„URTHEIL UND EIN SCHÖNES LIED”: DAS ARMESÜNDERBLATT (1750-1820) IN DER SAMMLUNG „GERMAN CRIMINOLOGY COLLECTION” DER MICHIGAN STATE UNIVERSITY von Magelone Bollen DISSERTATION Vorgelegt der Michigan State University in teilweiser Erfüllung der Anforderungen zur Erlangung des akademischen Grades German Studies – Doktor der Philosophie 2013 ABSTRAKT „URTHEIL UND EIN SCHÖNES LIED”: DAS ARMESÜNDERBLATT (1750-1820) IN DER SAMMLUNG „GERMAN CRIMONOLOGY COLLECTION” DER MICHIGAN STATE UNIVERSITY von Magelone Bollen Die sogenannten „Armesünderblätter“ sind vierseitige Druckschriften, die anlässlich einer öffentlichen Hinrichtung gedruckt und billig verkauft wurden. Sie enthalten, in wechselnder Zusammensetzung, das amtliche Todesurteil mit der Urgicht (Geständnis), ein religiöses oder moralisches Gedicht und eine Illustration. Besonders von 1750 bis 1820, im Übergang von der Frühen Neuzeit zur Moderne, wurden sie in Bayern und den angrenzenden süddeutschen Gebieten in großer Menge publiziert. Die Flugschriften dienten zur Abschreckung, moralischen Unterweisung und Sozialdisziplinierung, aber auch zur „schauerlichen“ Unterhaltung breiter, auch bürgerlicher, Leserschichten. Form, Funktion, Entwicklung und Kommerzialisierung des Mediums wird anhand des umfangreichen Bestandes aus der German Criminology Collection der Michigan State University dargestellt und in den historischen, strafrechtlichen, literarischen und mediengeschichtlichen Kontext eingeordnet. Besondere Beachtung finden die literarischen Charakteristiken der Gedichte und ihre religiös, säkular oder psychologisch orientierte Darstellung des Verbrechers. Fünf ausführliche Fallstudien untersuchen exemplarisch Einzelaspekte: Publikation in Wort und Schrift, Strafverfolgung und Geständnis, Spektakel der Hinrichtung, Räuberunwesen sowie die intertextuellen, zeitgenössischen Bezüge mehrerer Dokumente zum gleichen Mordfall. Detaillierte Variantenvergleiche offenbaren Druckfolge und Adaption. Ein Exkurs präsentiert Parodien von Todesurteilen von der Sprachglosse bis zur subversiven politischen Satire. “SENTENCE AND A SONG”: THE POOR SINNER‘S PAMPHLET (1750-1820) IN THE “GERMAN CRIMINOLOGY COLLECTION“ AT MICHIGAN STATE UNIVERSITY By Magelone Bollen A DISSERTATION Submitted to Michigan State University in partial fulfillment of the requirements for the degree of German Studies – Doctor of Philosophy 2013 ABSTRACT “SENTENCE AND A SONG”: THE POOR SINNER’S PAMPHLET (1750-1820) IN THE “GERMAN CRIMINOLOGY COLLECTION“ AT MICHIGAN STATE UNIVERSITY By Magelone Bollen “Poor sinner’s pamphlets“ are mostly four-page leaflets, printed and sold cheaply on the occasion of an execution. They contain the official court document with death sentence, confession, a religious or moralistic poem, and at times an illustration. During the transitional period of 1750-1820, they were a wide spread cultural practice in Bavaria and the neighboring regions in southern Germany. While the authorities aimed at deterrence and social discipline, bourgeois readers enjoyed an illicit pleasure. Based on the extensive, yet unexplored holdings of Michigan State University’s German Criminology Collection, this study investigates form, function, development and commercialization of the medium and places it within the historical, juridical, literary and medial context. It analyzes the literary features of the poems and how they indicate a change in the conception of the criminal. Five extensive case studies focus on different important aspects: the oral and written publication, crime investigation and confession, the spectacle of the execution, robbers’ threat to inner security, as well as the connections between several documents related to the same murder case. A detailed comparison of the variants offers insights into the succession and adaptation of prints. An excursus presents parodies of death sentences ranging from mere puns to the subversive political satire. DANKSAGUNG Wohlverdiente Dissertation nebst einer Danksagung der Magelone Bollen. Gegenwärtig hier stehende Täterin hat in den mit ihr vorgenommenen gütlichen und peinlichen Verhören eingestanden: Quod generalia, dass sie von auswärts gebürtig, ihres Alters in den 50er Jahren, verheuratheten Standes und ihre beiden Eltern ehrlich und noch am Leben seyn. Quod specialia hat sie freywillig ausgesaget und ad Bancum Juris betättiget, dass sie: 1. Von Karin Wurst vulgo Doktormutter, einer Erzgelehrtin, zur Tat angestiftet worden und notorischen Beistand erhalten; 2. Mit George Peters vulgo Doktorvater, auf Deutsch conferiret und beständige Absprach gehalten; 3. Pat McConeghy und Tom Lovik zur Spähe angehalten; 4. Von Peter Berg die nothwendigen Papiere und Hülfsmittel erlanget; 5. Ebenso mit derlei graduierendem Gesindel aus der Wells Hall und anderen Rotten freundlichen Umgang gepfleget; 6. Mit ihrem Cammeraden Georg und dero Sippe anhero Außagen communiciret und Verificationen erhalten habe. Das Geständnis der Inquisitin ist den eidlich eingeholten Erfahrungen gemäß, weswegen ein Hoch=Edler und Hochweiser Rath der Michigan State University mit Urthel zu Recht erkannt hat, daß vorbenannte Magelone N. am 3ten May 2013. gnädigst promoviret und vom Tod zum Leben gebracht werden sollte. Als hat man dem Publico hiemit mittheilen wollen. Mit Erlaubnuß der Obrigkeit. Kostet 3 kr. iv INHALTSVERZEICHNIS VERZEICHNIS DER TABELLEN......................................................................................................... viii VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN ................................................................................................... ix VERZEICHNIS DER ABKÜRZUNGEN ................................................................................................. xi 1 Einleitung ....................................................................................................................... 1 2 Die Sammlung German Criminology Collection an der Michigan State University ........... 15 2.1 Herkunft und Erwerb...................................................................................................... 16 2.2 Bestandsbeschreibung ................................................................................................... 19 2.3 Die Armesünderblätter .................................................................................................. 27 3 Die Todesstrafe im nationalen und bayrischen Strafrechtssystem ................................. 34 3.1 Die Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. Carolina (1532) ............................... 35 3.2 Kodifizierung und Modernisierung des Strafrechts in Bayern ....................................... 38 3.2.1 Kreittmayrs Codex Criminalis (1751) ...................................................................... 39 3.2.2 Feuerbachs Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern (1813) ............................. 41 3.2.3 Ende der öffentlichen Hinrichtungen ..................................................................... 45 3.3 Die Rolle der Geistlichen ................................................................................................ 46 4 Armesünderblätter im süddeutschen Kulturraum ......................................................... 50 4.1 Historischer Kontext ....................................................................................................... 50 4.1.1 Herrschaftsgebiete .................................................................................................. 50 4.1.2 Räumlich-zeitliche Verteilung ................................................................................. 55 4.1.3 Inhaltliche Kategorien ............................................................................................. 60 4.2 Systematisierung und Kommerzialisierung .................................................................... 64 4.2.1 Augsburg ................................................................................................................. 65 4.2.1.1 1757 - 1790: Augsburger Urteile, veröffentlicht durch die Gerichtswaibel ..... 66 4.2.1.2 Der kommerzielle Abdruck von auswärtigen Quellen ...................................... 71 4.2.2 Der Markt in München 1760-1781: Matthias Ettenhueber ................................... 76 4.2.2.1 Der poetische Zeitungsfabricant ........................................................................ 76 4.2.2.2 Ettenhueber und die Zensur .............................................................................. 81 5 Das Armesünderblatt als Literatur ................................................................................ 85 5.2 Prosa-Darstellung: Die obrigkeitliche Urgicht ..................................................................... 85 v 5.2 Gereimte Auslegung: Lieder und Moralreden ............................................................... 92 5.2.1 Buß- und Reuelieder................................................................................................ 94 5.2.1.1 Der Arme Sünder: Exemplum zur Ars Moriendi .............................................. 96 5.2.1.2 Ich-Perspektive und Authentizitätsfiktion ..................................................... 103 5.2.1.3 Dreifaches Blut .............................................................................................. 104 5.2.1.4 Erlösungsgewissheit ...................................................................................... 106 5.2.1.5 Vorgebliche Zweifel ....................................................................................... 108 5.2.2 Wohlformulierte Schmähreden ............................................................................ 110 5.2.2.1 Barocke Stilelemente ..................................................................................... 111 5.2.2.2. Galgenberg des Süß Oppenheimer .............................................................. 113 5.2.2.3 Chronogramm zum Hinrichtungsjahr ............................................................ 120 5.3 Wandel im Verbrecherbild ........................................................................................... 129 5.3.1 Lied an den Mörder .............................................................................................. 129 5.3.2 Ein armer Wurm, ein Menschenkind .................................................................... 133 5.4 Extensive Lektüre intensiver Werte ............................................................................. 141 5.5 Rezeption...................................................................................................................... 143 5.5.1 Der Augsburger Sammlerband für Bürger ............................................................ 143 5.5.2 Aufklärerische Kritik: Friedrich Nicolai.................................................................. 148 5.5.3 Lesestoff für Unterschichten um 1800 ................................................................. 151 6 Fallstudien aus der German Criminology Collection ..................................................... 153 6.1 Doppelte Publikation (Fürth 1707) .............................................................................. 153 6.1.1 Der Fall Stechau .................................................................................................... 153 6.1.2 Der Arme Sünder .................................................................................................. 155 6.1.3 Spiegelstrafe ......................................................................................................... 157 6.1.4 Doppelte Publikation ............................................................................................ 158 6.2 Das „entliche“ Geständnis (Augsburg 1768) ................................................................ 161 6.2.1 Die Verfolgungsbehörden ..................................................................................... 163 6.2.2 Das Geständnis...................................................................................................... 166 6.2.3 Der Kupferstich ..................................................................................................... 169 6.3 Rhain-Reihe: Fortsetzung folgt (München 1771) ......................................................... 172 6.3.1 Die Dramaturgie der Hinrichtungen ..................................................................... 177 6.3.2 Die Kupferstiche .................................................................................................... 181 6.3.3 Die Moralreden ..................................................................................................... 184 6.4 Die Vierteilung des Räubers Windbeutel (München 1781) ......................................... 193 6.4.1 Das Generalmandat gegen die Räuber von 1781 ................................................. 196 6.4.2 Die Vierteilung des Windbeutel ............................................................................ 200 6.4.3 Der Kupferstich ..................................................................................................... 204 6.4.4 Akzentverschiebung in den Moralreden .............................................................. 206 6.4.5 Die Urgicht als Fahndungsinstrument .................................................................. 209 6.5 Mörder Feigel und Opfer Langfritz: Zeitgenössische Themen (Nürnberg 1787/88) ... 212 6.5.1 Der Fall und die Gerichtsakten ............................................................................. 214 6.5.2 Das Malefiz-Urteil des Rates der Stadt Nürnberg ................................................. 217 vi 6.5.3 6.5.4 6.5.5 6.5.6 Der populäre Rechtskommentar .......................................................................... 221 Die Leichenschau: Wahrhafte Beschreibung und Abbildung ............................... 224 Das Kupferstichporträt des Mörders Feigel .......................................................... 241 Abschiedslieder ..................................................................................................... 246 7 Exkurs: Parodistische Todesurteile .............................................................................. 253 7.1 Unverdientes Todesurtheil: Die Sprachglosse ............................................................. 255 7.1.1 Titel und sprechende Namen................................................................................ 262 7.1.2 Verzerrte Hoheits-Formeln ................................................................................... 265 7.1.3 Oxymora wider Natur und Gesellschaftsordnung ................................................ 266 7.1.4 Kritik an Geistlichen .............................................................................................. 267 7.1.5 Re-Assoziierung von Wissen ................................................................................. 268 7.2 Neumode-Todesurtheil: Die Ständekritik .................................................................... 270 7.3 Joseph N. Vulgo Patriot: Das subversive Todesurteil ................................................... 271 7.4 Erdlieb Luftballon: Variationen über einen Verblichenen ........................................... 282 7.5 Grenzen der Parodie .................................................................................................... 291 8 Zusammenfassung und Ausblick ................................................................................. 293 APPENDIX .................................................................................................................................... 301 LITERATURVERZEICHNIS ............................................................................................................. 303 vii VERZEICHNIS DER TABELLEN Tabelle 1: Urgichtformeln. ............................................................................................................ 89 Tabelle 2. Variantenvergleich zum Blatt Wahrhafte Beschreibung und Abbildung (Nürnberg, Augsburg 1788). ....................................................................................... 234 viii VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN Abbildung 1. Auswahl an Titelblättern. ......................................................................................... 4 Abbildung 2. Materieller Zustand. ............................................................................................... 31 Abbildung 3. Süddeutschland um 1789. Kurfürstentum Bayern, Freie Reichsstädte Augsburg und Nürnberg, Geistliche Territorien, Reichsgrafschaften. ................................... 51 Abbildung 4. Königreiche Bayern und Württemberg 1815. ........................................................ 54 Abbildung 5: Zeitlich-Räumliche Verteilung der Armesünderblätter aus der German Criminology Collection. .............................................................................. 56 Abbildung 6. Zahlenmäßige Verteilung nach Orten vor 1806. .................................................... 57 Abbildung 7. Zahlenmäßige Verteilung nach Orten nach 1806. .................................................. 59 Abbildung 8. Verteilung nach inhaltlichen Kriterien..................................................................... 61 Abbildung 9. Ausgburger Urteil: Gerichtswaibel S. Valentin und Drucker A. Brinhaußer. ......... 68 Abbildung 10. Späte Titelblätter aus Augsburg. .......................................................................... 75 Abbildung 11. Titelblatt und Moralrede im „Münchner Modell” von M. Ettenhueber. ............ 79 Abbildung 12. Die Kindmörderin als Vorbild im Sterben (Augsburg 1742). GCC 784. ................. 98 Abbildung 13. Erweckung zur Buße einer Kindsmörderin (Frankfurt 1758). GCC 388. ............ 100 Abbildung 14: Figurengedicht Galgenberg des Jud Süß (1738). GCC 792. ................................ 116 Abbildung 15: Chronogram zu Wechselbetrügern (Augsburg 1764). GCC 1088. ...................... 122 Abbildung 16. Chronogramm eines Diebes.(Augsburg 1764). GCC 1161. ................................ 125 Abbildung 17. Chronogramme einer Vergifterin (Bamberg 1776). GCC 1162. .......................... 128 Abbildung 18. Trauer=Gedicht über einen Mörder (Nürnberg 1830). GCC 1058. .................... 136 Abbildung 19: Urteil von C.H. Stechau (Fürth 1707). GCC 1086. . .............................................. 154 ix Abbildung 20. Publicatum unterm freyen Himmel.(Fürth 1707). GCC 1086. ............................ 159 Abbildung 22. Urteil des K.L. Klenckler (Augsburg 1768). GCC 1084a, b. ................................... 162 Abbildung 21. Suchanzeige zu Klenckler (Augsburg 1767). ...................................................... 164 Abbildung 23. Geständnis des K.L. Klenckler(Augsburg 1768). GCC 1084a. .............................. 168 Abbildung 24. Hinrichtung des K.L. Klenckler (Augsburg 1768). GCC 1084a. ............................ 170 Abbildung 25. J.M. Schwaiger: Überfall auf die Klause in Ölstatt (München 1771). BSB Res/4 Bavar. 674-13/15-9. ........................................................................... 173 Abbildung 26. J. Mayr: Überfall auf den Bauernhof in Riedberg (München 1771). BSB Res/4 Bavar. 674-13/15-10. ......................................................................... 173 Abbildung 27. Hanns Georg Rhain: Hinrichtung (München 1771). BSB Res/4 Bavar. 674-13/15-11. ......................................................................... 174 Abbildung 28. Caspar Rhain: Überfall auf die Klause in Ölstatt (München 1771). GCC 1154. .. 174 Abbildung 29. Moralrede zu Joseph Mayr, dem zweiten Verurteilten (München 1771). BSB Res/4 Bavar. 674-13/15. .............................................................................. 185 Abbildung 30. Windbeutel-Urteil mit Moralrede (München/Augsburg 1781). GCC 1157. ...... 195 Abbildung 31. Amtliches Urteil ohne Moralrede (München 1781). LMU 0014/W 4 Jus 167. .. 195 Abbildung 32. Die Vierteilung des Windbeutel (München 1781). Nürnberg Germanisches Nationalmuseum HB 7805-137a. ....................................................................... 203 Abbildung 33. Beschreibung einer Räuberbande. Urgicht des Windbeutel (München 1781). LMU 0014/W 4 Jus 167. ...................................................................................... 210 Abbildung 34. Dramatisierung durch Typographie (Nürnberg 1830). GCC 1091a. ................... 218 Abbildung 35. Die Leichenschau von C.G. Langfritz (Nürnberg 1788). Version A2 mit Kolorierung. GCC 360d. .............................................................. 226 Abbildung 36. Vergleich der Titelillustrationen. Varianten von Wahrhafte Beschreibung und Abbildung (Nürnberg, Augsburg 1788). .............................................................. 233 x Abbildung 37. Porträt Der Mörder Feigel (Nürnberg 1788). Kriminalmuseum Rothenburg ob der Tauber. .................................................... 242 Abbildung 38. Feigel im Lochgefängnis. Aus: Lied an Gott (Nürnberg 1788). GCC 790a. ......... 247 Abbildung 39. Anonymisierte Version des Lied an Gott (Nürnberg 1788). GCC 790b. ............. 250 Abbildung 40. Parodistisches Todesurteil Kitlibuzli Hackstock (München um 1790). BSB L.eleg.m.850,14. ......................................................................................... 257 Abbildung 41. Todesurteil des Joseph N. vulgo Patriot (München 1800). BSB RES. 4 Bavar. 3000, XV, 10a. . ....................................................................... 273 Abbildung 42. Anatomierung des Erdlieb Luftballon (Augsburg 1787). SuSB Aug 1479 -13a. ........................................................................................... 283 Abbildung 43. Odduktionsbefund zu Erdlieb Luftballon (Augsburg 1787). SuSB Aug 1479. -13a. ......................................................................................... 289 xi VERZEICHNIS DER ABKÜRZUNGEN BSB Bayerische Staatsbibliothek München GCC German Criminology Collection der Michigan State University LMU Ludwig–Maximilians Universität München MSU Michigan State University SBB Staatsbibliothek Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz SuSB Staats– und Stadtbibliothek Augsburg VD 17 Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 17. Jahrhunderts VD 18 Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 18. Jahrhunderts xii 1 Einleitung Wohlverdientes Todesurtheil nebst einer Moralrede des Peter Müller, Urgicht und Peinliches Urtheil des Blinden Toni, Geschichtliche Darstellung des Verbrechens wegen welchem Barbara Schmittin zum Tode verurtheilt ist – Druckschriften mit diesen oder ähnlichen Titeln finden sich in großer Zahl in Archiven, Bibliotheken und Museen Süddeutschlands. Massenhaft gedruckt und verkauft anlässlich der öffentlichen Hinrichtung eines Räubers oder Mörders, enthalten diese „Armesünderblätter“ in der Tat Geständnis und Todesurteil im amtlichen Wortlaut, oft auch ein religiös und moralisch ausdeutendes Gedicht und eine Illustration. Besonders im Kurfürstentum Bayern, den Grenzgebieten der Schwäbischen und Fränkischen Reichskreise finden sich lokale und auswärtige Todesurteile in variantenreichen Formen. (Abbildung 1. Auswahl an Titelblättern, S. 4). Die flächendeckende Publikation des Armesünderblattes blüht in der Sattelzeit zwischen 1750 und 1820, also im Übergang von der Frühen Neuzeit zur Moderne. Und wenn auch Verbrechen und Strafe, soziale und staatliche Gewalt schon immer im Mittelpunkt einer breiten Berichtsund Literaturtradition stehen, so erlaubt doch diese besondere Spielart der „Galgenliteratur“ Einblicke in die Medienlandschaft eines Rechts- und Strafsystems im Umbruch. Im Armesünderblatt vereinen sich unterschiedliche Funktionen und Bedürfnisse, die es zu einem reizvollen Forschungsgegenstand machen. Es ist sowohl halbamtliches Dokument als auch sensationelle Unterhaltungslektüre. Es bietet sowohl religiös-moralische Belehrung als auch schauriges Vergnügen. Es dient der Sozialdisziplinierung, aber auch dem neugierigen Lesehunger breiter Schichten. Es begleitet ein lokal und zeitlich gebundenes Ereignis und über1 schreitet als gedrucktes Medium die Grenzen der unmittelbaren Zeugenschaft. Die gezielte und gesteigerte Druckpublizierung der Todesurteile in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts reagiert auf eine sich wandelnde Öffentlichkeit, und während mehrerer Jahrzehnte war diese Darstellungsform von Verbrechen und Strafe eine weitverbreitete kulturelle Praxis. Es ist das Anliegen dieser Studie, diese Untergattung von Gelegenheitsliteratur zu sichten und zu beschreiben. Dabei stütze ich mich vorwiegend auf Quellenmaterial aus der sogenannten German Criminology Collection (GCC), einer Sondersammlung an der Michigan State University. Diese enthält eine beachtliche Anzahl, über 200, an verschiedenartigen Armesünderblättern und ist damit eine der reichsten Kollektionen, denen ich im Laufe meiner Untersuchungen begegnet bin. Sie ist durchaus repräsentativ für diese Textform und erlaubt übertragbare Ergebnisse. Von einigen Drucken sind mehrere abweichende Kopien oder Nachdrucke erhalten. Sie sind besonders aufschlussreich für Fragestellungen zu medialen und literarischen Elementen und Funktionen sowie dem Publikationsverfahren. Der genaue Abgleich der Varianten an der MSU – ergänzt durch digitale Bestände deutscher Bibliotheken – führt zu neuen Forschungserkenntnissen, die unser bisheriges Verständnis zum Genre der Galgenliteratur nuancieren. Der erste Teil dieser Arbeit analysiert Herkunft und Zusammensetzung der Sammlung German Criminology Collection. Er untersucht dann die Ausformung des Genres nach zeitlichen, räumlichen und inhaltlichen Gesichtspunkten. Besonders widmet er sich der kommerziellen Ausgestaltung und Marktbeherrschung an den beiden Publikationsschwerpunkten Augsburg und München. 2 Der zweite Teil präsentiert fünf exemplarische Fallstudien zu rechtlichen, sozialen, religiösen, medialen und rezeptionsbezogenen Aspekten. Sie erwachsen aus Materialien der GCC, die zur notwendigen Abrundung durch digitalisierte Quellen aus deutschen Bibliotheken ergänzt werden. Eine sechste Exkursstudie untersucht literarische Satiren, die die Gestalt des Armesünderblattes mit Todesurteil subversiv nutzen, um politische und soziale Kritik zu üben. Der Begriff Armesünderblatt ist nicht authentisch aus den Drucken der German Criminology Collection an der MSU oder anderen Quellentexten übernommen. Er wurde als übergreifender 1 Terminus von Richard van Dülmen in die Sekundärliteratur eingeführt und jüngst von Gerhard Ammerer und Friedrich Adomeit in ihrer Studie zu den Salzburger Drucken wieder aufge2 griffen. Die Bezeichnung „Armer Sünder“ für den zum Tode Verurteilten ist jedoch seit dem 3 Mittelalter gang und gäbe , und findet sich auch später in „Armesünderglocke“, „Armesünder4 gasse“ oder dem „Arme-Sünder-Kreuz“. Ich schließe mich daher diesem griffigen Ausdruck an, um besonders die typischen Urtheile aus München, Augsburg und Umgebung zu bezeichnen. 1 (Dülmen, Theater), S. 168. 2 (Ammerer und Adomeit). In seiner Diplomarbeit von 2004 sprach Adomeit noch von „Hinrichtungsbroschüren” (Adomeit). Zur Entwicklung in Österreich vgl. (Ammerer). 3 4 (DWB), Bd. 20, Sp.1162. Die heutige Auguststraße in Berlin trug 1708-1723 diesen Namen. 3 Onolzbach 1753. GCC 1096. München 1771. GCC 1142 Dillingen 1779, 8 S. GCC 1098. Moosburg 1789. GCC 1128. Augsburg 1790. GCC 1139. Neuburg 1803. GCC 1143. Abbildung 1. Auswahl an Titelblättern. Abbildung dient nur zur Illustration, nicht als Lesetext. 4 Andere Benennungen in der wissenschaftlichen Literatur sind Hinrichtungsflugblatt, Urteilszettel, Schafottberichte, allgemeiner auch Kolportageliteratur, Fliegende Blätter oder einfach 5 6 Flugschrift oder Flugblatt. Das protokollierte Geständnis wird allgemein Urgicht und in Augsburg Verruf genannt. Zum intertextuellen Umfeld des Armesünderblattes gehören auch das Erbauliche Lied, das Reue- und Abschiedslied oder das Trauer=Gedicht, die bei spektakulären Fällen einen Teil des Publikationsclusters ausmachen. Auch Balladen und das audio-visuelle Bänkellied sowie Zeitungsberichte grenzen an das Armesünderblatt an, sind jedoch in der GCC kaum oder gar nicht vertreten. Wenn auch reichlich, so sind die Gelegenheitsdrucke doch lückenhaft und zufällig erhalten. Sie sind mehr als Überrest denn als historiographische Tradition einzustufen. Als Sekundärquellen lassen sie – anders als etwa direkte Gerichtsprotokolle oder Sitzungsbücher – keine absolute 7 quantitativ-statische Auswertung von Verbrechens- oder Strafhäufigkeiten zu. Dennoch sind Trends erkennbar, die in den qualitativen Fallstudien dargestellt werden. An exemplarischen Beispielen werden rechtliche, soziale, mediale, auch kommerzielle Aspekte vorgestellt und im 8 Sinne einer „dichten Beschreibung“ nach Clifford Geertz kritisch in den Kontext eingeordnet. 5 Nachweise bei (Ammerer und Adomeit), S. 272-3. 6 Zu ahd. irgehan, mhd. erjehen = Aussage, Bekenntnis. Verengt in der Rechtssprache zu Geständnis mit oder ohne Tortur” bzw. dessen Aufzeichnung. (DWB), Bd. 24, Sp. 2425. Der Band U des Deutschen Rechtswörterbuches online ist noch nicht erschienen. (DRW). 7 Wolfgang Behringer analysierte für Kurbayern den Wandel in Verbrechenskategorien in seiner bisher nicht ersetzten Arbeit. (Behringer, „Kurbayern“). Seine Zentralquelle sind die Münchner Hofratsprotokolle, allerdings hauptsächlich für das 17. Jahrhundert auswertbar. Die hier interessierende Zeit ab 1750 ist leider nicht abgedeckt. 8 (Geertz). 5 Ich fasse das Armesünderblatt nicht nur als Dokumentation historischer Fakten auf, sondern auch als ein kommerzielles Produkt mit ausgeprägt literarisch-medialen Eigenschaften. Narrative, poetologische, auch visuelle und fiktionale Elemente lassen Rückschlüsse auf den Kreis der Rezipienten zu. Kultur- und literaturwissenschaftliche Analyse ergänzen und bedingen einan9 der und ermöglichen einen interdisziplinären Zugriff. Das Armesünderblatt ist ein Bestandteil des Kriminalitäts-Diskurses der Zeit, der hier als Geflecht von Bedeutungen, die produziert und 10 zirkuliert werden, verstanden wird. Als rechts- und kulturgeschichtliches, auch literarisches Dokument berührt das Verbrechensflugblatt der Frühen Neuzeit vielfältige Disziplinen und übergreifende Forschungsthemen und wurde immer wieder als historischer Beleg oder literarischer Vergleichstext herangezogen. Allerdings: für die weitverbreitete, besonders gestaltete Gattung des Armesünderblattes im ausgehenden 18. Jahrhundert besteht immer noch ein ausgesprochenes Forschungsdesiderat, wie Jörg Schönert schon 1991 feststellte. 11 Sicher spielt dabei eine Rolle, dass das Armesünder- blatt um 1780 vom aufklärerischen Diskurs, aber auch von der sich etablierenden anthropologisch motivierten Kriminalerzählung und sensationalistischen Zeitungsberichten überschattet wird. Im Gesamtkontext der Medienentwicklung erscheint es als wenig profilierter Zwitter aus Dokumentation, Belehrung und Unterhaltung, der sich einer stringenten Zuordnung entzieht. Je nach (zu engem) disziplinärem Blickwinkel erscheint es als Ausläufer oder Vorläufer, Parallelstück oder überlebte Kuriosität, aber es wurde bisher kaum in seiner kompositorischen Eigenart 9 (Schößler). 10 11 (Mills); (Gee). (Schönert, Imm und Linder), hier S. 38. 6 gewürdigt. In jüngster Zeit beschäftigten sich nur Friedrich Adomeit 12 13 und Gerhard Ammerer mit einigen Salzburger Exemplaren und analysierten die rechtsgeschichtlichen Hintergründe wie auch die poetologische Struktur eines ausgewählten Blattes. 14 Ammerer schlägt eine „Edition in Auswahl“ der „noch weitgehend unbekannten und unbearbeiteten Kriminal- bzw. Strafrechtspublizistik“ vor, um Fragen nach „Obrigkeitlichen Legitimationsstrategien“ oder Grundlagen der Strafrechtsvorstellung nachgehen zu können. Diese Studie versteht sich als ein Beitrag und Schritt auf dem Weg. Der französische Philosoph und Kulturwissenschaftler Michel Foucault stieß 1975 mit seiner kontroversen Studie Überwachen und Strafe: Die Geburt des Gefängnisses 15 ein intensives Inte- resse an einer historischen Kriminalitätsforschung an, die sich – anders als die klassische Rechts- oder Sozialgeschichte – durch kulturgeschichtliche Fragestellungen auszeichnet. 16 Sie berührt vielfältige Nachbardisziplinen und gilt als „Laboratorium für weiterführende Frage17 stellungen“. Die Sattelzeit zwischen der Mitte des 18. und der Mitte des 19. Jahrhunderts gilt in der Rechtsgeschichte als eine Epoche wichtiger säkularer Umbrüche. Sie ist jedoch noch relativ wenig erforscht, sei es wegen der Quellenlage, sei es wegen der traditionellen Zeit- 12 13 (Adomeit). (Ammerer und Adomeit). 14 Ammerer nennt den „bescheidenen” Aufsatz von Katrin Kastl (Kastl) und zwei ungedruckte Arbeiten aus Wien, die „inhaltlich wenig zu bieten” hätten. (Ammerer), S. 272, Fußnote 9. 15 (Foucault, Überwachen). 16 Im Folgenden nach (Habermas und Schwerhoff), Vorbemerkung S. 9-16. Vgl. auch (R. Habermas); (Landwehr, „Jenseits“); (Schwerhoff, „Medienverbund“). 17 (Habermas und Schwerhoff), S. 10. Ähnlich auch (Kesper-Biermann und Diethelm). 7 abschnitts-Spezialisierung der Geschichtswissenschaft. Der Sammelband von Rebekka Habermas und Gerhard Schwerhof beschäftigt sich ausdrücklich mit dieser Epochenschwelle, wobei die beobachteten Kontinuitäten und Differenzen eindeutige Zuordnungen in Frage stellen. 18 Das stetig wachsende Feld der Historischen Kriminalitätsforschung konzentrierte sich lange Zeit auf Forschungen zum Mittelalter und zur Frühen Neuzeit. 21 „Policey“ 19 20 Delinquenz und Minderheiten , und Autoritätsbehauptung im werdenden Staat, Genderfragen 22 und Rechtsver- ständnis in ländlichen und städtischen Gesellschaften sind wichtige Schwerpunkte. Von besonderem Interesse ist der Ablauf des Rechtsfindungs- und Strafprozesses in einem uns fremd23 24 artigen Gesellschaftssystem. Der entliche Rechtstag , Ehr- und Leibesstrafen , die Figur des 18 (Habermas und Schwerhoff). Darin die Aufsätze von (Härter, „Entwicklung des Strafrechts“); (Landwehr, „Jenseits“) und (Wettmann-Jungblut). 19 (Kesper-Biermann und Diethelm),( Kesper-Biermann und Klippel), (Schmitt und Matheus), (Blauert und Schwerhoff, Waffen), (Blauert und Schwerhoff, Kriminalitätsgeschichte), (Schwerhoff, Aktenkundig). 20 Schon früh und ausführlich zum Räuberwesen siehe (Des bekannten Diebes, Mörders und Räubers Lips Tullians, und seiner Complicen Leben und Übelthaten, Dabey GOttes sonderbare Schickung erhellet / als vor der Königl. Commission neun Personen ohne Tortur, ihre begangenen grossen Missethateh gültlich bekannt haben / ohngeachtet ihrer Viere davon zu anderen Zeiten, die Tortur zum 3. und 4. mahlen ausgestanden, und die Wahrheit halsstarriger Weise verhalten), (Lange), ( Reif), sowie die neueren Arbeiten von Gerhard Fritz (Fritz, Räuberbanden; Fritz, Rotte). 21 Siehe besonders die Arbeiten von Karl Härter: (Härter, „Policeygesetzgebung“; Härter, „Praxis in Kurmainz“; Härter, „Entwicklung des Strafrechts“). 22 z.B. zum geschlechtsspezifischen Sozialverbrechen des Kindsmordes: (Dülmen, Kindsmord); (Ulbricht). 23 (Nowosadtko, „Hinrichtungsrituale“); (Schild, „Entlicher Rechtstag“); (Backmann und EckerOffenhäusser). Dazu auch (Hampe). 24 (Lidman). 8 „unehrlichen“ Henkers oder Scharfrichters 26 Publikationen 27 und Ausstellungen. 25 sind Gegenstand vieler älterer und auch populärer Leicht erliegt man der Faszination eines gruseligen „Kuriositätenkabinettes“, missachtet man die Funktion von Folter und Todesstrafe im gesellschaftlichen und historischen Kontext und bewertet das Geschehen unter einem modernen 28 Blickwinkel. Richard van Dülmens grundlegende Interpretation vom „Theater des Schreckens“ als Mittel der sozialen Kontrolle wird von Richard Evans weitergeführt, der die „Rituale der Vergeltung“ der Neuzeit im Sinne Foucaults als Autoritätsdiskurs beschreibt. schnitt zum „Inszenierten Töten“ analysiert Jürgen Martschukat 30 29 In seinem Längs- den Wandel vom frühneuzeitlichen zum modernen Strafvollzug im Licht der Zivilisationstheorie von Norbert 31 Elias , gestützt auf Quellen aus dem Hamburger Stadtrecht. 32 Alle drei Wissenschaftler beschreiben dabei ein Auseinanderfallen von Volks- und Elitenkultur, zwischen dem „rohen 25 (Schattenhofer); (Dülmen, Unehrlichkeit). In der GCC vorhanden ist der Nachdruck des Tagebuchs des Nürnberger Scharfrichters Meister Franz (1578-1617) (Schmidt). Neuauflage durch (Jacobs und Rölleke). 26 27 28 29 30 (Hollweck). (Hinckeldey und Tauber). (Dülmen, Theater; Dülmen, Verbrechen). (Evans, Rituale). (Martschukat). Diese Habilitationsschrift ist teilweise als Gegenentwurf zu Evans konzipiert. 31 (Elias). Jutta Nowosadtko vermisst in ihrer Rezension jedoch eine „pointiertere und ausführlichere Stellungnahme” durch Martschukat. (Nowosadtko, „Rezension Martschukat”). 32 Die Arbeit von Petra Overrath zur Todesstrafe in Bayern konzentriert sich auf den Mentalitätswandel im 19. Jahrhundert und liefert statistisches Material. (Overath). 9 Pöbel“ und dem „aufgeklärten Bürger“, welcher dem karnevalesken 33 Spektakel einer Hinrich- tung eher fernblieb. Meine vorliegende Studie geht daher auch der Frage nach, ob und inwiefern das Armesünderblatt als eine Art „Ersatzöffentlichkeit“ für den lesenden Bürger gewertet werden kann. Neben der Frühen Neuzeit ist der zweite, sich erst etablierende, Forschungsschwerpunkt die Rekonstruktion kriminologischer Diskurse und Praktiken der Moderne. Dafür werden vor allem Pressemedien und Fachbücher ausgewertet. 35 34 Die Untersuchungen zu Konstruktion des Krimi- 36 nellen in kriminologischer , psychologischer und medizinischer Hinsicht sind deutlich vom Ansatz Foucaults inspiriert, mit dem er, etwa in Wahnsinn und Gesellschaft 37 bzw. Die Geburt 38 der Klinik , eine sich ausbildende Disziplinargesellschaft beschreibt. Im Großen und Ganzen zeigen die Armesünderblätter relativ geringen Anteil an der ideologischen Neuorientierung. Sie verschließen sich jedoch nicht gänzlich dem gewandelten Verständnis vom Verbrecher als Mensch, dessen Tat psychisch und soziologisch motiviert ist, wie späte Reime zeigen. Auch in der Literaturwissenschaft ist seit längerer Zeit eine vermehrte Hinwendung zu Berichten und Erzählungen über Kriminalität unter dem Gesichtspunkt der Sozialgeschichte zu beobachten. Dem Münchner Forscherkreis um Jörg Schönert, Joachim Lindner und Claus-Michael Ort 33 Vgl. Michail Bakhtins Begriff des Karnevals als anarchischen Gegenort zur obrigkeitlichen Hierarchie. (Bakhtin). 34 35 36 37 38 (Habermas und Schwerhoff), S. 11. (Hutchings). (Stuart, „Insanity Defense”); (Becker); (Greve). (Foucault, Wahnsinn). (Foucault, Klinik). 10 sind wichtige Konferenzbände zur epochen- und gattungsübergreifenden Erforschung von erzählter Kriminalität zu verdanken: Literatur und Kriminalität mit Schwerpunkt im späten 19. Jahrhundert (1981) 39 mit der Studie Schönerts zur „Ausdifferenzierung des Genres >Kriminalge- 40 41 schichten<“ ; der Band Erzählte Kriminalität zwischen 1770-1920 (1985) mit der Studie von Eckhardt Meyer-Krentler zur „Poetik des Sachverhalts im juristischen Schrifttum des 18. Jahr42 43 hunderts“ , sowie ein Band Verbrechen – Justiz – Medien zum 20. Jahrhundert. Beiträge zu einer vierten interdisziplinären Tagung Recht und Moral in Kiel 2011 sind in Vorbereitung. 44 Die literaturwissenschaftlich orientierte Forschung zu narrativen Aufbereitung von Verbrechen im „langen 18. Jahrhundert“ ist vielfältig und lebendig. Dabei werden vermehrt kleine Prosa 45 und heute unbekannte Texte in den Blick genommen, die ausdrücklich als Teil eines Medienverbundes von Kriminalgeschichte und Kriminalgeschichten eingestuft werden, z.B. von 46 47 48 Gerhard Schwerhoff , Alexander Kosenina , Richard Evans . Als frühneuzeitliche Vorformen der Kriminalerzählung der Aufklärung sind die barocken Exempla, etwa die Trauer– und Mord- 39 40 41 42 43 44 45 (Schönert und Broich). (Schönert). (Schönert, Imm und Linder). (Meyer-Krentler). (Linder und Ort). (Ort und Friedrich) [in Vorbereitung]. (Althaus, Bunzel und Göttsche). 46 (Schwerhoff, „Medienverbund“). Vgl. auch seine Einführung in die historische Kriminalitätsforschung: (Schwerhoff, Aktenkundig). 47 48 (Kosenina, „Recht-gefällig“). (Evans, Rituale). 11 49 50 geschichten Georg Philipp Harsdörffers , zu werten, wie Ingo Breuer herausarbeitet. Thomas Altmann beschreibt die Exekutionsanekdote des Kompilationsschrifttums um 1680 als „Archetyp frühneuzeitlichen Erzählens“ 51 , das neben Vermahnung, Abschreckung und Affekt- abfuhr auch die curiositas des Lesers bedient. Horst Dainat 52 untersucht Drucke der Spitz- buben–Unterhaltungsliteratur im 18. Jahrhundert, während Alexander Kosenina 53 sich ver- mehrt mit Fallgeschichten und ihren literarischen Pendants seit der Aufklärung beschäftigt. Thematisch übergreifend sind die älteren, immer noch wertvollen Arbeiten von Carsten Zelle zu Folter und Ästhetik des Schreckens 54 sowie die genderorientierte Längsschnitt–Arbeit von 55 Susanne Kord zu Mörderinnen in der deutschen Literatur . Einzelaspekte der engeren, eher dokumentarischen Quellengattung der Kriminalberichte und Flugblattliteratur werden auch in den amerikanischen German Studies untersucht, wenn auch relativ unabhängig von der deutschen Forschungslandschaft. So bespricht Joy Wiltenburg For56 57 men des Sensationalismus , Kathy Stuart den „Suicide by proxy“ , während Susanne Kord die 49 50 51 (Harsdörffer, Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte). (Breuer). Dazu neuerdings (Dane). (Althaus). 52 (Dainat, „Unglücklicher Mörder“; Dainat, „Wie wenig“; Dainat, Abaellino; Dainat, „Räuber im Oktavformat“; Dainat, „Gespräche“). 53 (Kosenina, „Recht-gefällig“; Kosenina, „Anthropologische Kriminalgeschichte“; Kosenina, „Rechtsaufklärung“; Kosenina, „Erfindung“; Kosenina, „Schiller und Fallgeschichte“; Kosenina, „Schiller und Pitaval“). 54 55 56 (Zelle, Grauen; Zelle, „Brutalität“). (Kord, Murderesses). (Wiltenburg, „True Crime“; Wiltenburg, „Sensationalismus“; Wiltenburg, „Christianity“). 12 Lust am Lesen von Folterberichten 58 beschreibt. Eine detaillierte Auswertung von überregio- nalen Zeitungsberichten zum Thema „Verbrechen“ steht noch aus. Für den mediengeschichtlichen Aspekt der (Bild)Publizistik sind zunächst die grundlegenden Arbeiten von Michael Schilling 59 und Wolfgang Harms 60 zum illustrierten Flugblatt heranzu- ziehen. Auch wenn ihr Untersuchungszeitraum das Barock und nicht das Jahrhundert der Aufklärung abdeckt, so sind Erkenntnisse doch fruchtbar für die Diskussion des Armesünderblattes. Dies gilt auch für die Fragen von Alfred Messerli 61 und Daniel Bellingradt 62 zur Leseöffent- lichkeit in der Frühen Neuzeit, was jedoch angesichts einer sich steigernden Lesefähigkeit auch breiterer Schichten für die Sattelzeit relativiert werden muss. Allerdings sind nur wenige, kritische Aussagen zur zeitgenössischen Rezeption bekannt, so dass man hier auf spekulative Rückschlüsse angewiesen ist. Versuchte man eine schlagwortartige Bewertung des Phänomens „Armesünderblatt“, so ließe es sich am am ehesten unter „Sozialdisziplinierung“ und „Schauerlektüre“ einordnen. Allerdings greift ein solch eindimensionales Urteil viel zu kurz und wird den vielfältigen sozialen, juristischen, medialen und literarischen Aspekten nicht gerecht. Die vorliegende Studie mit ihrer detaillierten Analyse einzelner Blätter und ihrer Nachdrucke zeigt überraschende Ergebnisse. 57 58 59 60 61 62 (Stuart, „Suicide by Proxy“; Stuart, „Insanity Defense“). (Kord, „Wächtler“). (Schilling, Bildpublizistik; Schilling, „Historische Bildquellen“; Schilling, „Anpassung“). (Harms); (Harms und Schilling, Flugblatt). (Messerli). (Bellingradt). 13 Sie erschüttert die gängige Forschungsmeinung, die Hinrichtungszettel seien kurzlebige Gelegenheitsdrucke gewesen, die nur von den unteren Schichten konsumiert wurden. Im Gegenteil, sie verdanken Verbreitung und Überleben nicht zuletzt den Sammlungen aus bürgerlichen Kreisen. 14 2 Die Sammlung German Criminology Collection an der Michigan State University Die Michigan State University Library besitzt die umfangreiche Sammlung German Criminology Collection (GCC), die von der Abteilung Special Collections unter der Leitung von Dr. Peter Berg betreut wird. Sie umfasst etwa 1300 Titel aus dem weiten Themengebiet „Verbrechen und Strafwesen“, vornehmlich deutschsprachige Druckwerke und Manuskripte. Der Bestandszeitraum erstreckt sich vom Mittelalter bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Meines Wissens wurde diese Sammlung nur gelegentlich in den 1980er Jahren für Lehre 64 schung 63 und For- im German Program der MSU eingesetzt und geriet in Vergessenheit. Bis vor kurzem waren nur einige wichtige und seltene Titel in den allgemeinen Bibliothekskatalog aufgenommen; seit 2012 sind die meisten durchgängig und mit Pertinenz–Schlagworten erfasst. Die Provenienz aus der ursprünglichen German Criminology Collection wird weiterhin verzeichnet und kann so als Suchkriterium eingesetzt werden. 65 Während der Recherchen für diese Studie hatte ich direkten Zugang zu den unkatalogisierten Beständen und dazugehörigen Archivunterlagen. Die intensive, unvermittelte Sichtung und Begutachtung war ein unschätzbarer Vorteil beim Erkennen und Zusammenstellen eines Korpus und für die Entwicklung von Forschungsfragen. 63 Von den Professoren Pat McConeghy undPat Paulsell sowie Jeannine Blackwell. 64 Prof. McConeghy betreute die Magisterarbeit von David Lederer über die Kitzinger UrphedVerschreibungen. (Lederer). 65 Im Text der Studie wird nach den Nummern aus dem provisorischen Verzeichnis der German Criminology Collection zitiert. 15 2.1 Herkunft und Erwerb Die genaue Herkunft und der Erwerb der German Criminology Collection durch die MSU kann heute leider nicht mehr eindeutig nachverfolgt werden. Dennoch lässt sich die plausible These vertreten, dass die Sammlung um die Wende zum 20. Jahrhundert in den USA zusammengestellt wurde. Im Jahr 1965 verkündete Dr. Richard Chapin, der damalige Direktor der MSU Libraries, den Erwerb der Sammlung „from the library of the Castle in Nuremberg“, wie der East Lansing Towne Courier vom 6. August berichtet. 66 Es wurde damals spekuliert, dass es sich um Kriegs- beute aus dem Zweiten Weltkrieg handeln könne. Es schien plausibel, dass die GCC über den New Yorker Buchhändler Hans Peter Kraus erworben wurde, der auf mittelalterliche Bücher und seltene Bücher spezialisiert war und mit dessen Firma die MSU eine lang andauernde und solide Handelsbeziehung unterhielt. 67 Der Kaufbetrag soll $ 65 000, eine große Summe, betra- gen haben, was aber nicht mehr belegt werden kann. 68 1990 stellte Dr. Peter Berg, der jetzige Direktor der MSU Special Collections, einen Drittmittelantrag, um die Sammlung zu katalogisieren, konservieren und auf Mikrofilm aufzunehmen. Dabei spielte die Frage, ob es sich um möglichweise um verschlepptes Kulturgut handelt, eine Rolle. Um mehr Information über den Erwerb zu erhalten, korrespondierte er mit Roland Folter 66 „MSU gets book collection”. East Lansing Towne Courier, Aug 6, 1965. Der Zeitungsausschnitt wurde vom Michigan Press Clipping Bureau, East Lansing, Michigan, besorgt. Ein zweiter, kürzerer Ausschnitt verzeichnet weder Datum noch Herkunft. 67 (H. P. Kraus). 68 Peter Berg erinnert sich, einen schmalen Quittungsbeleg gesehen zu haben, der aber nicht mehr auffindbar ist. 16 und Mary Ann Mitchell, Erben und Nachfolger der Firma H.P.Kraus, allerdings vergeblich. Das New Yorker Büro konnte in den gut dokumentierten Verkaufsunterlagen mit East Lansing keinen Hinweis auf eine German Criminology Collection auffinden. Als Möglichkeit wurde der Verkauf durch eine ihrer Zweigstellen, H.P. Kraus Periodicals in Maranomek oder Peter Kraus Perio69 dicals in Liechtenstein vorgeschlagen. Leider wurden mit der Auflösung der Firma H.P. Kraus 2008 deren Unterlagen vernichtet, so dass auch diese Spur nicht mehr verfolgt werden kann. 70 Die Frage nach dem Verkaufsweg, bzw. ob und wie H. P. Kraus in den Besitz der Sammlung gelangt sein könnte, kann heute nicht mehr beantwortet werden. Eine genaue Analyse der Bestände untermauert berechtigte Zweifel an der Kriegsbeuten-Spekulation. Die German Criminology Collection befand sich m.E. nach bereits seit längerem in den USA, als sie 1965 von der MSU erworben wurde. Argumente dafür finden sich im Aufbau der Kollektion und, wichtiger, in den Begleitdokumenten. Zusammen mit den Büchern befinden sich zwei englischsprachige Kataloge, die mit Schreibmaschine geschrieben sind. Die Verzeichnisse der beiden Kataloge decken sich nahezu vollständig mit dem tatsächlichen Bestand, wie er in den Räumen von MSU aufzufinden war. Der Catalogue, of Books on Criminology ist im Titelblatt auf das Jahr 1906 datiert. 69 70 71 Vermutlich stammt der Namensindex Alphabetical Index of Names, (Mitchell und Folter). (Reese). 71 Die Exemplare bei der Sammlung sind moderne Fotokopien in Spiralbindung mit schwarzem Plastikdeckel. Die Originale habe ich nicht einsehen können. 17 72 Dutch, Italian, English, French and Latin aus dem gleichen Zeitraum. Der Katalog ordnet den Bestand nach Sachgebieten, besonders werden Dokumente zum gleichen Justizfall zusammen aufgelistet, etwa zur Ermordung Kotzebues durch Sand. Es sind keine Spuren einer früheren Katalogisierung oder sonstigen Ordnung an den Büchern festzustellen, allenfalls einige Eigentümereinträge. Datierung und systematische Ersterfassung sind klare Hinweise darauf, dass die Kollektion erstmals um die Jahrhundertwende zusammengestellt und wahrscheinlich zum Verkauf auf dem amerikanischen Markt angeboten wurde. Ein möglicher Händler wäre Dr. A.S. Rosenbach (1876-1952) aus Philadelphia, der eines der wichtigsten amerikanischen Antiqua73 riate in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts innehatte. Ein zweiter Befund unterstützt die These, dass die GCC keine einheitliche Sammlung aus Nürnberg ist, sondern aus mindestens zwei Quellen in Amerika zusammengelegt wurde. Die meisten Dokumente tragen kleine Etiketten mit den korrespondierenden Katalognummern. Dabei sind die Ziffern 1 und 7 im amerikanischen, nicht deutschen Stil geschrieben. Man kann deutlich zwei Dokumentengruppen unterscheiden. Ältere Drucke und Handschriften, vornehmlich aus dem süddeutschen Raum, sind mit roten Etiketten gekennzeichnet. Viele neuere Stücke aus dem 19. Jahrhundert stammen aus dem Großraum Berlin und anderen mitteldeutschen Städten. Sie tragen blaue Etiketten. Es existierten also zwei verschiedene Korpora von in Deutschland gedruckten Texten zum Thema „Verbrechen“, die in Amerika zusammengefügt wurden. Darüberhinaus finden sich in der GCC einige Bücher mit historisch-politischem Inhalt, die in den 72 (Catalogue, of Books on Criminology), (Alphabetical Index of Names, Dutch, Italian, English, French and Latin; Catalogue, of Books on Criminology). 73 (Wolf). Rosenbachs Onkel Moses Pollock (1817 – 1903) war ebenfalls als Antiquar tätig. 18 USA auf Deutsch gedruckt wurden. 74 Lückenlos in die bestehende Katalogs-Nummerierung eingefügt, waren sie bereits im Besitz des Händlers, als dieser die beiden umfangreichen deutschen Sammlungen vereinte. Selbstverständlich schließt diese Rekonstruktion nicht aus, dass Kernelemente aus der Burg zu Nürnberg oder der städtischen Ratsbibliothek, welche 1370 als eine der ersten öffentlichen Bibliotheken gegründet wurde, stammen. Dies gilt besonders für Drucke und vor allem Manu75 skripte mit spezifisch Nürnberger Bezügen, so etwa das MS Nürnberger Malefizbuch , eine Chronik mit lokalen Todesurteilen, die sich über mehrere Jahrhunderte erstreckt, oder der 76 Druck Reformacion der kayserlichen Stat Nuremberg von 1503. Andere, durch das Druckhaus Endter in Nürnberg verlegte Bücher waren Bestseller und wurden durch Buchmessen und Tauschhandel überregional vertrieben. 77 Es besteht kein zwingender Grund zur Annahme, dass die Exemplare der GCC in Nürnberg selbst gehalten worden seien. 2.2 Bestandsbeschreibung Die German Criminology Collection besteht aus ungefähr 1300 Druckwerken und etwa 50 Manuskripten mit rechtlichem Inhalt. 74 78 Die Spanne der Publikationsdaten reicht von 1492 bis z.B. (Proyart). 75 (Folgt hernach | die Ordnung deß | Hals Gerichts, Wie | es allhie in Dieser Keyß. | Reichs Statt Nürnberg | gehalten wird [Malefizbuch Nürnberg, Manuskript]). 76 77 (Reformacion der kayserlichen Stat Nuremberg). z.B. (Abele). Ebenso (Francisci). 78 Beigefügt ist auch ein Reliquar-ähnlicher Rahmen mit einem Stoffstück, das dem Märtyrer der frühen Reformation, Jan Hus (~1369-1415), zugeschrieben wird. 19 1870, wobei viele der frühen Drucke nicht datiert sind. Die meisten Drucke sind in Deutsch (etwa 1000) oder der Gelehrtensprache Latin (230), danach folgen Französisch (50), Englisch (6), Italienisch (1), Holländisch (1). Die meisten Texte haben dokumentarischen, nicht fiktionalen Charakter. Sie sind als Fachliteratur im weitesten Sinne einzustufen. Der materielle Zustand der Sammlung ist nicht sehr gut und erfordert substantielle Konservie79 rungsarbeit. 80 1492. Einige bedeutende Stücke wurden restauriert, z.B. der Hexenhammervon Die Manuskripte waren verhornt, verschmutzt und nahezu unleserlich. Schimmel, Stock- und Wasserflecken sind ein Problem. Gebrauchsspuren wie gebrochene oder abgerissene Buchrücken, fehlende Einbanddeckel und Titelblätter und unvollständige Ausgaben zeugen davon, dass mit den Stücken nachlässig umgegangen worden war, bevor sie in der Sammlung zusammengetragen wurden. Die Aufnahme von nicht-perfekten Exemplaren und Duplikaten offenbart einen quantitativ-thematischen Ansatz, der sich durch kommerzielle Interessen erklären lässt. Der ältere Bestand, bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, kann verallgemeinernd als Gebrauchstexte und didaktisch-dokumentarische Literatur beschrieben werden: Juristische Dissertationen und Traktate, Gerichtsdokumente, Berichte und Aufsätze überwiegen. Rein fiktionale Texte, etwa Romane, sind nicht gelistet, allerdings sind die Gattungs- und Stilgrenzen fließend. Soweit lokalisierbar, liegt der Entstehungschwerpunkt im süddeutschen Raum, besonders in Bayern. Neben dem erwähnten Nürnberger findet sich auch ein Manuskript eines Augsburger Malefiz- 79 80 vgl. Zustandsbeschreibung und Kostenvoranschlag in der Grant-Application von 1990. (Berg). (Kraemer und Sprenger). 20 buchs, das bis 1759 geführt wurde. 81 Gerichtsurkunden mit Urphede-Eid gewähren Einblicke in die „sozio-politische Verfassung von Kitzingen im frühen 16. Jahrhundert“, als während des Bauernkrieges 1525 Rebellen aus der Stadt verbannt wurden. 82 Die gedruckten Todesurteile, mit denen sich die vorliegende Studie beschäftigt, stammen vorwiegend von Reichstädten und Landesgerichten aus dem bayrisch-württembergischen Raum: Augsburg, Nürnberg, München, aber auch von kleineren Gerichtshöfen und Zuchthäusern. Die jüngeren Dokumente, vorwiegend aus dem 19. Jahrhundert, lassen sich von Thematik und Druckorten eher in den Großstädten des mittleren und nördlichen Deutschland ansiedeln: Hamburg, Köln, die Buchmessenstadt Leipzig und, mit besonderem Schwerpunkt, Berlin. Neben vielfältigen Essays über juristische Reformen im Übergang zur Moderne 83 finden sich vor allem Erzählungen von berühmten Verbrechen und Verbrechern. Vorgebliche oder tatsächliche Autobiographien, oft aus dem Französischen übersetzt, gehen zusammen mit populären Fallsammlungen des Neuen Pitaval. 84 Die kleinformatigen Heftchen der Berliner Criminalbibliothek von Temme basieren auf „wahren Fällen“. 85 Sie erschienen um 1870 und waren zur Unterhaltung als Eisenbahnlektüre gedacht. Ausgesprochen literarische Texte wie etwa Schillers Verbrecher aus verlohrener Ehre (1786) oder E.T.A. Hoffmanns Fräulein von Scuderie (1820) fehlen völlig in 81 82 83 84 85 (Augsburg, Augsburger Malefiz= | Ordnung). (Lederer), Abstract [p.ii]. Meine Übersetzung, MB. (Boysen); (Falkenberg). (Hitzig und Häring). Z. B. „Mann Oder Weib? Das Verbrannte Kind. Drei Rivalen.“ (Temme). 21 der German Criminology Collection, ebenso der moderne – fiktionale – Detektivroman nach E.A. Poe (1841), bei dem die Aufdeckung des Verbrechens im Zentrum der Narration stehen. Die feststellbare Verschiebung von der legalen Dokumentation zur Leserunterhaltung verweist einerseits auf den kulturellen und soziologischen Wandel im Übergang von der Frühen Neuzeit zur Moderne. Andererseits ist sie ein Produkt – wenn nicht gar Artefakt – der German Criminology Collection selbst, die aus zwei Sammlungen unterschiedlicher Herkunft entstand. Das Versiegen süddeutscher Druckerzeugnisse im Bestand verweist nicht notwendigerweise auf ein Versiegen in der publizistischen Wirklichkeit hin. Im Gesamtbestand der Druckwerke (ohne Manuskripte) lassen sich anhand der Titel und Themen mehrere Sachgruppen identifizieren, die alle einen Bezug zu Verbrechen und Kriminologie, zu Transgression von Normen und deren Ahndung in der Gesellschaft aufweisen. Im Folgenden soll ein thematischer Überblick gegeben werden, geordnet unter chronologischen Gesichtspunkten. Die frühesten Werke sind Publikationen über Hexenwesen, Zauberei und Dämonologie, darunter einige sehr wichtige und seltene Texte, die nicht nur für German Studies, sondern auch für andere Disziplinen wie Geschichte, Soziologie, Religion, Medizingeschichte von Bedeutung sind. 1987 identifizierte Pat Paulsell vom German Department der MSU 30 bedeutende deutschsprachige Drucke zum Thema „Hexenwesen“, u.a. den Hexenhammer von Spengler und Krämer (In86 87 sistoris) von 1492 , Weyer, De præstigiis dæmonvm (1566/1586) und De lamiis (1586) , Bins- 86 87 (Kraemer und Sprenger). (Johann Weyer). 22 88 feld, Tractat von Bekanntnuss der Zauberer und Hexen (1591) , Witekind, Christlich bedencken 89 und erinnerung von Zauberey (1597) . Andere Publikationen aus dem 17. Jahrhundert dokumentieren einen der Höhepunkte der Hexenverfolgung in Deutschland. 90 Mehrere histo- rische Essays und Pamphlete aus dem 18. Jahrhunderts sind hier in den Vereinigten Staaten selten und außer an der Michigan State University nur an der Cornell University oder der University of Pennsylvania vorhanden. 91 Hexenwesen und Hexenverfolgung als soziales Phänomen wurde seit den 1980er und 1990er Jahren eingehend untersucht. Während die feministisch ausgerichtete Forschung sich besonders dem Gender-Aspekt widmete, betont man heutzutage eher die multidimensionalen Ursachen und Dynamik der Ereignisse. 92 Es ist wünschenswert, die Originaltexte weiterhin zugänglich zu halten. Die nächste Bestandsgruppe ist die der juristischen Dissertationen und Gesetzeskommentare, sowohl aus dem weltlichen als aus dem kirchlichen Recht. Vorgelegt an den Universitäten von Halle, Leipzig, Frankfurt sind sie - zumindest der Titel - in Latein, der lingua franca der Gelehrten, geschrieben und entstanden hauptsächlich zwischen 1600 und 1750. 93 Die Themen sind weitgestreut: Duelle, Folter, Kommentare zum Reichsgesetz der Peinlichen Halsgerichtsordnung 88 89 90 91 (Binsfeld und Vogel). (Witekind). Z.B. (Goldast); (Spitzel); (Bekker). Brief von Jeannine Blackwell (September 5, 1992). (Berg), S. 57-60, hier S. 58. 92 (Behringer, Witches and witch-hunts: a global history); (Kors und Peters).Vgl. auch die Webseite zur Hexenforschung (Moeller). 93 Der schwarze GCC Katalog verzeichnet sie auf den Seiten 5-18. 23 94 Kaiser Karls V. von 1532, der sogenannten Carolina und zu Prozessordnungen, aber auch zu Aberglauben und Dämonologie als einem rechtlichen Problem der Frühen Neuzeit. Ein seltenes Dokument ist eine Version der Bamberger Halsgerichtsordnung (1508?) mit Holzschnittillustrationen zu Gerichtsszenen und Rechtsprinzipien. 95 Der Wert dieser Drucke für die Rechtsge- schichte kann hier nicht näher bestimmt werden. Eine große Anzahl der Drucke beschäftigt sich mit Landstreicher- und Räuberbanden, die besonders seit dem Ende des 30jährigen Krieges und weit bis ins 19. Jahrhundert hinein den regional zersplitterten Süden Deutschlands heimsuchten. Das älteste Stück ist eine Eingabe an den Reichstag von 1541 wegen der umherziehenden „Mortbrenner“ 96 . Einfache Flugschriften mit Geständnis und Urteil, auch vielseitige Auszüge aus den Gerichtsakten, Berichte über Aufsehen 97 erregende Fälle , Steckbriefe und Handbücher für die Strafverfolgungsbehörden 98 zeugen von 94 (Corpus Juris Militaris, Darinnen insonderheit Das Churfürstl. Brandenburgische Kriegs=Recht und Artickels=Brieff ) ; (Blumblacher). 95 (Schwarzenberg). Die MSU besitzt auch eine Ausgabe von 1580, XX folio KN0.A33 B343 1580. Die Spruchbänder in den Holzschnitten bieten interessante Anknüpfungspunkte zur Sondersammlung von Comics an der MSU. 96 (Supplication - an Kei= | serliche Maiestat - Der | Mortbrenner halben / Auff dem | Reychstag zu Regenspurg / | Kayserlicher Mayestat vber= | antwortet etc. ). 97 (Des bekannten Diebes, Mörders und Räubers Lips Tullians, und seiner Complicen Leben und Übelthaten, Dabey GOttes sonderbare Schickung erhellet / als vor der Königl. Commission neun Personen ohne Tortur, ihre begangenen grossen Missethateh gültlich bekannt haben / ohngeachtet ihrer Viere davon zu anderen Zeiten, die Tortur zum 3. und 4. mahlen ausgestanden, und die Wahrheit halsstarriger Weise verhalten. [...] ) 98 (Gründliche Nachricht Von Entsetzlichen und Erbärmlichen Mord=Thaten / Schändlichen Kirchen=Raub Und vielen gefährlichen Dieb=Stählen Nebst beygefügten Verzeichniß Der Nahmen vieler Spitzbubn / Ihre Gesetze darauff sie schweren müssen / wann sie in die Bande aufgenommen werden / auch die Ceremonien so dabey vorgehen und dereo geheime Ordenn so selbige von ihren Obern empfangen / Darbey eine treuhertzige Warnung und Nachricht Wie 24 dem amtlichen Bemühen, die allgegenwärtige Bedrohung in den Griff zu bekommen, aber auch von der Sensationsneugier der Leser über berüchtigte Banden. So enthält die GCC zahlreiche Titel zu „Schinderhannes“ Johannes Bückler (hingerichtet 1803 in Mainz) oder Mathias Klostermayr, dem „Bayrischen Hiesel“. Eine Untergruppe sind die Wörterbücher der Gaunersprache(n) „Kochum Loschen“ bzw. „Jenisch“, die, aus ermittlungspraktischen Gründen erstellt, auch von der ambivalenten Faszination mit der Gegenwelt zeugen. Die MSU besitzt etwa 12 Titel aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, teilweise als erweiterte oder neuaufgelegte Ausgabe. 99 Dem mehr dokumentarischen Charakter der Sammlung entsprechend fehlen literarische Verarbeitungen der Figur des „Räuber als Rebell“ aus der zeitgleichen bürgerlichen Literatur. 100 Die Französische Revolution war ein einschneidendes Ereignis des langen 18. Jahrhunderts. Sie weckte enormes Interesse und Angst besonders im vom revolutionären Frankreich umkämpften Süden Deutschlands. Der jakobinische Umsturz 102 101 , die Enthauptungen von König Louis XVI. und Marie Antionette, die Gefangennahme des Adels 103 und die Erstürmung Bastille 104 sind das Thema von etwa 40 Bänden. Narrative Biographien und dramatisierte Dialoge zwischen man sich in Städten als auch auff dem Lande gegen solche Mörder und Diebe Einfall wohl verwahren und alles Unglück verhüten kan). 99 z.B. (Pfister);(Diebs- und Räuber=Signalement und Jauner=Wörterbuch); (Train). 100 z. B. Am bekanntesten ist das Drama „Die Räuber” von Friedrich Schiller (1781). (Schiller, Die Räuber. Ein Schauspiel). Der Räuberroman Rinaldo Rinaldini (1799) von Goethes Schwager C.A. Vulpius war ein Bestseller. (Vulpius und Riha). 101 102 103 z.B. (Aschenberg);(Armbruster). (Posselt). (Saint-Meard). 104 (Menzel); (Genaue Beschreibung der Bastille von einem Französischen Edelmanne der vierzehn Jahre in diesen Staatsgefängniß zubrachte). Vgl.auch (Lüsebrink). 25 toten Herrschern 105 stehen neben mehr sachlich-berichtenden Texten, oft aus dem Franzö- sischen übersetzt. Ähnliches gibt es auch zur Englischen „Glorious Revolution“. Die Aufnahme dieser Sachgruppe in die German Criminology Collection offenbart das breite Verständnis des sammelnden Antiquars von „Verbrechen“, das auch politische Umwälzungen einschließt. Zugleich zeigt es, welche Texte und Repräsentationen unter den zeitgenössischen Lesern zirkulierten. Die sozialen und politischen Veränderungen im Übergang zu einem modernen aufgeklärten Staat schlagen sich auch in Reformen des Rechtssystems nieder, in Gesetzen, Gerichtsverfahren und Strafwesen. Die GCC hält mehr als ein Dutzend Werke, die sich mit einer Reform der Gefängnisse im Hinblick auf das Muster des englischen Pentonville befassen. 106 Sie sind oft von und für Praktiker verfasst. Die Einführung des Geschworenengerichtes und extensive Berichterstattung durch die Medien erlaubt eine größere Beteiligung der Öffentlichkeit am Verfahren der Rechtsfindung als in der frühmodernen Periode. Der umstrittene Mordprozess gegen den Kölner Geschäftsmann Peter Anton Fonk von 1822 ist ein Beispiel für die breite Diskussion um das Geschworenengericht und Gerechtigkeit in nach-napoleonischer Zeit. 107 Zusammenfassend ist die German Criminology Collection als breitgefächertes Unternehmen einzuordnen, in dem juristische Spezialliteratur und populäre Unterhaltungsliteratur aus über 105 (Maria Stuart und Marie Antoinette in der Unterwelt. Zwo Königinnen über ihre Schicksale in der Oberwelt. Eine Unterredung). 106 (Julius und Jebb). 107 15 Titel, z.B. (Schößler; Criminal=Prozedur gegen den Kaufmann Peter Anton Fonk aus Köln, wegen der im November 1816 geschehenen Ermordung des Wilhelm Coenen aus Crefeld. Eröffnet bei dem Assisenhof zu Trier den 23. April 1822; Fonk; Wenck). Vgl. auch (Reuber). 26 vier Jahrhunderten zum Thema „Verbrechen und Strafe“ zusammengetragen wurden. Dabei sind vorwiegend dokumentarische und Gebrauchstexte erfasst, die in der Praxis Anwendung fanden, in größeren Stückzahlen gedruckt wurden und so auf dem antiquarischen Buchmarkt zur Verfügung standen. Benutzerspuren, ex Libris-Einträge, Notizen von mehreren Händen zeugen vom Gebrauch der Bücher. Einband, Papier und Drucktypen offenbaren Buch-und Druckgeschichte. Allerdings fehlen wichtige, diskurssteuernde Texte, etwa Cesare Beccarias Von den Verbrechen und von den Strafen (ital. 1765, dt. ab 1770) oder der reformierte Kriminalcodex für Bayern von Paul Anselm Feuerbach (1813). Die Kollektion bzw. das Konglomerat erscheint als das Sammelergebnis von Kennern des Fachgebietes, die lange Jahre auf das Marktangebot an gebrauchten Büchern reagierten. 2.3 Die Armesünderblätter Die vorliegende Untersuchung befasst sich mit den sogenannten Armesünderblättern, das heißt mit kleinen Flugschriften, die anlässlich einer öffentlichen Hinrichtung publiziert wurden. Dabei bildet der reale Bestand der German Criminology Collection an der MSU den Kern des Textkorpus. Die MSU besitzt etwa 200 dieser Gelegenheitsdrucke, z.T. in mehreren Kopien. Sie stammen vornehmlich aus der Zeit von 1750-1820 und aus Süddeutschland. 108 108 Der englisch- Meist mit den roten Etiketten nummeriert, die den älteren, südlichen Teil der GCC kennzeichnen. 27 sprachige Katalog, der die Sammlung begleitet, gruppiert viele der „Leaflets“ 110 „Mord“ bzw. „Urtheil“ 111 109 unter , einzelne finden sich jedoch auch unter ihrem Titel aufgeführt. Die Flugschriften sind eigenständig auf billigem Zeitungspapier gedruckt. Der im Quart-Format (etwa 9x6 Inches oder 22x 18 Zentimeter) gefaltete Druckbogen bietet vier nicht nummerierte Seiten, die vollständig für Text und visuelle Elemente genutzt werden. Sie enthalten einen Titel, das amtliche Gerichtsprotokoll mit Geständnis und Urteil und sind oft ergänzt durch ein ausdeutendes Gedicht bzw. Illustrationen der Hinrichtung oder des Verbrechens. Vier Seiten sind der Standard für die meisten Dokumente. Er wird gelegentlich auf acht oder zwölf erweitert, je nach Anzahl der Klagepunkte, der Natur des Verbrechens oder der Verbindung mit anderen Kriminellen. Die längeren Dokumente zeigen mehr „Buchcharakter“ mit einer leeren verso-Seite 112 des Titelblattes oder mit Bordüren und Vignetten 113 . Jüngere Dokumente, besonders allein- stehende Gedichte, sind gelegentlich im Oktav-Format gehalten. (Abbildung 2, S. 31). 109 110 111 S. 81. Nr. 738-793. Nr. 1071-1163. 112 z.B. (Augsburg, Dienstag den 5. Januarii 1768 wurde Johann Peter Semmel wegen begangenen Kirchen=Raubs und vorhero abgeschwohrner Urphed / zu seiner wohlverdienten Straffe offentlich an das Halßeisen gestellt, und mit Ruthen wohlempfindlich hinausgehauen. Als hat auf Hochoberherrl. gnädige Erlaubnus das Urthel publiciren wollen. Samuel Valentin, Stadt=Gerichts=Waibel; Buchloe, Urgicht sammt Urtheil über den in dem gemeinschaftlichen Zuchthaus Buchloe Puncto Divagationis et Robariä procesierten Xaveri Gestini oder sogenannten Neunfingerle. Welcher den 17ten März 1785 durch das Schwerdt vom Leben zum Tod gebracht, dessen Kopf auf den Galgen gesteckt, der Körper aber auf das Rad geflochten wurde; Schwabmünchen; Buchloe, Urgicht sammt Urtheil über den in dem gemeinschaftlichen Zuchthaus zu Buchloe Puncto Divagtionis, diversorum furtorum nec non Zobbariae, peoceßierten [sic] Peter Schneider oder sogenannten kleinen Peterle welcher den 12ten November 1789 durch 28 Die Titelseite ist meist aufwändig gesetzt, in verschiedenen Schriftgrößen und Schnitten. Der Titel mit Namen, Hinrichtungsort, Datum und Todesart nimmt in der Regel die ganze oder die Hälfte der ersten Seite ein, falls keine Illustration vorhanden ist. Die Schriftgröße oder -größen im nachfolgenden Text sind an dessen Länge angepasst. Vereinzelt wird in zwei Spalten gesetzt. 114 Gelegentlich füllen Ranken oder eine Totenkopf-Vignette leeren Raum am Ende der vierten Seite. Standard-Schriftart ist die deutsche Fraktur, wobei rechtliche lateinische Begriffe im lateinischen Antiqua-Alphabet gesetzt sind. Bisweilen ist der Wortstamm lateinisch, während die angepassten deutschen Wortendungen in Fraktur gehalten sind, z.B. diese „attentirte 115 Diebstähle“ . Andere Elemente, besonders französische oder italienische Wörter, können 116 kursiv gesetzt sein. Die Angaben zu Druckdatum, Drucker oder Autor variieren. Ort und Datum des Druckes fehlen oft bei lokalen Veröffentlichungen, da diese schon im Urteil genannt das Schwerdt vom Leben zum Tod gebracht, dessen Körper aber auf das Rad geflochten, und der Kopf darauf gesteckt worden ist). 113 z.B. (Schwabmünchen); (Buchloe, Urgicht sammt Urtheil über den in dem gemeinschaftlichen Zuchthaus zu Buchloe Puncto Divagtionis, diversorum furtorum nec non Zobbariae, peoceßierten [sic] Peter Schneider oder sogenannten kleinen Peterle welcher den 12ten November 1789 durch das Schwerdt vom Leben zum Tod gebracht, dessen Körper aber auf das Rad geflochten, und der Kopf darauf gesteckt worden ist); (Augsburg, Peinliches Urtheil über Sigmund Vagara, hiesigen 27jährigen Burgerssohn, und verläumdten incorrigiblen Dieb von E. HochEdlen und Hochweisen Rath erkannt, und den 13. Februar 1773 vollzogen auf erhaltene Hochobrigkeitliche Erlaubniß im Druck mitgetheilt von Franz Claudi Wagner Stadt-GerichtsWaibel). 114 115 116 z.B. (Onolzbach). (Neunhof). Die linguistische Markierung durch Drucktypen ist gängige Praxis in der Frühen Neuzeit. 29 werden. Drucker / Verleger führen gelegentlich den Zusatz Stadtbuchdrucker druckerey 118 117 oder Hof- und weisen auf ihr Druckprivileg hin. Nachdrucke sind mit einem Zusatz, etwa Nach dem Dillinger Original buchstäblich gedruckt 120 gekennzeichnet. Gelegentlich finden sich Angaben zum Verkaufsort 119 , und zum Preis von ein oder zwei Kreuzern. Der Verfasser des amtlichen Teiles wird nicht genannt, aber in manchen Fällen werden Mitglieder und Vorsitzender des Gerichtes namentlich aufgeführt. 122 Moralgedichten nennt sich der Autor oder ist identifizierbar 121 Bei einigen , aber oft bleiben sie anonym. Die allgemein gehaltenen Holzschnitte vom Rabenstein sind nicht signiert, allerdings gelegentlich die detaillierten und separat gedruckten Kupferstiche zu individuellen Verbrechen. 117 Andreas Brinhaußer in Augsburg; vgl. (Künast, „Brinhauser: Buchdrucker-, Verlegerfamilie“); (Baumgartner). 118 119 120 121 z.B. Franz Anton Roßnagel in Dillingen (Oberdischingen). (Dillingen). „Zu finden bei Johann Georg Bullmann, in der Fuggerey.“ (Dillingen). z.B. Crim. Commisarius Licent. Heusler für Buchloe. 122 z.B. Baumgartner, Johann Jacob für Augsburg 1742 (Baumgartner) oder die Münchner Veröffentlichungen von Mathias Ettenhueber. 30 Buchheftung, ausgerissen. (München 1781) GCC 1159. Buchheftung, ausgelöst. (Buchloe 1781) GCC 1099. Quartbogen mit Lagerspuren (Augsburg 1769) GCC 1078. Gefalter Druckbogen, Oktav (Rottweil 1827) GCC 966. Abbildung 2. Materieller Zustand. Abbildung dient nur zur Illustration, nicht als Lesetext. 31 Der materielle Bestand an der MSU zeigt verschiedene Spuren von Herstellung und Tradierung der Drucke. (Abbildung 2, S. 31). Viele der Bögen sind am Büttenrand nicht beschnitten und bewahren den Originalzustand frisch von der Presse, so wie sie dem Publikum verkauft wurden. Andere Kopien zeigen deutlich, dass sie einer gebundenen Sammlung entnommen wurden: Heftungslöcher im Umbruch 123 , beschnittene egalisierte Ränder, auch ausgerissene oder abge- schnittene Blätter. Obwohl das Armesünderblatt als solches ein Einzeldruck war, wurden sie doch gesammelt und in Kollektionen gebunden. Leider wurde so der zeitgenössische Überlieferungskontext zerstört, so dass wir nicht mehr erkennen können, ob das Blatt etwa aus einer regional oder thematisch ausgerichteten Sammlung stammt; auch kann nicht mehr nachvollzogen werden, wer die Sammelbindung veranlasst hatte. Das Herauslösen einzelner Seiten aus Büchern ist leider nichts Ungewöhnliches im antiquarischen Handel. Ausgesprochene Benutzerspuren wie Markierungen und Unterstreichungen finden sich nur bei zwei Aufsehen erregenden Fällen, nämlich Klenckler (Augsburg 1768) und Feigel (Nürnberg 1787), die in den Kapiteln 6.2, S. 161 und 6.5, S. 212 ausführlich dargestellt werden. Einige Exemplare, vornehmlich aus der Nachdruckzentrale Augsburg, lassen Lagerungsspuren erkennen. Deutlich nachgedunkelte Ränder zeigen, wo ein anderes Blatt Papier aufgelegen 123 z.B. (Moral=Rede auf den Tod des Johann Schmadel aus Tyrol, Peter Pabst von Insenmus in Baiern, Johannes Wolf von Göggingen, des sogenannten blinden Anton von Weir, und Margaretha Steirin von Singenbo in Baiern. Mit Erlaubniß hoher Obrigkeit. Augsburg, bey Philipp Joseph Fill. Lit. G. Nro. 317; Moral=Rede auf dem Tod des Xaveri Lindner, der lange Veri genannt . Ledigen Stands, aus dem Wallersteinischen gebürtig, 35. Jahr. Karl Lindel, der Stiri genannt , verheurathen Stands Hünnermann, 40 Jahr, aus dem Neuburgisch. gebürtig. Und Anton Wagner, der Kohler genannt, verheurathen Standes, Holzhacker von Oberhausen, 40 Jahr alt. Welche von einem Hochedlen und Hochweisen Rath der heil. Röm. Reichsstadt Augsburg durch das Schwerdt vom Leben zum Tod den 30. Jänner 1790 hingerichtet wurden). 32 124 hat. Schief eingedruckte Illustrationen oder Korrekturanmerkungen sind zu finden, auch ge- faltete, aber nicht aufgetrennte Druckbögen 125 . (Abbildung 2, S. 31). Möglicherweise handelt es sich hier um Überreste aus Druckwerkstätten, z.B. Probe- und Fehldrucke oder auch unverkaufte Kopien, die beim Auflösen eines Betriebes auf den Markt und in die GCC gelangten. 124 125 (Innsbruck). (Rottweil). 33 3 Die Todesstrafe im nationalen und bayrischen Strafrechtssystem Armesünderblätter begleiten und dokumentieren die extremste Form des staatlichen Justizund Strafmonopols, nämlich die Lebensaberkennung und Hinrichtung eines Menschen, der schwerwiegend gegen die Normen der Gemeinschaft verstoßen hat. Bei diesem gesellschaftlichen Rechtsfindungsprozess besteht ein besonderes Bedürfnis nach Regelung und Sicherheit, um Willkür und Ungerechtigkeit vorzubeugen. Die Publikation der Urteile blüht in einer Zeit des Übergangs, als die alte frühneuzeitliche Strafrechtsordnung formal noch in Kraft war, aber durch Reformdiskussionen und die juristische Praxis in Frage gestellt wurde. Die Todesstrafe wird durch ein vielfältiges Netz an landesherrlichen und reichsübergreifenden Gesetzen geregelt, deren Entwicklung im Folgenden kurz dargestellt werden soll. Allerdings muss man bedenken, dass es gerade in der Frühen Neuzeit große Unterschiede zwischen Theorie und Praxis gab, also zwischen den obrigkeitlich geforderten Regelungen und der tatsächlichen Umsetzung durch die regionalen und lokalen Behörden. 126 Im langen 18. Jahrhundert wandeln sich Gesetzesgrundlage und Verfahren unter dem Einfluss der Aufklärung und Maßnahmen zur verbesserten Regierungseffizienz. Das zentral-absolutistisch geführte Bayern reagiert früh auf Forderungen nach einem einheitlichen, vom Reich unabhängigen, verbesserten Strafrecht, das den Bedürfnissen eines nationalen Flächenstaates entgegenkommt. 126 Dazu besonders (Härter, „Entwicklung des Strafrechts"). 34 3.1 Die Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. Carolina (1532) Frühneuzeitliche Rechtsgrundlage für die Verhängung von Todesurteilen war die Constitutio Criminalis Carolina, die „Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V.”, die 1532 für das gesamte Heilige Römische Reich Deutscher Nation Reich trat. 127 Als erstes einheitliches Strafgesetzbuch war ihr Ziel, die zersplitterten landesspezifischen Regelungen aus dem Mittelalter zu normieren und die Rechtsunsicherheit zu vermindern. Neben den tradierten deutschen Stammesrechten hatte auch das ius commune, das „gemeine Recht“ an Einfluss gewonnen, das römisches und kanonisches Kirchenrecht reflektiert. Mit den neuen festgeschriebenen Regelungen sollen der Unkenntnis und richterlichen Willkür, der Verschleppung der Verfahren und anderen Missstände entgegengewirkt werden: Vnnd das aus dem selben [ Unkenntnis MB] an viel orten offter mals wider recht vnd gute vernunfft gehandelt vnnd entweder die vnschuldigen gepeinigt vnd getödt, oder aber die schuldiger, durch unordentliche geuerfliche vnd verlengerliche handlung den peinlichen klegern, vnd gemeynem nutz zu grossen nachtheyl gefristet, weggeschoben vnd erledigt werden *…+. 128 Zwar galt die Carolina nur subsidär, d.h. dort, wo keine eigenen Regelungen der Reichsstände vorlagen, aber sie wurde in Folge Vorbild für viele Landesgesetze, z.B. für die bayrische MalefizOrdnung von 1616. Sie wird natürlich in den Freien Reichsstädten Augsburg und Nürnberg eingesetzt, aber auch in den kleinräumigen Herrschaftsgebieten des Südwestens. Die Carolina wird erst in den Nationalisierungs- und Kodifizierungsbestrebungen der einzelnen Herrschafts127 „Peinlich” leitet sich von lat. poena, Strafe ab. Die Carolina geht auf die Bamberger Halsgerichtsordnung des Freiherr von Schwarzenberg von 1507 zurück. (Schroeder);(Landau und Schroeder). 128 Vorrede zur Carolina. Zitiert nach (Schroeder), S. 9. 35 gebiete im späten 18. und 19. Jahrhundert durch landeseigene Gesetze abgelöst, im Deutschen Reich erst mit dem einheitlichen Strafgesetzbuch von 1871. Die Carolina regelt vor allem die Blutgerichtsbarkeit 129 , d.h. Leib- und Lebensstrafen, die nur an ausgewählten Gerichtsorten verhängt werden konnten. Im materiellen Teil werden Straftaten und ihre entsprechend zugeordnete Strafe aufgeführt, beginnend mit Gotteslästerung und Zauberei, dann folgen Fälscherei, Sexualdelikte, Brandstiftung und Raub. Ein ganzer Abschnitt (§§ 130-156) beschäftigt sich mit Fragen von „etlich böse tödtung, vnd von straff der selben thäter“. Dann folgt Diebstahl, denn es galt vor allem, dem wachsenden Berufsverbrechertum der „fahrenden Leute“ mit einer geregelten Strafdefinition und Strafzuteilung zu begegnen, wodurch man sich eine abschreckende Wirkung erhoffte. Die verschiedenen Todesarten Feuer, Schwert, Vierteilung, Rad, Galgen, Ertränken, lebendig begraben Werden sind nach Delikten und nach der Person des Verurteilten gestaffelt. Zusätzlich können die Strafen „geschärft“ werden, etwa durch das Reißen mit glühenden Zangen oder durch das spiegelnde Abschlagen der Mörderhand. Schand- und Ehrstrafen wie Pranger und Verstümmelungen sind Leibstrafen, die ebenfalls hier vorgeschrieben werden. Das Gesetzeswerk legt die Prozessordnung des Inquisitionsverfahrens fest, um richterlicher Willkür vorzubeugen: Anzeige, Beweiserhebung und notwendiges Geständnis, das auch durch die „peinliche Frag“ der Folter erreicht werden kann. Einzelheiten der Urteilsverkündung und der korrekten Urteilsformulierung werden festgelegt. Der genaue Ablauf des „entlichen Rechts- 129 Auch Blutbann, Halsgericht, Hochgericht genannt. Die Grenze zwischen den Gerichtsbarkeiten heißt im Oberdeutschen „Fraischgrenze”; diese Bezeichnung taucht in frühen Armesünderblättern auf, z.B. (Onolzbach; Uffenheim). 36 tag“ als „Theater des Schreckens“ mit seinen symbolträchtigen Elementen wird aufgeführt: vom Brechen des Stabes, über den Zug zur Richtstätte unter Läuten des Armesünderglöckleins bis hin zur Hinrichtung selbst. 130 Es ist ein symbolhaftes Inszenieren von Rechtsprechung und Strafe vor den Augen der Öffentlichkeit. Die göttliche und weltliche Ordnung, welche durch das Verbrechen des „Armen Sünders“ verletzt worden waren, wird durch religiös orientierte Rituale 131 wieder hergestellt. Die Zeugenschaft der sozialen Gemeinschaft und ihre Teilhabe an der Hinrichtung sind eine notwendige Ergänzung zum geheim geführten Inquisitionsprozess. Sie sind Bedingung für die vollständige Heilung der Gesellschaft im frühneuzeitlichen Verständnis des 16. Jahrhunderts. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte bleibt die Carolina die Rechtsgrundlage, wenn auch manche ausgesprochenen Strafen „aus Gnaden“ gemildert ausfallen. So wird z.B. das Ertränken von Kindsmörderinnen durch Enthaupten ersetzt 133 Schwert gewandelt. 132 oder der Strang in das weniger entehrende Hier zeigt sich eine allgemeine Situation im frühmodernen Staat: Verordnungen wurden deshalb so viele erlassen, weil sie ein Akt symbolischer Herrschaft 130 Dazu ausführlich (Dülmen, Theater; Dülmen, Unehrlichkeit); (Evans, Rituale); (Nowosadtko, „Hinrichtungsrituale"); zur Folter (Zelle, „Brutalität"). 131 (Evans, Rituale), S. 65-108. 132 z.B. (Augsburg, Augspurg, den 9. October Anno 1759. wurde Regina Ursula Schülin, geweßte allhiesige Burgers-Tochter und Dienst=Magd, weilen sie ihr in Unehren erzeugtes Kind, ein Knäblein / gleich nach der Geburt / erbärmlicher Weiß ums Leben gebracht, Aus Gnaden, duch das Schwerdt und blutiger Hand vom Leben zum Tod gebracht. ); (Vivis). 133 Z.B. (Augsburg, Peinliches Urtheil über Sigmund Vagara, hiesigen 27jährigen Burgerssohn, und verläumdten incorrigiblen Dieb von E. HochEdlen und Hochweisen Rath erkannt, und den 13. Februar 1773 vollzogen auf erhaltene Hochobrigkeitliche Erlaubniß im Druck mitgetheilt von Franz Claudi Wagner Stadt-Gerichts-Waibel) 37 134 waren. Ihre Durchsetzung war nicht unbedingt das Ziel und wegen der fehlenden Exekutiv- kräfte oft auch nicht möglich, wie man an den sich wiederholenden Edikten gegen die Räuber aufzeigen kann. Ähnlich wurden später Todesurteile zwar gefällt, aber nicht unbedingt ausgeführt, denn dem Staat war aus utilitaristischen und sozialpolitischen Gründen daran gelegen, die Todesstrafen einzudämmen. 3.2 Kodifizierung und Modernisierung des Strafrechts in Bayern Die Carolina hatte die Grundlage für eine reichsübergreifende Rechtseinheit gelegt, aber sie war im 18. Jahrhundert ein Fossil geworden, das dem aufgeklärten Humanitätsideal widersprach. Und der absolutistische Staat Bayern verlangte nach einem einheitlichen Landesrecht. Weil eindeutige Bestimmungen fehlten, kam es zu einer Reihe von Fehlurteilen und ganze Prozesse waren nichtig. Die Folge waren Rechtsunsicherheit, endlose Dauer von Prozessen, hohe Kosten für Gutachten und ein weites Feld für richterliche Willkür. Kurfürst Maximilian III. Joseph (1727-1777) ordnete an, ein „neues vollständiges Jus Criminale *zu+ verfertigen“ , das mit einer „von selbst in die Augen leuchtenden natürlichen Ordnung solche Spezial- und Generalprinzipien“ festsetzt, nach denen „alle und jede Kriminalfälle , sie möchten beschaffen sein, wie immer sie wollen, ohne Beihilf anderer auswärtiger Rechte, Statuten, Gebräuche und Privatmeinungen leicht daraus entschieden werden mögen“. 135 Maximilian III. Joseph beauftragte seinen Vizekanzler Wiguläus Kreittmayr (1705-1790) mit der Reform des Zivil- und Strafrechtes 134 So die neuere Forschungsliteratur zusammenfassend (R. Habermas), S. 34. Siehe auch (Härter, „Rechtsquellen“). 135 Zitiert nach Peitzsch, S. 2. 38 für Bayern. In rascher Folge erscheinen der Codex Maximilianeus Bavaricus Criminalis (1751), der Codex Judicarii (1753) und der umfangreiche Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis (1756), die bis zur erneuten Reform 1813 unter Paul Anselm Feuerbach (1775-1833) in Kraft blieben. 3.2.1 Kreittmayrs Codex Criminalis (1751) 136 Im Codex Criminalis von 1751 und dem zugehörigen Kommentarband (1752) 137 vereinte und ordnete Kreittmayr das Strafrecht und die Strafprozessordnung, allerdings ohne tiefgreifende Reformen durchzuführen. 138 Um die geforderte Einheit und Sicherheit im Strafrecht zu erreichen, bricht Kreittmayr mit dem Subsidiaritätsprinzip des Reichrechts und ersetzt alle bisherigen lokalen Gesetze und Mandate durch ein landesweit gültiges Gesetzbuch, das nach naturrechtlichen und rationalen Gesichtspunkten geordnet ist. Es ist das erste Mal in Deutschland, dass ein Gesetzbuch nach General- und Spezialprinzipien gegliedert ist. Die Carolina und die bayerische Malefizordnung von 1616 enthielten noch materielles und formelles Recht in ungeordneter Form, d.h. Strafrecht und Prozessordnung gingen ineinander über. Der Codex Criminalis von 1751 hat dagegen einen allgemeinen Teil „Von denen Criminal-Verbrechen und Straffen überhaupt“ und einen speziellen Teil „Von denen peinlichen Gerichten und der Gerichtsbarkeit“. 136 Erste Auflage 1751 im Digitalisat der BSB. (Kreittmayr und Maximilian ) Die MSU besitzt die zweite Auflage von 1771 (Kreittmayr, Codex). 137 (Kreittmayr, Anmerkungen), Digitalisat der BSB. 138 Im folgenden nach Peitzsch, dessen Archivarbeit zwar nicht die gesuchten Entwürfe zum Codex Criminalis zu Tage förderte, aber viele ungedruckter Quellen zur Kriminalpolitik und zur Urgichtpublikation benennt. Peitzsch vermutet, dass Kreittmayrs Entwürfe mit den Akten zur Feuerbachs Reform gelagert und mit diesen im Zweiten Weltkrieg verbrannt sind. Er verteidigt Kreittmayr gegen die Vorwürfe der Rückständigkeit und Grausamkeit, der ihm seit der Rechtsreform des Aufklärers Feuerbach gemacht wurden. (Peitzsch). 39 Im ersten Teil werden Tatbestände mit ihren zugehörigen Strafen in folgender Reihenfolge aufgeführt: Diebstahl, Tötungsdelikte, Sittlichkeitsdelikte mit Ehebruch, Religionsdelikte mit Ketzerei, Zauberei und Hexerei 139 , Staatsverbrechen, Fälschungen, Wildschützen, Bettelei, Versuch und Mittäterschaft. Bemerkenswert ist bei dieser Auflistung, dass zum erstenmal seit der Bambergensis (1507), der Vorläuferin der Carolina, nicht mehr Verbrechen gegen die Religion an erster Stelle stehen. Stattdessen werden als häufigste Verbrechen die Eigentumsdelikte, also Diebstahl und Räuberei, zuerst abgehandelt. Die mindestens ebenso häufige Bettelei und Landstreicherei sind Verstöße gegen bloßes Polizeirecht, werden aber im Codex Criminalis mitbe140 handelt – ein Indiz für das dringliche Anliegen der Landesregierung nach innerer Sicherheit. Die Strafen werden eingeteilt in Lebens-, Leibes- und „leichtere Strafen“, welche wiederum Freiheitsstrafen, Vermögensstrafen, Ehrenstrafen und Verweisungsstrafen umfassen. Diese klassische Dreiteilung entspricht der Zuständigkeit der Gerichte. Lebensstrafen konnten nur von den Hochgerichten der Stände verhängt werden, die mit dem Blutbann versehen waren. So war der Churfürstliche Hofrat das Zentralgericht für ganz Oberbayern. Niedergerichte durften nur die geringen Strafen verhängen, Hofmarksgerichte auch Leibesstrafen. Kreittmayer lässt weiterhin die Folter als Bezug als Mittel der Wahrheitsfindung zu. Er beruft sich dabei darauf, „daß die Tortur schon vor tausend Jahren in Bayern gebräuchig gewesen *…+ Kann auch der Nutz, 139 In der aufgeklärten Kritik wurde Kreittmayer der Vorwurf gemacht, dass das Maleficium der Hexerei beibehalten habe. Er zwar übernimmt zwar Anordnungen gegen Hexerei und Zauberei, rät jedoch – sich auf Friedrich Spee berufend – zur Mäßigung und reduziert die Zahl der Delikte erheblich. Dass er diese Bestimmungen überhaupt aufgenommen hat, beruht wohl eher auf Staatsräson und einem Zugeständnis an die herrschende Mehrheitsmeinung als auf seiner inneren Überzeugung. 140 Erst 1789 wurde eine Trennung in der Landes- und Polizeiordnung versucht. (Peitzsch), S. 7. 40 welchen der gute Gebrauch des rechtlichen Mittels hat, aus der Erfahrung nicht widersprochen 141 werden *…+“. Kreittmayer schafft zwar die Folter nicht ab, wie es spätere aufgeklärte Rechts- reformer tun, aber er beschränkt und reglementiert deren Gebrauch gegenüber dem Zustand 142 vor 1751. 3.2.2 Feuerbachs Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern (1813) Die Französische Revolution, Napoleon und das Ende des Alten Reiches stießen tiefgreifende Veränderungen an, die auf eine idealtypische homogene nationale Rechtsgemeinschaft abzielten: Proportionalität, strikte gesetzliche Normierung und Klassifizierung von Delikt und Strafe, ein hierarchischer Instanzenzug mit Schwurgericht, gesetzlichen Richtern, öffentlichem Ankläger, einem öffentlichen mündlichen Verfahren und Verteidigungsmöglichkeit des Angeklagten. Sie ersetzen das frühneuzeitliche Inquisitionssystem nicht vollständig, es verblieben manche Kontinuitäten besonders im Ermittlungsverfahren. Insgesamt aber vereinten sich humanitäre, vom Rechtsreformdiskurs der Aufklärung geforderte Elemente mit dem Streben nach Sicherheit in einem Nationalstaat, also nach Rationalität und Effektivität der Strafverfolgung. Der Strafzweck wandelte sich von der religiös begründeten Vergeltung zur utilitaristisch und etatistisch begründeten Abschreckung (Generalprävention) und zur Besserung des Täters (Spezialprävention). Die aufklärerische Diskussion um Sinn und Zweck der Todesstrafe bringt in Bayern graduelle, aber keine prinzipiellen Veränderungen. Die liberalen säkularen Argumente, die die Eigenver141 142 Anm. Cod Crim II 8 §1 Note a), zitiert nach (Peitzsch), S. 10. Nur Preußen hatte 1740 die Folter (außer bei Hochverrat) weitgehend abgeschafft. 41 antwortlichkeit des Menschen mit dem Schutz des Staates kombinierten, legitimierten die Todesstrafe und ersetzen die bisherige religiös orientierte Begründung. Die Todesstrafe wird beibehalten, wird aber stark zurückgedrängt, da sie in bestimmten Fällen als ineffektiv angesehen wurde. Sie gilt weiterhin als nützliches Mittel im Strafvollzug, besonders zu Kriegszeiten. Für Gegner und Befürworter genügte es, die Lebensaberkennung gesetzlich auf Mord einzuschränken und ihre Abschaffung auf spätere Zeiten zu vertagen. 143 Der Zusammenbruch des Alten Reiches 1806 machte den Weg frei für „nationale“ Kodifizierungen der einzelnen Länder. 144 Vermittelt durch den Code Napoleon, der in den ehemaligen linksrheinischen Besitzungen Kurpfalz-Bayerns implementiert wurde, fasste die neue Strafrechtskonzeption Fuß im neugegründeten Königreich. 145 1803 wurde Folter in Bayern abge- schafft. Der angesehene Jurist Paul Anselm Feuerbach (1775-1833) verwirklicht die Revision des Strafrechts, liberalisiert und rationalisiert es auf den Grundlagen der Kant’schen Philosophie. Feuerbachs Interesse an psychologisch interessanten Fällen seines Mündels Kaspar Hauser 147 144 145 146 , so besonders am Schicksal , begründet die Historische Kriminologie und liberale Straf- rechtswissenschaft in Deutschland. 143 146 148 Sein 1813 eingeführtes Strafgesetzbuch für das König- (Overath), S. 101. Vgl. (Schöler). (Overath), S. 50-59. (A. Feuerbach). 147 In der GCC fehlt Feuerbachs Abhandlung Kaspar Hauser. Beispiel eines Verbrechens am Seelenleben des Menschen von 1832. Acht andere Dokumente zu Hauser erstrecken sich von 1830 – 1873. 148 (Löhnig). 42 reich Bayern 149 ist dem Grundsatz „nulla poena sine lege“ verpflichtet, also der genauen recht- lichen Bestimmung von Delikt und Strafe. Feuerbach setzt auf den „psychologischen Zwang“, auf Abschreckung durch Strafandrohung. Die Todesstrafe ist für elf Verbrechen (z.B. Mord, Vergewaltigung mit Todesfolge, schwerer Raub mit Misshandlung, Brandstiftung) vorgesehen; Todesart ist nur noch das schnelle und relativ schmerzlose Enthaupten: „Wer das Leben verwirkt hat, soll mit entblößtem Kopfe, gekleidet in einen grauen Kittel, mit einer Tafel auf Brust und Rücken, worauf sein Verbrechen genannt ist, zum Richtplaze geführt und daselbst enthauptet werden.” 150 Die Todesstrafe kann durch halbstündiges Prangerstehen geschärft werden, jedoch nicht mehr durch zusätzliche körperliche Schmerzen wie das Reißen mit glühenden Zangen. Besonders wichtig war die Vereinheitlichung der Todesstrafe im gesamten bayrischen Rechtsgebiet. In den durch Säkularisierung, Mediatisierung und Kriegsausgleich neu hinzugewonnenen Territorien hatten bisher unterschiedliche Rechte und Bestimmungen zur Todesstrafe gegolten. 1814 wurde eine Instruktion an die Landesgerichte erlassen, die den Ablauf der Hinrichtung genau regelte. Ziel war, den Urteilsvollzug zu normieren und auch die Hinrichtung den allgemeinen Reformzielen des „bürokratischen Staatsabsolutismus“ anzupassen. 151 Vereinheit- lichung und Kontrolle waren auch der Anlass dafür, Urteile und Urgichten der verstreut liegenden Landesgerichte zu drucken und an das juristische Kollegium zu versenden. Sie haben sich 149 150 (Feuerbach). Nicht an in der GCC an der MSU vorhanden. (Feuerbach), Art. 5. 151 Staatsarchiv München, Appellationsgericht 5704, Instruktion vom 22. Februar 1814. Zitiert nach Overrath (2001), S. 59. 43 als Geschichtliche Darstellung der Verbrechen in größerer Zahl (etwa 35) in der German Criminology Collection erhalten. Die schlichten Prozesspublikationen enthalten weder Moralreden noch Gedichte; es fehlen Preisangabe, Drucker und Bezugsquelle. Bewusst wird auf emotionale Elemente verzichtet, die eine positive oder negative Stellungnahme der Bevölkerung provoziert und so dem Staat das Deutungsmonopol entzogen hätten. Die nächste Phase in der Strafrechtsentwicklung erfolgt um die Jahrhundertmitte. Im Zuge der bürgerlichen Revolution von 1848 wurden in vielen Ländern die Justizverfahren reformiert: öffentliche und mündliche Schwurgerichtsverfahren lösten den geheimen Inquisitionsprozess ab. Die Funktionen von Ankläger, Richter, Verteidiger wurden voneinander getrennt. Auch in Bayern wurde das Strafrechtsverfahren umgeformt, so dass die Bevölkerung wieder mehr Partizipationsmöglichkeiten gewann. Die Schwurgerichte wurden jetzt auch mit Laien, nicht nur ausgebildeten Juristen besetzt. Die Strafverfolgungsbehörden waren inzwischen so effizient geworden, dass wesentlich mehr Verbrecher abgeurteilt und Verfahren abgeschlossen wurden als vorher. Ein neues Beweisverfahren ermöglicht die Verurteilung auch ohne ein Geständnis des Delinquenten. All diese strukturellen Veränderungen führten zu einer kurzfristigen Vermehrung der Hinrichtungen um 1850: fand vor 1849 etwa alle zwei Jahre eine Hinrichtung statt, so sind es um 1850 etwa fünf Vollstreckungen jährlich. 152 152 Overath (2001), S. 99. In der Zeit von 1839-1848 wurden in Bayern 68 Todesurteile ausgesprochen, und nur sechs davon vollstreckt. Vgl. auch ihre Tabelle S. 360. 44 3.2.3 Ende der öffentlichen Hinrichtungen 1861 wurde das Feuerbach‘sche Strafgesetzbuch abgelöst. Die Hinrichtungen werden in geschlossene Räume verlegt, um die Zuschauermengen zu reduzieren, deren Zustimmung oder Ablehnung viel zur Deutung eines Todesurteiles beigetragen hatte. Lokale Presse und auswärtige Hinrichtungskorrespondenten übernehmen die Rolle der Öffentlichkeit in dem Maße, in dem der Staat versuchte, die unmittelbare Beteiligung der Bevölkerung zurückzudrängen. Hinrichtungen wurden nicht mehr gemeinsam von der sozialen Gemeinschaft erlebt, sondern nur mittelbar über die gedruckten Schilderungen von Einzelpersonen, die durch emotional gefärbte Darstellungen die öffentliche Meinung zu beeinflussen vermochten. Zeitungsartikel ersetzen die losen Flugschriften, die mehr als hundert Jahre das Medium prägten. Erst jetzt erlischt jetzt auch die amtliche Praxis, Urteile als Separatdruck zu veröffentlichen. 153 Die hier zwangsläufig verkürzend dargestellte Entwicklung des bayrischen Strafrechts während der Zeit des Armesünderblattes ist nicht als lineare oder gar teleologisch angelegte „Modernisierung“ oder „Humanisierung“ zu werten. Der Paradigmenwechsel der Moderne vollzog sich nicht als scharfer Bruch. Solche Aspekte sind vielmehr Sinnkonstrukte von Zeitgenossen und Wissenschaftlern, wie Rebekka Habermas herausarbeitet. 154 Die juristischen Neuerungen von 1848, basierend auf den Prinzipien von Gleichheit und Einheitlichkeit, weckten weitgehende Hoffnungen in allen deutschen Staaten. Sie wurden zum Politikum, zur philosophisch-politischen „invention“: 153 154 Das jüngste Urteilsblatt in der GCC-Sammlung datiert von 1856. (Ansbach). (R. Habermas). 45 Die reformierten Prozessordnungen wurden zum Symbol für eine bessere Gesellschaft, die hier im Kleinen vor Gericht etabliert wurde und im Großen für die gesamte Gesellschaft gelten sollte. *…+ Sie waren mit Bildern, Hoffnungen, Ideen und Phantasien verbunden und stellten Zusammenhänge her, die nur sehr vermittelt etwas mit der Realität 155 zu tun hatten. Mit diesen Hoffnungen auf rechtliche Ordnung verbunden ist die Kennzeichnung des Strafrechtssystems der Frühen Neuzeit als grausam und willkürlich. Dabei wurde übersehen, dass die Tortur schon länger kaum noch angewendet worden war und vor allem, dass das Strafensystem einen ganz anderen Stellenwert in der Gesellschaft innehatte als in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Dichotomie – grausam versus gerecht – und die Konstruktion eines scharfen Gegensatzes zwischen frühneuzeitlichem und modernem Rechtswesen, der die frühe Rechtsforschung beeinflusste, muss mit Rücksicht auf Kontinuitäten und Brüche, auch länderspezifische Differenzen, relativiert werden. 3.3 Die Rolle der Geistlichen Geistliche wirkten in beiden Stadien eines Prozesses mit. Sie halfen, das „freiwillige“ Geständnis des Angeklagten zu erhalten, das die Grundlage zur Verurteilung war, notfalls auch mittels Folter. Dann betreute der Geistliche den Todgeweihten seelsorgerisch vor und während der Hinrichtung. Das Reichgesetz der Peinlichen Halsgerichtsordnung von 1532, die Carolina, schrieb eine dreitägige Frist zwischen der Verkündigung des Urteils im entlichen Rechtstag und der Ausführung vor, „damit er[der Verurteilte] zur rechten Zeit sein sünd bedencken, beklagen vnd 155 (R. Habermas), S. 22. 46 156 beichten möge“ . Die grundlegenden Anforderungen der Gefangenenseelsorge unter- scheiden sich nicht wesentlich zwischen der katholischen und evangelischen Konfession. Kirchenordnungen legten schon im 16. Jahrhundert die Pflichten des Pfarrers bei einer Hinrich157 tung fest. Die Geistlichen hatten daher auch die Aufgabe, den Verurteilten während der letzten Tage seelsorgerisch zu begleiten. Der Geistliche – oft wechselten zwei sich ab – besuchte den Gefangenen während dieser Zeit, tröstete ihn, unterwies ihn in Glaubensfragen, hörte die Beichte, erteilte Absolution und das letzte Abendmahl. Geistliche begleiteten auch den Sterbezug, sprachen letzte Gebete oder sangen Lieder mit dem Armen Sünder und den Zuschauern. Sicherlich wurden auch die in den Armesünderblättern abgedruckten Verse öffent158 lich rezitiert. Das Geschehen wurde besonders von protestantischen Geistlichen oft in einer Ansprache oder Predigt an Ort und Stelle moralisch und erzieherisch ausgedeutet, die auch 159 gedruckt verkauft wurden. Diese Prosatexte sind durchaus als Parallelen zu den Reue- Gedichten anzusehen, allerdings liegt der Schwerpunkt auf der Belehrung des Publikums über die bösen Folgen des Lasters, nicht auf der Umkehr und Gottesgläubigkeit des Sünders. 156 157 158 Carolina, Art. 79. Siehe (Lächele), S. 182. Vgl. (Brandt). Ammerer (2010), S. 306. 159 So z.B. schon von Philipp Melanchthon 1546. Joy Wiltenburg untersucht ausführlich den sensationellen Charakter der geistlichen „crime reports” (Wiltenburg, „Christianity“). Die MSU besitzt u.a. folgende Predigten: (Schmid); (Waldmann) Auffallend ist die Fortdauer der Ansprachen bis weit ins 19. Jahrhundert: (Rede an das Volk nach der Hinrichtung des Raubmörders Georg Wengert aus Forestweiler im Königreich Würtemberg); (Pfahler und [Tettnang]). 47 Mit der zunehmenden Säkularisierung des 18. Jahrhunderts ging eine gewisse Vernachlässigung des seelsorgerischen Ernstes daher, zumindest aus der Sicht der protestantischen Pietisten, deren persönliche Frömmigkeit mit sozialem Engagement verbunden ist. Diese reformatorische Erweckungsbewegung fußt auf einer persönlichen, tief empfundenen Gläubigkeit innerhalb der Gemeinschaft Gleichgesinnter und steht außerhalb der orthodoxen lutherischen Amtskirche. Der pietistischen Seelsorge war es ein besonderes Anliegen, den Gefangenen zum wahren Glauben und zum persönlichen Erweckungserlebnis führen zu können. In seiner Untersuchung ‚Malefikanten‘ und Pietisten auf dem Schafott zeigt Rainer Lächele eine Kluft zwischen der ursprünglich wohl gemeinten Absicht und der seelsorgerischen Praxis im 18. Jahrhundert auf. Der württembergische Jurist und Pietist Johann Jacob Moser (1701-1785) kritisiert 1740: „Jedoch auch für die, denen es offenbar an das Leben gehet, wird fast überall so schlecht gesorgt, daß ihr Blut nothwendig darüber zum Himmel schreyen muß.“ Hals über Kopf solle der „mit Angst des Todes und Hölle befangene arme Mensch“ im christlichen Glauben unterrichtet und zur Erkenntnis und Reue seiner Sünden gebracht werden. Und „gibt er sich, wohl und gut; wo nicht, so will man auch seinetwegen keine weiter Mühe und Kosten haben, sondern es heißt: fort mit 160 ihm.“ Als eine Antwort auf die Not versteht Rainer Lächele die Gattung der sogenannten Thanatographien. Diese Schilderungen vom „erbaulichen Sterben“ wurden im 18. Jahrhundert massenhaft und in mehreren Auflagen gedruckt. 160 161 Sie enthalten Glaubensanleitungen und Gebete, Zitiert nach (Lächele), S. 183. 161 Vgl. in der MSU-Sammlung die umfangreiche 600seitige Thanatographie (Cleß). Die MSU besitzt auch ein handschriftliches Manuskript (Agenda mit Maleficanten). Druck- und 48 vor allem aber exempelhafte Bekehrungen und vorbildliche Lebenswenden, Veränderung des Herzens in der Nachfolge Jesu. 162 Sie richteten sich nicht unbedingt an die meist leseunkun- digen Malefikanten, sondern an die, die mit ihnen in der Vorbereitungszeit zusammenkamen: die Obrigkeit, Gefängniswärter und Scharfrichter, auch Prediger und Gemeindemitglieder, die vielleicht einen Verurteilten besuchten. 163 Handschriftkopien existierten noch lange Zeit nebeneinander als eigenständige Tradierungsformen. (Eisenstein). 162 Protestantische Geistliche hatten bereits im 16. Jahrhundert Berichte von Verbrechen gesammelt und publiziert, besonders von Gewalttaten zwischen Verwandten. Sie legitimierten eine Verbindung von Religion und gefühlsbetontem Sensationalismus, die den Verbrechensdiskurs der Frühen Neuzeit mitbestimmte, wie Joy Wiltenburg darstellt. (Wiltenburg, „Christianity“). 163 Mehr an ein allgemeines Lesepublikum richten sich die 50-seitigen Lebens- und Sterbebeschreibungen des reformierten Züricher Diakons J.J. Cramer um die Jahrhundertwende, von denen etliche in der Sammlung German Criminology vorhanden sind. (J. R. Cramer; J. Cramer, Leben und Ende der Regula Hartmann, von Eglisau, im Canton Zürich; J. Cramer, Leben und Ende Rudolf Schützen von Bachs; J. Cramer, Leben und Ende des Heinrich Baumann, von Grafstall, im Canton Zürich; J. Cramer, Leben und Ende Hans Jakob Willis von Horgen, und Jakob Kleinerts ad der Egg im Schönenberg). Aus Zürich auch (Meier). 49 4 Armesünderblätter im süddeutschen Kulturraum Trotz der unterschiedlichen Herrschaftsverhältnisse kann der Grenzbereich mit den einflussreichen und wohlhabenden Städten Augsburg, Nürnberg und München als übergreifender Kulturraum gelten, in dem gedanklicher Austausch und gegenseitige Befruchtung durch die wirtschaftlich-politische Konkurrenz angestoßen werden. Die regionsweite Veröffentlichung und Nachdrucke von Armesünderblättern entspringen einem gemeinsamen Kommunikationskontext, der auf Herausforderungen der Zeit reagiert. 4.1 Historischer Kontext 4.1.1 Herrschaftsgebiete Der süddeutsche Raum, aus dem die meisten der hier besprochenen Armesünderblätter stammen, war im 18. Jahrhundert politisch und territorial durch zwei divergierende Situationen gekennzeichnet: Zentralgewalt in Bayern und Zersplitterung im Südwesten. (Abbildung 3, 164 S. 51) . Viele kleinräumige geistliche und weltliche Herrschaften, freie Reichsstädte und Reichsgrafschaften bildeten die so genannten Reichskreise: der Fränkische erstreckte sich nordöstlich von Nürnberg und der Schwäbische westlich von Augsburg. Dies waren lose Zusammenschlüsse, hauptsächlich zur Interessensvertretung in Reichsangelegenheiten, die kein gemeinsames Recht oder übergreifende Strafverfolgungsbehörden besaßen. Gesetze und 164 Mit freundlicher Genehmigung des Autors. (Höckmann). 50 Verordnungen galten oft nur bis zum Nachbardorf, so dass eine wirksame Bekämpfung der Kriminalität kaum möglich war. Mit der Strafe des Landesverweises für Kleintäter Abbildung 3. Süddeutschland um 1789. Kurfürstentum Bayern, Freie Reichsstädte Augsburg und Nürnberg, Geistliche Territorien, Reichsgrafschaften. Zur Interpretation der Farben in dieser und den weiteren Abbildungen sei auf die elektronische Version der Dissertation verwiesen. Abbildung dient nur zur Illustration, nicht als Lesetext. 51 und Landstreicher verschaffte man sich zwar kurzfristig Erleichterung, trug aber systematisch zu dem Problem der Eigentumskriminalität bei. Die Betroffenen verloren ihre soziale Einbindung und konnten andernorts als Fremde kaum eine ehrliche Arbeit finden. Subsidiäre Kriminalität in der Gegengesellschaft der Vagabunden waren die Folgen. Besonders deutlich wird dieses Problem bei den Diebes- und Räuberbanden, die im zersplitterten Südwesten lange Zeit ideale Schlupfwinkel fanden. Erst um die Jahrhundertwende erlauben neue Methoden der Kriminalistik eine kohärente, grenzübergreifende Strafverfolgung, die zusammen mit bessernden Arbeitshaus- und Zuchthausstrafen das Räuberwesen zurückdrängen konnten. 165 Das im Osten angrenzende Herzogtum Bayern war seit 1623 Kurfürstentum und besaß ein relativ geschlossenes und konstantes Territorium. Die etwa 100 Landgerichte der Justizadministration waren in vier Bezirke (Regierungen) aufgegliedert: Burghausen, Landshut, Straubing und München. Der größte Regierungsbezirk war Oberbayern, dessen Gerichtsverfahren von der Zentralbehörde, dem Münchner Hofrat, direkt kontrolliert wurden. Die Strafgerichtsbarkeit wurde schon früh zentralisiert, und feudale Sonderrechte beseitigt. Spätestens seit dem 17. Jahrhundert war der Hofrat in München das zentrale und entscheidende Gremium und die Kurfürsten bauten ihre absolutistische Souveränität gegenüber dem Reich zielbewusst weiter aus. 1777, mit dem Aussterben der bayrischen Wittelsbacher, wurde Bayern mit der Pfalz vereint; der Mannheimer Kurfürst Karl Theodor (1777-1799) war in München ausgesprochen un- 165 (Fritz, Räuberbanden; Fritz, Rotte; Fritz, „Sicherheitsdiskurse“); (Danker). Schon älter sind (Küther); (Lange); (Reif). 52 beliebt. Seine autokratische Herrschaft verlangsamt die Entfaltung der aufklärerischen Philosophie, die als „literarische Modeströmung“ auf die Metropole München beschränkt blieb. 166 Im Zuge der Napoleonischen Kriege wurden zahlreiche Gebiete an Bayern angeschlossen. Zwar verlor es seine linksrheinischen Besitztümer, wurde aber 1803 mit Territorien der mediatisierten Reichsstädte Augsburg, Nürnberg und Regensburg sowie zahlreichen säkularisierten geistlichen Herrschaften (z.B. Bistum Eichstätt) entschädigt. 1806, nach der Auflösung des Deutschen Reiches , wurde – mit Unterstützung Napoleons – das Königreich Bayern ausgerufen, das neben Teilen von Schwaben und Franken auch vorübergehend Tirol und Vorarlberg erhielt 167 (Abbildung 4, S. 54). Damit war der Weg frei für eine umgreifende Neugestaltung und Modernisierung. König Maximilian (1799-1825) und sein Minister Maximilian Graf Montgelas (1759-1838) schufen einen modernen bayrischen Staat. Dessen Verfassung erfüllt Forderungen der Französischen Revolution nach Freiheit und Gleichheit der Bürger und solche der Aufklärung nach Religionsfreiheit. 1813 wird das reformierte Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern eingeführt. Es wurde von dem Juristen Paul Anselm von Feuerbach (1775-1833) nach neuen aufklärerischen Rechtstheorien nach dem Vorbild des französischen Code pénal entworfen. Feuerbach schafft die Folter als Mittel zur Wahrheitsfindung ab und setzt eine Humanisierung im Strafvollzug ein. Die Todesstrafe für schwere Verbrechen bleibt bestehen. 166 167 (A. Kraus), S. 350. (Ziegelbrenner). 53 Abbildung 4. Königreiche Bayern und Württemberg 1815. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. Auch das frühere Herzogtum Württemberg wurde 1806 zum Königreich umgewandelt, nachdem es im Süden und Osten durch Mediatisierung und Säkularisierung ehemals reichsunabhängige und geistliche Gebiete dazugewonnen und seine Fläche nahezu verdoppelt hatte. Die Zusammenführung der dispersen Territorien, Abschaffung der Privilegien von Adel und Landständen und die Errichtung einer zentral geführten Verwaltung erwiesen sich als schwierige Aufgabe in dem Land, das von wirtschaftlicher Not gekennzeichnet war. 168 168 („Württemberg in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (1806 -1850)“); („Königreich Württemberg“). 54 4.1.2 Räumlich-zeitliche Verteilung Die beschriebene politisch-soziale Situation beeinflusst die Entwicklung des Armesünderblattes als selbständigem Massendruck im süddeutschen Raum, wie sie im Folgenden beschrieben werden soll. Anhand der geographischen und zeitlichen Verteilung lässt sich aufzeigen, wie sich das Medium etabliert, transformiert und aus dem lokalen Bezug löst. Der relativ große Umfang sowie Geschlossenheit und Repräsentativität des MSU-Korpus erlauben statistisch unterstützte Aussagen. Die Befunde sind nicht als quantitativ absolute, sondern als qualitativ zu beschreibende Entwicklungstrends zu verstehen, da die jeweiligen Zahlen durch die Sammlung selbst, d.h. durch die Zufälligkeiten der Akquisition und Tradierung, beeinflusst sind. Sie stimmen jedoch mit den Beständen der zentralen Augsburger und Münchner Archivbibliotheken sowie der Forschungsliteratur überein. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts finden sich nur vereinzelt kleine, selbständige Publikationen von Urteilen bzw. interpretatorischen Gedichten. Andere Verbrechensdarstellungen der Zeit sind in voluminöse juristische und religiöse Schriften eingebunden und erreichen nicht das Massenpublikum (Abbildung 5, S. 56). Das ändert sich schlagartig um 1760, als der Gerichtswaibel der Freien Reichstadt Augsburg beginnt, systematisch alle Gerichtsurteile als billigen Einzeldruck zu publizieren. In der kurbayrischen Hauptstadt München lanciert der Journalist Ettenhueber 1770 ein Modell, das amtliches Geständnis und Moralrede in einem Druck kombiniert und als Zeitungsbeilage vertrieben wird. Der Brauch, Urteile und Moritaten zu drucken, erhält sich ungebrochen, ja steigend über die Jahrhundertwende hinaus. Das Massenmedium war bis etwa 1820 ein fester Bestandteil im Kommunikationsangebot. 55 40 Bayr. Umland 35 Augsburg 30 München 25 Auswärts 20 15 10 5 1860 1850 1840 1830 1820 1810 1800 1790 1780 1770 1760 1750 1740 1730 1720 1710 1700 0 Abbildung 5: Zeitlich-Räumliche Verteilung der Armesünderblätter aus der German Criminology Collection. Die Kulturpraxis des Armesünderblattes ist nicht auf ein Regierungsgebiet beschränkt. Die geographische Häufung zeigt, dass Galgenurteile verwaltungs- und herrschaftsübergreifend im schwäbischen, fränkischen und bayrischen Grenzbereich publiziert wurden (Abbildung 6, S. 57). Deutlich sind Metropolen als Publikationsschwerpunkte zu erkennen: die Reichsstädte Augsburg und Nürnberg sowie die bayrische Residenz München, die mit bis zu 20 Drucken vertreten sind. Die zentralen Gerichte Dillingen, Oberdischingen und Buchloe veröffentlichen ebenfalls systematisch, jeweils etwa zehn Blätter. Andere regionale Urteile oder Moralgedichte erscheinen relativ vereinzelt. Auch Darstellungen zu Verbrechen aus dem übrigen Deutschland werden als Lektüre angeboten. 56 Abbildung 6. Zahlenmäßige Verteilung nach Orten vor 1806. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. 57 Das Jahr 1806 bringt einen wesentlichen Einschnitt in der politischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Situation. Nach dem Zusammenbruch des Alten Reiches und der Gründung der Königreiche Bayern und Württemberg werden weiterhin, sogar vermehrt, Armesünderblätter gedruckt. Allerdings verschieben sich Form und Funktion (Abbildung 8, S. 61) sowie die Verteilung der Herkunftsorte (Abbildung 7, S. 59). Es ist zu erkennen, wie sich die Drucklandschaft ändert. Die bisherige Konzentration auf einige zentrale Orte mit hohen Stückzahlen löst sich auf. Das Herkunftsgebiet erweitert sich beträchtlich über den schwäbisch-bayrischen Grenzraum hinaus; es umfasst ganz Württemberg und Bayern mit den österreichischen Territorien. Die breite Streuung ist dadurch zu erklären, dass jetzt „alle“ Gerichte ihre Todesurteile veröffentlichen. Und weil im gleichen Zeitraum auch die tatsächlichen Vollstreckungen abnehmen, gibt es pro Ort nur wenige Flugschriften. Die German Criminology Collection enthält jetzt auch vermehrt Berichte zu Verbrechen aus Böhmen, Ungarn, Paris und aus entfernten deutschen Regionen wie Mainz und Thüringen. 58 Abbildung 7. Zahlenmäßige Verteilung nach Orten nach 1806. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. 59 4.1.3 Inhaltliche Kategorien Schlüsselt man die in der GCC vorhandenen Armesünderblätter nach inhaltlichen Kriterien auf, zeigt sich, wie die beiden Grundbestandteile des Genres – Urteil und Moralgedicht – koexistieren (Abbildung 8, S. 61). Es werden drei Gruppen unterschieden: a) Reine Urteile, b) Urteile kombiniert mit Gedichten und c) Moralgedichte oder Predigten ohne amtliches Urteil. Die wenigen Blätter aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts sind entweder rein amtliche 169 Urteile mit Urgicht oder selbständig gedruckte religiöse Gedichte, welche allein durch ihren Titel auf einen anderweitig kommunizierten Fallkontext verweisen. Ab 1760 werden obrigkeitliche Urteile systematisch veröffentlicht, und diese dokumentarische Form bleibt durch den ganzen Berichtszeitraum erhalten. Zwischen 1770 und 1790 floriert dann das Münchner Modell, welches das amtliche Urteil mit einer gereimten Moralrede kombiniert. Um die Jahrhundertwende ändert sich das Genre wieder. Die in den 1770er Jahren obrigkeitlich sanktionierte Einheit von Tatbeschreibung und Ausdeutung zerbricht. Obrigkeitliche Urteile und kommerzielle Verbrechensdarstellungen erscheinen in den Jahrzehnten bis 1830 mit etwa gleicher Häufigkeit, aber eben separat. Dies verweist auf das Auseinanderdriften von amtlichem und populistischem Publikationsinteresse und auf die zunehmende Differenzierung von staatlicher und privater Sphäre im modernen Staat. 169 So das früheste Blatt der GCC, Fürth 1707. (Fürth). 60 45 40 35 Nur Gedicht Urteil mit Gedicht Nur Urteil 30 25 20 15 10 5 0 Abbildung 8. Verteilung nach inhaltlichen Kriterien: Urteil + Gedicht / Nur Urteil / nur Gedicht. Mit dem Fortschreiten der Aufklärung und der Gestaltung eines moderneren Staates lässt sich ein gewisses Unbehagen der Behörden an moralisierenden Auslegungen beobachten. 1789 verfügte der bayrische Jurist Kreittmayr, die Moralreden einzustellen, aber die Veröffentlichung der Urgicht beizubehalten. 170 Die reinen Urteile des Hofrats werden auch weiterhin zur Straf- rechtsbelehrung, Stärkung des Justizansehens und zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung publiziert. Zeitweise war sogar erwogen worden, die Urgichten auf Kosten des Verurteilten zu 170 (Peitzsch), S. 72, Fußnote 443. Reskript des Hofoberrichters an die oberste Landesregierung vom 14.5.1789. 61 drucken und unentgeltlich an das Publikum zu verteilen. 171 Das reformierte Strafgesetzbuch (1813-1861) von Paul Anselm Feuerbach soll die Rechtsprechung, besonders bei der umstrittenen Todesstrafe, im erweiterten Königreich Bayern vereinheitlichen. Schmucklose Gerichtsurteile aus dem gesamten Regierungsgebiet werden deshalb als Referenzdokumente versandt 172 und gesammelt. Die Versachlichung, Säkularisierung und Ent-Moralisierung der amtlichen Verlautbarungen lässt sich an den Titeln der Dokumente aufzeigen:  Um 1780: Wohlverdientes Todesurtheil nebst einer Moralrede  Um 1790: Wohlverdientes Todesurteil  Um 1810: Todes-Urtheil  Nach 1813: Geschichtliche Darstellung der Verbrechen 173 174 175 171 (Peitzsch), S. 72-3. Die traditionellen Galgenpredigten waren bereits 1783 untersagt worden, nachdem ein Pfarrer in Schongau eine „religions- und sittenwidrige“ Verteidigungsrede für eine Vergifterin gehalten hatte. (Peitzsch), S. 73. 172 Viele der Geschichtlichen Darstellungen aus den umliegenden königlichen Gerichten sind in mehreren, identischen Kopien vorhanden. Möglicherweise waren sie Teil von Urteilsammlungen, die in die GCC aufgenommen wurden. 173 (München, Wohlverdientes Todesurtheil der Maria Anna N. vulgo schlafenden Anna Miedl. Welche auf höchste Anbefehlung des Churfürstl. hochlöbl. Hofraths allhier in München heute den 9. Jänner 1790. wegen Veranlassung eines dieb= und räuberischen Verbrechens, dann verübten grausamen Mißhandlung einer Weibsperson auf offener Strasse zur Richtstatt geführet, und durch den Scharfrichter nach abghauener rechten Hand mit dem Schwert vom Leben zum Tod hingerichtet worden; München, Wohlverdientes Todesurtheil des Mathias N. welcher auf höchste Anbefehlung des Churfürstl. hochlöbl. Hofraths allhier in München heute, den 14. Jäner 1791. wegen seiner einbekennt Strassen- und Kirchenräuberisch- dann andern diebischen Verbrechen zur Richtstadt geführet, und von obern herab mittelst Anlegung der Schnur durch Zerstossung seiner Glieder vom Leben zum Tod hingerichtet worden. Gedruckt nach dem Münchner Original; die Kupferstiche, und was nachfolgt, wird nachgetragen). 174 (München, Todes-Urtheil über den Mörder Ferdinand, vollzogen den 15. Dezember; München, Todes-Urtheil über den Mörder Corbinian N. vollzogen durch das königliche Landgericht München den 29. Februar 1812). 62  Daneben: Lehrreiche Gedanken, Rede an das Volk 176 , auch Beschreibung eines schreck- 177 lichen Raubmordes Im Zeitraum ab 1790 intensiviert sich der öffentliche Diskurs um Verbrechen und Strafe, der auch in der Literatur geführt wird. 178 179 In der stadtnahen Bevölkerung steigt die Lesefähigkeit und damit der Bedarf an aktuellem, billigem Lesestoff aus der Welt der Verbrecher. Echte oder fiktionalisierte Fälle aus entlegenen Gebieten wie Russland 180 und Siebenbürgen 181 werden im 175 (München, Geschichte des Verbrechens, wegen welchem Franz Thaler, Seizbäck von Reichershofen zum Tode verurtheilt wurde; München, Geschichtliche Darstellung des Verbrechens des Michael Obermair von Altonmünster). 176 (Lehrreiche Gedanken an der Richtstätte des Mörders und Räubers N. N. nebst geschichtlicher Erzählung jener Umstände, unter denen dieser äußerst grausame Raubmord vor sich gieng ; Rede an das Volk nach der Hinrichtung des Raubmörders Georg Wengert aus Forestweiler im Königreich Würtemberg; Rede, gehalten am Grabe der auf grausame Weise ermordeten Elisabeth Mayerhofer, Zimmermanns= und Geflügelhändlers=Tochter von der Vorstadt Au am 3. September 1848. [Zweite Auflage: Mit der geschichtlichen Erzählung des begangenen Mordes]). 177 178 (Corbeil). (Schönert). 179 Schenda gibt für Mitteleuropa an: um 1770: 15%, um 1800: 25%, um 1830 40%, um 1870: 75%.(Schenda), S. 444. Große Unterschiede existierten zwischen Stadt/Land, Berufen und auch Religionszugehörigkeit. Zu Schwaben vgl. Quartal, der besonders auf das kollektive Lesen der Landbevölkerung verweist. (Quartal), S. 340. 180 (Beschreibung einer fünffachen Mordthat, die sich kürzlich in Rußland, auf einer entlegenen Bauernhütte zugetragen hat). Undatiert. 181 (Schaurichte Nachricht von einer erschröcklichen Mordthat, welche sich zu Panor, einem zwy Stunden von Carlsburg in Siebenbürgen gelegenen Orte zugetragen, nebst der schweren doch wohlverdienten Strafe, so an dem abscheulichen Missethäter Johann Patska den 11ten October 1785 zu Carlsburg vollzogen, und zur ernstlichen Warnung vor Grimm und Rachbegierde durch den Druck bekannt gemacht worden). Derselbe Drucker veröffentlichte dieses Blatt erneut 1803. 63 vertrauten Format des Armesünderblattes angeboten, mit oder ohne begleitendem Bänkel182 lied. Nach 1830, als die inzwischen seltenen Todesurteile nicht mehr öffentlich vollzogen werden, versiegen die vierseitigen Hinrichtungszettel im Quartformat. Die narrative Verarbeitung als Unterhaltungslektüre für ein breites Publikum erfolgt jetzt überregional in der Gartenlaube oder in seriellen Oktav-Heftchen zur „Eisenbahnlektüre“. 4.2 183 Systematisierung und Kommerzialisierung Die Zentren Augsburg und München prägen Form und Funktion von Urgicht und Moralrede in besonderer Weise. Die systematische, öffentliche Auswertung in einem Massenmedium eröffnet die Blütezeit des Armesünderblattes im oberdeutschen Raum. Da die dortigen Publikationen in größerer Zahl in der German Criminology Collection vorhanden sind, erlauben sie detaillierte Einblicke in Aufstieg und Entwicklung des Genres als obrigkeitliches und kommerzielles Literaturprodukt. Der Preis für ein vierseitiges Armesünderblatt ohne Kupferstich betrug typischerweise 1 oder 2 Kreuzer. Aufwändigere Produktionen kosteten bis 5 Kreuzer. Zum Vergleich: In Frankfurt um 1750 bezahlte man 12 Kreuzer für eine Dienermahlzeit mit Bier im Gasthaus; die wöchentliche Stallmiete für ein Pferd betrug 1 Kreuzer. In der Porzellanmanufaktur Hoechst betrug der 182 (Braungart); (Richter). 183 Wichtigster Vertreter war Jodokus Donatus Temme, dessen umfangreiche illustrierte „Criminalbibliothek” in Berlin und Hamburg gedruckt wurde. (Kirchschlager). Die MSU besitzt sechs Lieferungen mit jeweils vier Erzählungen, u.a. (Temme). 64 Monatslohn für einen Tagelöhner zum Holzspalten 8 Gulden (1 Gulden = 60 Kreuzer), das entspricht 19 Kreuzern pro Tag. Ein Kontrolleuer verdiente 16 Gulden, 40 Kreuzer. 184 Über die Auflagenhöhe erfahren wir wenig. In den parodistischen Eipeldauer-Briefen des Österreichers Joseph Richter heißt es: „Es sind an einem Tag über 20 000 Stuck verkauft worden.” 185 Bei einem anderen Urteil sollen 100 Gulden erwirtschaftet worden sein, das entspräche einer 186 Auflage von 3000 Stück bei einem Preis von 2 Kreuzern. lagenhöhe von 2600 für ein Flugblatt in München 1774. liche Auflagenhöhe selten über 300 Exemplaren 188 187 Auch Richard Evans nennt eine AufFür Zeitungen lag die durchschnitt- ; für die Wochenschrift Münchnerischen Wochenblatt in Versen konnten keine Zahlen ermittelt werden 4.2.1 Augsburg In der zweiten Jahrhunderthälfte beginnt man in der Reichsstadt Augsburg, die gerichtlich verkündeten Todesurteile samt dem Geständnis, dem Verruf, im Wortlaut zu publizieren. Dies geschieht mit Erlaubnis der Obrigkeit durch den Gerichtsdiener, den Waibel 184 185 186 187 188 189 . Neu und Alle Angaben nach (genealogienetz.de). (Ammerer und Adomeit), S. 274, Fußnote 12. (Ammerer und Adomeit), S. 276. (Evans, Rituale), S. 160. (Fischer, Haefs und Mix). 189 Das Adelung-Wörterbuch definiert „Webel” als „ein in Hochdeutschen für sich allein veraltetes und nur noch in der Zusammensetzung Feldwebel übliches Wort. Im Oberdeutschen hingegen, wo es Waibel, Weibel lautet, ist es noch völlig gangbar, und bedeutet daselbst den Gerichtsdiener.” (Adelung). 65 . richtungsweisend ist, dass alle Augsburger Urteile im Druck veröffentlicht werden, nicht nur außergewöhnliche Morde oder schwere Raubtaten. Die MSU besitzt 46 Drucke und Nachdrucke aus Augsburg, die eine deutliche Entwicklung aufzeigen:  1712-1747: Gedichte zu Hinrichtungsfällen aus Augsburg (3)  1759-1790: Augsburger Urteile ohne Gedicht, veröffentlicht durch Gerichtswaibel (17)  1790-1822: Auswärtige Urteile und Gedichte, veröffentlicht durch kommerzielle Verleger (26) 4.2.1.1 1757 - 1790: Augsburger Urteile, veröffentlicht durch die Gerichtswaibel Im Katalog der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg lassen sich drei Gerichtswaibel nachweisen, die unter ihrem Namen den amtlichen Text der Todesurteile publizierten.  Samuel Valentin (1757-1772): 16 Einzelurteile und ein retrospektiver Sammelband; MSU besitzt 12 Urteile  Franz Claudius Wagner (1773-1775); 3 Urteile, davon 1 an MSU  Joachim Friedrich Hilgendorf (1778-1790): 6 Urteile, davon 2 an MSU Die Straftaten verteilen sich wie folgt: Raub und Diebstahl (8), Mord (3), Kindsmord (3), Geldfälscherei (1). Die Todesarten sind: Schwert mit blutiger Hand (7), Schwert (4; davon 2 statt Strang), Rad mit Gnadenstoß (1), Hängen (1), Aushauen (2). Geht man davon aus, dass das Verzeichnis der Augsburger Staatsbibliothek relativ vollständig ist, entsprächen die Zahlen zwei 66 Hinrichtungen in drei Jahren oder 1-2 öffentlichen Hinrichtung pro Jahr. 190 Eine Exekution war also keineswegs alltäglich, sondern ein seltenes, spektakuläres Ereignis für die Einwohner Augsburgs. Mit den begleitenden Urteilsdrucken proklamieren die Behörden eine effektive Strafverfolgung und Rechtsmäßigkeit der Todesurteile, was das Vertrauen der Bevölkerung in die landesherrliche Fürsorge und die innere Sicherheit stärken soll. Zugleich verspricht man sich eine gesteigerte abschreckende Wirkung zur Verbrechensprävention, die über die engen Grenzen der Stadt hinausreichen soll. 191 Samuel Valentin 192 etablierte die spezifische Form eines separat gedruckten Gerichtsdokuments als Kommunikationsmedium. Er veröffentlichte 13 Todesurteile im amtlichen Wortlaut, sowie auch drei Ehr- und Leibesstrafen wie Prangerstehen, Aushauen mit Ruten und Stadtverweis. 193 Außerdem publizierte er bereits 1759 einen retrospektiven Sammelband mit allen Augsburger Todesurteilen der letzten hundert Jahre für das bürgerliche Publikum (s.u. S.143) Der standardisierte Titel auf der Vorderseite ist typographisch abwechslungsreich und sorgfältig gesetzt: 190 Vgl. den allgemeinen Rückgang der Hinrichtungen in Bayern. (Behringer, „Kurbayern“). 191 Auch Dillingen, der Gerichtsort für das Fürstbistum Augsburg, publiziert Urteile, z.B. 1779. (Schwabmünchen). 192 193 Biographische Daten sind nicht nachweisbar. (Backmann und Ecker-Offenhäusser). 67 Augsburg 1770. GCC 1090 verso. Augsburg 1770. GCC 1090 recto. Abbildung 9. Ausgburger Urteil: Gerichtswaibel S. Valentin und Drucker A. Brinhaußer. Abbildung dient nur zur Illustration, nicht als Lesetext. 68 Ein Hoch-Edel und Hochweiser Rath der des Heil. Röm. Reichs Freyen Stadt Augspurg hat hiemit Urthel zu Recht erkannt, daß Samstag den 11. Januarii 1772. Leonhard Felß, geweßter allhiesiger Burger und Bortenmacher, wegen begangener Mord-That an seinem leiblichen Sohn zu seiner wohlverdienten Bestraffung mit dem Schwerdt und blutiger Hand vom Leben zum Tod gebracht werden solle. Als wegen erhaltener Hoch-Obrigkeitlich gnädiger Erlaubnus das End194 Urtheil dem Publico mittheilen wollen Samuel Valentin, Stadt-Gerichts-Waibel. Dann folgt auf S. 2-4 unter der Überschrift „Verruf“ 195 die gerichtliche Zusammenfassung der Tat und des Geständnisses. Das eigentliche Urteil benennt die juristische Grundlage, nämlich die Carolina, die Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V., verkündet die Strafzumessung (Hinrichtungsart und Schärfung) sowie den Strafzweck der Vergeltung und Abschreckung. Legitimiert wird das Urteil durch die Urheber, nämlich den einberufenen Gerichtsrat: „Erkannt im gebottnen Rath“ oder „Decretum im gebottenen Rath“. Der bekannte Stadtbuchdrucker 196 Andreas Brinhaußer (1742-1779) besorgte den Druck. Öfters finden sich Schmuckvignetten zu Beginn und Ende des Doppelblattes, um Drucklücken zu füllen. Es wird kein Preis für die Flugschrift genannt. (Abbildung 9, S. 68) Fast alle Veröffentlichungen beschränken sich auf den rein legalen Kontext und Wortlaut. Nur drei Stücke um 1765 experimentieren mit moralischen Gedichten: zwei jüdische Wechselbe- 194 (Augsburg, Ein Hoch-Edel und Hochweiser Rath der des Heil. Röm. Reichs Freyen Stadt Augspurg hat hiemit Urthel zu Recht erkannt, daß Samstag den 11. Januarii 1772. Leonhard Felß, geweßter allhiesiger Burger und Bortenmacher, wegen begangener Mord-That an seinem leiblichen Sohn zu seiner wohlverdienten Bestraffung mit dem Schwerdt und blutiger Hand vom Leben zum Tod gebracht werden solle. Als wegen erhaltener Hoch-Obrigkeitlich gnädiger Erlaubnus das End-Urtheil dem Publico mittheilen wollen Samuel Valentin, Stadt-GerichtsWaibel). 195 196 „amtliche Bekanntmachung“ im bairischen Dialekt. (DWB), Bd. 25, Sp. 1026 - 1029. (Künast, Brinhauser: Buchdrucker-, Verlegerfamilie). 69 trüger und ein bekannter Dieb 197 sowie eine Kindsmörderin druckten Illustrationen zu Hinrichtung oder zur Tat. 199 198 . Es gibt keine direkt einge- Es ist unklar, warum Valentin diese publikumswirksamen Gattungselemente nicht weitergeführt hat – möglicherweise auf Veranlassung der Behörden, um ein dokumentarisch-rationales Profil zu wahren, oder auf Einspruch der örtlichen Verlegerkonkurrenz. Nach 1773 verlegen die Gerichtswaibel Franz Claudius Wagner Joachim Friedrich Hilgendorf weitere Todesurteile zusammen mit den Druckern Brinhaußer und später Joseph Simon Hueber. Beide betonen ihren Status als Stadtdrucker, ein Verweis auf den amtlichen Charakter 197 (Augsburg, Ein HochEdler und Hochweiser Rath der des Heil. Röm. Reichs Freyen Stadt Augspurg hat mit Urthel zu Recht erkannt daß Donnerstag den 28ten Junii A. 1764. zwey Juden Namens David Hirsch Levi/ und David Löw Levi/ beede von Scheittach aus der Chur-Bayrischen Herrschafft Rothenerg gebürtig, wegen höchst-starffbahrer Aßignations=Nachmachung von 130. Carld'or und andern ausgeübten beträchtlichen Partitereyen zu ihrer wohlverdienten dannoch gnädigen Bestraffung öffentlich an das Hals=Eisen gestellt, gebrandmarckt und ausgehauen werden sollen. Als hat wegen erhaltener Hoch=Oberherrlich gnädiger Erlaubnuß das urthel hiemt publiciren wollen Samuel Valentin / Stady=Gerichts= Waibel; Augsburg, Verruf. [HochEdler und Hochweiser Rath des Heil. Röm. Reichs Freyen Stadt Augspurg hat mit Urthel zu Recht erkannt daß Donnerstag den 25ten Octobr. A. 1764. Bartholomäus Schmid / von Harthausen bey Friedberg begürtig; vulgo der Bayrische Barthele, wegen vieler ausgeübten Diebstähle und Räubereyen zu seiner wohlverdienten Bestraffung durch das Schwerdt und blutiger Hand, vom Leben zum Tod gebracht, dessen Cörper aber auf das Rad geflochten werden sollte. Als hat wegen erhaltener Hoch-Oberherrlich gnädiger Erlaubnuß das End-Urthel dem Publico mittheilen wollen Samuel Valentin / Stadt=Gerichts=Waibel]). Zu den Schmuckgedichten s.u. S. 105. 198 (Augsburg, Ein HochEdler und Hochweiser Rath des Heil. Röm. Reichs-Freyen Stadt Augspurg hat mit Urthel zu Recht erkannt ; daß, den 20. Aug. Anno 1765. Barbara Gruberin, allhiesige Dienst-Magd, von Mauren gebürthig weilen sie ihr in Unehren erzeigtes Kind / gleich nach der Geburt Erbarmungs würdiger Weise ums Leben gebracht, durch das Schwerdt vom Leben zum Tod gebracht werden solle. Als hat wegen erhaltener Hoch-Oberherrl. Gnädiger Erlaubnus das End-Urthel dem Publico publicieren wollen Samuel Valentin, Stadt=Gerichts=Waibel). 199 In beide MSU-Kopien zum Fall des Weinhändlers Carl Ludwig Klenckler ist ein Kupferstich eingelegt; allerdings passt der zweite Stich nicht zum Fall. Die Illustration ist nicht in das Dokument integriert und wurde möglicherweise separat verkauft. 70 der Publikation. Das äußere Erscheinungsbild wandelt sich, die Drucke werden einfacher, nüchterner. Behielt Brinhaußer noch die Schmuckvignette bei, so sind die Drucke von Hilgendorf/Hueber völlig schmucklos und die vorher aufwändig gestaltete Titeltypographie wird vereinfacht. 1790 verebbt der Abdruck von genuin Augsburger Urteilen. 200 Aus den zur Verfügung stehenden Quellen ist nicht ersichtlich, ob oder warum keine Erlaubnis zum Abdruck mehr gegeben wurde. Auf jeden Fall endet die enge, obrigkeitlich privilegierte Zusammenarbeit eines Gerichtswaibels mit einem Stadtdrucker in Augsburg. 4.2.1.2 1786-1822: Der kommerzielle Abdruck von auswärtigen Quellen Gegen Ende des 18. Jahrhunderts verschiebt sich das Spektrum: Kommerzielle Verleger – von denen keiner als Stadtbuchdrucker autorisiert ist 201 – übernehmen das inzwischen etablierte Genre und den Markt. Die lokalen Urteile versiegen, stattdessen werden abenteuerliche Kriminalfälle aus der weiteren Umgebung, ja sogar über die Grenzen Bayerns hinaus, publizistisch verwertet. Wir finden jetzt eine Fülle an Nachdrucken von Urteilen aus der näheren und weiteren Umgebung. 202 Augsburg 200 Der lokale Bezug der vereinzelten Exemplare von 1811 (Bullmann; Königliches Apellationsgericht) und 1822 (Druckort, aber kein Verleger genannt; Augsburger Herkunft des Verurteilten) ist lose. 201 Sie sind nicht im Augsburger Stadtlexikon verzeichnet und spielten daher keine große Rolle in der Augsburger Druckerlandschaft. 202 (Nürnberg, Malefiz-Urthel über Johann Philipp Feigel, Todtengräbershelfer, welcher wegen verübten grausamen Todtschlags an seinem Kameraden Karl Gottlieb Langfriz Todtengräbersknecht, den 18. Merz 1788. mit dem Rad, durch Zerstossung seiner Glieder, aus 71 wird Knotenpunkt und Multiplikator für das Armesünderblatt als unterhaltende und erbauliche Lektüre. (Abbildung 10, S. 75). Man bedient durch kolportierende Buchführer und Kramläden einen größeren regionalen Markt im süddeutschen Raum mit diesem spezialisierten Lesestoff. Jetzt werden ausdrücklich Verkaufspreis und Bezugsort genannt. Zwei kleinere Druckverleger 204 203 konkurrieren im Wettbewerb um den Leser. Philipp Joseph Fill veröffentlicht 1787-1790 Urgichten aus dem benachbarten Schwäbischen Reichskreis und aus 205 Bayern. Parallel dazu beginnt der „bürgerliche Buchhändler“ Johann Georg Bullmann seine Reihe 1788 mit dem spektakulären Fall Feigel/Langfritz aus Nürnberg. 206 Er druckt regionale (Dillingen, Buchloe) und überregionale (Hamburg, Ungarn) Urteile nach, oft verziert mit em- Gnaden von oben herab vom Leben zum Tod gebracht und alsdannd er Körper auf das Rad geflochten worden. Nach dem Nürnberger Original; München, Wohlverdientes Todesurtheil der Maria Anna N. vulgo schlafenden Anna Miedl. Welche auf höchste Anbefehlung des Churfürstl. hochlöbl. Hofraths allhier in München heute den 9. Jänner 1790. wegen Veranlassung eines dieb= und räuberischen Verbrechens, dann verübten grausamen Mißhandlung einer Weibsperson auf offener Strasse zur Richtstatt geführet, und durch den Scharfrichter nach abghauener rechten Hand mit dem Schwert vom Leben zum Tod hingerichtet worden). Explizit gekennzeichnete Nachdrucke von Urteilen („gedruckt nach dem Münchner Original“) lassen sich in der MSU-Sammlung fast ausschließlich für Augsburg nachweisen. Andere abweichende Urteils- und Druckorte, z.B. 1785 Buchloe und Landsberg, lassen sich durch die Niederlassung des Druckers erklären. 203 (Dillingen). 204 1780 gibt es im paritätischen Augsburg drei evangelische und sechs katholische Buchhandelsfirmen und einen entsprechenden Konkurrenzdruck. (Hoser). 205 Augsburg weist etwa 13 Drucke für Fill nach, wobei allerdings der Ursprungsort der Urteile nicht zu erkennen ist. 206 (Nürnberg, Malefiz-Urthel über Johann Philipp Feigel, Todtengräbershelfer, welcher wegen verübten grausamen Todtschlags an seinem Kameraden Karl Gottlieb Langfriz Todtengräbersknecht, den 18. Merz 1788. mit dem Rad, durch Zerstossung seiner Glieder, aus Gnaden von oben herab vom Leben zum Tod gebracht und alsdannd er Körper auf das Rad geflochten worden. Nach dem Nürnberger Original). 72 blematischen Totenkopf-Vignetten oder Kopfleisten. Das Stück kostet ein 207 208 oder zwei Kreu- zer, wie auf dem Titelblatt angegeben. Jetzt werden auch Illustrationen mit deutlichem Bezug zum aktuellen Mord oder der Hinrichtung eingesetzt, um das Produkt für Käufer attraktiv zu gestalten. Mit der zunehmenden Kommerzialisierung wird nicht nur die lokale Beschränkung aufgegeben, sondern auch die Wahl der Textsorte lockert sich. 209 Neben den Verrufs-Texten gibt es jetzt wieder vermehrt Moralreden, Lieder, Nacherzählungen, Totengespräche von ortsansässigen Kupferstechern und Gelegenheitsdichtern, die Versatzstücke aus Münchner Gedichten übernehmen: Moral=Rede auf den Tod des Johann Schmadel 210 , Schauder= und erbarmungsvolle Begebenheit, so sich mit Erdmann, Bürger in Nürnberg[…] zugetragen der Hinrichtung der bekannten Mitmörderinn zu Meitingen 212 211 sowie Gedanken bey . Im Jahr 1786 veröffentlichen so- wohl der Waibel Hilgendorf als auch der katholische Buchdrucker Johann Bernhard Stadtberger 207 208 (Dillingen). (Pfaffenhofen). 209 Die GCC besitzt keine separat gedruckten Gedichte aus den frühen Jahrzehnten der Gerichtswaibel. Diese Lücke im Bestand belegt jedoch nicht, dass während der amtlichen Phase keine zweite, moralisch oder religiös interpretierende Publikationsebene existierte. 210 (Moral=Rede auf den Tod des Johann Schmadel aus Tyrol, Peter Pabst von Insenmus in Baiern, Johannes Wolf von Göggingen, des sogenannten blinden Anton von Weir, und Margaretha Steirin von Singenbo in Baiern. Mit Erlaubniß hoher Obrigkeit. Augsburg, bey Philipp Joseph Fill. Lit. G. Nro. 317). 211 (Schauder= und erbarmungsvolle Begebenheit, so sich mit Erdmann, Bürger und Goldarbeiter, sammt dessen Frau wegen eines unschuldiger Weis, ihm beschuldigten Diebstalles in Nürnberg ereignet, im Jahr 1790). 212 (Kurze Gedanken bey der Hinrichtung der bekannten Mitmörderinn zu Meitingen. Durch das Schwerdt hingerichtet den 1sten Junius 1811). 73 den gleichen Fall des unbußfertigen Räubers Johann Wölfle: einmal als peinliches Urtheil in der traditionellen amtlichen Form, einmal als Trauergeschichte und schröckliches Lebensende in einer freien, moralisierenden Nacherzählung eines katholischen Geistlichen. 213 Beide haben die „Erlaubnis der Oberen“: Hilgendorf für die Benutzung der Gerichtsformulierungen, während der unabhängig arbeitende Stadtberger seinen Text von der Zensur absegnen lassen musste. 214 Auch die beiden jüngsten Dokumente aus Augsburg von 1822 sind eine Doppeledition: das amtliche Todesurteil und ein Bänkellied über den Mörder Georg Rauschmeier. Die parallele Präsentation kennzeichnet das Nebeneinander von obrigkeitlichem Publikationsinteresse und freier, marktorientierter Literatur. 213 Im gleichen Jahr erschien übrigens Friedrich Schillers Kriminalerzählung Verbrecher aus Infamie, die auf einem wahren Fall beruht, diesen aber entscheidend umformt und fiktionalisiert. (Schiller, „Der Verbrecher aus verlohrener Ehre“). 214 Diese beiden Dokumente von 1786 kommentiert der Aufklärer Friedrich Nicolai, als er seine Augsburger Aufzeichnungen von 1781 in Buchform herausgibt. Offensichtlich hatte er sich diese Exemplare mehrere Jahre nach seinem Aufenhalt zuschicken lassen, um sein Befremden gegenüber der „poßierlichen Schreibart“ der Urteile mit konkreten Beispielen untermauern zu können. 74 Augsburg 1790: Kommerzieller Verleger P.J. Fill. GCC 920. Augsburg 1811: Königreich BayernGCC 1146. Abbildung 10. Späte Titelblätter aus Augsburg. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. 75 4.2.2 Der Markt in München 1760-1781: Matthias Ettenhueber Etwa zur gleichen Zeit wie in Augsburg setzt auch in München die systematische Veröffentlichung von Todesurteilen ein. 215 Allerdings ist es hier kein amtlich bestellter Gerichtswaibel, sondern der Privatmann Matthias Ettenhueber, der sich in der Massenproduktion von Armesünderblättern eine Lebensgrundlage zu schaffen sucht. Seine säkularen, barocken Moralreden beherrschen 30 Jahre lang den Markt in München und prägen wesentlich das Gattungsmodell der Umgebung. (Abbildung 11, S. 79) 4.2.2.1 Der poetische Zeitungsfabricant Mathias Ettenhueber(3. Februar 1722-24. August 1782) 216 , churfürstlicher „Hofpoet“ und Journalist, publizierte zwischen 1753-1781 etwa 150 Dokumente mit dem von ihm geprägten Titel Wohlverdientes Todesurtheil nebst einer Moralrede. 217 Sie können ihm durch Signatur 218 215 Urgichten und Lieder wurden schon früher, allerdings vereinzelt, veröffentlicht. (München, Urgicht und Urthl Deß In Puncto Furti justificirten Hannß Trutzig), Signatur LMU 0014/W 4 Jus 166. (Haag, Signatur BSB Res/4 Bavar. 3006,I,4/31. Wahrscheinlich wurde mit der seriellen Veröffentlichung von Urteilen und Urgichten schon 1751 begonnen, worauf die Nummerierung „XVIII.“ des Jngerlin-Blattes (1753) verweist (Auskunft von Dr. Manfred Hörner, Archivar im Bayerischen Staatsarchiv. (Hörner, Brief 'Wahrer Ueberblick' vom 14. September 2012). 216 Auch Mat(t)hias Etenhu(e)ber; die Schreibung variert in Quellen und Sekundärliteratur. (Reinhardstöttner); (Kraus und Albrecht); (Körner und Jahn; "Mathias Etenhueber"). 217 1753 -1769: ca. 60 Armesünderblätter (keine davon an derMSU vorhanden); 1770 – 1782 ca. 90 (davon 13 an MSU vorhanden). 218 1753 lässt sich durch die Signatur „Matthias Ettenh*…+ er fecit“ sein erstes Galgengedicht, zur Kindsmörderin Jngerlin, nachweisen. München, (München und Ettenhueber, Wohlverdientes Todtes-Urtheil Nebst einem Trostreichen Gespräch Zwischen den Todt, und der armen Sünderin Der Juliana Jngerlin, Welche ... den 24. November 1753. mit dem Schwerdt ... hingerichtet worden).Dieses Blatt wurde von Franz Joseph Thuille gedruckt und war „zu finden 76 , Publikationsforum und Stil der Moralrede zugeordnet werden. Die German Criminology Collec219 tion an der MSU besitzt 13 Blätter, also etwa 10% seiner umfangreichen Produktion. Der Churfürstliche Hofrat in München war die Zentralbehörde für den großen Regierungsbezirk Oberbayern, was die hohe Zahl von Todesurteilen erklärt. Da Ettenhueber ein lebenslanges 220 Druckprivileg besaß, konnte er konkurrenzlos auf die reiche Quelle der churfürstlichen Urgichten zugreifen. Das von Ettenhueber herausgegebene Münchnerische Wochen=Blat in Versen wurde zum Publikationsforum für das Wohlverdiente Todesurtheil, das sowohl in der Zeitung selbst als auch als Separatdruck zu haben war. 221 Gegenwärtige und künftige Drucke (sogar Seriendrucke) wurden im Wochenblatt angekündigt: sie waren für 2 bis 5 Kreuzer im „Wasserburger Lädl“ zu bey Frantz Xav. Jungwürth Kupfferstecheren, wohnhafft in der Käffinger=Gassen“. Franz Joseph Thuille war 1751 -1789 als Buchdrucker aktiv. (Künast, "Maschenbauer"), S. 350. Auch in der Folgezeit lässt sich eine Zusammenarbeit von Jungwirth, Thuille und Ettenhueber nachweisen, z.B 1754 und 1768. BSB Res/4 Bavar. 3006,I,4/31. 219 Insgesamt hält die GCC 26 Blätter aus München: 1770-1781: Kurfürstentum: 13 Blätter, alle mit Moralreden von Mathias Ettenhueber; 1782-1806: Kurfürstentum: 6 Urteile ohne Moralreden; 1812-1853: Königreich Bayern: 6 Urteile ohne Moralreden und 3 Grabpredigten. Diese Zahlen entsprechen dem allgemeinen Entwicklungstrend, s.o. S. 57. 220 Wolfram Peitzsch unterläuft ein kleiner Fehler, wenn er schreibt: „Über dieses Druckprivileg entstand nach dem Tod des Hofpoeten Jungwirth (1784), der es innegehabt und auch jeweils die Moral verfaßt hatte, ein sich über Jahre hinziehender, beinah grotesker Streit. Die Tochter Jungwirths stritt sich mit den Behörden und einem hungerleidenden Hintertreppendichter um die Übertragung des Privilegs.” Peitzsch bezieht sich dabei auf die Akte St. A. von Obb (GR Fasc 324 Nr 32). (Peitzsch), S. 72, Fn. 442. Jungwirth war der Kupferstecher, nicht der Hofpoet. Möglicherweise wollte er nach dem Tod seines Geschäftspartners Ettenhueber das Privileg übernehmen. Jungwirth selbst starb 1790, (Lipowsky). 221 MSU besitzt nur Separatdrucke, während die BSB auch Bände enthält, in denen das Münchnerische Wochenblatt mit den Urgichten zusammengebunden ist (Res 4 Bavar. 674). Es findet sich dort auch ein Sammelband ausschließlich mit Moralreden (Res 4. Bavar. 3006 I, 431). 77 haben, bisweilen auch mit Kupferstichen von Franz Xaver Jungwirth. „Der Herausgeber war übrigens auch sein eigener Kolporteur. Mit einer großen Mappe unter dem Arm lief er selbst Trepp auf, Trepp ab zu seinen Abonnenten. Zu Reichthümern hat er es damit jedenfalls nicht gebracht.“ 222 Auch nachdem 1777 das Münchnerische Wochenblatt eingestellt wird, publiziert Ettenhueber weiterhin Armesünderblätter. Die „widerliche Galgenpoesie“, wie sie 100 Jahre später der Biograph Karl von Reinhardstöttner nannte, war eine unverzichtbare Einnahmequelle, um die Ettenhueber mit der Zensurbehörde ringt. 223 Mit seinem Tod 1782 verschwinden die Moralreden in mythologisch und stilistisch überfrachteten AlexandrinerStrophen, die das Genre in München so stark geprägt haben. Der Publikumsgeschmack wandelt sich vom moralisierenden „Triumph der Gerechtigkeit“ als Lesestück zu mehr detailfreudigen Mordschilderungen im leichter zugänglichen Liedstil. Mathias Ettenhueber, ein Jesuitenzögling, wurde schon früh durch seine lateinischen Gedichte bekannt, die zunächst großen Anklang 224 fanden. Später wechselte er zur deutschen Sprache und erhielt für seine Dichtung eine goldene Ehrenmedaille von der österreichischen Kaiserin Maria Theresia. Mit der Zeit aber verblasste sein Ruhm, und seine Einkommenslage wurde schwierig. Zwar ernannte ihn der bayrische Kurfürst Maximilian III. 1763 zum „Hofpoeten“, aber dies war ein undotierter Titel ohne Mittel. 222 223 224 (Kronegg), S. 424. (Reinhardstöttner). Nach (Sauer). 78 Moralrede München 1781. GCC 1157a. Paket-Preis 5 Kreuzer München 1781. GCC 1157a. Abbildung 11. Titelblatt und Moralrede im „Münchner Modell” von M. Ettenhueber. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. 79 Er musste sich als Journalist und Gelegenheitsdichter durchschlagen. Von 1759 - 1777 gab Ettenhueber als „poetische*r+ Zeitungsfabricant“ das gern gelesene Münchnerische Wochen=Blat in Versen heraus, eine Art Reimchronik in Alexandrinern über zeitgenössische 225 Ereignisse im In-und Ausland. Die Zeitung enthält kulturhistorisch interessante Schilderungen z.B. über die Bierverhältnisse in München, Festlichkeiten, ein „Lob der kleinen und mageren Leute“ und „Kinderzucht“, in späteren Jahren auch Artikel mit vermehrt ethischen und moralischen Inhalten. 226 Die vierseitige Wochenschrift enthält eine Reihe von Lobgedichten, aber auch regelmäßig Bettelgedichte, in denen Ettenhueber den Kurfürsten humorvoll um eine Ladung Holz anfleht. Wegen seiner kritischen Ballade Das sich beschwerende Baiern musste er 1778 eine Zeitlang ins Gefängnis. Der „Versemacher“ 227 starb völlig ver- armt im Hospiz der Barmherzigen Brüder vom hl. Johannes von Gott und soll das Vorbild für das Gemälde Der arme Poet (1839) des Biedermeier-Malers Carl Spitzweg gewesen sein. 225 226 228 (Etenhueber). (Sauer). 227 So der Münchner Aufklärer Lorenz von Westenrieder in seinem Nachruf. Zitiert nach (Kraus und Albrecht), S. 1009. 228 (Albrecht). 80 4.2.2.2 Ettenhueber und die Zensur Zwei Ereignisse von 1772 zeigen, wie stark politische, soziale und kommerzielle Interessen sich 229 bei den Moralreden überschneiden. Ettenhueber besaß zwar ein Druckprivileg, musste aber seine Werke im Voraus der Zensurbehörde, dem sogenannten „Bücherkollegium“ vorlegen. 1772 reichte er eine Rede mit dem Titel Die triumphierende Gerechtigkeit ein; sein Druckgesuch wurde am 23. April 1772 abgelehnt. Es wurde nicht für „rätlich befunden, dass das Gedicht durch öffentlichen Druck bekannt gemacht werde und ansehnliche ohnehin betriebte Familien wegen eines geringen gewinst noch weiters betrengt werden“. 230 In seiner Antwort weist Ettenhueber darauf hin, dass diese Reden, die er seit 20 Jahren veröffentlicht, ihm kaum das täglich Brot einbringen und er auf diesen Gewinn angewiesen ist. Er bietet an, den Namen des betreffenden Täters bei der Publikation wegzulassen. Vergebens, das Bücherzensurkollegium lehnt sein Gesuch ab und geht sogar noch einen Schritt weiter: der Augustinerpater Fulgentio wird ausdrücklich Ettenhueber als Zensor zugeordnet. Die Interessen der höherstehenden Familie überwiegen die des Hungerleiders und werden behördlich geschützt. Ein weiterer Zwischenfall im gleichen Jahr zeigt ebenfalls den Handlungsbedarf der Zensurbehörde, um das Ansehen von Standespersonen zu schützen. Der Betrüger „Eusebius Josephus Casanius Berger“ erschwindelte sich mit einem falschen juristischen Doktortitel das Vertrauen 229 Die folgende Darstellung stützt sich auf Belege aus dem Wochenblatt an der Bayerischen Staatsbibliothek. An der MSU sind keine Separatdrucke vorhanden. 230 Bayr. HStA, GR 324/32. Nach einem Brief von Dr. Manfred Hörner, Bayerisches Hauptstaatsarchiv und Akteneinsicht. Wer die zu schützende Familie war, ist aus diesen Akten nicht ersichtlich. (Hörner, Brief 'Ettenhueber' vom 10. August 2011). 81 der Münchner Gesellschaft. In Wirklichkeit war er kein Jurist, sondern ein Student der Philosophie, dem es durch schmeichelhafte Reden und gewandtes Auftreten gelang, Zutritt zu den besten Häusern zu erhalten. Er wurde beim Diebstahl erwischt und am 11. Juli 1772 hingerichtet. Ettenhueber veröffentlichte neben dem Text Frons, oculi, vults persaepe mentiuntur. Oder die Unzuverläßlichkeit des äußerlichen Scheins […] noch ein separates dreiseitiges Gedicht mit dem Titel Der war ich – Der bin ich – Der wird ich. 231 In beiden Exemplaren der BSB ist ein Name im Gedicht nachträglich geschwärzt. „Die Rache bricht hervor an einem hellen Morgen, | Und [Name geschwärzt] der so lang hielt seinen Stand verborgen, |Verbirgt ihn jetzt nicht mehr, nun ist es offenbar, |Daß er ein Philosoph, und kein Juriste war“. Verbirgt sich hier der wahre Name des Betrügers? Ist „Eusebius Berger“ ein Pseudonym, geborgt vom Verfasser eines juristischen Werkes, das einige Jahre zuvor veröffentlicht wurde? 232 Sollte mit der Schwärzung die Blamage von der Familie des Hochstaplers abgewandt werden? Ettenhueber offeriert beide Gedichte für je vier Kreuzer, also zum doppelten Normalpreis – und erhoffte sich sicher einen höheren Absatz aufgrund des Gesellschaftsskandals. Nach diesen beiden Zusammenstößen mit der Zensurbehörde geht Ettenhueber kein Risiko mehr ein. In seinen Moralreden benutzt er fortan die anonymisierende Abkürzung N. (für lat. Nomen) für den Familiennamen. Es gibt keinen Hinweis in den Akten darauf, dass das Bücherkollegium diese Maßnahme gefordert hat, sondern es war eine Entscheidung des Verfassers, um seine Einnahmequelle zu erhalten. Mit den Kombinationen N.N. (1772), Kaspar N. (1773) und Mathias N., vulgo Windbeutel (1781) experimentiert Ettenhueber zwischen Identitäts231 232 BSB Res 4 Bavar. 3006 I, 4-31 und BSB Res 4 Bavar. 674 13-15. (Berger). 82 schutz und Neugier des Publikums. Die Verwendung von Initialen war ein gängiger Brauch im juristischen Schrifttum der Zeit und ebenso ein vertrautes Element aus der fiktionalen, schöngeistigen Literatur. Der Aufklärer Friedrich Nicolai kommentiert beim Lesen ironisch: „Man hat beym Drucke dieser Todesurtheile eine ganz besondere Zärtlichkeit für die Ehre der Personen, die man rädern und viertheilen läßt. Denn man läßt allemal ihren Familiennamen weg, nennt sie nur bey ihrem Vornamen, und setzt den Spitznamen oder den nom de guerre, unter wel233 chem sie bey den Räuberbanden bekannt waren, hinzu.“ Durch verschiedene Strategien versucht Ettenhueber, einerseits das verlorene Vertrauen der Obrigkeit wiederzugewinnen, andererseits das Publikum für seine Gedichte zu erhalten. Im September 1772 bringt er eine reine Moralrede auf den anonymen Sünder N.N., ohne Urgicht oder Urteilsspruch, also auch ohne sensationelle Details über das Verbrechen und den Ver234 brecher. Allerdings: Reine Moral, und sei sie noch so eloquent formuliert, scheint sich nicht 235 gut verkaufen, wenn der fallbezogene Kontext fehlt. Im Frühjahr 1773 baut er deswegen auf die schaudernde Neugier des Publikums: Blutiger Schrecken=Spiegel aller ungerathenen Kinder öffentlich beschaut an dem Hinrichtungs Tage des NN Welcher seinen eignen leiblichen Vater auf eine grausame Weise durch einen Messerstich ermordet. Mit gnädigster Erlaubniß. Danach folgt unmittelbar der argumentative Prosa-Artikel Frage, woher doch bey jetzigen Zeiten eine so 233 (Nicolai), Bd. 6,S. 766. 234 (Ettenhueber) BSB Res.4 3006,I. 235 Vgl. auch eine Grabrede für das Opfer von 1848: „Zweite Auflage: Mit der geschichtlichen Erzählung des begangenen Mordes.” (Rede, gehalten am Grabe der auf grausame Weise ermordeten Elisabeth Mayerhofer, Zimmermanns= und Geflügelhändlers=Tochter von der Vorstadt Au am 3. September 1848). 83 überaus große Zahl des Dieb-und Raubergesindes komme | erwogen an den Hinrichtungstage 236 eines Vieh-Diebes, so durch das Schwerd geschehen den 25 Jenner 1773. Eine Reihe von Exekutionsberichten werden sogar mit Kupferstich versehen, eine (teure) Seltenheit, die auch später wieder aufgegeben wird. Offensichtlich kann Ettenhueber das Vertrauen der Behörde und die Druckerlaubnis wieder sichern. Seit Mitte 1773 erscheinen erneut Urgicht und Urteil samt gereimter Moralrede, allerdings bleibt der Familienname weiter verborgen. Mit diesem Format -- Details des Verbrechens bei gleichzeitiger Schonung des gesellschaftlichen Ansehens -- erfüllt er die Bedürfnisse des Lesepublikums und der Obrigkeit. 236 BSB Res 4 Bavar. 674 13-15- 6. 84 5 Das Armesünderblatt als Literatur 5.1 Prosa-Darstellung: Die obrigkeitliche Urgicht Im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Verständnis werden Gesetze als positives, gesetztes Recht, als Ausdruck göttlicher Gebote und herrschaftlicher Macht verstanden. Im Zuge der Aufklärung entwickelt sich auf der Grundlage von Thomas Hobbes (1588-1679) (1632-1704) 238 239 und Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) 237 , John Locke die Lehre vom Gesellschaftsvertrag, nach dem der Mensch freiwillig gewisse Rechte an die Regierung der sozialen Gemeinschaft ab240 tritt. Der einflussreiche Rechtsphilosoph Samuel Pufendorf (1632-1694) verstand auch das Naturrecht noch auf christlicher Grundlage. Das lange 18. Jahrhundert erfährt den sich langsam und uneinheitlich vollziehenden Übergang zu einer „modernen“, säkularen Rechtsauffassung, die sich in Gesetzeskodices, Edikten und auch in den dokumentierenden Prozessurkunden niederschlägt. Es stellt sich daher die Frage, ob und wie sich traditionelle und wandelnde Rechtsauffassungen im Wortlaut der Urteile und Urgichten, also den essentiellen und charakteristischen Bestandteilen des süddeutschen Armesünderblattes der Sattelzeit, zeigen. 237 238 239 240 (Hobbes und Shapiro). (Locke und Sherman). (Rousseau). (Pufendorf) 85 241 Der Begriff „Urgicht“ kommt vom ahd. irgehan, mhd. erjehen Aussage“, im rechtlichen Bereich auch mit oder ohne Tortur. 242 und bedeutet „Bekenntnis, Die amtliche Urkunde (bzw. der publizierte Druck) steht am Ende des Rechtsfindungsprozesses und bestätigt ihn durch die Wendung „Von Rechts wegen“. Wesentliche, wiederkehrende Elemente werden in formelhaften Wendungen festgehalten, die Aufschluss über Verurteilten, Rechtsgrundlage und Straf243 zweck geben. Zuerst werden quod generalia Angaben zur Person festgehalten: Name, Alter, Herkunftsort, Eltern, Ehestand, Beruf, Vorstrafen. Quod specialia folgen dann Einzelheiten zu dem vorliegenden Fall: Tatverlauf, Mittäter. Der entstandene Schaden wird genau beziffert, denn danach richtet sich die Strafe bei Diebstahl. Auch das Urteil wird nach festgelegten Redeteilen formuliert. In Augsburg standardisiert der Gerichtswaibel den Titel: Ein Hoch-Edel und Hochweiser Rath des Heil. Röm. Reichs Stadt Augspurg, hat hiermit Urthel zu Recht erkannt daß Donnerstag den 9. Novembris 1769 Marianna Geigenbergerin vulgo Schwefel-Mädel, und Katharina Steidlerin, als verläumdete Diebinnen, zu 241 Die Vorsilbe „ur“ ist aus „vergicht“ verschoben und gewinnt erst später die Bedeutung von „Hauptbekenntnis“. (DWB), Bd. 24, Sp. 2425. 242 Krünitz schreibt um 1800: „ein Ausdruck, der seinen Ursprung aus den finsteren Zeiten des Mittelalters herleitet, und die Beantwortung der Torturalfragen, d. h. der Fragen, welche dem unglücklichen Gemarterten vorgehalten wurden, bedeutet.“ (Krünitz). 243 Formelhafte Wendungen autorisieren ein fiktives Urteil gegen einen Wallachen aus Siebenbürgen, der seine junge Ehefrau gepfählt hat. Seine Hinrichtung ist ebenso detailliert und blutrünstig. Die „Schaurichte Nachricht” erscheint 1785 und erneut 1803. (Schaurichte Nachricht von einer erschröcklichen Mordthat, welche sich zu Panor, einem zwy Stunden von Carlsburg in Siebenbürgen gelegenen Orte zugetragen, nebst der schweren doch wohlverdienten Strafe, so an dem abscheulichen Missethäter Johann Patska den 11ten October 1785 zu Carlsburg vollzogen, und zur ernstlichen Warnung vor Grimm und Rachbegierde durch den Druck bekannt gemacht worden), (Schauervolle Nachricht von einer erschröcklichen Mordthat, welche zu Panox, einem zwey Stunden von Carlsburg in Siebenbürgen gelegenen Ort zugetragen, nebst der schweren, wohlverdienten Strafe, so an den abscheulichen Missethäter den 11. Jenner 1803. zu Carlsberg vollzogen, und zur ernstlichen Warnung vor Zorn, Grimm und Rachbegierde durch den Druck bekannt gemacht worden). 86 wohlverdienter Straffe mit dem Schwerdt vom Leben zum Tod gebracht werden sollen; Und hat auf erhaltene Hoch-Oberherrlich-gnädige Erlaubniß das End-Urthel dem Publico mittheilen wollen Samuel Valentin, Stadt=Gerichts=Waibel. In Österreich wurden 1754 Formulare zur Abfassung von Armesünderblättern ausgeschickt 244 , und wahrscheinlich gab es auch am Hofgericht des zentralisierten Kurfürstentum Bayern solche Formulare, wie die Gleichförmigkeit der Münchner Blätter zeigt. In den kleingliedrigen Herrschaften der Reichskreise weichen die Urteilsformate Gericht zu Gericht leicht ab. Verweise auf den Aussteller, also Rat oder Gericht, bisweilen mit Namen 245 246 oder Siegel , legitimieren den Vorgang. Insgesamt ist eine Entwicklung festzustellen, die sich nicht allein durch regional unterschiedlichen Sprachgebrauch erklären lässt. Einige chronologisch gestaffelte Beispiele zeigen, wie sich die Urkundensprache und die zugrunde liegende Auffassung von Recht und Strafe verschiebt (Tabelle 1, S. 89. Urgichtformeln.). In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts werden Täter und Tat noch mit einem religiösen Kontext dargestellt: Der arme Sünder versündigt sich “gegen Gott“ und die hohe Obrigkeit. Sein Geständnis ist die Grundlage zur Verurteilung, und die Urgichten sind dementsprechend in indirekter Rede als Aussage formuliert. Nach der politischen und juristischen Neuordnung um 1815 wird „der Verbrecher“ oder „Name“ verurteilt. Grundlage sind eindeutig die staatlichen Gesetze 244 (Ammerer und Adomeit), S. 275, Fußnote 16. 245 „Criminal – Commisarius Heusler“(Buchloe, Urgicht sammt Urtel den in dem gemeinschaftlichen Zuchthaus zu Buchloe puncto criminis incendiii prozessierten Philipp März, aus Osterhofen, betreffend, welcher den 22. April 1797. durch das Schwerd vom Leben zum Tod gebracht, dessen Kopf und Leib aber unter dem Galgen begraben worden ist). 246 (Straubing). 87 und der juristische Instanzenweg, der Begriff „Urgicht“ verschwindet aus den Drucken. Es ist eine Übergangszeit, die einerseits ein „modernes“ Strafrecht kennt, andererseits die frühneuzeitliche Strafzweckformel beibehält: „Ihme zur wohlverdienten Strafe, anderen aber zum abschreckenden Beispiel“. Abschreckung wird zwar als unwirksam kritisiert, aber das Konzept der Besserung hat in der Strafverfolgung noch nicht Fuß gefasst. Um 1830, als auch eine Reform des Strafgesetzbuches ansteht, entfällt die Strafzweckformel ganz. Urteilspublikation und -verschickung erfolgen hauptsächlich innerhalb des juristischen Systems, und die amtlichen Rezipienten müssen nicht über den Strafzweck belehrt werden. Eine philosophisch-moralische Rechtfertigung des bestrafenden Staates gegenüber dem Publikum ist nicht notwendig. Die Geschichtliche Darstellung des Verbrechens nähert sich in Länge und Stil einem erzählerischen Bericht darüber, wie das Verbrechen aufgedeckt und der Schuldige ermittelt wurde. 247 247 z.B. (München, Todes-Urtheil über den Mörder Corbinian N. vollzogen durch das königliche Landgericht München den 29. Februar 1812); (Rede, gehalten am Grabe der auf grausame Weise ermordeten Elisabeth Mayerhofer, Zimmermanns= und Geflügelhändlers=Tochter von der Vorstadt Au am 3. September 1848). 88 Straftäter/Tat Strafgrundlage Strafzweck Form Ort, Jahr, Tat Armer Sünder wodurch er sich dann wider das fünffte Gebot Gottes versündiget und nach Inhalt der *…+ Peinlichen Hals=Gerichts=Ordnung *…+ Leib und Leben verwürcket hat Sich selbsten zu wohl verdienten Straffe, andern aber zum Abscheu und Exempel sich vor dergleichen Mord= und Ubelthaten zu hüten Aussage Fürth, 1707, Mord Maleficantin248 sich an GOTT, hoher Obrigkeit und ihren Neben=Menschen gröblich versündiget Diß ihr zur wohlverdienten Straffe, andern aber zum Abscheu und Exempel Aussage Onolzbach, 1753, Mord Mißethäter Sich an GOtt un der hohen Obrigkeit höchstens versündiget und deßwegen auch nach denen göttlichen und weltlichen Gesetzen, einer schweren Straffe schuldig gemacht Und dieß ihm zur wohlverdienten Straffe, andern aber zum Abscheu und Exempel Aussage Windsbach, 1757, Mord Arme Sünderin Inquisitin Wann nun diese / höchts ärgerliche / und die Menschheit überschreitende Missethat nach Vorschrift der Kayserl. Rechten schärfest und vermög Kayswre Carl des Vtenpeinlichen Halß=Gerichts=Ordnung … Davor wisse sich männiglich zu hüten Aussage Augsburg, 1759, Kindsmord Name … Hat nach langem und vielem, so gar auch bey dem Actu confrontationis fortgesetzten hartnäckigen Läugnens, und nachdem er aus eben dieser Ursache bereits sub metu tormentorum proximoI gestanden, endlich einbekannt … Ihm zur wohlverdienten Bestrafung andern aber zum abschreckenden Exempel und Abscheu Aussage Augsburg 1770, Straßenraub Tabelle 1. Urgichtformeln. 248 Deutsche Endung gedruckt in Frakturschrift: Maleficantin. 89 Tabelle 1, fortgesetzt Straftäter/Tat Strafgrundlage Strafzweck Form Ort, Jahr, Tat Räuber / Inquisit In diesen nun mit eydlichen Erfahrungen belegt rauberischen Verbrechen gestehet des Inquisitens gethanne Aussag, weßentwegen derselbe von einem Churfürstl. Hochlöbl Hofrath … gnädigst verdammt worden Andern seines gleichen derley Böswicht zum schreckenden Exempel und Beyspiel Aussage München 1771, Raub Uebelthäterin/ Da also Uebelthäterin (wie aus der vorgelesenen Urgicht zu verstehen gewesen) weder Kerker, weder Straf, noch die Drohung selbst mit dem Tode sich zur Warn= oder Besserung seyn lassen, Dahero ist selbe von Hoh= und Löblichen associrten Ständen ihrer Verbrechen willen zur Todesstrafe verurtheilet Zu ihrer wohlverdienten Strafe, andern aber zum abschreckenden Beyspiel Bericht Buchloe 1781, Diebstahl Maleficantin …den Beweis an den Tag geleget hat, daß sie eine incorrigible /Uebelthäterin Person sey … /Delinquentin Keine Formel Aussage Buchloe 1785, Diebstahl Uebelthäterin Indizien, per visum vorgenommenen Inspektion [der Leiche] eingeholte eidliche Erfahrungen, nebst selbstigen Eingeständniß Zu ihrer wohlverdienten Strafe, andern aber zum Abscheu Aussage Straubing 1791, Mord Inquisit Wegen dieser an der schwangeren Franziska Nessin verübten grausamen Mordthat fand sich nun ein Churfürstliches Hofgericht in Gemäßheit cod. Crim. Bav. Part I, c. 3, §1 u. 2 bewogen, … Auf dessen gütliches Einbekänntniß, dann nach eingenommenen viso reperto und darüber erhollten parere medico et chyrurgico … Ihm zur wohlverdienten Bericht Strafe, andern aber zum Beyspiel und Abscheu 90 Neuburg, 1803, Mord Tabelle 1, fortgesetzt Straftäter/Tat Strafgrundlage Strafzweck Form Ort, Jahr, Tat Verbrecher Das königl. Apellationsgericht *…+ hat diese vorsetzlich mit Ueberlegung und Hinterlist verübte Tödtung als einen ausgezeichneten Mord nach dem königlich=baierischen Strafgesetzbuche erkannt, und da sie hinreichend erwiesen ist, und [der Täter] dieselbe nach allen zur vollen Beweiskraft, und zur Erkennung der ordentlichen Strafe nothwendigen gesetzlichen Erfordernisse einbekannt hat … ihm selbst zur wohlverdienten Strafe, andern zur Warnung und zum abschreckenden Beyspiele Bericht Friedberg, 1818, Mord Name … auf den Grund seines wiederholten , mit dem Thatbestande und mit den Aussagen seines Mitgefangenen übereinstimmenden gerichtlichen Geständnisses … durch das Straferkenntnis des königlichen Appellationsgerichtes für den Rezatkreis … in Gemäßheit des St.G.B. Theil 1, Art. 146 und 147. Nr 4 … Keine Formel Bericht Nürnberg 1830, Mord Name …dem entscheidenden Gutachten des Medicinalcomite zu Bamberg .. Wurde auf dem Grund wiederholten und gesetzlichen Anforderungen entsprechenden, durch späteren Widerruf nicht geschwächten Geständnisses in Folge der Artikel 146. … Appellationsgericht von Mittelfranken … Oberster Gerichtshof bestätigt Urteil Keine Formel Bericht Eichstädt 1843, Mord 91 5.2 Gereimte Auslegung: Lieder und Moralreden Die reichhaltige und vielfältige Schafottliteratur der Frühen Neuzeit ist wesentlich durch zwei Inhalts- und Funktionskomponenten gekennzeichnet: Tat und Strafe einerseits sowie religiöse oder moraldidaktische Ausdeutung andererseits. Bei den hier untersuchten süddeutschen Armesünderblättern des 18. Jahrhunderts exponieren die Titel die zweigeteilte, aber wesentlich aufeinander bezogene Auslegung der öffentlichen Hinrichtung, wenn es heißt: Urtheil und ein schönes Lied oder Wohlverdientes Todesurtheil nebst einer Moralrede des N.N. Die relativ nüchterne Darstellung von Tat und Strafe im amtlichen Prosateil wird ausdrücklich ergänzt durch die moralische Ausdeutung, die fast durchgängig in gebundener Sprache präsentiert wird. Durch das Genitiv-Attribut „des N.N.“ werden beide Redeteile dem Verurteilten zugeschrieben, der so als Objekt und Subjekt zugleich im Exemplum der Strafe fungiert. Über den langen Zeitraum der Verbrechensberichte erscheinen variantenreiche Formen und Gewichtungen. Die verschiedenen Aspekte berühren, überlappen oder trennen sich in Predigten, Liedern und gereimten Versen, in narrativen und dokumentarischen Prosadarstellungen der Tat sowie der „letzten Gedanken“. Dabei können Sachinformation und Wertung unterschiedlichen Raum einnehmen, von der intensiven Verschränkung bis hin zum unvermittelten Nebeneinander. Sie können in einem Dokument vereint oder auf mehrere Druckwerke verteilt sein und so eine eigene intertextuelle Dynamik entfalten. Die Spannbreite reicht von nahezu kontextlosen religiösen Reue- und Bußliedern bis zum Strafzweckargument der Vergeltung, von der emotionalen Dramatisierung der blutigen Tat bis hin zur Trostansprache für die Hinterbliebenen. 92 Etwa 50 Blätter, also ein Viertel des untersuchten Korpus der Armesünderblätter aus der German Criminology Collection an der Michigan State University, enthalten Gedichte oder Lieder entweder als Einzeldruck oder in Verbindung mit der narrativen Wiedergabe der Tat. Die detaillierte Analyse einzelner Gedichte zeigt eine übergreifende literarische Kontinuität und zugleich argumentative Differenziertheit, die im Folgenden näher untersucht werden soll. Dabei liegt das Augenmerk auf Dokumenten vom Rand des Spektrums, da sich an ihnen sowohl allgemein-statische Aspekte als auch dynamische Verweise auf kulturelle Entwicklungen erkennen lassen. Es lassen sich drei Gruppen unterscheiden: Im 18. Jahrhundert finden sich vorwiegend religiös orientierte Reuelieder, meist von Mördern, sowie säkulare, abschreckende Moralreden über Räuber. Der paradigmatische Wandel von der exemplarischen Strafe zum sozial- und subjekt249 orientierten Verständnis von Kriminalität , zum „Verbrecher als Mensch“ 250 , deutet sich in einigen späten Gedichten an und soll ebenfalls beschrieben werden. Ein dritter Zweig sind die gereimten Schilderungen der „schaurigen“ Tat selbst, die oft unab251 hängig von der amtlichen Urgicht publiziert werden. Sie werden meist Lied 252 len wird eine Melodie vorgeschlagen. 249 250 251 252 genannt, biswei- Viele der ereignisorientierten Lieder eignen sich zum (Dülmen, Theater), S. 161; (Evans, „Hinrichtungen“), S. 185. (Willems). z.B. (Haag). z.B. (Main) mit der Melodie „Wo soll ich fliehen hin?“. 93 audiovisuellen Vortrag als Bänkellied 253 , wo die „schreckliche Mordthat“ detailliert und aus- deutend vorgetragen wird. Stärker auf Unterhaltung denn auf Belehrung zielend, werden hier außergewöhnliche Morde und Raubtaten in sensationalistischer Weise dargeboten, gerne auch aus fernen Gegenden und anonym. Sie treten gehäuft nach der Neuordnung des Alten Reiches auf und sind noch bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts als „Gassenhauer“ zu finden. 254 Auf eine Untersuchung dieses dritten Types „Bänkellied“ wird hier verzichtet. 5.2.1 Buß- und Reuelieder Da sind zunächst die stark religiösen Lieder zu Reue und Buße, die von den schuldbewussten Armen Sündern – meist Mördern – mit relativ schlichten, immer wiederkehrenden Worten und Bildern „verfasst“ wurden, jedoch aus der Feder der Gefängnisgeistlichen oder kommerzieller Autoren stammen. Religiöse Betrachtungen in verschiedenen Formen lassen sich durchgängig nachweisen, mit Schwerpunkt in der frühen Zeit. Die pietistische „Erweckung zur Buße“ häuft sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhundert, aber andere „erbauliche Lieder“ sind bis ins 19. Jahrhundert zu finden. Nur vereinzelt finden sich in den Reueliedern selbst konkrete Einzelheiten zur Tat, anhand deren sich der zugeordnete Fall identifizieren lässt. Bei den Armesünderblättern, in denen Urgicht und Reuelied kombiniert sind, lassen sich die Fallinformationen dem Prosateil entnehmen. Bei Einzeldrucken steht das Lied in einer Reihe mit anderen Publikationen, zumindest besitzt es ein Titelblatt mit Namens- und Ortsangabe. Das intertextuelle Kommunikationsnetz bezieht auch 253 254 (Braungart). (Richter). 94 eine mündliche Kommentierung mit ein, aber in der Regel lassen sich weitere Flugschriften, Balladen oder Illustrationen finden. 255 Die Stilisierung kann so weit gehen, dass Gedichten alle identifizierbaren Einzelheiten fehlen. Nur durch den Paratext des Titels werden sie einem Fall zugeordnet, so z.B. die Letzte [n] Gedancken eines zur Buße und Einsicht gebrachten armen Sünders, nemlich Johann Georg Zeppels […] Augsburg 1747. 256 Dass und wie sich Teile 257 oder sogar ganze Gedichte vom Einzelfall lösen und wiederverwendet werden, wird am Beispiel der Nürnberger Mörder Feigel und Reindel deutlich, das weiter unten in dieser Arbeit näher diskutiert wird. (s.u. S. 246). Das Abschiedslied besetzt den spirituellen und emotionalen Raum des Sterbens, einer existentiellen Zwischenzeit des Überganges. Es entsteht nach der Tat und dem Urteil zur unweigerlichen Bestrafung, jedoch vor der Hinrichtung, vor dem Tod. Obwohl ganz einer Innenschau 255 Vgl. etwa die Kindsmörderin Anna Maria Fröhlichin (Frankfurt 1758), zu deren Fall der Privatlehrer von Cornelia Goethe eine „Geistliche Betrachtung” mit angehängtem „Thränenlied” verfasste. (Peters), S. 116. 256 (Letzte Gedancken | Eines | zur Buße und Glauben gebrachten | armen Sünders, | nemlich | Johann Georg Zeppels, | von Erckheim aus Schwaben, | Mem[m]ingis. Herrschaft gebürtig, | gewesenen verhehelichten | Bürgers, und Bier=Bräuers | zu Augspurg, 34. Jahr alt, | Welcher | wegen vielfältig=verübten Diebereyen | gefänglich eingezogen, | von E.H.E und Hochweisen Rath der | Reichs=Stadt Augspurg aber An 1747. | den 3. November Hoch=Obrigkeitlich vom Leben | zum Tod verurtheilet, und den 7. darauf allen bö | =sen Welt=Kindern zum Schröcken und Exempel hinzurichten decretirt worden. Allda gedruckt 1747). 257 Eine Augsburger Moralrede zu einer Räuberbande von 1786 (Moral=Rede auf den Tod des Johann Schmadel aus Tyrol, Peter Pabst von Insenmus in Baiern, Johannes Wolf von Göggingen, des sogenannten blinden Anton von Weir, und Margaretha Steirin von Singenbo in Baiern. Mit Erlaubniß hoher Obrigkeit. Augsburg, bey Philipp Joseph Fill. Lit. G. Nro. 317) verwendet Verse aus München von 1770 (München und Ettenhueber, Wohlverdientes Todesurtheil nebst einer Moralrede des Joseph Renner, vulgo Prunthaler Sepp, welcher auf Anbefehlung eines Churfürstl. Hochlöbl. Hofraths allhier in München, wegen seines ausgeübten diebischen Verbrechen heut den 1 sten Sept. 1770. mit dem Schwerdt vom Leben zum Tod hingerichtet und dessen Kopf auf das Hochgericht gestecket worden). 95 verhaftet, spricht es jedoch nicht über die subjektive Befindlichkeit eines bestimmten Individuums (das literarisch in diesem Jahrhundert entsteht), sondern drückt eine religiös fundierte Lehre aus. Todesangst wird nicht als individuelle Grenzerfahrung ausgeleuchtet, sondern im religiös-gesellschaftlichen Zusammenhang funktionalisiert. Die Furcht vor der ewigen Verdammung dient als Auslöser für Reue und Bekehrung, welche dann durch die Erlösungshoffnung die Angst vor dem Sterben mindern. Die menschliche Todesangst verwandelt sich in eine übermenschliche, märtyrerhafte Todesfreude. Besonders deutlich wird der Umschlag im Gedicht Empfindungen über die Furcht des Todes (1777), einer Übersetzung oder Nachdichtung zu einem spektakulären Fall in England 258 : im Kontrast zum Titel thematisiert es das Glück des Todes, nicht die Furcht. Der Tod wird als frohes Ereignis apostrophiert, als Trauung mit der „Braut der Ewigkeit“. Der Leser kann und soll sich diese Wahrnehmung zu eigen machen, seine eigene „Furcht des Todes“ überwinden. 5.2.1.1 Der Arme Sünder: Exemplum zur Ars Moriendi Im Verbrechens- und Strafverständnis der frühen Neuzeit sind säkulare und religiöse Elemente eng miteinander verwoben. Ein Verbrechen, etwa Mord, verletzte nicht nur die weltlichen Gesetze, sondern auch die göttlichen Gebote, auf denen das Gemeinwesen fußte. Die Strafund Hinrichtungsrituale dienten nicht der Besserung des Einzelnen, sondern der Reinigung von Sünde und Heilung der Gesellschaft. Der sakrale Charakter des entlichen Rechtsstages, wie er 258 (Vollkommene Lebensgeschichte und Todesurtheil nebst einer Moralrede, des den 27. Junii 1777. hingerichteten Doctors William Dodds in Engeland. Aus dem Englischen in das Deutsche übersetzt). Vgl dazu auch (Vilette). Der englische Geistliche William Dodds war der letzte Wechselfälscher, der (trotz einer öffentlichen Gnadenskampagne) in 1777 Tyburn gehängt wurde. Sein Fall findet sich im Newsgate Calendar, („Newsgate Calendar“). Das Dobbs-Blatt an der MSU ist eine Übersetzung. 96 sich im 16. Jahrhundert festigte, sollte das Böse auslöschen und die Welt entsühnen. Der verurteilte Missetäter wurde als „Armer Sünder“ verstanden, dessen irdisches Leben zwar verwirkt war, dessen Seelenheil aber durch Reue und Gottes Gnade gerettet werden kann. Seine subjektive Einwilligung in die Strafe des Todes, sein dankbares Hinnehmen der Buße war entscheidend und vorbildhaft für die versammelte Gemeinschaft. Sein reuevoller Tod bezeugte die Wiederherstellung der umfassenden Ordnung in weltlicher und religiöser Hinsicht, für Gesellschaft und Individuum zugleich. Der Verurteilte hatte eine doppelte Exempel-Funktion: Als negatives, abschreckendes Beispiel wurde der Körper des Malefikanten zum Ziel der Strafe: das Mittel zur Untat sollte vernichtet 259 werden. Auf der anderen Seite galt es – wenn möglich – seine Seele vor der ewigen Verdammnis zu retten und ihn als ein positives Beispiel der Reue und Gottergebenheit zu präsentieren. Das Blatt zur Augsburger Kindermörderin Maria Elisabetha Beckensteinerin von 1742 zeigt deutlich die Doppelung. Beckensteinerin hatte aus Armut gestohlen und im Gefängnis ihr Kleinkind aus Verzweiflung erdrosselt. 260 (Abbildung 12, S. 98). 259 Foucault’s Studie zum Paradigmenwechsel der Strafe setzt mit der Vierteilung und Vernichtung des französischen Königsmörders Damiens 1757 ein. (Foucault, Überwachen). 260 Beckensteinerin tötete nicht ihr uneheliches Neugeborenes, sondern ein Kleinkind aus Verzweiflung. Zur anders gelagerten Problematik des Kindsmordes als soziales Verbrechen des 18. Jahrhunderts vgl. (Dülmen, Kindsmord; Peters). 97 Abbildung 12. Die Kindmörderin als Vorbild im Sterben (Augsburg 1742). GCC 784. Abbildung dient nur zur Illustration, nicht als Lesetext 98 Der Titel des Reuegedichtes, zu dem ausnahmsweise der Kupferstecher Baumgartner 261 als Autor bekannt ist, lautet: Die sehr tieff und schwer gefallene, aber nunmehro sich von ihrem Fall durch die Gnade Gottes in Buß und Glauben wieder aufgerichtete Seele/ Oder: Die grausame und unbarmherzige Mutter, Mörderin ihres eigenen Kindes. 262 Aufschlussreich ist hier die Anordnung der beiden Titelteile: das religiöse Exemplum von Reue und Glaubenserweckung steht an erster Stelle. Die Buße überwiegt das abschreckende Beispiel des Kindermordes, der dann auch im Gedicht selbst zwar genannt, aber nicht detailliert ausgeführt wird. Allerdings stammt dieses illustrierte Blatt aus einem umfangreichen Cluster von Publikationen, und der Verfasser kann davon ausgehen, dass dem Leser oder Zuhörer der Tathergang durch andere Texte oder das Stadtgespräch bekannt waren. 263 Im Aufbau folgt das Gedicht (11 Strophen mit sechs Versen, Alexandriner, Kreuzreim und Paarreim) den Schritten anderer Bußlieder: Allgemeine Einleitung zu Sünde – Anerkennung der eigenen Schuld – Bitte um Gottes Gnade mit Berufung auf die erlösende Kraft Jesu – Exempel für falsche Erziehung für Eltern und Kinder – Bitte an den Ehemann um Vergebung – Anrede an die anwesenden Zuschauer mit Bitte um Gebetsbeistand. Diese Standardteile finden sich in nahezu allen Reuegedichten. (Abbildung 13, S. 100). 261 Kupferstecher Johann Jakob Baumgartner Augsburg 1667 - Augsburg – 1744. (Nagler und Meyer). 262 263 (Baumgartner). Vgl. die ähnliche Abbildung zum Fall bei (Stuart, „Suicide by Proxy“), S. 440. 99 Abbildung 13. Erweckung zur Buße einer Kindsmörderin (Frankfurt 1758). GCC 388. Abbildung dient nur zur Illustration, nicht als Lesetext 100 Tief empfundene Reue über die Tat und persönliche Bekehrung zum Glauben des Täters sind der Dreh- und Angelpunkt der seelsorgerischen Bemühungen, besonders der protestantischpietistischen. Die Bedeutung, die dem Einzelnen und seiner spirituellen Verfassung zugemessen wird, bestimmt Inhalt und Form der Reuelieder. In einfachen Worten und tradierten Sprachwendungen bekennt der Geläuterte seine Schuld, bittet seine Mitmenschen um Vergebung, fleht Gott um Gnade und Erlösung an und stellt sich als abschreckendes Beispiel dar. Durch die direkte, persönliche Ansprache an Zuschauer, Zuhörer und Leser sollen die Mahnungen echt und eindringlich wirken. „Wahre Buße“ ist mit Jesu Hilfe, auch unter Anleitung des Seelsorgers, zu erreichen. In enger Anlehnung an Psalm 23, der Trost im „finsteren Tal“ bietet, heißt es: Der Hirte, dem sein Herze brach, Gieng mir auch ins Gefängnis nach Das arme Schäfflein aufzusuchen. Ich hörte zwar an disem Ort, von Mose manches böse Wort Und ihn auf meine Sünde fluchen *…+ So suchte mich der gute Hirte Zu seiner Hülfe einzuladen: Komm, armer Sünder, komm zu mir Ich, ich alleine helffe dir 264 Von allem deinen Sünden-Schaden. 264 (Letzte Gedancken | Eines | zur Buße und Glauben gebrachten | armen Sünders, | nemlich | Johann Georg Zeppels, | von Erckheim aus Schwaben, | Mem[m]ingis. Herrschaft gebürtig, | gewesenen verhehelichten | Bürgers, und Bier=Bräuers | zu Augspurg, 34. Jahr alt, | Welcher | wegen vielfältig=verübten Diebereyen | gefänglich eingezogen, | von E.H.E und Hochweisen Rath der | Reichs=Stadt Augspurg aber An 1747. | den 3. November Hoch=Obrigkeitlich vom 101 Die Protestanten kritisieren die Auffassung der katholischen Kirche, dass die Absolution durch einen Priester genüge, die Hölle zu vermeiden. In diesem Sinn kommentiert Friedrich Nicolai die Galgenpredigt eines katholischen Geistlichen zur Räuberbande um Johann Wölfle 265 : „Allein Jo- hannes Wölfe, in der alleinseligmachenden Kirche geboren, aber ohne Begriffe von den Pflichten des Christenthums, zeitlebens als ein Räuber und Mörder lebend, durfte nur beichten und absolviert werden; so war er auf dem Wege zur ewigen Seligkeit *…+ und nun durch den Weg des Fegefeuers in den katholischen Himmel wandern.“ 266 Anders als seine Mitgefangenen nimmt Wölfle die angebotene Absolution nicht an und stirbt unbußfertig, wie der linke Schächer am Kreuz. Es ist natürlich zu fragen, wie weit es sich bei den Bekenntnissen um „echte“ Reue handelt oder um ein aus Verzweiflung und Todesangst geborenes Geständnis. 267 Das Bußgedicht ist nicht unbedingt Abbildung eines realen Geschehens, sondern idealisierende Darstellung zur religiösmoralischen Ermahnung der Umstehenden. Leben | zum Tod verurtheilet, und den 7. darauf allen bö | =sen Welt=Kindern zum Schröcken und Exempel hinzurichten decretirt worden. Allda gedruckt 1747). 265 (Trauergeschichte und schröckliches Lebensende des nebst vier andern Malfikanten sub 20ten May 1786. zu Augsburg durch das Schwert vom Leben zum Tode gebrachten Mißethäters, Johann Wölfle, von Fristlingen. Mit Erlaubnis der Oberen). 266 (Nicolai), 3. Buch, IV. Abschnitt, S. 170. 267 Vgl. die zeitgenössischen Dramen zum Thema „Reue”, z.B. Iffland, Reue versöhnt (1798), Kotzebue, Menschenhaß und Reue (1797). 102 5.2.1.2 Ich-Perspektive und Authentizitätsfiktion Die Reue-Gedichte sind durchgängig in der Ich-Form geschrieben, vorgeblich von dem Armen Sünder selbst, aber wahrscheinlich aus der Feder des Geistlichen, der den Verurteilten in den letzten Tagen betreute. Sie werden durch echte oder fiktionale Hinweise auf die Autorenschaft authentifiziert, z.B. als Reumüthiges Abschiedslied des Philipp Feigels 268 , in der Fußnote zu einer Prosa- Anrede: „Als man vom Inquisiten die Erklärung dieser Stelle aus seinem selbst verfertigten Aufsatz verlangte, sagte er *…+“ 269 oder in der Abschieds-Ode, so der arme Sünder selbst in seiner Gefangenschaft verfertiget, und auf sein inständiges Begehren mutatis mutandis zu Druck befördert worden 270 . Der lateinische Hinweis auf mutatis mutandur [notwendige Änderungen] bestätigt und verschleiert zugleich die Mitwirkung des Gefängnisgeistlichen. Der explizite Hinweis bei einzelnen Texten, dass sie vom Delinquenten selbst verfasst wurden, bekräftigt im Umkehrschluss, dass die Mehrzahl der leseunkundigen und ungebildeten Verurteilten gar nicht in der Lage gewesen wäre, ein mehrstrophiges Gedicht zu gestalten. Andere sprechen für ihn und formulieren seine Reue in solchen Worten, wie sie bei den seelsorge- 268 (Urthel und reumüthiges Buß= und Abschiedslied des Philipp Feigels, eines Gärtners Sohn von Nürnberg, drey und zwanzig Jahr alt welcher wegen begangener grausamer Mordthat, die er an seinem Mitknecht, Carl Gottlieb Langfritz, eines Todtengräberknechtvon etlichen dreißig Jahren, den 3ten December 1787. auf das erbärmlichste und grausamste verübet hat, und heute, den 18. März 1788. zu Nürnberg zur wohlverdienten Straffe, andern aber zum warnenden Beispiel, mit dem Rad vom Leben zum Tode gebracht worden. An dem Tage seiner Hinrichtung als ein Beispiel und Exempel für jeden Menschen, besonders aber der Jugend zur Warnung, zum ewigen Anden verabfaßt). 269 (Eißmann und Schleiz) 270 (Abschieds-Ode, so der arme Sünder selbst in seiner Gefangenschaft verfertiget, und auf sein inständiges Begehren mutatis mutandis zu Druck befördert worden). 103 rischen Gesprächen gebraucht und vorgeschlagen wurden. 271 Geistlichkeit (und weltliche Obrigkeit) füllen die Leerstelle des Verurteilten, sie repräsentieren und präsentieren den Verstummten in vertrauten theologischen Bildern. Durch die gebundene, rituelle Sprache und die Thematik von Schuld, Sühne, Vergebung nähert sich das Reuegedicht einem Gebet, dem sich der Leser oder Zuhörer anschließen kann. Bei der Rezitation unter dem Galgen oder am Grab des Opfers partizipiert die Gesellschaft an den vorgestellten Werten der Schuldanerkenntnis, der Gottergebenheit und Erlösungshoffnung. In Ansprache und Fürbitten entsteht eine Beziehung zwischen der Gemeinschaft und dem, der ihre Gesetze verletzte. Sie beruht auf der Vorstellung, dass letztendlich alle Menschen „arme Sünder“ vor Gott sind und dessen Gnade bedürfen. 5.2.1.3 Dreifaches Blut Es ist kein Zufall, dass mehr „eigene“ Abschiedsgedichte von Mördern als von Dieben überliefert sind. Mord ist ein Verbrechen gegen Leib und Seele und wiegt besonders schwer im Vergleich zu Diebstahl und Raub, die sich „nur“ gegen materielles Eigentum richten. Durch den plötzlichen und unvermittelten Tod hat das Opfer keine Gelegenheit, seine eigenen Sünden zu bekennen und sich auf das eigene Sterben vorzubereiten. Der Mörder raubt dem Erschlagenen also nicht nur das irdische, sondern möglicherweise auch das ewige Leben. Die doppelte Schuld gegen einen Menschen ist zugleich Schuld gegen Gott, denn der Mensch ist dessen Ebenbild. Das blutige Verbrechen muss nach dem Alten Testament ebenfalls mit Blut gesühnt werden: „Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll auch durch Menschen vergossen werden” 271 vgl. die seelsorgerischen Anleitungen der Thanatographien, s.o. S 27. 104 (Genesis 9.6). Oft wird auch auf Abels Blut verwiesen, das „um Rache zum Himmel schreit“ (Genesis 4,10). Diesen biblischen Mahnworten steht das reinigende Blut des neutestamentlichen Jesu gegenüber. So heißt es in einem späten Gedicht eines Doppelmörders von 1830: Da ich unschuldig Blut vergossen, Das doppelt Rache schreit zu dir. Auch mach durch Christi Tod und Blut. Mein schrekliches Verbrechen gut. 272 Aus dem Gedanken, dass Jesus Tod und Blut unsere Erlösung bedeutet, erklärt sich der Wunsch mancher Sünder, sich in der „Seitenhöhle“ Jesu zu bergen. 273 Nach dem Johannesevangelium (19,33) sticht der Soldat Longinus dem gekreuzigten Jesus in die Seite, um sich von dessen Tod zu überzeugen. Aus dem durchbohrten Herzen fließt Blut und Wasser. Diese fünfte Passionswunde wird in der Andachts- und Erlösungstheologie in Zusammenhang mit Sünde und Sündenablass verstanden. Im Stich wird die verletzende Kraft der Sünde gesehen, im Herzen die Vergebung Gottes. Der in der „Seitenhöhle“ – nicht Wunde! – geborgene Sünder erkennt also seine Sünde an; zugleich befindet er sich aber auch im vergebenden Herzen Jesu. Die katholische Kirche sieht in der Seitenwunde den Ursprung der Kirche: das Wasser steht für die Taufe, das Blut für die Eucharistie. Im 17. Jahrhundert führten die Jesuiten die Herz-Jesu-Andachten 274 als Form der Volksfrömmigkeit ein. Man kann also vermuten, dass auch einfach gebildete 272 (Lewerer). Johann Jakob Lewerer ist ein Volkslieddichter aus Zirndorf, der auch andere historische Balladen verfasste. 273 So heißt es bei dem wegen Landesverrat enthaupteten Pfarrer Heinrich Waaßer aus Zürich (1780): „Dem Himmel zu söhnt seine Seele, Allwo sich alles Leben schließt. Dort wird in Jesu Seitenhöhle, mit Wonne alles Leid versüßt.“ (Zürich). 274 (Tammen), ("Heiligstes Herz Jesu"). 105 Leser mit der Symbolik der Seiten/Herzwunde ansatzweise vertraut waren und das Deutungsangebot der geistlichen Bekehrungsliteratur wiedererkennen konnten. 275 5.2.1.4 Erlösungsgewissheit Man war allgemein der Auffassung, dass die Reue eines Sünders, der in Anwesenheit von Geistlichen und unter Fürbitten der Umstehenden hingerichtet wurde, Gottes Gnade rechtfertige und dass er direkt in den Himmel gelangen könne. Diese Erlösungshoffnung gründet sich auf die Bibel. Ein Augsburger Dieb fleht, wie viele andere Delinquenten: „Herr, laß mich Schächers 276 Gnade sehen.“ . Im Lukasevangelium verheißt der gekreuzigte Jesus dem reuigen Schächer zu seiner Rechten, Dismas 277 : „Wahrlich, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“ (Lk 23,43). Daraus leiten die württembergischen Pietisten 278 regelrechte Schächer-Theo- logien ab. So schreibt Pastor Woltersdorf im Vorwort zu einer vielbändigen Monatsschrift Der Schächer am Kreuz (1753-61): 275 Der Räuber Peter Pabst fleht auf Knien und mit einer „einen Stein zu bewegen fähigen Sprache“ seinen unbußfertigen Kameraden Johann Wölfle an: „Nun ist die heiligste Seitenwunde noch für dich offen, schließe dich in dieselbe ein.“ Leider vergebens, Wölfe bereut nicht. 276 (Letzte Gedancken | Eines | zur Buße und Glauben gebrachten | armen Sünders, | nemlich | Johann Georg Zeppels, | von Erckheim aus Schwaben, | Mem[m]ingis. Herrschaft gebürtig, | gewesenen verhehelichten | Bürgers, und Bier=Bräuers | zu Augspurg, 34. Jahr alt, | Welcher | wegen vielfältig=verübten Diebereyen | gefänglich eingezogen, | von E.H.E und Hochweisen Rath der | Reichs=Stadt Augspurg aber An 1747. | den 3. November Hoch=Obrigkeitlich vom Leben | zum Tod verurtheilet, und den 7. darauf allen bö | =sen Welt=Kindern zum Schröcken und Exempel hinzurichten decretirt worden. Allda gedruckt 1747). 277 Erst eine apokryphe Erzählung aus dem 4. Jahrhundert nennt den Namen. Dismas wurde nicht kanonsiert, aber es entwickelte sich ein Verehrungskult um den „guten Schächer”. Zu Parallelen in der bildlichen Darstellung in der Renaissance vgl. (Merback). 278 Vgl. (Lächele). 106 Wenn aber ein verurtheilter Schächer, ein grober Uebelthäter, ein gottloser Mörder, ein Todeswürdiger Auskehricht, ein gehenkter Greuel vor der Welt, wenn dieser dem blutenden Lamme zur Seiten hängt, aus seinem lechzenden Munde der allergnädigsten Antwort gewürdiget wird: welcher vornehmste unter den Sündern wollte nun an seiner Annahme noch einen Augenblick zweifeln, so bald es ihm nur ein Ernst wird, zu kommen? 279 Diese Überzeugung spiegelt sich in vielen Reueliedern wieder, sei es als Hoffnung oder feste Gewissheit darauf, mit Jesus vereint zu werden. „*…+ So schließ ich gern mein Leben | Ich habe das Vertrauen | Im Geist Gott bald zu schauen“ heißt es in der Erweckung zur Buße der Kindsmörderin Anna Maria Fröhlichin (Frankfurt 1758). 280 (Abbildung 13, S. 100) Auch in manchen Illustrationen zeigt sich diese Auffassung. Die beiden Geistlichen, die bei der Enthauptung der Augsburger reuigen Kindermörderin Maria Beckensteinerin anwesend sind, zeigen zum Himmel, also dorthin, wo ihre Seele hingehen wird. Dort wird sie sich mit der unschuldigen Seele ihres Kindes und später mit der ihres Mannes vereinen: „Ich bitt verzeyhe mir, | ich wünsch dir Gnad-Gedeyhen, | Biß wir uns alle drey bey Jesu dort erfreuen“. 281 (Abbildung 12, S. 98). Diese Gnadens- Auffassung war so stark, dass sie als Beweggrund für eine Reihe von Morden des 17. und 18. Jahrhunderts angesehen werden kann, die als „mittelbarer Selbstmord“ zu be- 279 Zitiert nach Lächele, S. 186. 280 (Main). Der Fall wurde auch von Johann Koelberle, dem Lehrer von Cornelia Goethe behandelt. Sein „Thränenlied” (nicht an der MSU) ist inzwischen nur noch als Fotokopie erhalten. Vgl. (Peters), S. 116. 281 Eine ähnliche Illustration zum gleichen Fall findet sich bei (Stuart, „Suicide by Proxy“), S. 440. 107 282 werten sind. 283 Frauen 284 und Männer , die aus Lebensüberdruss, das ist „Melancholie“, sterben wollten, ermordeten meist unschuldige kleine Kinder, manchmal aufs geradewohl als Opfer ausgewählt, um wiederum selbst durch Dritte hingerichtet zu werden. Selbstmord war im katholischen Glauben eine Todsünde und konnte nicht durch das Sakrament vergeben werden. Er zog unausweichlich die ewige Verdammnis nach sich. Es war daher besser, durch die Hand des Henkers als durch die eigene zu sterben, solange man den Mord bereut und die Absolution durch den Geistlichen erhalten hatte. Das lutheranische Verständnis kennt zwar keine unvergebbaren Sünden, aber die Lehre, dass echte Reue einen unmittelbaren Zugang zu Gott ermöglicht, ebnete in diesem Glauben den Weg, sein Leben zu beenden. 285 5.2.1.5 Vorgebliche Zweifel Nur ganz vereinzelt werden in den Gedichten des 18. Jahrhunderts Zweifel laut, ob die Seelenlage eines Hinzurichtenden von Geistlichkeit und Zuschauern überhaupt erkannt und mitempfunden werden kann. Bezeichnenderweise stammen die einzigen„ Bedenken“ nicht aus einem Bußgedicht, sondern einer säkularen „Moralrede“, wo sie eine gegenläufige Funktion erfüllen. 282 (Stuart, „Suicide by Proxy“; Stuart, „Insanity Defense“); Zum Begriff „mittelbarer Selbstmord” verweist Stuart auf Carl Ferdinand Hommel, Rhapsodia quaestionum in foro quotidie obvenientium, neque tamen legibus decisarum, Bayreuth: Joh. And. Lubeccius, 1769– 1779, Bd. 5 (1779), 1449–1456, besonders 1454. 283 Zum Beispiel die katholische Maria Anna Mayrinn in Augsburg 1783. Sie gibt an: „Die Ursach dieser Mordthat seye gewesen, um dadurch aus der Welt zu kommen, in der sie aus Hochmuth von ihrem Liebhaber verlassen zu seyn, nicht mehr leben wolte” (GCC 1118). 284 (Beschreibung einer grausamen Mordthat, welche der Kandidat Niesan in Hamburg, an seiner Frau und 5 Kindern in der Nacht vom 15. auf den 16. August 1803. verübet hat ). 285 Tyge Krogh sieht den Mord-Selbstmord als vornehmlich lutheranisches Phänomen. (Krogh). Stuart hingegen identifiziert auch viele Fälle aus katholischen oder konfessionell gemischten Regionen Deutschlands. (Stuart, „Suicide by Proxy“). 108 Zu einem Kirchenräuber, der den ungewöhnlichen und besonders schweren Feuertod stirbt, schreibt Ettenhueber 1771: Wir sahen jenen Pfahl, und die Maschine wohl, An welchem Gablers Leib gedrosselt schmachten soll: Doch was der Arme hat an Geist und Leib empfunden, Als man ihn hinterwerts die Hände festgebunden, Was er gedenkt, gefühlt, wie ihm das Herze schlug, Aus seiner Kehle schon der letzte Atemzug Durch Strick, und Feur zugleich der Henker prophezeyhte, Und in dem Angesicht so vieler tausend Leute, Sein tödtlich Handwerk trieb, weis keiner sonst als er; Des Todes Anblick war ihm viel erschrecklicher Als selbst die Qual des Todes. 286 Hier dominieren emotionale Bilder der Not und Bedrängnis, vorgeblich aus der Perspektive desjenigen, der zum Schafott geführt wird. Sie brechen den Satz bis zur Unkenntlichkeit auseinander: „Doch was der Arme hat *…+ empfunden *…+ was er gedenkt, gefühlt *…]weis keiner sonst als er“. Bedrängende, für den Rezipienten nachvollziehbare Elemente – Fesseln, Herzklopfen, Atemnot – zögern den letzten Augenblick hinaus. Für den Leser verlängern die anschaulichen Beschreibungen das schaudernde Vergnügen, sie stellen die Qual der Todeserwartung nach, der der Verurteilte ausgeliefert ist. Der Anblick des Todes, die angstvolle Erwartung 286 (München und Ettenhueber, Wohlverdientes Todesurtheil nebst einer Moralrede des Franz Steinbachers, welcher auf Anbefehlung eines Churfüstl. Hohlöbl. Hofraths allhier in München, wegen seine ausgeübten Kirchen, so anderen Diebställen heut den 23. May 1770. auf dem Hochgericht mit dem Schwerdt vom Leben zum Tod hingerichtet, und dessen Kopf auf den Galgen gestecket worden). Das Urteil ist für den Mittäter Steinbacher, aber die Moralrede spricht fast ausschließlich vom Haupttäter Hanns Georg Gabler. Ein Urteil zu Gabler konnte weder an BSB noch an LMU nachgewiesen werden, jedoch zum dritten Kirchenräuber Quirin Wagner (München und Ettenhueber, Wohlverdientes Todesurtheil nebst einer Moralrede des Quirin Wagner, welcher auf gnädigste Anbefehlung eines Churfürstl. Hochlöbl. Hofraths allhier in München, wegen dem im Gottshaus zu Gotzing Churfürstl. Pfleggerichts Aybling verübt gwaltthätigen Raub quo Convicto, das ist, vor überwiesen gehalten, und den 6. July 1771. auf dem Hochgericht mit dem Strang vom Leben zum Tod hingerichtet worden). 109 des Unbekannten und Antizipation der Schmerzen sind Teil der Strafe. Dies wird bei Reihenhinrichtungen gezielt eingesetzt, wenn der Räuber das Hängen der Kameraden mit ansehen muss. Die letzte Aussage – sein Empfinden – bleibt ungenannt, unnennbar, weil es im Kontext der öffentlichen Sicherheit irrelevant bleiben soll. In diesem Gedicht werden Mitempfinden oder gar Mitleid mit dem Sterbenden rhetorisch außer Kraft gesetzt. 5.2.2 Wohlformulierte Schmähreden Als zweite Kategorie von Gedichten in den Armesünderblättern kann man die Moralreden abgrenzen. Ich verwende „Moralrede“ hier als allgemeinen Begriff, um Gedichte über Räuber von den Reueliedern von Mördern zu unterscheiden. Im Gegensatz zu den religiös orientierten Bußliedern, welche sich auf das positive Beispiel eines bereuenden Individuums konzentrieren, richtet sich in den Moralreden der Blick auf das abschreckende Beispiel der Strafe und ihre Funktion in der Gesellschaft. Die Untat – meist schwerer Raub oder fortgesetzter Diebstahl – und der Missetäter werden aus der Außenperspektive bewertet und dem Publikum als verachtungswürdiges Beispiel vorgeführt. Die Lebensläufe zeichnen ein abschreckendes Beispiel von Laster und Müßiggang, kein vorbildliches Verhalten im Sterben. Die Verse enthalten daher auch mehr Einzelheiten zu Taten und Bestrafung als die Reuelieder, besonders wenn es sich um außergewöhnliche Missetaten handelt. Es gilt, die Idee der „gerechten Strafe“ und des harten Durchgreifens seitens der Regierung eindrucksvoll zu vermitteln, wozu kunstvolle sprachliche Mittel eingesetzt werden. Als Verfasser zeichnen nicht mehr vorwiegend Geistliche, die im Namen des Verurteilten sprechen. Wir finden jetzt auch säkulare, professionelle Schreiber mit kommerziellem Interesse, 110 allen voran Mathias Ettenhueber in München. 287 Seine rege Produktion an kompilierten Armesünderblättern schuf ein Stilmodell, das in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in 288 Augsburg , im bayrischen 289 und österreichischen 290 Raum verbreitet war. 5.2.2.1 Barocke Stilelemente Der „Hofpoet“ Ettenhueber greift in Form und Metaphorik auf barocke Vorbilder zurück, aber verwendet sie in ambivalenter und teilweise ironisch anmutender Weise, durchsetzt mit erzieherischen Gedanken der Aufklärung. Mit seiner von Jesuiten geschulten Sprachgewalt, mythologischen Bildern und Intertexten übersteigert er den barocken Sprachduktus. Ein Beispiel: Der von Ettenhueber geprägte Titel Wohlverdientes Todesurteil beruht auf der Urteilsformel „ihme zur wohlverdienten Strafe, anderen aber zum abscheulichen Exempel“. Andererseits findet sich das Lobes-Attribut „Wohlverdientes“ in einer Reihe von Ehrengedichten, Leichenreden und Leichenpredigten des 17. und frühen 18. Jahrhunderts. 291 Im Titel der Hinrichtungszettel wirkt der Zusatz nahezu sarkastisch, denn die Hinzurichtenden sind ja gerade nicht ehrenhaft und werden auch nicht betrauert. Auch andere Elemente seiner Moralreden, z.B. das Spielen mit den Namen der Verurteilten, stehen in der Tradition von Schmähreden. 287 s.o. S. 67. 288 (Moral=Rede auf den Tod des Johann Schmadel aus Tyrol, Peter Pabst von Insenmus in Baiern, Johannes Wolf von Göggingen, des sogenannten blinden Anton von Weir, und Margaretha Steirin von Singenbo in Baiern. Mit Erlaubniß hoher Obrigkeit. Augsburg, bey Philipp Joseph Fill. Lit. G. Nro. 317). 289 290 (Garmisch); (Freising). (Ammerer und Adomeit). 291 Zum Beispiel (Philippi). Zu katholischen Leichenpredigten siehe (Boge und Bogner), zu Leichenpredigten allgemein (Lenz). 111 Auch der charakteristische Alexandriner, ein sechshebiger Jambus, ist ein Versmaß des Barock und der frühen Aufklärung. Durch die deutliche Zäsur eignet er sich besonders für eine prägnante Gegenüberstellung von Gedanken: „Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden. | Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein *…+“ kontrastiert Andreas Gryphius in seinem Sonett Es ist alles eitel. wird, 293 292 Auch wenn er jetzt, am Ende der Aufklärung, als überholt angesehen klingt der didaktische Duktus dem Bürgertum vertraut und passend für eine mora- lische Botschaft. Das ist mit Bußliedern vergleichbar, die nach Kirchenliedmelodien gestaltet werden. Ettenhuebers Armesünderblatt trägt zum intellektuell-ironischen Vergnügen des gebildeten Bürgers bei, während die dargestellten Werte und obrigkeitlichen Argumente durch den gehobenen Sprachstil legitimiert werden. Solche Darstellungen erfordern ein bestimmtes Geschick im Sprachhandwerk, sowohl vom Verfasser als auch vom Rezipienten. Wissen und Interesse an den überlebten didaktisierenden Funktionen verliert sich im späten 18. und 19. Jahrhundert. Mathias Ettenhuebers Modell wird um 1800 selbst Zielscheibe der Satire. 294 Da die marktbeherrschenden Münchner Moralreden auch in einigen Fallstudien besprochen werden, sollen in diesem Kapitel einige frühe Moralreden aus der Region vorgestellt werden, deren besondere visuelle Elemente aus dem traditionellen Repertoire des Barock eine Verbin292 (Gryphius). 293 Der Alexandriner kommt ursprünglich aus Frankreich, etwa von Voltaire verwendet. Friedrich Schiller kritisiert: „Der Verstand wird ununterbrochen aufgefordert und jedes Gefühl, jeder Gedanke in dieser Form wie in das Bette des Prokruststs gezwängt.” Zitiert nach (Kayser), S. 32. 294 s.u. S.236. 112 dung von Sinn und Form umsetzen. Die sprachlichen und bildlichen Mittel streichen das Verdammungswürdige der Tat heraus und schmähen die Täter mit Spott und Hohn. Das lustvolle und kunstfertige Sprachspiel überhöht den Malefikanten zum exemplarischen Bösen, zum AntiHelden. Es ist ein triumphierendes Zelebrieren des Anders-Sein, das die staatliche Gewalt nicht nur rechtfertigt, sondern fordert. 5.2.2.2 Galgenberg des Süß Oppenheimer Eine der spektakulärsten Hinrichtungen des 18. Jahrhunderts war die des „Jud Süß“ Oppenheimer in Stuttgart 1738. Joseph Süßkind Oppenheimer wurde nach einem schnellen Aufstieg der Hoffaktor und Bankier des württembergischen Herzogs Karl Alexander in Stuttgart. Mit zahlreichen merkantilistischen Maßnahmen rettete er die desolate Finanzlage des absolutistischen Herrschers, zog sich aber Zorn und Neid der Bürger zu. Nach dem Tod seines Herzogs wurde er in einem Schauprozess wegen Hochverrat, Unzucht und Religionsschändung verurteilt und im Februar 1738 gehängt. 295 Seine Leiche wurde sechs Jahre lang in einem eisernen Käfig öffentlich zur Schau gestellt. Oppenheimers Aufstieg und Sturz – heute als Justizmord interpretiert – erregte viel Aufsehen und wurde von zahlreichen zeitgenössischen Medienpublikationen begleitet. 296 Die German Criminology Collection an der MSU besitzt u.a. eine siebzehnseitige Relation | Was sich vor und bey dem Ende des ehema=lig Würtembergischen Finanzien Directore, nunmehro aber verruch- 295 Die Prozessakten wurden erst 1919 zugänglich. Vgl. (Emberger und Kretschmar). 296 Oppenheimers Schicksal wurde später von Wilhelm Hauff (1827) und Lion Feuchtwanger (1919) sowie in Veit Harlans berüchtigtem antisemitischen Hetzfilm Jud Süß (1940) aufgegriffen. 113 ten Ertz=Dieb und be=kannten Land=Betrüber Juden Joseph Süß Oppenheimer ereignet[…] eine in „besseres Hoch-Deutsch“ übertragene Moritat eines Spielmannes würdige Staats=Assemblee | In | Dem Reich derer Todten[…] 299 298 297 , sowie eine Merck- und einen losen Kupferstich zur Hinrichtung. Der Relation beigegeben ist ein ungewöhnliches und seltenes Dokument, nämlich ein carmen figuratum, ein Figurengedicht. Im vorliegenden Umrissgedicht zu Jud Süß sind die Buchstaben in Form eines Galgenberges mit Käfig angeordnet (Abbildung 14, S. 116). Das graphische Material der symbolischen Sprachzeichen ergibt so eine zweite, visuell vermittelte Sinnebene. Die Zeichen zeigen im Bild das, was im Text semantisch angesprochen wird: Hinrichtung und ZurSchau-Stellung des Süß Oppenheimers. Form und Inhalt gelangen zur Deckung: „Bei der visu- 297 (Relation | Was sich vor und bey dem Ende des ehema=lig Würtembergischen Finanzien Directore, nunmehro aber verruchten Ertz=Dieb und be=kannten Land=Betrüber Juden Joseph Süß Oppenheimer ereignet: So wol was seine Reden und Aufführung, als auch sein Bezeigen bey Anhörung des ihme vorgelesenen Urtheils betrifft. Aus glaubwürdig eingeholten Nachrichten mitgetheilet; Nebst einem accuraten Abriß seiner Persohn, wie auch rechtlich vollzogener Eexcution dem öffentlichen Druck übergeben). 298 (Leben/ Uebelthaten und grechtes Urtheil des berichtigten Erz=Schelmen und Diebs Juden Süß Oppenheimers Darinnen sein böser Lebens=Wandel, Schelmen= und Diebs=Stücke, und wie er endlich seinen woh;=verdienten Lohn durch des Henckers=Hand empfangen, ausführlich erzehlet werden von einem aufrichtigem Spile=Wercks=Mann / aus dessen Munde aber zu papier gebracht und in eine bessere Ordnung gesetzet, von einem Hoch=Teutschen. Nebst des Juden Schelmischen Bildnuß und wie er in einem Käfig den Galgen zieret; In Zwey Bögen Kupffern vorgestellet). 299 (Staats=Assemblee, GCC 1277). Zum weitverbreiteten Genre eines „Gesprächs im Reich der Toten” vgl. (Dainat, „Gespräche“). 114 ellen Poesie findet nicht nur die Zusammenschau von ikonischen und verbalen Zeichen statt wie 300 bei den Emblemen oder im Comic, sondern deren Synthetisierung.“ Durch die Mischung von Wort und Bild, die Intermedialität, entsteht ein Deutungsraum, der mit mehreren Sinnen erfasst wird und so nachhaltig auf den Rezipienten einwirkt. Die Strafe wird versinnlicht und gedoppelt: lag Oppenheimers Körper sechs Jahre in dem Käfig, so zielt auch die gedruckte Publikation auf längerfristige Wirkung, auf weitere Erniedrigung des Gestürzten. Galgenberg und Käfig sind Abbild der Realität und auch für Leseunkundige zu verstehen. Umriss- und Gittergedichte gibt es seit der Antike in vielen, auch außereuropäischen Schriftkulturen. Sie waren in der christlichen Lyrik des Mittelalters, besonders aber in der manieristischen Lyrik des Barock beliebt Regina von Greiffenberg. 300 301 302 301 ; eines der bekanntesten ist das Kreuzgedicht von Catharina 302 Plotke, S. 39. (Gross). (Adler und Ernst); (Dünnhaupt, Barockbiographien). 115 Abbildung 14: Figurengedicht Galgenberg des Jud Süß (1738). GCC 792. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. 116 Carmen picturata wurden im Barock gerne zum Herrscherpreis eingesetzt; sie waren ein sprachliches Prunkstück in den auf Festivität und Repräsentation ausgerichteten kulturellen 303 Ritualen des 17. Jahrhunderts. Johann Christoph Gottsched lehnt sie in seinem Versuch einer 304 Critischen Dichtkunst 1751 als bloße spielerische Unterhaltung und „Tändeley“ ab. Nach Lessings strenger Scheidung der Künste versiegt die Mischform vorerst, bis sie im 20. Jahrhundert als „Konkrete Poesie“ wieder erscheint. Der Galgenberg des Jud Süß verwendet eine Form des Fürstenlobs, die noch im kulturellen Gedächtnis der Zeit verankert ist, setzt sie jedoch mehr oder weniger kunstfertig zu Schmähung und Verspottung des gefallenen und verhassten Ministers ein. Oppenheimers vormalige Macht und Nähe zum württembergischen Hof werden im Gedicht zwar nicht angesprochen, aber als bekannt vorausgesetzt. Der gedruckte Galgenberg entwirft eine architektonische Gestalt, die eine Entsprechung in der Wirklichkeit hat; derartiges findet sich oft im figürlichen Herrscherpreis, so etwa die Ehrenpforte im Einblattdruck von 1731 oder die Gedächtniß Pforte von 305 1710. Der unbekannte Verfasser des Jud Süß greift auf eine Form der Panegyrik zurück, um spielerisch, aber mit ernster Absicht, die Narration von extremer Immoralität zu gestalten. Die rhetorische Tradition kennt neben dem chronologischen auch einen ethischen Typus des Herr- 303 Vgl. die Beispiele bei (Adler und Ernst), S. 183-194. 304 (Plotke), S. 28. Ein letztes Beispiel aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist anonymes Schiff, das 1749 Maria Theresia gewidmet wurde und auf das Ende des österreichischen Erbfolgekrieges anspielt. (Adler und Ernst), S. 305 Ehrenpforte für den Herzog von Braunschweig, gedruckt nach 1731 von Papen. (Adler und Ernst), S. 189, Nr. 125. Johann Carl Spieß, Gedächtniß-Porte für den Herzog von Braunschweig. Wolffenbuettel: Christian Bartsch 1710. Adler und Ernst, S. 192-3, Nr. 129. 117 scherlobs, der Tugenden und Fähigkeiten in systematischer Ordnung auffächert. Dieser ethische Typus ist hier persifliert, ins Negative gekehrt, indem die Laster aufgezählt werden. 1. Zu Stutgard zeiget sich dieß Zeichen in der Lufft; erblicke Sterblicher, die seltne Todten= Gruft,| deß, der sich Süß genennt, doch es so bitter machte, daß ihn die Missethat zu dieser Hoheit brachte, | merck ferner, wie Betrug, und Geitz und Schinderey, und Unbarmherzigkeit und List und Heuchele=| ley, und Hochmuth und der Neid sein grauses grauses Grabmahl stützen, und sein verruchtes Lob vor der | Verwesung schützen. So muß es allen gehen, die Völcker, Reich und Land, in ihrem grünen| Flor und holden Ruhe=Stand, durch Wucher und Betrug ohn einig Mitleid stören, und | das gestohlne Gut mit Unrecht noch vermehren. 2. Vielleicht lockt dieser Vogel=Heerd noch viele, die des Kefigs werth. Die Aezung, die vorher erquickt, hat manchen Schuldigen, eh er’s gedacht, bestrickt. 3. Betrug | und | Geiz giebt hier den ersten Pfeiler ab, | den Bau erhält die böse Laster Welt. 4. Die Unbarm | herz | igkeit befestigt dieses Grab, wobey die Schinderey die neben Stütze gab. 5. Neid | und | Hochmuth | streckt begierig den verfälschten Kloben aus. 6. Heucheley | und | List | vollendet dieses offne Schelmen Haus. 7. Vielleicht bleibt einer hangen. 8. Ich bin mit |Fleis erhöht, denn | die verstohlne Ra= |be[n] die wollen gern | den Fluch hoch in den Lüfften |haben. 118 9. Der Vogel ist gefangen. | Ich | stahl dem | Fürsten ab, dem | Burger nicht al= |lein, drum schloß | der Hencker hier, | mich Galgen Vo=| gel ein. Verwahrt | mich nur recht wol, man findt nicht | leicht dergleichen,| ich möchte nach | dem Tod, in freye | Lufft entweichen. Die Anordnung der ersten Strophe formt den Hinrichtungsplatz. Dicht gesetzt, ohne Zeilenumbruch, bilden Moral und Warnung eine zum Zuschauer gewandte Mauer. Die Vorwürfe von Betrug, Geiz, Schinderei, Unbarmherzigkeit, List, Heuchelei, Hochmut, Neid sind wortwörtlich die Grundlage für die Bestrafung. Der Leser bzw. Betrachter wird direkt angesprochen und geleitet: „erblicke Sterblicher“, „merck ferner“, „So muß es allen gehen“. Die folgenden Strophen greifen die Laster als ikonographisch gesetzten Pfosten des Galgengerüstes wieder auf, das den Käfig trägt, in dem Süß zur Schau gestellt wurde. Vergehen und Strafe werden unmittelbar sichtbar und verstehbar gemacht. Die Druckanordnung ist nicht der einzige Bereich, in dem der Verfasser seine Sprachkunst beweist. Verankerung (Kloben) und Käfig (Strophen 8 und 9) spielen mit der Metaphorik des eingesperrten „Galgenvogels“. Dieser Begriff ist in der „niederen Sprechweise“ ähnlich wie der „Galgenstrick“ oder „Galgenschwengel“ 307 306 weit verbreitet, als Bezeichnung für jemanden, der des Galgens würdig ist. Die Metonymie zu „Vogel“ nutzt die Kontiguität des realen Sachbezugs aus demselben Wirklichkeitsbereich: der aasfressende Rabe ernährt sich von den Leichen an der Hinrichtungsstätte, dem „Rabenstein“. Die volkstümliche Bezeichnung spiegelt die mittel306 307 (Adelung), Bd. 2, Sp. 392. Vgl. die Nachweise bei (DWB), Bd. 4, Sp. 1179. 119 alterliche und frühneuzeitliche Lebenswelt wieder, in der sie geprägt wurde: Der Galgen mit den Raben war ein häufiger, ja ausdrücklich gewollter und inszenierter Anblick. Die metaphorische Übertragung erlaubt es einerseits, über das Grauen zu sprechen, ohne es direkt benennen zu müssen. Andererseits zeigt die häufige scherzhafte Verwendung und die verblasste Bedeutung, wie alltäglich diese Erfahrung gewesen sein muss. 5.2.2.3 Chronogramm zum Hinrichtungsjahr Drei Armesünder-Gedichte aus der MSU-Sammlung besitzen Chronogramme als Überschrift und rahmende Unterschrift zu Moralreden. Das kunstreiche Sprach- und Zahlenspiel legitimiert Sensationslust und Neugier des gebildeten Lesers. Zugleich verankert es den ursächlichen Zusammenhang von Verbrechen und notwendig folgender Strafe im Bewusstsein der Leser. Die Hinrichtung wird als erinnerungswürdiges exemplum präsentiert, mit einer daraus zu ziehenden Lehre. Chronogramme sind eine traditionelle Technik zur Erinnerung an bedeutende Ereignisse. Sie finden sich vor allen in Inschriften an Denkmälern oder Bauwerken und sind oft auf Latein. In einem Satz oder Sinnspruch werden einzelne Buchstaben besonders hervorgehoben, die als römische Zahlen gelesen werden. Zusammengezählt ergeben sie das Jahresdatum, an dem das beschriebene oder zugeordnete Ereignis stattgefunden hat. Über den reinen Wortsinn hinaus enthalten solche Sätze also eine zweite, im Kryptogramm bisweilen verborgene, Bedeutungs- 120 ebene, die es zu entschlüsseln galt. Chronogramme entsprechen der Weltsicht des Barocks, in der Symbole und Embleme auf umfassende Sinnzusammenhänge verweisen. 308 Im Jahr 1764 wurden in Augsburg zwei Juden, David Hirsch Levi und David Löw Levi, wegen 309 „höchst straffbahrer Aßignations=Nachmachung“, also Wechselfälschung, verurteilt. Die Juden fälschten die Unterschriften von jüdischen Bankiers, um Geldanweisungen von Kaufleuten in anderen Städten zu bekommen. Sie werden im Hals-Eisen an den Pranger gestellt, gebrandmarkt und ausgehauen. Sie werden in der Urphede aus den „Schwäbischen Creys-Landen“ verwiesen, d.h. nicht aus der Stadt allein, sondern aus dem gesamten Umkreis, in dem Augsburg die Jurisdiktion innehatte. 310 Stadtwaibel Samuel Valentin publiziert dieses Urteil, und im Gegensatz zu seinen anderen Veröffentlichungen ist hier ein Gedicht eines unbekannten Verfassers beigefügt. (Abbildung 15, S. 122). 308 (Dünnhaupt, „Chronogramme“); („Chronogramm“). 309 (Augsburg, Ein HochEdler und Hochweiser Rath der des Heil. Röm. Reichs Freyen Stadt Augspurg hat mit Urthel zu Recht erkannt daß Donnerstag den 28ten Junii A. 1764. zwey Juden Namens David Hirsch Levi/ und David Löw Levi/ beede von Scheittach aus der Chur-Bayrischen Herrschafft Rothenerg gebürtig, wegen höchst-starffbahrer Aßignations=Nachmachung von 130. Carld'or und andern ausgeübten beträchtlichen Partitereyen zu ihrer wohlverdienten dannoch gnädigen Bestraffung öffentlich an das Hals=Eisen gestellt, gebrandmarckt und ausgehauen werden sollen. Als hat wegen erhaltener Hoch=Oberherrlich gnädiger Erlaubnuß das urthel hiemt publiciren wollen Samuel Valentin / Stady=Gerichts= Waibel). 310 Juden siedelten in drei Landgemeinden in der Nähe der Stadt, nachdem sie um 1440 aus Augsburg vertrieben worden waren. Die Unter- und Mittelschichtschicht handelte als Hausierer, einige gewannen als „Hofjuden“ größeren Einfluss durch Armeezulieferungen. Bis Ende des 18. Jahrhunderts galt ein Passierscheinsystem; erst nach 1803 gewährte Augsburg jüdischen Bankiers ständiges Wohnrecht. (Hirsch). 121 Abbildung 15: Chronogram zu Wechselbetrügern (Augsburg 1764). GCC 1088. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. 122 Das Chronogramm ergibt die Jahreszahl 1764: II. IVDIsChe SCheLMen zIehen Iezo Ihren agIo eIn LIterae CaMbIaLes IVDaeIs soLVtae [Die Wechselbriefe der Juden sind aufgelöst. MB] Es ist kein echtes Doppelchronogramm, da die Übersetzungen nicht übereinstimmen, aber die Bedeutung der beiden Sprüche ist die gleiche, nämlich Strafe für den Wechselbetrug. Die zu addierenden Zahlbuchstaben sind mit dem lateinischen Alphabet und groß gedruckt, die anderen Buchstaben in deutscher Fraktur.Das Gedicht ist eine dramatisierte Schmährede, in der mit dem Juden (generischer Singular), dem „hübsch und saubarer infamer Mauschel“, abgerechnet wird, weil er Christen im Geldverleih betrogen habe. Die Bildsprache verwendet durchgehend Ausdrücke aus dem Bankwesen: Assignation, Aviso, Assegno, scondieren, aber auch deutsche Begriffe wie Zahl-Tag, Münze, Sorten, Kreutzer. Als Strafe muss der Jude heute die „ganze Summa“ auf seinem Buckel tragen, wenn er ausgepeitscht wird. Schläge sind „verrufen[e] Kreutzer“, und die „roth[e] Münze“ spielt zugleich auf blutiges Auspeitschen und auf einen wertlosen roten Kupferheller an. Im Mittelteil wird die Verflechtung zwischen Finanzwelt und Strafe besonders deutlich. „Au weh! Nur acceptiert. Au weh! Verbotne Sorten! | Au weh! Sie gehen ja, mein Herr, nicht aller Orten. | Au weh! Die Kreutzer sind verrufen und versagt | laßt mich mit mit solcher Müntz, mein Herr, doch ungeplagt.“ Durch die Metaphorik wird die Strafe als „Spiegelstrafe“ assoziiert. Die Vergeltung entspricht dem Vergehen selbst, etwa wenn einem Mörder die Hand abgehauen wird. Der letzte Paarreim warnt: „Bring keine falsche *Assignation+ mehr in deinem ganzen Leben, | sonst must du sie einmal an höherm Ort erheben.“ Die recht- 123 lich-finanzielle Geld-Anweisung wird hier zu einer moralischen Lehr-Anweisung, die letztendlich von Gott eingefordert wird. Allein durch die halb verschlüsselte Jahreszahl des Chronogramms lässt sich für Eingeweihte der konkrete Fall Hirsch und Löw von 1764 erkennen. Insgesamt ist dieses Poem als Exemplum zu lesen, als generelle Schilderung des Betruges und der Strafe. Es könnte sich auf ähnliche Situationen in anderen Städten übertragen lassen. Sprachspiel und Reimkunst sollen nicht die faktischen Einzelheiten des Vorfalles ausleuchten – das geschieht in der Urgicht – sondern vermitteln und intensivieren die moralische Belehrung. Das dramatisch-dialogische Element, die ausgefeilte und exzessive Geld-Metaphorik, deutscher und lateinischer Sinnspruch sind Aspekte, die einen breitgefächerten, auch gebildeten Leserkreis vermuten lassen. Eine nahezu identische literarische Methode lässt sich auch für das zweite Chronogramm aus Augsburg von 1764 beschreiben, so dass derselbe Verfasser vermutet werden kann. (Abbildung 16, S. 125) BartheL SCHMID eIn aLter geVbter StehLer krIegt heVte seIne Strafe. Das Chronogramm eines Diebes gehört zum Urteil des „Bayrischen Barthele“, der als gewohnheitsmäßiger Räuber durch das Schwert mit blutiger Hand sterben und dessen Körper auf das Rad geflochten wird. 311 311 (Augsburg, Verruf. [HochEdler und Hochweiser Rath des Heil. Röm. Reichs Freyen Stadt Augspurg hat mit Urthel zu Recht erkannt daß Donnerstag den 25ten Octobr. A. 1764. Bartholomäus Schmid / von Harthausen bey Friedberg begürtig; vulgo der Bayrische Barthele, wegen vieler ausgeübten Diebstähle und Räubereyen zu seiner wohlverdienten Bestraffung durch das Schwerdt und blutiger Hand, vom Leben zum Tod gebracht, dessen Cörper aber auf das Rad geflochten werden sollte. Als hat wegen erhaltener Hoch-Oberherrlich gnädiger 124 Abbildung 16. Chronogramm eines Diebes.(Augsburg 1764). GCC 1161. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. Erlaubnuß das End-Urthel dem Publico mittheilen wollen Samuel Valentin / Stadt=Gerichts=Waibel]). 125 Das Moralgedicht ist zwar in der Ich-Form, also aus der Sicht des Verurteilten, geschrieben. Es erwähnt jedoch keine Einzelheiten zu den Missetaten und lässt den individuellen Fall nicht erkennen. Dadurch sind die moralischen Überlegungen übertragbar, nicht nur auf andere Diebe, sondern auch auf die Menschen allgemein. Die beigegebene Sentenz entstammt den biblischen Sprüchen: „Es gefället manchem ein Weg wohl, aber endlich führt er zum Tode“ (Prov. 14, V. 12). Die beiden Motive „Weg“ und „Lust“ bilden das Grundgerüst für die folgende rhetorisch geschickte Auslegung. Im Gedicht wird der „Weg“ des „Ich“ beschrieben, der sich stetig weiter vom „Pfad der Tugend“ entfernt. Entsprechend der Moralvorstellungen der Zeit wird betont, daß Barthel den „Lasterweg“ selbst gewählt habe, dass er ihn „mit Lust gelauffen“ sei. Die Schwere der Vergehen steigert sich, immer höhere Tugenden und Werte werden missachtet und verletzt. Die Reihenfolge der Vergehen – Faulheit, Hurerei, Diebstahl, Gewalt – ist nicht als rein temporales Nacheinander zu verstehen, sondern eher als Kausalkette, die unweigerlich zur Katastrophe führt. Ein drittes Armesünderblatt aus dem katholischen Erzbistum Bamberg von 1776 312 enthält gleich zwei Doppelchronogramme in Latein und Deutsch. Wahrscheinlich wurde die Schrift zur Vergifterin Barbara Saffenreutherin von einem gebildeten Geistlichen verfasst, der in der Bibel passende Zitate finden und sowohl in Latein als auch Deutsch zu einem sogenannten reinen Chronogramm formulieren konnte, bei dem jeder mögliche Zahlbuchstabe berücksichtigt wird. (Abbildung 17,S. 128). 312 (Bamberg). Zur Rolle des Geistlichen in Bamberg vgl. (Kohlschein). 126 Das typographisch und stilistisch aufwendige Titelblatt lautet: HoDIe | reVeLabItVr MaLItIa eIVs. | EXpressa sonant Verba | proVerb. Cap. et VersV XXVIto. | Zu deutsch: | HeVte wIrD Ihre BoßheIt entDeCket werDen. | So Ist zV Lesen In weIsen SprÜchen an obangefÜhrtem Orte. Wie wahr dieser weise Ausspruch seye, | sehen wir an | Barbara Saffenreutherin *…+ als eine boshafte Vergifterin *…+ durch das Schwerdt ihre entdeckte Boßheit mit ihrem Blut bedeckte. Nach dem Geständnis der Species Facti und dem Tods-Urtheil folgt das zweite Doppelchronogramm. Mors In oLLa. | Ita sVnt Verba Die | IV. Reg. CapIte IVto, VersV XXXX. Zu Deutsch: Der ToD Ist In Essen. | so sagt GOTT zV Vns | In IVten BVCh Der KönIgen am IVten Cap. XXXXten Vers. Barbara hatte die Ehefrau ihres Geliebten mit einer arsenhaltigen Fischbrühe vergiftet. Wesentlich ist, dass die ausgeschmückte Moralrede kein Bußgedicht der Sünderin ist, sondern ein Verdammen der Frau für ihren ehebrecherischen Umgang. Aus Leidenschaft ist sie taub gegen Gottes Ermahnungen, kehrt nicht um und wird unverzüglich von ihm gestraft. Die Botschaft der katholischen Kirche an den Leser ist klar: ein solch unsittlicher Lebenswandel muss zum Schlimmsten führen. Für Barbara gibt es keine Erlösungshoffnung durch Buße, sondern nur „Gottes Rache, Weh und Ach“. 127 Titelblatt Moralgedicht, erste Seite Abbildung 17. Chronogramme einer Vergifterin (Bamberg 1776). GCC 1162. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext 128 5.3 Wandel im Verbrecherbild Mit dem sich verändernden Menschenbild der Aufklärung geraten neue individual-psychologische Aspekte in das Blickfeld. Motive wie Wahnsinn oder Verzweiflung werden gegen Ende des 18. Jahrhunderts Teil des Diskurses. 313 Spürbar wird auch eine Sensibilisierung für die Hinterbliebenen, sowohl denen des Opfers als auch der Familie des Mörders. 314 5.3.1 Lied an den Mörder 1799 wird in der lutherischen Reichsstadt Nürnberg Johann Daniel Weber erstochen. Anlässlich der Beerdigung werden Drei erbauliche Lieder aus der Perspektive des Opfers publiziert: Das erste: An seine Mutter. Das zweite: An seine Liebste. Das dritte: An seinen Mörder. 315 Die allgemein gehaltenen Liedtexte sind kein Bestandteil eines kombinierten Armesünderblattes, sondern ein eigenständiger Druck im handlichen Oktavformat, das leicht zu geselligen 313 (Foucault, Wahnsinn); (Stuart, „Insanity Defense“). 314 Der Dessauer Philanthrop Johann Bernhard Basedow verkaufte 1772 eine VatermörderPredigt „zum Besten der Wittwe und der Kinder des Mörders *…+, auf Schreibpapier für 2 Groschen, auf Druckpapier für 1 Groschen”. (Basedow). Vgl. auch die Spendenaktion „Zum Besten armer Schulkinder” mittels einer Raubmörder-Predigt des Altdorfer Pfarrers Frech (1819). (Frech). 315 (Drei erbauliche Lieder über die betrübte Beerdigung des verunglückten Johann Daniel Webers, welcher den 14. April 1799. von Johann Paul Reindel durch 13 Messerstiche ... ermordet und den 18. April begraben wurde: Das erste: An seine Mutter ; Das zweite: An seine Liebste ; Das dritte: An seinen Mörder). VD 18: 11769467. Dieses Dokument ist nicht im Korpus der German Criminal Collection, sondern konnte nur an der Staatsbibliothek Berlin nachgewiesen werden. 129 Zusammenkünften mitgenommen werden kann. Außer im Titel „durch 13 Messerstiche auf eine 316 jämmerliche Art ermordet“ erfährt der Leser/ Zuhörer keine Details der Tat. Die Ansprachen des lyrischen Ichs entfalten eine eigne Dynamik, ähnlich der von Reueliedern. Alle drei angegebenen Melodien sind Kantaten von Johann Sebastian Bach, passend zum jewei317 ligen Inhalt ausgewählt. Wahrscheinlich wurden diese Lieder nicht kommerziell als Bänkel- balladen vorgetragen, sondern während der Beerdigung oder einer religiösen Gemeindezusammenkunft gesungen. Das erste Lied an die Mutter ist zur Kantate „Mache dich mein Geist bereit“ gesetzt 318 , mit entsprechendem Versmaß und Reimschema (abab, ccdd). Jede der ersten acht Strophen setzt mit dem tröstenden Worten „Weine nicht *…+“ ein. Der Verlust der verwitweten Mutter wird sympathetisch angesprochen und ihr Trost angeboten: der Sohn sei bereits zu Lebzeiten ihr „Lohn“ gewesen; Kinder stürben oft „wie der Wind“; die Seele des Sohnes spüre keinen 316 Die Lieder des Opfers setzen ein Kommunikations- und Publikationsnetz voraus, wenn sie lokal verankert werden sollen. Für den Fall Weber/Reindel lassen sich in Nürnberg die Beschreibung einer grausamen Mordthat und eine Leichenrede bei Beerdigung nachweisen, jedoch kein amtliches Urteil mit Urgicht. Vgl. Gedruckter Katalog der Stadtbibliothek von 1876 (Katalog der Stadtbibliothek Nürnberg. Erste Abteilung: Schwarz-Amberger'sche NoricaSammlung). Der aktuelle online-Katalog konnte nicht erreicht werden. Das Gegenstück zum Opfer-Gedicht, das Bekehrungslied eines über seine böse Handlung gerührten Mörders Paulus Reindel ist kein originaler Text, sondern ein Nachdruck aus dem früheren Nürnberger Mordfall Feigel/Langfritz, der in Kapitel 6.5, S.197 dieser Studie ausführlich besprochen wird. (Bekehrungslied eines über seine böse Handlung gerührten Mörders des Paulus Reindel, welcher den Johann Daniel Weber am 14ten April 1799 mit dreizehn Messerstichen auf eine meuchelmörderische Art ums Leben brachte). 317 318 (Bach). Bach-Werke-Verzeichnis BWV 115, Part 1 (1724). Text von Johann B. Freystein, 1697. 130 Schmerz mehr; die Handwerkszunft ehre ihn „schön“ mit dem Begräbnis; „mit der Zeit“ werde sich ihr Herz stillen. Ein neuer, barmherziger Zug ist, dass das Opfer dem Mörder und dessen Kindern vergibt und so den Weg frei macht zur Versöhnung beim Weltgericht. Ich erlaß des Mörders Schuld, Gott vergibt die Sünden, Ja zu gut, daß mein Blut nicht komm auf den Sünder, Noch auf seine Kinder. Dort muß selbst der Mörder sich Am Ermorden schließen, Mutter! Darauf freu ich mich, Denn er muß hier büssen. Durch die Noth, und den Tod, Wer kann es ergründen, Uns vereint zu finden. Dem Bösen des gewaltsamen Todes wird nicht mit Verzweiflung und Rache begegnet, sondern mit barmherziger Vergebung. In dieser neutestamentlich orientierten Deutung kommt dem Opfer zw. seinen Hinterbliebenen eine wesentliche Rolle zu: es ist ihr Verzeihen, das der gesamten Menschheit „*a+rm und reich, Engeln gleich“ den Weg zur Erlösung öffnet. Nicht die mechanische Beichte und Absolution durch den Gefängnisgeistlichen geben Hoffnung, sondern die persönliche Überwindung von Täter und Opfer. Das zweite Lied „An seine Liebste“ verwendet ebenfalls eine Bach-Kantate „Wie schön leuchtet 319 der Morgenstern“ , die erstmals von Philipp Nicolai 1597 als mystisches Brautlied konzipiert wurde. Von Graf Zinzendorf selbst bearbeitet, war sie Bestandteil des pietistischen Herrnhuter 319 BWV 1. Der ursprüngliche Choral von Philipp Nicolai (1597) ergibt im zentrierten Druck den Umriss eines Kelches. 131 Gesangbuches und wurde 1773 von Klopstock aufgegriffen. Die an den Mordfall angepasste Nachschöpfung (Name Daniel, Messerstiche) greift die Liebesthematik auf, und ergänzt sie durch die religiöse Ausdeutung „da ich als Himmels-Bräutigam | mit Jesu wurd vertrauet“. Die irdische Geliebte mag zwar anfangs um ihn trauern und ihrem Herzen Luft machen, aber danach heißt es: „trockne deine Thränen *…+ Lass die Gebeine ruhen,| Bis ich *…+ einstens werd mit dir getrauet.“ Übermäßige Trauer wird durch die Verheißung einer Vereinigung im Jenseits abgewendet. Im dritten Lied nach der Bach-Kantate „Alle Menschen müssen sterben“ 320 , einem hoffnungs- gebenden Beerdigungslied, spricht das Ich den Mörder direkt an. Anklagend und zweifelnd fragt er nach der Bestimmung des Mörders: Bist du denn dazu gebohren, Daß ich durch dich geh verloren? Oder ists des Himmels Schluß, Daß ich durch dich sterben muß? Das Gedicht stellt den Gegensatz heraus zwischen dem Himmelsfrieden des Opfers und dem „böß Gewissen“ des Mörders. Die Strafe des Mörders ist nicht der körperliche Schmerz und Tod, sondern das brennende Wissen um die moralische Verfehlung und die Ungewissheit über Gottes Vergebung. Das Versprechen des Ermordeten gibt dem Sünder Hoffnung: „Ich verzeih dir deine Sünden | Vor dem großen Weltgericht“. Insgesamt ist dieser Liedzyklus um die Themen des Verzeihens und des Trostes wohlkomponiert und geht wesentlich über ein schematisches Gut-Böse hinaus. In einer ungewohnten Perspek320 BWV 1117; ursprünglich von Johann Rist (1641) kompniert, Text von Johann Rosenmüller (1652). 132 tive wird das Opfer als beispielhaftes Exempel für Vergebung und Entsühnung gezeigt. In früheren Reueliedern richtet der Täter seine Bitte um Verzeihung an Gott und an Vertreter der sozialen Gemeinschaft. Hier erlebt man die fromme Antwort. In ihr offenbart sich eine enge – möglicherweise gottgewollte– Beziehung zwischen den beiden Beteiligten. Mörder und Opfer befinden sich an entgegengesetzten Enden, aber sie sind untrennbar verbunden. Die Tat des einen definiert den zweiten als Opfer, und die verzeihende Haltung des zweiten ermöglicht dem Mörder eine Hoffnung auf Rettung. Eine harte, unbarmherzige Haltung der „gerechten Strafe“ würde den Seelenfrieden beider Menschen gefährden. Da der Tote nicht wirklich vergeben kann, richtete sich der Appell zur Vergebung an Leser, Mitsingende und Zuhörer. Sie tragen eine humanitäre, religiöse und gesellschaftliche Verantwortung für den Mitmenschen, der auch im schlimmsten Vergehen ein „Menschenkind“ bleibt. 5.3.2 Ein armer Wurm, ein Menschenkind Vier Themenkreise formen den Diskurs um Mord und Todesstrafe: a) spiegelnde Vergeltung für das „vergossene Blut“ als gesellschaftsstabilisierendes Recht, b) religiös motivierte Buße und Gnadenshoffnung, c) individuelles Motiv und Menschenbild sowie d) Befriedigung von Neugier und Unterhaltung. Ein relativ spätes Blatt von Nürnberg 1830 greift alle diese Elemente auf. Dabei wechselt es mehrfach Perspektive und Adressat und verbleibt merkwürdig unbestimmt – sei es aus Absicht oder Unbeholfenheit des Verfassers. Friedrich Cörper, zum wiederholten Mal wegen Diebstahl und Betrug verurteilt, plant mit einem Mitgefangenen die Flucht aus der Nürnberger Frohnveste. Sie überwältigen den Gehilfen und die Magd des Gerichtsdieners, und Cörper erschlägt beide mit einem Maurerhammer. Das 133 Stadtgericht Nürnberg, welche 1830 keine freie Reichsstadt mehr war, sondern zum Königreich Bayern gehörte, verurteilt ihn zum Tode, erlässt ihm jedoch die „öffentliche Ausstellung“, d.h. das entehrende Pranger-Stehen, das noch wenige Jahrzehnte zuvor essentieller Teil des Straf321 rituals gewesen war. 322 Zu diesem Fall erschien ein Trauer=Gedicht über die Enthauptung eines armen Sünders und zweifachen Mörders Namens Friedrich Cörper aus Nürnberg. 323 (Abbildung 18, S. 136). Der Verfasser des selbständig gedruckten zweiseitigen Gedichts (Oktavformat) gibt sich zu erkennen: „Mit kindlicher Einfalt gedichtet von | Donnerstag, den 21. October.| Joh. Körber, in Loh.“ 321 (Nürnberg, Geschichtliche Darstellung des zweifachen Mordes wegen dessen der ledige Flaschnergeselle Friedrich Cörper aus Nürnberg zur Todesstrafe verurtheilt wurde). Die MSU besitzt zwei variierte Kopien dieses Urteils. GCC 777a gibt Nürnberg 1830 an. Diese Kopie ist glatt beschnitten, wahrscheinlich aus einer Sammlung ausgelöst. Variante GCC 777b zeigt ein leicht verändertes Titelblatt. Es gibt als Drucker-Verleger die „Sebaldsche Buchdruckerei. Nr. 611” an und die Jahreszahl fehlt. Das Doppelblatt ist nicht beschnitten und zeigt starke Lagerungsspuren anden Rändern. Der Text des Urteils ist unverändert. Dieser Fall wurde in den „Neuen Pitaval” von Willibald Alexis aufgenommen: (Alexis). 322 Eine andere Flugschrift lehnt sich eng an die Form des traditionellen Armesünderblattes an: Zwei neue Lieder […] Zur Warnung und Beherzigung für jeden vom Weg der Tugend abweichenden Menschen, verfasst vom Volkslieddichter Johann Jakob Lewerer aus Zirndorf (Lewerer). Auf eine Prosadarstellung der Flucht folgt als erstes Lied eine Ballade „Erzählung des von dem gedachten Missethäter verübten doppelten Mordes“. Das zweite Lied sind die „Empfindungen der Reue und Worte des Abschieds des Delinquenten“, dessen Blut-Metaphorik weiter oben besprochen worden ist. Es ist kein Entstehungs- oder Druckdatum angegeben. Da Lewerer eine Reihe von historischen Arme-Sünder-Liedern verfasste, ist es möglich, dass dieses Flugblatt erst einige Zeit nach der Hinrichtung entstand. (Ditfurth), S. 407. Vergleiche auch den kolorierten Kupferstich zur Hinrichtung im Germanischen Nationalmuseum Nünberg („Hinrichtung des Doppelmörders Friedrich Cörper in Nürnberg“). 323 (Körber). 134 Ein Joh*annes+ Körber als Autor konnte nicht nachgewiesen werden; „Loh“ (eine alte Bezeichnung für Wald) findet sich in mehreren bayrischen Ortsnamen. 324 Stammen die unregelmäßigen, zum Teil reimlosen Verse tatsächlich von einem Kind oder ist „kindliche Einfalt“ als Topos der Verfasserbescheidenheit zu werten? Unterstützt durch die Namensähnlichkeit Cörper /Körber, vermute ich, dass es sich um einen jungen Verwandten handelt, der den Kummer der Familie des Täters zum Ausdruck bringt. Nimmt man den Titel „Trauer-Gedicht über die Enthauptung eines armen Sünders“ wörtlich, so wird hier tatsächlich der Tod eines Menschen betrauert, der in erster Linie als ein „armer Sünder“ und erst dann als „zweifacher Mörder“ zu betrachten ist. In Struktur, Inhalt und Sprache verbinden sich Elemente der traditionellen Schuld- und Strafauffassung mit moderneren, psychologisch-empathischen Empfindungen zu einem ambivalenten Konglomerat, das sich einer eindeutigen religiös-moralischen Auslegung entzieht. Sie sollen im Folgenden besprochen, aber nicht überbewertet werden. 324 http://de.wikipedia.org/wiki/Loh. 135 Abbildung 18. Trauer=Gedicht über einen Mörder (Nürnberg 1830). GCC 1058. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. 136 Der Titel enthält durch Binnenreim und Versmaß gebundene Elemente, aber die standardisierte „Poesie“ ist durch den umrahmenden Prosa-Satzbau, den reimlosen Einschub und Blocksatz gebrochen: Friedrich Cörper aus Nürnberg, 31 Jahre alt, Flaschnergeselle hat Menschen= blut vergossen, sein Blut ist auch geflossen, zum Zeichen der Gerechtigkeit, daß gerechte Richter schweben, beschließt seine Lebenszeit. Die traditionelle erste religiöse Strophe in der Ich-Perspektive zeigt, dass das Todesurteil hingenommen und Schuld und Strafe anerkannt werden: „Das bin ich werth, das hab ich ja verschuldt | Mein Gott und Heiland, hab mit mir Geduld.“ Die Attribute der zweiten Strophe jedoch identifizieren den Mörder nicht ausschließlich und unzweifelhaft als den bösen Anderen. Ambivalente Formulierungen deuten ein Verständnis an, nach dem auch ein Mörder als „Menschkind“ gesehen wird, der, wie der Leser, fehlbar ist. Ein armer Wurm, Ein Menschenkind Steht hier im Weltgerichte. Ein armer Hund, ein Satan Bösewichter, Ein Wolf und Löw erhascht zwei fromme Schaf, In Satanswuth hat er sie umgebracht. Aus dem der „armen Sünder“ wird ein „armer Wurm“, eine Bezeichnung, die nicht durch Reimzwang gefordert wäre. Einerseits kann „Wurm“ hier als verächtlich-herabsetzende Bezeichnung genommen werden: „allgemein für den gottes geboten zuwider lebenden, moralischer verderbnis verfallenen menschen der welt, auch mit der nebenvorstellung des falschen und heim- 137 325 tückischen“. Dieses auf Luther Sprachgebrauch zurückgehende Attribut wird oft in den Moralreden über Räuber gebraucht, um deren Schädlichkeit und Nicht-Menschlichkeit zu bekräftigen. 326 In einem anderen Gebrauch aber steht die Adjektiv-Kombination „armer Wurm“ nach Adelung als Synonym für „Kinder, im mitleidigen Verstande“. 327 Grimm stellt fest: „seit dem beginn des 19. jhs. [finden sich] einzelne fälle n.[eutrum] gebrauchs. sie bleiben auf wurm in der übertragenen, mitleidig-affektischen verwendung 'armseliges, hilfloses geschöpf (kind)' beschränkt (wofür im übrigen vielfach auch das m.[askulinum] eintritt) und dürften unter der einwirkung n. synonyme wie etwa kind, wesen, geschöpf stehen.“ 328 Ähnlich uneindeutig ist die zweite sprachliche Doppelung „Ein armer Hund, ein Satan Bösewichter“. Sowohl dem Tier als auch dem vom Teufel Besessenen fehlt die rationale Kontrollfähigkeit des Menschen, die bewusste Entscheidung zur Tat. Sie sind instinktgetrieben, fremdbestimmt und deswegen „arm“ im aufklärerischen Verständnis. Die zeitgenössische Debatte um die Zurechnungsfähigkeit zum Fall Woyzeck, die in juristischen, medizinischen Kreisen und in 325 (DWB), Bd. 30, Sp. 2226. 326 In der barocken Emblematik kann „Wurm“ nur vereinzelt nachgewiesen werden, aber nicht in herabsetzender Bedeutung. In einer Nürnberger Ausgabe wird ein Sprichwort illustriert: „Mann tritt ein Wurm so lang mitm Fuß, | Biß er sich letztlich krümmen muß“.(Formicae Quoque Sua Bilis Inest.), G 13. Andere Emblemata zeigen Würmer im natürlichen Kreislauf des Fressens und gefressen Werdens. 327 328 (Adelung), Bd. 4, Sp. 1630. (DWB), Bd. 30. Sp. 2228-9. 138 der Öffentlichkeit geführt wurde, klingt an. 329 Die ambivalente Begrifflichkeit „armer Hund“ greift emotional solche Assoziationen auf, ohne dass sie sich durch die konkreten Tatumstände bei Cörper rechtfertigen ließen. In den nächsten Strophen folgen Gedanken- und Redefetzen während der Flucht der Täter atemlos aufeinander, ähnlich einem inneren Monolog. Der Sprecher wechselt dann erneut, die Ergreifung faktisch-kühl feststellend. Emotional-dramatisch wird die Bluttat angeklagt: „O Grausamkeit, | Wie zwei im Blut da liegen.| Gerechtigkeit!“ Wiederum wird Satan zur Erklärung herangezogen: „Der Satan lockt bis er uns dahin reißt“. Doch das Pronomen „uns“ schließt Sprecher und Leser mit in die Gruppe der Gefährdeten ein. Das Allgemeine des Humanismus scheint auf, das Verbundensein der Menschheit in Menschlichkeit, auch in Verirrung und Schuld des „Menschenkindes“. In der letzten Strophe zieht der Verurteilte Bilanz – wieder in der Ich-Form. Er weiß um seinen bevorstehenden Tod, aber er ist sich seiner Erlösung sicher: „Doch wird ich noch | Das Himmelreich ererben.“ Mit der Schlusszeile „Ich gebe noch einmal der Menschheit gute Nacht“ stellt er sich mit seinen Mitmenschen auf gleiche Ebene, von denen er sich freundlich-familiär verabschiedet. Die Idee der Wiedereingliederung wird die sich entfaltende Debatte um die Strafrechtsreform und das Gefängniswesen bestimmen. 329 330 Im Prozess gegen den historischen Woyzeck bestätigt der Mediziner Clarus dessen Zurechnungsfähigkeit. Woyzek wurde 1824 in Leipzig enthauptet. Vgl. (Reuchlein). Die Carolina schließt die Todesstrafe aus für Leute, „die jr sinn nit haben” (§150). 330 (Härter, „Entwicklung des Strafrechts“). 139 Im angedeuteten Paradox des Trauer-Gedichts überschneiden sich zwei kriminalistische Literaturstränge: die traditionelle Moralrede zum Schafott-Exemplum und eine moderne, auf Mitleid zielende dramatisierende Darstellung, wie man sie im empfindsamen Diskurs des Bürgerlichen Trauerspiel finden kann. Das anthropologische Bild des Verbrechers als „Mensch wie du und ich“ entwickelt sich in der Kriminalgeschichte der Spätaufklärung. 331 Es fußt auf der Erfah- rungswirklichkeit tatsächlicher Fälle, nicht auf den ideologischen Extrempositionen von Kirche und Staat der Frühen Neuzeit. 332 Der Verfasser des Gedichtes, Johannes Körber, versucht, das neue Menschenbild der Aufklärung und Empfindsamkeit mit einem schrecklichen Verbrechen in Einklang zu bringen. Der Totschläger ist –zumindest theoretisch – auch ein „Menschenkind“. Trotz seiner Bluttat erscheint Friedrich Cörper in diesem Trauer=Gedicht nicht ausschließlich als der bösartige Andere, sondern auch als Getriebener, Bemitleidenswerter, der im Tod wieder in die Gemeinschaft Gottes und der Menschheit aufgenommen werden kann. Aber Körber spürt ein Ungenügen dabei. Er zweifelt, wie man diesem Doppelmörder humane Werte zusprechen kann, schwankt zwischen Mitleid und Verdammung. Anders als bei Schiller handelte Cörper ja nicht impulsiv aus „verlohrener Ehre“, sondern kalkuliert kaltblütig den Ausbruch aus dem Gefängnis. Wie kann das sentimentale anthropologische Bild des Verbrechers mit der Erfahrungswirklichkeit eines rücksichtslos zertrümmerten Schädels vereinbart werden? Körber empfindet – und entschuldigt – sein humanistisches Anliegen selbst als „kindliche*…+ Einfalt“, als naiven Wunsch in einem schwierig zu fassenden Grenzbereich. 331 332 (Dainat, „Unglücklicher Mörder“; Dainat, „Wie wenig“). (Willems), hier S. 9. 140 5.4 Extensive Lektüre intensiver Werte Armesünderblätter dienen der Präsentation von Werten und Verhaltensweisen, die von der weltlichen und kirchlichen Obrigkeit als wünschenswert angesehen werden. Beide Teile, die amtliche Außenschau und die moralisch-religiöse Innenschau von Schuld und Strafe zielen auf Sozialdisziplinierung durch beständige Wiederholung. Die Repetition und geringe Varianz der sprachlichen Mittel greift die intensive Lesetradition der Erbauungslektüre auf. 333 Da dort nicht Neuigkeit, sondern Bestätigung und Festigung des Glau- bens im Zentrum stehen, wurden erbauliche Texte immer wieder, auch Generationen übergreifend gelesen. Der Leser eignete sich die vermittelten Werte durch eine Lektüre tradierter Texte an, in der das eigene Verhalten gespiegelt und konstruiert wird. Im 18. Jahrhundert entfaltete sich eine neue Kompetenz der extensiven literarischen Lektüre, die Erfahrungen eher erschüttert als verfestigt. Immer neue Texte werden nur einmal gelesen und von anderen abgelöst, die eine Fülle an Perspektiven, Themen, Werten anbieten. Deutung und Sinn sind nicht mehr vorgegeben, sondern müssen vom Leser selbst entwickelt werden. Beide Kompetenzen – das bestätigende und das hinterfragende Lesen – und Lektüreperformanzen existierten nicht nacheinander, sondern nebeneinander, wie Franz Eybl betont. 334 Ein breites Feld an konkurrierenden Rezeptionshaltungen und an individueller, situationsgebun- 333 Ralf Bogner grenzt den Begriff „Erbauungsliteratur“ ein auf solche, die praktisch-religiöse Anweisungen zur christlichen Lebensführung gibt. Er verwirft die „geradezu inflationäre Verwendung des Begriffs ‘erbaulich’ in der Forschung“. (Bogner), S. 35. Ich folge hier dem zugegeben vagen zeitgenössischen Sprachgebrauch, der nicht mehr auf religiöse Instruktionen beschränkt ist. Vgl. (DWB), Bd.3, Sp. 707. 334 (Eybl). 141 dener Lektüre entwickelt sich schon seit der humanistischen Zeit. Im Schwellenzeitraum um 1780 – in dem viele der hier untersuchten Flugschriften entstanden – äußert sich die konstruktive Sinngewinnung, die in der Erbauung eingeübt wurde, als innerliche, psychologische Haltung. Die Gelegenheitsflugschrift des Armesünderblattes partizipiert gleichzeitig an beiden Lektürekompetenzen. Einerseits ist da die Novität, das sensationelle Ereignis, das „verschlungen“ werden will. Andererseits sollen Werte wie Reue, Gottesfurcht oder Gesetzestreue in der ständigen Wiederholung gefestigt werden, wie man es von der „wiederkäuenden“ erbaulichen Lektüre eines einzelnen Textes gewohnt war. Die formelhaften Wendungen der Urteile und die sich ähnelnden Bußlieder und Moralreden reduzieren die Vielzahl der Deutungsmöglichkeiten. Die Funktion einer intensiven, sich wiederholenden Lektüre wird hier nicht mehr in ein und demselben Text erreicht, sondern über mehrere Leseerlebnisse verteilt. Die repetitive Begegnung mit erbaulichen, moralischen Sprachelementen braucht nicht ausschließlich als „elende Reime,*…+ welche bey jedem Todesurtheile auf eine andere Art wiederholt werden“ (so Nicolai 335 1781) oder später wertend als „widerliche Galgenpoesie“ 336 (1893) aufgefasst werden. Sie ist Ausdruck von Kontinuität in der Leseerfahrung religiös orientierte Gebrauchstexte. 335 336 (Nicolai), Bd. 6, S. 763. So Karl von Reinhardstöttner, der Biograph des Mathias Ettenhueber. (Reinhardstöttner), S. 37. 142 5.5 Rezeption So weit verbreitet die Praxis in Süddeutschland war, amtliche Todesurteile mit oder ohne Moralrede im Druck zu publizieren, so relativ wenig erfahren wir direkt über Leserschaft und Rezeption. Einiges lässt sich aus den kommerziellen Begleitnotizen und Verkaufsanzeigen der marktführenden Augsburger (um 1760) und Münchner Drucke (um 1770) erschließen. Auch der Berliner Aufklärer, Schriftsteller und Journalist Friedrich Nicolai kommentiert solche Blätter kritisch anlässlich seiner Reise durch Deutschland und die Schweiz 1781, wobei ihn deren Attraktivität für das bürgerliche Publikum überrascht. 5.5.1 Der Augsburger Sammlerband für Bürger Der Augsburger Gerichtswaibel Samuel Valentin richtet bereits 1759, kurz nach dem Beginn der Verrufsdrucke, einen retrospektiven Sammelband für die vergangenen hundert Jahre ein (nicht 337 in der MSU-Sammlung). Angekündigt wird dieser Band am Ende des Todesurteils gegen die Kindsmörderin Regina Schülin vom 9. Oktober 1759: NB: Weilen Samuel Valentin, Stadt=Gerichts=Waibel, alle Urthel und Verruf von Anno 1659. colligiert und ordentlich zusammen getragen, so sind selbe bey ihm, als auch bei Andreas Brinhaußer, Stadt=Buchdrucker, in diesem Format gebunden, und mit einem schönen Kupfferstich (allwo die Darstellung vor das Rathauß, Hinausführung zu der Richtstatt und Justicirung zu ersehen) zu verkauffen, das Examplar kostet nicht mehr als 338 15. Kreutzer. 337 .(Valentin). Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek, Signatur BSB Res 4. Crim. 124. 338 (Augsburg, Augspurg, den 9. October Anno 1759. wurde Regina Ursula Schülin, geweßte allhiesige Burgers-Tochter und Dienst=Magd, weilen sie ihr in Unehren erzeugtes Kind, ein Knäblein / gleich nach der Geburt / erbärmlicher Weiß ums Leben gebracht, Aus Gnaden, duch das Schwerdt und blutiger Hand vom Leben zum Tod gebracht. ). SuStB Augsburg weist zwei 143 Einzel-Relationen und auch Kollektionen von Mordtaten und anderen „schauerlichen Untaten“ sind an sich nichts Neues. Neu ist hingegen, dass hier retrospektiv offizielle Gerichtsakten als unterhaltender Lesestoff angeboten und konsumiert werden. Offensichtlich erschließen Valentin und der Drucker Andreas Brinhaußer 339 eine spezielle Marktlücke jenseits der flüchtigen Gelegenheitsdrucke: die bürgerlichen, städtischen und zahlungskräftigen Leser, die bereit sind, 15 Kreuzer für ein gebundenes Buch zu zahlen. Wie im Titel deutlich wird, hat Valentin die Urteile „mit erhaltener Hoch=Oberherrlich= Gnädiger Erlaubnus | colligiert, zusammen getragen “, d.h. er hatte unmittelbaren Zugang zu Strafbüchern und Akten. Für den Verleger sind diese Dokumente schnell und einfach zu erhaltende Quellen, risikolos gegenüber der obrigkeitlichen Zensur. Für den Leser kommen sie dem aufklärerischen, rationalen Bedürfnis nach faktischen Informationen entgegen und lassen zugleich Raum, sich die blutigen Einzelheiten auszumalen. Keine Handlung kann „wahrer“ sein als die, die amtlich ausgeführt und bestätigt wurde. Als visuell reizvolle Beigabe zu den reinen Gerichtsakten versprechen die Verleger einen „schönen Kupfferstich“ mit allen wichtigen Stationen eines letzten Ganges, um das Kaufinteresse weiter zu wecken und Gattungserwartungen 340 zu erfüllen. Kopien mit Namensabweichung nach: Regina Schülin / Regina Schülerin. Ist der Druck selbst korrigiert worden oder nur unzuverlässig in den Katalog aufgenommen? 339 Andreas Brinhaußer, * Wörd bei Nürnberg, † 1779 Augsburg. Zudem versah er das Amt des Stadtbuchdruckers und arbeitete eng mit dem Augsburger Buchhändler Merz zusammen. (Tlusty). 340 Das Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek enthält nur den Text, keinen Kupferstich. Es ist nicht zu erkennen, ob er entfernt oder nicht mitgeliefert wurde. Das Exemplar der Augsburger Staats- und Stadtbibliothek habe ich nicht einsehen können. 144 Mord, Raubüberfälle und die blutige, aber gerechte Strafe werden als Kuriositäten präsentiert, die ein „angenehmes Grauen“ 341 die Lebenswelt der Bürger bringen. In gedruckter Form, gar aus der Vergangenheit, sind sie weniger bedrohlich als das unmittelbare Miterleben der Hinrichtung. Als Lesestoff erlauben sie ein sicheres Sich-Distanzieren von der Unterschicht in doppelter Hinsicht: von dem als animalisch, unmenschlich empfundenen Verbrecher und von dem turbulenten Verhalten des „Pöbel“ bei Schauspiel des entlichen Rechtstages. Die Kollektion kam dem Bedürfnis nach aufklärerisch-erzieherischen Gesprächsstoffen entgegen. Das Augsburger Buch ist bereits gebunden, also repräsentativ und transportabel. Man konnte bei geselligen Abenden oder Lesezirkeln daraus vorlesen, Verbrechen und Strafe kommentieren, erzieherische Maßnahmen diskutieren und die aktuelle Debatte um Bandenwesen und Staatssicherheit mit anschaulichen Beispielen bereichern. Auch andere Publikationsorgane der Aufklärung reagieren mit Urteilsabdrucken und Statistiken auf die Neugier der Bürger auf Kapitalverbrechen. So druckt Schlözers Journal von und für Deutschland 1789 ein „Verzeichniß einiger Capital-Verbrechen“ der Reichsstadt Kaufbeuren von 1550-1775 ab. 342 Die Präsentation in einem einheitlichen Format erweckt den Eindruck der Systematik, der Regelmäßigkeit und Legitimität für die amtlichen Dokumente und übertragen auch für das gesamte obrigkeitliche Justiz- und Gesellschaftssystem. Es werden ja nicht ausgewählte sensationelle Fälle abgedruckt, sondern jedes vom Hochgericht gefällte Urteil. Die selbstsichere schriftliche Präsentation von Gerechtigkeit in der Vergangenheit nimmt einer zeitgenössischen Kritik 341 342 (Zelle, Grauen). (Wagenseil). 145 den Wind aus den Segeln. Durch Ordnung und Komplettierung verkörpern die retrospektiven Hinrichtungszettel zusätzliche Werte zur Festigung einer immanenten Rechtssicherheit, die über die Tagesaktualität der Strafe hinausgehen. Interessant ist, dass im Vorwort der Aspekt des Sammelns und Komplettierens ausdrücklich angesprochen wird: Nota: Es wird allen respective Herren Liebhabern dieser Blätter zu wissen gemacht / daß / so offt jemand justicirt wird / das völlige End=Urthel hievon in diesem Format allemahl gedrucket bey dem Gerichts=Waibel kan abgelanget werden / damit solches Urthel=Buch allezeit complet zu erhalten ist. 343 Neben der allgemeinen Laufkundschaft, die einmalig das Erinnerungsblatt bei einer Hinrichtung erwerben, spricht Valentin ausdrücklich die „Liebhaber dieser Blätter“ an, die Sammler. Sie empfinden solche Drucke als Kuriosität, als absonderliches, nahezu exotisches Objekt, das sie besitzen und vorzeigen wollen. Für München benennt Friedrich Nicolai den Zusammenhang zwischen Bürgertum und Sammlung direkt: „Die Todesurtheile, nebst der Urgicht oder dem Bekenntnisse jedes Verurtheilten, werden ordentlich Nummerweise gedruckt. Sie werden bey tausenden verkauft, und wirklich viel allgemeiner gelesen als sonst ein Buch. In Häusern, die nicht zum Pöbel gehören, traf ich Sammlungen davon.“ 344 Tatsächlich weisen viele Exemplare der German Criminology Collection Spuren auf, dass sie aus Sammlungen entnommen wurden. Löcher im Mittelfalz zeugen von Fadenheftung, einzelne Blätter sind aus einer Bindung herausgerissen. (Abbildung 2, S. 31). Die Büttenränder der Druckbögen sind auf Buchformat beschnitten, in manchen Fällen so stark, dass Text beschädigt oder verloren gegangen ist. Als Vorbild 343 344 (Valentin), Vorrede, S. 3. (Nicolai) , 6. Band, II. Abschnitt, S. 763. 146 können Kollektionen von Einblattdrucken oder Kupferstichen, auch mit Verbrechensschilderungen, gedient haben, wie etwa dieEinblattdrucke des Züricher Johann Wick aus dem 16. Jahrhundert. 345 Der Bürger knüpft hier an die Sammeltätigkeit des barocken Adels an, dessen Wunderkabinette und Bibliotheken Merkwürdiges, Wissenswertes und Erzieherisches vereinten. täten“ nehmen seit dem 16. Jahrhundert einen breiten Raum ein. 347 346 „Kuriosi- Allerdings findet die Sammeltätigkeit im bürgerlichen Kreis in weit kleinerem, für viele erschwinglichem Rahmen statt: Die Armesünderblätter sind keine teuren, auf Kavalierstouren und Reisen erworbenen Prunkbücher, sondern preiswerte, lokal zu erstehende Kleindrucke, die dennoch ein Interesse erregendes Sujet darstellen. In einem geschickten Zug stellt Valentin zukünftige Urteilsdrucke im gleichen Format in Aussicht, um das umfassende und komplettierende Sammeln anzuregen und zu vereinfachen. Sie werden zur „commodity“, zur Ware, stilisiert um den Absatz zu erhöhen. Auch Mathias Ettenhueber verfolgt in München eine ähnliche Marketing-Strategie, wenn er seine Moralreden in 348 Serien nummeriert. 345 346 347 Dadurch entsteht ein Erwartungssdruck auf den Käufer, alle Episoden (Harms und Schilling, Wickiana). (Marx, Mayer und Manuela; Pomian). (Kenny) (Grinke; Marx, Mayer und Manuela). 348 z.B. Nro 4&5 (München und Ettenhueber, Wohlverdiente Todesurtheile nebst einer Moralrede des Joseph N. vulgo Schwäbischen Lipp, dann des Mathias N. vulgo Abdecker Doni. Welche auf höchst Anbefehlung des Churfürstl. Hochlöbl. Hofraths allhier in München heut den 21. Julii 1781. wegen verübt räuberischen, dann die öffentliche Ruhe und Sicherheit störenden Verbrechen qua convicti, das ist, als Ueberwiesene in einer Kuhhaut zur Richtstatt geschleifet, und von dem Scharfrichter mit dem Rad von obenherab durch Zerstoßung ihrer Glieder vom 147 einer Reihe zu erwerben. Im Grunde genommen wecken beide Verleger ein Verlangen, das nur sie als privilegierte Herausgeber, d.h. als Monopolisten, befriedigen können. 5.5.2 Aufklärerische Kritik: Friedrich Nicolai Es ist kein Geheimnis, dass der Verlagsbuchhändler und Kritiker Friedrich Nicolai (1733-1811), Hauptvertreter der Berliner Aufklärung, das katholische Bayern als rückständig und bigott empfand, als er 1781 eine Reise durch Deutschland und die Schweiz unternahm. 349 Seine kultu- rell, politisch und wirtschaftlich aufschlussreichen Aufzeichnungen gab er mehrere Jahre später (1783-1799) mit Hilfe seines Freundes, des Dorfpfarrers Raymund Dapp heraus, der auch langjähriger Mitarbeiter an Nicolais bedeutendem Rezensionsorgan Allgemeine Deutsche Bibliothek war. 350 Satirisch und polemisch schildert er die oberdeutschen Verhältnisse und charakte- risiert die katholischen Menschen als „rohe Kinder der Natur“, die ihre Tage in „elendem frömmelndem Müßiggang“ zubrächten. 351 Äußerst kritisch kommentiert Nicolai die sozialen, wirtschaftlichen und gesetzlichen Missstände, die er als Ursache des weitverbreiteten bayrischen Bandenwesens erkennt: Leben zum Tod hingerichtet worden. NB: Künftigen Mittwoch kann man das Kupfer von der Verviertheilung des Windbeutels, auf den zwey Brücklen haben), Nro 11: (München und Ettenhueber, Wohlverdientes Todesurtheil nebst einer Moralrede des Anton N. welcher allhier [in] München heute den 20. Weinmonats 1781. wegen seinen einbekennt= räube[rischen] Verbrechen zur Richtstatt geführt, und all dort durch den Scharfrichter ... mit dem Rad durch Zerstossung seiner Glieder von oben herab vom Leben zum Tod hingerichtet worden [Nro 11] ). Neuburg 1789 ist im Nachdruck von Augsburg als Nro. 3 markiert; es ist unklar, ob hier das Originalurteil oder der Nachdruck nummeriert wird. (Neuburg). 349 350 351 (Stockhorst, Kiesant und Roloff). (Nicolai). (Kratzer). Zur Kritik am Katholizismus vgl. (Fechner, „Oberdeutsch“). 148 Es ist wahr, Dieberey, Straßenraub und Mord sind daselbst viel häufiger als in andern Ländern; die Galgen, wo sie stehen sind selten leer. Aber ich glaube widerum nicht, daß man hieraus so sehr auf einen bösen Charakter des gemeinen Mannes, als vielmehr darauf schließen müsse, das die Art ihn zu regieren und zu behandeln höchst unvollkommen und unzweckmäßig. 352 Vernachlässigte Erziehung und stumpfe Bigotterie führten zur Dummheit und erzeugten, vereint mit der „innigen Kraft“, welche den Bayern innewohne, ein rohes Wesen. Fehlende Industrie und Infrastruktur, Nahrungsmittelmangel, sowie Unterdrückung durch Beamten und „keine rechte Policey“ erklären aus seiner Sicht das Überhandnehmen der Vagabunden. Als Beispiel zieht Nicolai Mathias Klostermayer heran, den „Bayrischen Hiesl“. Dieser Wilddieb und Straßenräuber gewann die Unterstützung der armen Leute und eine Aura als Sozialrebell, dessen „Tapferkeit und Entschlossenheit auf so üblen Weg geleitet worden, und daß nicht das geringste geschehen war, um sie auf den rechten Weg zu bringen“. Nicolai lernt sowohl in München 354 als später auch in Augsburg 353 355 gedruckte Armesünder- blätter, also amtliche Urgichten, gereimte Moralreden und Kupferstiche kennen, die zur Hinrichtung von Dieben und Räubern gedruckt wurden. Die massenhafte Publikation von amtlichen Urteilen erstaunt ihn, in Zahl, Form, Inhalt und Rezipientenkreis. Nicolai kommentiert alle drei Darstellungsmedien – Bild, Gedicht, Dokument – im Kontext unterschiedlicher Zielgruppen. Scheinbar überrascht konstatiert der kritische Journalist die ambivalente Wirkung: einerseits verpuffe die abschreckende Intention der Illustrationen bei den Unterschichten, anderseits 352 353 354 355 (Nicolai), Bd. 6, München, S. 758. (hrsg. 1784). (Nicolai), Bd. 6, München, S. 761. (Nicolai), Bd. 6, München, S, 758- 769. (Nicolai), Bd.8 Augsburg, S. 165- 171. (hrsg. 1787). 149 seien die amtlich-moralistischen Blätter ein interessanter Lesestoff für ein breites Publikum. Als aufklärerischer Erzieher verwirft er den eingeengten Blickwinkel auf Verbrechen und Hinrichtung, der sich nicht um Ursache und Abhilfe bekümmert. Er empfindet die halb-amtlichen Blätter als wirkungslosen Ansatz zur Verbrechensbekämpfung, und der in ein befremdliches Vergnügen umschlägt. Die visuelle Darstellung der grausamen und scharfen Strafen habe – ähnlich wie die häufigen Hinrichtungen selbst – nicht die gewünschte abschreckende, sondern eine emotional und rational abstumpfende Wirkung auf das gemeine Volk. Ich sah auf öffentlicher Straße in München Kupferstiche zum Verkaufe, worauf das in der neusten geschärften Verordnung wider die Diebe und Räuber verordnete Schleifen auf einer Kühhaut, Hand abhacken, Zwicken mit glühenden Zangen, Rädern, und Vierthielen, auf die gräßlichste Weise abgebildet war. *…+ Das gemeine Volk gafte diese Bilder gedankenlos mit größter Gleichgültigkeit an, und die Kinder trieben sogar Scherz damit. 356 Ähnlich verurteilt Nicolai die „erbärmlichen gereimten Moralreden“: Dieß sind elende Reime, die jedem Todesurtheile angehängt sind. Man bildet sich sehr einfältigerweise ein, daß sie die Räuber abschrecken, und die Moral des gemeinen Volks bessern sollen. Sie enthalten dumme Reflexionen und ekelhaft gräßliche Beschreibungen, welche bey jedem Todesurtheil auf eine andere Art wiederholt werden, und das Volk nothwendig endlich fühllos machen müssen. 357 Das große Interesse des lesefähigen bürgerlichen Publikums an den Blättern empfindet Nicolai als umso „unbegreiflicher, da diese Todesurtheile mehrentheils in einer so platten Schreibart geschrieben sind, daß sie, wenn man von dem traurigen und schrecklichen Gegenstande abstrahiert, zuweilen ins komische fallen.“ Er mokiert sich über den juristischen Fachjargon, die gestelzte amtliche Schreibweise der Augsburger Verrufe. Er wird als „seltsam“, „poßierlich“ und 356 357 (Nicolai), Bd. 6, München, S. 763. (Nicolai), Bd. 6, München, S. 763. 150 eine „Niaiserie“ (Albernheit, Unsinn) beschrieben und zum Vergnügen von Nicolais Lesern aus358 führlich zitiert. Nicolai zeigt hier parodistisch eine Spannung auf, die entsteht, wenn Text- und Sprachregister in nicht-intendierter Weise verwendet werden. Der Schriftsteller bemerkt, wie das amtliche Urteil zum Lesestoff, zur Unterhaltung tendiert, ohne den narrativen und poetischen Regeln einer Erzählung zu folgen. 5.5.3 Lesestoff für Unterschichten um 1800 Nicolais kritische Kommentare sind zwar als Polemik gegen das rückständige Bayern zu relativieren, aber in der Tat sind solche Urteilsblätter zu der Zeit in Berlin rar. 359 Erst zwanzig Jahre nach Nicolais Reise, also seit der Jahrhundertwende, veröffentlichen die Verlagsoffizine von W. Zürngibel und E. Litfaß billige Heftchen mit „Schönen Liedern“, vertrieben durch hausierende Jungen bzw. im Direktbezug von Drehorgelspielern und Straßensängern zu erwerben. 360 Unter den Königskolonaden konnte man die Berliner Pfennigblätter oder Neuruppiner Bilderbogen zusammen mit Liebesbriefstellern, Traumbüchern, „Planeten" und Kalendern erwerben, sofern das Lesefutter der gedruckten Heftchen nicht auf der „Hintertreppe“ feilgeboten wurde. Der Buchhandel auf offener Straße lag einigen Ausschreiern ob, die von Hof zu Hof gingen und dort die ’Neue Beschreibung einer schrecklichen Mordthat, wodurch ein junger 358 (Nicolai), Bd.8, Augsburg, S. 165. 359 VD 18 weist 1777 ein erstes Armesünderblatt für Berlin nach, einen Kindermord als mittelbarem Selbstmord: VD 18, 11778822. Der Hinrichtungs- bzw. Druckort Berlin ist erschlossen. Es sind nur sechs weitere „Umständliche Nachrichten” nebst einem Bußlied sind bis 1800 verzeichnet. 360 (Richter), S. 104. 151 Schneidermeister seine Frau und 27 Gesellen ermordet' und dergleichen ausriefen. Dort war das Lied und die Beschreibung zu haben für einen Sechser! 361 Als Konsumenten werden Köchinnen, Hökerinnen, Hausknechte und Stiefelputzer, also Dienstpersonal und kleine Gewerbetreibende genannt. Solche Kolportageliteratur des 19. Jahrhunderts reüssierte auch in Süddeutschland, wo parallel dazu auch amtliche Urteile publiziert wurden. 361 Zitat aus H. Roller. Humoristische Erinnerungen aus dem alten Berlin. 2. Aufl. Neuruppin 1884, S. 72. qtd Richter, S. 50. 152 6 Fallstudien aus der German Criminology Collection 6.1 Doppelte Publikation (Fürth 1707) Das älteste Armesünderblatt in der German Criminology Collection ist ein Todesurteil von 1707 aus Fürth im Fürstentum Brandenburg-Onolzbach (dem heutigen Ansbach). Das reichsunmittelbare Territorium im Fränkischen Reichskreis liegt bei Nürnberg an der Ostgrenze zum Kurfürs362 tentum Bayern. Das Blatt kann als Prototyp für eine amtliche Urteilspublikation gelten, und soll deswegen hier näher vorgestellt werden. Es erschien mehr als fünfzig Jahre vor dem systematischen Publikationsunterfangen des Samuel Valentin in Augsburg und etwa ein Jahrhundert vor der generellen Blütezeit des Galgenflugblattes in Süddeutschland. Seine inhaltlichen, stilistischen und formalen Merkmale sind einerseits bereits typisch für das Gesamtkorpus, andererseits enthalten sie aufschlussreiche Abweichungen, die Einblicke in das Strafverständnis der Frühen Neuzeit geben. 6.1.1 Der Fall Stechau Urtheil / Uber Christoph Heinrich Stechau / Gewesenen Hoch-Fürstl. BrandenburgBayreuthischen Forst- und Wild-Meister zu Kalchreuth / so innen vermeldeter Mordthat willen decolliert / und dessen Kopff auf einen Pfahl gestecket / der übrige Cörper aber auf dem Richt-Platz einverscharret worden. Geschehen bey Muggendorf / auf der Wahlstatt / woselbst die Entleibung ist vorgegangen / am 4. November Anno 1707. 362 363 Das Fürstentum Ansbach (Onolzbach) bzw. die Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach fiel 1806 in einem von Napoleon erzwungenen Gebietstausch an Bayern. (Spindler und Andreas). 363 (Fürth). Virgeln im Text. 153 Abbildung 19: Urteil von C.H. Stechau (Fürth 1707). GCC 1086. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext.. 154 Der Förster Christoph Heinrich Stechau aus Kalchreuth (etwa 20 km nördlich von Nürnberg bzw. der Nachbarstadt Fürth) liegt seit längerem wegen Schulden im Streit mit dem Nürnberger Gastwirt Georg Rößler. Bei einer Heulieferung nach einer Gastwirtschaft in Fürth trifft er auf Rößler, fordert ihn zum Duell. Rößler verweigert das und will den Fall in Nürnberg gerichtlich klären lassen. Eine tätliche Eskalation wird von einem Dritten zunächst verhindert, aber Stechaus Zorn ist nicht zu bändigen. Er holt seine Pistolen, verfolgt Rößler und erschießt ihn in der Kutsche auf dem Weg von Fürth nach Nürnberg. Es gibt mehrere Zeugen sowohl für die Drohungen als auch für das Erschießen selbst. Stechau wird in seinem Haus verhaftet und an das zuständige Gericht übergeben. Das Urteil lautet auf Enthaupten mit dem Schwert, wobei der Kopf auf einen Pfahl gesteckt wird, und der Körper an der Richtstätte verscharrt wird. (Abbildung 19, S. 154). 6.1.2 Der Arme Sünder Dieses Dokument ist eines der wenigen aus der Sammlung an der MSU, das den Ausdruck „Armer Sünder“ im amtlichen Teil verwendet. Die Eingangsformel der Urgicht lautet: „Nachdeme gegenwärtiger vor Gericht stehende arme Sünder / Christoph Heinrich Stechau …“ (S.1). Dem verurteilten Verbrecher wurde sein irdisches Leben abgesprochen. In den Augen Gottes und der Gesellschaft ist er ein Sünder, dessen Seelenheil und ewiges Leben in Gefahr sind. Nur Reue und Buße geben ihm Hoffnung. Der religiöse Aspekt der Rechtsprechung ist 1707, also vor der Aufklärung, noch stark und unwidersprochen. Vorrangige Grundlage der Strafe ist der Ver- 155 stoß gegen das Fünfte Gebot. Die weltlichen Gesetze, die Halsgerichtsordnung, ist nachgeordnet und dient der Strafbemessung und -ausführung. Die Urgicht, also der juristische Bericht, besteht aus einem einzigen langatmigen Satz, der sich über zweieinhalb Druckseiten erstreckt. Er bemüht sich um einen neutralen Ton in einem formelhaften Stil. Die Angaben zum Täter sind knapp: Name, Alter, Geburtsort und Beruf. Detailgenau wird über die Vorgänge am Tattag berichtet, Zeugenaussagen werden wiederholt, Einzelaspekte, z.B. warum die Pistolen beim Büchsenmacher waren, begründet. Der Grund für Stechauers Duellforderung beim unvorhergesehenen Aufeinandertreffen mit dem Opfer wird in einem knappen Einschub genannt, aber nicht näher ausgeführt „Weilen sie beede ehebevor Schulden halber einen Streit miteinander gehabt“ (S. 2). Stechauers ungebändigte Aggression und Hartnäckigkeit bei der Verfolgung des Rößler wird deutlich ausgeführt. Die Urgicht gipfelt in der empörten Wiedergabe eines infamen Ausspruchs des Stechauers, auf welche unmittelbar die Bewertung folgt: *…+ und durch solchen Schuß / vielmals gedachten drey Königs=Wirth / Rößlern / mit einer Kugel also verwundet / daß er noch vor seiner Anheimkunfft nach Nürnberg / seinen Geist aufgeben müssen / welcher bösen That er [Stechau] sich noch darzu dergestalt gerühmet / daß / wann er den Rößler nicht Tod geschossen hätte / er es noch thun wollte; wodurch er dann wider das fünfte Gebot GOttes sich schwehrlich versündiget/ und nach Innhalt der Hoch-Fürstlich-Brandenburgischen Reformation und peinlichen Hals=Gerichts=Ordnung Artic. 164. in die Straff der Rechten verfallen / Leib und Leben verwürcket hat.(S. 3-4) Das Verwirken des eigenen Lebens ist eine zwangsläufige Summierung („wodurch er dann“) des Geschehens. Das moralische und reale Urteil entspringen so unmittelbar aus der Tat, dass sie mit ihr in einem Atemzug genannt werden müssen, nur getrennt durch das summierende Semi- 156 kolon. Das unmittelbare Kausalverhältnis zwischen Tat und Strafe ist in der Sprache verinnerlicht. In diesem Sinn erscheint Stechauers mangelnde Reue und Unverfrorenheit besonders empörend, da sie seine Wandlung zum „Armen Sünder“ in Frage stellt. Der sprachlich-grammatikalische Anschluss „wodurch er dann wider das fünfte Gebot Gottes sich schwerlich versündiget“ kann neben der Mordtat auch auf das fehlende Unrechtsbewusstsein bezogen werden. 6.1.3 Spiegelstrafe Auffällig ist die spiegelnde Ortswahl für die Hinrichtung: Tat und Sühne werden zur Deckung gebracht. Die Enthauptung und Zurschau-Stellung findet nicht auf dem üblichen Richtplatz von Fürth statt, sondern an dem Ort, wo Rößler erschossen wurde. Stechauer verliert sein Leben genau dort, wo er das Leben des Opfers genommen hat. Spiegelstrafen wurden in Mittelalter und Früher Neuzeit häufig eingesetzt, verlieren jedoch im Zeitalter der Aufklärung an Bedeutung. … durch den Scharffrichter hier auf ausgesteckten Platz bey Muggendof *sic!+ / auf welchen er diese That ausgeübet / geführet und daselbst mit dem Schwerdt vom Leben zum Tod gebracht / dann dessen Kopff auf einen Pfahl gestecket / der übrige Cörper aber daselbsten vergraben werden solle / sich selbsten zur wohl verdienten Straffe / andern aber zum Abscheu und Exempel sich vor dergleichen Mord- und Ubelthaten zu hüten. (S.4) Der Platz an der „freyen Geleits-Strasse“ (S.2) bei Muggendorf wird eigens „ausgesteckt“. Er dient als offene Impromptu-Hinrichtungsstätte, an der sich viele Zuschauer versammeln können, um die Demonstration der strafenden Obrigkeit zu verfolgen. Der aufgesteckte Kopf macht Warnung und Abschreckung augenscheinlich, wie sie formelhaft im Urteil ausgesprochen wurde: „/ andern aber zum Abscheu und Exempel sich vor dergleichen Mord- und Ubelthaten 157 zu hüten“. Vergangenes und gegenwärtiges Geschehen werden verknüpft, um zukünftigem vorzugreifen. 6.1.4 Doppelte Publikation Das Besondere – und Moderne – an diesem Dokument ist, dass sich eine „doppelte Publikation“ in mündlicher und schriftlicher Form manifestiert (Abbildung 20, S. 159). Deutlich wird dies am urkundlichen Zusatz „Publicatum unterm freyen Himmel / Marck Fürth / den 4. Nov mber *sic!+ 1707“(S. 4). Er verweist darauf, dass das vorliegende Dokument „unter freyem Himmel“ „publiziert“ wurde, also dem Verurteilten und dem Publikum vorgelesen wurde. Dies ist der einzige explizite Verweis auf eine solche „Veröffentlichung“ an der Richtstätte, die ich in der Sammlung der MSU habe finden können. Das öffentliche, laute Verlesen des Urteils vor dem Rathaus und / oder an der Richtstätte selbst war untrennbarer und notwendiger Bestandteil der Rechtsprechung der Frühen Neuzeit. Das Urteil wurde der leseunkundigen Bevölkerung laut vorgetragen, um deren Teilhabe zu 364 sichern. Die Rechtsfindung, also Feststellung der Tat, Urteilsfindung und Strafzumessung, er- folgte im geschlossenen System der juristischen Vertreter, ohne Mitwirkung des Volkes. Erst in der öffentlichen Verkündung und Vollstreckung des Urteils wurde das Volk als Zeuge für die Vergeltung („sich selbsten zu wohl verdienten Straffe“, S. 4) und für die Wiederherstellung des Rechts einbezogen. Erst durch die Zeugenschaft wird das Verfahren legitim; die Teilhabe am 364 Der Titel „Verruf“, der in den Augsburger Urteilen verwendet wird, verweist auf lautes Sprechen. Grimm verzeichnet: „verruf, m. bann, acht. ursprünglich hat das wort die bedeutung 'bekanntmachung'. so hat es sich bis in unsre zeit im bair. dialekte erhalten. vgl. der verruf, obrigkeitliche ausrufung, proclama.” (DWB), Bd. 25, Sp. 1026 bis 1029. 158 Abbildung 20. Publicatum unterm freyen Himmel.(Fürth 1707). GCC 1086. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. 159 Prozess ist zugleich Zustimmung zur obrigkeitlichen Herrschaftsausübung. Außerdem ist der zweite Strafzweck, die Abschreckung, direkt an die Bevölkerung adressiert („andern aber zum Abscheu und Exempel sich vor dergleichen Mord- und Ubelthaten zu hüten“, S. 4). Das flüchtige Medium „Mündlichkeit“ ist in einen festen Rahmen, in das obrigkeitliche Ritual, eingebunden, innerhalb dessen es Autorität und Dauer besitzt. Hier, am Stechauer-Dokument von 1707, wird die Schriftlichkeit als zweites Medium offensichtlich. Das Urteil wird ja nicht nur „unter freyem Himmel“ publiziert, sondern auch gedruckt und verbreitet. Das unmittelbare Erleben des Einzelnen, das Anhören und Anschauen der „gerechten Strafe“ wird durch das gedruckte Dokument erweitert, in Zeit und Raum projiziert. Es ist ein neuer, paralleler Weg, obrigkeitliche Ansichten über die mittelbare Kommunikation der Schriftlichkeit in der Bevölkerung zu verankern. Das Bemerkenswerte hier ist, dass es ein Einzeldruck ist, ein selbständiges Dokument. Urgichten und Urteile wurden auch schon früher (und später) gedruckt, aber waren meist in einen weiteren Kontext und dessen Rezeptionsweisen eingebunden. Als Teil der Prozessakte wandten sie sich vornehmlich an Juristen zur fachlichen Beurteilung. Mit der billigen und einfach herzustellenden Flugschrift kann nun ein erweiterter Adressatenkreis erreicht werden. Der höhere gesellschaftliche Status des Mörders und der Bekanntheitsgrad der Beteiligten erregten das Interesse der lokalen Bevölkerung so sehr, dass sich der Druck „lohnte“, sowohl unter einem sozialdisziplinierenden als auch unter einem kommerziellen Gesichtspunkt. Der wirtschaftliche Charakter deutet sich in der schmückenden Typographie des Titels an, der mit dem fett gesetzten „Urtheil“ und den Schmuckinitialen des Namens Neugier und Kaufinteresse weckt. Als ver- 160 marktbarer Einzeldruck erhält die amtliche Urkunde eine neue Qualität, die über den unmittelbaren Rechtsfall hinausweist, jedoch durch die amtlichen Siegel L.S. (loco sigilli) autorisiert ist. 6.2 Das „entliche“ Geständnis (Augsburg 1768) Es ist ein Glücksfall, dass die German Criminology Collection zu einem Augsburger Raubmord zwei Varianten des Verrufes besitzt. 365 Die Drucke weichen gering, aber in einem entscheiden- den Detail voneinander ab, nämlich dem nachträglich eingedruckten Zusatz „Wie dann auch endlichen Inquisit auf dem Echaffaut 366 vor allen Umstehenden, das er der alleinige Thäter gewesen, mit vieler Reumüthigkeit, öffentlich erkläret hat.“ Diese Ergänzung gibt Einblick in die Drucklegung des Armesünderblattes, während der Fall selbst den Gang der Rechtsfindung sichtbar macht. (Abbildung 21, S. 162). 365 (Augsburg, Nachdeme ein Hochedler und Hochweiser Rath der des Heil. Röm. Reichs=Freyen Stadt Augspurg mit Urthel zu Recht erkannt hat: Daß Samstag den 6ten Febr. Anno 1768. Carl Ludwig Klenckler, geweßter Weinhändler, wegen der in dem Urthel angeführten Uebelthaten zu seiner wohlverdienten Bestraffung vom Leben zum Tod gebracht werden solle. Als hat wegen erhaltener Hoch=Obrigkeitlich=gnädiger Erlaubnuß das End=Urthel dem Publico mittheilen wollen Samuel Valentin Stadt=Gerichts Waibel). GCC 1084 a mit Geständnis-Zusatz. GCC 1084 b ohne Zusatz. Bei GCC 357 fehlen Zusatz und Titelblatt, (Augsburg, Verruf. Gegenwärtig hierunten gefangen und gebunden stehender Carl Ludwig Klenckler...). 366 „Echaffaut heisset auch ein Gerüste, worauf zum Tode verurtheilte Personen executieret warden, damit solches desto besser von denen Zuschauenden gesehen werden kan.” (Zedler). 161 Abbildung 21. Urteil des K.L. Klenckler (Augsburg 1768). GCC 1084a, b. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext 162 6.2.1 Die Verfolgungsbehörden Am 9. Oktober 1767 wird die “Frau” Maria Philippina von Gazza (geborene Amman) in ihrer eigenen Wohnung in der Judengasse beraubt und ermordet. Die Judengasse war zu der Zeit längst kein Ghetto mehr, sondern Wohnort von einflussreichen Patrizierfamilien in Augs367 burg. Die evangelischen Amman waren im 18. Jahrhundert im paritätisch besetzen Geheimen Rat stark vertreten 368 und Hausnachbarn zu der Bankiersfamilie der Welser. Die Beute ist enorm: sechs- bis siebentausend Gulden in verschiedenen Münzsorten, goldener Schmuck und andere Kostbarkeiten. Der Raubmord an einer wohlhabenden und angesehenen Bürgerin soll schnellstmöglich aufgeklärt werden. Das Gericht scheut keine Kosten, um des Tatverdächtigen habhaft zu werden. Mehrere begründete Anzeigen aus der Stadt weisen auf den Weinhändler Carl Ludwig Klenckler aus Kienzheim bei Colmar als Täter. Mittels eines Steckbriefes, der in Zeitungen bis nach Zürich erscheint, fahndet die Augsburger „Canzley” nach dem Verdächtigen, der nach Schwabmünchen weitergereist sein soll. (Abbildung 22, S. 164). Eine genaue Kleider- und Personenbeschreibung („stark pockennarbigt“) und soll „alle respective höchste und hohe Obrigkeiten, dann Löbliche Gerichts=Herrschaften“ befähigen, „auf be- 367 Die „Judengasse” aus dem 13. Jahrhundert beherbergte bürgerliche Anwesen, z.B. das Welserhaus, und wurde 1825 auf Intervention der Hausbesitzer hin in Karlstraße umbenannt. (Augsburger Stadtlexikon) Schon vor und endgültig nach dem 30j. Krieg aus der Stadt verwiesen, erhielten Juden erst 1796 und 1800 wieder beschränktes Wohnrecht (Hirsch, 2012). 368 (Häberlein). 163 sagten Klenkler genaue Spähe *zu+ halten“. Dabei wird versprochen, alle anfallenden Kosten der Verhaftung und Überführung „bereitwilligst“ zu erstatten. 369 Abbildung 22. Suchanzeige zu Klenckler (Augsburg 1767). Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. 369 (Avertissement [Steckbrief Klenckler]). 164 Klenckler wird schließlich auf der Heimreise in Kehl, 80 km nördlich seines Heimatortes, verhaftet und nach Augsburg ausgeliefert. In der Festungshaft wird Klenckler wiederholt verhört (gütlich und ernstlich, d.h. mit Folter) und gesteht, an dem Raub beteiligt gewesen zu sein. Den eigentlichen Mord habe jedoch ein Fremder ausgeführt, der danach verschwunden sei. Das Augsburger Gericht schenkt der Aussage Klencklers keinen Glauben: Wobey zu bemerken, daß Klenckler den angeblichen Fremden, nach allen weitern vielfältigen gütlich, und ernstlichen Constitutiones, weder nennen noch kennbar machen, noch weniger als die zur Erforschung der Wahrheit eines Socii nach der peinlichen Hals=Gerichts=Ordnung Art. 31. Erforderte dienstliche Umstände anzugeben wußte, da vielmehr Klenckler diesen Fremden weder vor= noch nachher gesehen und gekannt haben will, auch ohnehin dieses Vorgeben nicht die mindeste actenmäßige Wahrscheinlichkeit vor sich hat. (S.3) Klencklers hartnäckiges Leugnen des Totschlags und die Erfindung des unwahrscheinlichen Fremden erschweren die Aufklärung des Falles. Die unsichere Lage wird deswegen durch ein Rechtsgutachten abgesichert, wobei ausdrücklich darauf verwiesen wird, dass Klenckler gegen Artikel 31 der Halsgerichtsordung zur „Erforschung der Wahrheit“ verstößt. Nach abschließendem Urteil soll Klenckler wegen „begangenen Raub und Mord“ (S.4) „mit dem Rad von oben herunter annoch 370 aus Gnaden vom Leben zum Tod gebracht werden“. Artikel 137 der Carolina bestimmt das Rad für „fürsetzliche mutwillige mörder“; sie unterscheidet davon das Schwert als Strafe für Totschlag im Affekt. 371 Das Urteil „vorsätzlicher Mord“ wird also verhängt, obwohl ein volles Geständnis fehlt, das eigentlich die Voraussetzung 370 „Annoch, das durch das müßige an verlängerte Umstandswort noch, welches im Hochdeutschen nur noch von den Kanzelleyen gebraucht wird.” (Adelung). 371 (Schroeder), S. 85. 165 für eine Verurteilung ist. Das ist ein Hinweis auf die angesehene Stellung des Opfers und das Bemühen der Obrigkeit, Recht und inneren Frieden in Augsburg wieder herzustellen. 6.2.2 Das Geständnis Bei der Hinrichtung selbst ändert sich das Bild. Im Angesichts des Henkers gesteht Klenckler seine Alleinschuld: „Wie dann auch endlichen Inquisit auf dem Echaffaut vor allen Umstehen372 den, das er der alleinige Thäter gewesen, mit vieler Reumüthigkeit, öffentlich erkläret hat.“ Mit diesem Geständnis erfüllen sich zwei Bedingungen des frühneuzeitlichen Strafverständnisses: Die weltliche Rechtsprechung ist bestätigt, und der beispielhafte bußfertige Arme Sünder kann auf die Gnade Gottes hoffen. Ob dies ein „echtes“ Geständnis war oder aus der seelischen Not und Verzweiflung der Todesstunde heraus gegeben wurde, sei dahin gestellt. Auf jeden Fall stellt es publikumswirksam den Glauben an die Obrigkeit wieder her. Im gedruckten Armesünderblatt erscheint die Neuigkeit als ergänzender Nachsatz, der mittels eines Asterix den laufenden Text verbessert. Zwar ist die exponierte Position des Geständnisses am Ende der letzten Seite durch die Druckökonomie bedingt, aber sie betont doch das Erlösende, das „Endliche“ der Lösung (Abbildung 23, S. 168). Wie gesagt, gibt es von dem begleitenden amtlichen Verruf, der durch den Gerichtswaibel Samuel Valentin veröffentlicht wurde, zwei Versionen. Die erste ohne Geständnis, wurde in der Drei-Tages-Frist zwischen Urteilsverkündung und Hinrichtung gedruckt (GCC 1084a). Durch die Entwicklung bei der tatsächlichen Hinrichtung wird eine korrigierte Neuauflage des Gerichts- 372 GCC 1084a, S. 4. 166 dokuments notwendig (GCC 1084b). Der alte Druckstock des Verrufs wird wieder verwendet und mit der Nachricht vom Geschehen ergänzt. Die Publikation zu Klencklers Hinrichtung wurde von längerer Hand vorbereitet. Das Titelblatt ist – entgegen der üblichen Gewohnheit – auf einen separaten Bogen gedruckt, in den die vierseitige Urgicht eingelegt wird. 373 Der Text enthält nur die vage Angabe „wegen der in dem Urthel angeführten Uebelthaten“, statt den doppelten Tatbestand von Raub und Mord explizit zu nennen. Auch die Hinrichtungsart selbst ist nicht angegeben. Dieses Titelblatt wurde zu einem Zeitpunkt gesetzt und gedruckt, als abzusehen war, dass Klenckler auf jeden Fall zu Tode verurteilt werden würde, aber noch nicht, wie sich das fehlende Mordgeständnis auf die Strafzumessung auswirken würde. In diesem aufsehenerregenden Fall – der Raubmord an einer wohlhabenden Bürgerin, Klencklers hartnäckiges Leugen und sein publikumswirksames Geständnis – lohnte sich eine Neuauflage aus politischen, juristischen und kommerziellen Gründen. Samuel Valentin publizierte das Armesünderblatt nicht nur als flüchtige, tagesaktuelle Flugschrift zum Verkauf direkt unter dem Galgen, sondern rechnete mit weiterem Absatz in den Tagen und Wochen danach. Auch überregional wird es ein gesteigertes Interesse an der Druckschrift gegeben haben: Klenckler stammt ja aus dem 400 km entfernt Lothringen und sein Beruf als Weinhändler führte ihn zu einem weitgespannten Kundenkreis im süddeutschen Raum bis hin in die Schweiz. Hier ist ein potentieller Absatzmarkt zu sehen. 373 Bei der Kopie GCC 357 ist der Titelumschlag verloren. 167 Abbildung 23. Geständnis des K.L. Klenckler(Augsburg 1768). GCC 1084a. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. 168 6.2.3 Der Kupferstich Dieser Fall ist einer der wenigen aus Augsburg, zu dem die MSU eine Illustration besitzt. 374 Ein separater Kupferstich, signiert mit „Stockman*n+ Cath excud*it+. Aug*usta+ Vind*icorum+“ ist in die Neuauflage (GCC 1064a) eingelegt (Abbildung 24, S. 170). Der Stich ist zweigeteilt: Auf der oberen Hälfte sieht man „Wie der Arme Sünder Iohann Carl Ludwig Klenckler zur Richt=Stadt hinaus geführet wird“. Die zweite Abbildung zeigt „Wie Er mit dem Rad durch den Gnaden Stoßs vom Leben zum Todt gebracht worden den 6. Febr. 1768“. Es folgt das Privileg „Genehmhaltung der Obern“ und die Signatur des Stechers. In dieser Illustration fehlt jeglicher Hinweis auf Klencklers Geständnis auf dem „Echaffaut“. Sie präsentiert den idealen Gang der Gerechtigkeit, keinen realgetreuen Bericht. Die Szenerie der Hinausführung zeigt eindeutig das historische Rathaus und den Perlachturm von Augsburg, ist also lokal verankert. Die Abbildung der Stationen selbst weicht nicht vom Üblichen ab. Im Vordergrund sieht man den Hinrichtungszug: Eskortiert von Berittenen und Fußsoldaten, wird Klenckler im Büßergewand von sechs Geistlichen und einem weltlichen Würdenträger begleitet. Es sind keine Zuschauer zu sehen – der Betrachter des Stiches blickt stellvertretend für sie auf das Geschehen. Die zweite Abbildung zeigt das Rädern. Die Richtstätte ist der erhöhte gemauerte Turm, durch einen Gang zu betreten. Der Verurteilte, jetzt nur in Hemd und 374 Das Antiquariat Th. Rezek in München bietet dieses Blatt für Euro 300,- an. (MSU 1084b) enthält einen ähnlich aufgeteilten, aber unpassenden Kupferstich mit die Hinrichtung von Jud Süß 1738. Harvard Law School besitzt einen abweichenden Stich, der die Mordtat und die Hinausführung zeigt. Er wurde 1929 erworben. (Wahrhaffte Vorstellung Der Gewaltsamen Morthat, Welche in Augspurg Ao 1767 Den 9 8tbr [sic!] an Einer Vornehmen Frauens Persohn, Von Johann Carl Ludwig Klenckler, Weinhandler Von Kunzheim Unweit olmar, ebürtig, M rderischer Weise Begangen, Und Daraus Die orhanden ewessene ostbarkeiten Und Baares eld eraubet, Und Damit lüchtig Worden ). 169 Abbildung 24: Hinrichtung des K.L. Klenckler (Augsburg 1768). GCC 1084a. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. 170 Hose, liegt auf dem Rücken, gefesselt an eine hölzerne Plattform. Er ist übergroß gezeichnet, um den Blick auf die ‚Hauptsache” zu lenken. Deutlich sind die Keile zu erkennen, an denen die Gliedmaßen zerstoßen werden. Der Henker steht über dem Gefesselten und holt mit dem Rad zum Gnadenstoß aus. Alle drei Gruppen der Gesellschaft sind in ihrer notwendigen Funktion vertreten: die betenden Geistlichen, der Vertreter des Magistrats sowie in drei größeren Gruppen das Volk als Zuschauer. Das MSU-Exemplar GCC 1084a des Valentinschen Verrufs ist noch aus einem weiteren Grund beachtenswert. Es finden sich handschriftliche Notizen auf der unbedruckten Rückseite des Titelbogens und über der Überschrift „Verruf“. Sie stammen von drei Händen. Allerdings sind sie verblasst und nur bruchstückhaft entzifferbar. Eine Notiz in Kursivschrift zeigt „*…+ armer Sünder Karl Ludwig Klenckler“ und „buß than hatt“ *?+ sowie das Datum 1768. Darunter befindet sich ein unleserlicher Eintrag mit Tinte. Eine Bleistift- Notiz in der Seitenmitte zeigt das Datum 1776, also zehn Jahre nach der Hinrichtung. Die zeitgenössischen Vermerke beweisen, dass der Fall Klenckler so bemerkenswert war, dass das Armesünderblatt nicht nur aufgehoben, sondern sogar mehrfach kommentiert wurde. Insgesamt verbleibt beim Fall Klenckler ein gewisses Unbehagen. Die knappe Urgicht und das nachgetragene Geständnis auf dem Schafott werfen einige Fragen auf, über die hier nur spekuliert werden kann. Warum werden keine Zeugen genannt, sondern nur „verschiedene Anzeigen“? Warum der Eifer, einen auswärtigen Verdächtigen „gegen geziemendste Reversalien der allhießigen Justiz *zu+ überlassen“ – wurde hier die Überstellung in die Augsburger Gerichtsbarkeit gekauft? Warum wird keine Beute bei ihm gefunden? Warum die Erfindung des Unbekann- 171 ten, wobei das Erfinden als solches zum juristischen Fallstrick wird? Eine Lesart der Ungereimtheiten wäre, dass der „geweßte Weinhändler“ kein reuiger Mörder, sondern ein Bauernopfer der Augsburger Justiz war. Mit der Präsentation (oder Konstruktion) eines auswärtigen Raubmörders wäre jeglicher Verdacht vom Augsburgers Patriziat abgewendet. 6.3 Rhain-Reihe: Fortsetzung folgt (München 1771) Vom 16. bis 19. Oktober 1771 wird in München eine Gruppe von vier „grausamen Räubern“ hingerichtet: Johann Michael Schwaiger (17 Jahre alt, Rad), Joseph Mayr vulgo Windfligl (21 Jahre, Strang), sowie die Brüder Hanns Georg Rhain (22 Jahre, Strang) und Caspar Rhain (17 Jahre, Strang + Rad). Abgeurteilt werden sie wegen des gewalttätigen Überfalls auf eine Klause 375 in Ölstatt während der Karwoche, sowie auf einen Bauernhof in Riedberg südöstlich von München. Dieser Fall sticht aus der Menge der „normalen“ Exekutionen heraus. Nicht nur das unmittelbare Schauspiel, das sich kostspielig über vier Tage erstreckt, sondern auch die begleitenden Publikationen sind außergewöhnlich. Die Armesünderblätter, die zu diesem Anlass angefertigt wurden, sind wahre ‚Prachtexemplare” mit individualisierten Kupferstich-Illustrationen, auf einander bezogenen Urgichten und einer durchgehenden Moralrede, natürlich aus der Feder von Mathias Ettenhueber. 376 Ganz klar sind sie als Serie komponiert und werden so dem Publi- kum feilgeboten: „Die Fortsetzung folgt morgen.“ 375 Heute Ohlstadt, beim Murnauer Moos in Oberbayern. 376 Die German Criminology Collection besitzt nur das Armesünderblatt zu Caspar Rhain, 1771, MSU GCC 1151. Alle vier Blätter sind der Bayerischen Staatsbibliothek BSB, Res/4 Bavar. 67413/15, auch digitalisiert. Wieder abgedruckt in (Hollweck). 172 Abbildung 25. J.M. Schwaiger: Überfall auf die Klause in Ölstatt (München 1771). BSB Res/4 Bavar. 674-13/15-9. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. 173 Abbildung 26. J. Mayr: Überfall auf den Bauernhof in Riedberg (München 1771). BSB Res/4 Bavar. 674-13/15-10. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. Abbildung 27. Hanns Georg Rhain: Hinrichtung (München 1771). BSB Res/4 Bavar. 674-13/15-11. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. Abbildung 28. Caspar Rhain: Überfall auf die Klause in Ölstatt (München 1771). GCC 1154. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. 174 Warum dieser Aufwand? Was ist so besonders an dieser Urteilsvollstreckung, das die massive konzertierte Aktion von strafausführender Obrigkeit und strafauslegender Moralrede erfordert? Welche Aspekte des Geschehens sind so kritisch, dass sie eine Sinnzuschreibung verlangen, und warum muss die öffentliche Meinung überhaupt gelenkt werden? Zwei komplementäre Gesichtspunkte öffnen den Blick auf größere Zusammenhänge im strafrechtlichen Diskurs: das Verbrechen selbst, nämlich gewalttätiger Raub und das jugendliche Alter der Delinquenten. Da ist zum einen der Aspekt der „Räuberbande“. Es sind keine Einzeltäter, sondern die vier arbeiten auch mit anderen „Kameraden“, die in den Urgichten nicht namentlich genannt werden, zusammen. Im 18. Jahrhundert gab es eine reale Bedrohung durch vagierende Räuber und Räuberbanden, die besonders den regional zersplitterten Südwesten Deutschlands heimsuch377 ten. Schutz der Bevölkerung und Sicherung des inneren Friedens waren ein dringendes Anliegen der Landesregierungen, wenn auch – oder gerade weil – die behördliche Verfolgung oft relativ machtlos und ineffektiv war. Nun war gerade einige Wochen vorher die Bande des „Bayrischen Hiesl“ Matthias Klostermayr ausgehoben worden, die im schwäbisch-bayrischen Grenzbezirk besonders wegen Wilderei verfolgt wurde. Allerdings gab es ein Problem: eine heimliche Bewunderung und Akzeptanz in der Bevölkerung. Besonders die Bauern schätzten es, dass der Wilderer Klostermayr den Feldschaden, der durch das herrschaftliche Wild entstand, in Grenzen hielt. Er avancierte zum 377 (Fritz, Rotte; Fritz, Räuberbanden). Schon älter sind (Des bekannten Diebes, Mörders und Räubers Lips Tullians, und seiner Complicen Leben und Übelthaten, Dabey GOttes sonderbare Schickung erhellet / als vor der Königl. Commission neun Personen ohne Tortur, ihre begangenen grossen Missethateh gültlich bekannt haben / ohngeachtet ihrer Viere davon zu anderen Zeiten, die Tortur zum 3. und 4. mahlen ausgestanden, und die Wahrheit halsstarriger Weise verhalten. [...]); (Danker); (Lange). Siehe unten, Kapitel 6.4, S. 179. 175 Volkshelden, wurde oft von der Bevölkerung versorgt und gewarnt, die ihren Anteil an der Jagdbeute erhielten. Als „Sozialbandit“ 378 wurde er zum Vorbild für die Figur des Karl Moor in Schillers Räuber (1781). Klostermayr wurde am 6. September 1771 im benachbarten Dillingen spektakulär hingerichtet: gehängt, gerädert, geköpft und gevierteilt. 379 Gerade bei einer öffentlichen Hinrichtung stand die herrschaftliche Machtdemonstration auf tönernen Füßen und konnte leicht ins Gegenteil umschlagen. Im Münchner Fall bestand das Risiko, dass das Publikum Mitleid zeigte, weil die Verurteilten noch so jung waren. Wie würde die Menge es auffassen, wenn das Gericht jungen Menschen das Leben und damit die Möglichkeit zur Besserung und Umkehr nimmt? Würde der Obrigkeit eine Unrechtstat angelastet werden? Ein Mittel zur Bewusstseinslenkung ist die „Flucht nach vorne“, das heißt eine überwältigende Propaganda, welche Räuber, und speziell diese jungen Räuber, aus der aufklärerischhumanistischen Erziehungsdiskussion ausschloss. Die Bevölkerung sollte davon überzeugt werden, dass humane Kategorien wie Mitleid oder Wohlwollen hier nicht anwendbar waren – eben weil Räuber keine „Menschen“ sind. 378 Lange, S. 280. Zur Problematik des Begriffes „Bandit” siehe (Fritz, „Sicherheitsdiskurse“). 379 (Wahrhafte Geschichte den bayrischen Hießl und seine Kameraden betreffend): 16 Seiten mit erläuterter Illustration. Die Dillinger Urgicht ist „zum Nutzen des Waisenhaus” verlegt. BSB Res/4 Bavar. 674-13/15. 176 6.3.1 Die Dramaturgie der Hinrichtungen Die Urteilsvollziehung wird an vier aufeinanderfolgenden Tagen gestaffelt, so dass eine möglichst große Menschenmenge – sogar mehrmals – daran teilnehmen konnte. ungewöhnlich: immer wieder werden hohe Kosten 381 380 Das ist und Policeyprobleme bei einem volksfestähnlichen Menschenauflauf beklagt, was letztendlich zur Verlegung der öffentlichen Hinrichtungen hinter Gefängnismauern beitragen wird. In diesem Fall scheinen sie sich jedoch aus ideologischen und sozialdisziplinierenden Gründen rechtfertigen zu lassen. Die beiden spektakulärsten Schauspiele bilden den Rahmen in der Dramaturgie. Am Mittwoch, 16. Oktober, wird der minderjährige Schwaiger wegen „zwey ausgeübt grausamen Raubereyen *…+ mit dem Rad durch Zerstoßung seiner Glieder jedoch, mit dem Gnaden-Stoß vom Leben zum Tod hingerichtet, und dessen Körper auf das Rad gelegt“ (Schwaiger, S. 1). 382 Komple- mentär dazu wird am Samstag, 19. Oktober, der zweite jugendliche Kirchenräuber Caspar Rhain enthauptet und sein Körper ebenfalls auf dem Rad zur Schau gestellt. Beide sind die jüngsten, aber gewalttätigsten Mitglieder der Bande. Sie haben sich an einem Mann der Kirche vergriffen, erschwerend sogar in der Karwoche, der Leidenszeit Jesu. 380 Es ist nicht ersichtlich, ob die Urteile an einem oder an aufeinanderfolgenden Tagen gefällt worden sind. In der Regel werden Todesstrafen drei Tage nach der Verkündigung vollzogen. 381 z.B. Kosten für Henker, Bewachung, Begleitsoldaten, Verköstigung der Richter. Vgl (Lange), S. 77. 382 Der Tod durch das Rad ist im Codex Criminalis vorgeschrieben: „Im Fall auch die Rauberey mit Grausamkeit verübt worden, soll man den Rauber durch das Rad* …+ hinrichten“, aber nur denjenigen der Bande, der selbst unmittelbar Hand angelegt hat. (Cod. Crim. I,1,§19,20). 177 Am Mittwoch vor Ostern 1776 lockten Schwaiger, Caspar Rhain und zwei weitere unbe383 nannte Komplizen den Klausner von Olstatt vor die Tür, schlugen ihn nieder und fesselten ihn (Abbildung 25, S. 173). Beide Hauptdelinquenten haben dem Opfer „etwelche Löcher mit denen bey sich gehabten grossen eisernen Ringen, in den Kopf dergestalt geschlagen, daß hiervon häufiges Blut herausgeflossen“ (Schwaiger, S.2). Während einer auf der „Spech“ stand, d.h. Ausschau hält, schleppten die anderen drei den Einsiedler in die Klause und bedrohten ihn dort mit einem Hirschfänger. Als sie das verlangte Geld, das sie wohl wegen der Spenden aus der Osterwoche bei ihm vermuteten hatten, nicht fanden, raubten sie alle Lebensmittel, das neue Habit und Schuhe sowie geweihtes Gerät 384 385 und mehrere „Loreter-Glocken“ überreiche Beute, der Schaden wird auf 30 Gulden geschätzt 386 . Es ist keine , aber gerade die Armut des Einsiedlers lässt den blutigen Überfall umso verwerflicher erscheinen: „So wird die Armuth selbst ein Raub der Lotterbuben?“ (Caspar Rhain, S.4). Der Raub an einem, der selbst nichts hat, dem man buchstäblich die Kleider vom Leib nimmt, zeigt, wie weit diese Räuber von Solidarität mit den Armen oder ethischer Verantwortung entfernt sind. Ihr Verbrechen wird nicht nur als 383 Die Komplizen sind nicht Mayr und Hanns Georg Rhain, denen dieser Überfall nicht angelastet wird. 384 Raub von geweihtem Gerät über 20 Gulden wird mit dem Strang bestraft, ohne Möglichkeit einer Strafminderung. Geringere Werte (Opferstockdiebstahl) werden wie weltliche Diebstähle gewertet. Raub einer Monstranz oder gar der Hostie wird mit Feuer bestraft. (Cod. Crim. I,1,§17). 385 Möglicherweise Glocken aus dem Marien-Wallfahrtsort Loreto in Oberitalien (mit dem von Engeln versetzten Haus der Jungfrau Maria) oder dem Wallfahrtsort Loreto in Prag, der für sein Glockenspiel bekannt war (1695). http://www.loreta.cz/ge/zvonkohra.htm. 386 Die Bemessungsgrenze für großen Diebstahl liegt bei 20 Gulden, auch kumulativ. (Cod. Crim. I,1,§3). 178 schweres Eigentumsdelikt geahndet, sondern als prinzipielles Vergehen gegen bürgerliche und christliche Moralvorstellungen dargestellt und bestraft. An den beiden mittleren Tagen wird der Überfall in Riedberg geahndet. Schwaiger, Joseph Mayr und Hanns Rhain waren an einem Sonntag zur Kirchgangszeit durch einen Anbau in den Einödhof eingebrochen (Abbildung 26, S. 173). Sie überraschten den Bauern beim Mittagessen, rissen ihn an den Haaren, schlugen ihn mit mitgebrachten Schlagringen blutig und sperrten ihn in den Keller. Sie stahlen 9 Gulden und Tuch, der Gesamtschaden belief sich auf 111 Gulden. Hier greift Art. 5 des Codex Criminalis zum gefährlichen bewaffneten Einbruch mittels Gewalt (nicht per Dietrich), der „gleich das erstemahl ohne Rücksicht auf die Summam, Restitution oder Correction mit dem Strang zu bestraffen“ ist. Zuerst wird Joseph Mayr, 21, vulgo Windfligl Sepp gehängt. Bereits als 10jähriger und insgesamt sechsmal war er wegen „mehrfältigen Beutelschneydereien“ zu Karbatschenstreichen, Pranger und Arbeitshaus verurteilt und gilt deswegen als „incorrigible*r+ Maleficant*…+“ (Mayr, S. 4). Obwohl er beim Riedberg-Überfall nur „Spech gestanden“ *Ausschau halten+, aber nicht selbst 387 Gewalt angewendet hat, wird er als profitierender Mittäter wegen dieses „schweren Verbre- chens“ verurteilt und erhält die ungeschärfte Ordinari-Standardstrafe für den „großen Diebstahl“, also den Tod durch den Strang. 388 Mayrs Schicksal ist an sich nicht außergewöhnlich; seine zweite Stelle in der Reihenfolge ergibt sich eher aus der Bedeutung der anderen Hinrichtungen. 387 388 Cod. Crim. I,2,§20. Cod. Crim. I,2,§3. 179 Am dritten Tag wird Hanns Georg Rhain, 22 Jahre, auch wegen des Raubes zu Riedberg, gehängt (Abbildung 27, S. 174). Er hatte sich, weil der dem Bauern bekannt war, mit einem „baierischen Weibergewand“ verkleidet, will aber selbst keine Gewalt angewendet haben. Weitere Diebstähle werden ihm zwar angelastet, aber er gesteht sie nicht – ein Zeichen für mangelnde Reue und Gewissen, was das Thema für seine Moralrede abgibt. Hanns Georgs dritte Stelle in der Choreographie ist im Wesentlichen dadurch motiviert, dass er der Bruder des jungen Caspar Rhain, des vierten Todeskandidaten, ist. Das Miterleben des Hinrichtungganges ist eine Strafverschärfung für Caspar: Er leidet einen zweifachen Tod. Die engen Blutsbande verdoppeln das Schreckliche des Endes, aber auch der Tat selbst. Das Verwerfliche ist nicht der Raub allein, sondern dass ihn zwei Brüder begangen haben. Die gegenseitige Unterstützung bei einem Verbrechen pervertiert ‚Familie” als gesellschaftlichen Wert. Der integrale Kontrollmechanismus der ständischen Gesellschaft schlägt in der unterständischen Welt ins Gegenteil um und wird zur Bedrohung. Steigerung und Abschluß der Großveranstaltung bildet die Enthauptung von Caspar Rhain (Abbildung 28, S. 174). In seiner Person konzentrieren sich alle gesetzlichen, moralischen, emotionalen und sensationalistischen Aspekte und machen ihn zum Exemplum des Abscheus: Kirchenraub, Bandenbildung, Gewalt wirken umso schlimmer durch Jugend und Bruderschaft. Sein Teil der Moralrede schließt mit einer antithetisch aufgebauten Betrachtung über Gottes ewige Strafe für den reuelosen Sünder und einem Aufruf zur Buße. Dieser toposhafte Abschluss macht klar, dass Räuber nicht einmal durch gottesfürchtiges Sterben ein Beispiel geben könnten. 180 6.3.2 Die Kupferstiche Die Illustrationen zu diesen Hinrichtungen sind außergewöhnlich und heben diese Reihe aus dem Gros der Armesünderblätter heraus. Wahrscheinlich wurden sie von Franz Xaver Jungwirth geschaffen, mit dem Ettenhueber öfters zusammengearbeitet hat. Alle vier Armesünderblätter sind mit halbseitigen Kupferstichen versehen. Sie wurden direkt in das Titelblatt eingefügt und nicht, wie oft üblich, separat gedruckt und verkauft. Dies zeugt von der engen Zusammenarbeit zwischen dem Verleger Ettenhueber und dem Stecher, die ein gemeinsames Konzept der sukzessiver Präsentation von sich ergänzenden Elementen zur Verkaufssteigerung verfolgen. Durch die Verteilung des Geschehens auf vier großflächige Bilder gewinnt der Stecher Platz für sorgsam ausgeführte Details. Licht- und Schattenverteilung lenken den Blick des Betrachters auf Hauptszenen. In Größe, Sorgfalt und kompositorischem Bildaufbau – der Mittelpunkt des Geschehens ist von Bäumen und einem dunkleren Vordergrund eingefasst – zeigt sich die Handwerkskunst und macht die Blätter für Kunstliebhaber interessant. Es ist keine standardisierte Ware, die auch bei anderen Gelegenheiten eingesetzt werden könnte, sondern eine echte Ergänzung zum gedruckten Text. Sie sind auch klar miteinander vernetzt, genau so wie die Moralreden und die Inszenierung der Hinrichtungen selbst. Sie erzählen die Geschichte der Räuberbande – Untaten und gerechte Strafe – als Fortsetzung über vier Tage. Man kann sie als Serie oder auch als Rahmen lesen, in dessen Mitte sich Hinrichtung, Rache, Wiederherstellung der Gerechtigkeit, Mahnung und Abschreckung befinden. Die Kon- 181 struktion eines Sinnzusammenhangs erfordert idealerweise alle vier Blätter, also sammelndes Kaufinteresse und eine größere Ausgabebereitschaft im bürgerlichen Publikum. Wie die Hinrichtungen, so komplementieren die beiden Kupferstiche zu Schwaiger und Caspar Rhain einander. Sie illustrieren detailreich zwei Phasen des Überfalls auf den Klausner in Ölstatt (Abbildung 25 und Abbildung 28,173). Die Bildunterschrift „Ölstatter Raub“ führt das Geschehen ein, der vierzeilige Vers moralisiert dessen besondere Verwerflichkeit. Die beiden Kupferstiche schaffen durch gleichen Darstellungsstil und formale und inhaltliche Entsprechungen eine Verbindung zwischen dem ersten und letzten Urteil. Sie vernetzen die einzelnen Blätter miteinander und bilden eine Einheit der visuellen Narration. Beim Betrachten des einen Bildes erinnert man sich an die Ergänzung durch das andere. Dadurch wirkt der Einzelfall – die beiden jungen grausamen Kirchenräuber – eindringlicher nach. Das zweite Urteil, gegen Joseph Mayr, zeigt in der unteren Hälfte des Titelblattes den Überfall auf den Bauern in Riedberg. Wie bei der Klause fehlt die dem Betrachter zugewandte Wand des Hauses, so dass man ungehindert Einblick in das Geschehen nehmen kann (Abbildung 26, S. 173). Die Proportionen sind so verändert worden, dass alle wesentlichen Elemente in diesem Simultanbild Platz finden. Man sieht den Erdkeller, den aufgebrochenen Anbau und das Fluchtfenster im oberen Stockwerk. Die Details stammen aus drei Urgichten: der in Frauenkleidern steckende Hanns Rhain mit Schlagring, der Schmiere stehende Joseph Mayr und wie Schwaiger den Bauern an den Haaren zu Boden reißt. Die Gewalttätigkeit kontrastiert mit den Utensilien einer friedlichen Brotzeit auf dem Tisch. Dass der Bauer von seiner redlich verdienten Sonntagsmahlzeit weggerissen wird, verstärkt noch den Eindruck der 182 Unmenschlichkeit, der von den Räubern vermittelt wird. Möglicherweise war eine Bildunterschrift, etwa „Riedberger Raub“, vorgesehen. 389 Der dritte Kupferstich, zum Urteil von Hanns Georg Rhain, ist allgemeiner gehalten. Er zeigt eine Hinrichtungsstätte mit mehreren Todesarten: Hängen, Rädern, Vorbereitung zum Köpfen (Abbildung 27, S.174). Bei den Exekutionen vom Oktober 1771 wurden alle dargestellten Todesstrafen angewendet. Den unteren Bildrand bildet eine Girlande mit mehreren Instrumenten des Strafrechts: Eisenfesseln, glühende Zangen, Brandeisen (mit dem Buchstaben B für Bayern), Schwert und Staubbesen sowie ein Gerüst zum Aufziehen unter der Folter. Die Insignien von Justiz und Strafverfolgung legitimieren die Exekutionen als rechtmäßiges Vorgehen. Der Stich zeigt die „Wahrheit“ für den Betrachter. Er präsentiert die „gerechte Strafe“, die die ganze Viererbande ereilt und fasst dabei gestrige, heutige und morgige Ereignisse als eines auf. 389 Im vorliegenden Exemplar (Digitalisat der BSB) ist der Kupferstich sehr tief eingesetzt. Er berührt den unteren Blattrand, während zum oberen Trennstrich reichlich Platz ist. Möglicherweise wurde das Blatt beim Binden zu stark beschnitten, wie etwa auch die BSBUrgicht von Capar Rhain, bei der nur zwei Verszeilen lesbar sind. 183 6.3.3 Die Moralreden Ein außerordentlich gutes Beispiel für die säkulare Moralrede des Münchner Matthias Ettenhueber sind seine Verse zur Hinrichtung von 1771. Sie sollen deshalb im Folgenden ausführlich vorgestellt werden. Moralreden werden unter Zeitdruck geschrieben. Allgemeine Topoi und Metaphern stehen dem rhetorisch geschulten Verfasser zur schnellen Verfügung und werden nach Charakteristiken ausgewählt, die einen Bezug zum Fall herstellen lassen. 390 Der seit vielen Jahren erfahrene „Versemacher“ Ettenhueber zieht alle poetologischen Register, um seine moralische Botschaft dem Leser – und Käufer!– eindringlich zu vermitteln: Räuber sind von Grund auf verdorben und verdienen ihre gerechte Strafe; ihr Schicksal ist eine Ermahnung zur strengen Kinderzucht. Alle vier Armesünderblätter besitzen eine anderthalbseitige Moralrede in Versen. Sie sind als durchlaufender Text konzipiert und durch Paratext verknüpft: „Fortsetzung der vorigen abgebrochenen Moralrede“ *Hanns Rhain+ „Der Beschluß folgt“. (Abbildung 29, S. 185). Auch intertextuelle Verweise, besonders in den Abschnitten der beiden Brüder, verstärken Zusammenhang und Intention. In rhythmischer Folge wechseln sich allgemeine Betrachtungen mit kurzen fallspezifischen Interludien ab, die als Scharnier zwischen den Einzelblättern fungieren. 390 Vgl. das ähnliche Verfahren bei Leichenpredigten und Leichabdankungen. (Boge und Bogner). 184 Die Fortsetzung folgt Morgen. Fortsetzung der vorigen Moral=Rede. Abbildung 29. Moralrede zu Joseph Mayr, dem zweiten Verurteilten (München 1771). BSB Res/4 Bavar. 674-13/15. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. 185 Als gemeinsames Motto ist ein Spruch von Horaz vorangestellt: „Quo semel est imbuta recens, servabit odorem testa diu“ (Womit das neue Gefäß einmal benetzt worden ist, davon wird es den Geruch lange behalten). 391 Der Zusammenhang von Motto und Auslegung zur Kinderer- ziehung ist nicht eindeutig und fordert den Leser zum Mitdenken auf. Was ist das, was in das Gefäß gegossen wird? Ist es die frühe Gewöhnung an kriminelles Verhalten im familiären und sozialen Umfeld der Räuber? Oder ist es etwas, was ganz allgemein in Kinder hineingelegt werden sollte, aber oft fehlt, nämlich „Tugend, Ehre, Zucht und ächtes Christentum“? Das tertium comparationis ist der unausweichliche Weg ins Verderben. Das Ende der jungen Delinquenten wird zum Anlass genommen, das Publikum direkt zu ermahnen. Man warnt vor übermäßiger, blinder Elternliebe, die den Kindern zu viel Freiheit gibt. Es besteht ein kausaler, unmittelbarer Zusammenhang zwischen Verwöhnen und Verderben: „Ach diese blinde Liebe | Zeugt manches Ungeheuer, zeugt Rauber, Schelm und Diebe | keckt eure Kinder an zu mancher bösen That, | Und überliefert sie dem Galgen, und dem Rad.“ Betrachtet man allerdings die wirkliche Familiensituation der Verurteilten, erscheint die „blinde Liebe“ 392 beinahe zynisch: alle vier sind Waisen oder wissen nicht, wo sich die Eltern aufhalten. Es folgt eine relativ lakonische Beschreibung der Räderung von Schwaiger, zwar dramatisch genug um die Phantasie des Lesers anzuregen, aber nicht sensationalistisch ausgebeutet. Ettenhueber ging es mehr um moralische und legitimierende Fragen zu Strafmaß und Strafzweck: 391 Zur extensiven Verwendung und Variationen dieses Sprichworts vgl. (Singer). 392 Caspar Rhain gibt an, dass seine Eltern noch am Leben und landfahrende Abdecker seien, sein Bruder Hanns Georg nennt beide Eltern als verstorben. 186 Nun ist der Rauber tod, sein Urtheil ist vorbey, Die andern haben es in Bälde zu erwarten, Sie sind von gleichem Schrott, sie sind von einer Karten, Nun wird die Raubbegierd mit Blut und Tod bezahlt, An Jahren sind sie jung, an List und Bosheit alt. Die Fortsetzung folgt. (Mayr, S. 4) Das schwarze Laster hat die Jahre überwogen Sie sind Harpyen gleich dem Raube zugeflogen, Und schlug die Rache nicht mit ihrem Strahl darein, Wie groß soll ihre Wuth im späten Alter sein? (Schwaiger, S. 4) Der Tod der Räuber rächt nicht nur, sondern schützt die Gesellschaft auch vor zukünftigen Straftaten. Strafzweck ist also auch eine negative Spezialprävention, eine Sicherung vor diesen speziellen Tätern und ihrem sich steigernden kriminellen Potential. Im nächsten Abschnitt wird ein negatives Bild des ungehemmten, gewalttätigen Menschen vorgestellt, interessanterweise kontrastierend zu wilden, aber majestätischen Raubtieren. 393 Tiger, Löwe, Wolf und Habicht leben – angeblich – untereinander in Frieden, „schau*en+ nicht nach fremden Guth, geben der Billigkeit Gehör“ (Mayr, S. 3). 394 Nur der Mensch hasst und tötet einander, stiehlt, vernichtet durch Krieg. Der Räuber lauert mit Hinterlist auf, „fällt alles rasend an, läßt seiner Wuth den Lauf“ (Mayr, S.4). Ungebändigte Besitzgier 395 kennt keine moralischen Schranken: „Kein Alter und Geschlecht bleibt frey, und unverschonet, | Selbst die Barmherzigkeit wird oft mit Blut belohnet“ (eine Anspielung auf den verwundeten Klausner). 393 Anders bei (Willems), S. 8. Sie identifiziert statt kontrastiert die hier eingesetzte Tiermetaphorik mit den Verbrechern. 394 Vgl. Paradiesdarstellungen oder auch utopische Fabeln bei LaFontaine. 395 Vgl. Jean-Jacques Rousseau Discours sur l'inégalité (1755), der die Eigentumsbildung als Grundlage der politischen Ungleichheit der Menschen ansieht. Vgl. auch den Einfluss von Thomas Hobbes‘ Grundsatz „homo homini lupus“. 187 Die animalische Grundnatur des Menschen ist gewaltsam und gierig. Sie bricht sich freie Bahn, wenn sie nicht durch „Zucht“ von Kind an in Schach gehalten wird und verhärtet mit der Zeit immer mehr. Erneut wird – nach den Regeln der Rhetorik – diese allgemeine Überlegung am besonderen Fall spezifiziert: Dem Überfall auf den Riedberger Bauern, für den der Räuber Joseph Mayr gehenkt wird. In der Schilderung (8 Zeilen) wird besonders die Hinterlist der Räuber hervorgehoben. Arglistige Täuschung gehört zum unverbesserlichen Charakter „des“ Räubers: „Der Mann war im Begrif das Suppenbrod zu schneiden, | Und folglich nicht gefaßt den Angrif zu vermeiden | Dergleichen Schelmenstreich stund nicht auf ihrer Stirn: | Denn einer war verkleidt als eine Bauer-Diern.“ (Mayr, S. 4). Das Detail, dass der Überfall während einer Mahlzeit stattfand, findet sich nicht in den Urgichten, sondern nur auf dem begleitenden Kupferstich. Ist es bei der Kompilation des Prosateiles übersehen worden? Oder ist eine Konstruktion der beiden Verfasser – Autor und Stecher – um das Mitleid mit dem Bauern und den Abscheu vor den Räubern zu steigern? Es wird mehrmals erwähnt und in der Abbildung gezeigt, dass der Bauer an den Haaren gerissen wird – äußerst schmerzhaft, und von jedem Zuschauer nachvollziehbar. Durch die Identifizierung mit dem Opfer werden mögliche Reaktionen wie Verständnis, Bewunderung oder gar Mitleid mit dem Verbrecher unterbunden. Er wird zum Objekt des Spottes: Sein Name Joseph Mayr vulgo Windfligl Sepp und sein Schicksal als gehenkter ‚Galgenvogel” reizt zu einem Spiel mit Worten: Nun muß auch Joseph Mayr der Windeflügel hangen Er trägt auch wirklich itzt den Namen in der That, Indem der Wind genug mit ihm zu spielen hat. 188 Für Vögel solcher Art, gehört ein solches Zimmer Die Flügel sind gestutzt, nun flügt, und stihlt er nimmer. (Mayr, S. 4) Neben Ungehemmtheit und Agression ist „Gewohnheit *…+ die andere Natur“ des Räubers, die immer stärker wird. Auch durch Gefängnis- und Schandstrafen lässt er sich kaum davon abbringen. Mit drängenden Bildern im barocken Stile von Hofmannswaldaus Die Welt (1647) beschreibt Ettenhueber das Verhängnis. Gewohnheit nämlich ist die andere Natur, Nimmt mit den Jahren zu, kommt selten in die Cur: Ein Nagel, welcher tief in einer Mauer rostet, Und noch so viele Müh heraus zu ziehen kostet: Ein Stein, ein schwerer Stein, den kaum der Stärkste hebt, Ein angeseßner Wurm, der immer weiter gräbt, Sie ist ein eisnes Hemd, das hart am Leibe lieget, Ein angelaufner Strom, der immer Zuwachs krieget. (Mayr, S. 4) Ein knapper Vierzeiler, auf das zweite Hängen bezogen, bindet die dritte Moralrede an und leitet zum Thema „Herkunft“ über. Er konstatiert, dass die Leidenschaften der verführbaren Jugend in diesem sozialen Umfeld nicht unter Kontrolle gehalten werden. Sprachliche Bilder unterstützen, dass „der Sohn insgemein dem Vater nach*folgt+“ (Hanns Rhain, S. 3). „Und wer sind, kurz gesagt, die meisten armen Sünder| Als Müßiggänger, Diebs- und Vagebunden=Kinder?“ Nicht nur das schlechte Vorbild des Vaters, auch die „Sünde“ der unverheirateten Mutter gehen auf das Kind über, das in diesem Umfeld aufwächst: „Lebt wie das dumme Vieh, weil es nichts sieht und höret | Als Schand, und Aergerniß, als Laster und Betrug“. Ein Missetäter ist für Ettenhueber unausweichlich das Produkt von Milieu und fehlender Erziehung. Ettenhuebers Bildsprache vergleicht Vaganten mit Ungeziefer: „ein giftig Erdgeschmeiß“, „Lands-Plag“, „schlimmer Garten-Wurm“, „voller Unflat“ – und damit stehen sie noch niedriger 189 als Tiere. Es ist fraglich, ob sie eine Seele besitzen, die durch Reue und Buße unter dem Schafott gerettet werden könnte? Ein Kontrastbild wird entworfen: der christlich-aufgeklärte Mensch, der auch in schweren Zeiten nach seinem Gewissen handelt, d.h. den moralisch-ethischen Normen folgt. Ein freies, „bewußt*es+“ Handeln überwindet Not und Trübsal. Im Gegensatz dazu hört der Räuber zwar sein Gewissen, kümmert sich aber nicht darum, obwohl er weiß, dass seine Lebensart ein schlechtes Ende nehmen wird. Das Ende dieser Moralrede bzw. der Übergang zur Fortsetzung erfolgt abrupt mitten in der letzten Verszeile: „Ein Bruder ist gehangen | Der andre wird den Lohn am Samstag auch empfangen.“ (Hanns Rhain, S. 4). Die Rede des jungen Bruders Caspar Rhain setzt mit diesen beiden Aspekten ein: mit der Reihung und Wiederholung des unerbittlichen Todes und mit dem Thema „Bruder“. In direkter Ansprache an Rhain werden empathisch die Gefühle und Werte beschworen, die im Verständnis der Empfindsamkeit das besondere, enge Band zwischen Geschwistern ausmachen: das gleiche Mutterherz, ein ähnlicher Charakter, ein gleiches Lebensziel – hier pervertiert im gleichen Tod: „Ihr Unglückselige, o ihr fast gleichen Brüder! |Im Leben, und im Tod! Wie muß dir Caspar Rhain! | Vor deinem Tode noch ein harter Anblick sein? *…+ O jämmerliches End!“ (Caspar Rhain, S.3). Emotionen des Zuschauers werden evoziert: „Wer schildert mir das Meer der wallenden Gedanken, | Wenn du des Bruders Leib siehst an dem Galgen wanken?“ (Caspar Rhain, S.3). Die Rhain-Brüder verletzen nicht nur das Rechtsempfinden durch ihren Raub, sondern fordern auch das Wertesystem der bürgerlichen Familie heraus. Das enge Beziehungsgeflecht dient der gegenseitigen Unterstützung, aber auch der Kontrolle; es soll sozial- 190 verträgliches Verhalten auch außerhalb des Familienverbandes einüben. Dem älteren Bruder kommt hier – ähnlich wie dem Vater – eine besondere erzieherische Aufgabe zu. Dies ist in diesem Fall gescheitert – die beiden Brüder Hanns Georg und Caspar korrigierten nicht des anderen Fehlverhalten, sondern bestärkten sich im gleichen falschen Lebensziel. Das Korrektiv, wie es in der bürgerlichen Familie idealisiert wird, versagt in der Welt der Räuber bzw. verkehrt sich in das Gegenteil. Der moralisch aufgeladene positive Begriff „Bruder“ wird den Verbrechern deswegen verwehrt: „Da heißt es wahrlich auch nicht Bruder in dem Spiel“. Hilfe und Rettung in der Not – wie man sie von einem Bruder erwartet – werden versagt, eben weil es kein „richtiger” Bruder ist – so wie die nachgiebigen Eltern des ersten Teiles keine richtigen Väter und Mütter sind. Räuber stehen nicht nur sozial und ökonomisch außerhalb der Gesellschaft, sondern auch außerhalb des ethischen Wertesystems des Humanismus. Sie sind in diesem Sinne keine Menschen, sondern „giftiges Geschmeiß“ und „Raubethiere“. Der Aspekt des Unethischen und Zynischen bestimmt auch die Darstellung der Tat, des Überfalls auf den Klausner. Erst hier im vierten Teil, im rahmenden Gegenstück zur Moralrede des Mittäters Schwaiger, wird das Verbrechen selbst angesprochen. In wenigen, aber dramatischen Versen werden Lockfrage und gewalttätiger Überfall geschildert und ausgedeutet: „Ihr hieltet (fromme Lust!) mit ihm die Pumpermetten, | Weil eben dazumal die Marterwoche war.“ (Caspar Rhain, S. 4). Die Pumpermette war ein Gottesdienst in den Kartagen. Dabei wurde durch Klopfen auf die Kirchenbänke oder mit einem Schallbrett Lärm erzeugt, der die Empörung über den Verrat des Judas ausdrücken sollte. 396 396 In dem satirischen Bild verbindet Ettenhueber (Galler). 191 die Aspekte Hinterlist, Schläge, Kirchenfrevel, Unchristlichkeit und verstärkt sie durch den Hinweis auf Einsamkeit und Armut des Klausners – all das, was den Zuschauer besonders empören soll, um etwaiges Mitleid mit der Jugend des Verurteilten zu vermeiden. Ein trockenes Fazit „Ein jeder wird nach Maaß der Frevelthat belohnet“ bekräftigt das unausweichliche Schicksal. In einer erneuten Wendung adressiert der Sprecher der Moralrede dann diejenigen Anwesenden, die sich vielleicht zum Diebstahl verlocken lassen. Der Blick auf die „Schedelstätte“ soll sie abschrecken, indem sie den drohenden Tod als irdische und göttliche Strafe vor Augen führt. In antagonistischen Bildern wird der lebende, rächende Schöpfer dem unbußfertigen Sünder gegenüber gestellt. Dies ist ein strafender, kein gütiger rettender Gott. Der Schöpfer lebt, und rächt, die Zeit und Glück verscherzen Mit ungemeßner Qual, mit unerhörten Schmerzen Er lebt und kürzt das Ziel der frechen Sünder ab, Gräbt dem Verführer-Schwarm ein Angsterfülltes Grab: Er lebt, und läßt das Herz derjenigen zerspalten, Die sich an keine Pflicht, an keine Tugend-Regel halten. *…+ Wohl dem, der Busse thut, und hier noch auf der Welt, Noch in der Gnadenzeit Gott in die Hände fällt (Caspar Rhain, S. 4) Dieser letzte Teil, im Topos des „guten Schächers“ Dismas gipfelnd, wirkt schematisch und angehängt. Es ist auch nicht von tatsächlich gezeigter Bußfertigkeit oder gar Bekehrung der vier Münchner Räuber die Rede. Sie sind keine vorbildlichen „armen Sünder“, sondern durch und durch verdorbene Bösewichte. Im Grunde genommen ist klar, dass Schwaiger und seine Komplizen keine Gnade und kein Seelenheil erwarten können – etwa weil das „Geschmeiß“ gar 192 keine Seele besitzt? Die Abschreckungswirkung der Strafökonomie steht hier, gegen Ende des 18. Jahrhunderts, im Konflikt mit traditionellen religiösen Absichten. 397 6.4 Die Vierteilung des Räubers Windbeutel (München 1781) Mitte des Jahres 1781 wird in München eine Gruppe von neun Räubern wegen der „räuberischen, dann die öffentliche Ruhe, und allgemeine Sicherheit stöhrenden Verbrechen“ erbarmungslos hingerichtet: der Anführer Matthias Sandner wird gevierteilt. Deutlich ist – im Vergleich mit der Rhain-Bande zehn Jahre zuvor – eine Akzentverschiebung zu erkennen: weg von dem moralisch-erzieherischen Aspekt hin zur säkularen Staatssicherheit, die mit strengen Mitteln durchgesetzt werden soll. Ettenhuebers Moralrede (eine seiner letzten) belehrt eindringlich über das jüngst veröffentlichte verschärfte Generalmandat, das mit Räubern auch ohne Geständnis kurzen Prozess macht (Abbildung 30 und Abbildung 31, S. 195). Die Michigan State University besitzt sieben seriell nummerierte Münchner Blätter von 1781: 398 Nummer 2, 3, 4&5, 6 sind die Urgichten zur Windbeutel-Bande. Bestand, der zu diesem Fall nachgewiesen werden konnte. 397 Dies ist der umfassendste 399 Vgl. (Willems) S.4; (Martschukat) S. 39; (Evans, Rituale), S. 193. 398 No 2: Bartholomae N. vulgo Tyroller Bartl; No. 3: Matthias N. [Sandner], vulgo Windbeutel; No. 4&5: Joseph N vulgo Schwäbischen Lipp und Mathias N. vugo Abdecker Doni; No. 6: Mathias N. vulgo Windbeutel. No 1: Joseph N., 17. Februar 1781 und No 11: Anton N., 20. Weinmonat 1781, gehören wohl nicht zur Gruppe um Windbeutel. 399 Die BSB besitzt nur das Urteil des Windbeutel, Bavar. 5176 v. Weitere Armesünderblätter konnten weder an der BSB noch an der LMU nachgewiesen werden. 193 Neben der kombinierten 8seitigen Version von Matthias Ettenhueber (mit anonymisierten Familiennamen) existierten eine amtliche Variante der Urgicht ohne Moraralrede Kupferstich 401 400 , ein sowie der kritische Kommentar des Berliner Aufklärers und Publizisten Friedrich 402 Nikolai, der in diesem Jahr Mün chen bereiste. Der Kupferstich zur Vierteilung ist besonders aufschlussreich, weil die üblicherweise dargestellte Einbindung in das Straf- und Gesellschaftssystem fehlt. Er reduziert das Geschehen völlig auf den spektakulären Akt des Tötens und der Zerstückelung des Körpers, gibt ihn in Großaufnahme dem Blick des Betrachters preis. (Abbildung 32, S.203). 400 LMU 0014/W 4 Jus 167. 401 Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Graphische Sammlung, Inventar-Nr. HB 7805, Kapsel-Nr. 1373a; Abdruck bei (Schild, „Verstümmelung“), S. 268. 402 (Nikolai), Bd. 6, 3. Buch, S. 763. 194 Abbildung 30. Windbeutel-Urteil mit Moralrede (München/Augsburg 1781). GCC 1157. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. Abbildung 31. Amtliches Urteil ohne Moralrede (München 1781). LMU 0014/W 4 Jus 167. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. 195 Einige Indizien sprechen dafür, dass die an der MSU vorhandenen Exemplare keine Münchner Originale, sondern Nachdrucke des Druckers Bullmann aus Augsburg sind, der auch den Vertrieb (oder Nachstich) des Hinrichtungskupfers besorgt. 403 Augsburg ist auch bei anderen Urgichten Knotenpunkt für kommerziellen Nachdruck und Verbreitung der Galgenliteratur im oberdeutschen Raum. 6.4.1 Das Generalmandat gegen die Räuber von 1781 Das Alte Reich lässt sich auch als ein Räuberreich beschreiben, als die Zeit eines beständigen Kampfes zwischen den Ordnungsmächten des absolutistischen Staates und größeren Bevölkerungsgruppen, die, außerhalb der ständischen Gesellschaft stehend, ihren Lebensunterhalt durch Betteln, Diebstahl, Hehlerei und Raub bestritten. Die unterständische Schicht bestand aus Tagelöhnern und Gelegenheitsarbeitern, aus nicht oder nur halb sesshafte Gruppen von Vagierenden, verstärkt nach dem Dreißigjährigen Krieg durch entlassene Soldaten oder „gartenden Knechte“. Sie waren durch Herkunft, Vorstrafen und „Ehrlosigkeit“ stigmatisiert. Ohne ausreichenden Verdienst, aus Städten und Ländern ausgewiesen, entstand so eine Gegengesellschaft der „Kochemer“ mit einer großen Spannbreite vom Gelegenheitsdieb über regional operie- 403 So sind die Blätter auf den roten Etiketten der Sammlung mit anderen Urteilen des Augsburger Druckers Bullmann durchnummeriert. Die falsche Zuschreibung des Generalmandats zum Urteil des Tyroller Bartls lässt sich erklären, falls Bullmann die ganze Serie nachdruckte, also spätere Informationen auf den ersten Gehenkten rückübertragen hat. Ebenso ist die Ortsangabe „bei den zwey Brücklen“ (bei Urgicht No. 4&5) für Augsburg nachweisbar: Die Jakoberstrasse in Augsburg hieß „ehemals an den zwei Brücklen”, wo auch ein „Kaufmann Rauh” gelistet ist. (Verzeichnis der Hausbesitzer und Straßen der Kön. Baierischen Stadt Augsburg). An der BSB ist keine Kopie dieses Urteils vorhanden, so dass die Ortsangabe nicht verglichen werden kann. 196 rende Familiengruppen bis zu organisierten Großbanden. 404 Das vorherrschende Bild einer gro- ßen, militärisch straff organisierten und weiträumig operierenden Bande entspricht nicht der Realität in Südwestdeutschland. Im schwäbisch-bayerischen Grenzgebiet, aus dem die Mehrzahl der hier untersuchten Armesünderblätter stammt, waren kleinere Gruppen die Regel, die in wechselnden Zusammensetzungen Einzelhöfe oder Mühlen heimsuchten. 405 Heimliche Einbrüche mittels Leitern und Brecheisen waren der Normalfall, nicht der so gefürchtete Stra406 ßenraub. Die Räuber waren oft bewaffnet und erzwangen von den überraschten Opfern die Preisgabe der Geldverstecke, aber Gewalt wurde eher als „archaische Erpressungsmethode *…+ rational und begrenzt eingesetzt“ denn aus ungehemmter Aggressivität. 407 Dem entspricht eine relativ weiche Strafverfolgung. Der vormoderne Staat kann als „Ankündigungsstaat“ beschrieben werden, der zwar viele Verordnungen und Edikte erließ, sie aber nicht vollziehen konnte, weil es an Effizienz und Durchsetzungsvermögen mangelte. 408 404 Gerhard Fritz urteilt für (Des bekannten Diebes, Mörders und Räubers Lips Tullians, und seiner Complicen Leben und Übelthaten, Dabey GOttes sonderbare Schickung erhellet / als vor der Königl. Commission neun Personen ohne Tortur, ihre begangenen grossen Missethateh gültlich bekannt haben / ohngeachtet ihrer Viere davon zu anderen Zeiten, die Tortur zum 3. und 4. mahlen ausgestanden, und die Wahrheit halsstarriger Weise verhalten. [...]); (Danker). Uwe Danker beschreibt die Banden von Nickel List (Lüneburg 1998, Raub der Güldenen Tafel in Lüneburg), Lips Tullian (Kursachsen 1711), den Jüdischen Baldober des Hoyum Moses(Sachsen Coburg, 1733), die Ate Liesel und die Schleifenbärbel. Katrin Lange erweitert den Rahmen in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts und in den süddeutschen Raum: Bayrischer Hiasl (Augsburg 1771), die Hannikel-Bande (Schwaben 1787) und Schinderhannes (Hunsrück 1803). Vgl. auch (Reif); (Küther). 405 406 407 408 (Fritz, Rotte) S. 214. (Danker), S. 121. (Danker), S. 126. (Fritz, Rotte), S. 691. Vgl auch (Landwehr, „Normdurchsetzung"). 197 die Zigeuneredikte aus dem Schwäbischen: „Die Waagschale neigte sich nach einem ständig gesteigerten Verbalradikalismus in der Theorie der normativen Texte in den Patenten in der Praxis eindeutig gegen die harte Linie. Was in den Kreisedikten zu Papier gebracht worden war, wurde so nie umgesetzt.“ 409 Obwohl die harten Strafandrohungen der Carolina oder des bayrischen Codex Criminalis Raub und Diebstahl nicht wirksam hatten verhindern können, werden sie als Instrument der Strafverfolgung weiter eingesetzt und aus einer trotzigen Notwendigkeit oder Hilflosigkeit heraus sogar gesteigert. Ein „verschärftes Generalmandat“ wird veranlasst oder beschleunigt durch die Ergreifung eben jener Windbeutel-Räuberbande, die in der Region Pfaffenhofen und Aichach bei Einbrüchen „mit äußerster Gewalt“ die Opfer „auf das grausamste mißhandelt“ hat und der nun in München von dem kurfürstlichen Hochgericht der Prozess gemacht wurde. Am 7. Juli 1781 erließ der bayrische Kurfürst Karl Theodor eine „Verordnung: die im Cod. Crim. auf den Raub und Diebstahl gesetzten, nunmehr aus Ursache des so sehr überhand nehmenden verwegenen und grausamen Diebs- und Raubergesindes zur Herstellung der Sicherheit noch mehr geschärften peinlichen Strafen betreffend.“ 410 Begründet wird die Strafverschärfung mit der Abschreckung: „mithin solche Exempel statuieren werden, welche diese bösen Leuten einen mereren Schrecken einzujagen, sohin die bereits so weit gestörte LandesSicherheit wiederum herstellen, vermögend seyn dürften“. 409 (Fritz, Rotte), S. 698. 410 (Karl Theodor); zuerst Münchner Intelligenzblatt XXX (1781), S. 309-310. Abdruck auch bei (Schloezer), Bd. 5, Heft LIII (1781), S. 288. 198 Die Verordnung verlangt eine Verschärfung der Strafen, ohne jede Rücksicht auf besondere Umstände. 411 Während der Codex Criminalis noch eine Staffelung der Strafen vorsieht, die Schadenshöhe und Wiederholungsfall berücksichtigt, soll jetzt jeder gewalttätige Raub und jede direkte Mithilfe mit der Todesstrafe durch das Rad abgeurteilt werden. Geschärft wird die Strafe bei Gewaltanwendung: Schleifen auf einer Kuhhaut sowie Rädern von unten auf und ohne vorherige Strangulierung. Starb der Misshandelte, wird dem Verurteilten der letzte Stoß erst nach einigen Stunden versetzt. Wer den Raub vorbereitet und seinen Anteil erhalten hat, wird ebenfalls mit dem Rad bestraft, der Hehler mit dem Strang. Beteiligte Frauen werden mit dem Schwert, nach mehrmaligem Zwicken mit glühenden Zangen, zu Tode gebracht. Einfacher Diebstahl und Einbruch sollen mit dem Strang geahndet werden. Die Gerichte werden angewiesen, „alle obbestimmte Strafen an den Dieben und Räubern auf das genaueste vollziehen“, sie„ad literam befolgen“ und „kurzen Proceß hierunter zu machen“. Dem Richter bleibt kein Ermessensspielraum, dem Kriminellen keine Milderungsgründe. Das Generalmandat betont, dass die Gesetze buchstabengetreu zu beachten seien – ein Hinweis auf eine abweichende Praxis, wo Erst- und Bagatellkriminalität eher mit Ehr- oder Arbeitsstrafen belegt wurden oder Kriminalverfahren sich lange hinzogen und ineffektiv waren. Die sofortige Verurteilung zum Tode und die gesteigerte Grausamkeit der Hinrichtung lassen die Entschlossenheit erkennen, mit der die Landesregierung die gewaltsame Eigentums-Kriminalität eindämmen wollte, bzw. auf Kritik an einer laxen und unwirksamen Strafjustiz zu reagieren gezwungen war. 411 Im gleichen Jahr 1781 beginnt unter Kaiser Joseph II. von Österreich die Reform, die 1787 die Todesstrafe abschaffen wird. Vgl. (Ammerer). 199 Erst seit dem Ende des 18. Jahrhunderts entwickelten die Behörden mehr und mehr effiziente und koordinierte Maßnahmen, um die innere Sicherheit und Ruhe wieder herzustellen. 412 Neue Fahndungsmethoden wurden entwickelt: taktische Modelle der Streifendurchführung, Beutebeschreibungen in Urgichten, Denunziationsbelohnungen, verbesserter Informationsfluss zwischen den Behörden durch Landkarten, gemeinsame Zuchthäuser (z.B. Buchloe), besonders aber umfassende Fahndungslisten und Kontrolle der Pässe auf allen Straßen. Diese modernen Formen der Strafverfolgung erweisen sich als wesentlich wirksamer gegen die Vagierenden als die bisherige Androhung von blutrünstigen Strafen in landesherrschaftlichen Edikten und Patenten. Die amtliche Version einer Urgicht des Windbeutel ist ein frühes Beispiel dafür. 6.4.2 Die Vierteilung des Windbeutel Die Ergreifung und Exekution der Windbeutel-Bande statuierte ein Exempel. Die Vierteilung war im Mittelalter und der frühen Neuzeit die – seltene – Todesstrafe für vielfachen, besonders grausamen Mord, Hochverrat oder Königsmord. 413 Während in Frankreich Pferde einen sol- chen Verurteilten zerrissen, wurde ihm in England und Deutschland der Leib aufgeschnitten, die Eingeweide herausgerissen und der Leib mit dem Beil in Stücke zerhackt. Hier ist der Gedanke eines Angriffes von der Person der Regenten auf den Staat ausgeweitet. Räuber gefährdeten die innere Ruhe und öffentliche Sicherheit, wie es ausdrücklich im Gene- 412 (Fritz, Rotte). 413 Michel Foucault beginnt seine Ausführungen mit dem mühsamen Zerreißen des Königsmörders Francois Damiens 1757 durch vier Pferde. (Foucault, Überwachen). Auch Johann Friedrich Struensee, Leibarzt des dänischen Königs und Geliebter der Königin, der aufgeklärte Reformen durchsetzen wollte, wurde 1772 geköpft , gevierteilt und aufs Rad geflochten. 200 414 ralmandat heißt. Sie exponierten – ähnlich wie Verräter – eine Machtschwäche der Obrig- keit und waren entsprechend zu richten. Die Landesregierung musste öffentlich demonstrieren, dass sie willens und fähig ist, das Generalmandat umzusetzen und der Bedrohung durch Räuber entgegenzuwirken. Die gewalttätigen „bösen Leute“ waren nicht nur eine reale Gefahr für die Bevölkerung, sondern auch eine ideelle für die Obrigkeit, deren Pflicht es war, die Untertanen zu schützen und zu sichern. Die Ergreifung des Bartholomäus N., vulgo Tyroller Barthl bringt den Stein ins Rollen. Er bekennt frei und reumütig, an zwei Mühlenüberfällen im Frühjahr des Jahres als Späher beteiligt gewesen zu sein und gibt die Namen seiner Mittäter an. Er stirbt am 25. May 1781 durch den Strang, „obwohlen er zur Folge des *…+ schärfesten General-Mandats, mit dem Rad bestrafet zu werden allerdings verdienet hätte“ (Urgicht No. 2). Allerdings: das Mandat wurde erst im Juli, sechs Wochen nach Barthls Tod erlassen und kann bei seiner Verurteilung gar nicht herangezogen worden sein. Ist die retroaktive Zuschreibung des Mandats ein Versehen des Nachdruckers, der möglicherweise erst nach der theatralischen Hinrichtung des Windbeutel den Verkaufswert dieser Urgichtenserie erkannte? Barthls Denunziation überführt den Mathias N. [Sandner] vulgo Windbeutel, No. 3. 415 Der 19jährige Windbeutel gesteht nicht freiwillig, sondern erst nach der zweiten Tortur, veranlasst durch die beschworene Aussage des hingerichteten Kameraden. Er bekennt neun Straßenräubereien und Einbrüche, bei denen die Opfer brutal misshandelt wurden. Männer und Frauen 414 Vgl. (Fritz, „Sicherheitsdiskurse“). 415 GCC 1157. Das Exemplar der BSB Bavar. 5176 v zeigt Abweichungen im Satz und Schmuckvignette, ein weiterer Hinweis darauf, dass die MSU-Kopie ein Nachdruck ist. 201 wurden „an die empfindsamsten Theile des Körpers mit ausgesonner Bosheit gebrennet“, und der Gesamtschaden belief sich auf fast 13000 Gulden. Das unnötige sadistische Quälen der Opfer veranlasste die Strafe des Räderns und der glühenden Zangen als Rache: „Nach dem Wachstum eurer Bosheit wächst auch sie [die Rache] von Grad zu Grad, und die Straf ist angemessen jeder schweren Missethat“, wie es in der Moralrede heißt. Der 19jährige Windbeutel wird, nachdem er „viele Diebs-Cammeraden“ entdeckt hat, am 14. Juli 1781 publikumswirksam exekutiert: Er wird auf einer Kühhaut zum Richtplatz geschleift, dreimal mit glühenden Zangen gezwickt, dann von oben herab gerädert. Nach dem Tod wird seine Leiche gevierteilt und „die Theile an die Örter, und Straßen seiner begangenen Hauptverbrechen an einem Schnellgalgen 416 aufgehänget“ (Abbildung 32, S. 203). Diese Exekution entspricht in etwa der des Räubers Mathias Klostermayr, des „Bayrischen Hiesl“ 1771. Dort wurde der Körper allerdings nicht öffentlich, sondern im Raum unter der Richtstätte 417 zerstückelt. Ein solches Zurückdrängen der Öffentlichkeit kann für den Münchner Fall 1781 nicht festgestellt werden, im Gegenteil. Bei Windbeutel erfolgte die gesamte Exekution auf der exponiert aufgerichteten Hinrichtungsbühne, wahrscheinlich vor Tausenden von Zuschauern. 416 Ein Schnellgalgen ist meist ein einfacher Holzpflock, an den die Vierteile aufgehängt wurden. (Landesmuseum). 417 Fritz urteilt im Hinblick auf den Übergang zur Hinrichtung hinter Gefängnismauern im 19. Jahrhundert: „Man hatte also schon 1771 Scheu, die brutalste aller Hinrichtungsvarianten sowohl am lebenden Opfer als auch vor den Augen des Publikums zu praktizieren. Im Grunde widersprach dieses Verbergen der Vierteilung der allgemeinen Intention öffentlicher Hinrichtungen, nämlich für eine Katharsis, einen belehrenden Schrecken und Abscheu zu sorgen. Insofern nahm die Exekution des Hiesel ansatzweise eine Entwicklung vorweg, die sich mit dem Verbergen der Exekution an sich erst im 19. Jahrhundert durchsetzte.“ (Fritz, Rotte), S. 822. 202 Abbildung 32. Die Vierteilung des Windbeutel (München 1781). Nürnberg Germanisches Nationalmuseum HB 7805-137a. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. 203 6.4.3 Der Kupferstich In Augsburg wird drei Tage später der Verkauf eines Kupferblattes „von der Viertheilung des Windbeutels“ angekündigt. In einem Kramladen „auf den zwey Brücklen“ sind Urteil, Lied und Kupferblatt zusammen für 5 Kreuzer zu haben. Dieser Kupferstich 418 ist ungewöhnlich individuell und unterscheidet sich wesentlich von standardisierten symbolhaften Exekutionsszenen. Auffällig ist die Isoliertheit des Geschehens: Es gibt keinen Hinausführungszug durch Stadt oder Landschaft, keine begleitenden Geistliche, keine Zuschauer, keine legitimierende staatlich-rechtliche Ikonographie. Der Fokus liegt alleine auf der Zerstückelung des Leichnams, in der „Pornographie des Todes“. 419 Die Plattform der Richtstätte, auf der die Vierteilung vollzogen wird, füllt das Bild fast aus. Frontal blickt man auf die Szene in der Mittelachse: der kopflose Körper wird an beiden Beinen von zwei Bütteln hochgehalten, die gebrochenen Arme sind auf dem Boden ausgebreitet. Man sieht die Wirbelsäule im geöffneten Leib, aus dem die inneren Organe bereits entfernt worden sind. Er ähnelt mehr einem Schlachttier als einem menschlichen Körper. Der dahinter stehende 418 Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Graphische Sammlung, Inventar-Nr. HB 7805, Kapsel-Nr. 1373a; Abdruck bei (Schild, „Verstümmelung“), S. 268. Verzeichnet bei (Marburg). Die Datierung 1751/1800 ist nicht richtig. 419 Geoffrey Gorer prägte 1955 diesen Begriff. (Gorer). Zum Thema Verstümmelung siehe auch (Dülmen, Erfindung). Zur Ähnlichkeit von Dieben und Gekreuzigten in mittelalterlichen Darstellungen siehe (Merback). 204 Scharfrichter holt mit dem Henkersbeil zum nächsten Schlag aus. Hinter den Henkern liegt das Rad, ebenso eine Drosselschnur. 420 Ein Helfer links hält den Sack zum Abtransport der Gliedmaßen bereit, ein anderer sammelt rechts die Kleider des Hingerichteten ein. In einer äußeren Bildecke ist der Schnellgalgen mit einem angenagelten Arm abgebildet, die kommende Ausstreuung der Glieder andeutend. Die Gesichter der Henker sind im Profil dargestellt, düster und drohend. Der abgetrennte Kopf des Räubers, betont durch die Licht-Schattenverteilung, zeigt einen jungen, beinahe lächelnden Gesichtsausdruck. Friedrich Nicolai beschreibt diesen (oder einen ähnlichen) Stich folgendermaßen: Ich sah auf öffentlicher Straße in München Kupferstiche zum Verkaufe, worauf das in der neusten geschärften Verordnung wider die Diebe und Räuber verordnete Schleifen auf einer Kühhaut, Hand abhacken, Zwicken mit glühenden Zangen, Rädern, und Viertheilen auf die gräßlichste Weise abgebildet war. Die Physiognomie der Büttel und Henker waren viel abscheulicher abgebildet, als die Gesichter der Missethäter, diese, gegen die man doch eigentlich Abscheu haben sollte, sahen wie Märtyrer aus. Das gemeine Volk gafte diese Bilder gedankenlos mit größter Gleichgültigkeit an, und die Kinder trie421 ben sogar Scherz damit. Wenn das gemeine Volk das Bild der Warnung „gedankenlos und mit größter Gleichgültigkeit“ angafft, so deswegen, weil die Abschreckung nicht mehr wirkt. Im Spott der Kinder verpufft die moralische Intention. Die Darstellung wird zum Vexierbild, in dem „abscheuliche“ Henker und gemarterte Verbrecher die Rollen tauschen. Die Absicht der Vierteilung, den abscheulichen 420 Das Generalmandat sieht vor, dass der Todesstoß hinausgezögert wird, falls das Opfer an den Misshandlungen gestorben ist. Da dies bei Windbeutel nicht der Fall war, ist es möglich, dass der Henker den Verurteilten heimlich erdrosselte, bevor er ihm die Glieder brach, eine gängige Praxis der Strafminderung. 421 (Nicolai), Bd.6, S. 763. 205 Verbrecher auszulöschen und zu zerstreuen, wird durch den Kupferstich unterlaufen. Gerade durch die massenhaft verbreitete Illustration wird er als etwas Besonderes hervorgehoben und in der Erinnerung verankert. Die spezielle Darstellung hier, die nicht die soziale Funktion einer jeden Hinrichtung zum Zentrum hat, sondern den faszinierenden Sonderfall, heroisiert den Bösewicht. 6.4.4 Akzentverschiebung in den Moralreden Wenige Tage später folgen weitere Komplizen auf das Schafott: Joseph N. vulgo Schwäbischer Lipp und Mathias N. vulgo Abdecker Toni am 21. Juli 1781 (No 4 &5). 422 Sie gestehen nichts und werden nur auf Aussagen anderer qua convicti abgeurteilt. Ihre Moralrede beschäftigt sich ausdrücklich mit der durch das Generalmandat veränderten Grundlage zur Verurteilung. Bisher galt das eigene Geständnis als notwendige Bedingung. Blieb der Angeklagte standhaft, konnte ihm nicht ohne weiteres das Leben abgesprochen werden. Die Verweigerung des Schuldgeständnisses hatte Aufschub oder gar Hoffnung auf Strafminderung geboten. Jetzt, unter dem Generalmandat, sind beschworene Angaben eines Dritten (auch oder besonders, wenn sie unter der Folter und im Angesicht des Todes gemacht werden) ausreichend, um Mittäter zu 422 Mathias N., (No 6) bekennt weitere Mittäter und erhält deswegen Strafminderung. Zusätzlich benennt Friedrich Nicolai noch Joseph N. vulgo Kühe-Sepp, Andre N. vulgo Poständerl und Georg N. vulgo Kramer von Mosen. Es ist nicht eindeutig, ob diese zur Gruppe um Windfliegl gehören. 206 423 verurteilen: Mitgefangen, mitgehangen. Die Strafjustiz kann so schneller und ‚erfolgreicher” agieren, mehr Verdächtige verurteilen. Die Ettenhueberschen Verse informieren dialogisch über die neuen Richtlinien. Sie brechen mit der falschen Sicherheit des bisher Gewohnten, die durch die Stimme der Gefangenen ausgedrückt wird. Die Folter schreckt ihn ab, er sucht in solchen Nöthen, noch seine arme Seel (den größten Schatz) zu retten, rückt mit der Sprach heraus, erhebt sein Herz zu Gott, die Aussag wird bestärkt durch seinen Büsser-Tod. Nun ist euch alle Hülf und Rettung abgeschnitten, nach dem Gesetze wird es auch zur Straf geschritten. Ihr scheinet auch wohl selbst die Folgen einzusehn, darum gab einer erst den andern zu verstehn: Noch hat es keine Noth, du darfst dich nicht betrüben, der Richter hat kein Recht, Recht an uns auszuüben; solange man uns fragt, so lange steht es gut. *…+ als man nicht mehr gefragt, da ward euch alsobald das Leben abgesprochen. Hier fieng euch an das Blut in Adern aufzukochen, mit Ingrimm und Verdruß hört ihr das Urtheil an, wie! Man verhört uns nicht? Das heißt gar viel gethan. Wir sterben! Da wir uns in keinem schuldig wissen; Wir sterben! Eh wir die Schuld bekennen müssen? O gebet euch zur Ruh, Verlohrne; schweiget nur! So spricht die Furcht des Tods, und Aufruhr der Natur. 423 Friedrich Nicolai kommentiert: „[S]o schrecklich ist es auf der anderen Seite, daß man diejenigen, welche von verruchten Missehätern mit einem körperlichen Eide als Mitthäter angegeben werden, ungeachtet sie alles läugnen, und ungeachtet keine unbescholtenen Zeugen wider sie sind, dennoch für überwiesen hält, und sie auf Kuhhäuten schleift und rädert. Dieses ist wohl außerordentlich hart.*…+ Aber das gemeine Vorurtheil der Gesetzgeber, die Uebelthäter nur als die verworfensten Menschen ansehen, und sie ohne viel Umstände nur auszurotten und hinzurichten, trägt zu solcher übertriebene Härte, welche im Grunde wenig Nutzen bringt, viel bey.“ Nicolai sieht die Hauptursachen der Verbrechen „in fehlerhafter Landeseinrichtung“, „Übermaße der Bigotterie“ und im „Mangel guter Erziehung, Nahrung und guter Policey“.(Nicolai), Bd.6, S.768. 207 Die Stimme der Verhafteten gegen ein Todesurteil ohne Schuldbekenntnis wird zum Verstummen gebracht: „O gebet euch zur Ruh, Verlohrne; schweiget nur!“ Im Interesse des (staats)rationalen Gesetzes wird die einzige Verteidigungsmöglichkeit, die ein Angeklagter hatte, verweigert: der Ausgang des Verfahren ist gewiss für die ohnehin „Verlohrnen“. Die Schärfe des neuen Gesetzes und des Rechtsverfahrens ist Korrektur für die übermäßige Güte und Barmherzigkeit der Vergangenheit, durch die das Übel sich verschlimmert habe. Es dient der Spezialprävention, die künftigen Verbrechen durch den Tod verhindert: Wer sonst als sie [die Schärfe], kann uns die Ruhe wieder bringen, dem Lande Sicherheit? Hilft nicht mehr gnädig seyn so, Themis; schlage du mit Blitz und Keil darein; denk, wie viel Sünder du dereinst zu strafen hättest, die du jetzt zum Voraus durch deine Schärfe rettest. In einem geschickten Zug wird mögliche Kritik am beschleunigten Verfahren aufgegriffen und entkräftet. Man ist sich einer grundlegenden Problematik bewusst: durch die Eile der Hinrichtung riskiert man das Seelenheil des Malefikanten, welches doch lange Zeit ein erklärtes Ziel im „entlichen“ Verfahren war. Stattdessen verweist man auf die Gnade Gottes, die nicht erworben, sondern gewährt wird: Hier hat man ein Gesetz, nach diesem müßt ihr sterben, nun ist es nicht mehr Zeit, die Gnade zu erwerben, bey Gott allein ist Gnad, sucht also Gnad bey Gott, und leidet mit Geduld den allerstrengsten Tod. Dieses – eher reformatorische – Gnadenkonzept kommt gelegen, als Prozesse aus innenpolitischen Gründen beschleunigt und auch ohne Reue, Schuldgeständnis und Absolution durch den katholischen Geistlichen gültig sein sollen. Generell schwindet die religiöse Komponente in Ettenhuebers Tiraden gegen Räuber zugunsten der Staatsräson. Überhaupt bezweifelt er, ob 208 Räuber überhaupt eine menschliche Seele haben, die es wert ist, gerettet zu werden. Mit Vehemenz werden auch in anderen Moralreden die „teuflischen Barbaren“ und „wilden Tyger“ angeprangert, die keine Gnade gewähren und folglich auch keine verdienen. 6.4.5 Die Urgicht als Fahndungsinstrument Das amtliche Interesse am Fall Windbeutel geht über die Hinrichtung hinaus. Interessanterweise gibt es eine zweite Version der Urgicht. 424 Der Name des Verurteilten ist vollständig als Matthias Sandner angegeben, um die Identifikation zu erleichtern. Sie enthält keine Moralrede, aber eine „Beschreibung einer Räuberbande“ mit 51 Namen und steckbrieflichen Angaben. „Es sind von diesen Leuthen bereits viele beträgliche Diebstähle, sonderlich aber auch Post- und andere Strassen-Räubereyen verübt worden, und also zu Erhaltung der öffentlichen Sicherheit, an ihrer Entdeckung und Habhaftwerdung viel gelegen, daher man gegenwärtige Liste davon, hierdurch weiter mittheilen und bekannt machen wollen.“ (Abbildung 33, S. 210). Jaunerlisten und steckbriefliche Beschreibungen wurden verstärkt gegen Ende des 18. Jahrhunderts als Fahndungsmittel der Behörden im schwäbisch-bayrischen Grenzgebiet aufgestellt, so z.B. die großen Listen von Sulz von 1784, 1787, 1801 und 1811 oder die Jaunerliste des Ludwigsburger Pfarrerrs Johann Ludwig Schöll 1793. 424 425 LMU 0014/W 4 Jus 167. Nicht an der MSU. 425 (Fritz, Rotte; Fritz, „Sicherheitsdiskurse“). Die MSU besitzt Gaunerlisten aus dem 19. Jahrhundert: (Christensen; Falkenberg; Schwenken). Der Begriff „Jauner“ ist zeitgenössisch. 209 Abbildung 33. Beschreibung einer Räuberbande. Urgicht des Windbeutel (München 1781). LMU 0014/W 4 Jus 167. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. 210 Der Wortlaut des Urteils stimmt fast, aber eben nicht ganz, mit Ettenhuebers Fassung für die Öffentlichkeit überein. Auffallend ist, dass die lateinischen juristischen Fachbegriffe ins Deutsche aufgelöst sind: aus confrontatione per litteras wird „mit beschworner Aussage“. Auch finden sich phonetische Varianten (z.B. „Staubbesen“ bei Ettenhueber vs. „Staupbesen“ bei LMU) und Unterschiede in der Wortwahl (z.B. „erst bey der zweyten Tortur einbekennet“ vs. „erst bey der zweyten eingestund“). Als gemeinsame Vorlage ist ein Formular mit Abkürzungen denkbar, in dem die Entscheidung des Gerichts festgehalten wurde, welches die beiden Verfas426 ser unterschiedlich ausgeführt haben. Diese Publikation des Todesurteils des Windbeutels dient vor allem kriminalpolitischen Zwecken, weswegen unterhaltende oder moraldidaktische Elemente ganz fehlen. Sie dürfte in erster Linie nicht für das allgemeine Lesepublikum, sondern für Beamte gedacht gewesen sein um Fahndung und Verfahren über den regionalen Raum hinaus zu koordinieren. Es wird hier eine Tendenz deutlich, die sich auch nach der Reorganisation des Königreichs Bayerns fortsetzen wird: die Trennung von amtlicher Veröffentlichung und moralisch-unterhaltender Ausdeutung. Sachliche Berichte in „Geschichtlichen Darstellungen“ werden zu polizeilichen und rechtsvereinheitlichenden Zwecken publiziert, während Bänkellieder und sensationell ausgestaltete Mordgeschichten eine separate Dynamik und Funktion in der Volksliteratur entwickeln. 426 427 Ammerer zitiert ein solches Formular von 1754 von der obersten Justizstelle in Wien. (Ammerer und Adomeit), S. 274-5, Fußnote 16. 427 Die MSU besitzt ca. 40 „Geschichtliche Darstellungen” von 1814 bis 1856, z.T. in mehrfachen Kopien. 211 6.5 Mörder Feigel und Opfer Langfritz: Zeitgenössische Themen (Nürnberg 1787/88) Am Jahresende 1787 geschieht in Nürnberg ein Mord, der großes Aufsehen hervorruft: der Totengräber Carl Langfritz wird von seinem Gehilfen erschlagen und im Beinhaus verscharrt. Der Mörder wird spektakulär mit dem Rad hingerichtet. Die Hinrichtung findet mit einem „ungeheuren Volkszulauf“ statt: „Er war im Hemde, hatte schwarzlederne Hosen an und an den Füßen silberfarbene Strümpfe, des ganzen Nachmittags über gab es Neugierige, welche den Galgen umstanden, denn es wurde seit dem Jahre 1748 Niemand mehr auf solche Weise hingerichtet.” 428 In der Tat war es die letzte Nürnberger Hinrichtung für das 18. Jahrhundert, in dem eine bis zwei Exekutionen pro Jahr stattgefunden hatten. 429 Zu diesem Fall ist eine Fülle an lokalen und überregionalen Dokumenten erhalten, die zum überwiegenden Teil auch in der German Criminology Collection der MSU vorhanden sind. Sie beleuchten das Geschehen, die behördlichen Ermittlungen und die Hinrichtung des Täters aus recht unterschiedlichen Blickwinkeln. Neben den amtlichen Ermittlungsakten und dem publizierten Urteil gibt es einen ausführlichen populär-juristischen Kommentar zur Rechtfertigung der Todesstrafe. Hinzu kommen zwei unterschiedliche Abschiedslieder, die graphische Darstel- 428 (Hammerbacher), S. 96. 429 Die Zeitung Der Zuschauer an der Pegnitz (1862) nennt 112 Hinrichtungen für den Zeitraum 1700-1788 (1800), also 1,4 pro Jahr. Das Verhältnis von gefällten Todesurteilen zu tatsächlich vollstreckten ist hier nicht ersichtlich. Im Bestand der GCC finden sich nur sieben Kriminalfälle aus Nürnberg (1787-1830). Dies sind Urteile oder Gedichte, aber keine kombinierten Armesünderblätter wie im Münchner Modell. Es ist zu prüfen, ob in Nürnberg zu allen oder nur zu besonderen Hinrichtungen Urgichten publiziert wurden. 212 lung der Leichenschau des Opfers mit Moritat sowie ein ungewöhnliches Kupferstich-Porträt des Mörders. Besonders aufschlussreich ist die auffällige Häufung von Druckvarianten und Kopien, die – angestoßen durch den Bestand an der MSU – auch in der Staatsbibliothek Berlin aufgefunden werden konnten. Sie erlauben es, Strukturen der Medienpräsentation und -rezeption offenzulegen, die sonst bei Flugschriften nicht leicht nachgewiesen werden können. Ein Variantenvergleich des Leichenschaublattes zeigt, wie Fehler und Diskrepanzen zwischen Text und Illustration korrigiert werden, um eine in sich stimmige Lektüre zu erzeugen. Die Gegenüberstellung von Originalpublikation aus Nürnberg und konkurrierendem Nachdruck aus Augsburg offenbart die Verflechtungen im kommerziellen Wettbewerb. Die Text- und Bilddrucke greifen aktuelle Sujets des aufklärerischen und des empfindsamen Diskurses auf und verknüpfen sie mit dem allgemeinen Interesse an Verbrechen und Gewalt in solcher Weise, dass sie als kommerzieller Lektürestoff unabhängig vom Tagesgeschehen positioniert werden. Durch Strategien der De- und Rekontextualisierung verselbständigt sich der aktuelle Fall und wird zur allgemein interessanten Verbrechenshistorie, die auch Jahrhunderte später wieder aufgegriffen wird. 430 430 So in einer Zeitung 1862, einer Chronik 1867 und jüngst im Internet 2010 (mit kleinen Sachfehlern). („Kalenderschau der Vergangenheit“); (Hammerbacher); (Krüger). 213 6.5.1 Der Fall und die Gerichtsakten Am 3. Dezember 1787 verschwindet Carl Gottlieb Langfritz, ein Totengräber des Johannis431 Friedhofs in Nürnberg, spurlos. Sein Gehilfe Philipp Feigel wird verdächtigt; zunächst leugnet er und beschuldigt Mitwisser. Vier Tage später wird die übel zugerichtete Leiche im Beinhaus entdeckt. Feigel gesteht, seinen Kollegen aus Missgunst und weil er dessen Stelle haben wollte, ermordet zu haben. Er habe Langfritz beim Mittagsschlaf erst angeschossen, dann mit der Haue (Hacke) erschlagen und ihn noch lebend in einem Loch im Totengräberhäuschen verscharrt. Danach habe er am Tatort in Ruhe seine Pfeife geraucht. Der brutale dreifache Totschlag auf der geweihten Erde des Friedhofs, das niedrige Motiv der Gewinnsucht und Feigels ungerührte Haltung erregen starke Emotionen in der Bevölkerung und bei den Beamten, die mit der Ermittlung betraut sind. Die im Stadtarchiv Nürnberg erhaltenen Prozessunterlagen geben Einblick in das Ermittlungsverfahren und die Arbeitsweise des Schöffengerichts. Überliefert sind die Verhörprotokolle des Schöffenamts, der Autopsiebericht, ein beichtväterlicher Bericht mit Charakterbeurteilung und das Urteil. 432 Rudolph Bößenecker bietet in seiner Studienarbeit umfangreiche Transkriptionen 431 Der Johannis-Friedhof ist kulturgeschichtlich bedeutend. Hier sind die Künstler Albrecht Dürer und Veit Stoß, die Dichter Hans Sachs, Sigmund von Birken, Georg Philipp Harsdörffer, der Humanist Willibald Pirckheimer und viele andere wichtige Nürnberger Persönlichkeiten begraben. (Stolz). 432 Stadtarchiv Nürnberg, Rep. B 13 Nr 152/144a (Schöffenamtsakten), Rep. B 11, Nr 84 (Rathsbuch), Rep. F1 Nr. 109 ( Urthel-Buch), Rep. 52b, Nr. 225, Rep. B 11, Nr. 125 sowie Will 7 Nr. 378/4 (publizistische Dokumente). (Bößenecker). 214 dieses Quellenmaterials, auf das er sich bei seiner Rekonstruktion der Ermittlungen stützt. 433 Bößenecker urteilt: Die Methoden, mit denen das Schöffenamt vorging, um Feigel zu überführen, enthielten viele Elemente der modernen Kriminalistik: Die genaue Befragung einer Vielzahl von Zeugen, die Spurensuche am Tatort, die an dem Leichnam des Opfers vorgenommene Autopsie, das sozusagen psychologische Gutachten des Beichtvaters, und das Zusammenfügen der so gewonnenen Fakten zu einem schlüssigen Puzzle, mit dem der Täter eigentlich schon vor dem artikulierten Verhör überführt wurde. Im deutlichen Gegensatz dazu steht das, in seinen Grundzügen aus dem späten Mittelalter stammende, Inquisitionsverfahren mit seinem unabdingbaren formellen Geständnis, und der damit notwendig verbundenen Anwendung von Folter. 434 Das moderne Bemühen um wissenschaftlich-rationale Aufdeckung gelingt nicht reibungslos und gerät in Konflikt mit den traditionellen Verhörmethoden. Ermittlung und Rechtsfindung werden durch Verwirrungen zwischen den Untersuchungserkenntnissen und den wechselhaften Aussagen Feigels erschwert, die er in einem ersten summarischen und zwei artikulierten Verhören, d.h. mit genau ausformulierten Fragen und unter Schlägen, gemacht hatte. Auffällig ist eine Diskrepanz zu Tathergang und Waffe: Feigel selbst gibt an, auf Langfritz geschossen und mit einer Haue auf ihn eingeschlagen zu haben. Der Obduktionsbericht hingegen postuliert ein am Tatort gefundenes Beil als Mordwerkzeug und konnte zunächst keine Schusswunde identifizieren. Zur Hiebwunde an den Rippen schreibt das amtliche Protokoll, es seien „drey mit einem stumpfen instrument (vermuthlich dem schon erwähnten beil, das zum mördergewehr möchte gebraucht worden seyn) gemachte wunden“. Das Beil wurde zwar am Tatort gefunden, aber Feigel bestreitet seit seiner ersten summarischen Vernehmung, damit zuge- 433 434 (Bößenecker). Alle Angaben zum Prozessverlauf folgen dieser Darstellung. (Bößenecker), S. 37. 215 schlagen zu haben. Ferner sagte er aus, zuerst auf Langfritz geschossen zu haben. Dr. Gustav Zwinger, einer der Gutachter, konnte keine Schusswunde feststellen und stritt auch später zunächst ab, dass die Brustverletzung (f) überhaupt von einem Schuss herrühren könne. 435 Bei ei- ner erneuten Ortsbegehung fand man die Kugel und akzeptiert Feigels Version. Das Schöffengericht schließt im Januar 1788 die Ermittlungen ab und fordert rechtliche Gutachten zur Urteilsfindung ein. Hinsichtlich der Bestrafung – Tod durch das Rad – ist man an die Bestimmungen der Carolina gebunden. Das Rechtsgutachten übt jedoch Kritik am Prozessverfahren, in welchem dem Angeklagten kein Verteidiger zugestellt worden war und moniert die verworrene Ermittlung: Sowohl das Schöffenamt, das bei der Durchsuchung des Totengräberstübleins die Bleistücke übersehen hatte, wie auch die Ärzte, die, wie später ein Ratskonsulent süffisant feststellte, mit physikalischen[n] und mathematische[n] gründen die unmöglichkeit eines schußes zu beweisen suchten, hatten offensichtlich nicht mit der notwendigen Sorgfalt 436 gearbeitet. Am 15. März wird die Urgicht, das offizielle Geständnis, im Rat verlesen. Die Lochschöffen und der Bannrichter begeben sich dann zu Feigel ins Lochgefängnis um ihm „auf künfftigen dienstag, einen peinlichen gerichtstag-tag, der ihm an leib und leben schäd[lich] seyn könnte zu verkün437 den“. Am 18. März, beim Schauspiel des entlichen Rechtstages wird das Urteil gefällt und so- fort von Scharfrichter Deubel vollstreckt. Feigel wird „mit dem rad und baldiger aufziehung der 435 436 437 (Bößenecker), S. 27. (Bößenecker), S. 31. (Bößenecker), S. 34-35. 216 Schnur, und 11 radstöße, vom leben zum tode gebracht, sofort der cörper auf das rad geflochten welches hiermit berichtet wird vom pannrichter-amt“. 438 6.5.2 Das Malefiz-Urteil des Rates der Stadt Nürnberg Malefiz-Urthel über Johann Philipp Feigel, Todtengrabershelfer, welcher wegen verübten grausamen Todtschlags an seinem Kameraden Carl Gottlieb Langfriz, Todtengrabersknecht, den 18ten Merz 1788, mit dem Rad, durch Zerstossung seiner Glieder, aus Gnaden von oben herab vom Leben zum Tode gebracht, und alsdann der Körper auf das Rad geflochten worden. 439 Das Nürnberger Original mit den korrekten Namen „Feigel“ und „Gottlieb“ wurde beim offiziellen Raths- und Canzley-Buchdrucker Georg Friedrich Six gedruckt. Es enthält das Urteil, die ungetitelte Urgicht und die Ausstellungsformel Decretum in Senatu, den 18. Merz 1788. Es gibt keine ausdeutende Moralrede oder Bußgedicht; diese Funktionen werden von anderen Publikationen im Fallkontext übernommen. Der unbekannte Gerichtsschreiber gibt den Tathergang in einem langen, sich über zwei Seiten erstreckenden Satz wieder. Nach der einleitenden Personalienangabe wird das Geständnis in indirekter Rede zusammengefasst und wahrt im Großen und Ganzen einen neutralen Ton. Einige Elemente jedoch geben die Dramatik des Geschehens wieder, wie sie vom Gericht empfunden wurde. Die Urgicht wird an der Schnittstelle zwischen dem aufgewühlten Berichterstatter und dem sensationsgierigen Leser, mit literarischen und typographischen Mitteln emotional geformt: 438 Stadtarchiv Nürnberg B. 13 Nr. 152/144a, 18.3.1788. Zitiert nach (Bößenecker), S. 36. 439 (Nürnberg, Malefiz-Urthel über Johann Philipp Feigel, Todtengrabershelfer, welcher wegen verübten grausamen Todtschlags an seinem Kameraden Carl Gottlieb Langfriz Todtengrabersknecht, den 18. Merz 1788. mit dem Rad, durch Zerstossung seiner Glieder, aus Gnaden von oben herab vom Leben zum Tod gebracht und alsdann der Körper auf das Rad geflochten worden). GCC 1091a. Auch digitalisiert an der SBB. 217 Abbildung 34. Dramatisierung durch Typographie (Nürnberg 1830). GCC 1091a. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. 218 …und unter dessen heftigen Gegenwehr und wiederholten Geschrey: Herr Jesu! Lass er mich gehen! zur Erde geworfen – die in der Stube befindliche Haue ergriffen, und ihn mit der Platte einen heftigen Schlag auf die linke Seite des Schlafs, wovon er sogleich umgesunken, gegeben – sofort noch ein oder zwey Hiebe auf den Kopf versetzt – und soviel er sich noch zu erinnern wisse, mit der Schneide gedachter Haue auf die Brust gehauen – sodann den Cörper in den Tennen geschleppt – daselbst ein Loch gleich einer Furche gemacht , solchen, da er noch etwas geröchelt, hinein – *…+ und als er von da zu440 rückgekommen, ganz kalt und gleichgültig eine Pfeiffe Tobak angesteckt habe. Die Hilferufe des Opfers und sein Flehen werden wörtlich zitiert und durch größeren Druck hervorgehoben, um die Verworfenheit und Gottlosigkeit des Angreifers zu betonen, welcher sich nicht von der Anrufung Jesu von seinem Vorhaben abhalten lässt. Sieben typographische Gedankenstriche unterbrechen den Drucksatz und betonen die direkt davor stehenden Misshandlungen (Abbildung 34, S. 218). Die zerrissene Schreib- und Sprechweise symbolisiert die raschen, gewalttätigen Aktionen in Stube und Tenne, den ungleichen Kampf. Die Dramatisierung zieht den Leser in das Geschehen hinein, macht ihn zum Augenzeugen des Mordes, über den auf den Straßen Nürnbergs so viel gesprochen wurde. Es gibt einen Nachdruck des Malefiz-Urteils aus Augsburg. Er stammt von Johann Georg Bullmann in der Fuggerey, der auch sonst viele Armesünderblätter nachdruckte. 441 Der ausdrück- liche Verweis „nach dem Nürnberger Original“ identifiziert den Text als authentisch. Möglicherweise wird damit ein regional begrenztes Druckprivileg des Nürnberger Sixt honoriert und der 440 S. 3. 441 (Nürnberg, Malefiz-Urthel über Johann Philipp Feigel, Todtengräbershelfer, welcher wegen verübten grausamen Todtschlags an seinem Kameraden Karl Gottlieb Langfriz Todtengräbersknecht, den 18. Merz 1788. mit dem Rad, durch Zerstossung seiner Glieder, aus Gnaden von oben herab vom Leben zum Tod gebracht und alsdannd er Körper auf das Rad geflochten worden. Nach dem Nürnberger Original). GCC 1091b. 219 Nachdruck ist rechtmäßig. 442 In dieser Augsburger Variante fehlt das graphische Element der größeren Lettern, obwohl die Gedankenstriche erhalten sind. Der unterschiedliche Textumbruch und andere, phonetisch bedingte Abweichungen (Todtengräber statt Todtengraber und Karl statt Carl) sowie lassen darauf schließen, dass dem Augsburger Setzer der Text wahrscheinlich diktiert wurde, wobei die ursprüngliche sublime Druckgestaltung verloren ging. 443 Die charakteristische Gestaltung des Titelblatts hingegen war ein Erkennungsmerkmal für das Genre Armesünderblatt und wurde als Kaufanreiz übernommen. Im MSU-Exemplar des Nürnberger Urteils ist der Ausdruck „auch sogleich freywillig und ungezwungen eingestanden“ unterstrichen. Das ist ein Hinweis auf eine intensive Lektüre durch einen juristisch interessierten Leser, der sich mit der undurchsichtigen Geständnissituation im Fall Feigel auseinander setzt. Die handschriftliche Markierung verweist auf den größeren Kontext zur Problematik eines unter der Folter erwirkten Geständnisses. Es ist ein wichtiges Thema im zeitgenössischen Diskurs, sowohl unter Rechtsgelehrten 444 Susanne Kord für die Hamburger Flugblattliteratur aufzeigt. als auch in der Literatur, wie 445 442 Auch andere Nachdrucke von Bullmann nennen die auswärtige Quelle, z.B. Dillingen 1790 (GCC 1155); München 1791 (GCC 1158). Ein Urteil aus Kaufbeuren wird ausdrücklich „Mit Obrigkeitlicher Erlaubniß” herausgegeben (GCC 1148). Der konkurrierende Augsburger Nachdrucker Philipp Joseph Fill hingegen nennt weder Quelle noch Privileg. Eine genauere Archivuntersuchung wäre notwendig, um Fragen nach Nachdruck bzw. Druckprivilegien der Flugschriften zu klären, falls dies überhaupt möglich ist. 443 Der Verlust des Layouts ist üblich bei Nachdrucken der Zeit. (Rothe) 444 Ein Beispiel aus der MSU-Sammlung ist (Ueber die Verwerflichkeit der Tröge als ein ZwangsMittel zur Erforschung der Wahrheit in peinlichen Fällen). 445 (Kord, „Wächtler“). Vgl. auch (Kramer). 220 6.5.3 Der populäre Rechtskommentar Zu Fall und Urteil des Nürnberger Schöffengerichts gibt es einen ausführlichen gedruckten Kommentar: Mörder Feigel, zu Nürnberg. Frankfurt und Leipzig: 1788. Diese 32seitige populärjuristische Erörterung Mordfall Feigel/Langfritz geht weit über die bisher üblichen Urgichten 446 hinaus. Der ungenannte Verfasser, wohl der Jurist Johann Lorenz Dorn 447 , rechtfertigt sein Unternehmen der Rechtsbelehrung mit einem aufklärerischen Argument: Er will durch moralische und rationale Erklärungen die Abschreckung als Strafzweck verstärken. Er zählt dazu auf die Neugierde „der hiesigen und benachbarten Personen: Ob inzwischen zu solchem Endzwek [sic] mit den gedruckten Urgichten nicht eine bessere Einrichtung gemacht werden könne? ob nicht der Eindruck des Abscheus noch stärker würde, wenn man die Leser mit der Moralität des Verbrechens und mit den Gründen der Strafbestimmung näher bekannt machte? mit ihrer Neugierde zugleich den Nutzen besser verbreitete? 448 Die Reichweite der Schrift ist weit größer angelegt als allein für Leser aus der Region Nürnberg. Gedruckt in oder für die Messe- und Vertriebszentren Frankfurt und Leipzig erreichte sie ein interessiertes und gebildetes Publikum in ganz Deutschland, das sich mit dem aktuellen Thema der Todesstrafe beschäftigte. Ein anonymer Rezensent im Journal von und für Deutschland (1784-1792) von Leopold Friedrich von Goeckingk bzw. Sigmund von Bibra beschreibt sie als eine „actenmäßige, sehr gut und zur Belehrung des großen Haufens zweckmäßig geschriebene Nachricht *…+ aus welcher ich einen Auszug den Lesern des Journals mittheilen will, welchen jene Localschrift nicht zu Gesicht kommt“. Er ergänzt: „Diese gedruckte Urgicht ist auch als das 446 447 448 ([Dorn). (Holzmann und Bohatta). (Dorn), Vorwort [S.4]. 221 erste Exempel in seiner Art in Nürnberg merkwürdig und lehrreicher als die Urgichten anderer 449 Orte, vom gewöhnlichen Schlag.“ Eine einleitende Zusammenfassung listet gängige theologische und staatsbürgerliche Gründe, warum Mord als „eines der abscheulichsten Verbrechen“ zu verdammen sei, da er die gesamte Ordnung schädige: er greife Gott in der Entscheidung über Leben und Tod vor, verletze die Absichten des gesellschaftlichen Gemeinwesens, störe die Staatsruhe und raubt dem Staat einen Bürger, er könne den angerichteten Schaden nicht wieder gutmachen, entziehe dem Toten den Trost Gottes in der Todesstunde, vernichte die Unterstützung in der Familie und bürde dem Staat die Versorgung der Witwe und Waisen auf. Auf dieser Grundlage erörtert Dorn knapp und allgemein verständlich die Rechtslage in Nürnberg auf der Basis der Peinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V., insbesondere die Unterscheidung zwischen Totschlag (Strafe: Schwert) und vorbedachtem Mord (Strafe: Rad). Es folgt eine ausführliche Darstellung des Mordprozesses Feigel. Eine Fülle an aktenmäßigen Details zu Tathergang, Wunden, Motiv und Ermittlungsarbeit stillt die Neugier des Lesers besser als das einfache Malefiz-Urtheil, das ja relativ knapp gehalten war. Zugleich legt dies die Grundlage für die nun folgende Erörterung zur Straffindung als Mord. Eine durchnummerierte Zusammenfassung vertreibt jeden Zweifel an der Einordnung als geschärfter mutwilliger Mord und an der gerechtfertigten Todesstrafe durch das Rad. Folgt man dem Verfasser, bleibt dem Gericht aus juristischen und moralischen Gründen gar keine andere Wahl. 449 („Mörder Feigel zu Nürnberg“), S. 142. Das Journal von und für Deutschland druckte um 1786 einige Urgichten aus dem bayrischen Raum ab, allerdings nicht die von Feigel. 222 Auf mehr als zehn Seiten werden mannigfaltige mögliche Argumente für eine Strafminderung widerlegt , die von unterschiedlichen Personengruppen vorgebracht werden könnten: Philosophen und Rechtsgelehrte zur Abschaffung der Todesstrafe; Juristen, die auf das Schwert plädieren; dass Abschreckung auch durch gelinde Mittel erreicht werden könne; Feigels Jugend; die Tortur; Feigels Abstumpfung als Totengräber; sein Fieber und Geistesschwäche als Ausrede gesehen; auch Reue spiele juristisch keine Rolle, denn der Schaden sei nicht wieder gut zu machen. In einer zweiten Argumentationskette folgt die Steigerung, warum der Fall als qualifizierter, d.h. besonders schwerwiegender Mord zu gelten habe: der Kirchhof als befriedeter Ort; der Verrat am Kameraden; die grausame und kaltblütige Durchführung; die falsche Beschuldigung eines anderen. Eindringlich und rhetorisch geschickt wird der Leser gelenkt, jeder denkbare Einwand zum aktuellen Fall, und übertragen auch für andere Prozesse, wird entkräftet. Dorns Mörder Feigel führt den Beweis für eine gerechte Justizordnung, die ohne Willkür nach dem Gesetz urteilt und das Vertrauen der Bevölkerung verdient. Die detaillierte Auseinandersetzung und postulierte Notwendigkeit einer „nützlichen“ Darlegung gehört zum zeitgenössischen Diskurs um Todesstrafe und Abschreckung. 450 Bemerkenswert neu an Dorns Schrift ist, dass sie die Diskussion aus den juristischen und philosophischen Gelehrtenkreisen holt und sich an den „großen Haufen“ der allgemeinen Bevölkerung richtet – womit natürlich der lesekun- 450 Als Foren für Information und Diskussion aktueller Themen angelegt, schaffen die Zeitschriften der Aufklärung eine überregionale publizistische Öffentlichkeit. Eine Suche in der digitalen Datenbank der Universität Bielefeld (160 Zeitschriften) ergab allein 50 Treffer bei selbständigen Beiträgen und Buchrezensionen für „Todesstrafe“, wobei Für- und Widersprecher zu Wort kommen. („Retrospektive Digitalisierung wissenschaftlicher Rezensionsorgane und Literaturzeitschriften des 18. und 19. Jahrhunderts aus dem deutschen Sprachraum“). 223 dige, gebildete Bürger gemeint ist, den das Oktavbändchen mit fertigen Argumenten für Diskussionen in Gesellschaftszirkeln versieht. Akten, Urteil und Gutachten sind dem amtlich-juristischen Bereich zuzuordnen. Der Aufsehen erregende Fall wurde jedoch auch in mannigfaltigen populären Medien einem breiten Publikum präsentiert. Die im Folgenden vorgestellten illustrierten Flugschriften sind besonders interessant, weil sich hier Strukturen und Tendenzen im zeitgenössischen „Literaturbetrieb“ nachweisen lassen. 451 6.5.4 Die Leichenschau: Wahrhafte Beschreibung und Abbildung Wahrhafte Beschreibung und Abbildung [es folgt ein Kupferstich] der grausamen Mordthat, die zu Nürnberg des zu Nürnberg am 3. Dec. 1787, Mittags nach 12 Uhr, an dem Todtengrabersknecht, Carl Gottlob Langfritz, von seinen Cammeraden, Namens Philipp Feugel, ein Helfer des Todtengräbers, und eines Gärtners Sohn von Nürnberg, 23 Jahr alt, auf das grausamste und erbärmlichste vollbracht worden. Es wurde solcher erst den 7ten Dec. in dem Todtengräbershäuslein auf dem St. JohannisKirchhof, wo diese gottlose That vollbracht wurde, in einem engen Loche hinter der Stube eingescharrt gefunden, und hierauf in die nahe dabey liegende Caserne gebracht worden, wo man folgende entsetzliche Wunden und Hiebe an ihm wahrgenommen hat. 452 Diese vierseitige Flugschrift ist das aufschlussreichste Dokument zum Fall Feigel/Langfritz, und zwar unter mehreren Aspekten. Da ist zum einen das ungewöhnliche Sujet der Leichenschau, dann die Veröffentlichung während eines laufenden Verfahrens. Am wichtigsten aber ist, dass von dem Blatt fünf voneinander abweichende Kopien aus drei Werkstätten erhalten sind, anhand derer sich ein Druckverlauf rekonstruieren lässt. 451 (Faulstich). Der neuzeitliche Begriff ist hier unkritisch verwendet, vgl. (Arnold und Beilein). 452 (Variante d). SBB 20 FY 7911 = C 2. Mit den Namensvarianten Philipp Feugel und Gottlob Langfritz. 224 Die Flugschrift liefert einen „Zwischenbericht“ über den Stand der Ermittlungen. Sie enthält Insider-Informationen, die direkt von einem an der Morduntersuchung Beteiligten stammen müssen, vielleicht einem der Schöffen selbst. Das Blatt wurde nach der Leichenschau am 8. Dezember und dem Verhör am 11. Dezember geschaffen und nach der Jahreswende 1788 gedruckt, als Informationsbedürfnis und Neugier der Bevölkerung am größten waren. Es kombiniert eine Illustration zum amtlichen Obduktionsbefund mit einer dramatischen Moritat, die auf Feigels protokolliertem Geständnis basiert (Abbildung 35, S. 226). Wirkungsvoll bricht die Erzählung der Mordthat mit dem Hinweis auf das Lochgefängnis ab, in dem der Mörder sein Urteil erwartet – und mit ihm der Leser. Das Außergewöhnliche an diesem Blatt ist, dass Einzelheiten aus einem laufenden, nicht-öffentlichen Verfahren durch Medienpublikation allgemein bekannt gemacht werden. Im informierten Pressebericht manifestiert sich die neue Form der „bürgerlichen Öffentlichkeit“ durch Publizität, wie sie von Jürgen Habermas beschrieben wurde. 453 Als Leser nimmt der Bürger am kritischen Dialog teil, der sich auf vermittelte Kenntnisse stützt und über direktes Anschauen und Erleben hinausgeht. Im reformierten Strafverfahren des kommenden 19. Jahrhunderts werden Gerichtsreporter generell bei der Rechtsprechung die Rolle der beobachtenden und kontrollierenden Bevölkerung übernehmen, wenn sie von laufenden Verfahren berichten. Die Wahrhafte Beschreibung ist ein Schritt in dieser Entwicklung. 453 (J. Habermas). 225 Abbildung 35. Die Leichenschau von C.G. Langfritz (Nürnberg 1788). Version A2 mit Kolorierung. GCC 360d. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. 226 Der materielle Zustand einer Druckkopie gibt Hinweise auf eine Rezeption als Rechtsfall. Das Exemplar der MSU German Criminology Collection von Variante A-2 ist von Hand koloriert worden. Die tiefe rechte Brustwunde (c, d) und die linke Brustwunde (f) sind mit Rotstift eingefärbt, ebenso die blutigen Utensilien Schale und Tuch. Interessanterweise sind es gerade diese Wunden, die in der Leichenschau nicht korrekt beurteilt worden waren. Die fraglichen Stellen wurden in der Flugschrift von einem aufmerksamen Leser gekennzeichnet, der mit der Diskussion im Ermittlungsprozess vertraut war und um die Diskrepanz zwischen ärztlicher Untersuchung und Aussage des Angeklagten wusste. War es derselbe Leser, der auch den Hinweis auf Feigels freiwilliges Geständnis in der Nürnberger Kopie des Malefiz-Urteils markierte? 6.5.4.1 Die Leichenschau als Sujet Das Sujet der Leichenschau für die Illustration ist ganz ungewöhnlich im Genre des Armesünderblattes, bei dem in der Regel das Verbrechen oder die exemplarische Hinrichtung des Täters gezeigt werden. In der German Criminology Collection an der MSU befinden sich noch einige 454 weitere Urgichten, welche Befunde einer amtlichen Leichenschau im Text wiedergeben. Es konnte jedoch nur eine vergleichbare Abbildung eines Verbrechensopfers im 18. Jahrhundert 455 gefunden werden. In dieser Illustration rückt das Opfer in das Zentrum des Interesses, und zwar in seiner Rolle als Objekt im Ermittlungsprozess. Obduktionsbefund und ärztliche Aussagen zur Todesursache 454 Z.B. GCC 1105 (Dillingen 1790), GCC 1150 (Straubing 1791). 455 Ein Flugblatt aus Augsburg von 1740 zeigt Leiche eines Kindes mit dem Mordmesser. (Stuart, „Suicide by Proxy“). Die Bilddatenbanken Bildindex.de (Marburg) und Artstor (Artstor) liefern keinen Nachweis. 227 spielen ja beim Fall Feigel eine große Rolle, weil sie im Widerspruch zum Geständnis standen. Die erste Seite präsentiert in Bild und Text die Ergebnisse der amtlichen Begutachtung des Opfers Carl Gottlieb Langfritz. Die halbseitige Abbildung zeigt einen nackten Leichnam auf einem Untersuchungstisch, Unterleib und Beine provisorisch mit einer Jacke zugedeckt. Die Wunden sind akribisch mit Buchstaben (a-f) gekennzeichnet. Durch die Bildlegende schließt sich der Leser den autorisierten Fachleuten an: Nach hohen Oberherrlichen Befehl, wurde der ermordete Körper durch einige dazu verordnete Hrn. Phisicos, Doctores und Chirurgos besichtiget, und folgende Wunden und Merkmale einer grausamen und gewaltthätigen Ermordung an ihm wahrgenommen. *…+ Die Wahrhafte Beschreibung und Abbildung trifft ein hochaktuelles Thema der Zeit, nämlich die wissenschaftlich und rechtlich geregelte Autopsie. Bereits die Bamberger Halsgerichtsordnung (1507) und die Carolina (1532) hatten festgelegt, dass bei zweifelhaften Todesfällen der Leichnam durch Fachleute besichtigt werden sollte, sie beschränkten sich jedoch auf die äußere Leichenschau ohne Sektion. Modernere Regelungen forderten vermehrt Autopsien, auch Leichenöffnungen, im rechtlichen Interesse. 456 Gegen Ende des 18. Jahrhunderts – also zu der Zeit des hier besprochenen Blattes – trennte sich die Gerichtsmedizin vom Gesundheitswesen, der medizinischen Polizei, und etablierte sich als eigene Disziplin. 457 1761 erfolgte die erste wissen- schaftliche Kodifizierung des Faches durch Giovanne Batista Morgagnis in De Sedibus et causis morborum per anatomem indagatis. 1769 legte die Constitution Criminalis Theresiana für Österreich fest, dass das Halsgericht den Tatort, die Tatwerkzeuge und den Körper des Toten in 456 vgl. etwa C.G. Büttner, Vollständig Anweisung, wie durch anzustellende Besichtigung ein verübter Kindermord auszumitteln sey, mit beigefügten eigenen Obductions=Zeugnissen von 1771. GCC hält eine Neuauflage von 1804, (Büttner und Metzger). 457 Im Folgenden nach (Groß). 228 Augenschein nehmen muss (Artikel 26); 1805 folgte die Preußische Criminal-Ordnung mit ähn458 lichen Maßgaben. Für Bayern – das regionale Umfeld des Tatortes Nürnberg – lassen sich solche Bestimmungen bis 1766 zurückverfolgen, die sicherlich auch in der freien Reichsstadt das gerichtliche Verfahren beeinflussten. 459 Bildliche Darstellungen von geöffneten und zergliederten Leichen sind an sich nicht ungewöhn460 lich im 18. Jahrhundert. Dem lebhaften Interesse am inneren Bau des Menschen seit der Renaissance entsprangen die anatomischen Vorlesungen und Sektionen im Theatrum Anatomicum, die als unmittelbares Anschauungs- und Erkenntnisinstrument auch der Öffentlichkeit 461 zugänglich waren. Gerade im Zeitalter der Aufklärung entstanden an zahlreichen Höfen und Universitäten anatomische Sammlungen und Museen: 1713 gründete der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. das anatomische Theater in Berlin 462 , um 1730 wurde dasjenige der bayrischen Universität Ingolstadt eingerichtet. Wissenschaftliche Werke verbreiteten das anatomische Wissen in detailreichen Zeichnungen und Kupferstichen. 463 In aller Regel waren es Hingerichtete oder unbekannt Verstorbene, die von den Behörden als Untersuchungsmaterial an die Univer- 458 Auch die zu dieser Zeit sich ausbreitende Furcht vor dem Scheintod führte zu einer Zunahme der Leichenschauen: 1780 wurde in Württemberg ein erstes General-Restrict dazu erlassen (Groß), S. 24-26. 459 460 461 462 463 (Schneider und Rothschild), S. 27. Siehe das reiche Bildmaterial bei (Wolf-Heidegger und Cetto). (Schramm, Schwarte und Lazardzig); (Cunningham); (Park). (Schnalke); Abbildung bei (Wolf-Heidegger und Cetto, 1967), S. 566. (Roberts und Tomlinson); (Fichtel); (Rifkin). 229 sitäten freigegeben wurden. Aber das Bedürfnis nach Leichen für private Studien war so groß, dass Friedhöfe geschändet und die Körper entsprechend teuer verkauft wurden. 464 In gewisser Weise lässt sich auch das Flugblatt Wahrhafte Beschreibung und Abbildung als erweitertes fiktives „Theatrum Anatomicum“ verstehen, in dem ein Körper zur Schau gestellt wird. Die mündliche Beschreibung und augenscheinliche Demonstration einer realen Anatomievorlesung ist hier im Printmedium schriftlich fixiert und durch die Druckerpresse einem Massenpublikum zugänglich gemacht. Sonst drängen sich die anonymen Zuschauer auf den Sitzreihen des Theatrums: Männer, Frauen, auch Kinder (und ein paar Skelette). Oder sie bevölkern als Individuen ein Gruppenporträt, wie etwa in Rembrandts Anatomie des Dr. Tulp (1632). Insgesamt aber es bleibt eine überschaubare, privilegierte Menge. Die in größerer oder sogar mehrfacher Auflage vertriebene Flugschrift hingegen erweitert den Kreis um ein Vielfaches: jeder Käufer und Leser nimmt an der Vorführung teil. Die zentrierte oder isolierende Darstellung der Leiche erinnert an den Mörder in der Surgeons Hall des Old Bailey zu London (um 1780) oder an den einsamen Toten, der im menschenleeren Theater von Padua (Undine 1654) aufgebahrt liegt. 465 Wie dort liegen auch auf dem Nürn- berger Seziertisch die zur Untersuchung notwendigen Hilfsmittel bereit, hier Schale und Tuch. Skalpell, Säge und Schere des Anatomen, bei vielen Gemälden auf prominentem Platz zu sehen, entsprechen den Mordwerckzeugen Beil, Hacke und Pickel, die sorgfältig unter dem Tisch ange- 464 465 „Acquisition: Getting bodies”. (Cunningham), S. 223-231. (Wolf-Heidegger und Cetto), S. 565 und 555. 230 466 ordnet sind. Als Objekt der richterlich angeordneten und wissenschaftlich ausgeführten Obduktion wird der tote Langfritz dem prüfenden Blick des Chirurgen und darüber hinaus in der visuellen Darstellung dem neugierigen Blick eines schaudernd-faszinierten Lesers ausgeliefert. Durch den kulturellen Kontext verschwimmt in unserer Illustration die Grenze zwischen Täter und Opfer. Man war es gewohnt, dass malträtierte Körper öffentlich zur Schau gestellt werden. Aber auf beiden Bühnen der Zeit – dem Theatrum Anatomicum und dem Rabenstein – ist es eben ein Verbrecher, der ehr- und wehrlos dem Gaffen anheimgegeben wird, nicht das Opfer. Die entwürdigende Exposition ist essentieller Teil der Strafe. Carl Gottlieb Langfritz hingegen ist kein Mörder, sondern ein heimtückisch ermordeter Familienvater. Trotzdem hat sein Präsentiert-Werden einen ähnlichen Unterhaltungswert wie der auf das Rad geflochtene Philipp Feigel. Durch den rational-juristischen Kontext der amtlichen Leichenschau autorisiert, verwandelt sich das Opfer-Objekt in eine kommerzielle Ware. 6.5.4.2 Beschreibung der Varianten und Druckzweige Das kommerzielle Interesse an diesem Fall war so groß, dass sich mehrere Ausgaben der Flugschrift lohnten, wahrscheinlich durch parallel oder konkurrierend arbeitende Drucker/Verleger in benachbarten Städten. Im kleinräumigen süddeutschen Raum gab es einen unmittelbaren Wettbewerb zwischen Druckern und Kolporteuren, die auch den überregionalen Markt mit Gal- 466 Z.B. Illustration nach Jacques Gamelin radiert von Jacques Lavallée. (Wolf-Heidegger und Cetto), S. 503. Siehe auch Fig.1.1. in (Cunningham), S. 24. 231 genliteratur versorgten. Von einem Kupferstich konnten etwa 1000 Abzüge gemacht werden, so dass wir mit einer Gesamtauflage von mindestens 3000 Exemplaren rechnen können. 467 Es existieren mindestens fünf Varianten in drei Zweigen, aus denen sich Erkenntnisse über Entstehung und Verbreitung gewinnen lassen. 468 Die Kupferstiche und der beschreibende Obduktionstext sind einander sehr ähnlich, weil sie direkt voneinander kopiert wurden. 469 Sie sind aber nicht deckungsgleich, sondern zeigen signifikante Abweichungen. Der progressive Editierungsprozess offenbart die Reihenfolge der Drucke. In aktualisierten Auflagen wurden Fehler verbessert bzw. neue Informationen ergänzt. Nicht nur in Illustration und Erklärung, sondern auch in der Moritat finden sich vier voneinander abweichende Details, die eine Zuordnung zu den Druckzweigen unterstützen. Ein auf 1788 datierter Druckzweig (A) der Wahrhafte[n] Beschreibung stammt wohl aus Nürnberg selbst, der Druckort ist jedoch nicht angegeben. Die andere Dokumentenkette (B bzw. C) ist undatiert, Druckort und Offizin sind nicht angegeben. Sie entstand wahrscheinlich in Augsburg, wo Bullmann auch das Nürnberger Malefiz-Urtheil nachdruckte. Die folgenden Tabellen geben einen Überblick über Bild- und Textmerkmale der Varianten, anhand derer ein Druckverlauf rekonstruiert wird. 467 (Hermanns). 468 Drei Versionen sind in der German Criminology Collection vorhanden, zwei nur an nur in der Staatsbibliothek Berlin. 469 Denkbar wäre auch eine gemeinsame, nicht mehr existierende Vorlage. 232 Modifizierter Kupferstich A-1: Keine Werkzeuge A-2: Drei Werkzeuge Erster Nachdruck Augsburg 1788 Nürnberg 1788 Original Kupferstich Zweiter Nachdruck Augsburg 1788 B: Keine Werkzeuge; Moritat generalisiert C-2: Drei Werkzeuge; Moritat generalisiert C-1: Zwei Werkzeuge; Moritat generalisiert Abbildung 36. Vergleich der Titelillustrationen. Varianten von Wahrhafte Beschreibung und Abbildung (Nürnberg, Augsburg 1788). Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. 233 Signatur Titel Wahrhafte Beschreibung und Abbildung ... Abbildung Namen A-1 Nicht an der MSU SBB <6 FY7906> des *…+ Langfritz Toter, eckiges Kissen C.G. Langfritz A-2 GCC 360 d SBB <6a FY 7906 des *…+ Langfritz ‒ C.G. Langfritz B GCC 360 a,b Nicht an der SBB der grausamen Mordthat *…+ Toter, rundes Kissen ‒ C-1 GCC 360c SBB <5 FY 7906> der grausamen Mordthat *…+ Toter, eckiges Kissen C-2 Nicht an der MSU SBB <20 FY 7911> der grausamen Mordthat *…+ wie C -1; MSU: Kolorierung Schenkel Bild/Text Brustwunde Bild/Text Datum, Druckort, [vermutet] Text der Moritat - g/g f/f (e fehlt im Text) 1788, [Nürnberg] neun viertel Stund, zweimal begraben, kein Gebet 3, ohne Beschriftung g/g f/f (e fehlt im Text) 1788, [Nürnberg] Wie A-1 ‒ g/f f/e (g fehlt im Text) [1788], [Augsburg] Nürnberg, drei viertel, dreimal begraben, Gebet Carl Gottlob Langfriz 2, mit Beschriftung f/f e/e [1788], [Augsburg] Wie B; Neusatz Carl Gottlob Langfriz 3, mit Beschriftung f/f e [1788], [Augsburg] Wie C-1 Werkzeuge Tabelle 2. Variantenvergleich zum Blatt Wahrhafte Beschreibung und Abbildung (Nürnberg, Augsburg 1788). 234 Der erste Stich A-1 zeigt einen aufgebahrten nackten Körper, Unterleib und Beine sind mit einer Jacke bedeckt. Der Kopf ruht auf einem eckigen Kissen. Am Fußende sieht man die Instrumente der Leichenschau, eine kleine Schale und ein Tuch. Deutlich zu erkennen ist die Beschriftung der Wunden: (c) = rechte Brust, (d) =rechte Rippenseite, (e) =Bauchbereich, (g) =beide Oberschenkel und (f)= linke Brust. Es sind keine Mordwerkzeuge abgebildet. Am oberen Bild470 rand ist der Name des Toten C.G.Langfritz in Frakturschrift eingraviert. Die Bildlegende erläutert die Wunden: a) ein Stück aus dem hintern Theil des Schädels, welcher durch einen starken Schlag zerschmettert worden. b) ein kleines Stück von den Schlafe, ist auch eine Schlagwunde, c) 3 Hiebe auf der rechten Seite, von der Brust hinab, wovon d) zwischen der 5tern und 6ten Ribbe die tiefste war, und bis an die Lunge reichte. f) Eine Hiebwunde, die aber nicht durchgieng. g) Verwundungen am obern Schenkel. Ueberhaupt aber war der der ganze Körper durch Tretten, Stoßen und Würgen, zum Erbarmen zugericht. Auffallend – und wichtig für den Druckverlauf – ist, dass Punkt (e), also die Bauchwunde, in der Liste fehlt. Wahrscheinlich hat der Setzer, unabhängig vom Kupferstecher arbeitend, einen Punkt in der siebenteiligen Aufzählung in der ursprünglichen Quelle übersehen und so versehentlich die Korrelation zwischen Text und Bild gebrochen. 471 Auch die zugehörige Moritat Erzählung weist einen Flüchtigkeitsfehler auf: „So würgt er Ihn neun Viertel Stund“ heißt es, 470 Im Vergleich der Abstände von A-1 und A-2 wird deutlich, dass „C.G. Langfritz” zur Druckplatte des Kupferstichs gehört, nicht zum Lettersatz des Titels. 471 Das amtliche Protokoll der Leichenschau kann nicht die direkte Quellliste gewesen sein, denn es nummeriert die Wunden mit Ziffern, mindestens bis 14, auch ist der Wortlaut unterschiedlich. Leider endet Bößeneckers Transkription nach Punkt 14, noch vor der hier kritischen Brust- und Schenkelwunde. (Bößenecker), S. 23. Bößenecker schreibt einen im Nürnberger Will-Katalog erhaltenen „Entwurf des Autopsieberichts“ dem „an der Leichenschau beteiligten Arzt Dr. Gustav Philipp Zwinger“ zu, der auch eigenhändig eine Skizze des Tatorts angefertigt habe. 235 und es wird berichtet, dass Langfritz „zweymal begraben“ war, bevor ihn der Mörder „gar zu 472 todt gesprungen“ hat. Der lange Titel verhaspelt sich grammatikalisch, so dass auf den ers- ten Blick nicht klar ist, ob der erstgenannte Feugel oder das Opfer Langfritz abgebildet ist: Wahrhafte Beschreibung und Abbildung des zu Nürnberg am 3ten Dec. 1787 Mittags um 12 Uhr, von seinen Cammeraden Todtengräbershelfer, Namens Philipp Feugel 23 Jahr alt, eines Gärtners Sohn von Nürnberg gebürtig, welcher den Todtengräbersknecht, Namens Carl Gottlob Langfritz, auf das erbärmlichst und grausamste ermordet, und am 7ten Dec. […] in einem engen Loch vor der Stube eingescharrt gefunden. Wie der Ermordeter Carl Gottlob Langfritz in der Caserne gezeigt, und folgende Wunden und Merkmale wahrgenommen worden. Gedruckt 1788. 473 Vermutlich ist diese Flugschrift A-1 das Original aus Nürnberg. Für eine Nürnberger Provenienz spricht, dass in der Moritat kein direkter Hinweis auf Nürnberg als Tatort gegeben, andererseits aber in einer Fußnote der „hießige[...] Todtengräbersmeister Oberknecht“ erwähnt wird. Die geschilderten Geschehnisse sind also orts- und zeitnah, so dass Leser und Hörer sie ohne weiteres einordnen können. Die Flüchtigkeitsfehler lassen sich durch Zeitdruck erklären, als die Publikation schnell auf den Markt gebracht werden sollte. Eine zweite Variante A-2 ergänzt drei unbeschriftete Werckzeug zum Mord, nämlich eine Haue, ein Beil und einen Pickel. 472 474 Sie sind in dieselbe Kupferstichplatte von A-1 eingefügt worden, S. 4, Z. 4. 473 (Wahrhafte Beschreibung und Abbildung des zu Nürnberg am 3. Dec. 1787 Mittags um 12 Uhr, von seinem Cammeraden Todtengräbershelfer, Namens Philipp Feugel 23 Jahr alt, eines Gärtners Sohn von Nürnberg gebürtig, welcher den Todtengräbersknecht, Namens Carl Gottlob Langfritz, auf das erbämlichst und grausamste ermordet, und am 7ten Dec. in Todtengräbers Häuslein, auf den S. Johannis Kirchhof, wo derselbe die That vollbracht, in einem engen Loche, vor der Stube eingescharrt gefunden. Wie der Ermordete Carl Gottlob Langfritz in der Caserne gezeigt, und folgende Wunden und Merkmale wahrgenommen worden). Nicht an der MSU vorhanden. 474 GCC 360d. 236 wie man anhand der Linienführung und Kratzer erkennen kann ( Abbildung 36, S. 233). Text und Drucksatz wurden nicht geändert, so dass auch hier der Beschreibungspunkt (e) fehlt. Auch die Moritat ist unverändert. Der Druckverleger bringt zwar neue, das Publikum interessierende Details in einer zweiten aktualisierten Auflage, aber verbessert nicht die Fehler im alten Drucksatz. A-2 ist als Reaktion auf den ausgefeilten, konkurrierenden Nachdruck C aus Augsburg zu werten (s.u.). Wie bereits gesagt, lässt sich ein zweites Dokument B identifizieren. 475 Es ist ein Nachdruck, höchstwahrscheinlich aus Augsburg, wo auch das Malefiz-Urteil von Bullmann „nach dem Nürnberger Original“ verlegt wurde. Er verwendet die phonetische Namensvariante Feugel und den abweichenden Vornamen Gottlob. Im Beschreibungstext zur Leichenschau bemüht sich der Setzer der Variante B, den Auslassungsfehler in der siebenteiligen Verletzungsliste von A-1 (a-e, g) zu korrigieren. Er verkürzt die Buchstabenreihe auf sechs (a-f). Dadurch verschiebt sich der Text der beiden letzten Eintragungen (Hieb-, Schenkelwunde). Offensichtlich stand ihm die Ursprungsquelle mit sieben Listenpunkten nicht zur Verfügung, sondern als Auswärtiger musste er sich auf das Nürnberger Originalflugblatt A-1 verlassen. (Tabelle 2, S. 234). Allerdings wird diese Berichtigung von dem eingefügten Kupferstich konterkariert. Beschreibung und Bild klaffen erneut auseinander, denn man korrigierte zwar den Text, aber nicht die Illustration. Die Schenkelwunden sind mit (g), die Brustwunde mit (f) bezeichnet, man folgt also der siebenstelligen Reihe des Originals. Die Illustration von Druck B ist zwar eindeutig von anderer Hand, folgt aber in Bildaufbau, Linienführung und Eckpunkten der Vorlage A1 so eng, dass 475 (Variante d). GCC 360a und 360b. Die beiden Kopien weichen nicht voneinander ab. Diese Variante ist nicht an der SBB vorhanden. 237 eine Pauskopie, nicht ein unabhängiger Nachstich, angenommen werden kann. Wie in A-1 sind keine Mordwerkzeuge eingezeichnet. Es fehlt der eingravierte Name C.G. Langfritz. Insgesamt ist der Stich gröber und weniger sorgfältig ausgeführt, vielleicht von einem Gehilfen, der Stich A-1 kopierte. 476 Eine dritte Drucklinie C-1 477 und C-2 verwendet den verbesserten Text von B. Diesmal wurde jedoch die von einer dritten Hand neu gestochene Abbildung so verbessert, dass sie der sechsstelligen Beschreibung entspricht: die Hiebwunde an der linken Brust wird mit (e), die Schenkelverletzungen mit (f) gekennzeichnet. Der Name Carl Gottlob Langfritz wird in Kursivschrift eingefügt. Zusätzlich werden Werckzeug des Mords unter dem Tisch eingefügt. Variante C-1 zeigt und beschriftet eine Hauschaufel und ein Pickel. Das Beil wird in C-2 nachträglich auf derselben Druckplatte C-1 eingraviert. Jetzt sind, wie auf A-2, drei Instrumente zu sehen. Meiner Meinung nach ergriff die Augsburger Offizin die Initiative, allerdings mit nur zwei Werkzeugen. Der Nürnberger reagierte darauf mit einer korrekten Version mit allen drei Mordinstrumenten, die im Ermittlungsverfahren eine Rolle spielten. Diese Variante führte dann zu der erneuten Bearbeitung in Augsburg C-2. Als der eine Verleger die blutrünstigen Details als verkaufsförderndes Element hinzufügte, musste der benachbarte Konkurrent nachziehen, um seine Kundschaft zu halten. Auffallend ist, wie in der Moritat durch verschiedene Maßnahmen der Schwerpunkt der Schrift verlagert wird. Aus dem aktuellen Blatt im Kontext eines allgemeinen Stadtgesprächs entsteht 476 477 C-1: GCC 360c, SBB <5 in FY 7906>. C-2: SBB <20 in FY 7911>. Nicht an der MSU vorhanden. 238 ‚faktionaler” Lesestoff, der auch einem breiten auswärtigen Publikum interessant scheint. Blatt B führt die Veränderungen ein, und der Text wird von C-1 und C-2 unverändert übernommen (Tabelle 2, S. 234). Schon der neue, grammatikalisch und semantisch verbesserte Titel betont das Verbrechen und spricht das Sensationsinteresse stärker an: Wahrhafte Beschreibung und Abbildung [eingefügter Kupferstich] der grausamen Mordthat, die zu Nürnberg am 3. December 1787, Mittags nach zwölf Uhr, an den[ sic!] Todtengräbersknecht, Carl Gottlob Langfritz, von seinem Cameraden, Namens Philipp Feugel, ein Helfer des Todtengräbers, und eines Gärtners Sohn von Nürnberg, 23 Jahre alt, auf das grausamste und erbärmlichste vollbracht worden. […] Das Einfügen von Mordthat und Umstellen der Namen von Opfer und Täter verleiht beiden Elementen, Abbildung und Moritat, gleiche Aufmerksamkeit. Das Druckdatum 1788 wurde weggelassen, um der Publikation eine Gültigkeit zu verleihen, die über die Tagesaktualität hinausgeht. In den Eingangsversen der Erzählung dieser Mordthat wird Nürnberg explizit als Ort des Geschehens verortet: „Mit-Christen! Hört, zu dieser Zeit, | Die grausamste Begebenheit: Zu 478 Nürnberg in der großen Stadt, | Was sich da zugetragen hat.“ Dadurch wird die Mordtat zur Geschichte, zur Historie, die sich an einem entfernten, anderen Ort zugetragen hat. Ein zusätzlich eingefügtes achtzeiliges Schlussgebet mit der Bitte an Gott, „alle Mutter-Kinder | Für dergleichen Frevelthat“ des Blutvergießens zu schützen, liefert die gattungstypische religiöse Anbindung. 479 Die geistliche Fürsorge gilt jedoch nicht einem Armen Sünder, sondern dem Lesepublikum. Der mutwillige, kaltblütige Bösewicht verdient weder mitmenschliches Mitleid noch die Gnade Jesu: Mörder Feigel wird im Gefängnis zurückgelassen „[b]is seine Bos- 478 479 S. 2, Z. 1-4. S. 4, Z. 43. 239 heit wird bestraft“. Hier wird, gegen Ende des 18. Jahrhunderts, der generelle Wandel von der religiös-sakralen Haltung der Frühneuzeit zur säkularen Einstellung deutlich, die den gesellschaftlichen Paradigmenwechsel im Strafvollzug beschreibt. Augsburg C-1/C-2 kombiniert bewusst Elemente der beiden anderen Druckreihen: Die Abbildung der Leichenschau aus A-1 wird korrigiert und mit neuen Details ergänzt. Und der generalisierte Text der Erzählung der Mordthat stammt von B. Mit Überlegung und Sorgfalt wird in mehreren Etappen aus ereignisnahen, fehlerbehafteten Flugschriften ein in sich stimmiges, auf Dauer angelegtes Produkt erzeugt. Das Augsburger Leichenschaublatt C-2 zu Langfritz/Feigel ist attraktive Lektüre für ein breites Publikum, in der moderne rational-wissenschaftliche Ermittlungsverfahren, Werte vermittelnde Rechts- und Strafdidaktik sowie Unterhaltung miteinander kombiniert werden. Das Leichenschaublatt Wahrhafte Beschreibung nutzt aktuelle Kommunikationsformen bei der Darstellung des Opfers. Ein anderes Flugblatt, bei dem der Täter im Mittelpunkt steht, greift ebenfalls ein zeitgenössisches Modell der Bedeutungsgestaltung auf. 240 6.5.5 Das Kupferstichporträt des Mörders Feigel Das Kupferstichporträt von Mörder Feigel 480 ist eine ungewöhnliche Verbrecherdarstellung. 481 Feigel wird als Prototyp des „jungen Bösewicht“ präsentiert, allerdings in einer ambivalenten, ihn fast heroisierenden Weise. Der Betrachter erlebt eine Diskrepanz zwischen dem Anschauen der jugendlich-unschuldig anmutenden Gesichtszüge und dem Wissen, dass es das Haupt eines kaltblütigen, brutalen Mörders ist. Aus dieser Spannung zwischen Ethik und Ästhetik erwächst das schaudervoll-lustvolle Vergnügen, der „unaussprechliche Reiz“, wie ihn Moses Mendelsohn 482 in seiner Rezeption von Burkes Theorie zum Erhabenen um 1761 beschreibt. In Form und Funktion gehört der Mörderkopf zu einem aktuellen Trend der geselligen Bürgerunterhaltung, nämlich Physiognomie-Studien à la Lavater. Das Einzelblatt präsentiert einen großformatigen Profilkopf mit geschlossenen Lidern vor einem Hinrichtungsrad (Abbildung 37, S. 242). Die acht Radspeichen bilden einen Strahlenkranz bzw. einen runden Medaillonrahmen für die zentral platzierte Silhouette. Die umlaufende inscriptio identifiziert Der Mörder Feigel, 23 Jahr alt, in Nürnberg, durch das Rad hingerichtet d. 18. Merz 1788. Durch die Linienführung des Hals- und Brustansatzes könnte der Betrachter auf den ersten Blick glauben, Feigel sei enthauptet und der Kopf auf das Rad gesteckt worden. Das war zwar eine für Mörder übliche, aber in diesem Fall nicht angewendete Hinrichtungsmethode. 480 Dieser Kupferstich ist im Stadtarchiv Nürnberg vorhanden (Will-Katalog). Ich beziehe mich hier auf das Exemplar des Mittelalterlichen Kriminalmuseums in Rothenburg ob der Tauber ("Der Mörder Philipp Feigel, 23 Jahr alt, in Nürnberg, durch das Rad hingerichtet d. 18. Merz 1788"). Die MSU besitzt kein Exemplar. 481 Normalerweise finden sich Dreiviertel- oder Frontansichten, vgl. (Hinckeldey und Tauber), S. 415. Vom rheinischen Räuber Schinderhannes gibt es eine ganze Reihe von Profilporträts in Medaillonform, siehe (Scheibe). 482 Zitiert nach (Zelle, Grauen), S. 347. 241 Abbildung 37. Porträt Der Mörder Feigel (Nürnberg 1788). Kriminalmuseum Rothenburg ob der Tauber. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. 242 Durch Bildkomposition und Perspektive verändert das Rad seine Bedeutung: es ist weniger Straf- und Herrschaftsinstrument, sondern ein ästhetisches Mittel, um den Blick des Betrachters auf das Haupt zu fokussieren. Die weichen Gesichtszüge und geschlossenen Augen wirken friedlich oder unbewegt, ungezeichnet vom Schrecken des Mordes oder des eigenen Todes. 483 Eine ungebändigte Haarlocke – in einer künstlerisch motivierten Diagonale mit dem Brustansatz – verweist auf Feigels Jugend. Der ‚unschuldige” Eindruck des Mörderhauptes wird durch eine lange Kette um seinen Hals, die ihn als gefährlichen Verbrecher markiert, zwar gebrochen, aber nicht gänzlich aufgehoben. Auch die Wortwahl der moralisch-didaktischen Auslegung ist zweideutig. Unter dem Bild befindet sich eine subscriptio: Dies ist das Ebenbild des jungen Bösewicht | Der Schmäh- und schmerzlich starb durchs Pein- und Halsgericht | Es seh ’ es wer es sieht mit den Gedancken an | Es bleibt nicht ungestrafft das was man bös gethan. Der Begriff „Ebenbild“ gehört zum literarisch-gehobenen, auch theologischen Wortschatz, wenn der Mensch als „Ebenbild Gottes“ bezeichnet wird. 484 Neben der Bedeutung „ähnlichem Abbild“ schwingt im zeitgenössischen Gebrauch auch die Konnotation „einem Vorbild an Schönheit, Größe, Würde gleichen“ mit, wie das Goethe-Wörterbuch belegt. 485 Auf frappierende Weise erinnert die Bildkomposition an die zeitgenössischen Schattenrisse und Porträtsilhouetten, die in den gesellschaftlichen Zirkeln der Empfindsamkeit und Aufklärung begeistert gesammelt und als Freundschaftsgaben verschenkt wurden. Angeregt von den 483 Vgl. hierzu die Illustration zur Vierteilung des Windfliegl, wo Friedrich Nicolai auf die märtyrerhaften Gesichtszüge des Hingerichteten und gleichzeitig auf die brutalen Züge der Henker und Büttel hinweist. 484 485 (Adelung), Bd.1, Sp.1629. (Goethe-Wörterbuch), Bd.2, Sp.1345. 243 486 Schriften Von der Physiognomik (1772) und Physiognomische Fragmente zur Beförderung 487 der Menschenkenntnis und Menschenliebe (1778) des Schweizer Pastors Johann Caspar Lavater glaubte man, menschliche Charaktere anhand von Gesichtszügen und Kopfformen einordnen zu können. In einer außerordentlich geschickten Marketingstrategie avancierte Lavater sein Projekt der Physiognomischen Fragmente auf Subskriptionsbasis. Er ließ sich Schattenrisse und Bilder von Interessenten zuschicken, mit dem Versprechen, sie in seine Sammlung aufzunehmen. So legte er eine große Sammlung von Porträtzeichnungen berühmter Persönlichkeiten der Zeit, aber auch einfachen Leuten und Verbrechern, an, mit denen er seine Thesen 488 illustrierte. Durch handschriftliche Titel und erläuternde Zusätze wurden aus den einfachen Bildern emblemartige Kompositionen, ganz wie der hier vorliegende Stich Der Mörder Feigel. 489 Die populärwissenschaftliche, modische Beschäftigung mit der Physiognomie geriet zur „physiognomische[n] Raserei“, wie der Philosoph Georg Christoph Lichtenberg spöttelte. 490 Es wurde Mode, bei geselligen Treffen oder in eigens gegründeten Zirkeln und Lesegruppen die teuren Charaktertafeln Lavaters zu studieren und die Gesichtszüge von Bekannten auszudeuten. Physignomie als intellektuelle und gemeinschaftsbildende Beschäftigung wird ein soziales Spiel und ist eng mit dem Persönlichkeitskult der Zeit verbunden. Indem sie wünschens486 (Lavater, Von der Physiognomik). 487 (Lavater, Physiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe). 488 489 490 (Österreichische Nationalbibliothek). (Rauchensteiner und Swoboda). Vgl. (Gray). 244 werte und verabscheute Eigenschaften in Charakter und äußerer Erscheinung ausdeutet, schafft sie eine Gruppenidentität, die über den kleinen Mikrokosmos der Salons hinausreicht und das Selbstverständnis des Bürgertums mitformt. Das Profilporträt eines erwiesenen Mörders partizipiert an dieser modischen zeitgenössischen Kulturpraktik. Passte nicht Lavaters Beschreibung „Horizontale Augenbraunen, dicht, reich, nett – zeigen immer Verstand, Kälte des 491 Herzens, planreichen Sinn” zu der gerichtlich festgestellten Gefühlskälte Feigels? Wie ist die Stirnwölbung zu werten? Wie die Nase, die Ohren? Hier kann ein Charakterkopf studiert werden, wobei das Ergebnis „Bösewicht“ bereits vorgegeben ist. Anders als in den neutralen, indizienlosen Schattenrissen des Vorbildes werden hier Insignien des Strafens beigegeben – Rad und Kette. Feigel wird in das existierende Normensystem eingeordnet und ist zugleich Spielball von Interpretation. Der Mörder schreckt nicht mehr ab, sondern wird zum Gegenstand der intellektuellen Unterhaltung. Es ist nicht bekannt, in welchen Kreisen die Abbildung zirkulierte. Als Einzelblatt war dieser Kupferstich wesentlich billiger 492 und leichter zu verbreiten als die Lavaterschen Fragmente. Möglicherweise griffen 1788, eine Dekade nach dem ersten Höhepunkt der Mode, nun auch Angehörige der mittleren Schicht, also weniger begüterte Handwerker und Kaufleute, den Zeitvertreib der gebildeten und empfindsamen Patrizier auf. 491 493 Auf jeden Fall verwendet der (Lavater, Von der Physiognomik), Kapitel 12, XXXV. 492 Der Preis ist nicht bekannt. Ein längeres Urteil und Stich aus dem gleichen Jahr kostet in Augsburg 5 Kreuzer. GCC 1121. 493 Vgl. hierzu die These vom „gesunkenen Kulturgut”, nach der Elemente der Hochkultur zeitversetzt und verändert in der Volkskultur auftauchen. Hans Naumann, Grundzüge der deutschen Volkskunde. Leipzig 1922, 5. Zitiert nach (Bausinger, „Folklore“). 245 Kupferstecher eine aktuelle und modische Formensprache, die seine Absatzmöglichkeiten erhöhte. Im großen Textcluster und Kommunikationskontext um den Fall Feigel findet natürlich auch der religiöse Aspekt seinen Platz. Schon Moritat B hatte ja die faktische Falldarstellung durch ein christliches Gebet ausbalanciert, um gesellschaftliche Deutungsmuster und literarische Gattungserwartungen zu erfüllen. Von den folgenden selbständigen Publikationen gibt es interessanterweise auch wieder mehrere Varianten mit unterschiedlichen Graden der Anbindung an den konkreten Fall. 6.5.6 Abschiedslieder Reue und Buße sind ein wichtiger Bestandteil im religiös orientierten Rechtsfindungsprozess der frühen Neuzeit. Nur wenn der Hinzurichtende seine Schuld anerkennt und bußfertig stirbt, erfüllt sein Tod den Zweck einer Heilung der Gesellschaft. Bei Mörder Feigel, dessen Kaltblütigkeit bei der Tat als besonders verwerflich beurteilt wurde, war eine Umkehr besonders wichtig, um das Moralgefüge in der weltlichen und religiösen Ordnung wieder herzustellen. Zu diesem Zweck wurden nicht nur eines, sondern gleich zwei Abschiedslieder verfasst. Beide verwenden, wie üblich, die Ich-Form, in der sich der Schuldige als reuevoll Bekehrter präsentiert. Die erste Variante (MSU 790a) des zweiseitigen Lied an Gott eines über seine böse Handlung 246 gerürten Mörders 494 zeigt eine Szene im Lochgefängnis, wo der Gefangene sein Urteil erwartet (Abbildung 38, S. 247). Abbildung 38. Feigel im Lochgefängnis. Aus: Lied an Gott (Nürnberg 1788). GCC 790a. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. 494 (Lied an Gott eines über seine böse Handlung gerürten Mörders). Die MSU besitzt zwei Varianten: GCC 790a (identifiziert Philipp Feigel in der Bildlegende) und GCC 790b (Illustrationsvariante ohne Namensnennung). Das Exemplar der SBB < 8a FY 7906> entspricht GCC 790b. Das Exemplar der BSB München ist nicht digitalisiert und konnte nicht eingesehen werden, BSB Res/4 Bavar. 3009,III,23. 247 Der an Arm und Bein Angekettete sitzt auf einer mit Stroh bedeckten Steinbank. Vor ihm liegen mehrere Gegenstände: ein Teller mit Brot, Krug und Becher; ein Kohlebecken mit Blasebalg, ein Humpen, eine Pfeife mit Feuerzeug sowie ein abgedeckter Toilettenkübel. Solche Vergünstigungen wurden einem zum Tode Verurteilten als verbesserte Unterbringung und Behandlung in den letzten drei Tagen vor der Vollstreckung zugestanden. Die eingravierte Bildlegende lautet: Philipp Feigel in Loch Gefängniß zu Nürnberg 1788. Darunter stehen Bibelstellen zu Mord und Sünde, die wohl in der Hinrichtungspredigt ausgelegt werden: Frage 1. Mose Cap 4 V. 10 | Antwort. Gebet Manasse V. 9-14. Der Liedtext selbst ist keine Nacherzählung der Mordtat, sondern die sehr allgemein gehaltene Bitte des reuigen Mörders um Gottes Gnade, wie man sie aus 495 anderen religiösen Bußgedichten kennt. Allein die Zeile „Des Mittgesellen junges Blut“ ge- ben einen Hinweis auf das Mordopfer, den „Cammeraden“ Langfritz. Er wird vom lokalen Publikum verstanden, weil Verbrechen und Hinrichtung unmittelbar mitzuerlebendes Tagesgespräch war. Ein Flüchtigkeitsdruckfehler bei „Abels Blu“ [sic] verweist darauf, dass die Flugschrift schnell gesetzt und nicht mehr editiert wurde, um unmittelbar bei der Hinrichtung angeboten werden zu können. Zeitnah publiziert und am örtlich bekannten Wissen zum Fall orientiert, scheint diese Erstauflage ephemer und in ihrer Verbreitung beschränkt. In einer zweiten Variante (GCC 790b) 496 jedoch wird die Zeit- und Ortsgebundenheit aufge- hoben (Abbildung 39, S. 250). Es entsteht ein allgemein gehaltenes Reuelied, das in einem weiten Umfeld vertrieben werden kann. Die Illustration ist ein Nachstich und verzichtet auf die Namensnennung, so dass kein Zusammenhang mit Nürnberg und dem Fall Feigel/Langfritz von 495 496 Strophe. 2, Z. 6-7. Auch Berlin SBB <8a in FY7906>. 248 1788 mehr besteht. Die beiden biblischen Referenzen werden in ihren vollen Wortlaut aufgelöst: „Was hast du gethan? Die Stimme deines Bruders Bluts schreyt zu mir von der Erden und Ich habe gesündiget *…+ und bin gekrümmt in schweren eisernen Banden.“ Der zweite Bekehrungstext ist ebenfalls ein traditionell gehaltenes Reuevolles Buß= und Abschiedslied des Philipp eigel […] An dem Tage seiner Hinrichtung als ein Beispiel und Exempel für jeden Menschen, besonders aber der der Jugend zur Warnung, zum ewigen Andenken verabfaßt. Der 18ten Merz, 1788. In eigener Melodie. 497 Nur wenige Details – die Namen und ein Hinweis auf den Beruf als Totengräber – lassen erahnen, auf welchen konkreten Fall hier angespielt wird. In sechzehn Strophen (mit sechs Versen, aber aus Platzgründen in drei oder vier Zeilen gesetzt) bekennt der reuige Philipp Feigel „was ich vor ein Sünder war“. Er erkennt sein Los als Sühne für den Mord aus Habsucht und für Verfehlungen in seiner Jugend. Nacheinander bittet das Ich sein unmittelbares sozialen Umfeld um Vergebung: Vater und Mutter, seine Freunde, das Opfer Langfritz. Dann wendet es sich an die weitere versammelte Öffentlichkeit, mahnt Bürger, Kinder und dankt der Obrigkeit für die gelinde Strafe. Zuletzt wendet er sich an Gott und vor allem Jesus mit der Bitte um Gnade. Die letzten Worte des Totgeweihten sind: „Gott sey Dank, es ist vollbracht! Adieu, ihr Menschen, gute Nacht!“ 497 GCC 762 und, abweichend, Berlin SBB <8 in: Fy 7906>. 249 Abbildung 39. Anonymisierte Version des Lied an Gott (Nürnberg 1788). GCC 790b. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. 250 Auch von diesem Text begegnen uns zwei Versionen, die eine unterschiedliche Nähe zum Geschehen aufweisen. Beim ersten Druck fehlen Todesart und Urteils-Wortlaut; diese Kopie der Flugschrift entstand bereits vor der öffentlichen Verkündigung des Urteils am 18. März, als die genaue Hinrichtungsmethode noch nicht feststand. 498 Sie wurde für den Verkauf vor und bei der Exekution vorbereitet, zu der sich eine große Menschenmenge einfand. Diese Version verwendet die Namensvarianten Feugel und Gottlob, wie sie im Augsburger Zweig des Autopsieberichtes eingeführt wurden. Das Layout bietet Platz für zwei Druckervignetten: JEsus vor der ersten Strophe und ein abschließendes Memento Mori. Das zweite Exemplar, GCC 762, ist eine erweiterte Ausgabe aus der gleichen Offizin und entstand erst nach der Hinrichtung. Sie enthält jetzt das Urteil im gewohnten amtlichen Sprachduk499 tus. Der erweiterte Titel Urthel und reumüthiges Buß= und Abschiedslied benutzt die korrek500 ten Namensformen Feigel und Gottlieb und nennt die Todesart „mit dem Rad“. Dazu musste das Titelblatt, zumindest im oberen Teil, neu gesetzt werden. Um Platz für den eingefügten Urteilstext zu machen, werden Leerzeilen zwischen den Versen und die Druckervignette auf der letzten Seite entfernt. Der Modifikationsaufwand für die neuen und vollständigen Informa498 Berlin SBB <8 in: Fy 7906>. Diese Version ist nicht an der MSU vorhanden. 499 Allerdings stimmt der genaue Wortlaut nicht mit der Fassung des Malefiz-Urthel von GCC 1091a überein. 500 (Urthel und reumüthiges Buß= und Abschiedslied des Philipp Feigels, eines Gärtners Sohn von Nürnberg, drey und zwanzig Jahr alt welcher wegen begangener grausamer Mordthat, die er an seinem Mitknecht, Carl Gottlieb Langfritz, eines Todtengräberknechtvon etlichen dreißig Jahren, den 3ten December 1787. auf das erbärmlichste und grausamste verübet hat, und heute, den 18. März 1788. zu Nürnberg zur wohlverdienten Straffe, andern aber zum warnenden Beispiel, mit dem Rad vom Leben zum Tode gebracht worden. An dem Tage seiner Hinrichtung als ein Beispiel und Exempel für jeden Menschen, besonders aber der Jugend zur Warnung, zum ewigen Anden verabfaßt). 251 tionen lässt sich aus kommerzieller Sicht rechtfertigen, versprach er doch ein größeres Kaufpublikum auch Tage und Wochen nach dem unmittelbaren Ereignis. Dieses kombinierte Armesünderblatt ist als Erinnerungsstück, aber auch als unabhängiges Leseangebot zu werten. 252 7 Exkurs: Parodistische Todesurteile Öffentliche Hinrichtungen waren nicht nur die Ehrfurcht gebietende „Theater des Schreckens“, als die sie von der Obrigkeit mehr oder minder erfolgreich inszeniert wurden, sondern auch Volksfeste mit Tausenden von Zuschauern, bei denen nicht selten tumultartige Szenen über501 wogen. Es wurde gejubelt und gesungen, „Galgenbier“ getrunken und gerauft, es war ein Jahrmarkt. Der „Carnival“, den Thomas Laqueur stätte Tyburn oder Michel Foucault 503 502 materialreich für Londons Hinrichtungs- bei der missglückten Vierteilung des Königsmörder Damien beschreiben, hat sich in Deutschland nicht wesentlich anders abgespielt. Eben solche „Verhöhnung“ der öffentlichen Exekution wird ein wesentliches Argument dafür, sie hinter die Mauern der Gefängnisanstalten zu verlagern und die Volksmenge auszuschließen. Michail Bakhtin hat ein „karnevalistische Weltempfinden“ für das Mittelalter und die Renais504 sance anhand von Rabelais’ Groteske Gargantua und Pantagruel beschrieben. Das Volk sei in seiner „Lachkultur“ bereit gewesen, über alles und jedes zu lachen, um festgefügte weltliche und kirchliche Sinndeutungen durch körperlich-grotesken Spott bloßzustellen. Auch wenn Bakhtins Dichotomie zwischen ernsthaften Herrschenden und aufbegehrendem karnevalistischem Volk so extrem nicht aufrechtzuhalten ist, so ist sie doch ein brauchbarer Deutungs- 501 502 503 504 Vgl. die knappe Zusammenstellung bei (Dülmen, Theater), S. 147. (Laqueur). (Foucault, Überwachen). (Bakhtin). 253 ansatz auch für spätere Jahrhunderte. 505 Öffentliche Hinrichtungen sind Teil jener vormoder- nen, absolutistischen Gesellschaftsordnung, die sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Auflösung befindet. Es ist daher legitim, nach „lachhaften“ Spuren bei der Todesstrafe zu fragen, also dort, wo der Staat seine ultimative Macht über Leben und Tod ausübt. Die Verbindung von Tod und Narr, der Galgenhumor, ist eine kulturhistorische Konstante. Um den Galgen ranken sich viele teils schaurige, teils komische Erzählungen und Schwänke. 506 Von fingierten makabren Grabinschriften gab es im 17. Jahrhundert ganze Sammlungen, und auch im bürgerlichen Neuen Vademecum für lustige Leute von 1786 belustigt die „Grabschrift eines 507 Sauffers“ den Leser. Parodistische und polemische Leichenreden aus Barock 508 rung erhalten ihre Fortsetzung in den Werken von E.T.A Hoffmann und Jean Paul. und Aufklä- 509 In England finden sich mehre Parodien auf die traditionellen „Last Dying Speeches“, z.B. die letzten Worte einer untergewichtigen Münze (1774), eines unredlichen Bierbrauers, des letzten Jahrhunderts (1800) oder gar Napoleons (im Jahr 1803!). 510 Aber wie steht es mit der halbamtlichen Repräsentation von Exekutionen, also den süddeutschen Armesünderblättern? Unter den mehr als 600 Todesurteilen, die im Rahmen dieser 505 506 507 Vgl. (Bausinger, „Lachkultur“). Vgl. (Moser-Rath), S. 9. Nachweis bei (Moser-Rath), Anm. 14, S. 284. 508 z.B. Christian Reuters Letztes Denck- und Ehren-Mahl der weyland gewesenen ehrlichen Frau Schlampampe, 1697. 509 Vgl. (Gilman). 510 Siehe (Guthke), S. 184. Guthke erwähnt eine seltene deutsche Flugschrift Die letzten Worte eines sterbenden Arbeiters im Spital und dessen Testament, Wien 1848, das sich gegen die politische Reaktion wendet. Dieses Blatt konnte nicht eingesehen werden. 254 Arbeit eingesehen wurden, konnten vier Textcluster gefunden werden, die sich als satirische oder komische Literatur beschreiben lassen. 511 Diese Raritäten, die im Folgenden vorgestellt werden, stammen aus München (3) und Augsburg (1), aus den Jahren zwischen 1790 und 1800. In ihrem äußeren Aufbau folgen sie alle den amtlichen Todesurteilen, wie sie sich als literarische Form in diesen Städten etabliert hatten. Inhaltlich und stilistisch reicht die Spannbreite von der Sprachglosse über Ereignisspott zur explizit politischen Subversion. 7.1 Unverdientes Todesurtheil: Die Sprachglosse Auf seiner Reise durch Deutschland und die Schweiz, im Jahre 1781 berichtet Friedrich Nicolai, Publizist und Schriftsteller der Berliner Aufklärung: 512 Man kann sich des Lachens bei der Niaiserie [Albernheit, Einfalt ] in diesen Berichten [den Verrufen, MB] nicht enthalten *…+ Da klingt denn z.B. folgendes höchstseltsam: Von dem einen Diebe wird erzählt: ‚daß er 1765. puncto vagi zu München aufgehoben, doch wieder entlassen, und dass ihm nachher puncto suspecti 25 leibs=konstituionsmäßige Karbatschstreiche ad posteriora angemessen worden sind 513 . Selbst Verfasser satirischer und polemischer Texte, mokiert sich Nicolai über den gestelzten juristischen Sprachduktus der amtlichen Urkunden, der Tatbestände in einem „höchstseltsam*en+“ lateinischen Jargon festhält. Die „poßierlich*en+“ Verklausulierungen, ein strikter unflexibler Textaufbau mit festen unzeitgemäß klingenden Formeln – kurz, die „Poetik“ der 511 Auch Gerhard Fritz (Email vom 29. März 2012), Gerhard Ammerer (Email von 20. Februar 2012) und Friedrich Adomeit (Email vom 20. Februar2012) sind bei ihren Archivarbeiten auf keine weiteren satirischen Armesünderblätter gestoßen. 512 (Meyers Großes Konversationslexikon). 513 (Nicolai), Bd 8, S. 165-166; mit Verweis auf Bd. 6, S. 766 über München. Diese Passage zu Augsburg zitiert Quellen aus dem Jahre 1786, ist also erst kurz vor der Drucklegung 1787 eingefügt oder ergänzt worden. 255 Urteile – reizen den bürgerlichen Leser zum Lachen – und zur Parodie. Während der preußische Publizist die komische Wirkung durch die Häufung von echten Zitaten erzielt und das satirische Potential mit einer aufklärerischen Gesellschaftskritik an Bayern verknüpft, nutzt ein ungenannter Autor aus eben dieser Region die amtliche Urgicht als Vorlage für eine sprachspielerische, possenhafte Parodie. Um 1790 erschien wahrscheinlich in München eine Flugschrift Unverdientes Todesurtheil zum Kropficht= und Bucklichtlachen nebst einer Moralrede des Witzliwutzli Hackstock, vulgo Lausfresserbueben mit der Kumpfnase aus Schlampampen. 514 Ein Dieb wird zur Vierteilung (durch Schnecken) verurteilt, seine Gaunereien und das Urteil in der wohlbekannten Form des Armesünderblattes dargeboten. Dabei bietet die vorgeschriebene serielle Reihung der siebzehn Anklagepunkte viel Raum für kurze, schwankhaft ausgeführte Ideen (Abbildung 40, S. 257). Das Geständnis der Untaten quillt über von absurden Gegensätzen, physikalischen Unmöglichkeiten, komischen Namen und derben Elementen. Mittels der rhetorischen Figuren Oxymoron und Hyperbel wird eine „verkehrte Welt“ dargestellt. Die juristische Nomenklatur wird auf den Kopf gestellt, feststehende formelhafte Wendungen durch ihr semantisches Gegenteil ersetzt und ins Lächerliche gezogen. Mythologische Referenzen, sozusagen „Bildungsreste“, dienen als Hintergrund für Aufschneidereien. Zum überbordenden Klamauk kommen satirische Seitenhiebe auf die Kapuziner-Mönche. Alles ist verankert in einem oberbairischen oder sogar Münchner Lokalkolorit. 514 (Unverdientes Todesurtheil zum Kropficht- und Bucklichtlachen nebst einer Moralrede des Witzliwutzli Hackstock, vulgo Lausfresserbueben mit der Kumpfnase aus Schlampampen). 256 Abbildung 40. Parodistisches Todesurteil Kitlibuzli Hackstock (München um 1790). BSB L.eleg.m.850,14. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. 257 Abbildung 40, fortgesetzt 258 Abbildung 40, fortgesetzt 259 Abbildung 40, fortgesetzt 260 Es ist eine Parodie, bei der die Lust am Absurden ausgelebt wird, aber sie kritisiert nicht das politische oder gesellschaftliche Strafsystem, sondern nutzt dessen strukturell fixierte Präsentationsformen als Folie. Die Verunglimpfung richtet sich vornehmlich gegen Form und Stil der amtlichen Verlautbarung, nicht gegen eine unbarmherzige Obrigkeit oder gar die Todesstrafe als solche. Nun lebt ja eine solche Parodie gerade vom mündlichen Vortrag vor einem Publikum, vom Vorlesen im Wirtshaus oder Marktplatz, vom Weitererzählen in der Familie. Sicher war auch die im handlichen Oktavformat gedruckte Zweitversion von Kizliduzli (s.u.) für eine mündliche Wiedergabe gedacht. Dafür wurde die Reihenfolge der Textteile umgestellt: Nach dem Titel folgt sofort das Moralgedicht Verwegner Bößwicht, das auch als Bänkellied gesungen werden kann und die Aufmerksamkeit des Publikums erregt. Erst danach folgt das Urteil mit den „Vergehen“. Eine solch orale Performanz des Unverdienten Todesurteil steht in der Tradition der volkstümlichen Wanderbühnen mit ihrem anarchischen Hanswurst, die gerade in Süddeutschland und Österreich besonders stark erhalten ist. 515 In ihr spiegelt sich aber auch ein obrigkeitlicher Akt, näm- lich das öffentliche Verlesen eines Urteils beim „entlichen Rechtstag“ und der Hinrichtung. Indem nicht nur Sprache und Formstruktur, sondern auch die Publikationsweise vor Zuhörern persifliert werden, besitzt die volkstümliche Variante ein anderes subversives Potential als die Variante, die sich an ein bürgerliches Lesepublikum richtet. Von diesem Unverdienten Todesurtheil gibt es zwei Versionen, anhand deren sich eine Verschiebung in Stil und Rezipientenkreis erkennen lässt. Während das Original um Witzliwutzli (A) 515 Vgl (Müller-Kampel). 261 eher aus dem Kreis des gebildeten Bürgertums stammt, Kizlibuzli (B) eher den unteren Schichten zuordnen. 517 516 lässt sich der Nachdruck zu Die Ergänzungen und Veränderungen im Nachdruck sind wesentlich gröber, sowohl im Ausmaß der Übertreibungen als auch in der Nähe zur Zote. Einige ausgewählte Stellen sollen hier kontrastierend kommentiert werden. Es war nicht möglich, alle zeit- und lokalgebundenen Anspielungen aufzulösen. 7.1.1 Titel und sprechende Namen A) Unverdientes Todesurtheil zum Kropficht= und Bucklichtlachen nebst einer Moralrede des Witzliwutzli Hackstock, vulgo Lausfresserbueben mit der Kumpfnase aus Schlampampen Actum &publicatum Tribsdrill im Brandweinladl den 99 April ao 9999 B) Unverdientes Todtes-Urtheil des Kizlibuzli Hackstock, vulgo Lausfresser=Buben, mit der Pumpfnase aus Schlampampen in Frißland gebürtig Gedruckt in Kribsdril wo ich hätte sollen gehängt werden Gegeben in unserer Kochhütten zu Kribsdrill den 99sten Aprill Anno 9999 Interessant sind die lautmalerischen sprechenden Namen, die zum Teil einen Bezug zur zeitgenössischen Lügenliteratur aufweisen. 516 (Unverdientes Todesurtheil zum Kropficht- und Bucklichtlachen nebst einer Moralrede des Witzliwutzli Hackstock, vulgo Lausfresserbueben mit der Kumpfnase aus Schlampampen). Das 4seitige Quartblatt liegt an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU 0001/Maassen 3724); es konnte keine andere Kopie nachgewiesen werden. Es handelt sichum eine Schenkung des bekannten Münchner Literaturhistorikers Carl Georg von Maassen (1880-1940), der auch die historisch-kritische Ausgabe der Werke von E.T.A. Hoffmann herausgab. Die handschriftliche Angabe von Druckort und Datum auf dem Einband „*München um 1790+” kann als zuverlässig gelten. 517 (Unverdientes Todtes-Urtheil, des Kizlibuzli Hackstock, vulgo Lausfresser-Buben, mit der Pumpfnase aus Schlampampen in Frißland gebürtig ). Dieses achtseitige Oktav-Ausgabe befindet sich an der Bayerischen Staatsbibliothek in München (BSB L.eleg.m.850,14 / VD17 12:645763E); auch hier konnte keine zweite Kopie nachgewiesen werden. Das nach dem Druckbild (ausgehendes 17. Jahrhundert) geschätzte Erscheinungsjahr [1680] ist nicht korrekt. 262 „Witzliwutzli“ karikiert mit „Witz“ ein gesellschaftlich-literarisches Leitwort des 17. und 18. Jahrhunderts, nämlich die Fähigkeit zur klugen und sinnreichen Konversation, den geselligen bel esprit. Ende des 18. und verstärkt im 19. Jahrhundert wandelt sich die Bedeutung zu „Scherz“, zum einzelnen lustigen Einfall. 518 Die Abänderung in (B) zu „Kizlibuzli / Kizliwutzli“ ersetzt den „schöngeistigen“ Bezug durch eine Ziege. Eine „Wutz“ ist ein Schwein. Als „Hackstock“ verzeichnet Grimm nicht nur den Hauklotz in Hof und Küche, sondern auch das kleingehackte Gemisch, das auf diesem hergerichtet wird. 519 Vulgo-Namen waren in der Außenseitergesellschaft der Diebe gang und gäbe und bezogen sich meist auf die äußere Erscheinung. nase“ (A) ist eine stumpfe, flache „Affennase“. dem Dialekt der österreichischen Steiermark. in anderen Possenstücken 525 Holzschlägl“ 523 521 522 520 Eine „Kumpf- Die Variante „Pumpfnase“ (B) stammt aus Ausgesprochene Schimpfnamen, wie sie auch 524 vorkommen, haben die „Hrn. Stax Frißminit“ und „Grobian , die Orte „Schweindorf“, „Arschham“, das „Maulmacherhaus“ in der „Lugen- gassen.“ 518 519 (DWB), Bd.30, Sp. 862. (DWB), Bd 10, Sp 108-112. 520 vgl. die Vielzahl an Jaunerlisten und Wörterbüchern der „Jenischen Sprache”, die um die Wende zum 19. Jahrhundert verlegt wurden, z.B. (Christensen). 521 522 (DWB),Bd. 11, Sp. 2616. (Unger und Khull), S. 128. 523 Goethes fragmentarisches Farce Hanswursts Hochzeit oder Der Lauf der Welt (1775) besteht im wesentlichen aus einem Personenverzeichnis mit zotigen Schimpfnamen wie „Kilian Brustfleck“, „Hans Arsch von Rippach“, „Matz Fotz von Dresden“ u.a. Zitiert nach (Goethe). 524 „ein „ungelenksamer, steifer.*…+ dummer mensch“. Typischer Name im 18. Jahrhundert. (DWB), Bd. 17, Sp. 1214. 525 Grobian wurde in Sebastian Brandts Narrenschiff eingeführt. (DWB), Bd. 9, Sp. 417 bis 419. 263 Der fingierte Ortsname „Schlampampen“ meint das fabelhafte Schlaraffenland. Es ist ein Reimspiel aus zwei Verben und bedeutet nach Grimm „gierig, mit rohem behagen schlingen“, dann „leckeres essen, schmausen, prassen, ein gelage halten, in saus und braus leben“, „schlem526 men“. Die Völlerei-Anspielung wird in (B) durch den Zusatz „aus Frißland“ für Unkundige erläutert bzw. übersetzt. Als Frauenname findet sich „Schlampampe“ auch in den satirischen Stücken Der ehrlichen Frau Schlampampe Krankheit und Tod (1696) und Letztes Denck- und Ehren-Mahl der weyland gewesenen Ehrlichen Frau Schlampampe (1697) des Barockschriftstellers Christian Reuter, dessen Schelmenfigur Schelmuffsky als eine Vorlage für Gottfried August Bürgers Münchhausen (1786/1789) diente. 527 Der fiktive Druck- bzw. Hinrichtungsort „Tripsdrill“ in (A) - im Sinn eines närrischen Utopia oder Narragonien - entstammt dem Wolfacher Fastnachtsspiel Die Weibermühle von Tripsdrill von 528 Georg Anton Bredelin. Dessen Entstehungsdatum zwischen 1784 und 1797 fällt mit dem vermuteten Druckdatum des Unverdienten Todesurtheil um 1790 zusammen. Die Form „Kribsdril“ in (B) lässt sich als phonetisch bedingte Variante erklären, bei der der subtile Bezug zur zeitgenössischen Komödienliteratur verloren ging. 526 (DWB), Bd. 15, Sp. 436 bis 438. Nachweise für das Verb schlampampen finden sich auch bei Jean Paul, Siebenkäs E.T. A. Hoffmann und Heinrich Heine. 527 (Fechner, „Reuter“). 528 (Schrader). Die Altweibermühle in Tripsdrill im Schwarzwald ist der älteste deutsche Vergnügungspark. 264 7.1.2 Verzerrte Hoheits-Formeln A) Urgicht. Abwesend vor dem barmherzigen Malefitzgerichte öffentlich sitzender Uebelthäter hat in denen mit ihm unterlassenen Constitutis in kalekutischer Sprache soviel theils geläugnet, theis [sic!] wurz wegdisputiert : A) In diesem nun bestehet des Malefikanten unterlassene Aussage, welche dann seinem gräulichen Verbrechen gemäß zu seinem unverdienten Lohn, andern zum lächerlichen Beyspiel dem Meister Rixstix übergeben, in einer Senfte zur Richtstatt geschleipfet, dessen Leib sodann mit 4 Schnecken in schnellester Langsamkeit zerrissen, die Seele auf eine Stange gesteckt, und also vom Tod zum Leben gebracht werden soll. 529 Die gestelzte, lateinisch durchsetzte Sprache der Juristen sei „kalekutisch“- kollernd, aufgebläht und unverständlich wie ein Truthahn 530 – oder eben „poßierlich“, wie Nicolai es nannte. Die Persiflage lebt davon, dass festgefügte Redeteile durch ihr Gegenteil ersetzt werden, jedoch nur soweit, dass die Originalformel anhand der Nomen unzweideutig zu erkennen ist. Die amtliche Fassung der Eingangsformel lautet etwa: „Anwesend vor dem strengen Malefizgericht öffentlich stehender Uebeltthäter hat in denen mit ihm (teils gütlich teils peinlich) durchgeführten Verhören gestanden.“ 531 Diese satirische Strategie ist nur möglich, weil die öffentlich bekannt- gegebenen Todesurteile in immer gleichen festgefügten, teilweise juristisch notwendigen Ausdrücken formuliert und dem Publikum wohlvertraut sind. Die Sprache der Obrigkeit wird erkennbar verzerrt, aber nicht durch etwas Neues ersetzt. 529 Interessant im kulturellen Kontext ist, dass nicht Witzliwutzlis Kopf, sondern desen Seele auf die Stange gesteckt werden soll. Hier klingt der jahrhundertelange Diskurs um den Dualismus von Leib und Seele an bzw. die zeitgenössische Suche nach dem „Organ der Seele“. So der Titel des Buchs von Samuel Thomas Sömmering (1796), mit einem Nachwort von Immanuel Kant und verlegt bei Friedrich Nicolai. Es erregte viel Aufsehen unter den Gelehrten Deutschlands; die Reaktion war allgemein ablehnend. Siehe (McLaughlin). 530 531 Ein aus Calicut (Malabar) stammender Hahn. (Pomser). Hervorhebung von mir. 265 7.1.3 Oxymora wider Natur und Gesellschaftsordnung A) 5. Als er zu Augsburg an der Donau bey eitler Nacht zum Kammerfenster hinausguckte, erblickte er auf dem hiesigen Frauenthurmknopf [= Frauenkirche in München. MB] einen Schneider, der eben an einem seidenen Stiefel arbeitete, er gab auf selben mit einer ledernen Pistole Feuer, verfehlte aber selben, und traf einen auf seiner Achsel sitzenden zahnluckichten Floh, der eben beim Mittagsmahl war, schoß ihm das linke Auge aus, bleßirte ihn auch tödtlich an der rechten Ohrwaschl und großen Zehe: der Schneider durch dieses erschreckt, ließ die Nadel fallen, so dass durch ihren schweren Fall das Kirchendach, und alle umliegenden Häuser zerschmettert. B) Zwölftens: Hat er sich am St. Nimmerstag in eine 3 Ellen von München entlegene Bauernhütte mit grossem Tumult bey helle Tage hineingeschlagen, mit einer Käßrinde ein Licht geschlagen, und mit einem angezündeten Eiszapfen aus dem inneren Kabinet des Bauern 50 Fueder grün Heu, 490 Schöber Stroh heraus gehollt, worauf er in einer 6 Meilen davon entlegene Kammer sich verfügt, und aus einer eisernen Truchen, die er mit einem Strohhalm aufgesprenngt, eine pelzene im Feuer vergoldete Dose, einen leinenen Roßstrigl, einen Baumwollenen Luster, 12 Dutzend silberne Zinnteller, ebenso viel seidene Schisseln und Hafen, auch einen zwirenen Wasch-Keßl, und einen bleienen Feuerhund, nebst einem Eisenkrigl, einen papiernen Gartengießer, eine Holzscheer, eine wachsene Nadel sammt 2 paar Ochsen, eine Heerde fette Schwein und noch viele andere nicht beträchtliche Kostbarkeiten [herausgebracht]. 532 Die Lust am Fabulieren, am Erfinden „unmöglicher“ Kombinationen wird hier ganz deutlich. Übertreibung, Aufschneiderei und Widersprüchliches im Sprachspiel des Oxymoron sind ein 533 wesentlicher Bestandteil der sich entfaltenden Lügengeschichte und Nonsens-Literatur. Baron von Münchhausen (1786) widersetzt sich in verblüffenden Paradoxien den Gesetzen der Natur. Im Unverdienten Todesurtheil werden die Gesetze der Gesellschaft vorgeführt: eine Bauernhütte enthielt niemals so viel Hausrat, geschweige denn „eine Heerde fette Schweine“ oder Ochsen. 532 533 (A) spricht nur von 160 Schober und listet nur sieben Kostbarkeiten. Vgl. (Menninghaus), (Liede). 266 Motive aus Märchen und Schwank werden öfter verwendet. Hier klingt der scharfäugige Jäger aus dem Märchen Sechse kommen durch die ganze Welt an, der einer Fliege das linke Auge ausschießen will. 534 Witzliwutzli bekennt, häufig „Schnee gedörrt, und für Salz verkauft“ (A) zu ha- ben: das ist ein Motiv aus dem Lalebuch (1597), dem Vorläufer der Schiltbürger. Fassung (B) bringt „Zucker“ statt Salz. Möglicherweise wurde das literarische Motiv nicht erkannt und durch die Kommodität des kürzlich entdeckten Rübenzuckers ersetzt. 7.1.4 Kritik an Geistlichen A) 8. Hat er einem Einsiedler zu Gägghofen in seine Residenz eingebrochen, alle Zimmer durchsuchet, und seiner Frau all ihr Geschmuck und Silbergeschmeid gestohlen B) Achtens: Hat er einem Einsiedler zu Bumblhausen alle Zimer und Kästen durchsucht, und seiner 90jährigen Jungfrau all ihr Geschmuck und Silbergeschmeid samt ihrer verdeckten V==== Perücke auf die grausammste Art mit Gewalt entrissen. 535 A) 10. Hat er sich währender Predigt in die Kapuzinerkirch zu Schwäbing einsperren lassen, und 16 goldene Kelch, 24 silberne Leichter, nebst andern zusamm gepackt, ist aber von der Meßnerinn, die dem P Guardian ministriren wollte, vertrieben worden. B) *…+ und 190 meist Goldene, 200 Silberne, 210 Zinnerne, 1802 Bleyene und eben so viel Hölzerne Leuchter, nebst andern Kostbarkeiten und eine Habit, sammt dem Mönchen, eine Schlafhaubevoll *sic!+ unsichtbarer Dukaten 2 Silberne Pfenning 2 paar Holzschuh *…+ Indem er diese entwandte Sachen in ein Schnupftuch zusammen gepackt, (alles aus wahre Lieb zu denen Kapuzinern) wurde er von der Messnerin, die eben dem P Quardian ministriren wollte, gesehen und mit einer ganz ausgebrannten Kerze vertrieben. Kritik an der Geistlichkeit, besonders den Mönchen, richtete sich meist gegen einen luxuriösen und unkeuschen Lebenswandel, der nicht mit den Forderungen des Ordens übereinstimmt. Als predigender Bettelorden haben sich die Kapuziner in der Nachfolge von Franz von Assisi der 534 (Grimm, Märchen). 535 Um 1800 gab es keine solche Kirche. Die Schwabinger Kapuzinerkirche St. Joseph wurde erst 1902 geweiht. 267 radikalen Armut und natürlich Keuschheit verschrieben. Wie auch an anderen Stellen, wird die relativ „sanfte“ Kritik der Fassung (A) von (B) ins Maßlose gesteigert und ergänzt sexuell derbe Anspielungen. 7.1.5 Re-Assoziierung von Wissen A) Ob du schon lang genug der Nemesis entgangen B) Ob du schon lang genugden [sic!] Namen Suß, entgangen Die Verwandlung der Rachegöttin „Nemesis“ in „Namen Suß“ assoziiert den Gauner Kizlibuzli mit dem Hofjuden Joseph Süß Oppenheimer, dem im Volk verhassten Bankier des Württembergischen Hofes, der 1738 gestürzt und ohne Urteil gehängt wurde. Die Hinrichtung in Stuttgart wurde von vielen Tausend Menschen besucht, sein Körper sechs Jahre lang in einem Eisenkäfig zur Schau gestellt. Diese Figur war im kulturellen Gedächtnis der Zeit präsent. (s. Kapitel 5.2.2.2, S. 113). Moralrede und Vergehenskatalog enthalten einige Zitate aus der griechisch-römischen Mythologie, wie sie im bürgerlichen Bildungswissen der Zeit verankert war. Dem Mann der Straße, von dem und für den der Nachdruck (B) angelegt wurde, waren die Bezüge unverständlich und sie wurden durch ähnlich klingende Wörter ersetzt. So werden „die Kahne des Charons“ (A) zu „die Kanne des Chorons“(B), welche nahe des „Passauer Dölpl“, dem als Wahrzeichen bekannten Riesenkopf, wieder verloren geht. Verdrehte regionale Bezüge aus dem oberbairischen/ österreichischen Raum garantieren auch an anderer Stelle Lokalkolorit und Lacherfolg, z.B. die Münchner Bennoglocke in der Hosentasche, der als Uhr verkaufte Kropf der Tiroler Mädchen, die falsche Zuordnung von Städten 268 und Flüssen (Ingolstadt an der Isar, Landshut in Schwaben, „Schmalzburg“ statt Salzburg). Die Tage Jakobi (25. Juli) und Bartholomäus (24. August) fallen „zur kältesten Winterszeit“, man er536 hascht „holländische Gremnitzer Dukaten“ . Interessanterweise ist die beigeordnete Moralrede kaum satirisch gestaltet. Abgesehen von zwei singulären Verweisen auf den Wortlaut des „verkehrten“ Urteils entspricht das Gedicht in Ton und Aussage („Nun wart auf dich die Straf, die sich nun dir gebührt | Du wirst noch diese Stund zur Schädelstatt geführt“, Z. 11-12) durchaus den echten Mahn- und Strafgedichten des 18. Jahrhunderts. Offenbar werden um 1790 diese Verse selbst als so lächerlich empfunden, dass sie ohne große Veränderungen eine Satire ihrer selbst abgeben. Insgesamt ist Unverdientes Todesurtheil als Spiel, als intellektuelles Vergnügen zu werten, als Sprachparodie zum „Kropficht- und Bucklichtlachen“, entstanden vermutlich im erwähnten „Branntweinladl“. Zwar bedient es sich einer obrigkeitlichen Textstruktur als Folie, aber der inhaltliche Spott bewegt sich im bewährten Rahmen. Der Text zieht so viele Register des Ulks, dass er darin sich selbst erschöpft. Abgesehen von Variationen, kann es keine Fortführung des „auf den Kopf Stellens“ geben. Aus einem „wohlverdienten Todesurteil“ kann eben nur einmal ein „unverdientes“ werden. Die Parodie einer Sprachreglementierung bleibt selbst reglementiert. 536 Golddukaten aus dem böhmischen Kremnitz waren weit verbreitet. 269 7.2 Neumode-Todesurtheil: Die Ständekritik Eine andere Parodie hingegen, direkt aus München, nutzt den strukturellen Aufbau des Todesurteils zu einer weitgefächerten Gesellschaftssatire. Alphons Razipuz, vulgo LeutschrekerSeppel, wird 1782 „zu Ipsilonshofen Gerichts Schrekbüchel in Baiern“ wegen 33 begangener Diebstähle und Misshandlungen zum „lachenden Tod“ verurteilt. 537 Die chronologische Auf- listung der Missetaten in einem Originalgeständnis entspricht dem schon aus dem Schelmenroman bekannten Prinzip der episodischen Reihung. Razipuz entwendet und stibitzt, und gemäß dem Motto „Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen“ werden ganze Berufsstände dem Gelächter preisgegeben: geschäftstüchtige Geistliche mit Mätressen und Kindern, geckenhafte adlige Stutzer, Bierverwässerer und Kaffeeverfälscher. Dazu kommen Teufelsbeschwörer, Projektemacher und Fehltritte von Herren der gehobenen Gesellschaft. Der Literaturbetrieb wird besonders oft Ziel des Spottes: Moralreden und Komödien werden zur Folter eingesetzt (Punkt 2), der die Autoren ausbeutende Buchhändler verliert den letzten Rest seines Gewissens (4), „entwendete Delinquent einem gewissen Zeitungsschreiber *…+ einen Vorrat an Lügen, der wohl auf zehn Jahre hinreichend war, so dass dieser hie und da mit Wahrheiten wird unterspiken müssen“ (8). Besonders interessant ist der Abschnitt zu den „Galgenliedern“: Neunzehntens: Hat der Erzschelm dem Verfasser der so berufenen Galgenlieder de dato 1781. aus dem Kasten seines Gehirns die zwei obern Schubladen entfremdet, in welchen allerhand prächtige Aufsäze, gelehrte Entwürfe, und sinnreiche Gedanken gewesen seyn sollen, ist ihm also nur die unterste übriggeblieben, in welcher nichts anderes mehr war, als einige gleiche Ausgänge zu Reimen, aus denen er nun die Armesünderlieder zusam537 (Westenrieder). 270 menflikt, als z.B. Pfaffen Affen. Frau Sau. Schopf Kropf. Leider Schneider. Graf Schaf. Wurst Durst. Lieb Dieb. Wixen Strixen. Hosen Franzosen ec. Möglicherweise richtet er sich gegen Mathias Ettenhueber, der in dieser Zeit quasi ein Münchner Monopol auf das Abfassen – oder Zusammenflicken – der Moralreden hatte. 1781 ist auch das Jahr, in dem Friedrich Nicolai sich über die „angehängten erbärmlichen gereimten Moral538 reden“ empört. Möglicherweise entstand das stände- und genrekritische Neumode-Todes- urtheil im Umfeld der aufgeklärten Akademie der Wissenschaften, in die Nicolai als auswärtiges Mitglied aufgenommen wurde. Der Titel Der arme Sünder auf das Jahr 1782 lässt sich als Persiflage auf ein Grußwort zum Jahresanfang auffassen. Insgesamt verbleibt das Neumode-Todesurtheil im Komischen, das sich hier an relativ harmlosen Inhalten festmacht. Kritik und Satire richten sich nicht gegen Maßnahmen der Regierung oder gar gegen den Kurfürsten. Zwanzig Jahre später, im sozialen und politischen Aufruhr der Französischen Revolution, wird dies anders sein. 7.3 Joseph N. Vulgo Patriot: Das subversive Todesurteil Am 11. Oktober 1800 ergeht ein Wohlverdientes Todesurtheil des Joseph N. Vulgo Patriot, wegen des höchstvermessenen und tollkühnen Verbrechen der Verfassung der aufrürerischen Schrift: Wahrer Überblick der Geschichte der bairischen Nation, sohin puncto criminis perduellionis [Majestätsverbrechen MB]. 539 Joseph N. erleidet den gesetzmäßigen Tod für Hochverrat, die Vierteilung. Er wird mit glühenden Zangen gezwickt und auf einer Kuhhaut zum Richtplatz 538 539 (Nicolai), Bd. 10. S. 766. (Strobl). 271 geschleift, wo er durch Pferde zerrissen und der Kopf auf einem Schnellgalgen ausgestellt wird. Dieses Procedere klingt zunächst realistisch, wäre da nicht die Hinweistafel am abgeschlagenen Kopf: Strafe in diesem Lande für Gelehrsamkeit, Vaterlandsliebe und Aufklärung. (Abbildung 41, S. 273). Dieses Armesünderblatt vom Oktober 1800 aus München ist nicht „komisch“, sondern politisch subversiv. Es ist ein beißender Kommentar zur aktuellen politischen Situation in Bayern zur Zeit der deutschen Koalitionskriege gegen die Truppen der Französischen Revolution. Das Pamphlet bildet einen direkten intertextuellen Zusammenhang mit anderen republikanischen „jakobinischen“ Flugschriften 540 , die in Süddeutschland zirkulierten: a) die Danksagungsadresse von der bairischen Nation an Max Joseph IV. 541 ; b) die Schrift Wahrer Ueberblick der Geschichte der Bairischen Nation, oder das Erwachen der Nationen nach einem Jahrtausend 542 ; c) und zuletzt das satirische Wohlverdiente Todesurtheil des Jospeh N. Vulgo, der Patriot, vom 11. Oktober 1800, der eben wegen des Wahren Überblick exekutiert wird. Dort wird im Anhang das vergleichsweise milde Urteil gegen den Verfasser der Danksagungsadresse dargestellt: er wird dem heimkehrenden Kurfürsten zujubeln müssen. 540 Der Begriff „jakobinische Flugschrift” lehnt sich an die Sammlung des DDR-Historikers Heinrich Scheel von 1965 an, vgl. (Scheel). Er soll hier nur im Sinne von „regierungskritisch” und “franzosenfreundlich” verstanden werden, nicht als eindeutige historisch-ideologische Zuschreibung. Zu Recht kritisieren Siegline Graf und andere die marxistische Geschichtsinterpretation Scheels, und betonen, dass den bayrischen „Jakobinern” der notwendige Bezug auf das revolutionäre Frankreich fehle. (Graf), S. 118-120. 541 Scheel, S. 228-292. 542 (Wahrer Ueberblick der Geschichte der baierischen Nation, oder das Erwachen der Nationen nach einem Jahrtausend). BSB Bavar. 2623. Abgedruckt bei Scheel, S. 292-321. 272 Abbildung 41. Todesurteil des Joseph N. vulgo Patriot (München 1800). BSB RES. 4 Bavar. 3000, XV, 10a. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. 273 Im ersten und zweiten Koalitionskrieg gegen die Französische Republik unter Napoleon war Bayern zwischen alle Fronten geraten und drohte, seine staatliche Integrität zu verlieren. 543 Die planlose Neutralitätspolitik des ungeliebten, absolutistisch und autoritär regierenden Kurfürsten Karl Theodor (1777-1799) ließ Bayern ohne Verbündeten, ohne Heer und ohne Geld. 544 Besonders das Verhältnis zum Erzrivalen Österreich gestaltete sich äußerst problematisch wegen der Gebietsansprüche und einer erzwungenen Koalition, in deren Namen österreichische Truppen über zehn Jahre hindurch Bayern besetzten. So hoffte man 1799 auf eine grundlegende Änderung der innen- und außenpolitischen Situation beim Amtsantritt des als franzosenfreundlich bekannten Kurfürsten Max IV. Joseph (1799-1825) und seines Ministers Maximilian von Montgelas (1799-1817). Schon der letzte Krieg war unpopulär gewesen, und nun wollten nicht nur ein großer Teil der Bevölkerung, sondern auch die politisch einflussreichen Stände, hohe Beamte und Diplomaten die Koalition mit dem verhassten Österreich aufkündigen und mit Frankreich verhandeln. 545 Den meisten schwebte eine von Frankreich, Preußen und Russland gestützte Neutralität Bayerns vor; man realisierte nicht, dass weder Frankreich noch Österreich eine solche zulassen würden. 546 Übers Jahr wurden die liberalen Hoffnungen der Bürger jedoch enttäuscht. Durch die Hintertüre gelangten die reaktionären Kräfte wieder zu Einfluss. Eine Zensurverschärfung wurde angekündigt: man benötigte ab März 1800 eine Spezialbewilligung für alle Schriften über innere und 543 544 545 546 (A. Kraus), (Weis). (A. Kraus), S. 362. (Schaich), S. 463. (Weis), S. 38. 274 äußere Staatsangelegenheiten. 547 Max IV. Joseph schloss sich der Koalition von Österreich und Preußen gegen Napoleon an. Er unterschrieb im April einen Subsidienvertrag mit England, wonach 1200 bayrische Soldaten unter englischen Sold dienen sollten; der Vertrag wird von Kritikern als „Menschenhandel“ gebrandmarkt. Im Juni floh der Kurfürst mit seinem Hof vor den einmarschierenden Truppen des General Decaen aus München nach Amberg, während die Bevölkerung die disziplinierten französischen Truppen willkommen hieß. Man hatte das Vertrauen in die kurfürstliche Haltung verloren. Besonders Minister Montgelas wurde jetzt als Hindernis für einen immanenten Frieden empfunden. Die Stimme der öffentlichen Meinung 548 äußerte sich in Zeitungen und Flugschriften, die sich seit April 1800 mehrten, aber auch in den Debatten des Münchner Jakobinerclubs. Eine populäre Schrift war die höhnische Danksagungsadresse von der bayrischen Nation an 549 Max Joseph IV, wohl aus der ersten Augusthälfte. 550 1800. Der ungenannte Verfasser be- 547 Kurfürstliches Reskript vom 4. März 1800. Zitiert nach (Graf), S. 140, Anm. 91. Das Bücherzensurkollegium, das unter dem von Karl Theodor eingesetzten Direktor von Schneider die Vorzensur außerordentlich scharf und pedantisch gehandhabt hatte, war 1799 von Montgelas aufgelöst und durch die Bücher-Spezialkommission unter dem aufklärungsfreundlichen Lorenz Westenrieder, einem ehemaligen Illuminaten ersetzt worden. Man wagte man sich zunehmend mit seiner Meinung an die Öffentlichkeit. Eine unkontrollierte Freigabe der „Preßfreiheit“ allerdings hätte gar nicht dem Verständnis der Aufklärung entsprochen, die in der Zensur ein hilfreiches Instrument zur Qualitätsförderung sah. 1803 wird die Kommission ganz aufgelöst und die Zensur der Polizei unterstellt. (Hanuscheck), (Haefs und Mix). 548 Abgedruckt bei (Scheel), S. 83-287. Entstanden im März/April vor der französischen Offensive, wurde aber erst im September mit einem aktualisierenden Anhang gedruckt. 549 (Danksagungsadresse von der baierischen Nation an Max Joseph IV. ). Abgedruckt bei Scheel, S. 33-291. BSB Bibl.Mont. 3218-13,1/11. Es gibt ein Erwiderung An den Verfasser der Danksagungsaddresse von Aloys Mayer, 1800. Signatur BSB Bavar. 4053,20. (Mayer). 275 dankt sich für „alle die Wohlthaten, die der Kurfürst [Maximilian IV. Joseph] dem Lande in so kurzer Zeit erwiesen, daß er viele tau[s]end Landeskinder verkaufte, damit und den besten 551 Sachen davon lief, und so das Land in das größte Elend und Verzweiflung stürzte“. Der Fürst als Person und Amtsträger wird bewusst der Lächerlichkeit preisgegeben. Erstmals erscheint seine Funktion als im staatlichen Gemeinwesen entbehrlich. 552 Auch wenn die Vorstellungen von einer Neuordnung des bayrischen Staates noch vage formuliert sind, so müssen die Ideen als gefährlich empfunden worden sein: ein Verbotsantrag vom 22. August 1800 ist nachweisbar. 553 Trotz Verbotes und Konfiszierung war die Flugschrift in München und im Land weit verbreitet, wie die Münchner Polizei und der Allgemeine Literarische Anzeiger feststellten. Sie sprach den Bürger und den „Landmann“ an. Die zweite aufrührerische Schrift argumentiert historisch. Wahrer Ueberblick der Geschichte der Bairischen Nation, oder das Erwachen der Nationen nach einem Jahrtausend ist in der Tat eine bitterböse Abrechnung mit der jahrhundertelangen Ausbeutung und Unterdrückung Bayerns durch das „Erzhaus“ Österreich. Die revolutionäre Hoffnung auf eine Neugestaltung der Nation 550 Scheel schlägt als möglichen Verfasser den Münchner Buchhändler und Verleger Professor Johann Baptist Strobel vor, dessen Verkaufsladen von den Münchnern Patrioten-Buchhandlung genannt wurde. So Scheel, S. 39. Strobel gab ab 1795 das Churbayrische Intelligenzblatt heraus, eine Plattform für aufklärerische und patriotische Ideen. Vgl auch sein Werk Über Publizität und Pasquill. Eine Denkschrift, Franz, München 1785. (Brantl). In der Sekundärschrift Todesurtheil wird „Karl. N. pensionierter Rath in München“ als Verfasser genannt. 551 552 553 S.6. Vgl. die ausführliche Diskussion bei Graf, S. 142. Graf, S. 141. 276 und des freien Süddeutschlands 554 wird begrüßt: „Und so setzen sich zugleich der große Held der Republik Bonaparte und der glänzende Sieger von Deutschland Moreau die schönsten 555 Denkmäler.“ Die 90seitige Broschüre entstand wahrscheinlich in der ersten Augusthälfte 1800. Der angegebene Druckort Straßburg ist fingiert um Verfasser und Verleger zu schützen. 556 Ein tatsäch- liches Verbot – oder ein Verbotsantrag – dieser Schrift kann nicht belegt werden 557 , ist aber durchaus möglich. Im Gegensatz zur mehr volkstümlichen Danksagungsadresse richtet sich die theoretisch orientierte Abhandlung an ein gebildetes und selbstbewusstes Publikum, das die historischen und staatsrechtlichen Grundlagen für eine Veränderung der bayrischen Verhältnisse und die Errichtung einer süddeutschen Republik diskutiert. 558 Der dritte Text, das Wohlverdiente Todesurtheil des Josep N., vulgo Patriot vom 11. Oktober 1800, rezipiert und verbreitet die Hauptargumente der Vorgänger-Schriften in einer subversivsatirischer Darstellung. Das Urteil gegen den „der menschlichen Gesellschaft zwar sehr nützlichen, dem Hofe, dem Adel und der Geistlichkeit aber sehr gefährlichen Uebelthäter“ soll 554 Scheel verweist auf frühere Denkschrift als Vorlage: Über Süddeutschland (1799), die dann in französischer Übersetzung von “les citoyens du midi de l’Allemagne” der französischen Regierung vorgelegt worden sei. Scheel, S. 40. 555 (Wahrer Ueberblick der Geschichte der baierischen Nation, oder das Erwachen der Nationen nach einem Jahrtausend), S. 75. 556 Graf, S. 142. 557 Vgl. Brief von Dr. Hörner, Bayerisches Hauptstaatsarchiv vom 14.9.2012. (Hörner, Brief 'Wahrer Ueberblick'). 558 vgl. die ausführliche Aufarbeitung der Argumentation bei Graf, S. 142-156, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll. 277 „derlei liederlichen Gesindels von Gelehrten, Volksfreunden und Patrioten, überhaupt solcher Bürger und Bauern, und dann aller armen Leute Freunde und Unterstützer“ zum abschreckenden Beispiel dienen. Zweifelsohne wird der Leser in eben diesem illustren Kreis zu suchen sein. Getarnt als verbatim erfasstes Geständnis, werden kritisch-polemische Argumente verbreitet: ein erstes Mal in der die Verbrechen zitierenden Anklage, und ein zweites Mal in der protokollierten Erwiderungsrede. Der Patriot nutzt sein Rederecht, bis er von der obrigkeitlichen „Untersuchungskommision“ daran gehindert wird, „den unempfindlichen Commisarien die derbsten Wahrheiten ins Gesicht zu sagen, und dadurch seine Verbrechen zu mehren“. Joseph N.s Auslassungen belegen die Verwerflichkeit und Begehrlichkeit Österreichs mit Beispielen aus der jüngsten Vergangenheit. 559 Die regierungsseitliche Truppenaufstellung im Rah- men des englischen Subsidienvertrags wird als „abscheuliche[r] Menschenhandel“ beschrieben, durch den bayrische Bauernburschen wie Schlachtvieh dem Krieg geopfert würden. Zuletzt fordert der Malefikant eine radikale Um- bzw. Rückkehr Bayerns: * …+ indem er sogar der bairischen Nation anrieth, sich vereint mit den ebenso unglücklichen Schwaben und Franken eine neue Konstitution, oder vielmehr die alte Verfassung wieder zu geben, die dem wahren Sinne der katholischen Religion und den Menschenrechten angemessen wäre, sohin wahren Wohlstand und Glück nicht bloß für den Adel und die Geistlichkeit, sondern auch für Bürger und Bauern bewirkte. 560 Die Forderung nach einer republikanischen Verfassung tarnt sich als gerichtlicher Anklagepunkt, dem Verhörprotokoll gemäß in indirekter Rede wiedergegeben. Eine ähnliche Strategie wird im 559 1797 sicherte sich Österreich im Geheimabkommen von Campo Forino bayrische Gebiete als Entschädigung für eigene Verluste an Frankreich. 560 S. 3. 278 Anhang bei der Dank-Adresse an Sr. Kurfl. Durchl eingesetzt, die ebenfalls mit dem Verbrechen der Majestätsbeleidigung belastet ist. Kritik am Hof wird als „reumüthige[s] Bekenntnis" widergegeben. Weil der Angeklagte versichert, es in Zukunft als Gnade anzusehen, wenn der Hof den Bauern und Bürgern „alles bis aufs Hemd nimmt" und Vivat auf den Landesfürsten zu rufen, kann er auf Begnadigung hoffen. Durch die ironische Form etabliert der Verfasser seine Argumente und schützt sie zugleich, indem er die Aussagen als unrichtig ablehnt. Insgesamt sind die Markierungen als Satire so subtil, dass sie bei einem flüchtigen Blick übersehen werden können. Das Todesurteil benutzt ein vorgeschriebenes Element des Verbotsverfahrens – die detaillierte Urgicht – um eben dieses Verbot subversiv zu unterlaufen und ad absurdum zu führen. 561 Das, was hätte ungesagt bleiben sollen, wird durch die amtliche Anklage erst öffentlich gemacht. Als regelgerechtes Geständnis getarnt, erzwingt die Kritik von ihren Gegnern das Publikmachen der republikanischen Ideen, die öffentliche Wirkung. Indem die Argumente als Vorwürfe von der Obrigkeit erhoben werden, haben sie Teil an der obrigkeitlichen Macht: sie werden authentifiziert und vor dem Verschweigen bewahrt. Auch kulturell und psychologisch wird den „letzten Worten“ eines Sterbenden – auch eines Hingerichteten – große Bedeutung und ein hoher 562 Wahrheitsgehalt zugemessen. Sie werden sorgfältig aufgezeichnet und besprochen. An 561 Der Schriftsteller, Publizist und Editor Erasmus Francisci umging in ähnlicher Weise eine Sperre zu Berichten über die republikanische Revolution unter Cromwell und Enthauptung von Charles I. In Der hohen Trauerr-Saal (1665) warnt er zwar seine Leser, den Worten der Rebellen keinen Glauben zu schenken, aber zitiert ausführlich Ansprachen und Gebete der Puritaner auf dem Weg zum Galgen. 562 (Guthke). In England entwickelte sich eine ganze Textgattung um die „Last Dying Speeches”, die auch auf dem Kontinent übersetzt und verbreitet wurden. Vgl. (Sharpe). 279 diese Auffassung knüpft das Todesurtheil an, es gibt den vorgebrachten Ideen noch mehr Gewicht. Betrachtet man das Wohlverdiente Todesurtheil unter dem Aspekt des Literaturmarktes, kann man provozierend argumentieren: Es ist ein Werbetrick, ein cleverer Schachzug, um Leser und Käufer für den Wahren Ueberblick zu finden. Nicht umsonst sind sowohl Titel als auch die Schlagworte „Strafe *…+ für Gelehrsamkeit, Vaterlandsliebe und Aufklärung“ gesperrt gedruckt, um den Blick des Kunden auf sich zu ziehen. So reizt die kleine billige Flugschrift nicht nur als eigenständige Lektüre, sondern macht auch auf das größere Werk aufmerksam. Das Format des Todesurteils überhöht die Gefahr, die der von der „aufrührerischen“ Schrift ausgehen mag, und steigert so das Kaufinteresse. Selbst wenn der Originaltext in der Realität vielleicht gar nicht im Giftschrank der verbotenen Werke gelandet ist (oder gelandet wäre 563 ), so konnte der Verleger oder Buchhändler – möglicherweise ebenfalls der Münchner „Patriot“ Johann Baptist Strobel – so tun als ob. Das lokal verankerte Armesünderblatt ersetzt in gewissem Sinne die Literaturrezension in einer überregionalen Zeitschrift der Aufklärung. 564 Das Todes- bzw. Schandurteil wegen Majestätsbeleidigung ist zwar fingiert, aber nicht gänzlich außerhalb der Vorstellung in jener Zeit, in der das Konzept der Monarchie grundlegend in Frage gestellt wurde. Die fraglichen Schriften waren ja tatsächlich verboten worden, und die Obrigkeit versuchte, den Vertrieb zu unterbinden. Das Urteil gegen einen missliebigen Schriftsteller bewegt sich im unsicheren Grenzraum zwischen Wirklichkeit und Befürchtung, zwischen tatsäch563 Vgl. (Hanuscheck). 564 In der Bielefelder Datenbank mit Zeitschriften der Aufklärung konnte keine Rezension nachgewiesen werden. 280 licher Erfahrung der Zensur und anklagender Abwehr. Die aufs Äußerste gesteigerte Perzeption und Präsentation als Todesurteil „bespricht“ die Angst, um sie zu bannen. Gleichzeitig reflektiert es reale Erfahrungen mit dem harten Strafsystem des Absolutismus, in dem ein Menschenleben wenig wert war. Hundert Jahre später wird Joseph Ruederer es für das verbriefte Schicksal eines unbequemen Schriftstellers halten: Die Münchner wollten nie recht verstehen, wie ichs darstellte; sie wünschen retouchierte Photographien und verlangen, dass aus dem vorgehaltenen Spiegel ein anderes Gesicht herausschaut als das, was hineingrinst. Jedenfalls sind sie in diesem Punkt äußerst empfindlich, und dass sie das immer schon waren, beweist mir das Schicksal des Josephus R., das mir nicht mehr aus dem Kopfe will. Mit glühenden Zangen gezwickt, von vier Pferden zerrissen und dann gar noch mit allen möglichen und unmöglichen Körperteilen zur Warnung öffentlich aufgespießt — ich danke für so was. 565 Das hier besprochene Todesurteil des Patrioten hat eindeutig eine politische Zielrichtung, explizit auf die bayrische Situation zwischen Österreich und Frankreich ausgerichtet. Damit geht es weit über die anderen Armesünderparodien des 18. Jahrhunderts hinaus, die einer traditionell geformten Ständekritik verhaftet blieben. Es ist Teil und frühes Beispiel einer gesellschaftlichen und medialen Entwicklung, als sich in den Jahren zwischen Napoleon und der Paulskirche die politisch-satirische Literatur in Deutschland herausbildete. 566 Dort dienen auch andere sepulkrale Rituale als Spott- und Kritikform im republikanischen Diskurs, wie Wolfgang Cillessen am Beispiel der die satirischen Begräbnisrituale in der Bildpublizistik aufzeigt. den gesellschaftliche Werte symbolisch „zu Grabe getragen“ 565 566 567 (Ruederer). Vgl. (Clark); (Coupe). (Cillessen und Reichardt). 281 567 Bis heute wer- 7.4 Erdlieb Luftballon: Variationen über einen Verblichenen Um 1780 waren Armesünderblätter, Moralreden, Lieder und verwandte Texte zu denkwürdigen Todesfällen fest im süddeutschen Literatur- und Medienbetrieb verankert. Seit mehr als zwei Generationen wurden sie zur Erbauung und zur Unterhaltung vertrieben. Augsburg hatte sich dabei besonders rege als Druck- und Vertriebszentrum für den gesamten oberbayrischen Bereich etabliert. Als sich nun 1786 in der Reichsstadt ein spektakulärer „Todesfall“ ereignete, liegt es nahe, diese Form für spöttische Kommentare aufzugreifen. Europa war im Ballonfieber. Den Gebrüdern Montgolfier war 1783 im französischen Annonay der erste öffentliche und der erste bemannte Aufstieg eines Heißluftballons gelungen und binnen kürzester Zeit berichteten Zeitungen, Zeitschriften, Flugblätter über das Ereignis. Neue Entwicklungen wurden kontinuierlich in den Medien verfolgt, kommentiert und in den Blättern beworben. Theaterstücke, Kalender, Guckkästen, wissenschaftliche Berichte, sogar die Haarmode beschäftigte sich mit der Luftschifffahrt. 568 Die zahlreichen Kopien ausländischer Drucke und visueller Darstellungen erschienen größtenteils ins Augsburg, authentifiziert durch den Zusatz „Nach dem Pariser Original“. In ganz Deutschland verfolgte man eifrig das gesellschaftsübergreifende Phänomen; so kommentierten Christoph Martin Wieland in seinem Teutschen Merkur und Christoph Lichtenberg in seinem Göttingischen Magazin die Versuche mit Heißluft und Gasballon. 569 Die deutschen Aufstiege selbst fielen zunächst bescheidener aus. Neben einer zentralen Wissenschaftsförderung fehlte es vor allem an einem großen städtischen Zentrum mit genügend Subskribenten, um ein solch kostspieliges öffentliches 568 569 Vgl. dazu ausführlich (Trabert). (Trabert), S. 50. 282 Abbildung 42. Anatomierung des Erdlieb Luftballon (Augsburg 1787). SuSB Aug 1479 -13a. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. 283 Ereignis zu finanzieren. Geplante bemannte Aufstiege scheiterten, aber es etablierten sich kleine phantasievolle Ballonformen als Jahrmarktsattraktion. 1786 reiste Baron Joseph Maximilian von Lütgendorf, ein ideenreicher Erfinder, nach Augsburg, um dort als Deutschlands erster Luftschiffer aufzusteigen. Augsburg wurde wegen der dortigen geschickten Handwerker gewählt, die für den Aufbau des Experiments gebraucht wurden. Am 15. Februar 1786 schrieb Lütgendorf eine Subskription aus, die ein weit über Augsburg hinaus wirkende Medienflut auslöste. Die illustrierte Pränumerationsanzeige sowie eine Gedenkmedaille suggerieren bereits den Erfolg des Unternehmens. Die Klassifikation „erster teutscher Aeronaute“ zieht durch das Schrifttum, man will mit Frankreich gleichziehen. Zahlreiche Kupferstiche und Loblieder kursieren schon vor dem eigentlichen Aufstieg. Ein Amphitheater mit bezahlten Sitz- und Stehplätzen wird errichtet, Emanuel Schikaneder komponiert eine Operette Der Luftballon, Militär soll die öffentliche Sicherheit schützen. Beide Augsburger Zeitungen berichten kontinuierlich über den Fortgang des Unternehmens. Am 24. August endlich, nach mehreren Verzögerungen, versammelten sich 100 000 570 Menschen mit großer Erwartungshaltung, doch an allen drei aufeinanderfolgenden Tagen schlug das Unternehmen fehl: zuerst wegen schlechten Wetters, dann versagte das VitriolEisenspäne-Gemisch und produzierte nicht genügend Wasserstoff. Das Publikum muss „leider! mit langer Nase“ wieder abreisen. 571 Man verlagert das Experiment nach dem benachbarten Gersdorf, wo am 2. September ein nochmaliger Füllversuch von Bergrat Riedel ebenfalls misslang. Lütgendorfs groß angelegte und publizierte „Performance“ war gescheitert. Erst 1805 570 571 So der Historiker Friedrich Carl Gullmann. Zitiert nach (Trabert), S. 55. Friedrich Nicolai in einem Brief, zitiert nach (Trabert), S. 50. 284 wird Friedrich Wilhelm Jungius die erste deutsche Ballonfahrt glücken, und 1811 stieg Wilhelmine Reichard als erste deutsche Frau alleine auf. Das Scheitern des Lütgendorfschen Unternehmens wird in den Medien nicht minder ausführlich als sein proklamierter Erfolg ausgebreitet. In ihrer Medienanalyse stellt Susann Trabert fest: Im Gegensatz zu den Zeitungen, die nüchtern über das Misslingen berichteten, wurde das nicht stattgefundene Ereignis umso mehr in Bildflugblättern und Flugschriften thematisiert und bewertet. So verurteilten vor allem zahlreiche Schmähschriften die vorausgegangenen Ereignisse. 572 Trabert stützt ihre Analyse auf drei Dokumente: das Urteil, ein an Fürchtegott Gellert angelehntes Gedicht über den Betrüger Hanns Nord der Zweyte und einen illustrierten Kalender, dessen Dezemberblatt den voreilig gepriesenen Lütgendorf verspottet. Wie gezeigt werden soll, fasst jedoch ihre Interpretation als „Schmähschrift“ etwas zu kurz. Es konnten noch einige weitere Flugschriften aus diesem Umfeld identifiziert werden, die hier besprochen werden sollen. Allen gemeinsam ist die Thematik des „Ablebens“, die in unterschiedlichen juristischen Textsorten variiert wird. Es werden amtliche und poetologische Register, die man aus dem Umkreis von Todesfällen kennt, parodiert. Die Flugschriften folgen den Ereignissen Schritt für Schritt, für jede Station wird die passende Textsorte ausgewählt. Sie entstanden um die Jahreswende 1786/1787, zwischen dem Scheitern in Augsburg und dem letztendlichen Aufgeben des Vorhabens in Gersthofen. 573 Interessanterweise verschiebt sich der Focus: Lütgendorf ist nicht direkte Zielscheibe des Spottes, sondern der anthropomorphe Ballon 572 573 (Trabert), S. 56. Über den weiteren Verbleib des Lütgendorf’schen Luftschiffes ist nichts bekannt. 285 „Erdlieb Luftballon“ tritt an dessen Stelle. Er ist selbst Opfer der Machenschaften und Vernachlässigung durch den „Prinzipalen“, bloß eine bemitleidenswerte leere Hülle. Alle Schriften besitzen reiche Titelillustrationen für ein weniger lesekundiges Publikum. a) Schreckbares und wohlverdientes peinliches Urtheil, welches in allhiesiger löblichen Reichsstadt Augsburg auf den sieben Tischen an Erdlieb Luftballon den 2. September 1786 vollzogen worden. 574 Erdlieb wird der Hexerei bezichtigt und aus Augsburg verwiesen, ein Vorwurf, der trotz der Aufklärung noch Widerhall in der Bevölkerung gefunden haben mag: Die Luftfahrt galt 575 als ein typisches Merkmal für Hexerei. Letztendlich wird er als Weissager und Fälscher, der gegen die natürlichen Gesetze verstieß, gebrandmarkt und des Landes [nach Gersthofen] verwiesen. Baron Lüttgendorf wird freigesprochen und seine Ehre wieder hergestellt. Das Titelblatt verweist auf die beiden folgenden Schriften, die alle im „Müllbergerladen nächst der Hauptwache“ zu haben sind. b) Hanns Nord der Zweyte. 576 Dies ist ein an Fürchtegott Gellert angelehntes Gedicht über einen Betrüger. Es endet mit der Aufforderung „Augsburger! Zieht die Oden ein, / Und wickelt schmutzgen Käse darein.“ Dasselbe Motiv wird später im Testament aufgegriffen. Dieser Text konnte nicht eingesehen werden. 574 (Schreckbares und wohlverdientes peinliches Urtheil, welches in allhiesiger löblichen Reichsstadt Augsburg auf den sieben Tischen an Erdlieb Luftballon den 2. September 1786 vollzogen worden). Die Sieben Tische sind ein Feld bei Augsburg, wo der Aufstieg stattfinden sollte. Trabert liest fälschlich „Sieben Zischen”. 575 Im bayrischen Landshut fand 1756 die vermutlich letzte Hexenhinrichtung im Reich statt. Die letzte Hexenverurteilung 1775 in Kempten im Allgäu wurde nicht vollstreckt. 576 SuSB Aug 1479 -26. 286 c) Leichensermon auf den Luftballon seligen Angedenkens in Augsburg. 577 Dieser Text konnte nicht eingesehen werden. d) Abschiedsrede des Erdlieb Luftballon auf seinem ihm zu Ehren errichteten Schafott in Gersthoffen, am Tage seiner nochmalig bestimmten aber mislungenen Auffahrt. 578 Erdlieb schildert die missliebige Behandlung: vom Luftschiffer im Stich gelassen, seines Prunkes beraubt, dem Hunger preisgegeben, als die Vitriolfüllung erneut versagt, die leere Hülle zusammengeworfen. Er bittet um einen Zufluchtsort „um nicht auf einem Dorffe der Vermoderung unterworfen zu seyn“. Der halbgefüllte Ballon ruht auf einem Gestell über Fässern, aus denen entweichendes Gas aufgefangen und weitergeleitet wird. Es hat tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Schafottgerüst. e) Gedanken eines unter dem Wertachbruckerthor zu Augsburg wachtstehenden alten StadtGuarde Soldatens über den unterm 13ten Dezember 1786 nach Gersthofen sammt dessen Apparat abgeführten Erdlieb Luftballon. 579 Erdlieb wird auf einem Karren aus dem Stadttor geführt, nicht unähnlich dem Zug zur Richtstätte. Dieser Text ist weniger eine Parodie, sondern eine gereimte Moralrede gegen Betrug und Sich-Betrügen lassen: „Sein ganz Projekt ist eitel Trug, / glaubt mir, und werdet einmal klug.“ Experimenten der neumodischen Wissenschaft begegnet 577 SuSB Aug 1479 -27. Diese Texte konnten hier nicht eingesehen werden. 578 (Abschiedsrede des Erdlieb Luftballon, auf seinem ihm zu Ehren errichteten Schaffot in Gersthoffen, am Tage seiner nochmalig bestimmten aber mislungenen Auffahrt) SuSB Aug 147930. 579 (Gedanken eines unter dem Wertachbruckerthor zu Augsburg wachtstehenden alten StadtGuarde Soldatens über den unterm 13ten Dezember 1786 nach Gersthofen sammt dessen Apparat abgeführten Erdlieb Luftballon) SuSB Aug 1479 -29. 287 man mit Misstrauen, hält sie für unnütz und Geldverschwendung. Möglicherweise stammt die Moralrede von einem anderen Verfasser, bleibt aber im gleichen Themen- und Formbereich. f) Anatomirung des in Gersthofen erblaßten Erdlieb Luftballon. 580 (Abbildung 42, S. 283). Das große Titelkupfer zeigt einen Anatomiertisch, dahinter stehen die vier Doktoren und ein Gehilfe. Es gibt zwei Beobachter, im Hintergrund sieht man das leere Füllgestell. Diese originelle und komische Schrift listet die Ergebnisse der Leichenöffnung, von der äußeren Ansicht über die drei Körperöffnungen Kopf, Bauch, Brust den Obduktionsvorschriften folgend. (Abbildung 43, S. 289). Die ärztlichen Befunde beschreiben im Detail die kläglichen Überreste des Füllungsversuches: „Der untere Leib ganz leer, der Obere etwas aufgetrieben, In denen vier Hirnhöhlen kein Hirn.“ Als Todesursache wird Vernachlässigung und falsche Behandlung durch die „Medicis und Principalen“ – gemeint sind Lütgendorf und Riedel – angegeben, die deswegen an die Freunde des Verstorbenen eine Entschädigung zahlen sollten wann etwas an ihnen zu erhollen. Ein Nachsatz verweist auf das nächste Dokument: „Wegen schleinigst vorgefallener Anatomierung, hat das Testament noch nicht können eröfnet werden.“ 580 (Anatomirung des in Gersthofen erblaßten Erdlieb Luftballon) SuSB Aug 1479 -13a. 288 Abbildung 43. Odduktionsbefund zu Erdlieb Luftballon (Augsburg 1787). SuSB Aug 1479. -13a. Abbildung dient nur der Illustration, nicht als Lesetext. 289 g) Das Testament, Leichen-Kondukt und Grabschrift des zu Augsburg gebohrnen und zu Gersthofen erblaßten Erdlieb Luftballon 581 wurde von „einem seiner Erben zum öffentlichen Druck befördert, 1787.“ Auf der Grabsäule in der Titelillustration sieht man einen Ballon; die Grabplatte wird von einem Hund verunreinigt: „Wer viel verspricht, und gar nichts kann, / Dem 582 zündt man solche Lampen an.“ Erdlieb sieht seinen baldigen Tod wegen der Verwahrlosung durch den „Principalen“ Lütgendorf voraus, deswegen hat er dem „geschwornen Herrn Notario Leichtglaub Edlen v. Vorwitz“ seinen letzten Willen diktiert. Als Haupterben bestimmt er „alle diejenigen, die mir in meinem Leben so oft zu Lieb auf die sieben Tische und nach Gersthofen ganz geduldig nachgelaufen sind.“ Weiterhin setzt er zahlreiche Einzelteile des Experimentaufbaus als Legate aus, z.B. die Luftpumpe, Fransen, die schiffsförmige Gondel usw. Eine Bestimmung zeigt deutlich, wie die Kleinschriften miteinander verbunden sind: „Die vielen Makulaturen von Kupferstichen und Oden sollen nach der Prophezeiung des Hans Nord des zweyten, was auf weich Papier ist, in die hintere Druckerey geliefert, und was auf Schreibpapier ist, den Käßkrämern überlassen werden, welchem Schicksale zu seiner Zeit auch dieß mein Testament unterworfen seyn wird.“ Es folgt der Leichen=Kondukt, d.h. Liste und Reihenfolge der Trauergäste. Wegen des befürchteten großen Zulaufs soll nur eine „Nachtleiche“ in aller Stille gehalten werden. Die Grabschrift beginnt mit der traditionellen Aufforderung des Epitaphs: „Steh, Wanderer und lies!“. Der Ballon ist hier ein „philosophisch Ding das nicht wollt in die Luft“, das sich –anders als sein 581 (Testament, Leichen-Kondukt und Grabschrift des zu Augsburg gebohrnen und zu Gersthofen erblaßten Erdlieb Luftballon) SuSB Aug 1479 -13. 582 Die Bildlichkeit konnte nicht aufgelöst werden. 290 Schöpfer – voll Scham verbirgt. Die letzte Zeile ist nur zur Hälfte ausgeführt, fünf Striche fordern den Leser zum Ergänzen auf: „Ein Modephilosoph hält nichts für eine Schande, / Was ihme Nutzen bringt – – – – – .“ Insgesamt ist die Dichte und Dynamik der Flugschriften-Reihe zu Erdlieb Luftballon beeindruckend. Dabei berühren sich Sprachauswahl und Bildlichkeit so stark, dass man für einen einzelnen (oder wenige) Verfasser plädieren kann, der Spottlust und parodistisches Können an einem einzigen Sujet ausprobiert. Die Leser, die ja mit den vielen Gattungsvarianten wie Leichenrede, Testament, Urteil vertraut sind, lockt das Wiedererkennen. Sie sind neugierig, was man sich noch alles einfallen lassen kann, um das Ableben eines Ballons auszuschmücken. Diese Texte haben auch ein entschieden spielerisches Element, das über eine die Person Lütgendorf herabsetzende „Schmähschrift“ hinausgeht. 7.5 Grenzen der Parodie Wie das Armesünderblatt selbst, so ist auch seine Parodie durch den spezifischen kulturellen und literrarischen Kontext limitiert und erlebt nur eine kurze Blütezeit. Zum ersten ist da der ephemere Charakter des Gelegenheits- und Kleinschrifttums, das oft nicht aufbewahrt wurde. Dazu kommt, dass die spezielle Form des Armesünderblattes mit Urgicht, Urteil und Moralrede zeitlich und regional auf den oberdeutschen Raum begrenzt ist. Um eine Parodie als solche erkennen und genießen zu können, muss der Leser mit dem Vorbild vertraut sein, wodurch der Verbreitungsradius eingeschränkt ist. Es scheint auch, dass bestimmte literarischen Elemente der Vorlage als limitierend und wenig anregend empfunden wurden: im Grunde kann man nur einmal ein „wohlverdientes“ Todesurteil in ein „unverdientes“ invertieren. Auch der Inhalt des 291 Dargestellten ist nicht, wie bei einem Testament oder letzten Worte, frei wählbar, sondern bleibt an die Realität der Strafjustiz gebunden. Das strikte innere und äußere Schema des amtlichen Dokuments reizt zwar zum Spott, aber fesselt ihn aber an sich. Das intellektuelle Spiel mit der Form des Todesurteils erschöpft sich selbst, weil es kaum auf andere Situationen übertragen werden kann. Es leistet keinen Beitrag zur Diskussion des Inhaltes, also der Todesstrafe, selbst. Die gedankliche Auseinandersetzung damit findet in anderen Foren statt. 292 8 Zusammenfassung und Ausblick Nach der intensiven Sichtung und Aufarbeitung von Armesünderblättern, die zwischen 1750 und 1820 gehäuft und in vielfältiger Form im süddeutschen Kulturraum zirkulierten, bleibt zuletzt die Frage: Was verbindet sie und was grenzt sie gegen benachbarte Textsorten ab? Schilderung von Aufsehen erregenden Verbrechen, von blutigen Mordtaten oder Raubüberfällen sowie der Entdeckung und gerechten Strafe sind an sich nichts Neues. Seit der Druck583 revolution und Medienexpansion sind sie Gegenstand von Einblattdruck 584 , Newer Zeitung und umfangreicheren Relationen, und sie finden durch Lesen, Vorlesen und Weitererzählen ein vielfältiges, auch überregionales Laienpublikum. Auch fall- und fachorientierte juristische Dokumentationen, also detaillierte Gerichtsprotokolle zu außergewöhnlichen Fällen vielseitige Gaunersteckbriefe nach den Untersuchungsakten 583 584 586 585 oder wurden schon seit dem 16. (Eisenstein). (Harms und Wang). 585 (Bewerlein und Witmerus); (Prägerische Execution/ Das ist: Gründliche Relation / welcher gestalt auff der Röm. Kays. Mayest. gnedigisten Befelch vnd Verordnung die Bähemischen gewesenen Directores, von Grafen / Herrren/ Ritter vnnd Burgerstands Personen Montags den 11 (21) Junii/ dieses 1621. Jahrs / in der Königlichen Hauptstadt Prag seund justicirt vnd hingerichtet worden) GCC 387; auch (Warhafftige vrgicht vnd bekanthnus, der Landtgräfischen diener, Hanse Eckern von Gelhausen, Bürger zu Cassel, vnnd Wilhelmen von Werden, genant Weinbrenner zu Franckfurt Burger, welche ... vmb jrer Boesen that vnd mißhandlung willen, welcher geleichen in Deutscher Nation nim[m]er gehört oder gebraucht, aus gnaden erstlich enthaupt vnd darnach geuierdteylt: Geschehen zu Franckfort am Mayn, den xij. tag Aprilis) (Haussmännen),nicht an der MSU. 586 (Beutelschneider. Das ist: Newe / wahrhaffte / vnd eigentliche Beschreybung der DiebsHistorien. [Erster Theil. Titelblatt fehlt]. Ander Theil. Darinnen der Beutelschnyder/ Diebe und Rauber arglistigkeit / verschlagenheit/ bossen / rencke / und tücke / auch was sie für wunderbarliche Diebsgriffe [...] in Franckreich gestiffte und begangen haben. In sonderlichen 293 Jahrhundert im Druck veröffentlicht. Sie wandten sich an ein Fachpublikum von Juristen und Verwaltung sowie an den historisch und politisch interessierten bürgerlichen Leser. 587 Neu und anders an den Armesünderblättern des späten 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts ist der gezielte, massive Einsatz von amtlichen Prozessunterlagen in der Massenpublikation, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Zum einen ist da die kommerzielle Produktion des preiswerten Gelegenheitsschrifttums in hohen Auflagen und regionalen Nachdrucken. Im Wechselspiel zwischen erhöhtem Angebot und gesteigerter Nachfrage etabliert sich ein Markt mit einer breiten, auch bürgerlichen Käuferschicht. Der andere Aspekt von Masse bezieht sich auf die veröffentlichten Urteile selbst. Es werden nicht mehr nur besonders Aufsehen erregende Mordfälle veröffentlicht, sondern viele, wenn nicht gar alle anfallenden Todesurteile. Gerade die Urteile gegen „alltägliche“ Diebe und Räuber sind ein neuer Zug. Die massive Veröffentlichung der Gerichtsprotokolle, verstärkt durch die erbarmungslose Verdammung in den Moralreden, ist eine „Flucht nach vorne“, mit der die bayrische Landesregierung und die zersplitterten süddeutschen Herrschaften gegen die hohe Kriminalität der Räuberbanden ankämpfen. Die durch den Druck verbreitete persistente Anwesenheit der Strafverfolgung soll die Gesetzesbrecher abschrecken und zugleich das Vertrauen der Bevölkerung in die Wirksamkeit der Justiz stärken. wahrhafften Historien vor Augengestellet [...] Itzund erstlich auß dem Fränzösischen in die Teutsche Sprach vbersetzt ), 344 Seiten. 587 (Criminalproces und execution derer unlängst wegen vorgehabter ermordung Sr Kön May. von Gros=Brtitannien zu London hingerichteten Verräter / Robert Charnocks, Eduard Kings und Thomas Keys, aus dem Englischen übersetzt.) (zur Englischen Revolution). 294 In der prototypischen Verbindung von amtlichem Urteil und auslegendem Gedicht zeigt die Flugschrift eine moralische „Realität“, in der Vergehen gegen Gott und Menschheit geahndet werden. Sie präsentiert obrigkeitliche Deutungsmodelle, die als „wahr” und „wahrhaftig” empfunden werden sollen. Sie zeigt normabweichendes und normgerechtes Verhalten, tatsächliches Vergehen und projizierte Reue. In Außenschau und Innenschau wird dem Verurteilten eine exemplarische Biographie zugeschrieben, die von seiner Persönlichkeit abstrahiert. Der reuige „Arme Sünder“ ist eine Figur, in der die Dichotomie zwischen Böse und Gut aufgehoben ist. Diese Sicht fußt auf der Weltauffassung des frühneuzeitlichen Absolutismus, die im Jahrhundert der Aufklärung und der Französischen Revolution mehr und mehr in Frage gestellt wird. Der sich ausbildende moderne Verwaltungsstaat und ein Menschenbild, das nach psychologischen und sozialen Bedingungen fragt, lösen das traditionelle Muster ab. Dieser von Differenz und Kontinuität geprägte Prozess lässt sich gut am Justizsystem aufzeigen. Die überkommene Gesetzgebung steht im Konflikt mit den Anforderungen einer sich ändernden Sozialordnung, und die zur Verfügung stehenden konservativen Mittel erweisen sich als wenig wirksam. Das Armesünderblatt blüht während der Sattelzeit, während des Übergangs von der Frühen Neuzeit zur Moderne. Es ist selbst ein „Zwischending“. Es propagiert die Werte eines in der Tradition verhafteten Rechtssystems, aber dies geschieht mit dem modernen Mittel der Massenpublikation. Es entsteht anlässlich einer speziellen lokalen Gelegenheit, aber es wird in Raum und Zeit verbreitet. Es ist eine sachliche Prozessdokumentation, die zur Unterhaltung gelesen wird. Und es lebt zwischen zwei Formen von Öffentlichkeit: auf der einen Seite beglei- 295 tet es das anschaulich miterlebte Schauspiel der Bestrafung, auf der anderen Seite ersetzt es dem Leser und den Autoritäten eben jene unmittelbare, unwägbare Erfahrung. Das süddeutsche Armesünderblatt ist kein Exekutionsbericht, keine Beschreibung der aktuellen letzten Stunde eines Verurteilten. Der Leser erfährt nichts über den tatsächlichen Ablauf der Hinausführung, das Verhalten des Delinquenten oder der Zuschauer, über die gesprochenen Gebete oder letzten Worte. 588 Man liest nichts über das Handwerk des Henkers, von dessen Kunstfertigkeit ein gnädiger oder qualvoller Tod abhing, oder gar darüber, ob der Strick gerissen und der Dieb mit dem Leben davon gekommen ist. Das ist ein wenig anders bei den „Last Dying Speeches“, der ausgesprochen populären und langlebigen Gattung der Schafottliteratur in England. Sie gleichen in Aufbau und Funktion den deutschen Armesünderblättern, enthalten jedoch oft Schilderungen der tatsächlichen Exekution in Tyburn und eben die letzten Worte des Hinzurichtenden. 589 Nicht alle Verurteilten erga- ben sich reuig in ihr Schicksal. Sie verteidigten ihre Unschuld oder beklagten Ungerechtigkeiten bei der Behandlung ihres Falles. Auf diese Weise verschaffen sie wenigsten zuletzt ihrer eigenen Stimme Gehör. 588 In Serienblättern zu Räuberbanden werden bisweilen die vorangegangenen Hinrichtungen erwähnt, aber pauschal auf die festgelegte Todesart bezogen und ohne individuelle Details, etwa letzte Worte, zu nennen. 589 (Sharpe). Vgl. die Broadside-Collection der Harvard Law School, die den späten Zeitraum von 1820-1868 umfasst. (Dying Speeches & Bloody Murders: Crime Broadsides collected by the Harvard Law School Library). Vgl. die Online-Datenbank mit den Gerichtsakten aus Old Bailey in London. (Hertfordshire, Sheffield). 296 Auch die fiktionalisierten und literarisierten Kompilationen von Exekutionsberichten der Frühen Neuzeit zeigen die normgerechte Situation und bezeugen eine „Übererfüllung des approbierten Modells“. 590 Zu nennen sind etwa Harsdörffers Grosse[r] Schauplatz jämmerlicher Mord-Ge591 schichte (1693) , Beers Neu-eröffneteTrauerbühne (1709) 592 , oder die noch frühere Anekdotensammlung Schimpff und Ernst des Predigers Johannes Pauli von 1522 593 . Es was auf ein mal einer gefangen, den wolt man hencken, als man auch thet, da man ihn hinusz fuort, da klagt er nichtz dan sein rote kappen, het ich meine rote kappen. Also sein vil die sich an dem letsten bekümern mit nerrischen dingen, so sie sich mit got vnd mit rüwen irer sünd sollten bekümern. 594 . Allerdings liegt hier die narrative Gewichtung anders. Die Anekdote setzt in medias res ein und konzentriert sich auf ein denk-würdiges, moralisch „für vil menschen“ ausdeutbares Geschehen unter dem Galgen. Das Todesurteil des Diebes wird nur beiläufig begründet, das eigentliche Vergehen gar nicht detailliert. Es ist „auf ein mal“ so gekommen. Thomas Althaus arbeitet heraus, dass die proklamierte christliche Auslegung einen anderen Zweck des Erzählens und Sammelns in Kompilationen rechtfertige, nämlich den der Kurzweil: 590 (Althaus), S. 479. 591 (Harsdörffer, Der grosse Schau=Platz jäm[m]erlicher Mord=Geschichte / Bestehend in CC. traurigen Begebenheiten: mit vielen merckwürdigen Erzehlungen / neu=üblichen Gedichten / Lehrreichen Sprüchen . scharffsinnigen / artigen Schertz=Fragen und Antworten ect. Verdolmetscht; und mit einem Bericht von den Sinnbil;dern . wie auch hundert Exempeln derselben / als einer neuen Zugabe / auß den berühmtsten Autoribus, Durch Georg Philipp Harsdörffern / Eines Ehrlöbl. Stadt=Gerichts zu Nürnberg Beysitzern. Zum siebenden mal gedruckt). Nachdruck Hildesheim, 1975. 592 593 594 (Beer). (Pauli). Pauli, Von schimpff das xxvii, zitiert nach (Althaus), S. 483. 297 Diese Texte werden nicht mehr deshalb erzählt, weil sie sich religiös auslegen lassen. Vielmehr legitimiert der behauptete christliche Sinn die Vorbringung der Geschichten, einer nach der anderen. In der ersten Auflage der Sammlung sind es schon 693 an der Zahl, aufgeboten mit wahrer Erzähllust als genüssliches Äquivalent der Weltlust für Sammler, Schreiber und Leser. 595 Auch unsere Einzelblattdrucke, die rund einhundert Jahre später publiziert werden, werden als Lektüre angeboten und gesammelt. Allerdings fehlt dem amtlichen Verfasser die „Lust am Erzählen“. Es bleibt oft dem Leser, Hörer, Betrachter überlassen, die nüchternen Fakten in seiner Phantasie bzw. in der Erinnerung an die tatsächliche Hinrichtung auszuschmücken. Das schauerliche Vergnügen des Bürgers an Gewalt, sei es der des Verbrechers oder der des strafenden Staates, ist durch den moraldidaktischen Kontext legitimiert. Der Fokus der Armesünderblätter ist der Rechtsvorgang, nicht der Einzelfall mit seinen besonderen menschlichen Umständen. Dadurch unterscheiden sie sich von der zeitgenössischen Kriminalerzählung, etwa den Geschichten von August Gottlieb Meißner (1753-1807), die schon im Titel ihr Interesse an der „Erfahrungseelenkunde“ 596 zeigen: Blutschänder, Feuerleger und Mörder zugleich, den Gesetzen nach, und doch ein Jüngling von edler Seele oder Unkeusche, Mörderin, Mordbrennerin, und doch blos ein unglückliches Mädchen. 595 597 Auch Friedrich Schiller (Althaus), S. 485. 596 Das Magazin zur Erfahrungsseelenkunde, 1783 bis 1793 in zehn Bänden erschienen, ist die erste psychologische Zeitschrift in Deutschland. Begründet und herausgegeben von dem Schullehrer und Schriftsteller Karl Philipp Moritz (1756-1793) und unterstützt von prominenten Vertretern der Berliner Aufklärung, darunter der jüdische Philosoph Moses Mendelssohn (17291786) und der philosophische Arzt Marcus Herz (1747-1803), bildete es „ein Forum für Fachleute und Laien zur Erörterung psychischer Pathologie und sozialer Devianz.“ Einleitung zur digitalen Neuausgabe. (Moritz). 597 (Meißner und (Hrsg.)). Dazu (Weitzel). Vgl. (Schönert). 298 möchte 1792 mit seiner Auswahl an Fallgeschichten aus dem französischen Pitaval Einblicke in das Menschenherz“ gewinnen. 599 598 „*t+iefere Das sich wandelnde Bild vom Verbrecher der Spätaufklärung schlägt sich nur sehr begrenzt in den Hinrichtungsflugschriften nieder. Spuren finden sich allenfalls in empathischen Gedichten außerhalb des amtlichen Kontextes. Allerdings ist das Versiegen des Genres selbst eine direkte Folge der Reformen im Strafvollzug und des gesellschaftlichen Wandels der Moderne. Hinrichtungen, also der Existenzgrund für das Blatt, werden immer seltener und verschwinden aus den Augen der Öffentlichkeit. Man täte dem Armesünderblatt Unrecht, wollte man es an literarischen Texten messen, seien es die barocken Exempla oder die moderne Kriminalerzählung. Es porträtiert keinen außergewöhnlichen Fall, sondern sozusagen den Alltag. Es gilt nicht, Spannung aufzubauen oder eine überraschende Wendung zu gestalten, denn der Ausgang, der Tod, steht ja vom ersten Satz an fest. Die Geschichte des Verbrechens wird vom Ende her erzählt, wobei die Wahl der poetischen Mittel durch Form, Inhalt und Intention stark eingeschränkt ist. Die Gedichte sind in ihrer Ausführung erstaunlich vielfältig und differenziert, auch wenn Aussage und vermittelte Werte wiederkehren. Als didaktischer Gebrauchstext konzipiert, wird es parallel als Angebot der Unterhaltungslektüre dargeboten und angenommen. In Form und Inhalt ist das Armesünderblatt der frühneuzeitlichen Epoche verhaftet. Aber indem es seine Funktion als unterhaltender Lesestoff ausbaut, überlebt es noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein. 598 599 (Pitaval): GCC 895. (Schiller und Tekolf). Erstausgabe Jena 1792. (Kosenina, „Schiller und Pitaval“). 299 Die bewusste Konzentration auf den Bestand der German Criminology Collection und parallele digitalisierte Dokumente war von großem Vorteil für diese Studie. So konnten durch den genauen Variantenvergleich viele neue, bisher nicht bekannte Einzelheiten zu Herstellung und Rezeption aufgedeckt werden. Ein vertiefender Abgleich mit deutschen Archiven und Bibliotheken wäre sicher weiter ertragreich. Diese Konzentration auf die materielle Seite des GCC-Bestandes bedeutete aber auch, dass Themen und Diskursstränge zwar angeschnitten, aber nicht in anderen Medien weiter verfolgt werden konnten. So steht die Auswertung der Zeitschriften der Aufklärung 600 unter dem Gesichtspunkt „Verbrechen“ oder „Todesstrafe“ noch aus. Die Todesurteile sind ja nur punktuelle Reaktionen auf übergreifende Argumentationsketten und sagen selbst wenig über die philosophischen oder sozialen Hintergründe aus. Das Projekt Armesünderblätter aus der German Criminology Collection an der MSU ist noch nicht abgeschlossen. Als nächster Schritt ist eine Digitalisierung denkbar, die leichteren Zugang zu dem Material, interdisziplinäre Kollaboration weitreichende Forschungsaufgaben und Lehre ermöglicht. Neben einer „social edition“ im Internet böte sich eine Möglichkeit an, bei der historische Karten und archivalische Artefakte vernetzt werden können. 601 So entstehen geotem- porale, interaktive Karten und Zeitleisten, die Verbindungen mehr als gewöhnlich nuanciert darstellen. Hier könnten die realen Fälle mit den kulturellen Diskursen der Aufklärung vernetzt werden. 600 (Retrospektive Digitalisierung wissenschaftlicher Rezensionsorgane und Literaturzeitschriften des 18. und 19. Jahrhunderts aus dem deutschen Sprachraum). 601 z.B. das online-Tool Neatline (2013), (Neatline). 300 APPENDIX 301 Alle Abbildungen aus der German Criminology Collection mit freundlicher Genehmigung von Special Collections der Michigan State University. Alle anderen Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der besitzendenden Bibliotheken bzw. des Autors. 302 LITERATURVERZEICHNIS 303 LITERATURVERZEICHNIS Quellen: Armesünderblätter Abschieds-Ode, so der arme Sünder selbst in seiner Gefangenschaft verfertiget, und auf sein inständiges Begehren mutatis mutandis zu Druck befördert worden. 1775. LMU 0014/W 4 Jus 168. Abschiedsrede des Erdlieb Luftballon, auf seinem ihm zu Ehren errichteten Schaffot in Gersthoffen, am Tage seiner nochmalig bestimmten aber mislungenen Auffahrt. Augsburg, 1786. SuSB Aug 1479 -30. Anatomirung des in Gersthofen erblaßten Erdlieb Luftballon. Augsburg, 1787. SuSBAug 147-13a. Ansbach. Geschichtliche Darstellung des Verbrechens des Georg Michael Stiegler von Kühlsheim. Friedberg: Eichleiter, 1856. GCC 469. Augsburg. Augspurg, den 9. October Anno 1759. wurde Regina Ursula Schülin, geweßte allhiesige Burgers-Tochter und Dienst=Magd, weilen sie ihr in Unehren erzeugtes Kind, ein Knäblein / gleich nach der Geburt / erbärmlicher Weiß ums Leben gebracht, Aus Gnaden, duch das Schwerdt und blutiger Hand vom Leben zum Tod gebracht. . Augsburg, 1759. GCC 973. Augsburg. Dienstag den 5. Januarii 1768 wurde Johann Peter Semmel wegen begangenen Kirchen=Raubs und vorhero abgeschwohrner Urphed / zu seiner wohlverdienten Straffe offentlich an das Halßeisen gestellt, und mit Ruthen wohlempfindlich hinausgehauen. Als hat auf Hochoberherrl. gnädige Erlaubnus das Urthel publiciren wollen. Samuel Valentin, Stadt=Gerichts=Waibel. Augsburg: Andreas Brinhauser, Stadt=Buchdrucker, 1768. GCC 678. Augsburg. Ein Hoch-Edel und Hochweiser Rath der des Heil. Röm. Reichs Freyen Stadt Augspurg hat hiemit Urthel zu Recht erkannt, daß Samstag den 11. Januarii 1772. Leonhard Felß, geweßter allhiesiger Burger und Bortenmacher, wegen begangener Mord-That an seinem leiblichen Sohn zu seiner wohlverdienten Bestraffung mit dem Schwerdt und blutiger Hand vom Leben zum Tod gebracht werden solle. Als wegen erhaltener HochObrigkeitlich gnädiger Erlaubnus das End-Urtheil dem Publico mittheilen wollen Samuel Valentin, Stadt-Gerichts-Waibel. Augsburg: Andreas Brinhaußer, 1772. GCC 1077. Augsburg. Ein HochEdler und Hochweiser Rath der des Heil. Röm. Reichs Freyen Stadt Augspurg hat mit Urthel zu Recht erkannt daß Donnerstag den 28ten Junii A. 1764. zwey Juden Namens David Hirsch Levi/ und David Löw Levi/ beede von Scheittach aus der Chur304 Bayrischen Herrschafft Rothenerg gebürtig, wegen höchst-straffbahrer Aßignations=Nachmachung von 130. Carld'or und andern ausgeübten beträchtlichen Partitereyen zu ihrer wohlverdienten dannoch gnädigen Bestraffung öffentlich an das Hals=Eisen gestellt, gebrandmarckt und ausgehauen werden sollen. Als hat wegen erhaltener Hoch=Oberherrlich gnädiger Erlaubnuß das Urthel hiemit publiciren wollen Samuel Valentin / Stadt=Gerichts= Waibel. Augsburg: Andreas Brinhaußer, StadtBuchdrucker, 1764. GCC 1088. Augsburg. Ein HochEdler und Hochweiser Rath des Heil. Röm. Reichs-Freyen Stadt Augspurg hat mit Urthel zu Recht erkannt ; daß, den 20. Aug. Anno 1765. Barbara Gruberin, allhiesige Dienst-Magd, von Mauren gebürthig weilen sie ihr in Unehren erzeigtes Kind / gleich nach der Geburt Erbarmungs würdiger Weise ums Leben gebracht, durch das Schwerdt vom Leben zum Tod gebracht werden solle. Als hat wegen erhaltener Hoch-Oberherrl. Gnädiger Erlaubnus das End-Urthel dem Publico publicieren wollen Samuel Valentin, Stadt=Gerichts=Waibel. Augsburg: Andreas Brinhaußer, Stadt-Buchdrucker, 1765. GCC 1083. Augsburg. Nachdeme ein Hochedler und Hochweiser Rath der des Heil. Röm. Reichs=Freyen Stadt Augspurg mit Urthel zu Recht erkannt hat: Daß Samstag den 6ten Febr. Anno 1768. Carl Ludwig Klenckler, geweßter Weinhändler, wegen der in dem Urthel angeführten Uebelthaten zu seiner wohlverdienten Bestraffung vom Leben zum Tod gebracht werden solle. Als hat wegen erhaltener Hoch=Obrigkeitlich=gnädiger Erlaubnuß das End=Urthel dem Publico mittheilen wollen Samuel Valentin Stadt=Gerichts Waibel. Augspurg: Andreas Brinnhaußer, Stadt=Buchdrucker, 1768. GCC 1084a; GCC 1084b; GCC 357. Augsburg. Peinliches Urtheil über Sigmund Vagara, hiesigen 27jährigen Burgerssohn, und verläumdten incorrigiblen Dieb von E. HochEdlen und Hochweisen Rath erkannt, und den 13. Februar 1773 vollzogen auf erhaltene Hochobrigkeitliche Erlaubniß im Druck mitgetheilt von Franz Claudi Wagner Stadt-Gerichts-Waibel. Augsburg: Andreas Brinhaußer, Stadtbuchdrucker, 1773. GCC 1119. Augsburg. Verruf. [HochEdler und Hochweiser Rath des Heil. Röm. Reichs Freyen Stadt Augspurg hat mit Urthel zu Recht erkannt daß Donnerstag den 25ten Octobr. A. 1764. Bartholomäus Schmid / von Harthausen bey Friedberg begürtig; vulgo der Bayrische Barthele, wegen vieler ausgeübten Diebstähle und Räubereyen zu seiner wohlverdienten Bestraffung durch das Schwerdt und blutiger Hand, vom Leben zum Tod gebracht, dessen Cörper aber auf das Rad geflochten werden sollte. Als hat wegen erhaltener Hoch-Oberherrlich gnädiger Erlaubnuß das End-Urthel dem Publico mittheilen wollen Samuel Valentin / Stadt=Gerichts=Waibel]. Augsburg: Brinhaußer, Andreas, StadtBuchdrucker, 1764. GCC 1089; GCC 1160. "Avertissement [Steckbrief Klenckler]." Donnstag=Nachrichten von Zürich (7.Jg, Heft 43), 1767. 305 Bamberg. HoDIe reVeLabItVr MaLItIa eIVs. eXprssa sonant Verba proVerb Cap. et VersV XXVIto. Zu deutsch: HeVte wIrD Ihre BoßheIt entDeCket werDen. So ist zV Lesen In weIfen SrVChen an obangefVhrten Orte. Wie wahr dieser weise Ausspruch seye, sehen wir an Barbara Sassenreutherin., zu Bamberg gebürtig, 25 Jahr alt, ledigen Standes, da dieselbe heute Bamberg den 25ten September 1776. als eine boshafte Vergifterin mit glüenden Zangen zwar wohl verdinet hätte, vorher gerisssen zu werden, jedoch aus sonderlicher Milde Seiner Hochfürstlichen Gnaden von dem glüenden Zangen=Reisen verschonet, durch das Schwerdt ihre entdeckte Boßheit mit ihrem Blut bedeckte. Cum Permissu Superiorum. Bamberg, 1776. GCC 1162. Basedow, Johann Bernhard. Erbauliche Vorstellung bey der im Fürstenthum Anhalt=Dessau am 28ten Februar 1772 vollzogenen Lebensstrafe eines Vatermörders. Zum Besten der Wittwe und der Kinder des Mörders verkauft, auf Schreibpapier für 2 Groschen, und auf Druckpapier für 1 Groschen. Dessau: H.Heybruch, 1772. GCC 1167. Baumgartner, Johann Jacob. Die sehr tieff und schwer gefallenen, aber nunmehro sich von ihrem Fall durch die Gnade GOttes in Buß und Glauben wieder aufgerichtete Seele / Oder: Die grausame und unbarmhertzige Mutter, Mörderin ihres eigenen Kindes, Als Dieselbe an dem Tag ihres Todes sich mit grosser Reue von ihrem erschröcklichen Fall durch den Donner des Göttlichen Worts getroffen, wieder aufgerichtet, ihre Sünden hertzlich und schmertzlich bereuende arme Sünderin, Maria Elisabetha Beckensteinerin, Ihres Alters 37. Jahr. Nachdem dieselbe durch Urtheil und Recht aus Gnaden durch das blutige Schwerd, vom Leben zum Tod gebracht worden, Anno 1742. den 20. Martii, in Augspurg zum Schröck= und Buß=Spiegel nachläßiger Eltern, sonderlich bey der zu diser Zeit sehr verfallenden Kinder=Zucht, mit poetischer Feder entworffen von Johann Jacob Baumgartner, Kupfferstecher in Augspurg, wohnhaft an der Fuggerey gegen dem Rappen=Eck. Augsburg: Baumgartner, Johann Jacob, 1742. GCC 784. Bekehrungslied eines über seine böse Handlung gerührten Mörders des Paulus Reindel, welcher den Johann Daniel Weber am 14ten April 1799 mit dreizehn Messerstichen auf eine meuchelmörderische Art ums Leben brachte. [Nürnberg], [1799]. GCC 363. Beschreibung einer fünffachen Mordthat, die sich kürzlich in Rußland, auf einer entlegenen Bauernhütte zugetragen hat. GCC 781. Beschreibung einer grausamen Mordthat, welche der Kandidat Niesan in Hamburg, an seiner Frau und 5 Kindern in der Nacht vom 15. auf den 16. August 1803. verübet hat. Augsburg: Johann Georg Bullmann, 1803. GCC 359. Vollständige Beschreibung der schaudervollen Mordgeschichte, des Bürgers und Kaufmanns Johann Georg Rüsau in Hamburg, welche derselbe an seiner Gattinn Anna Elisabetha, 45 Jahre alt, und an seinen fünf Kindern, [...] in der Nacht vom 14. auf den 15. August 1803 auf eine unmenschliche und grausame Weise begangen hat und welcher hierauf den 19. Merz 1804 mit dem Rade hingerichtet worden ist. Frankfurt am Main, 1804. GCC 740. 306 Buchloe. Urgicht sammt Urtel den in dem gemeinschaftlichen Zuchthaus zu Buchloe puncto criminis incendiii prozessierten Philipp März, aus Osterhofen, betreffend, welcher den 22. April 1797. durch das Schwerd vom Leben zum Tod gebracht, dessen Kopf und Leib aber unter dem Galgen begraben worden ist. Augsburg: Johann Georg Bullmann, 1797. GCC 1101. Buchloe. Urgicht sammt Urtheil über den in dem gemeinschaftlichen Zuchthaus Buchloe Puncto Divagationis et Robariä procesierten Xaveri Gestini oder sogenannten Neunfingerle. Welcher den 17ten März 1785 durch das Schwerdt vom Leben zum Tod gebracht, dessen Kopf auf den Galgen gesteckt, der Körper aber auf das Rad geflochten wurde. Landsberg: Joh. Friderich Ott, burgl. Buchdr. , 1785. GCC 1097. Buchloe. Urgicht sammt Urtheil über den in dem gemeinschaftlichen Zuchthaus zu Buchloe Puncto Divagtionis, diversorum furtorum nec non Zobbariae, peoceßierten [sic] Peter Schneider oder sogenannten kleinen Peterle welcher den 12ten November 1789 durch das Schwerdt vom Leben zum Tod gebracht, dessen Körper aber auf das Rad geflochten, und der Kopf darauf gesteckt worden ist. Buchloe, 1789, 12. November. GCC 1100. Corbeil. Beschreibung eines schrecklichen Raubmordes, welcher sich auf einem in der Nähe von Corbeil befindlichen Maierhofe, vier Stunden von Paris, den 14. Dezember 1824 zugetragen. 1824. GCC 757a+b. Cramer, J. R. Lebensgeschichten ehemals gefangener Missethäter. Als ein Anhang zu den Unterhaltungen der Missethäter. Aus sorgfältigen und genauen Beobachtungen zusammengetragen. Zürich: Orell, Geßner, Füeßlin, 1772. GCC 702. Cramer, Jakob. Leben und Ende der Regula Hartmann, von Eglisau, im Canton Zürich. Zürich: David Bürckli, 1813. GCC 707. ---. Leben und Ende des Heinrich Baumann, von Grafstall, im Canton Zürich. Zürich: Orell, Füßli, 1811. GCC 709. ---. Leben und Ende Hans Jakob Willis von Horgen, und Jakob Kleinerts ad der Egg im Schönenberg. Beiträge zur nähern Kenntniß des Menschen in Lebensbeschreibungen hingerichteter Missethäter. 3. Heft. Zürich: Orell, Füßli, 1804. GCC 1327. ---. Leben und Ende Rudolf Schützen von Bachs. Zürich: Orell, Füßli, 1804. GCC 708. Danksagungsadresse von der baierischen Nation an Max Joseph IV. [München], 1800. BSB Bibl.Mont. 3218-13,1/11. “Der Mörder Philipp Feigel, 23 Jahr alt, in Nürnberg, durch das Rad hingerichtet d. 18. Merz 1788.” Justiz in alter Zeit.Hg. Hinckeldey, Ch. und Mittelalterliches Kriminalmuseum Rothenburg ob der Tauber. Rothenburg ob der Tauber: Schneider 2005. 415. 307 Der arme Sünder auf das Jahr 1782. Ein Neumode=Todesurtheil, nebst einer Moralrede in Reimen, auf die Verbrechen und Tod des Alphons Razipuz, vulgo Leutschrecker-Seppel, Welcher Ao. 1782 den 4tern Jenner im 22sten Jahr seines Alters zu Ipsilonshofen gericht Schrekbüchel in Baiern auf nachstehende Art ist hingerichtet worden. Gedruckt im Schwenothsgässel hinter den Mäuern mit hermophriditischen Schriften und zu finden bey den drey all in Grosso Verlegerinen im Bildkramer=, Wasserburger= und Rufinibuchbinderlädchen. [1782]. BSB Res. L. eleg m 253,26 und BSB 4 L. elg. m 253 C 26. Dillingen. Urgicht und peinliches Urtel, über Johann Georg Schußmann, vulgo Hundsschlager, von Lentershofen Reichsgräflich-Fuggerischer Herrschaft Wöllenburg gebürthig, und zu Straßberg Fürstlich=Augsburgischen Pflegamts Bobingen ansäßig; welcher den 14. May 1790. zu Dillingen durch das Schwert vom Leben zum Tod gebracht worden. Nach dem Dillinger Original gedruckt, und kostet 1 kr. Augsburg: Johann Georg Bullmann, 1790, 14. Mai. GCC 1115. [Dorn, Johann Lorenz]. Mörder Feigel, zu Nürnberg. Frankfurt, Leipzig, 1788. GCC 739. Drei erbauliche Lieder über die betrübte Beerdigung des verunglückten Johann Daniel Webers, welcher den 14. April 1799. von Johann Paul Reindel durch 13 Messerstiche ... ermordet und den 18. April begraben wurde: Das erste: An seine Mutter ; Das zweite: An seine Liebste ; Das dritte: An seinen Mörder. [Nürnberg], 1799. SBB Fy 7906-11. Gedanken eines unter dem Wertachbruckerthor zu Augsburg wachtstehenden alten StadtGuarde Soldatens über den unterm 13ten Dezember 1786 nach Gersthofen sammt dessen Apparat abgeführten Erdlieb Luftballon. 1787. SuSB Aug 1479-29. Eißmann, Johann Ernst. Anrede vom Inquisten Johann Ernst Eißmann auf dem Schaffot an die Umstehenden gehalten den 3. Aug. 1781. Schleiz: Johann Gottlieb Mauken, 1781. 4. GCC 919. Etenhueber, Mathias. Münchnerisches Wochen-Blat in Versen. Kriegs=Friedens= in = und ausländische Begebenheiten, und Zufälle betrefend verfertiget, verlegt und herausgegeben von Mathias Etenhueber, privilegiert. Churfürstl. Hof=Poeten. mit Genehmhaltung eines Churfürstl. Hochlöbl. Hofraths. München: Maria Magdalena Mayrin, verwitt. Stadtbuckdruckerin [u.a. Drucker], 1759-1777. BSB Res. 4 Bavar. 674. Ettenhueber, Matthias. Moral=Rede über gegenwärtigen Armen Sünder, N.N. , Welcher heute als den 30ten September wegen ausgeübt diebischen Verbrechen, aus Anbefehlung eines Churfüstl. Hochlöbl. Hofraths mit dem Schwerd vom Leben zum Tod hingerichtet worden. München, 1772, 30. September. BSB Res.4 3006,I. Frankfurt am Main. Erweckung zur Buße. Als den 26ten September 1758. Anna Maria Fröhlichin Ihres Alters 37. Jahr Wegen der Mordthat an ihrem eignen neugebohrenen Kinde nach 308 Urtheil und Recht zu Franckfurt am Mayn, durch das Schwerd vom Leben zum Tod gebracht wurde. Frankfurt, 1758. GCC 388. Frech. Rede am Tage der Hinrichtung des Raubmörders Johann Walliser von Zerbabelshof den 22. April 1819 gehalten von dem Dekan und Stadtpfarrer Frech zu Altdorf. Zum Besten armer Schulkinder. Altdorf, 1819. GCC 916. Freising. Wohlverdientes Todesurtheil nebst einer Moralrede des Georg Schötl, welcher in Folge eines vom Richter, und Gericht zu Gärmisch ... nach ordentlich beschehener Umfrage, ... und von einer hochfürstl. hochlöbl. weltlichen Regierung Freysing ... Urt ratificiertenheils wegen grausam, und vorsätzlich verübter Mordthat an der Rindlmüllerin zu Mittenwald, dann begnagenen Raub, und an dem vier bis fünf-jährigen Müllertöchterlein attendirten Mord heut den 20. März 1772, ... sofort von unten herauf lebendig gerädert, und der todte Körper auf das Rad geleget worden Freising, 1772, 20. März. BSB Res/4 Bavar. 674-13/15. Fürth. Urtheil / Uber Christoph Heinrich Stechau / Gewesenen Hoch-Fürstl. BrandenburgBayreuthischen Forst- und Wild-Meister zu Kalchreuth / so innen vermeldeter Mordthat willen decolliert / und dessen Kopp auf einen Pfahl gestecket / der übrige Cörper aber auf dem Richt-Platz einverscharret worden. Geschehen bey Muggendorf / auf der Wahlstatt / woselbst die Entleibung ist vorgegangen / am 4. November Anno 1707. Muggenhof, Fürth, 1707, 4. November. GCC 1086. Garmisch. Wohlverdientes Todesurtheil nebst einer Moralrede des Johann Georg Schötl. in Folge eines vom Richter, und Gericht zu Gärmisch der hochfürst. freysingerischen Reichs ohnmittelbaren Grafschaft Werdenfels als gewöhnlichen Recht= und Urtheilsprechern in dem hierüber abgehaltenen Malefizrecht nach ordentlich beschehene Umfrage, und eingeholten Stimmen ausgefallen, und von einer hochfürstl. hochlöbl. weltlichen Regierung Freysing gnädigst ratificirten peinlichen Urtheils wegen grausam, und vorsetzlich verübter Mordthat an der Rindlmüllerinn zu Mittenwald, dann begangenen Raub, und an dem vier= bis fünfjährigen Müllerstöchterlein attendirten Mord heut den 20. März 1772. allhier zu Gärmisch zur Richtstatt geschleifet, und während der Hinausschleipfung mit glüenden Zangenriß an dem rechten Arm einmal hergenommen, sofort von unten auf lebendig gerädert, und der todte Körper auf das Rad gelegt werden. Garmisch, 1772, 20. März. 7. GCC 1154. Dazu zwei Nachdrucke aus Freising BSB Res/4 Bavar. 674-13/15 und München BSB Res/4 Bavar. 674-13/15#Beibd.24. Haag. Urthel, und Lied des Georg N. der Freyen Reichs-Graffschafft Haag, und Closter Rambsauischer Unterthan ... wird hiemit als den 1. August wegen seiner den 6. Julii 1743. begangenen schweren Mordt-That auf einer Schleipffen ... zum Todt hingerichtet. Haag, 1744, 1. August. BSB Res/4 Bavar. 3006,I,4/31. "Hinrichtung des Doppelmörders Friedrich Cörper in Nürnberg." [1830]. Kupferstich. Germanisches Nationalmuseum Nürnberg HB 25171/1374. 309 Innsbruck. Auszug aus den Untersuchungsakten über die Thatgeschichte des von Ingenuin Meßner, Wirth zum goldenen Adler in Matrey, an dem Mathias Larcher, insgemein Moßthaler Bauersmann von Navis, vollbrachten Raub= und Meuchelmordes, nebst dem Todesurtheile, welches am 6. August 1819 mittelst Hinrichtung des Verbrechers durch den Strang hier vollzogen wird. Innsbruck, 1819, 28. Juli. GCC 323. Körber, Joh. Ein Trauer=Gedicht | über die | Enthauptung eines armen Sünders und | zweifachen Mörders | Namens Friedrich Cörper aus Nürnberg, | 31 Jahre alt, Flaschnergeseller hat Menschenblut vergossen, sein Blut ist auch geflossen, zum Zeichen der Gerechtigkeit, daß gerechte Richter schweben, beschließt seine Lebenszeit. [Nürnberg?], [1830]. GCC 1058. Kurze Gedanken bey der Hinrichtung der bekannten Mitmörderinn zu Meitingen. Durch das Schwerdt hingerichtet den 1sten Junius 1811. Augsburg, 1811. GCC 1335. Leben / Uebelthaten und grechtes Urtheil des berichtigten Erz=Schelmen und Diebs Juden Süß Oppenheimers Darinnen sein böser Lebens=Wandel, Schelmen= und Diebs=Stücke, und wie er endlich seinen woh;=verdienten Lohn durch des Henckers=Hand empfangen, ausführlich erzehlet werden von einem aufrichtigem Spile=Wercks=Mann / aus dessen Munde aber zu papier gebracht und in eine bessere Ordnung gesetzet, von einem Hoch=Teutschen. Nebst des Juden Schelmischen Bildnuß und wie er in einem Käfig den Galgen zieret; In Zwey Bögen Kupffern vorgestellet. 1738. GCC 1085. Lehrreiche Gedanken an der Richtstätte des Mörders und Räubers N. N. nebst geschichtlicher Erzählung jener Umstände, unter denen dieser äußerst grausame Raubmord vor sich gieng München, 1820, 18. März. GCC 1336. Letzte Gedancken | Eines | zur Buße und Glauben gebrachten | armen Sünders, | nemlich | Johann Georg Zeppels, | von Erckheim aus Schwaben, | Mem[m]ingis. Herrschaft gebürtig, | gewesenen verhehelichten | Bürgers, und Bier=Bräuers | zu Augspurg, 34. Jahr alt, | Welcher | wegen vielfältig=verübten Diebereyen | gefänglich eingezogen, | von E.H.E und Hochweisen Rath der | Reichs=Stadt Augspurg aber An 1747. | den 3. November Hoch=Obrigkeitlich vom Leben | zum Tod verurtheilet, und den 7. darauf allen bö | =sen Welt=Kindern zum Schröcken und Exempel hinzurichten decretirt worden. Allda gedruckt 1747. Hg. Zeppel, Johann Georg. Augsburg 1747. GCC 340. Lewerer, J[ohann] J[akob]. Zwei neue Lieder auf Veranlassung der am 21. Oktober 1830. zu Nürnberg geschehenen Hinrichtung des zweifachen Mörders Friedrich Cörper. Zur Warnung und Beherzigung für jeden vom Weg der Tugend abweichenden Menschen. 1830. GCC 777c. Mayer, Aloys. An den Verfasser der Danksagungsaddresse [München], 1800. BSB Bavar. 4053,20. 310 Meier, Ludwig. Leben und Ende der beyden Brüder Jacob und Rudolf Ruegg von Uerschen. Beiträge zur näheren Kenntniß des Menschen in Lebensbeschreibungen hingerichteter Missethäter. Hg. Cramer, Jakob. Bd. 10. Zürich: Orell, Füßli, 1811. GCC 703. Lied an Gott eines über seine böse Handlung gerürten Mörders. [Nürnberg], [1788]. GCC 790a und GCC 790b Merckwürdige Staats=Assemblee | In | Dem Reich derer Todten / Zwischen einem ganz besondern Klee=Blat; | Oder | Dreyen unartigen Staats=Ministern, | Nemlich: | Dem Duc | De Ripperda,| Dem Grafen | von Hoymb, | Und dem Juden | Süß=Oppenheimer, | Davon der Erstere , als ein Welt=berüchtigter Avanturier, | verwichenes Jahr, in der Barbarey gestorben: |Der Andere sich, vor zweyen Jahren, auf der berüchtigten Berg=| Festung Königstein in Sachsen, selbst erhenckt; und | Der Dritte nur letzthin, in Stutgard, gehangen wrden. | Welche nicht allein einander ihre besondere Fata er=| zehlen; desgleichen über das Steigen und Fallen bey Hofe, oder | dahin einschlagende Materien discutiren; sondern auch über ein | gewisses wunderliches Project von Staats=Sachen, wichtige | Reflexiones machen. | Allen curiosen gemüthern zu beliebigen eigenem Nachdencken / ans Licht gestellet. Tetuan: Hunniades, 1739. GCC 1277. München. Geschichte des Verbrechens, wegen welchem Franz Thaler, Seizbäck von Reichershofen zum Tode verurtheilt wurde. München, 1814. GCC 485. München. Geschichtliche Darstellung des Verbrechens des Michael Obermair von Altonmünster. Friedberg, 1853, 14. Juli. GCC 471. München. Todes-Urtheil über den Mörder Corbinian N. vollzogen durch das königliche Landgericht München den 29. Februar 1812. München, 1812, 29. Februar. GCC 129. München. Todes-Urtheil über den Mörder Ferdinand, vollzogen den 15. Dezember. München, 1804, 15. Dezember. GCC 1135. München. Urgicht und Urthl Deß In Puncto Furti justificirten Hannß Trutzig. [München], 1729. LMU: 0014/W 4 Jus 166. München. Wohlverdientes Todesurtheil der Maria Anna N. vulgo schlafenden Anna Miedl. Welche auf höchste Anbefehlung des Churfürstl. hochlöbl. Hofraths allhier in München heute den 9. Jänner 1790. wegen Veranlassung eines dieb= und räuberischen Verbrechens, dann verübten grausamen Mißhandlung einer Weibsperson auf offener Strasse zur Richtstatt geführet, und durch den Scharfrichter nach abghauener rechten Hand mit dem Schwert vom Leben zum Tod hingerichtet worden. Augsburg: Philipp Joseph Fill, 1790, 9. Januar. GCC 1139. München. Wohlverdientes Todesurtheil des Mathias N. welcher auf höchste Anbefehlung des Churfürstl. hochlöbl. Hofraths allhier in München heute, den 14. Jäner 1791. wegen seiner einbekennt Strassen- und Kirchenräuberisch- dann andern diebischen Verbrechen 311 zur Richtstadt geführet, und von obern herab mittelst Anlegung der Schnur durch Zerstossung seiner Glieder vom Leben zum Tod hingerichtet worden. Gedruckt nach dem Münchner Original; die Kupferstiche, und was nachfolgt, wird nachgetragen. Augsburg Johann Georg Bullmann, 1791, 14. Januar. GCC 1158. Mit Datum 15. Jäner 1791 GCC 1156. München und Matthias Ettenhueber. Wohl-verdientes Todtes-Urtheil Nebst einem Trostreichen Gespräch Zwischen den Todt, und der armen Sünderin Der Juliana Jngerlin, Welche ... den 24. November 1753. mit dem Schwerdt ... hingerichtet worden. Auch: Franz Xav[er] Jungwürth, Kupferstecher. München: Franz Joseph Thuille, 1753, 24. November. BSB Res/4 Bavar. 3006,I,4/31. München und Matthias Ettenhueber. Wohlverdientes Todesurtheil nebst einer Moralrede des Johann Michael Schwaiger, welcher auf gnädigste Anbefehlung eines Churfürstl. Hochlöbl. Hofraths allhier in München, wegen zwey ausgeübt grausamen Raubereyen heunt den 16. October 1771 mit dem Rad durch Zerstoßung seiner Glieder jedoch mit dem Gnaden-Stoß vom Leben zum Tod hingerichtet, und dessen Körper auf das Rad geleget worden. München, 1771. BSB Res/4 Bavar. 674-13/15-9. München und Matthias Ettenhueber. Wohlverdientes Todesurtheil nebst einer Moralrede des Joseph Mayr, vulgo Windfligl Sepp, welcher auf gnädigste Anbefehlung eines Churfüstlich Hochlöbl. Hofraths allhier in München, wegen den zu Riedberg begangenen Raub heunt den 17. Octob. 1771 mit dem Strang vom Leben zum Tod hingerichtet worden. München, 1771, 17. Oktober. BSB Res/4 Bavar. 674-13/15-10. München und Matthias Ettenhueber. Wohlverdientes Todesurtheil nebst einer Moralrede des Hanns Georg Rhain, welcher auf gnädigste Anbefehlung eines Churfürstl. Hochlöbl. Hofraths allhier in München, wegen den zu Riedberg begangenen Raub, heunt den 18. October 1771 mit dem Strang vom Leben zum Tod hingerichtet worden. München, 1771, 18. Oktober. BSB Res/4 Bavar. 674-13/15-11. München und Matthias Ettenhueber. Wohlverdientes Todesurtheil nebst einer Moralrede des Caspar Rhain, welcher auf gnädigste Anbefehlung eines Churfürstl. Hochlöbl. Hofraths allhier in München wegen des in der Clausen zu Olstatt verübten grausamen Raubs heut den 19. October 1771. obwohlen er mit dem Rad hingerichtet zu werden verdiente, noch aus besonderen Gnaden auf der äußeren Richtstadt mit dem Schwerd vom Leben zum Todt hingerichtet, und dessen Cörper auf das Rad geleget worden. München,1771, 19. Oktober. GCC 1151 und BSB Res/4 Bavar. 674-13/15-12. München und Matthias Ettenhueber. Wohlverdiente Todesurtheile nebst einer Moralrede des Joseph N. vulgo Schwäbischen Lipp, dann des Mathias N. vulgo Abdecker Doni. Welche auf höchst Anbefehlung des Churfürstl. Hochlöbl. Hofraths allhier in München heut den 21. Julii 1781. wegen verübt räuberischen, dann die öffentliche Ruhe und Sicherheit störenden Verbrechen qua convicti, das ist, als Ueberwiesene in einer Kuhhaut zur Richtstatt geschleifet, und von dem Scharfrichter mit dem Rad von obenherab durch 312 Zerstoßung ihrer Glieder vom Leben zum Tod hingerichtet worden. NB: Künftigen Mittwoch kann man das Kupfer von der Verviertheilung des Windbeutels, auf den zwey Brücklen haben. München 1781, 21. Juli. GCC 1142. München und Matthias Ettenhueber. Wohlverdientes Todesurtheil nebst einer Moralrede des Anton N. welcher allhier [in] München heute den 20. Weinmonats 1781. wegen seinen einbekennt= räube[rischen] Verbrechen zur Richtstatt geführt, und all dort durch den Scharfrichter ... mit dem Rad durch Zerstossung seiner Glieder von oben herab vom Leben zum Tod hingerichtet worden [Nro 11] [München], 1781, 20. Weinmonat. GCC 1159. München und Matthias Ettenhueber. Wohlverdientes Todesurtheil nebst einer Moralrede des Franz Steinbachers, welcher auf Anbefehlung eines Churfüstl. Hohlöbl. Hofraths allhier in München, wegen seine ausgeübten Kirchen, so anderen Diebställen heut den 23. May 1770. auf dem Hochgericht mit dem Schwerdt vom Leben zum Tod hingerichtet, und dessen Kopf auf den Galgen gestecket worden. München, 1770, 23. Mai. GCC 1153. München und Matthias Ettenhueber. Wohlverdientes Todesurtheil nebst einer Moralrede des Joseph Renner, vulgo Prunthaler Sepp, welcher auf Anbefehlung eines Churfürstl. Hochlöbl. Hofraths allhier in München, wegen seines ausgeübten diebischen Verbrechen heut den 1 sten Sept. 1770. mit dem Schwerdt vom Leben zum Tod hingerichtet und dessen Kopf auf das Hochgericht gestecket worden. München, 1770, 1. September. GCC 1152. München und Matthias Ettenhueber. Wohlverdientes Todesurtheil nebst einer Moralrede des Mathias N. vulgo Windbeutel .welcher auf höchste Anbefehlung des Churfürstl. Hochlöbl. Hofraths allhier in München heut den 14. Julii 1781. wegen seinen einbekennt straßenrauberischen, dann die öffentliche Ruh und Sicherheit stöhrenden unmenschlichen, und vielfältigen Verbrechen in einer Kühehaut zur Richtstatt geschleifet, wähernder Schleifung 3mal mit glühenden Zangen gezwicket, und obwohl er vermög des neuerdings unter dem 7. Julii anheuer ergangenem Generalmandats lebendig von untenauf gerädert zu werden verdienet hätte, jedoch wegen den entdeckten vielen Kameraden durch den Scharfrichter mit dem Tod von oben herab durch Zerstoßung seiner Glieder vom Leben zum Tod hingerichtet, hernach geviertheilt, und die Theile an die Oerter, und Straßen seiner begangenen Hauptverbrechen, an einem Schnellgalgen aufgehänget werden. München, 1781, 14. Juli. GCC 1157. München und Matthias Ettenhueber. Wohlverdientes Todesurtheil nebst einer Moralrede des Mathias N. Welcher auf höchste Anbefehlung des Churfürstl. Hochlöbl. Hofraths allhier in München heut den 4ten August 1781 wegen seinen einbekennt räuberischen Verbrechen zur Richtstatt geführet, und obwohl er vermög des neuerdings unterm 7. Julii anheuer ergangenen Generalmandats lebendig von untenauf gerädert zu werden verdienet hätte, jedoch wegen seiner gleich bey erst gütlichen Verhör reumüthig gemachter Bekanntniß, und angegebnen Mitthätern durch den Scharfrichter mit dem Rad von obenherab durch 313 seiner Glieder vom Leben zum Tod hingerichtet worden [No 6]. [München?], 1781, 4. August. GCC 1157a. München und Matthias Ettenhueber. Wohlverdientes Todesurtheil nebst einer Moralrede des Quirin Wagner, welcher auf gnädigste Anbefehlung eines Churfürstl. Hochlöbl. Hofraths allhier in München, wegen dem im Gottshaus zu Gotzing Churfürstl. Pfleggerichts Aybling verübt gwaltthätigen Raub quo Convicto, das ist, vor überwiesen gehalten, und den 6. July 1771. auf dem Hochgericht mit dem Strang vom Leben zum Tod hingerichtet worden. München, 1771, 6. Juli. BSB Bavar. 5178 v. München und Matthias Ettenhueber. Wohlverdientes Todesurtheil, nebst einer Moralrede des Batholomäe N. vulgo Tyroller Barthl. Welcher auf höchste Anbefehlung des Churfüstl. Hochlöbl. Hofraths allhier in München heut den 25. May 1781. wegen seinen einbekennt räuberischen, dann die öffentliche Ruhe und allgemeine Sicherheit stöhrenden Verbrechen zur Richtstatt geschleifet, und obwohlen er, zur Folge des neuerdinggs wegen denen so sehr überhandnehmenden, unmenschlichen Raubereyen, und Mißhandlungen ergangenen schärfesten General=Mandats, mit dem Rad bestrafet zu werden allerdings verdienet hätte, jedoch in Ansehung seiner gemachten freyen, und reumüthigen Bekenntniß mit dem Strang vom Leben zum Tod hingerichtet worden. München, 1781, 25. Mai. GCC 1161. München, Königliches Kreis- und Stadtgericht. Geschichtliche Darstellung des Verbrechens wegen dessen Verübung Johann Wimmbauer und Joseph Reisinger zur Todes=Strafe verurtheilt wurden. München, 1820. GCC 476. Moral=Rede auf dem Tod des Xaveri Lindner, der lange Veri genannt . Ledigen Stands, aus dem Wallersteinischen gebürtig, 35. Jahr. Karl Lindel, der Stiri genannt , verheurathen Stands Hünnermann, 40 Jahr, aus dem Neuburgisch. gebürtig. Und Anton Wagner, der Kohler genannt, verheurathen Standes, Holzhacker von Oberhausen, 40 Jahr alt. Welche von einem Hochedlen und Hochweisen Rath der heil. Röm. Reichsstadt Augsburg durch das Schwerdt vom Leben zum Tod den 30. Jänner 1790 hingerichtet wurden. Augsburg: Philipp Joseph Fill, 1790. GCC 920. Moral=Rede auf den Tod des Johann Schmadel aus Tyrol, Peter Pabst von Insenmus in Baiern, Johannes Wolf von Göggingen, des sogenannten blinden Anton von Weir, und Margaretha Steirin von Singenbo in Baiern. Mit Erlaubniß hoher Obrigkeit. Augsburg, bey Philipp Joseph Fill. Lit. G. Nro. 317. Augsburg: Philipp Joseph Fill, 1786 GCC 921. „Mörder Feigel zu Nürnberg.” Journal von und für Deutschland.1784-92 5.1-6 (1788): 142-45. Neuburg. Todesurtheil über Georg Stempfle, vulgo Oberhausergörgl . Nro. 3. Augsburg: Philipp Joseph Fill, 1789. GCC 1131. Neunhof. Urgichten und Peinliche Urthel über 1. Hanns Georg Ernst / vulgo Potsche/ 2. Johann Högerl, vulgo Hannes. 3. Michael Thaler / vuldo den rothen oder rothkopfigten Michel. 314 Welche wegen verübter Diebstähle / in dem Reichs-Adelich-von Welserischen Marktflecken Neunhof den 22. August 1758. mit Strang und Schwerdt vom Leben zum Todt gebracht worden. Wobey Noch drey Urthel von obigen Maleficanten Anhängen, Kunigunda Justheimin. Margaretha Kräuerin. und Margaretha Knollin / vulgo das Huth Mergerl, genannt, angefüget seyn. Neunhof, 1758, 22. August. GCC 1106a. Nürnberg. Geschichtliche Darstellung des zweifachen Mordes wegen dessen der ledige Flaschnergeselle Friedrich Cörper aus Nürnberg zur Todesstrafe verurtheilt wurde. Nürnberg: Sebald, 1830. GCC 481; GCC 77a; GCC 777b. Nürnberg. Malefiz-Urthel über Johann Philipp Feigel, Todtengrabershelfer, welcher wegen verübten grausamen Todtschlags an seinem Kameraden Carl Gottlieb Langfriz Todtengrabersknecht, den 18. Merz 1788. mit dem Rad, durch Zerstossung seiner Glieder, aus Gnaden von oben herab vom Leben zum Tod gebracht und alsdannd er Körper auf das Rad geflochten worden. Nürnberg: Georg Friedrich Six, Raths= und Canzley=Buchdrucker, 1788. GCC 1091 a. Nürnberg. Malefiz-Urthel über Johann Philipp Feigel, Todtengräbershelfer, welcher wegen verübten grausamen Todtschlags an seinem Kameraden Karl Gottlieb Langfriz Todtengräbersknecht, den 18. Merz 1788. mit dem Rad, durch Zerstossung seiner Glieder, aus Gnaden von oben herab vom Leben zum Tod gebracht und alsdannd er Körper auf das Rad geflochten worden. Nach dem Nürnberger Original. Augsburg: Johann Georg Bullmann in der Fuggerey, 1788. GCC 1091 b. Oberdischingen. Peinliches Urtheil des in der Reichs= hochgräflich= Schenk v. Kastellschen Frohnfeste Oberdischingen gewaltsam und gefährlich, großer Diebstähle und Räuberreyen halber inngelegen= und den 17. Jenner 1788 hingerichteten Johann Gaßner von Bieberberg. Dillingen: Franz Anton Roßnagel, hochfürstl. Hofbuchdrucker, 1788, 17. Januar. GCC 1120. Dazu passt das Urteil der Elisabeth Gaßnerinn vulgo Schwarze Lies vom 16. Juli 1788. GCC 1121. Onolzbach. Urgicht und Urtheil Uber Anna Maria Föllerin von Rauhenzell, Puncto Vergiftung. . Onolzbach: Hoch-Fürstl. privil. Hof- und Canzley-Buchdruckerey, 1753. GCC 1096. Pfaffenhofen. Todesurtheil erkannt von dem Königlich-Baierischen Appellations-Gerichts für den Isarkreis über den Gütler Franz Dobmeier aus Ekersberg, vollzogen zu Pfaffenhofen den 27. Juni 1811. Augsburg Johann Georg Bullmann, 1811, 27. Juni. GCC 1145. Pfahler, Kaplan und [Tettnang]. Rede nach der Enthauptung des Raubmörders Joseph Frei von Gmünd gehalten auf der Richtstätte bei Tettnang am 27. März 1848 . Mit einer Schilderung der Verbrechen des Raubmörders. Lindau: Johann Thomas Stettner, 1848. GCC c 42057. Prägerische Execution/ Das ist: Gründliche Relation / welcher gestalt auff der Röm. Kays. Mayest. gnedigisten Befelch vnd Verordnung die Bähemischen gewesenen Directores, 315 von Grafen / Herrren/ Ritter vnnd Burgerstands Personen Montags den 11 (21) Junii/ dieses 1621. Jahrs / in der Königlichen Hauptstadt Prag seund justicirt vnd hingerichtet worden. 1621. GCC 387. Rede an das Volk nach der Hinrichtung des Raubmörders Georg Wengert aus Forestweiler im Königreich Würtemberg. München, 1821. GCC 915. Rede, gehalten am Grabe der auf grausame Weise ermordeten Elisabeth Mayerhofer, Zimmermanns= und Geflügelhändlers=Tochter von der Vorstadt Au am 3. September 1848. [Zweite Auflage: Mit der geschichtlichen Erzählung des begangenen Mordes]. München: H. Kanzenel, 1848. GCC 917. Relation | Was sich vor und bey dem Ende des ehema=lig Würtembergischen Finanzien Directore, nunmehro aber verruchten Ertz=Dieb und be=kannten Land=Betrüber Juden Joseph Süß Oppenheimer ereignet: So wol was seine Reden und Aufführung, als auch sein Bezeigen bey Anhörung des ihme vorgelesenen Urtheils betrifft. Aus glaubwürdig eingeholten Nachrichten mitgetheilet; Nebst einem accuraten Abriß seiner Persohn, wie auch rechtlich vollzogener Eexcution dem öffentlichen Druck übergeben. 1738. GCC 792. Rottweil. Kurze actenmäßige Beschreibung des von Matthias Schnezler, von Stetten, Oberamts Rotweil, den 29. Januar 1827 an seinem Kinde verübten Giftmords. [Stetten] 1827. GCC 966. Schauder= und erbarmungsvolle Begebenheit, so sich mit Erdmann, Bürger und Goldarbeiter, sammt dessen Frau wegen eines unschuldiger Weis, ihm beschuldigten Diebstalles in Nürnberg ereignet, im Jahr 1790. Augsburg: Philipp Joseph Fill, 1790. GCC 344. Schaurichte Nachricht von einer erschröcklichen Mordthat, welche sich zu Panox, einem zwy Stunden von Carlsburg in Siebenbürgen gelegenen Orte zugetragen, nebst der schweren doch wohlverdienten Strafe, so an dem abscheulichen Missethäter Johann Patska den 11ten October 1785 zu Carlsburg vollzogen, und zur ernstlichen Warnung vor Grimm und Rachbegierde durch den Druck bekannt gemacht worden. Wien: Johann Jakob Meyer, 1785. GCC 770. Neu aufgelegt Wien: Joh. Jakob Meyer, 1803. GCC 1118a. Schreckbares und wohlverdientes peinliches Urtheil, welches in allhiesiger löblichen Reichsstadt Augsburg auf den sieben Tischen an Erdlieb Luftballon den 2. September 1786 vollzogen worden. Augsburg, 1786. SuSB Aug 1479 -25. Schwabmünchen. Urgicht und Urtel des in dem hochfürstlichen augsburgischen Pflegamt Schwabmünchen durch den Strang den fünfzehnten April 1779 hingerichteten Anton Pettenhofer gebürtig von Behlingen, bey Neuburg an der Kammel, freyherrlich von vöhlischen Herrschaft, katholisch. Religion, seiner Profeßion ein Zimmermann, verheuratheten Standes, neun und dreyßig Jahr alt. Dillingen, 1779, 15. April. GCC 1098. 316 Straubing. Geschichtliche Darstellung des Verbrechens des Johann Pointinger von Oberdornbach, Landgerichts Viechtach. Straubing1820. GCC 748 und GCC 464. [Strobl, Bernhard?]. Wohlverdientes Todesurtheil des Joseph N. vulgo Patriot, welcher auf höchste Anbefehlung eines Churfürstl: hochlöbl. Hofraths allhier in München wegen theils einbekannt, theils überwiesenen, hochst vermessenen und tollkühnen Verbrechen der Verfassung der aufrührerischen Schrift: Wahrer Überbick der Geschichte der bairischen Nation, sohin puncto criminis perduellionis nach dem klaren Inhalt der wohlbestellten Crimin codex P. i. c. 8 § 1 und andern Agravantien (beschwerenden Umständen) heut Samstags den 11. October 1800. in einer Kühhaut eingenäht zur Richtstadt geschleift, auf dem Wege öfter mit glühenden Zangen gezwickt, und allda lebendig mit 4 Pferden zerrrissen, und so vom Leben zum Tode hingerichtet worden; Die 4 Viertel werden nebenbei zu einem abschreckenden Beispiele auf den Landstraßen der Landesgränze auf Viertelgalgen, der Kopf aber hier auf einem besonderen Hauptviertelgalgen mit der Ueberschrift aufgehangen: Strafe in diesem Lande für Gelehrsamkeit, Vaterlandsliebe und Aufklärung. Endlich wurde all sein Hab und Gut dem Fiscus heimgeschlagen. [München], 1800, 11. Oktober. BSB RES. 4 Bavar. 3000, XV, 10a. Testament, Leichen-Kondukt und Grabschrift des zu Augsburg gebohrnen und zu Gersthofen erblaßten Erdlieb Luftballon.[Augsburg], 1787. SuSB Aug 1479 -13. Trauergeschichte und schröckliches Lebensende des nebst vier andern Malfikanten sub 20ten May 1786. zu Augsburg durch das Schwert vom Leben zum Tode gebrachten Mißethäters, Johann Wölfle, von Fristlingen. Mit Erlaubnis der Oberen. [Augsburg]: Joh. Bernhard Stadtberger, kathol. Buchdrucker, 1786. GCC 1059. Uffenheim. Urgicht und peinliches Urtheil über Jacob Herold, insgemein der Schleiffers=Jackel genannt, welcher wegen vielfältig begangener gewaltsamer nächtlicher Einbrüche und Diebstähle, auch Mord, und Strassen=Raubereyen, zu Uffenheim Donnerstags, den 14. May 1767. mit dem Schwerdt vom Leben zum Tod gerichtet, dessen Cörper aber auf das Rad geflochten, und der Kopf darauf gestecket worden. Das Exemplar kostet 6. Kreutzer. Onolzbach: Christoph Lorenz Messerer, Hoch-Fürstl. privil. Hof- und Canzley=Buchdrucker, 1767. GCC 1110. Unverdientes Todesurtheil zum Kropficht- und Bucklichtlachen nebst einer Moralrede des Witzliwutzli Hackstock, vulgo Lausfresserbueben mit der Kumpfnase aus Schlampampen. [Tribsdrill], [1790]. LMU 0001/Maassen 3724. Unverdientes Todtes-Urtheil, des Kizlibuzli Hackstock, vulgo Lausfresser-Buben, mit der Pumpfnase aus Schlampampen in Frißland gebürtig.[Kribsdril], [1790]. BSB L.eleg.m.850,14. Urthel und reumüthiges Buß= und Abschiedslied des Philipp Feigels, eines Gärtners Sohn von Nürnberg, drey und zwanzig Jahr alt welcher wegen begangener grausamer Mordthat, die er an seinem Mitknecht, Carl Gottlieb Langfritz, eines Todtengräberknechtvon 317 etlichen dreißig Jahren, den 3ten December 1787. auf das erbärmlichste und grausamste verübet hat, und heute, den 18. März 1788. zu Nürnberg zur wohlverdienten Straffe, andern aber zum warnenden Beispiel, mit dem Rad vom Leben zum Tode gebracht worden. An dem Tage seiner Hinrichtung als ein Beispiel und Exempel für jeden Menschen, besonders aber der Jugend zur Warnung, zum ewigen Anden verabfaßt. Nürnberg 1788, 18. März. GCC 762. Valentin, Samuel. End-Urthel | und | Verruf | Nach Kayser Caroli Vti Majestät | glorreicher Gedächtniß, | Peinlicher Halß=Gerichts=Ordnung | verfaßt; | Aller derjenigen | Manns= und Weibs+Persohnen/ |so von | Einem Hoch=Edlen und Hochweisen Rath, | des H.R. Reichs Freyen Stadt Augspurg | Von Anno 1649. bis Anno 1759. vom Leben zum Tod condemniret | und justiciret, theilss auch vor das Rathhaus oder auf den Pranger | gestellt, und mit Ruthen ausgehauen worden. | Und hat solche mit erhaltener | Hoch=Oberherrlich= Gnädiger Erlaubnus | colligiert, zusammen getragen, | und mit einem Kupferstich / | allwo die Herausführung aus der Eisen, Darstellung und Ver= | lesung des Urtheils, wie auch die Hinausführung zu der Richt= | Stadt und Justificierung zu ersehen; | Dem Publico publiciren wollen|Samuel Valentin / Stadt + Gerichts=Waibel. Augspurg: Brinhaußer, Andreas, [1759]. BSB Res 4. Crim. 124. Vilette. Zuverlässige Nachricht von dem Betragen und letzten Worten des bekannten D. Dodds, nebst desselben Anrede an seine Mitgefangenen aus dem Englischen übersetzt, und mit einer Vorede begleitet, von einem Augenzeugen seiner Hinrichtung. Glaubwürdige Nachricht von dem Betragen und letzten Worten Wilhelm Dodds, d.R.D. welcher wegen eines falschen Wechsels Freytags den 27. Junius 1777. zu Tyburn hingerichtet wurde. Leipzig: Gottlob Hilscher, 1777. GCC 500. Vivis, Vevey [Bern]. Urgicht und peinliches Urtheil über zween Zwillings-Schwestern Namens Camilla Hugueli und Maria Nicolet Hugueli, welche zu Vivis im Bernergebieth den 27ten May unbußfertig mit dem Schwert hingerichtet worden. Die Mutter aber ist auf dem Rabensteine mit Ruthen gepeitscht, und nach Bern ins Schellenwerkhaus eingesperrt worden. Bern, 1788. GCC 1108. Vollkommene Lebensgeschichte und Todesurtheil nebst einer Moralrede, des den 27. Junii 1777. hingerichteten Doctors William Dodds in Engeland. Aus dem Englischen in das Deutsche übersetzt. Augsburg: Johann Georg Bullmann, [1777]. GCC 1144. Wahrer Ueberblick der Geschichte der baierischen Nation, oder das Erwachen der Nationen nach einem Jahrtausend. [Straßburg], 1800. BSB Bavar. 2623. Wahrhaffte Vorstellung Der Gewaltsamen Morthat, Welche in Augspurg Ao1767 Den 9 8tbr[sic!] an Einer ornehmen rauens Persohn, on Johann arl Ludwig lenckler, Weinhandler on unzheim Unweit olmar, ebürtig, M rderischer Weise Begangen, Und Daraus Die orhanden ewessene ostbarkeiten Und Baares eld eraubet, Und Damit lüchtig Worden [1767]. Harvard Law School Library, Cambrigde, MA 02138. 318 Wahrhafte Beschreibung und Abbildung der grausamen Mordthat, die des am 3ten Dec. 1787 Mittags um 12 Uhr, von seinem Cammeraden Todtengräbershelfer, Namens Philipp Feugel, 23 Jahr alt, eines Gärtners Sohn von Nürnberg gebürtig, welcher den Todtengräbersknecht, Namens Carl Gottlob Langfritz, auf das erbämlichst und grausamste ermordet, und am 7ten Dec. in Todtengräbers Häuslein, auf den S. Johannis Kirchhof, woderselbe die That vollbracht, in einem engen Loche, vor der Stube eingescharrt gefunden. Wie der Ermordete Carl Gottlob Langfritz in der Caserne gezeigt, und folgende Wunden und Merkmale wahrgenommen worden. [Augsburg], 1788 GCC 360c = C 1 Wahrhafte Beschreibung und Abbildung des zu Nürnberg am 3. Dec. 1787 Mittags um 12 Uhr, von seinem Cammeraden Todtengräbershelfer, Namens Philipp Feugel 23 Jahr alt, eines Gärtners Sohn von Nürnberg gebürtig, welcher den Todtengräbersknecht, Namens Carl Gottlob Langfritz, auf das erbämlichst und grausamste ermordet, und am 7ten Dec. in Todtengräbers Häuslein, auf den S. Johannis Kirchhof, wo derselbe die That vollbracht, in einem engen Loche, vor der Stube eingescharrt gefunden. Wie der Ermordete Carl Gottlob Langfritz in der Caserne gezeigt, und folgende Wunden und Merkmale wahrgenommen worden. Nürnberg, 1788 GCC 360d = A2 Wahrhafte Geschichte den bayrischen Hießl und seine Kameraden betreffend. Augsburg: Huggele, Cathol. Buchdrucker, 1771. GCC 584. Zürich. Urtheil, über Johann Heinrich Waaßer, gewesenen Pfarrer in Zürich, welcher den 27. May 1780. daselbst durch das Schwert vom Leben zum Tode gebracht wurde. Zürich, 1780, 27. Mai. GCC 1089. Andere Quellen Abele, Matthias von Lilienberg. Metamorphosis Teläe Judiciariae, Das ist: Seltsame Gerichts=Händel samt denen hierauf gleichfalls seltsam erfolgten Gerichts=Aussprüchen zusammen getragen und mit lustigen Anmerckungen erläutert auch unterschiedlichen Geschichten vermehret und an vielen Orten verbessert. 6 Aufl. Bd. 1-2. Nürnberg Johann Georg Endter, 1684. GCC 985. Agenda mit Maleficanten nach 1733. Manuskript. GCC Manuskript. Alexis, Willibald. „Ein Mord im Criminalgefängniß von Nürnberg.“ Der Neue Pitaval, Neue Serie. Hg. Bollert, A. Leipzig: Brockhaus, 1867. GCC 840. Alphabetical Index of Names, Dutch, Italian, English, French and Latin. German Criminology Collection: MSU, Special Collections, [1906]. 319 Armbruster, Joh. Michael. 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Die | Bezauberte Welt: | Oder | Eine gründliche Untersuchung | Des | Allgemeinen Aberglaubens/ | Betreffend / die Arth und das Vermögen / Gewalt und Wirckung | Des Satans und der bösen Geister | über den Menschen / | Und was diese durch derselben Krafft und Gemeinschafft thun: | So aus natürlicher Vernunfft und H. Schrift in 4 Büchern bewahren sich unternommen hat ....Aus dem Holländischen nach der letzten vom Authore vermehrten edition, gedruckt zu Amsterdam / bey Daniel von Dahlen/ bey der Börse / Anno 1693. | In die Teutsche Sprache übersetzt. [Amsterdam][1693]. GCC 1200. Berger, Eusebius. Corpus juris civilis Reconcinnatum in tres partes distributum. 1767. . Beutelschneider. Das ist: Newe / wahrhaffte / vnd eigentliche Beschreybung der DiebsHistorien. [Erster Theil. Titelblatt fehlt]. Ander Theil. Darinnen der Beutelschnyder/ Diebe und Rauber arglistigkeit / verschlagenheit/ bossen / rencke / und tücke / auch was sie für wunderbarliche Diebsgriffe [...] in Franckreich gestiffte und begangen haben. In sonderlichen wahrhafften Historien vor Augengestellet [...] Itzund erstlich auß dem Fränzösischen in die Teutsche Sprach vbersetzt Frankfurt: Wilhelm Fitzer, 1627. GCC 496. Bewerlein, Sixtus, und Georg Witmerus. Erschröckliche gantz warhafftige Geschicht welche sich mit Apolonia/Hannsen Geisslbrechts Burgers zu Spalt inn dem Eystätter Bistumb/Haussfrawen/so den 20 Octobris/ Anno 82. von dem bösen Feind gar hart besessen/ vnnd doch den 24. gedachts Monats widerumb durch Gottes gnädige Hilff/ auss solcher grossen Pein vnnd Marter entlediger worden/ verlauffen hat ... / durch M. Sixtum Agricolam ... vnd dann D. Georgium Witmerum. Ingolstatt: W. Eder, 1587. GCC 516. 320 Binsfeld, Pierre, und Bernhart Vogel. Tractat von Bekanntnuss der Zauberer und Hexen. München: A. Berg, 1591. Blumblacher, Christoph. Commentarius in Kayser Carl desß Fünften / vnd deß Heil. Röm. Reichs | Peinliche | Halsgerichts=Ordnung / .... 2 der anderte Druck ed. Salzburg: Johann Baptist Mayr, 1740. GCC 1333. Boysen, Friedrich August. Versuch einer Beantwortung der [...] Preisfrage: Wie weit, wenn anders überhaupt, darf die moralische Schätzung einer Handlung bei der Festsetzung eines Strafgesetzes und bei der Anwendung desselben in Anschlag kommen? . Drei PreisSchriften der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Berlin: Johann Friedrich Unger, 1804. GCC 849. Büttner, Christoph Gottlieb, und Johann Daniel Metzger. Vollständig Anweisung, wie durch anzustellende Besichtigung ein verübter Kindermord auszumitteln sey, mit beigefügten eigenen Obductions=Zeugnissen. Zum Nutzen neu angehender Aerzte und Wundärzte aufs neue herausgeben und mit Anmerkungen begleitet von Johann Daniel Metzger, Königl. Preuß. Geheimenrath und Leibarzt. 1771. Königsberg: Göbbels und Unzer, 1804. GCC 309. Christensen, C.D. Alphabetisches Verzeichnis einer Anzahl von Räubern, Dieben und Vagabonden, mit hinzugefügten Signalements ihrer Person und Angabe einiger Diebesherbergen, entworfen nach den Aussagen einer zu Kiel in den Jahren 1811 und 1812 eingezogenen Räúberbande. Nebst einem erläuternden Vorbericht über die verschiedenen Gattungen, Lebensweise und Sprache dieser Gauner. Hamburg: Bohn, 1814. GCC 877. Cleß, Wilhelm Jeremias Jacob. Sicherer und getreuer Wegweiser für arme Maleficanten in den Gefängnissen. Begreifend 1. Einen schriftmässigen Unterricht von Busse, Glauben und seeligem Sterben. 2. Erweckliche Gebette auf allerhand Umstände. 3. Erbauliche Exempel wolbereiteter Maleficanten. Stuttgart: Gottlieb Friderich Jenisch, 1753. GCC 1197. Corpus Juris Militaris, Darinnen insonderheit Das Churfürstl. Brandenburgische Kriegs=Recht und Artickels=Brieff [...] Frankfurt, Leipzig: Rupert Völckers, 1687. GCC 690. Criminal=Prozedur gegen den Kaufmann Peter Anton Fonk aus Köln, wegen der im November 1816 geschehenen Ermordung des Wilhelm Coenen aus Crefeld. Eröffnet bei dem Assisenhof zu Trier den 23. April 1822. Trier: F.A. Gall, 1822. GCC 530. Criminalproces und execution derer unlängst wegen vorgehabter ermordung Sr Kön May. von Gros=Brtitannien zu London hingerichteten Verräter / Robert Charnocks, Eduard Kings und Thomas Keys, aus dem Englischen übersetzt. Leipzig: Thomas Fritsch, 1696. GCC 425. Des bekannten Diebes, Mörders und Räubers Lips Tullians, und seiner Complicen Leben und Übelthaten, Dabey GOttes sonderbare Schickung erhellet / als vor der Königl. Commission 321 neun Personen ohne Tortur, ihre begangenen grossen Missethateh gültlich bekannt haben / ohngeachtet ihrer Viere davon zu anderen Zeiten, die Tortur zum 3. und 4. mahlen ausgestanden, und die Wahrheit halsstarriger Weise verhalten. [...]Dresden: Johann Christoph Krause, 1716. GCC 495. Diebs- und Räuber=Signalement und Jauner=Wörterbuch. Karlsruhe: Gottlieb Braun, 1820. GCC 494. Dying Speeches & Bloody Murders: Crime Broadsides collected by the Harvard Law School Library. . Zugriff 2013. Falkenberg, Carl. Versuch einer Darstellung der verschiedenen Classen von Räubern, Dieben und Diebeshehlern, mit besonderer Hinsicht auf die vorzüglichsten Mittel sich ihrer zu bemächtigen, ihre Verbrechen zu entdecken und zu verhüten. Ein Handbuch für Polizeibeamte, Criminialisten und Gensd'armen. Vol. 1 + 2. Berlin: Duncker und Humblot, 1816-1818. GCC 875. Feuerbach, Anselm. Aktenmäßige Darstellung merkwürdiger Verbrechen. Vol. 1, 2. Giessen: Georg Friedrich Heyer, 1828-29. GCC 1171. Feuerbach, Paul Anselm. Strafgesezbuch [sic!] für das Königreich Bayern. 1813. . Zugriff 2011. Folgt hernach | die Ordnung deß | Hals Gerichts, Wie | es allhie in Dieser Keyß. | Reichs Statt Nürnberg | gehalten wird. [Malefizbuch Nürnberg]. Manuskript. GCC 1238. Fonk, Peter Anton. Der Kampf für Recht und Wahrheit in dem fünfjährigen Criminal=Processe gegen Peter Anton Fonk von Köln, von ihm selbst herausgegeben und seinen Mitbürgern zur Beherzigung gewidmet. Koblenz: Hölscher, 1822. GCC 525. "Formicae Quoque Sua Bilis Inest." Politica Politica, id est Urbium Designatio, Civili Prudentiae Parandae Accommodata: Quippe hic Praeter genuina & Graphica DCCC. Civitatium, Arcium ac Munimentorum Toto Orbe Celeberrimorum Simulacra, etiam Nobilium Praedia Caelata invenias ... O... Nürnberg: Helmer, 1700. G 13. . Zugriff 2013. Francisci, Erasmus [E. Finx]. Der | Hohe Traur=Saal | oder | Steigen und Fallen | grosser Herren: | Fürstellend / | Aus allen vier Welt=Theilen / unter= | schiedliocher hoher Stands= Staats und | Glücks=Personen wunderbare und traurige | Veränderungen / so in den nechsten anderthalb hundert Jahren/ und zum Theil bey heu= | tigen unsren Läufften / sich | gefüget [...]. Nürnberg: Michael und Joahnn Friedrich Endter, 1676. GCC 934. Genaue Beschreibung der Bastille von einem Französischen Edelmanne der vierzehn Jahre in diesen Staatsgefängniß zubrachte. 1789. GCC 333. 322 Goldast, Melchior. Rechtliches Bedencken, von Confiscation der Zauberer und Hexen-Güther: ueber die Frage: ob die Zauberer und Hexen, Leib und Guth mit und zugleich verwürcken, allso und dergestalt, dasz sie nicht allein an Leib und Leben, sondern auch an Haab und Guth, können und sollen gestraffet werden?: sampt einverleibtem kurtzem Bericht, von mancherley Arth der Zauberer und Hexen, und deren ungleiche Bestraffung. Bremen: Gedruckt bey Arendt Wessels ... Buchdruckern in Verlegung Peter Köhlers, Buchhändlers daselbst, 1661. Gründliche Nachricht Von Entsetzlichen und Erbärmlichen Mord=Thaten / Schändlichen Kirchen=Raub Und vielen gefährlichen Dieb=Stählen Nebst beygefügten Verzeichniß Der Nahmen vieler Spitzbubn / Ihre Gesetze darauff sie schweren müssen / wann sie in die Bande aufgenommen werden / auch die Ceremonien so dabey vorgehen und dereo geheime Ordenn so selbige von ihren Obern empfangen / Darbey eine treuhertzige Warnung und Nachricht Wie man sich in Städten als auch auff dem Lande gegen solche Mörder und Diebe Einfall wohl verwahren und alles Unglück verhüten kan. 1715. GCC 785. Harsdörffer, Georg Philipp. Der grosse Schau=Platz jäm[m]erlicher Mord=Geschichte / Bestehend in CC. traurigen Begebenheiten: mit vielen merckwürdigen Erzehlungen / neu=üblichen Gedichten / Lehrreichen Sprüchen . scharffsinnigen / artigen Schertz=Fragen und Antworten ect. Verdolmetscht; und mit einem Bericht von den Sinnbil;dern . wie auch hundert Exempeln derselben / als einer neuen Zugabe / auß den berühmtsten Autoribus, Durch Georg Philipp Harsdörffern / Eines Ehrlöbl. Stadt=Gerichts zu Nürnberg Beysitzern. Zum siebenden mal gedruckt. Frankfurt, Hamburg: Gottfried Liebezeit, 1693. GCC 953. Nachdruck: Der Grosse Schau-Platz jämmerlicher Mord-Geschichte. Hildesheim: New York, 1975. Haussmännen, Walpurga [Angeklagte]. Vrgicht vnd Verzaichnuss, so Walpurga Haussmännen zu Dillingen, inn ihrer peinlichen Marter bekandt hatt: was sy für Vbels vnd Jamers mit jhrer Hexerey, so sy biss in die 30. Jar getrüben, angericht vnd gestüfft hat, mit Hilff vnd Raht jhres Bülteüffels, so ihr darzu geholffen: welch Walburga Anno 1587. Jar, den 24. October, verbrandt vnd gericht ist worden, &c. [S.l.: s.n.], 1588. Hertfordshire, University of, University of Sheffield, und Open University. "The Proceedings of the Old Bailey, 1674-1913." . Zugriff 2013. Hitzig, J.C. und W. 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Wohlverdientes Ehren-Gedächtnüs Welches dem Weyland Manifico ... Herrn Adrian Stehern ... vor Unzehlige erwisene Wohlthaten am Tag seiner Beerdigung / War der 26. August Anno 1700. Leipzig, 1700. VD 17 14:707090M. Pitaval, Gayott von. Erzählung sonderbarer Rechtshändel, sammt deren gerichtlichen Entscheidung. Aus dem Französischen übersetzt. Leipzig: Gottfried Kiesewetter, 17471767. GCC 895. Posselt, Ernst Ludwig. Unparteyische, vollständige und actenmäsige Geschichte des peinlichen Prozesses gegen Ludwig XVI König von Frankreich. Basel, 1793. GCC 725. Proyart, Abbe. Der entthronte Ludwig XVI. ehe er König war: oder Entwurf der Ursachen der französischen Staatsumwälzung, und der Erschütterung aller Throne. Nach der neuesten Ausgabe ins Deutsche übersetzt. Washington: auf Kosten der vereinigten Staaten, 1804. GCC 722. Reformacion der kayserlichen Stat Nuremberg. [Nuremberg]: Hieronymus Holtzel, 1503. MSU XX folio KN0 .N8 1503. Saint-Meard, Jurgniac. 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BAmbergische halßgerichts | vnd rechtlich Ordenung / in Peinlichen sachen zuo volnfare[n]/ allen stetten / Communen | Regimenten / Ampleüten/Vogkten Verwesern/ Schulteysen Schöffen vnd Richtern | Dienstlich / fürderlich und behilflich / Darnach zuhandeln und rechtsprechen gantz glich=| formig gemein[n] geschrieben rechten etc. Daruß auch diß büchlin getzogen vnd vleissig ge= | meynem nuotz zuguott / gesamelt vnd verordnet ist. [Bamberg] [Mainz] [1508?]. GCC 823. Schwenken, C.P.T. Notizen über die berüchtigten jüdischen Gauner und Spitzbuben, welche sich gegenwärtig in Deutschland und an dessen Gränzen umhertreiben, nebst genauer Beschreibung ihrer Personen. Nach Criminal-Akten und sonsteigen zuverläßigen Quellen bearbeittet und in alphabetischer Ordnung zusammengestellt. Marburg, Cassel: Johann Christian Krieger, 1820. GCC 545. [Sittliche Zustände in Wien] [Wien]: Drucker Adalbert della Torre. GCC 1283. Spitzel, Gottlieb. Die gebrochne Macht der Finsternüss, oder, Zerstörte teuflische Bunds- und Buhl-Freundschafft mit den Menschen: das ist, gründlicher Bericht, wie und welcher Gestalt die abscheuliche und verfluchte Zauber-Gemeinschafft mit den bösen Geistern angehe: wie dieselbe zu- und fortgehe ...: allen heyl- und gnaden-begierigen ... Seelen, zum nothwendigen Unterricht und heylsamer Widerkehrung, beschrieben. Augspurg: In Verlegung Gottlieb Göbels Seel. Wittib. gedruckt bey Jacob Koppmayer, 1687. Supplication - an Kei= | serliche Maiestat - Der | Mortbrenner halben / Auff dem | Reychstag zu Regenspurg / | Kayserlicher Mayestat vber= | antwortet etc. 1541. GCC 1030. Temme, I.D.H. Der Dieb und sein Kind. Berliner Criminal=Geschichte. 2 Aufl. Berlin: Gustav Behrend, 1864. GCC 493. Train, J. K. von. Chochemer Loschen. Wörterbuch der Gauner- und Diebs- vulgo Jenischen Sprache, nach Criminalacten und den vorzüglichsten Hülfsquellen für Kustiz- Polizei- und Mauthbeamte, Candidaten der Rechte, Gendarmerie, Landgericgtsdiener und Gemeindevorsteher. Vol. F. Gödsche. Meißen, 1833. GCC 1208. Ueber die Verwerflichkeit der Tröge als ein Zwangs-Mittel zur Erforschung der Wahrheit in peinlichen Fällen. Berlin: Carl Friedrich Meyer, 1789. GCC 1060. 326 Verzeichnis der Hausbesitzer und Straßen der Kön. Baierischen Stadt Augsburg. Augsburg: Brinhaußer, Johann Andreas, 1801. 2012. Zugriff 2012. Vulpius, Christian August, und Karl Riha. Rinaldo Rinaldini, der Räuberhauptmann: romantische Geschichte (1799). Insel Taschenbuch 426. Nachdruck Frankfurt am Main: Insel-Verlag, 1980. Wagenseil, C.J. „Verzeichniß einiger Capital-Verbrechen, welche in der Reichsstadt Kaufbeuern vom Jahr 1530 bis ins Jahr 1775 abgestraft worden sind.“ Journal von und für Deutschland. 1784-1792 1789. Waldmann, Probst. Die Geistliche Vermählung Christi mit denen Seelen deren Gläubigen: wurde Nach Anleitung der Worte des ordentlichen Evangelii [...] Denen beyden Delinquenten Johann Gottfried und Johann Balthasar Gebrüderen der Müller, theils Zur Vorbereitung zum würdigen Genuß des Heiligen Abendmahls, Theils aber auch zur Erweckung einiger Freudigkeit gegen deren bevorstehenden Executions=Tage, welcher der daruffolgende Dienstag war, in zwyen Predigten, die man hier kurtz zusammen tragen wollen, in Beyseyn einiger Frommen Christen-Seelen in der hiesigen Hauptvoigtey vorgestellet, von Probst Waldmann. Berlin: Johann Andreas Rüdiger, 1737. GCC 565. Warhafftige vrgicht vnd bekanthnus, der Landtgräfischen diener, Hanse Eckern von Gelhausen, Bürger zu Cassel, vnnd Wilhelmen von Werden, genant Weinbrenner zu Franckfurt Burger, welche ... vmb jrer Boesen that vnd mißhandlung willen, welcher geleichen in Deutscher Nation nim[m]er gehört oder gebraucht, aus gnaden erstlich enthaupt vnd darnach geuierdteylt: Geschehen zu Franckfort am Mayn, den xij. tag Aprilis. 1547. . Wenck, Carl Friedrich Christian. Die Criminal=Procedur wie sie nicht sein soll. In einer streng chronologischen Darstellung des sechsjährigen Verfahrens gegen Peter Anton Fonk...Nebst einem Anhange über den Thatbestand. Leipzig: Hartmann, 1825. GCC 424. Witekind, Hermann. Christlich bedencken und erinnerung von Zauberey. Jetzend zum dritten und letzten mal gemehret auch mit zu end angehengter widerlegung etlicher irriger meinung und breuche in diesem handel. Speier: B. 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