsn, das Licht dsr swigsn Wahrhsit wieder lsuchten lasssn wsit hin- aus in dis Welt, alle Irrsnden zu ffihrsn auf den rschtsn Pfad 55 zu dsinsm himmlischen Reich--und ich--diss arms sfindigs Wsib--ich habe dsnn Thsil an deiner Herrlichksit und dsrf zu deinen Fussen--.“ (S. 102) Dies ist sbsr sin nutzlosss Opfsr--sin Opfsr, dss such gar nicht ver~ lsngt wird. Man muss sich frsgsn, ob der freidsnksnds Heyse, dsr Jude war-~ssine Wsrke vsrrstsn nis seine jfidische Hsrkunft--hisr die Hutzlosigksit sines menschlichsn Opfers ffir einen Gott dsrstellsn will. Wis man as von ihm srwsrtsn kannts, hat man hier im.Grund gsnommsn sins Wertreligion und keine mystische Religion dargsstsllt. Das Echte und Guts, Hslchss Maria ssit js in sich gshsbt hat, srrsicht durch diess Begsgnung mit Jesus, dsr dss ganz Echte dsrstsllt, dsn Hfihspunkt. Ihrs Ekstsse fiber diess Erfahrung ist-und viellsicht gerads weil sis sins Frau ist-~ihrs Frauds fiber dss, was sis gsfundsn hat. Ihrs Frauds fiber dss, was sis vorher durch ihre Hingsbs an Flsvius zu srrsichen gshofft hatte und welchss sich nun durch dis Aufsrstehung sls Mfiglichksit dsrstsllt, nsmlich dss Wohl dsr ganzen Menschhsit, dsutst suf sin I-«iuttsrgeffihl hin. fiberhaupt ist dss Mystische bei der Maris von Mag- dsls grasstentsils suf die Tatsachs, dsss sis als Frau dssteht, zu- ruckzuffihren. E. Maria sls Frau ‘Dss Frausein bedsutst im Falls Msrias einen Komplex von Gegen- sfitzsn. Sis will liebsn, sagt dsnn absr, sls such Judas nicht zurfick- zukehrsn scheint: "Als ob ein Wsib einen Freund haben kannte!" (S. 9) Sis fflhlt sich zerrisssn zwischsn Liebe und Hsss, Glaube undUnglsube; in ihrer Brust besteht sine Pclsritst. Wenn sis schwsch ist, dsnn ist sis sm.starksten. Trotz sugenschsinlichsr Niedsrlsge kommt sis absr 54L darfibsr hinaus. Kraft bedsutst Schwachs und Schwachs bedsutst Kraft; Hingsbs bedsutst Annahms und Annahms bedsutst Hingsbe. Man kann sogar sagen, dsss die Starks dsr Frau auf diesen ngsnsatzen gegrfindst ist. Disses gshsimnisvolle und ratsslhafts Vsrhfiltnis geht auf das ssit js vorhandsn gswsssns Insinandsrgreifen dsr Gsschlschter zurfick. Ob zwischsn Mann und Frau sin wirklichsr Unterschied an Grad besteht, wars zu bsstrsitsn. No dsr Mann dsr starkers ist, da hat die Frau absr sins schbpfsrischs Fahigkeit. Indirskt schuldct dsr Mann seiner physi~ sshsn Kraft sogar dieser schbpfsrischen Fahigksit dss andern Gsschlechts, dis ihren Hfihspunkt bsi dsr Gsburt und der Ernahrung sines Kindes sr- rsicht, denn wahrend die Frau sich bsi den Urvfilkern mit ihren Kindsrn beschaftigts, musste dsr Mann dis schwers Arbeit tun, wodurch ssin Leib sich immsr mshr dieser schweren Arbsit snpassts. Irgendwie ist es dann gsknmmsn, dass die Arbsit dsr Manner die shrsnbringsnds gswordsn ist, sei ss dss Jagsn, dss Krisgffihrsn oder dis Gsschsftslsitung. Auch ist es ststs dsr Mann, dsr in dsr Gsschichts erscheint. Dass dis Frau, dis dem fiusssrsn nach dem Manns sbsnbfirtig ist, und somit ssinsn sogsnanntsn hchsrsn Rang bsanspruchsn ksnnts, es in dsr Gsschichts dsr Msnschhsit absr sslten tat, will andeuten, dsss sis sins innsrs Starks hat, dis bsi dem Msnns fshlt und dis es fur sis unnfitig macht, sich stets zu vsrtsidigsn. Das psychologischs Phanomsn, welches man viel- lsicht einen modernsn Begriff nsnnen,m6chte, dsss namlich nur dsr Mensch, dem as an innsrsr Starks und fiberzsugung mangelt, sich stets vsrtsidigsn muss und in ssinsm ganzen Wessn sins Aggressivitat an- nimmt, hatte hier viellsicht ssins Urwirkung. Disss weiblichs Starks zeigt Hsyse verschiedentlich in dsr 55 Maria, am.starkstsn viellsicht in ihrer Unterhaltung mit Kajaphas im Hauss Flavius. Kajaphas beschuldigt sis und sagt, dsss sis nicht mshr in den Tsmpsl komms, weil sis sich furchte, dort dis Stimme dss Herrn zu vsrnshmsn: “Ich habe dir Schonheit verlishen vor allen Wsibsrn, du absr hast msin Gsschenk missbraucht, die Jugend msines Volkes zu locksn auf den Pfsd dsr Sfinde." (S. 45) Wis lsicht hatte sis sich ver- teidigsn kannsn, indem sis sich auf ihre Jugend berufsn hatte, um.zu zeigsn, dsss mshr an ihr gssflndigt warden, als sis gesandigt hatte. I Absr nsin, nach langersm Schwsigen sagt sis nurz ”Wsrum soll ich rsdsn...? Der mich frsgt, ist sin heiligsr Priester, dsm.immer dis Vsrsuchung fern blieb, sin Mann, dsr nicht vsrsteht, was sin schutz- loses Wsib leidsn kann. Hab' ich gesfindigt wider Gottss Gebot, so schuld ich ihm allein Rechenschsft, wenn er mich bsfragen wird um msin arms: Leben." (S. 44) FUr Kajaphas, den rationellsn Mann,ist diess Haltung unverstandlich. Er schfittelt den Kepf und sagt: “Soil ich wissen was sin Wsiberhirn brfitet?“ (S. 47) . Auch zu diessm Problem.hst dsr schlagfsrtige klsrsehends Flavius wieder stwas Aufschlussrsichss zu sagsn. In Bszug auf Maria sagt sr zu Kajaphas: "Denkst du nisdrig von Wsibsrgedanksn? Weibsr und Priester haben sich von js in die Herrschaft dsr Welt getsilt." Diese Betonung auf dss Herrschsn dieser Welt durch dss Wsib und den Priester srinnert soglsich an den Einfluss, den dis Religion und die Mutter auf die Geschehnisse der Welt ausflben. In der snglischsn Sprache hat man dies- bszfiglich einen Spruch, dsr diess Rolls der Frau als Mutter ausdrfickt: “The hand that rocks the cradle rules the world." Flavius dsnkt absr an die Frau allein als solchs und nicht an ihre besonders Rolls als Mutter; 56 er dsnkt an die Schsnheit Marias und glaubt, wsnn diess sich in Rom dem Oasar vorstsllsn wards, wfirds dieser sis fiber alle remischs Hsiber erhbhsn. Somit wfirds sis auf Grund ihrer Schbnheit als Gattin dss Gasars einen Einfluss--und wer wsiss wie gross dsr Einfluss dsr Frau nicht nur auf die Kinder sondern such auf den Mann ist-~auf das Wohlergshsn dss ganzen Volkes susfiben. Deutst nicht absr such dis Natur selbst an, dass die Frau letzten Endss an herrschender Stells stsht? In Bezug auf den Geschlschtsakt spricht man.immer von der Hingabe dss Wsibes. Richtig gssshsn ist es absr dss Weibes Annahme sines Mannes als Folgs seiner Wsrbungsn um sis, es sei denn, dass es sich um sins naturwidrigs Vergewaltigung handelt. Dies lasst sich physiologisch daran bsweisen, dass die Frau msist ffir diesen Akt errsgt werden muss, der Mann, hingsgen, braucht wenig Er- rsgung. In unserer Kultur spielt sich diess Herbung im Allgsmsinsn bsi dsr Anbahnung einer Ehe ab: dsr Mann sucht sine Frau aus und sr ist dsrjenigs,dsr in diesem hohen idealen Moment um Annahme bittst. Die Frau ist somit dis Aussrwahlts und nicht dsr Mann; durch seine Bitte oder ssin Gesuch unterstellt sr sich dsr Frau. Diessn Gedanksn bringt Heyse zu einem Hfihepunkt, als Flavius dis Maria bittst, ihm "sin wenig hold und freundlich" zu sein. Als er Maria zum ersten Mal traf und diess ihm srklarts, dass sis keine Gemeinschaft haben will mit einem Romer, srwidert dieser fast gutmfitiglich: "Und doch musste es dsr Tochtsr dsines Volkes schmeicheln, einen dsr Erobsrsr zu ihrem Sklaven zu machsn." (S. 19) Im symbolischen Sinn ware sis somit dis Herrscherin fiber dis Unterdrficker ihres Volkes gsworden. Hsyss verfolgt diess Ides dsr Herrschsft dss Wsibes noch weiter 57 wenn sr andsutst, dsss dsr Tod Jesu fast vorzubsugen gewessn wars, hatte Maria dem Flavius in der Nacht vor dsr Krsuzigung Einlass ge- wahrt. Wis anders wars dann, im christlichsn Sinne, das Los dsr Mensch- heit ausgsfsllen! Die Neglichkeit sines stwas ahnlichen erschfitternden Verhaltnisses wird in Friedrich Dfirrenmatts Dis Physiker angsdsutst. Hier ist es such sins Frau, sins klsine buckligss Krztin in ihrem privaten Heim.ffir Geistsskranke, dis fiber dss Schicksal dsr Msnschheit verffigt, indem.sie einem Kernphysiker, dsr sich aus Furcht vor den Folgen seiner Entdsckungsn als Wahnsinniger in ihre Anstalt flfichtst und somit glaubt unschadlich zu bleiben, seine Gehsimnisss entnimmt, diesen einspsrrt, allein dis Formsl dieser zerstorsnden Waffen bssitzt und schon ffir deren Herstellung Fabriken in Gang bringt. Dfirrenmatt ffihrt dies Vsrhaltnis fast bis zur Vollendung wahrend Heyse die Frags noch weit offsn lasst. Zwar wurde Jesus gekrsuzigt und zwar nennt Maria sich die Mbrdsrin, absr dis Worte Flavius deutsn an, dsss hier viellsicht doch noch sine hohsrs Hand im Spiel ssi, wenn er sagt, "Her sagt dir, dass sr die Hand dss Rettsrs ergriffen hatte, statt als ein MArtyrer und Held in den Tod zu gehen?” (S. 115) Base dss Los dsr Msnschheit von einer bskehrten Buhlsrin abhangig ssin konnte, war absr angedeutst, und dies klang dem preussischen 0hr zu Heyses Zeit nach Gottsslasterung. Hatts er dss Thema in die ngenwsrt fibersstzt, so wars ssinsm Drama 1905 in Preussen wahrscheinlich nicht das Aufffihrungs- vsrbot erlasssn worden. ' sates: Hsyss hat sich in diesem Drama dem Stoffe nach ziemlich sng an die in dem Nsuen Testament fiberliefsrts Darstellung gehalten. Er hat 58 hier drsi Psrsonsn ffir dis Maris von Msgdsla zusammengezogen, namlich, ausser dsr Maria von Magdala selbst, die grosse SUnderin und die Frau, die in Ehsbruch srgriffen wurde. Maris wird hier als Frau dsrgestellt, die durch Misshsndlung, Missvcrstsndnis und Enttauschung am Leben frei- willig sins Hurs wird, denn sis kommt dshin, wo sis nur noch dss Stillen dss Sinnlichen ffir wsrtvoll halt. Sis wird absr in solcher Weiss dsr- gestellt, dsss sis Mitlsid srrsgt und ihre Gfite zum Vorschein kommt. Ihrs Bekshrung besteht nicht aus einer plbtzlichsn Umkehrung, Obwohl sis den Anschsin einer pietistischen Erfshrung gibt, sondern vislmehr aus einem Kulminiersn dss Guten, welches sis nis verlsssen hatte. Heyse stellt sis vor allem als sine besonders Frauengsstslt dsr, was viel Stoff bistst, um fiber die Eigenschsften und Stellung der Frau nachzus denksn. Obwohl sis dsn Willen hat, sine Erloser—Rolle zu spielen, so bleibt dies fast sus. Sis hoffte Jesu Tod vorzubeugen und dadurch mit ihm einen Anteil an die Erlbsung dsr ganzen Welt zu haben. Wis absr die Busse ffir sis kaum natig zu ssin schien, so war such dieser Wills un- notig, denn dss Werk ihres Meisters war nicht von Menschen abhangig. IV. SCHLAFS JESUS UJD MIRJAM A. Das Werk Johannes Schlaf (1862 - I941) ist am besten beksnnt fur seine Zusamp mensrbeit mit Arno Holz in den Jahren 1888 und 1889, denn durch diess Zussnmsnarbsit entstand der segensnnte konsequente Reslismus. Schlaf und Holz waren absr von ganz verschiedensr Art, und die Zusammenarbeit verwandelte sich bald in heftigs Auseinandersetzung und Streit. Obwohl Schlaf den Lsrm dsr modernsn Literatur mitmachte, war er absr ksin sozisler Anklsgsr wie Holz und die anderen modernsn Dichter. Er,der sich in wagners Musik vertiefte, hatte vielmehr sine mystischs Ein- stellung zum Leben, und der mystische Durchbruch wurde ihm durch sins Hervenkrise im Jahre 1892 weiter ermBglicht. Er ssh in Nevalis ssinsn Vorganger, und wie dieser betont such er die gewaltige Bedeutung des Christentums fur Europa. Er sisht die Germanen als dis gotterwahltsn Empfsnger des Christentums, denn dies ist ein Volk, dessen Seele sigenartiger Weiss mit dem urchristlichen Prinzip zusammentrifft. Durch ihre Begegnung mit dem Christentum wird die germanische Ssels befruchtet, und die reinste Offenbarung christlichsn Geistes blfiht hervor.l Kein Hunder, dsss dieser Dichtsr mit Vorliebe historische und biblische Themen behandelt. Obwohl dsr Stil seines Schrsibens mit seiner tausenderlsi dokumentierbaren Einzelheiten stets stark an den Lsturslismus erinnert, so ist die Verwendung dss historischen Steffes bsi ihm als romantisch zu betrachten. Indem er sich in sine Zeit 1Johannes Schlaf, Der Kries (Berlin, 1907), S. 55 ff. 60 zurfickvsrsetzt, deren Geschehnisse nur halb—bekannt sind, die Lacken wo natig ffillt und aus dem, was dss Msnschengedachtnis tsilweiss fiberliefert hat, sin harmonischss Ganzes bildst, dsutst er sins Sehnp sucht nach frfiheren besssren Zeitsn an. Dies trifft besonders auf die Novella zu, dis hier behandelt werden soll. Christus, dsr fur Schlaf dsr srsts Vsrtrstsr einer neuen msnsch- lichen Einhsitsart dsrstsllt, wird hier in ssinsm Verhsltnis und in seiner Wirkung auf Mirjam (d.h. Maria) von Magdala beschrieben. Wir begsgnsn Mirjam zum ersten Mal in dsr Schenks Sealthisls zu dsr Zeit, als Jesus in dieser Gegend zu predigsn snfangt. Die knapp bskleidets rsizsnde Mirjam tanzt gerads vor einer Schar mannlichsr Vershrer, worunter sich ihr Buhlsr Roscius, sin ramischer Offizisr, und Gsmaliel, dsr jfidische Nebsnbuhlsr, befinden, als Jesus unter grossem Aufwsnd an dsr Schsnks vorbeigeht. Jedermann vsrgisst Mirjam ffir den Augen- blick, und alle hersn Jesus zu. Nachher geht dss Ianzsn und Trinksn in der Schsnks weiter; Mirjam.sber kann das Angesicht Jesu aus ihren Gsdanken nicht mehr loswerdsn. Fruh morgens wirft sis einen Schlsisr um sich und sucht ihn wieder suf. Sis fangt an zwischen dsr Schsnke 'und der Synagoge zu schwanksn, denn in dsr Synagogs kann sis Jesus sshsn, dsr ffir sis dss Ideal dsr Mannlichksit darstellt. Sis wird immer unzufrisdsner mit ihrem VerhAltnis zu den andern mannern und will nur Jesus sshsn. Eines Tagss, nachdem sis schon sins Zsitlang nicht in dis Schenke gegangsn ist, erfahrt sis, dsss Jesus wieder in Kapsrnaum ist, we er bsi sinem.rsichen Pharisasr zu Tische gsladsn ist. Es gslingt ihr in dss Haus zu ksmmsn und sis, die sslbsr so viel Wert suf k8stliche Salbs lsgte, cniet in der Gegsnwsrt allsr Gasts 61 vor Jesus hin und salbt seine Fuses mit kostspieligsr Nards und trock- net sis mit ihrem langsn Hssr. Die andern in dsr Gsssllschaft treibsn sis aus dem Hauss; Jesus absr erkannts ihre Seslennot und sagt zu densn, die mit ihm zu Tischs sitzsn: "we msin Wort und meins Lehrs vsrkfindet wird in dsr Welt, ds wird man von nun an such von dieser sprechen."2 Wenigs Tags spatsr sucht sis ihn wieder auf und bekennt, dsss sis sins grosse Sfindsrin ist und bittst ihn, dass er sis lshrs, was dss Himmslreich sei. Jesus sagt absr, dsss Mirjam die Wshrhsit noch nicht verstehe und schickt sis von sich: "Deine Stunds ist noch nicht gekomr men." Darsuf sitzt Christus allein auf einem Bergs, umringt von dsr g8ttlichsn Natur, und plstzlich denkt er wieder an Mirjsm. Da sisht er im.Geists das Idol sines Weibes, dss durch Mirjam srwsckt worden ist, und er weiss nun, dsss er dies Bild nicht mshr loswsrden wird. Er dsnkt absr wieder an seine Mission auf dieser Erds, an "dss Krsuz und die fernsn Weiten dsr gssintsn Msnschheit." Mirjsm.ist inzwischsn zu ihrem altsn Leben als Tanzsrin in dis Schsnks zurfickgsgsngen. Eines Tagss fallt sis beim Tanzsn um und es geht sin Gericht im Dorfs herum, dsss sis von Teufsln bessssen ist. Sis isst nicht und schlaft nicht. Hun sucht Jesus sis suf, und dies- mal frsgt er nur: "Mirjam, hast du mich lisb?" Sis bekennt ihre Liebe zu ihm und such, dsss sis ssinsn ng kennt. Jesus bittst sis, sich ssinsn Jungern und den Wsibern, die ihm nachfolgsn, anzuschliessen, und dsrauf vsrlangt er Spsise und Trsnk von ihr. Jesus gibt ihr von 2Johannes Schlaf, Jesus und Miriam (Dessau, 1921), S. 24. Alls nachfolgsnden Seitenzitste in diessm Kapitsl sind diessm Werk entnommsn. 62 dem, was sis ihm vorsetzt, zu esssn und zu trinksn, und darnach ver- lassen dis bfisen Geister Mirjam ffir immer. Er weiss jstzt, dass er sis in ssin Herz gsschlossen hat, und dsss sis ihm vsrtrsutsr ssin wird, als seine Jfingsr, Mirjam lasst allss, was sis hat, hinter sich, um Jesus nachzufolgen. Ihrs Sesls ist mit heiligem Frisdsn erffillt. Ihrs Liebe und ihr Glaube ist so stark, dsss sis such durch Jesu Tod stsndhaft bleibt und vollsr‘Hoffnung mit den andern Jfingern suf dis . letzten Dinge wartet. B. Mirjam dis Sfindsrin Was Schlaf uns in den ersten ffinfzehn Ssiten fiber Mirjsm erzahlt, besteht fast susschlissslich aus einer Beschreibung ihres Kussersn. Dies ist seiner naturalistischsn Tendenz zuzuschrsibsn, denn als Naturalist glaubts sr, dsss dss Wessntlichs durch sine getrsus Wisder- gabe dss Kussersn hervortritt. Sis stellt sin Bild rsizendsr physi- schsr Schfinhsit dsr, als sis in der Schsnke zum Tanz suftritt: Sis war hohsn, schlank gsschmeidigen Wuchses, wsnig fiber ihr zwsnzigstes stensjahr hinaus. Mit einem leichten Gswand war sis sngstan aus gslbsr phfinizischer Seide, in dsssen Ssum goldens Lotosknospen singewsbt waren, und das ihr dis olivsnfsrbigen Brfiste, dis Arms, um die sich goldsns Schlsngenbander wanden, und den Bauch frsilisss. Ein bunt- gswirkter Schsl wand sich strsff unter dem Bauch fiber dis Schamgsgend hin und pressts ihr dss Gswsnd fest und knapp an den Leib an. Der Klsidsaum rsichte ihr bis an die Knbchel ihrer nacktsn Ffisss, um deren Gelenks Metallbander mit klsinen Silbsrschellen geschlungen waren. Sis hatte einen dfinnsn Schlsisr fibergeworfsn, dsssen sis sich beim Tsnzsn bedients. Ihr Haupt absr zierts sins nisdrigs, ksgslffirmigs, loss mit kleinsn Goldplattchen bssstzts Kspps aus lichtblausr Seids. Unter ihr hsrvor hing ihr, von Goldfadsn durchzogsn, lang dss dichte rfitlichblonde Hasr bis zu den Hfiftsn hersb. In den Ohrsn trug sis dreisckigs Gshangs aus feinsm Gold— filigrsn. (S. 6) 65 Sis ist von einer Sinnlichkeit behsrrscht, dis jsden Aspskt ihres Lebens.regiert. Dis weiblichs Grazie und Anmut sind bei ihrem Tsnzsn davon fiberschsttet. Sis steht reglos an der Mauer, dis fiusik fangt an, und "ihren Leib fiberlisf jstzt sin lsises, rhythmisch rieselndss Bebsn, wfihrsnd ihre Arms in langsamen, weichen Biegungen, in lind gleitsndsn Wellsnlinien" (S. 8) sich bewegen. Der Tsnz wird wilder, wahrsnd "ihre braunen Brfiste sich blfihsn und ihr Brustkorb und Unter— leib mit kurzen, stossenden, sich windendsn Bewegungen" arbeiten. Sis ist die sinzigs Frau im Zimmer, und wahrend dss Tanzsns starrsn die Gaste "mit funkslnden Augsn, die Oberkfirpsr weit vorgersckt." (S. 9) Ala dsr Tanz vorfiber ist, sprang man auf, "silts auf Mirjam zu, Gold- stficks in den Hfinden, die man mit Speichel bsfeuchtete und ihr, zum Zsichen dss hfichsten Beifslls, auf die Stirn und Brfists drfickte." (S. 9) Nash dem Tanze zieht sis sich in ihr Zimmer zurfick, we sis in dis Pracht fippigsr Polster und Teppichs sinkt, und wo, mit dsr Hilfe ihrer Diensrin, sis "den mattsn Leib in dss warms, von eta kenden Edslkrautern duftsnde Nasser" (S. 20) taucht. Ein Bildnis gswollter Sinnlichkeit! Das Leben in dsr Schenks, und vor allem das Leben dsr Mirjam, scheint im Vergleich mit dsr Katur und den Bauern, dis im ersten Kapitsl beschrisbsn werden, naturwidrig und eds. Jesus und seine Bsglsitsr wandsrn hier durch dis Fruchtsbene, von der es heisst: "Lisblich wie dis Tfins dsr Kinnor sind seine Frfichts." Es ist die Zeit dsr Ernts und die ganze Landschsft ist von fleissigem Schnitter- volk, Hagen und Lssttisrsn belsbt. Dis Farben sxotischer Blumsn und reifender Frfichts vermischsn sich in einer Harmonie, die dem Gsnzsn 64 sins Herrlichksit sondergleichen vsrleiht. In der Schenks hat man such sins Pracht, absr hier ist allss von Msnschen ffir ihr sigsnes Vergnfigsn gsschsffsn. Statt dss Flusses, hat man hier sins Wasssrkunst, ststt fsrbenrsichsr Blumsn, sind die wands mit buntsn Tsppichen bshfingt. Eur wenig Sonnenlicht kommt in dss Zimmsr durch die wenigsn schmslsn Fenster herein. Draussen sind die Menschsn in Harmonie mit dsr Lsndschaft, mit der Katur, Schfipfer zu denksn, nur an das Hachdsm sis Jesus gssshsn en; sis gswinnt einen tiefsrsn und in ihre Motivisrung als js Sis gedachts jencr, in und hier drinnsn wird,statt an den Geschfipf gedscht. , fanst Hirjam an in sich zu schsu- D d‘ ha ‘J ninblick in ihren bishsrigsn Zustand zuvor: deren Unarmungsn die suchsndsn Triebs ihres Blutes sis gstriebsn, dis js fiber ihren Leib Herrschaft gewannsn, und fiber deren Seelsn dieser Leib Herrschaft gswon— nen, dis sis mit wildem fibermut zu ihren Sklsvsn gsmacht, deren Mannhsit sis in dis Erniedrigung sinnlicher Lfiste niedergebsugt; sis, die reich, vornehm, sdsl gsnannt wurdsn, die mit Rang, Stand, Gsburt und Reichtum vor den Henschen glfinzten, und fiber die sis in dsr Vsrschwisgsnhsit dieser fippigen Kammer Gswalt gewonnen, dsss sis vor ihr gewsssn waren wie winsslnde Hunde, den Uinken ihrer schlimmstsn Launsn untertan; die Reichtum, Gesundheit, Ehrs um die Rsize ihres Leibes vsrgeudst. s. 19) Diese naturwidrige Gestal‘ gibt den Eindruck, dass die Sexualitfit ffir sis ksin spontsnsr Trieb ist. Jede Bswegung und such ihre Bsklsi- dung ist mit ausserstsr Vorbsdachtheit und Kfihnheit geplant. Sis denkt nur an sich selbst (sis vergisst sich selbst zum ersten Ihl, als sis Jesus sisht). Wenn sis an ihre Schfinheit denkt, so schwillt ihr das Herz. Ihr ganzcs Trachten hat nur dss Verffihren dss Hannes mnn Ziel. Wis ganz andere ist eine Hure wie die Witwe Katerina, die die 65 Rolls dsr Maria Magdalena in dem Passionsspisl einer kleinen Gemsinds in darGrischischsiPsssion von Kazsntzakis spielen soll! Bei ihr fallt 1". dss "Einstudisrts" ganz aus. ole ist Witwe und will im Grunds nismand vsrffihrsn, absr gegen ihren fiillen lockt ihr gssundss Fleisch den Mann. His Hsysss Karia Magdalena, so halt Katerina es getrsu mit den Manne, dsr zu ihr kommt, und sis ergibt sich aus Liebe, denn sis ist ein lisbenswfirdiges Weib. Ala sis hfirt, dass die Kinder sines ver- stossenen Priestsrs keine Milch zu tringen bskommsn, bringt sis dieser Familis ihre sinzigs Zisge als Gsschcnk. Im ngsnsatz zu Schlsfs Mirjam hat man bei der Katerina das Gsffihl, dsss sic trotz allsm im Eirklang mit der gettlichcn Katur ist. Dis Motivisrung Mirjams zur Sfinde ist dieselbe, die Eva im Gsrtsn Eden zum Fall brachts. Eva nahm dis Frucht nicht nur, weil sis lieb- lich anzusshsn war oder weil sis dis Frucht geniesssn wollts. Sis nahm.sis, weil die Schlangs sagts: "Wer Von dieser Frucht isst, wird werden wie Gett selbst." Es war dsr Wunsch zu werden wie Gett; ihm, dem Allerhfichsten, wollts sis Konkurrenz machen. Sis entschloss sich also ihre hSChste Loyalitfit auf ihren eigensn Willen und ihr sigenes Gutschten zu fibertragen und wurds somit selbst der Gegsnstand ihrer Anbetung, ihr sigensr Gett. Will sins Frau wie Gott werden, so scheint as im Lichts dsr Schfipfung noch entsetzlicher, als wsnn sin Mann da- nach strebt, denn dis Frau, dis erst nach dem Mann und von der Ripps dss Hannss geschaffsn wurde, steht nur als zweits in dsr absteigenden Reihenfolgs dsr Schfipfung. Es ist dies Streben zur Mscht, dass aus der Mirjam sins Sfinderin macht. Dis Freude an ihrem Leben als Hure liegt ffir sis nicht in dem 66 physischen Ausdruck dsr Liebe nech in dem finanziellen Verdisnst, sondern darin, dsss sis sich zur seelischen Herrschsrin fiber dis Reichsn und Hohsn dieser Welt macht. Diese verffihrsrische Rolls ist ihrem schwachersn Geschlecht besonders eigsn. Als die physisch Schwachere ist sis auf sins Anspislung sngewissen, wenn sis von dem Manne bekommen will, was er von ihr durch seine greasere Kraft behem— msn kann. Der Wills zur Verffihrung ist der Gegensatz zur Hingsbe, und als Vsrffihrsrin ist ihrsRolls sins schrecklichers und gefahrlichsre als dis sines gefallsnsn Hannes, dsr durch Gswalt besiegen kann. Zur symbolischsn Darstellung ihres naturwidrigsn Zustandes greift dsr Hystiker Schlaf zum Schlsier, sin Symbol, dss ssinsn Ur- sprung bei den Urvfilkern langst vergangsner Zeitsn hat. und bei den Vfilkern dss Morgenlandes sowis bsi densn dss Absndlsndes mit den Hysterien dss Wsibes zusammenhing. Die Symbolik dss Schlsisrs tsucht am klarstsn in dsr Gestalt dsr AscheraB, einer sltorisntalischen Gattin, auf. Als gsbarsndes Prinzip stsht diess Muttergotthsit dsr Sonne, dem.mfinnlichsn srzsugsndsn Prinzip, gsgsnfiber. Diese Gfittin er- scheint in zwei Formen, l) als vsrschlsierte Jungfrau, die dem Manns Frsude und Segen bringsn wird und 2) als cine sntschleierte, unfrucht- bars Gestalt, die such dem Gattsn nichts als den Tod bringt. Der Schlsisr ist dann spstsr von verschiedensn Religionen als anbol dsr Keihs anerkannt worden, vor allem von den Mohammedanern. Auch den Frauen dsr christlichsn Urgemeinde wurds gsrstsn, den Sehlsisr zu tragen, und Paulus scheint sogsr anzudeuten, dsss dies sin aus dcr 5"Aschera," Lsxikon dsr Frau, I (Bern, 1955), S. 229 — 2V'. 6‘! Natur selbst stsmmsndss Symbol ist. (I. Kor. 11) Die Tatsachs, dsss dss Entschlsisrn oder dis Entkleidung dss Weibes bis auf unsern Tag andsrs sngesehsn wird als dis dss Msnnes, kfinnts such daffir sprechen, dss dies sin universslss Ursymbol ist. Der Schleisr vsrbirgt und vsrhfillt und signet sich daher als Symbol dsr Mysterisn dss Lebens, wo or such noch in unsersr Zeit Anwsndung findst. Man braucht nur an den bis heute sich erhsltenen Brautschlsier zu dsnken. Dss Trsgsn dss Schleisrs bsi dsr Frau bedsutst einsrssits einen Schutz ffir ihre Mysterisn, andrerssits sin frsiwilliges Zurficktrsten, denn dies wird durch dss Vsrhfillen dss eigenen Leibes angszsigt. Es ist die Frau,dis den Schlsier tragt, und dss Zurficktretsn, dss dadurch angezeigt wird, ist such gerads die notwendigs Vorbe- dingung ffir die Erffillung ihrer Rolls als Hslfende, als Unter- stfitzsnds. Was geschisht, symbolisch gssprochen, wenn die Frau den Schleisr sbwirft? In Rfickblick suf dis sntschlsierts Aschsra bedsutst dies, dass die Frau ihren sigsnen Leib mit ihrem swigsn Bildnis vertsuscht, und, wie die entschleisrts Aschers, dem.Msnns nur den Tod bringt. Und so ist es gerads bei der Mirjsm. Bsim Tsnze srrsicht sis den Hfihs- punkt dsr Darstellung ihres eigsnen sinnlichsn Bildnisses, und die- ssm Tsnzs geht zutreffend.dss Abwerfsn dss Schleisrs vorsn. Sinnsd bildlich gssprochsn vsrneint sis ihre Rolls als nsturmassigs Frau damit, und, als ob dss blosss Abwerfsn dss Schleisrs--ss war nur noch sin Schultsrschlsisr--nicht genfigt, spislt sis mit ihm, zieht ihn durch dis Luft und halt ihn fiber ihrem Hsupt. Es ist sls ob sis mit ihrem swigsn Bildnis spielt. Dss Bildnis, dss sis nun dsrstsllt, ist 68 nur noch ihr eigener unvsrhfilltsr Leib, denn allss fiystischs, allss Vsrborgene, ist mit dem Schleisr sbgeworfen werden. Ihr Kultus ist der sigens Leib gewordsn. Sis disnt nicht in einer unterstfitzendsn Rol— ls, denn sis ist zum blossen Gegenstand ffir die Befrisdigung dsr Lfiste dsr Manner geworden. Empfirerisch erhebt sis sich dann fiber die, die ihre Sklavsn gsworden sind, sich rachsnd an densn, die an ihr zugrunde gshen. Nichts als Verachtung hat sis ffir diess Manner, dis ffir sis nur "blfide, tote Larvsn" waren und "deren Berfihrung beschmutzts und frsss wie Krsnkhsit, von nichts beseelt als Von der Gier nach ihrem Lsibs." (S. 19) Sis vsrachtct diess Hanner weil sis sich ihr, dem Weibe, unterworfsn haben, und in ihrer Mannlichkeit ist nichts, was sis lockt. Den Kass, den sis ffir ihre Buhler hat, fibertragt sis auf alle Kitmenschsn, denn mit Eigensucht im sigenen Herzsn, sisht sis nur Eigensucht in den Herzen anderer. Sis ist somit Von der Gemsinschaft ihrer Mitmenschen abgeschisdcn,findst ihre Freude absr darin, dsss sis andere zu ihren klaven macht, wahrend sis selbst dadurch an Bedeutung zunimmt. 0. Dis Veranderung .0 Dsnn tritt dsr Wechsel sin. Der Keg zur Erlbsung ist ifir sis sin schwerer und lsngsr und nicht immer sin gerader. Der Mann Jesus ist ihr nur im Lichts ihrer eigensn bisherigen Erfahrung verstandlich. Was sis bei der ersten Begsgnung mit Jesus bseindruckt, ist ssin Gesicht, das "von so ihrer selbst unbewusster, ruhiger und klugkfihner Hannheit besselt" (S. 11) ist. Sis starrt ihm nach als er vorbsigeht und kann ihn nicht verg-ssen. 69 A13 sis ihn zum zwsitsn Mal sisht, ffihlt sis sich noch starksr zu ihm.hingszogsn, und wieder hat er einen sigenartigsn Einfluss auf sis. Sis, die sich in dsr Schenke nackt ohne Scham vor dsn Hannsrn hin- stsllt, ffihlt sich vor Jesus nackt, Obwohl sis beklsidet und vsrschlsi- ert ist. Als sis zurfick in ihr Zimmer kommt, weiss sis, dsss dies zum ersten Mal sin Mann ist, dem sis sich hingebsn machts: "Mit zucksndsm Schausrn durchbrannts ss ihr Blut, zum ersten Mal erwsckte es ihr das Bewusstsein und die Noth ihrer Schmach . . . Ihm angshsren, dem dis vslker Judaas und GalilAas zujubeltsn, desssn Ruf bis nach Syrian und Phsnizien drang, den neuen Prophetsn und Msschicha! Ssin Bestss, Reichstes, Wundsrtatigstes bssitzen!" (S. 19) Dies ist dsr srsts Mann, dsr ihr den Eindruck gibt, dass ihm ihr Leib Nsbensachs ist, und gerads diessm machts sis sich hingebsn. Der Wills sich ihm.zu untsrwsrfsn wird von dsr Umhfillung mit dem Schleisr beglsitet, denn als sis Jesus am nachsten Morgen aufsucht und ihn zum dritten Mal sisht, lsgt sis sich ihn wieder um. Nun gibt sis zum ersten Mal auf seine Worts acht: "Ich bin das Licht der Welt . . . Ich bin dis Auf— srstshung und das Leben." Obwohl ihr Verstand es nicht fasssn kann, glaubt sis dsnnoch, dsss dies dsr Messias, dsr Vsrhsisssns ist, denn was er sagt, meint sis, ist die Wahrhsit! Nun fUhlt sis sich zum ersten Mal vsrworfen. Sis srksnnt, dass sis sinsSfinderin und seiner nicht wsrt ist. Wis in Camus' Lg ggggg diess Erkenntnis dss sfindhaftsn Zustandes fur Clamsncs den Fall bedsutst, ebsnso bedsutst diess Erkenntnis fur Mirjam den Fall. Das Leben von Clamsnce vor dem Fall unterscheidst sich zwar von dem dsr Mirjam, insofsrn er andere Lsute vsrmeintlich 70 aus gutsr Motivisrung half, absr ihre Schuld ist dieselbe: beide haben dis Mitmsnschsn nur fur sslbstsfichtigs Zwecks gsbraucht, und durch das Einsshen ihrer Schlschtigksit srksnnsn beide, dass sis Sfindsr sind, Obwohl ihr frfiheres stsn nisht ohne Freuds war. Dis- ser Fall bedsutst ksine plfitzlichs Verandsrung in der Gestalt sines Sfindsrs; er bedsutst nur einen fibergang von einer frfihsrsn Zeit, wo sis sin ganz falschss Sslbstbildnis hatten, zu einem Verstandnis und Gestandnis sines wahrsn Vsrhaltnissss. Bsids msintsn frfihsr, es gabs nur sinsn henschsn in dsr Welt unter vislen ngsnstandsn, dis ffir den Gsbrauch dss sigsnsn Willsns da waren. Nun bricht die Zeit an, wo sis sich im Vsrhaltnis zu ihren Mitmenschsn andsrs sshsn. Disses Bswusst- ssin dsr sigsnsn Schuld ist dsr srsts Schritt zur Erlangung dsr Erle- sung. Camus lasst Clamsncs viellsicht nur bsi diessm Bswusstssin und dieser Sslbstvsrdammung stehen; Schlaf ffihrt Mirjam absr dsr Erlssung sntgsgsn. Obwohl Mirjam diesen ng zur Erlssung aus Liebe betrstsn hat, ist es fur sis sin schmsrzhaftsr ng. Echte Liebe, dis auf valligs Hingabs bsruht, wird absr aush immer wieder wsnigstens mit zsitwsili- gem Leiden vsrbundsn ssin. Dies ist sin Gesetz dsr Gotthsit und erwsist sich, um wieder sin biolOgischss Beispiel heranzuzishen, auch darin, dass die lisbsvolls Hingabs dss Weibss in dem hsshstsn Aus- druck dsr physischsn Liebe fur sis in darauf folgsndsr Schwangsrschaft und Nisdsrkunft mit Schmsrzsn vsrbundsn ist. Diese Schmsrzsn, die dursh Hingabs herbsigsbracht werdsn, sind dann oft vsn einem hasslichen Kusssrsn bsglsitst. Man darf nur an die schwangsrs Frau dsnksn, deren sonst schfinss Gssicht sich wahrsnd dieser Zeit oft in sin hasslichss 71 vsrwandelt. Die Kreuzigung Jesu sagt dassslbs: Aus Liebe ffir dis isnschhsit kam er in diess Welt und musste dafur mit der Dornsnxrens und dem Krsuzsstod bfisssn. Und als Jesaia von den Leiden dss Esnschen- sohnss spricht, sagt er: "Er hatte keins Gestalt noch Schbne; wir sahen ihn, absr da war ksins Gestalt, dis uns gsfallen hatte." (Jss. 55, 2) Den ersten 3chmsrz, den Mirjam auf diessm neuen Weg dsr Liebe findst, ist sin Gsfuhl dss Verworfenssins. Sis vsrsinkt in sich selbst und verbringt ihre Tags und Nachts in Transn und Kampfsn. Zwar sagt Jesus zu ihr, als sis ihm in diessm Zustand dis FUsss salbt, dass ihr visls Sfindsn vergsbsn wordsn sind, absr dsnnoch muss sie wieder wie ungesattigt davongshen, denn Jesus sagt, ihre Stunde ist noch nicht gskommsn. Als sis ihn nun allein auf dem Bergs findst, bsschrsibt Schlaf ihr vsrkfimmsrtss Aussshen wie folgt: "Blsich war ihr Gesicht, singssunken ihre Hansen, Schattsn dunkeltsn um ihre Augen und schwer ksuehts ihre Brust unter sehlichtsm Gswand." (S. 29) Wis andsrs sisht I sis nun aus, als damals in der Sehsnksl Und, wie im Falls dss heili- gen Augustine, wird dis ssslische Krankhsit Von einer physischen bsglsitet. Als sis Jesus diesmal auf dem Berge trifft, kommt sis dem Glficks sshr nah. Jesus, dsr gerads fiber seine Bsrufung und die Menschheit nachgsdacht hat, sagt zu ihr, als sis sich weinend zu ssinsn Ffisssn hinwirft: "Erhebs dish, Mirjaml Ich weiss, dass du mich lisbst." (s. 29) Endlich vsrwirklicht sich fiir z-arjam das, wonach allein ihr Hsrz sich sshnts. "Bins mit ihm in diessm Augsnblick verstand sis sich selbst in ihm. Staunsnd ffihlte er ssin Hsrz von ihr ergriffsn und von einem grossen, unsaglieh neuen Geffihl und einem fernsn 72 Erkennsn." (s. 29) Christus darf sich von diessm Gefuhl absr nicht hinrsisssn lasssn, denn er ist sich seiner Ssndung bewusst, und glsich vsrwandslt sich das Gsffihl dss Vsrsintssins bsi ihm in sin blosses Gsffihl dss Mitlsids fur sis. Wis soll sis vsrstehsn, denn Christus sagt, sr ssi gskommsn, beide Mann und Frau zu erlbssn, dass die Liebe das Himmslrsich ssi, und dsnnoch ffihlt sis sich von ihm vsrworfsn. Er sagt, er habe nichts mit dem Wsibs zu tun, und wieder schickt er sis von sich. Es ist als ob sis allss getan hat, was sis tun konnte, und dsnnoch hat sis dis Befrisdigung, dis sis suchts, nicht gsfundsn. Sis fallt in tiefste Vsrzwsiflung, und, wie Clamsncs in EE.9§BE2.in diessm Zustand zur Aussehwsifung grsift, so grsift sis wieder zu ihrem frfihsrsn Leben in dsr Schsnks und lsbt jstzt argsr als zuvor, bis dis Tsufsl sines Tagss in sis fahrsn. Nun scheint sis mit sichsrsn Schrittsn einem heillossn Ends entgsgenzugshen. Ihrs Kraft ist zu Ends, und die sinzigs fur sis noch bestshsnds Hoffnung liegt nunmshr darin, dass die Hilfs noch von Ausssn kommsn kann. Nachdsm Jesus Mirjam zum letzten Mal sah, srfahrt er sins Sinnssandsrung. Anfanglich stellt er den gsthnlichsn Weltsrlossr- Typus dar: er nimmt seine Rolls als Wsltsrlossr sshr ernst, kfimmert sich dabei absr im Grunds nicht um die einzelne Person. Nsnn er sin Wundsr tut, oder wsnn sr,jsmand heilt, tut sr ss nur, weil dies den Massen zeigen und sis fibsrzsugsn soll, dass er dsr Msssias ist: "Das war dsr wundsrbars Zaubsr ssinsr gottlishsn Krafts . . . Das war das lgrosss Wundsr, das fiber msnschlichsr Vsrnunft hinausging, das Zsugnis seiner gottlichsn Bestimmung." (S. 17) Eine Zeitlang gsdachts sr SOgar dis Hoffnung seiner Brfidsr zu srffillsn, und den Thron als politischer 75 Messias zu bssteigsn. Dosh nein, dies war die Stimms dss Vsrsuchsrs, dsr ihm alle LEndsr dsr Erde gebsn wollts! Er war gekommen sins andere Erlosung zu bringsn und ssin ErlUsungswsrk musste, statt sich nur auf einer Nation zu beschranken, dsr ganzen Menschhsit zugunglich werden. fiberall musste er sich als Msssias bekannt machen, damit sine grosse Schar bsi ssinsm Sterbsn in die Pfortsn dss Himmsls sintretsn wfirds. Und schlissslich musste dies weitgrsifsnds Erlosungswerk such person- lich werden. Diese Xndsrung tritt bsi ihm nun als Folgs sines Wschssl- gssangss zwsisr Lisbenden sin, dsr zu ihm auf den Berg hinaufschwsbt, denn dieser Gssang lshrt ihm das Gehsimnis dsr Schopfung Gottes: dies Gehsimnis liegt in dsr schopfsrischsn Zwsiheit. Jesus hat den Msnschen von Gett, vom Himmelreich und von dsr Liebe gsprsdigt. Was bedsutst dies allss fur Mirjam?3is hat vsrsucht zu vsrstehsn, ist absr daran geschsitsrt. Es ist als ob Jesus Gott interpretisrsn wollts ohne ihn riohtig zu verstshsn. Er hat versucht, den Kenschsn zu erklarsn, dass Gett die Einhsit ist. Dies Abstraktum als solches konnen absr ksins blosssn sorter srklarsn. Dis Bedeutung dieser Einhsit muss Jesus selbst lsrnsn, und er findst sis in der schopfsrischen Zwsihsit. Dis Schopfung Gottss vsrhsrrlicht den Schopfsr, wenn sis nach dieser Einhsit strebt. Eine Einhsit setzt sins Zwsihsit oder Mehrhsit voraus. Erst wsnn ngsnsatzs oder Vsrschisdenhsiten zusammenkommsn, kann sine Einheit sntstshsn. Disses Streben nach dsr Einhsit sisht Jesus nun klar in dem Zusammsnkommen von Mann und Frau. Die Bibel sagt: "Darum wird sin Mann Vatsr und Mutter vsrlasssn und an ssinsm.Weibe hangen, und die bsidsn werdsn ssin sin Fleisch." (S. 22) So wollts es Gett. Der glUckliche gang dsr Natur liegt somit in diessm 74 Streben nach Einheit und wiedsrholt sich von Generation zu Generation. Dies Bild dss lisbsnden Mannss und Usibss offsnbart den ganzen Kern dss Gotthsitsgesetzss sowis dsr judaischsn Gsbote. Gett ist das Ideal allss wsrtvollen msnschlichsn Strebsns. In ihm ist der Strsit zu Ends, denn die Liebe hat in ihm die Zwsihsit Ubsrwundsn. Gott ist Einhsit. Gott ist Liebe. Einhsit und Liebe sind dassslbs. Nun verstsht Jesus Gott und die fisnschheit und erffillt erst nun seine volls Rolls als Menschensohn, als dsr, dsr Mensch und Gett in einem ist und Mensch und Gott zusammsnbringsn kann. Nun kann er den Menschsn den Kern dss Gesetzss mitteilen: "Lisbet Euch untersinandsr." In dem Moment, we er im richtigsn Sinne dsr Henschsnsohn wird, taucht das Bildnis einer Frau aus den Tiefsn seiner Sssls auf. Es ist, als ob Jesus hier gsstsht, dass er als Mensch sins Ltcks spfirt, die nicht nur mit dem hohsn Ideal dsr ganzen Menschhsit gsffillt werdsn kann, sondern nur durch einen Einzslnsn und nur durch sins Frau. Will auch er diess Einheit in sich selbst srrsichen, so muss auch er fUr sis einen Platz haben; plotzlich wsiss er von dieser Hirjam, dis ihm aus Liebe dis Ffisss gssalbt und die ihm in dieser Absndstunds gsnaht war, "dass sis von nun an in ssinsm Herzen swig beschlosssn war." Hinfort ist Liebe und Einhsit nicht mshr sin Abstraktum. Jesus nimmt somit ssinsn ersten Schritt zur Erlosung dsr ganzen Mensohhsit, indem er in personlichsr Weiss diess Frau in das Innere seines msnschlichen Hssens aufnimmt. Als dsr veranderts Jesus nun zur Mirjam gerufen wird, kann dis bis hierhin unmbglichs Erlosung ffir sis srfolgsn. Versohnung muss dsr Erlfisung vorausgshsn; Versohnung absr ist das Herstsllen sines Zustandss, dsr es dem Erlosung-Suchsndsn ermoglicht, einen neuen Anfang zu maohsn. Um einen solchen Zustand herbsizubringsn, ist sin gsgsnssitigss Entgegenkommsn notwsndig. Der Suchsnds kommt dem, von dem er Vsrzeihung sucht, schon durch ssin Suchen entgegen und dsr, dsr Vsrzeihung gsbsn kann, muss bsreit ssin, den Suchsnden aufzunshmen. Mirjam hat ihren Schritt getan. Sis will sich Jesus und ssinsm.Wegs srgsbsn, kann sich die Versohnung absr nicht allein aufzwingsn, auch nicht irgsndwslchs Versuche unternehmsn, dem "Erloser" zu gefallen. Der andsrs wird erst dann ErlUssr, wenn dieser dsn Suchsndsn aufnimmt, und dies tut nun Jesus. Darauf folgt dis "Hochzsit" Hirjams und Jesu: Da . . . trat er noch naher zu Mirjam hsran und setzte sich zu ihr auf das Lager, und als sr so sins Zeit neben ihr gssssssn, sagts er, gsgsn sis gswandt: "fiandermfid' bin ich, mich ver— langt nach Spsiss und Trank. Bewirte mich, fiirjam, und brings zu Brot Fisch, Honig und Wein." Und Mirjam srhob sich und bsgab sich hinaus und brachts was sr vsrlangte und bswirtete Jesus. Er reichts ihr absr von dem Brot, von dem Fisch und den Honig und sagte, "Nimm, Kirjam, von mir disses, ’ss und trink." Er s Oenoss absr mit ihr von dieser Spsise zu einem Zsichsn fur sich selbst und ffir sis in ihm, dass sr Mirjam in ssin Herz gssshlosssn, und dsss er ihr in Zukunft von sich mshr sagsn wollts, als dis anderen wusstsn, die um ihn waren, und selbst als . . . seine vertrautsstsn JUngsr. (S. 50) Wir sshsn hier, dass die Erlosung dsr Mirjam nicht von der I . - - 1 Anderung ihres Lebens abhing. Jesus hatte zwar gesagt, dsss Sis inren stsnswandsl andern sollte, absr diess Kndsrung fing schon glsich nach ihrer ersten Beg gnung mit ihm an, bevor er stwas darfibsr sagte, und als dis Vsrsbhnung nun vollsnds stattfindet, wird nichts fiber sins Xndsrung dsr Lebenswsiss gesagt. Allss was sis zu ihrer Erlbsung 76 bsitragen konnte, war Jesus zu liebsn und sich bsrsit zu stellen, ihm zu folgsn und zu disnsn; das fibrige musste von Jesus kommen. Schlaf scheint in dieser Hovells anzudsutsn, dass die Hatur oder dis Schopfung nur dann ihr Ziel srffillt und glficklich ist, wenn sis stets nach dsr zur Einhsit fuhrendsn Erlosung strebt. In andern Morten, dsr glficklichs oder unglfickliche Verlauf dsr Schopfung wird unmittslbar davon bestimmt, ob die Geschopfs dieser Einhsit such in der Tat nachstreben. Nicht alle Gsschepfs werden diess gottgswollts Einheit als Ziel haben; daher ist das Kohl dsr Schbpfung oder dsr Menschhsit von dsr geistlichsn Elite abhangig, von densn Jesus dsr srste war. Diese mussen nicht nur msnschlicheiGesstzsisondern such den Gssstzsn dsr Schbpfung oder dsr Gottheit folgsn. Dies ist auch dis Ursache warum Schlaf die Zukunft dsr Literatur nur in deren Beitrag auf moralischsn sthischem Gsbists sah. ***** Zwsi Elements dsr Maria Magdalenen-Gsschiehts, dis Schlaf in dieser Hovslls besonders klar hsrvortretsn lasst, sind die dss sUnd- haftsn Zustandss dsr Mirjam und ihre Sundenvsrgebung und Versohnung. Diese Elements sind absr unmittslbar von dsr Tatsachs bssinflusst, dass sis Frau ist. Ihrs Wichtig- oder Unwichtigkeit als Frau wird nicht in Frags gsstsllt, absr Schlaf sagt, dass es zur heiligsn Ord- nung dsr Natur gehort, dsss sis sich dem Manne unterstells. Der fiann—- und Jesus ist hier wohl als Prototyp dss Mannss zu verstehsn--muss seine srlossnds Rolls auf sich nshmen, sonst herrscht sin natur- widrigss Vsrhfiltnis, wie es in dsr Schsnks Sealthisls dargestellt no I wurde. rirjam, oder dis Frau als solche, scheint hier nicht als 77 Erlbssrin aufzutrstsn, ist absr sins Ssite dsr schfipfsrischsn Zwsi- heit, dis zur Errsichung dsr srlossnden Einheit vorhandsn ssin muss. V. THOMAS hAGDALENA A. Das Hsrk Ludwig Thoma (1867 — 1921) gshort unter dis Rsihs von provinzialen Dichtern, zu dsr auch Johann Peter Hebsl, Jersmias Gotthelf und Fritz Rsutsr gshorsn. Diese Dichtsr, dis aus dsr Provinz kamsn, srhielten absr im ganzen dsutschsn Sprashraum Gsltung. Bei allen spielt dsr Dialskt sins wichtigs Rolls, was absr nicht bedsutst, dass sis ffir die Bauern schrieben, denn, wie Thoma sinmal gesagt haben soll, die Bausrn lssen ksinsn Dialskt, sondern nur hoehdeutsch.1 Am bsstsn bskannt ist Thoma wsgen seiner humorvollsn Schildsrungsn dss Bausrnlsbens, welchs oft ksin andsrs Ziel haben, als zu amusiersn. Wsnigsr bskannt und auch wsniger bslisbt ist er als Kritiksr dsr Politik und dsr Gesellschaft. Er schsute sich nicht seiner fiberzsugung Ausdruck zu gswahrsn, wsnn er auch ab und zu daffir vsrhaftst wurds. Ksbsn seiner scharfsn Kritik dss preussischen Militarismus, wozu sr dis BUhns sowis den Roman brauchts, richtsts er sich auch gegsn sozials Misstands allgsmsinsr Art, wie in dem im bayrischen Dialskt geschrisbsnsn Drama Masdalsna. Das ganze Drama spislt in einem Zimmsr dss Bausrnhausss von Thomas Mayr im klsinsn Dorfe Berghofen ab. Es ist Erntszeit und Thomas ist gerads vom Fslds hersingskommsn zu seiner kranken Frau Mariann. Mariann glaubt, dass sis bald sterben wird. Mann und Frau sprachen bald fiber dis Leiden und Freudsn ihres gemsinsamsn Lebens und kommsn auch glsich auf das Thema ihres sinziges Kindes, Magdalena odsr 1Albert Soergel und Curt Hohoff, Dichtung und Dichtsr dsr Zeit, I (Dusseldorf, 1965) S. 640. 79 Lsni. Diese ist in dis Stadt gsgangsn und, wie dis Eltsrn in der Zsitung gslsssn haben, soll sis dort einen schlschtsn Ruf bskommsn haben. Es stellt sich nun heraus, dass Thomas vom Felds gskommsn ist, um seiner Frau zu srzahlen, dass Lsni noch am sslbsn Tag von den Gsndarmsn nach Hausa gsbracht werden soll. Der Burgsrmeistsr hat ihm gerads diess Hachricht gebracht. Als Lsni in ihrer Stadtklsidung ankommt, wird sis vom ganzen Dorfs bis zur Tfir dss Eltsrnhausss verfolgt,und alle lachen und schrsisn spottisch hinter ihr her. Die Rutter spricht langsrs Zeit mit ihr und schlissslich vsrspricht Lsni, dass sis nis wieder in dis Stadt gehen wird. Darauf stirbt dis Mutter. Nun fangt ffir Lsni sin neues Leben an. Sis versucht den Bausrn- haushalt zu ffihren; da sis absr lange von zu Hausa fort gswsssn ist und da sis hier vislss nis srlsrnt hat, ist sis ungsschickt, was den Vatsr oft zur Ungeduld vsranlasst. Die Angestslltsn vsrlasssn den Hof einer nach dem anderen, denn sis wollen nicht ihren Ruf dadurch ver- dsrbsn, dass sis in einer Familis mit sinsm.Hadchsn wie Lsni disnsn. Als dsr trsus Lsnz, dsr lstzte Angsstsllte, auch gshen will, versucht Lsni ihn zu fibsrreden, dass er bleiben soll. In Wirklichksit denkt sis, dass dsr von ihrem Vatsr so gslobts Lsnz sis sines Tages viel- lsicht um ihre Hand bitten wird, denn Lsni vsrsucht schwsr einen neuen Anfang zu machsn und hofft, dass sis sines Tagss wieder als wfirdigsr Mensch in dis Gesellschaft aufgsnommsn werdsn wird. In bittsrm Tone sagt Lsnz ihr absr, dass er nie stwas mit einem Hadchsn wis sis zu tun haben Will. Die Haltung dsr Eachbarn dsr Lsni gsgsnfibsr ist nicht sins dss assivsn Duldsns oder so ar dss Meidsns nein man ist ihr P 8 i y 80 gsgsnfiber dirskt fsindlich. Es wird ihr sogar ubslgshaltsn, dass sis, sine vsrmsintliche Burs, auf dem Begrabnis ihrer Mutter in das Heilig- tum dsr Kirche trat. Der Bfirgsrmsistsr versusht jetzt Mayrs Hof zu kaufsn, sin offentlicher Versuch,Thomas und Lsni aus dem Dorfe zu gen. Bei dieser Gelsgsnhsit srinnsrt Thomas den BUrgsrmsister daran,' ja dass seine Tochtsr sin unehsliches Kind hat, worauf dsr Bfirgermsister srwidsrt, dass dies nur sin Fall Von jugendlichsr Dummheit ist und es nismand stwas angsht. Darauf sntstsht sin neues Gersds im Doris, namlich, dass Lsni dss Nachts den Martin Lschnsr ins Schlafzimmer gelassen und von ihm nachhsr sins kleine Zahlung verlangt hat. Thomas sisht den BUrger- meistsr glsich hinter dieser Geschichts und glaubt sis auch dann nicht, als dis Dorfburschen mit Martin zu ihm kommen, und Martin ffir dis Wahrhsit dieser Gsschichts bfirgt. Als diess Burschsn, sowie dsr Bfirgsrmeistsr, noch bsi ihm sind, sturmsn sins Anzahl Nachbarn auf Thomas' Haus zu und bringsn Lsni mit sich, die sis beim Fortlaufsn srtappt haben. Als Thomas sis nun fiber diess Gsschichts ausforscht, bsstrsitet sis zuerst allss; schlissslich absr sagt sis unter Transn, dass allss wahr ist, und dsss sis das Geld von Martin vsrlangts, ”weil i furt hab woll'n...wei1's ma do nix hilft...wsi1 i schlscht bleib'n muass...wsil mi da Lsnz aa schlscht g'hoass'n hat...und weil i koan Pfennig g'habt habe zum Furtgsh'..."2 Thomas sagt nur, "Und hast mir dos tol", zieht ssin Mssssr heraus und srsticht sis. Dann sagt er zu den Nachbarn: "Jstzt reisst's as naus in d'Schand!" (5. 5l)5 2Ludwig Thoma, Masdalsna (Manchsn, 1912), S. 50. Alls nach— folgsndsn Seitenzitats in diessm Kapitsl sind diessm Drama sntnommsn. 5Auf Hochdsutsch: "Jetzt rsisst es uns hinaus in dis Schands!" 81 B. Ein Vsrgleich zwisohsn Hebbsls und Thomas Dramsn 1. Dis Nsbsngsstaltsn Bei sinsm.Vsrglsich von Hebbels Maria Magdalena und Thomas Magdalena tauchsn glsich sinigs ausssrs thlichksitsn auf. Bsids brauchsn den Namen dsr neutestamentlichen Gestalt ffir den Titel und vsrsstzen dis Handlung absr in dis ngsnwart. Auch scheinsn dis Unter- titsl, Ein bfirgerlichss Trausrspisl in drsi Acten bzw. Ein Volksstfick .13 drsi Aufzugsn sine Khnlichkeit anzudeutsn, dis fiber dis Grsnzsn dss rein Kusseren hinausgsht. Eins Interpretation von Thomas Drama, das 65 Jahre spatsr als das Hebbsls geschrieben wurds, kann viellsicht durch einen Vsrgleich dsr bsidsn srlsichtsrt werden. Was beim Lessn dsr Dramsn zuerst auffalt, ist die Khnlichkeit von verschisdsnsn Gestalten. Es ist fast als ob Thoma dis Hebbsl'schen Gestalten in seine sigsns Zeit und Umwslt vsrsetzt. Dis Krankhsit dsr-Mutter spislt in den ersten stnen beider Dramsn sins wichtigs Rolls. Klaras Mutter sisht das offsne Grab und durch den damit vsrbundsnsn Absrglaubsn jener Zeit wird ihr baldigsr Tod angskfindigt. Mariann hingegen rschnst selbst damit, dass sis bald stsrbsn wird, und dsr Bssuch dss Pfarrsrs gibt den Eindruck, dass er schon zur letzten Salbung gekommen ist. Der Tod beider Mutter kommt nicht ohne Erwartung und srinnert, das Ends vorwsgnshmsnd, schon daran, dass dsr Tod nis fern vom Leben ist. Auch sterbsn beide Mfitter gleich oder bald nach dem Erscheinen dsr Polizei im sigsnsn Hause. Klaras Mutter fallt tot um, als dis Gsrichtsdisnsr dis Kachricht bringsn, dass ihr Sohn Karl die goldsns Kstts gsstohlsn hat. Mariann stirbt 82 nachdsm dis Gsndarmen Lsni zurfickgebracht haben und Lsni ihr ver- spricht, dass sis nis wieder in dis Stadt gshsn wird. Ist diss durch ihre sigsnsn Kinder vsrursachts Erschsinsn dsr Obrigksit im sigensn Hauss ffir die Mfitter sin so starker Bswsis fur dis Falschhsit dsr Erziehung ihrer Kinder, dass sis ss nicht mshr ertragsn konnsn? Ja, wir kannsn ohne Zweifsl beide Frauen dissbszfiglich als schuldig sr- klarsn. Klaras Mutter hat ihren Sohn vor dem strengsn Vatsr zu schut- zsn versucht und hat auch fur ihn gslogsn, wsnn es darauf ankam. Mari- ann bsrsut es jstzt zu spat, dass sis dis zartlichkeit ihrer Tochtsr zu sshr geschfitzt hat. Karl ist somit Lfignsr gsworden und Lsni sin zartlichss Stadtsmadchsn, das nis dis schwsrs Arbsit dss Bausrnhofss srlsrnt hat. Durch den Tod dsr Mfitter wird in bsidsn Fallen auch dis sinzigs wsiblichs Person wsggsnommsn, dis ffir dis tragischs madchsn- gestalt noch irgsndwis Vsrstandnis hatte bringsn konnsn. Dis Charaktsrzfige Antone wisdsrholsn sich zum grossen Teil in Thomas Mayr. Thomas ist auch dsr Tyrann im Hausa, indem sr alle Befshls anordnst und vollsn Gshorsam srwartst. Als Lsni zurfickkommt, sagt er gleich zu ihr: "Und tua den Huat runtsr--odsr i hilf dir." (S. 21) Wis Anton, so ist Thomas sslbstgsrecht und setzt einen hohsn Wsrt auf die Ehrs: "Sisb'nadrsiss'g Jahr hamm.mir hart g'arbst und san rschtschaff’n g'wsssn, und hat uns jsdsr ds Ehr lass'n mfiass'n... und jstzt, weil mir alt san, g'hbr'n mir zu ds schleeht'n Leutl" (S. 12) To Anton mit Sslbstmord droht, sollte seine Tochtsr in Unshre fallen, da droht Thomas seine Tochtsr zu strafsn. Als die Nachricht kommt, dass Lsni zurfickkommt, sagt Thomas zu seiner Frau: "I hab scho g'moant, i pass ihr an Keg ab und hau s' z'ruck." (S. 15) h 85 Eins ngengsstalt ffir Hebbels Leonhard tritt nicht auf die Bfihne. Der junge Mann in dsr Stadt, von dem uns Lsni erzahlt, srinnsrt absr glsich an ihn, und er fullt diess Rolls. Dieser vsrlobt sich mit Lsni; wie Leonhard, so hofft auch dieser durch seine Vsrlobung einen gutsn finanziellsn Handel gsmacht zu haben. Gleich nach dsr Vsrlobung zwingt er Lsni, als ihr zukflnftigsr Gatts, ihr Sparbfichlein an ihn zu fiberschrsibsn. Als sr ihre 85 Mark und 2O Pfennigs vsrprasst hat, lauft sr davon, und sis hort nis wieder stwas von ihm. Er, wie Leon- hard, hat das schwachs wsibliche Gsschlecht nur fur sslbstsfichtigs Zwecks gebraucht. Als er ksinsn wsitsrsn Nutzsn aus Lsni zishen kann, vsrlasst er diess hilflose Gestalt und lasst sis ihrem sigsnsn Ver- derbsn sntgsgengehsn. Die Rolls, die Friedrich in Hebbsls Drama spielt, wird in Thomas Drama zwischsn zwei Gestalten vertsilt. Mariann spislt hier dis ver- sohnsnds Ssite von Frisdrichs Rolls. Sis ist die Einzigs, dis an die Moglichksit dsr Versehnung Lenis mit Gott und den Menschsn glaubt, und gerads in dieser Hinsieht ist sis, wie Friedrich, dsr Mensch dsr neuen Zeit oder such dsr Christus im Sinne von Schlafs nsusm Ein- hsitsmenschsn. Nicht sinmal dis Kirchs, hier dargsstsllt durch den Pfarrer oder Kooperator Kacksnbsrgsr, glaubt daran, wie aus folgendem Gssprach fiber Lsni hervorgsht: Hariann: Glaab'n Sis net, Hochwfirdsn, dass mir s' wieder z'rscht bringsn? Keckenbsrgsr: Ich wsiss nur, dass Unlautsrksit sine Haupt- strasss ist zum swigsn Untsrgangs. Mariann: Neil i mir denk, unssr Herrgott ko net so schnsll ferti ssi mit an Msnschsn, und es mfiasst sahm sslbsr 's Herz 84 weh toa, wann er siecht, dass so a G'schbpf nimmsr in d' Hoh dsrf. Keckenbsrg unmutigi Liebe Frau, ich kann Ihnsn da gar nichts sagsn . . . Vor allsm nichts, was Ihnsn sin Trost ware. (S. 28) Friedrichs lstzts Horte an Msistsr Anton sind: "Gsb' Er mir die Hand darauf, dass er Seine Tochtsr nicht verstosssn will--h6rt Er, nicht vsrstosssn, wenn sie--."A Dis Ahnlichkeit zwischen diesen und Marianne Wortsn in folgsndsm Gssprach ist sslbstvsrstandlich: iariann nach seiner Hand_greifend: Tua s'nst verjagsn! I woass g'wiss, sis kummt amal und suacht Hilf. Thomas: Ja...sie kummt amal. Mariann: Wsnn sis an Heg suoeht, dsr z'ruckffihrt aus dsr Abschsulichksit...und sis hat's ja net von uns, dass 's schlscht bleib'n muses... Thomas: Mariann... Mariann: Und wsnn I nacha nimma da bin, muasst du ffir mi dsnk'n, dass... (S. 15) ' Die mannlichs Ssite Friedrichs wird hier zum Teil durch Lsnz dargestsllt. Bsids sind trsus jungs manner und, wie Klara den Friedrich lisbt, so lisbt Lsni den Lsnz. Obwohl in vsrschisdsnem Grads, vsrsagsn beide, als dis Rolls dss Einhsitsmsnschsn (wieder im Schlaf'schsn Sinne) von ihnen vsrlangt wird. Fur Friedrich geschisht dies im Moment wo er srfahrt, dass Klara schwangsr ist und er ausruft: "Darfibsr kann ksin Mann wsgl Vor dem Ksrl, dem man in's Gesicht spucksn.m6gts, dis Augen niedsrschlagsn mfisssn?"5 Und fur Lsnz geschisht ss dort wo er Lsni sndgfiltig jsgliche Freundschaft hHsbbsl, Maria Magdalena, s. 52. 5Hebbsl, Maria Magdalena, S. 69. 85 absagt: "Glaabst denn du, i mag mit dir ins G'rsd ksmma?... Haar mir echo 2' dumm, dass ds Bursch'n hinter mir drei'lach'n, g'rad als wann i was hatt mit dir!" (S. 100) Im Gegsnsatz zu Klara und Friedrich ist das Vsrhaltnis zwischen Lsni und Lsnz zwar ganz sinssitig gswsssn, denn es war nur Lsni dis Lsnz wollts. Dis Ursache warum Lsnz dis Lsni ablshnt sntspricht absr genau dsrsslben, dis Friedrich im sntschsidsn— \ den Moment von Klara zurfickhalt, namlich dis Furcht vor andern. Aus dieser Fureht lasssn beide sich von einem Hadchsn, das sis braucht, abschrscksn, und beide werdsn somit schuld an deren Tod. 2. Klara und Lsni Dies bringt uns zu einem Vsrglsich dsr Hauptgsstaltsn dsr bsidsn Dramsn, den gsfallsnsn Madchsn Klara und Lsni. Der srsts auffallsnds Unterschied besteht in deren geistigsn Bsschaffsnheit. Klara ist ein intelligentss Madchsn, dis sich ihrer selbst und ihrer Umwelt bewusst ist. Sis verstsht ihren Vatsr und geht mit vollsm Bewusstssin in V ihren gsplantsn Tod. Lsni wars sin Tod dieser Art ganz unfahig gewsssn, denn sis vsrstsht dis Motivisrung anderer gar nicht, weil ihr sogar die Intelligsnz dazu fshlt. Dis Mutter sagt auch von ihr: "Bass 3' in der Schul net rscht wsitsr kumma is, dss sell is wahr." (S. 26) Disssm Mangsl an Vsrstandnis oder dieser extrsmsn Naivitat ist auch dsr Verlust ihres Geldss in dsr Stadt zuzuschreiben. Kaum hatte Klara sich ihr Geld von einem Schuft in selcher Heiss abnshmsn lasssn. Diese Begsbsnheit ist sigentlich dis Parallelstells zu Klaras Hingabe an Lsonhard,_-dsnn in bsidsn Fallen stellt dies dsn Punkt dar, dsr un- mittelbar zum tragischen Ends ffihrt; fur Thomas besteht dis Schands 86 darin, dass die Polizei seine vsrrufens Tochtsr aus dsr Stadt nach Hauss bringt (und diess musste heimkehren, weil sis ihr ganzss Geld vsrlorsn hatte) und fur Anton besteht dis Schands darin, dass seine Tochtsr schwanger ist. Somit muss man sich absr fragen, inwisfsrn Klaras Handlung bsi ihrer Hingabs an Leonhard andere war als Lsnis Handlung bsi dsr fibergabe ihres Gsldss. Es war ksin naivsr tisrischer Trish, dsr Klara in diessm Moment an die Brust Lsonhards warf. Sis fibergab sich ihm mit voller Bswusstheit dss Zwsckes: dies war ihr Vsrlobtsr, und wsnn sis sich diessm Tyrannsn in diessm Moment, wo sr es vsrlangts, nicht hingébs, so were fur sis viellsicht jeglichs Hbglichksit einer gutsn burgerlichsn Ehs im eltsrlichsn Sinne ver- lorsn. Das Problem dsr Klara kommt nun daher, dass sis Leonhard noch ganz im Sinne dsr Umwslt und Zeit, zu dsr sis noch gehort, zu vsrstshen glaubt. Leonhard gshbrt absr schon zu einer anderen Zeit. Bei Lsni fshlt jsglichss Vsrstandnis fur dis Umwslt. Obwohl sis in Bsrghofsn srwachssn ist und schon wieder langsrs Zeit dort wohnt, so verstsht sis gar nicht, dass die Lsuts sis vsrworfsn haben, und glaubt immer, sis wird wieder aufgsnommen werden. Als Bsispisl ware hisr ihr Vsrhaltnis zu Lsnz zu srwahnsn. Sis vsrstsht gar nicht, dass dieser ihr unfrsundlich gesinnt ist, bis sr es ihr dirskt ins Gesicht sagt. Als sis, gerads von Lsnzsns starke Bsmsrkung, sndlich vsrstsht, dass dieser sis nicht will, und sis in Bsrghofsn gar ksins Befrisdigung finden kann, vsrsucht sis, fast wie sin unschuldigss Tier, davon zu laufsn. Bsids werdsn von dsr Gsssllschaft als vsrfallsns Hadchsn gehalten und beide werdsn absr von den Dichtsrn mit Wohlwillsn dargsstsllt. Es 8'! handelt sich hier um ksins "grosse SUndsrinnsn" im Sinne von vsr- hartsten Vsrbrschsrinnen. Klara hat in tisfsrsn Sinne gssfindigt, weil sis sich ohns Liebe einem Manna hingab. Die gessllschaftlichsn Vsrhalt- nisss machtsn diess Hingabs absr vsrstandlich. Wis Lsni in der Stadt gelsbt hat wird gar nicht srzahlt; es wird nur gesagt, dass sis dort in die Schands gsfallsn war, absr worin diess Schands bsstand geht nicht klar hervor. Auch ist die Wahrheit fiber ihr vsrgangsnes Leben immer im Horsnsagsn vsrhfillt. Es ist sigentlich sin ahnlichsr Fall wie bsi dsr grossen Sindsrin in dsr Bibsl: ss wird vermutst, dass diess frfihsr sins Hurs war, absr dsr Bswsis daffir fshlt. Man kann sich lsicht vorstsllen, dass sin naives Hadchsn ohns ihre Eltsrn in einer Grosstadt lsicht den flsischlichsn Bsgierdsn sines Mannss an- heimfallsn k6nnte,und sins Bemsrkung an Lsnz wie: "Hi hamm scho Bssssrns mbg'n als wia dul", (S. 102) konnte ferner andeuten, dass sis ss mit der physisshsn Liebe lsicht genommsn hat, absr ksin Bewsis besteht, dass sis sich dort jsmals einem Manna hingsgsbsn hat. Auf Grund ihres Lebens in dsr Stadt kann sis nicht mit Rscht als Hurs bezeichnet werdsn und die Bswohnsr dss Dorfss bsurtsilsn sis nur auf Grund ihres Rufss. Spatsr srgibt sis sich jedoch dem Lschner und hier wird ihre Schuld dieselbe, dis Klaras wurds, denn sis hat sich einem Hanne hingsgsben, ohne ihn zu liebsn. Und wie im Falls Klaras, sind es dis Umstande, dis dies fast rechtfsrtigen: sis wollts wsg von diessm Ort, wo sis von jsdermann vsrstosssn wurds, brauchte dazu Geld, welshss sis nur auf diessm Wags vsrdisnen konnte, weil ihr, dank ihres Rufss, keins andere Neglichksit dazu offsn war. Was Klara und Lsni besonders gsmsin haben, ist ihre Hilflosigksit 88 als Frauen. Aus sich allein vermSgsn beide nichts zu tun. Klara wird ganz abhangig vom Hanna und ist nach dem Tods dsr Mutter auch dis sinzigs Frau im Drama. Leonhard hat dem Anschsin nach ihr irdisches Schicksal in dsr Hand. Er ist derjsnigs, dsr zu sntschsidsn hat, ob sis heiratst oder nicht; sagt er ja, so ist sis von einer irdisehen Qual srlbst, sagt er absr nein, so ist ihr Schicksal besiegslt. Lsni ist als Frau sbsn so hilflos als Klara. Kohl vsrsucht sis dem Vatsr, Lsnz und den Hashbarn zu gefallsn, absr so lange ihr jsmand nicht hilft, ist ffir sis keine Erhohung von dsr Stufs, wo sis sich befindst, mbglich. Nirgends findst sis diess Hilfs; dsr Vatsr ist nicht ohns Ursache psssimistisch und rsdst ihr sogar jsdsn Gedanksn dss Besssr- werdsns aus dem Sinn, Lsnz will nichts mit ihr zu tun haben, weil er sich vor dem Spott anderer ffirchtst, und die Nashbarn hasssn sis und tun allss, was sis kbnnsn, sis 103 zu werdsn, denn auch das Dorf als solches ffirchtst sich vor dem, was dis umlisgsndsn Dorfsr sagen, wsnn sis in Bsrghofen sins Hurs haben. Sis vsrsucht sich selbst zu hslfen, indem sis sich sntschlissst fortzulaufsn, wird dabei absr von den Nachbarn fibsrwaltigt und zurUCkgebracht, und darauf folgt ihr Tod. Martin, dsr Jfingling, dsr sis in ihrem Sehlafzimmer aufsuchte, kann frei davonlaufen. Dis Lsuts danksn ihm fast daffir, dass sr es sndlich bswisssn hat, dass das, was sis immer von dsr Lsni gesagt haben, wahr ist. Ffir ihn, den Starksren, wird dsr Bsisshlaf mit Lsni fast sins Heldsntat, und ffir Lsni ist dies dis grossts SUnde. Statt dsr schwachsn Lsni bsizustshsn und zu schutzsn, vsrwirft man sis, und statt den aggressivsn Kartin zu strafsn, wird ihm beigsstanden. Der Mann kommt immer mit heilsr Haut davon; und die Frau muss nicht nur 89 ihre sigsne Schuld absr auch dis dss Mannes auf sich nshmsn. 5. Dis Dramsn als Gessllschaftskritik Unvsrschonend greift Thoma hier dis Schuld dsr Gesellschaft an. Es ist die Gessllschaft, dis am Tods dsr Lsni schuld ist, und wfirds diess Gsssllschaft sich andern, so were sin Tod wie dieser nicht not— wsndig. Gsrads in diessm Element dsr Gsssllschaftskritik besteht dsr grossts Unterschied zwisshen dsn bsidsn Dramsn, denn Hebbsls Drama ist nicht als Kritik dsr Gesellschaft su vsrstshen. Hebbsls Maria_Kagdalsna, von ihm sin Trausrspiel gsnannt, ist noch im Sinne dsr klassischsn Tragedie zu vsrstshen. Es handelt sich hier um sin von ausssn herantrstsndes unumgehbarss Schicksal, das zum Tods dsr Heldin ffihrt, denn dsr Tod Klaras wird durch den Zeitwechsel, dsr zur Weltordnung gshbrt, notwsndig. His in der klassischen Tragfidis, so ist die Heldin hisr sin sdlss Hessn (Obwohl nicht vom Adel wie fruher), das absr nicht ganz ohns Schuld ist. Zwar ist ihr Tod Einzslnen zuzuschreiben, absr dis Weltordnung ist auch hinter diesen Einzslnsn, und als Vsrtrstsr ihres jewsiligsn Zeit- alters. ist die Schuld von Anton und Leonhard vislmshr sins meta- physischs als sins psrssnlichs. Das neue Zeitaltsr muss und wird anbrschsn, und ksin Stemmsn dagsgsn kann dem vorbsugsn. Dieser Wschssl wird sin Leben kosten, und Klara ist die, die fur die Bszahlung srwahlt ist. Wis ganz andere ist as im Falls Lsnisl Sis ist was sis ist als Ausdruck dsr Gssellschaft,in dsr sis lsbt. Thoma scheint hier das Thema, das von Max Frisch in ssinsm Drama Andorra dargsstellt wird, 9O schon vorwsggsnommsn zu haben. Frisch unterstsllt ssinsm Drama den ersten Teil dss zwsitsn Gsbotes: Du sollst dir ksin Bildnis machsnl "gsmacht". Nismand im Hier wird aus einem Jungsn, Andri, sin Jude Dorfe, ausser dem wahrenVatsr, dsr sich absr als desssn Stisfvatsr ausgibt, wsiss fiber seine Hsrkunft Bssshsid, und als sin Gsreds snt- stsht, dass dies sin aufgefundsnss Judsnkind ist, wird sr von der Gsssllschaft ausgestossen, und jsdsrmann fangt an ihn als Juden zu behandeln. Dis Folgs ist, dass Andri "Jude" wird, denn er merkt auf sinmal, dass er wirklich dis schlechtsn den Juden zugsschrisbsnsn Eigenschaftsn bssitzt. Er ist das gsworden, was dis Umwelt aus ihm machts. Als die Gegend nun von den “Schwarzen” besetzt wird, und sins Judsnvsrfolgung sinsstzt, wird Andri gstbtst. Nur nach ssinsm Tods beksnnt dsr Vatsr, dass dies ssin unehsliches Kind mit einer Frau von den "Schwarzsn" war und ksin Jude. In ganz ahnlichsr Weiss wird aus Lsni sin bsstimmtes Bildnis gsmacht, und jsdsrmann ist schuld daran. Dis Mutter hat sis in ihrer zartlichksit falschsr Weiss geschfitzt, und somit ist sis zu zart ffir dis Bausrnarbsit geblisbsn und muss in dsr Stadt arbeitsn. (Als sis nun nach Hauss kommt, stellt es sich absr heraus, dsss sis dis Arbsit doch tun kann.) Der Vatsr ist schuldig, indem er es ihr stets aus dem Sinn rsdst, dass die Gsssllschaft sis wieder aufnshmsn wird, und die Kachbarn sagsn immer, dsss sis sins Hurs ist und vsrwerfsn sis auch dsshalb aus ihrer Gsssllschaft. Wsnn sis in dsr Stadt auch sins Hurs gewssen wars, so ist sis es in Berg- hofsn nicht vor ihrem Entschluss zu sntlaufsn, denn sis hat ihr Vsrsprschsn dsr Mutter gsgsnfibsr srnst genommsn und will einen neuen Anfang machsn. Dieser Hills zur Bssserung, such in Bsreich dsr Haus- 91 arbeit, stsigsrt sich, als sis Lsnz anfangt zu liebsn und sis an dsr MBglichksit einer Ehs mit ihm dsnkt. Dass diess Liebe, oder viellsicht auch nur dieser Gedanks dsr Liebe, von einem vsrstarktsn Bssssrungs- willsn bsgleitet wird, wars Bswsis daffir, dass sis sich durch sin versshnsndss Entgsgsnkommsn wahrschsinlich in kurzsr Zeit als normalss Hitglied ihrer Gssellschaft singsffigt hatte. Dis Nachbarn sowis Thomas selbst haben absr ksin Vsrstandnis und bsrufsn sich immer wieder auf ihr vsrgangsnss schlschtss Leben. Thomas halt ihr dies direkt vor, wsnn er sagt: "Is dir dbs nia si'g'fall'n, wia's d' dds st'n g'ffihrt host? Dass 's niic mshr gibt ffir die?" (3. 65) A13 sis nun Geld braucht, um fortzulaufsn, wird sis das, was ~dis Gsssllschaft aus ihr machen wollts, namlich sine Hurs, denn dies ist nunmehr dis sinzigs Rolls, dis ffir sis offenstsht, und die es ihr sr- mbglicht Geld zu vsrdisnen. Dis Gessllschaft wird somit unmittslbar an ihrem Tods schuldig, denn Thomas, dsr mitschuldigs Vatsr, ist Werkzsug dsr Gsssllsshaft, in dem Moment wo er Lsni srsticht. Thomas kann daffir beschuldigt werdsn, dass er seine Tochtsr ganz aus sslbst- sfichtigsn Zwscksn tbtsts. Es war ihm, wie Anton, zu viel um ssinsn gutsn Ruf zu tun. Kenn Thomas mit Lsni rsdsts, vsrtrat sr dis Ssite dsr Nachbarn, und sagte, dass ffir sis ksins Hoffnung bsstshs; dadurch zeigt er seine Gsbundsnhsit an seiner Gsssllschaft. Vor den Nachbarn vsrtsidigt er seine Tochtsr, absr nur um seiner sigsnsn Ehrs willsn. Als es nun klar bewissen wird, dass das, was dis Hachbarn fiber Lsni sagen, dis unvsrstreitbars Hahrhsit ist, srsticht er sis. Er srsticht sis nicht, um Lsni dadurch irgsndwis vor dsr Sfinde zu schfitzsn, wie stwa sin Odoardo seine Tochtsr Emilia Galotti, sondern um sich selbst 92 freizusprschen, um zu zeigsn, dass er es mit dsr Gssellschaft halt. Man kann fast sagen, dass, wie dis Gsssllschaft aus dsr Lsni sine Hure machts, so machts sis aus Thomas einen Mfirdsr. III. Lsni, dsr Sfindsnbock Das tragischs Ends dsr Lsni scheint zwscklos und nihilistisch. Man kfinnts sagen, sis war sin Sfindenbock. Jedsrmann war gegsn sie und sis war immer die Schlsshtssts. Ein Vsrs aus Gertrud Kolmars Gsdicht Grabschrift beschrsibt dis Lage zutrsffend: Und sis rastsn, angstbsssssens Herds, Und erschlugsn ihn mit Totsnbsinen, Stampftsn ihn in Kshricht, Kalk und Erde. Immer sis, die Vislsn, Ihn, den Einsn. Gsrtrud Kolmar beschrsibt hier das Opfsrlamm, das sins erlfisende Rolls spielt; nicht in unahnlichsr Weiss spielt such dsr Sfindenbsck sins erlfisends Rolls. Das Ritual dss Sfindsnbocks ist in verschisdsnsn Gegenden und Religionsn aufzufindsn. In dsr Antiks ist es unter hsidnischsn 'Vfilksrn Mittslasisns, z.B. unter den Babylonisrn, sowis unter den Juden zu finden. Bei den Juden spielte dsr Sfindsnbock einen wichtigsn Teil am Tags dsr Reinigung (II. Hose 16). Es wurde an diessm Tags das Los fiber zwei Becks gsworfsn, und, je nach dem das Los ausfisl, wurde dsr sins als Brandopfer vsrwendst, dsr andere als Sfindenbock. Der Hoheprisstsr lsgte dann die Hands auf den Kepf dss Sfindenbosks, und, indem sr alle Sfindsn dss Volkes bskannts, fibsrtrug er diess Sfindsn auf den Sfindsnbock. Der Bock wurds dann in dis Wfists gsffihrt und dem 95 Dfimon Azazel fibergsben, und so musste das sine unschuldigs Tier bfisssn, damit dis andern gersinigt warden konntsn. Inwisfsrn sind die Elements disses Rituals im Drama Thomas zu finden? 1) Das Los bsstimmts den Sfindsnbock. Nur einer konnte dsr Sfindenbock warden, und dieser musste den sinsamsn Wag allein gehsn; es machts absr keinsn Unterschied, welchsr as war. Es besteht auch ksins Ursache, warum es gerads Lsni ssin musste, die dsr Sfindsnbock Bsrghofsns wurds; wars sis as nicht gsworden, war wsiss, ob nicht [do rgend sin anderss Mfidchsn (viellsicht dis Glonner Maris oder sogar dss Bfirgermsistsrs Tochtsr) diesen schwsrsn Keg hatte gshsn mfissen. Sis wurds vom Los, vom Zufall, dazu bestimmt. 2) Dis Sfinden dss Volkss wurdsn auf den Bock fibsrtragsn. Auch Lsni wurds dis Schuld anderer aufgslegt. Sis wurds nur ffir dis Sfinden beschuldigt, die wirklich im Dorfs vorhandsn waren. Dis, dis sis am meisten dsr Hurersi bssehul- digtsn, waren dis, deren Gswisssn viellsicht am msistsn damit beladsn waren, namlich dsr Bfirgermsistsr, dsssen Tochtsr sin unehsliches Kind hatte und die Glonnsr Maris, von der gesagt wurds, dass sin jsdsr an ihr Kammerfsnstsr kommsn durfte. Diese Dbsrtragung dsr Sfinde wars wie folgt zu srklarsn: Es gehbrt zur Hatur dss Msnschsn, dass er sich immer an andern misst, und wenn as irgend einen schlschtsren gibt, glaubt er sich im Verglsich gerscht. Wsnn as absr ksinsn schlschtsrsn gibt, wird jsmand gesucht und dieser durch Verleumdung zu dsm Grads schlscht gsmacht, wo die eigsns Schuld zu vsrschwinden scheint. Diese Ausgesuchte ist hier Lsni, und sis wird im gewisssn Sinne auch wirklish schlschtsr als dis Glonner Maris oder dss Burger- meistsrs Tochtsr, denn diess haben sich wahrscheinlich nis den Mannsrn 94 ffir Geld hingsgebsn. 5) Durch dis fibertragung dsr Sfindsn auf den Sfindenbock wurden dis andern gerscht. Wis konnte das Aufhaufen dsr Sfindsn auf Lsni bis zum Punkt,wo sis untsrgsht, dis andern rsinigsn? Thoma gibt ksine Antwort auf diess Frags, dsutst sis absr am Ends dss Dramas an: ...Thomas hat blitzschnsll ssin Hesser gszossn und sticht sis nisdsr. Sis bricht mit einem schwachen Schrsi zusammen. Alle weichsn entsstzt zurfick. Plank ruft: Jessas Maria! Drausssn krsischsn die Usibsr, die Burschen rufsn: Er hat 3' dsrstocha! Dann plfitzlichs Stills. Thomas dumpf: Jstzt rsisst 's as naus in d' Schand! (S. 67) Vor den Vsrfolgern hat sich plotzlich und graphisch gerads das abge- spielt, woran sis alle schuld warsn——der Tod Lsnis. Sie, die Lsni hfihnisch nachgeschrissn haben, sind plfitzlich still. Und nun, zum ersten Mal, herrscht im Dorfs gsnfigsnd Ruhs, dass Thomas zu Hort kommsn kann, und seine Warts, dis ihnen tief ins Gswissen stschen mfisssn, begegnen jetzt ksinsm Widerstand. Fast hfirt man von den Lsutsn in leissr Stimme: "Nir sind schuldig!" Absr ss brauchts dies srschfittsrnds Ersignis, es musste sin Leben kosten, bevor die Lsute von ihrem sslbstgerschtsn Handeln konnten befreit werden. Damit projizisrt man sich absr schon fiber das Ends dss Dramas hinaus. III III 1! 1k 4' Durch dis Analyse disses Dramas tratsn verschiedsne Khnlich- ksiten mit Hebbsls Maria Magdalena auf. Von besondersr Wichtigkeit ist, dass fast alle Elements, die in Hebbsls Drama von den verschiedensn Gestalten dargestellt werdsn, sich in stwaigs Gegsngastaltsn in Thomas Drama wiederholsn. Bsids Dramsn sind als Tragbdisn zu vsrstshen. 95 Bei Hebbel handelt ss sich um.sin unumgshbares von ausssn heran~ tretsndss Schicksal,und durch Klaras frsiwilligen Tod wird dis "swigs Gsrschtigksit" wisdsrhergsstellt. Wis Klara, so kommt auch Lsni in sin' Verhaltnis, wo ihr Untsrgang unauswsichbar wird und von ausssrhalb ihrer selbst bestimmt wird--im Dorfs fortzulsbsn ist sins Art Unter- \ gang, und als Folge ihres Bsfreiungsversuchss wird sis gstfitst. Der grfissts Unterschied zwisshen den bsidsn Dramsn lisgt darin, dass Thomas Drama als C ssllschaftskritik zu vsrstshen ist, Hebbsls Drama absr nicht. Viellsicht will dsr Gebrauch dss kathartischen Elements hier stwas andsutsn: In Hebbsls Drama bleibt dies Element in Drama und beschrankt sich auf Klara, deren ganzes Essen sins Lauterung sr— fahrt, als sis ihr Schicksal vor Augsn bekommt. In Thomas Drama muss man sich fragsn, ob die simple Lsni fibsrhaupt sins Reinigung srffihrt. Im ngsnsatz zu Hebbels Drama scheint as absr als ob dis Mitmsnschsn, hier dis Nachbarn, die bsi Lsnis Tod als Zuschauer zugsgsn sind, sich plotzlich im wahrsn Lichte als Hitschuldigs zu sehen bskommsn; dadurch wird dis Hoffnung angsdsutet, dass die Gessllschaft absr sins Reini- gung arfahren hat. ZUSAlvE-ZEI‘J FASSUI-I G Dis ffir diess Arbeit gssstzts Aufgabs war die Untersuchung von Herksn von Hebbel, Heyse, Schlaf und Thoma, um Elements dsr neutestament- lichen Maria Magdalenen-fiberlisfarung sowis Sonatigs wichtigs und gemsinsams Elements zu finden. Es warsn visr Magdalensn-Elemsnts, dis ffir diess Arbeit als massgsbsnd betrachtet wurdsn. l) "Sis war sine Frau, die war sine grosse Sfindsrin." Sfinds ist nicht nur als sins fibsrtrstung von msnschlichsn Gesetzsn zu vsrstshen, sondern vislmshr als mutwilligss Vsrlstzen anderer oder als die fibsrtrstung von Gott- heitsgssstzsn. Es wurds auch gsfragt, warum das Nsus Testament nur dis Gsschishts von dsr grossen Sfindsrn enthfilt absr ksine von einem grossen Sfindsr. Kann die Frau viellsicht tisfsr fallen, weil sis sin hbherss Gsschbpf ist? 2) Ihrs Sfindan wurdsn vsrgsbsn. Sfindsnvsrgsbung odsr Erlfisung heisst nicht stwas "ungaschehen machen", was schon gssshshsn ist; es ist das Herstsllen sines Verhaltnissss'zwischsn dam, dsr gssfindigt hat und dem, an dem gesfindigt warden ist, wodurch es dam Vergebungsuchsnden srmbglicht wird einen neuen Anfang zu machen. 5) Sis stsllts sich in den Disnst dss Herrn. Als wsiblichs Nachfol- gsrin spielte sis sins andere Rolls als dis mannlichen Hashfolgsr. Diese disnsnds Rolls ist ssit js das Los dsr Frau gswsssn und wurds such in den urchristlichan Gemsindsn waiter bsibshaltsn. Das Disnsn oder das frsiwilligs Sich—Untsrwsrfsn setzt absr sdls Eiganschaftsn voraus; Christus lshrt, dass dsr Disnsr dsr Grfissts ist. 4) Maria dagdalsna fibsrlieferts dsr Menschhsit dis srlbssnds Botschaft von Jesu Aufsrstehung. Wis Christus dsr zwsits Adam war, so wird sis aus diessm Grunds manehmal als die zwsits Eva betrachtet. Es ist zu- 97 trsffsnd, dass die Frau dis Vsrmittlsrin disssr Erlfisungsbotschaft ist, denn dis wsiblichsn Eigsnschaftsn dsr Untsrwfirfigksit, dss Gshorsams und dss Willens zu untarstfitzsn sind gerads dis srlfisung- bringenden Eigsnsshaftsn. Diese Magdalsnsn-Elsmsnts finden in den behandeltsn Wsrksn verschiedentlich Anwsndung. Als srstss Element galt: "Sis war . . . sine Sfinderin." Obwohl es nicht aus dsr neutestamentlichen Geschichts hervorgsht, wird dis Magdalsnsn-Gestalt in allsn visr hier behandeltsn Wsrksn irgsndwis als Hurs dargsstsllt. Es ist absr nur Schlaf, dsr seine Gestalt als sins grosse Sfindsrin, als sins sslbstsfichtigs Frau, die andern Schadsn bringt, darstellt. Heysss Maria ist bswusst Hura gswordsn; trotzdsm ist sis sine aufrichtigs Frau und wird von dsr Liebe motivisrt. Sis srgibt sich nur dem, den sis lisbt. Hebbsls Klara hat zwar gssfin— digt, indem sis sich einem Manna hingibt, ohns ihn zu liebsn, absr as ist als ob dis Zeit und Vsrhaltnisss, unter densn sis lsbt, ihr Han- dsln rschtfsrtigsn. Auch ist ihr Tod nicht als Strafs ffir ihre Sfinds zu vsrstshen. Bei Thomas Lsni wird die Rolls dsr Hurs diessm sshwachsn naivsn Hadchen aufgezwungsn und sis wird dadurch vsrnichtst. 'Schlafs Mirjam, dis am klarstsn als Sfindsrin dargsstsllt wird, ist sins Frau, deren Gott ihr eigsner Leib ist. Mit ihren wsiblichsn Rsizen hat sis sins grosse Kraft,dis Manner zu vsrffihrsn und ihnen Schadsn anzutun. Sis ist auch dis Einzigs von den visr, deren korper- licher Rsiz in bssondsrsr Weiss betont wird. Das wsiblichs Element spielt in dsr Gesamtdarstsllung dsr andern Gestalten jsdoch sine wichtigs Rolls. Hsysss Maria ist die Vsrkfirperung dss Wsibss, dis durch ihre Schwache stark ist; die Mbglichkeit dsr Frau als Helthsrrschsrin 98 wird durch sis angsdsutet. Auch bsi Hebbels Klara wird das weiblichs Gshsimnis dsr Starks durch Schwachhsit angsdeutst, denn sis gswinnt erst dort an Grfisss, wo sis sich sntschlissst ffir den Vatsr zu stsrbsn. Dis Schwachs bsi Thomas Lsni ist zwar Msrkmal dsr Frau, absr in diessm simplsn Hfidchen zeigt sich kaum sins seslische Starks oder Tiefs. Immsr wieder erinnern diess wsiblishen Gestalten daran, dass neues Leben, neue Kraft, nur durch Schwachhsit oder sin Abstsrbsn moglich ist. His Hirjam in Schlafs Hark am klarsten als Sfindsrin dargsstellt wird, so wird bsi ihr auch dis Sfindenvsrgebung oder dis Bskehrung am dsutlichsten hsrvorgshobsn. Dis Sfindenvsrgsbung oder Erlfisung besteht hier aus einem gsgsnssitigsn Entgsgsnkommsn zwisshen Mirjam und Jesus; dsr verandsrts stenswandel ist nicht die Vorbsdingung dsr Sfindsn- vergebung, sondern dis Folgs davon. Hsysss Maria findst in Jesus dis Vollsndung von dem, wonach sis stets gsstrsbt hat; im ngsnsatz zu Schlafs Mirjam handelt es sich bsi ihr nicht um sins grundsatzliche Sinnssanderung. Bei Hebbsls Klara will viellsicht dsr Moment, in dem sis ihre sigsne Sshwachhsit srksnnt, sins Bekehrung andeuten, denn von dem Moment an bstrachtst sis ihr eigenss Leben in einem neuen Lishts; nun vsrgisst sis sich selbst und will nur noch ffir den Vatsr stsrbsn. Bei Thomas Lsni kann kaum von einer Andsrung gesprochsn werden. Das Erlbssr-Elsmsnt und das Element dss Dienens, die in dsr Bshandlung dsr neutestamentlichen Magdalena als verschiedsns Elements bstrachtst wurdsn, treten besonders in Hebbsls Klara zusammsn auf, denn nur durch ihren Hillsn zur Hingabs oder zum Disnsn wird ihr dis Erloser-Rolls srmbglicht. Bei Heyss und Schlaf besteht dsr Disnst 99 darin, dsss Haria bzw. Hirjam sich Jesus frsiwillig zur Vsrffigung stellt, was absr zur Erlangung dsr eigenen Erlbsung gshort. Diese bsidsn treten nicht besonders als Erlfiser anderer hsrvor. Bei Thomas Lsni ist es gerads umgekshrt; durch ihren Tod als Sfindsnbock scheint sis sins Erlossr-Rolls zu srffillsn, ohns als sins Disnsrin aufzutrstsn. Kain sinzslnsr dsr hier behandeltsn Dichtsr betont alle visr Elements dss Magdalenen—Stoffss, die in dieser Arbeit ffir grundsatzlich gehalten warden; doch finden alle Elements absr irgsndwis in den visr Wsrken Anwendung. Hebbel hat den Stoff viellsicht am fsinstsn ver- wsndat. Ausser den erwfihnten Elsmsntsn zieht er zutreffsnd den ganzen Hintsrgrund einer moralischsn Umwalzung wie im Nsusn Testament dargs- stellt hinsin. Die Marks von Hsyss und Schlaf tragsn das historischs Kostfim, haltsn sich absr nicht genau an dsr neutestamentlichen Gsschich- ts. Hsyse beschrsibt_Maria besonders als gehsimnisvolls Frau, wfihrend Sehlaf sich fast susschlissslich mit Hirjams Wag zur Erlosung beschaf- tigt und dabei seine Ides dsr Vsrsfihnung betont, dis auf das Streben dsr zwsiheitlichsn Hatur nach der Einhsit gegrfindet ist. Fast wie bei den mittelaltsrlichsn Dichtern sehildert er hier den fiberwfiltigenden Unterschied zwisshen dsr sfindhaftsn und dsr bskshrtsn Maria Magdalena. Bei Thoma srinnsrt zwar dsr Tod Lsnis als Sfindsnbock an das srlfissnds Magdalsnsn-Elsment, doch muss man sich fragsn, ob er irgsndwis bswusst den neutestamentlichen Stoff hat vsrwsndsn wollsn und ob dsr Name Magdalena hier nicht bloss den Typus dss “gefallensn madchsns" an- dsuten will. Ausssr Thomas Wsrk bezisht sich sin jedss dsr hier behandeltsn Wsrks, dsr Meinung dss Vsrfasssrs nach, bswusst und dirskt auf gswisse grundsatsliche Aspskts dsr neutestamentlichen lOO fiberlieferung. Es treten in diesen Wsrksn auch andere wichtigs und gemsinsame Elements hsrvor, dis nicht auf die neutestamentliche Darstellung zurfickzuffihrsn sind. Es fallt auf, dass drsi von den visr Dichtsrn (Hebbel, Heyss und Thoma) ihre Magdalensn—Gsstalten mit Wohlwollsn und Mitlaid darstellen, Obwohl dis Karia Magdalena dss Heusn Testaments "sins grosse Sfindsrin" ist. Auch ist es bsmerkenswert, dass Hebbel und Thoma ihren Gestalten solche wichtigsn Erlfissr-Rollsn auftragen, trotzdsm es sich in bsidsn Ffillsn um sins Hure handelt. Das Erlfissr- Element scheint hier hoch gsstsigsrt im Vsrglsich mit dem bei dsr neutestamentlichen Maria Magdalena. Bei Thomas Lsni ffillt auch auf, wie dis Sfinds dsr Menschhsit in wfirtlicher und dramatischsr Weiss auf "Erlfiserin" gshfiuft wird. diess Von Wichtigksit und Bsdsutung ist auch dsr Unterschied zwisshen dsr Darstellungswsiss dieser visr Dichter und dsr neutestamentlichen Darstellung. Im Neusn Testament wird Maria Magdalena ausserst knapp Obwohl klar dargsstellt. Ihrs Bszishungsn mit dsr Umwslt sind hashst beschrankt, und ss ist als ob sis fast ohns Milieu dastsht. Man sisht sis nur in einer Reihs von statisshen unabhangigsn Einzslbildsrn. Diese visr Dichter umrahmen sis alle mit einem Milieu, welches Anlass zu bestimmtsn Bsziehungsn und Entwicklungsn gibt. Mirjams Erlfisung in Schlafs Kerk ist ein langsr Prozess, erst sisht man dis Verandsrung bsi ihr sintretsn, dann srfahrt auch Jesus sins Vsrfinderung und schliesslich kann die Versshnung sintrsten. Hayes, dsr wie Schlaf den historischen Hintergrund vsrwsndst, setzt sis in einem Verhfiltnis zu Judas, einer anderen neutestamentlichen Gestalt, die in Heusn 101 Testament absr nis in Zusammsnhang mit Maria Magdalena srwahnt wird, und mit Flavius, einem rfimisshsn Soldatsn, dsr mit ssinsn Gsssllsn fast zum Gssamtbild von Maria Magdalenas taglichsr Umgsbung gshfirts. Das Nsus Testament gibt keine Erklarung ffir den Fall dsr Maria Magda- lena, sondern stellt sis nur als gefallsn dar. In den Dramsn Hebbsls und Thomas, dis ihre Handlungen in dis Gegenwart vsrsstzsn, wird dsr Fall oder das Hsruntsrkommen grfindlish motivisrt und srklfirt. Dadurch vsrlieren ihre Gestalten an dsr symbolischsn Allgemeinhsit dsr bibli- schsn Gestalt; ffir den modernsn Lessr gswinnen sis dadurch absr an Wirklichksit und Unmittslbarksit. LITERATUREBERSICHT "Aschera,” Lexikon dsr Frau, I. Zfirich, 1955, S. 229 - 250. Dis Bibel, nach dsr Ubersstzung D. Martin Luthsrs. Edsrshsim, Alfred. 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