ummsumum zu MdéMCMEH‘EN, UMFANG um mamas mama- smemmx HES mam "s'hesés A}: in: Degree sf Ph. [3. HICHIGAH STATE LENEH’EHSI‘W HANS A. KESEL 1195? THESIS far A ‘3‘ I . au‘g. its} . » E hiifi'ltlfrlfi S“ {is E .. U f 0’ 1 “' s". This is to certify that the thesis entitled Untersuchung zu MBglichkeiten. Umfang und Typologie verbaler Synonymik bei Otfrid presented by Hans A. Kissel has been accepted towards fulfillment of the requirements for pk ID degree inmn %ajor professor I Date MCLU‘X‘ L7} “:16? 0-169 ABSTRACT UNTERSUCHUNG ZU MéGLICHKEITEN, UMFANG UND TY POLOGIE VERBALER SYNONYMIK BEI OTFRID by Hans A. Kissel Diese Dissertation versucht die Grundprinzipien Otfrid’scher Verbsynonymik zu erfassen. Bisherige Studien zu Otfrid haben sich entweder grammatikalisch zu Otfrid geéiussert oder seinen Stil auf allgemeine Weise behandelt. Es ist bisher noch kein Versuch ge- macht warden, Otfrid’sche Verbsynonymik in grosserem Umfang zu untersuchen. Es wird deshalb in dieser Studie versucht, einen Einblick in die Mfiglichkeiten, den Umfang und die Typologie Otfrid’scher, und als Nebenergebnis vielleicht auch ahd. Verbalsynonymik, zu erhalten. Otfrid bietet sich durch Umfang und Absicht seines Evangelienbuches als gutes Objekt fiir eine solche Untersuchung an. Das erste Kapitel gibt einen fiberblick fiber die Verben bei Otfrid, wobei die meisten von ihnen nach Begriffsfeldern zusammen- gestellt werden. Da vi‘ele Verben bei Otfrid mit relevanten oder irrelevanten untrennbaren Praefixen auftaucben, wird ebenfalls ein Hans A. Kissel kurzer Abriss fiber die Bedeutung der Vorsilben fiir mdgliche se- mantische Unterschiede gegeben. Das zweite Kapitel hat dann eine Auswabl aus den im ersten Kapitel aufgestellten Begriffsfeldern, indem es sie in Wortfelder un- terteilt. Dabei wird ein neuhochdeutsches Verb als Ausgangspunkt genommen. So wird z. B. untersucht, wieviel Variationsmiiglichkei- ten Otfrid fiir “sterben” gebraucht. Bei diesem Beispiel wird man finden, dass er “sterban” und “douwen” synonymisch variiert. Als Kriterion fiir die Erschliessung moglicher Verben als Synonyme wird der Kontexttest angewendet, bei dem das Vorkommen im gleichen Kontext Synonymitéit beweist oder vermuten lisst. Letzteres muss in einer Reihe von Fillen festgestellt werden, wenn zu wenig Beleg- stellen vorhanden sind. Das dritte Kapitel sucht die in Kapitel III aufgestellten Sy- nonyme im Hinblick auf ihre mfigliche Abhingigkeit von lateinischer Synonymik oder aJlgemeinem semantischen Einfluss zu interpretieren. Besondere Beachtung wird dabei auf eine mogliche verscbiedene Sprachebene (Klostersprache oder Volkssprache) objektiv gleicher Synonyme gelegt. Schliisse zu diesem Problem sind naturgeméiss unsicher, aber es scheint mir doch evident geworden zu sein, class Otfrid mit Verben aus der Volkssprache arbeitete. 21' Md re 5“ O :1; hat-:6 Hans A. Kissel Als Ergebnis dieser Untersuchung blieb festzustellen, dass Otirid verhéiltnismblssig grosse Mdglichkeiten zur verbalen Synony- mik hatte, class der Umfang seiner Synonymik bemerkenswert ist und dass eine Reihe objektiver Synonyme verscbiedener Sprachebene entstammen. UNTERSUCHUNG ZU MbGLICHKEITEN, UMFANG UND TYPOLOGIE VERBALER SYNONYMIK BEI OTFRID By ‘9 so A Hans A\. Kissel A THESIS Submitted to Michigan State University in partial fulfillment of the requirements for the degree of DOCTOR OF PHILOSOPHY Department of German and Russian 1967 ACKNOWLEDGMENTS The author wishes to express his sincere thanks to his the- sis director, Dr. Philip Morris, assistant professor of German at Michigan State University, for his guidance and valuable advice during writing of this thesis. Gratitude is also extended to the members of the guidance committee--Dr. William N. Hughes, Dr. Stuart A. Gallacher, and Dr. George W. Radimersky--who had to wait patiently for the com- pletion of this thesis. My special thanks goes to Professor Gallacher for his in- terest in the topic and for his help and advice during my years as a graduate student at Michigan State University. ii IN HALT SANGABE AC KNOWLEDGMENTS ........................... EINLEITUNG ................................. I. GRUNDSATZLICHES ZU MGGLICHKEITEN UND FORM VERBALEN AUSDRUCKS BEI OTFRID ..... Wortfeld-or-ientierte Ubersicht iiber Mfiglich- keiten ............................... Die Bedeutung des Prefixes fiir semantische Unterschiede .......................... n. UMFANG IN AUFSCHLUSSELUNG DURCH SACHGRUPPEN .......................... Christentum ............................. Sinnliche Wahrnehmung ..................... Gefiihle und Ausdruck der Gefiihle ............. Willensfiusserung .......................... Sagen und Sprechen ....................... Denken und Erkennen ...................... Gehen ................................. Recht und J ustiz .......................... Tun und Wirken .......................... T6ten/vernichten/sterben .................... Schlagen/verletzen/qualen ................... Nicht-kategorisierte Verben .................. III. ZUR TYPOLOGIE IN ETYMOLOGISCHER UND SOZIOLOGISCHER SICHT ................... Vorlage und Publikum ...................... iii 16 26 30 38 41 47 51 56 58 60 63 65 68 71 85 85 Seite Etym010gische und Soziologische Bemer- kungen ............................... 89 IV. ZUSAMMENFASSUNG ........................ 105 BIBLIOGRAPHIE ............................... 108 INDEX DER BEHANDELTEN ALTHOCH- DEUTSCHEN VERBEN ........................ 111 iv EINLEITUNG Die meisten Studien althochdeutschen Wortmaterials haben sich in historischer Sicht und auf allgemeine Art mit der althochdeutschen Semantik oder Wortschépfung und Wortwahl beschaftigt. Dabei wurde entweder das Lateinische zum Ausgangspunkt genommen und sein Einfluss durch Lehnwort und Lehnpréigung zu erfassen versucht1 oder einzelne Wort-und Begiffsfelder wurden synchronisch und dia- chronisch fiir das Althochdeutsche interpretiert.2 Innerhalb dieser Untersuchungen fiir das Ahd. haben die Begriffsabstrakta und das Substantiv im allgemeinen mehr Aufmerk- samkeit erhalten als das Verb. Es ist allerdings in letzter eine Abhandlung iiber das verbale Wortfeld des ‘Sagens und Sprechens’ im Ahd. erschienen.3 Sonst sind aber kaum Untersuchungen er- schienen, die sich sich mit Moglichkeiten verbaler Variation im 1W. Betz, Lateinisch und Deutsch. Bonn 1949. 2Gilbert de Smet, Die Ausdriicke fiir ‘leiden’ im Althoch- deutschen. WW 5 (1954/55), S. 69-79. 3H. Vogt, Sagen und Sprechen: ein verbales Wortfeld des Ahd. Diss. Hamburg 1953. Ahd. beschiiftigen, d.h. Studien zur verbalen Synonymik zu einem ahd. Werk oder Autor. Das ist wohl nicht weiter verwunderlich, da ahd. Literatur fast ausschliesslich ‘Ubersetzungsliteratur’ ist, in der die bekannten oder unbekannten Verfasser der Dokumente sich wortlich oder ziem- lich eng ans Lateinische hielten. Von Stil und Ausdrucksvariation kann daher kaum die Rede sein. Der Natur der Sache gem'ass bie- tet sich Otfrids Evangelienbuch als ein gutes Objekt an, die Mdglich- keiten und Absichten eines Autors einer weit zuriickliegenden Zeit im Hinblick auf verbale Variation hin zu untersuchen. Erdmann hat es zwar unternommen, in seiner Untersuchung iiber die Syntax der Sprache Otfrids dem Verb einen besonderen Hauptteil zu widmen,1 aber die M6glichkeiten und der Umfang verbaler Variation bleiben doch offen. Wenn man vom Heliand absieht, dann eignet sich wohl kaum ein Werk des Ahd. so dazu, die M6glichkeiten einer ‘freien,’ d.h. nicht unmittelbar vom Lateinischen beeinflussten Synonymik zu verfolgen, wie das Evangelienbuch. Dieses Werk ist umfangreich genug, um viele Gebiete des Lebens und menschlicher Tatigkeit zu behandeln oder wenigstens zu streifen, sodass man einen guten 1Otto Erdmann, Untersuchungen iiber die Syntax der Sprache Otfrids. I. Verbum. Halle 1874/77. Einblick in die zugrundeliegenden verbalen Variationsméiglichkeiten und -absichten bekommt. Das Ziel dieser Untersuchung ist, einen Einblick in den Umfang, die Mfiglichkeiten und die Struktur von Otfrids verbaler Variation zu bekommen. Ich hoffe dabei aufzuzeigen, dass Otfrid ein umfangreiches Synonympotential hat (Kapitel I), dass er dieses Reservoir ausnutzt und wie (Kapitel Il), welcher Art diese Syno- nyme ihrer Herkunft nach sind und wie sie sich eventuell typolo- gisch einordnen lassen (Kapitel III). Das stellt sich methodisch so dar, dass ich im ersten Kapi- tel eine Ubersicht iiber Otfrids verbalen Wortschatz gebe, indem ich Verben eines Begriffsfeldes, auf neuhochdeutschen Stichwb‘rtern basierend, zusammengruppiere. Es ist damit‘ eine Vorauswahl ge- troffen, die im zweiten Kapitel prazisiert wird. Dort werden dann charakteristische Verben von Wortfeldern meiner Wahl und einige nicht leicht gruppierbare Verben auf ihre Synonymitat hin unter- sucht. Die Methode ist dabei synchronisch. Im dritten Kapitel werden darauf die festgestellten Synonyme auf ihre etymologische und soziologische Struktur hin untersucht. Uber den engeren Rahmen dieser monographischen Unter- suchung mag diese Studie vielleicht hinausweisen auf das gréssere Gebiet des Ahd. in seiner gesamten semantischen Struktur und seinen Variationsmoglichkeiten. Es kiinnte dariiber hinaus auch als eine Anregung und ein Beitrag zu einem moglichen stilistischen Wéirter- buch des Ahd. aufgefasst werden, wobei dieses auf neuhochdeutschen Stichwfirtern aufbauen konnte. ID .. .. I. GRUN ATZLICHES ZU MOGLICHKEITEN UND FOR VERBALEN AUSDRUCKS BEI OTFRID Wortfeld-orientierte Ubersicht iiber Mbglichkeiten Es lassen sich bei Otfrid formal-statistisch etwa looo Verben im Lexikonteil der Erdmann-Wolff Ausgabe1 feststellen, die dann also ungefiihr ein Drittel der im Kelle-Glossar2 aufgefiihrten Gesamtzahl von 3325 Wb'rtern ausmachen wiirde. Das scheint eine hohe Zahl zu sein, selbst wenn man den Umfang von Otfrids Gesamtwerk beriicksichtigt. Wenn man jedoch den Lexikonteil statistisch durch- sieht, dann findet man eine grosse Anzahl von Verben mit oder ohne untrennbare Vorsilben aufgefiihrt. Man k6nnte sicher die Bedeutung dieser Prefixe priizisieren und damit zu einer Reduktion der Verb- zahl kommen. Bevor aber Bemerkungen zu diesem Problem gemacht werden, mochte ich zuniichst einen Abriss iiber die Verben geben, 1Otfrids Evangelienbuch. hrsg. von Oskar Erdmann. 4.Aufl. bearbeitet von Ludwig Wolff. Tiibingen 1962. Dies ist die Ausgabe, die fiir diese Untersuchung benutzt wurde. Von nun an kurz Erd- mann-Wolff Ausgabe. 2Otfrids Evangelienbuch. bearb. v. Johann Kelle. 3 Bande. Regensburg 1881. ' so wie sie sich bei Durchsehen des Lexikonteils und mehrmaligem Durchlesen des Ejvangehenbuches als zu einem Begriffsfeld geh6rend darbieten. In der Zusammenstellung werden die Verben mit ihren rele- vanten oder irrelevanten Prefixen aufgefiihrt, sodass also zwei oder drei Infinitivformen eines Verbs auftauchen kdnnen. Meine Zusam- menstellung wurde dabei hauptsachlich von der im Lexikonteil ange- gebenen Ubersetzung bestimmt, deren Richtigkeit und Haufigkeit fiir den Umfang der Synonymik innerhalb dieser Begriffsfelder im zweiten Kapitel zur Sprache kommt. Gehen/Kommen faran gen gahon gikeren ilon loufan reison sinnan queman wallon wenten werben Sehen biegen kapfen luagen inseffen scouwen sehan spiohon staren Sagen/ Sprechen/Reden bagen giwahinen koson kunden maren quedan quitilon rachon redinon redon sagen sprehhan zellen Tun/Machen/ Bewil'ken duan frumman garawen bithihan biwerban hursgen irkoboron machon siton scepfen uaben wirken werkon Traue r/Klage weinon biweinon riazan biriazan klagon kumen bikumen mornen riwan riwen wuafan Freude sih bliden sih menden sih frewen Furcht/Schrecken sih forahten intratan hintarqueman intsizzen sih sciuhan iregison sih brutten irqueman H 6ren horan losen firneman Bitten bitten fergon thiggen Verbieten bilahan firbiatan firsagen firsprechan Versuchen/Verlocken koron gispanon irspanan Sterben sterban douwen Begraben bigraban bidelban Schlagen slahan bliwen bifillen fillen houwen Tbten gidoten irslahan bifellen irthuesben firthuesben irlesgen Vernichten/Zersttiren firthuesben suenten firquisten firzeran irlesgen intneinen zilos en ziwerfan 10 zislizan zistozan Zeigen zeigon gisceinen ougen irougen weizon biliden Beschiitz en/Verteidigen biwerren girechen biscirmen scirmen gimunton umbithekken Gelingen/Gliicken zawen gilingan kleken Entbehren/ermangeln inberan gimangolon githarben missen brestan gibrestan Uberwinden/besiegen ubarwintan ubarstigan ubarkoboron strewen ubarwinnan 11 Abnehmen/schwinden suintan suinan wanon Zieren/schmiicken giziaren malon gislihtan gigarawen Geziemen gizemen limfan gilimfan Zogern dualen elten Erklaren/deuten antfriston spunon irreken Schweigen suigen thagen Wohnen wonen buen 12 Waschen wasgan thuahan Sich Hiiten/in acht nehmen sih bigoumen giwarten giweren borgen sih warnon Verbergen/verstecken gibergan firbergan bihellen bitheken firhelan Vollenden bibringan frambringan irfullen Verletzen/verwunden seren gilezzen krimman irwerten wunton Vermeiden biwankon bimiden firberan firmidan 13 1211:9192 firsellan sellen gilaen firlaen meldon Auferstehen irstantan irstan skriken Erlbsen nerien ginerien retten irretten giheilen irlosan Martern/qualen martilon quellen pinon Leiden/dulden lidan gidragan firdragan thulten githulten tholen Beriihren biruaren birinan rinan 14 Sich Schfimen sih seamen sih midan Sich Wundern sih wuntoron hintarqueman Zwingen gibeiten noten Schelten/schmahen refsen scelten Stehlen firstelan stelan githiuben Beschwfiren bisuerien biminigon Betrg" en bidriagan bisuichan Anklagen bizellen anafortan ruagen zihan in-kan 15 Glauben/meinen gilouban wanen gidrahten Eenkeman) gidrahton gihogen gihuggen gidenken Fragen fragen eiscon Rufen ruaien haren Feiern firan gifehan Verschliessen bisperren biduan (sich)Kleiden waten werien githeken Befreien intbindan irlaren firfahan 16 Die Bedeutung des Prefixes fiir semantische Unterschiede Jede Beschaftigung mit althochdeutschem Wortmaterial, ob Adjektiv, Substantiv oder Verb, bringt den Untersuchenden mit einer oftmals verwirrenden Vielfalt semantischer und formaler Art in Beriihrung. So lassen sich nach der Ubersicht iiber die Verben im Hinblick auf die Form folgende Feststellung treffen: eine Reihe von Verben wird durch eine Anzahl von Prefixen modifiziert, z.B. ougen— irougen, fillen-bifillen. Die Frage, die sich aufdrangt, ist natiirlich diese: Welcher Unterschied besteht zwischen den Verba simplicia und den durch Prefixen erweiterten Komposita (wenn iiberhaupt)? Obwohl das Thema dieser Untersuchung der Umfang und die Mdglichkeiten verbalen Ausdrucks in semantisch-stilistischer Hin- sicht ist, mochte ich dennoch einige allgemeine Bemerkungen fiber die Beziehung zwischen Form und Semantik geben, die dann spater bessere Schliisse zur Synonymik erlauben. Indem man die seman- tisch irrelevanten Vorsilben ausschaltet, kfinnte man ausserdem bei einer Aussage iiber das Verb bei Otfrid zu einer bedeutenden Re- duktion der im Lexikonteil aufgefiihrten wirklichen oder erschlos- senen Infinitivformen kommen. Eine Pra'zisierung der Bedeutung der Vorsilben scheint mir auch deshalb angebracht, da sich im Laufe der Zeit in der deutschen Sprache bedeutende und oft schwer erlernbare figi..--..s_|m 17 Unterschiede zwischen Verba simplicia und Verba composita heraus- gebildet haben. Der herausragende Unterschied der ahd. Verbstruktur ist wie im Neuhochdeutschen der Unterschied zwischen starken und schwachen Verben, der sich formal auf verscbiedene Weise zeigt. Man darf wohl sagen, das die urspriingliche Form des Verbs das Simplex war, das allerdings verschiedener Herkunft sein konnte: de-adjektivisch, de-nominal, de-verbal. Vor der dokumentierten Zeit und dann spater in der historischen Zeit des Ahd. wurden diese Verba simplicia aller Konjugationstypen durch Praefixe erweitert. Dieser Prozess der Praefigierung durch noch durchschaubare oder schon verblasste Vorsilben war in der ahd. Periode allgemein wirk- sam. Es bliebe dabei zu untersuchen, inwieweit das Lateinische als Form und Vorbild mitgeholfen hat, einem einfachen Verb durch eine Vorsilbe eine neue oder modifizierte Bedeutung zu geben. Ich darf hier wohl zusammen mit anderen annehmen,1 dass die Notwendigkeit, lateinische Verben zu iibersetzen und iiberhaupt neue Mfiglichkeiten verbalen Ausdrucks zu schaffen, dieser Tendenz Vorschub geleistet 1Werner Betz, Lateinisch und Deutsch. Bonn 1949. 18 hat. Eine genauere Aussage dariiber wiirde allerdings wohl eine eigene morphologische Untersuchung erfordern. Es soll aber an dieser Stelle versucht werden, einige Haupt- punkte des Problems herauszugreifen und Prinzipien zu erkennen. So lasst sich allgemein sagen, dass es im Ahd. 6 untrennbare Prae- fixe gibt, die in voller oder abgeschwiichter phonetischer Form Unterschiede verursachen oder verursachen konnen. Diese Praefixe sind in alphabetischer Reihenfolge: bi-(be-) fir-(fur-) gi-(ga-)(ge-) int-(ant-) ir-(ur-) zi-(za-)(ze-) Die erstgenannten Formen sind die bei Otfrid, wahrend die in Klammern die hauptsachlichsten orthographischen und phonetischen Varianten des Ahd. angeben. Es soll bei diesem Uberblick iiber die Funktion der untrennbaren Praefixe bei Otfrid nicht auf deren Her- kunft eingegangen werden, da andere zu diesem Thema gehandelt haben. 1 1E. G. Graff, Althochdeutscher Sprachschatz, Erster Teil. Berlin 1834. H. Paul, Beitr. 6, 247. 19 Wie bei vielen anderen Abhandlungen zu Grundprinzipien ger- manischer Sprachwissenschaft hat auch bei der Aufzahlung der ver- balen Praefixe und ihrer formalen und semantischen Interpretation J. Grimm Pionierdienste geleistet. Einige meiner allgemeinen Bei— spiele sind daher Grimm entnommen und im Hinblick auf das vorlie- gende Thema entweder iibernommen oder modifiziert worden.1 Grimm unterscheidet sechs ‘untrennbare Partikeln mit verbis,’ die, wie er richtig bemerkt, von weiter Bedeutung sein konnen und nach Zeit und Mundart in verschiedenen Formen auftreten. Das Praefix _i_n_t; kann ein Verb auf verscbiedene Weise modi- fizieren. Es kann ein “gegen, widrig, hose” ausdriicken wie z. B. in 5119.13.11. (sprechen)--intquedan (entgegnen) £13.92 (bezahlen)-- ntgeltan (vergelten) Weniger héiufig driickt es ein gelindes “gegen” aus wie in £3,932 (fassen)--intfahan (erfassen, annehmen) f_u_al__e__n (fiihlen)--intfualen (empfinden) Der wahrscheinlich klarste Unterschied zwischen Simplex und Kom- positum tritt bei der privativen Funktion dieses Praefixes zutage wie z.B. bei lJ. Grimm, Deutsche Grammatik, Zweiter Teil. Berlin 1878. 20 gr_en (ehren)--_i_n£g_r_e_n (entehren) bin_____tan (binden)--intbintan (entbinden, befreien) Aus dieser Ubersicht geht hervor, dass in fast alien Fallen ein ziemlich klarer Unterschied zwischen Simplex und Kompositum ent- standen ist oder beabsichtigt ist. Dem Praefix b_i; kann man zwei hauptsachliche Funktionen zu- schreiben: es driickt die Anwendung des Verbbegriffs auf einen Gegenstand aus und macht so im Prinzip ein intransitives Verb zu einem transitiven, wie in _f_i_1_l_en_ (schlagen)--b_i_f_i_l_l_en (schlagen) weinon (weinen)--biweinon (beweinen) Weiterhin erscheint dieses Praefix after als Intensivum: EESIEB (schelten)--bisceltan (schelten) flan (halten, bewachen)--biha1tan (bewachen) In einigen anderen Fallen hat sich eine spezielle Bedeutung fiir das praefigierte Wort herausgebildet: gaban-bigraban, duan-biduan (ver- schliessen). Die am klarsten zu unterscheidende Bedeutung von fir; scheint “weg, fort” zu sein wie in be___1_'___an (tragen)--firberan (wegtragen; vermeiden) sagen (sagen)--firsagen (verbieten) Sehr oft modifiziert diese Vorsilbe das Verb dahingehend, dass ein “Ende und Ausgang,” die schon im Verb normalerweise beinhaltet 21 sind, durch die Partikel noch hervorgehoben werden, ahnlich dem lateinischen Praefix per-, mit dem es ja etymologisch verwandt ist. Wir finden also 2.3. thuesben (vernichten)--firthuesben (vernichten) 3915132 (vermeiden)--firmidan (vermeiden) Das letzte Beispiel beriihrt sich eng mit der Tatsache, dass dieses Praefix auch einfach als verstarkende Partikel erscheinen kann wie in _b_e_r_ga_n_ (verbergen)-- irbergan (verbergen). Ein besonders problematisches Praefix ist gt. In vielen Fallen verstiirkt es einfach den Sinn des Simplex: 9.3332 (halten)--gihaltan (halten; bewahren) sinnan (reisen)--gisinnan (reisen) Grimm macht die Bemerkung, dass diese Funktion sich besonders bei starken Verben zeigt, Wenn sie dem’lateinischen Simplex und seiner durch £911; verstiirkten Form entsprechen, wie 2.3. in ser- 1 O vare-conservare. Grimm versucht einen Unterschied zu machen, wenn er die Bedeutung dieser Vorsilbe fiir starke und schwache Verben vergleicht, sagt er doch: 1Grimm, lieutsche Grammatik, 8.821. 22 Vor schwachen verbis hat die Partikel weit seltner die hervorgehobene Bedeutung von con-, ohne Zweifel, weil abge- leitete Verba an sich beschranktes, enges Sinnes sind. Nur zuweilen finde ich noch einen Unterschied, namentlich bei Verbis zweiter und dritter Conjugation.1 Dieses Problem ware vielleicht einer besonderen Untersuchung wert. Allgemein aber bleibt zu diesem Praefix zu sagen, dass es auch bei schwachen Verben die Bedeutung nicht andert: nerien (retten)--ginerien (retten) siton (tun, ausfiihren)--_gi__s_it£1 (tun, ausfiihren) Von besonderer Bedeutung ist der mogliche Aspektcharakter dieses Praefixes, d.h. seine Fahigkeit, Dauer oder Vollendung zu zeigen. Es hat zweifellos im Ahd. Unterschiede aspektueller Art schon im Infinitiv gegeben (ligen-giligen=niderliegen), Obwohl sonst dieses Praefix in Aspektbedeutung meistens im Preteritum .erscheint. Ohne deshalb weiter auf die Geschichte und mfigliche Kom- plexitat im Ahd. und bei Otfrid einzugehen-denn dazu sind schon Untersuchungen erschienen--2 darf man allgemein an dieser Stelle sagen: gi_- tritt als Praefix im Infinitiv auf und kann die Bedeutung weiter praezisieren oder verstiirken. Eine aspektuelle Bedeutung Inna, s. 822. 2Ph. Igel, Das gi- Praefix als Perfektivierungsmittel in Otfrids Evangelienbuch. Diss. Heidelberg 1911. 23 ist im Ahd. meistens nur im Preteritum sichtbar. Fiir unsere Unter- suchung der Synonymik ist es wichtig zu wissen, welche m6glichen Komplikationen eintreten kdnnen, wenn man zwei Verbformen im In- finitiv wie haltan und haltan betrachtet und fibersetzt. 1r: kann ein Simplex auf mannigfache Weise modifizieren und man kann es ohne Zweifel als eines der am meisten gebrauchten und vieldeutigsten bezeichnen. Die urspriingliche Etymologie dieses Praefixes in der Bedeutung “ans; von unten herauf” manifestiert sich noch in einigen Fallen, wie in belgan (ziirnen)--sih irbelgan (sich erziirnen) mail (kommen)-- rgueman (herankommen) Dabei braucht nicht unbedingt ein Unterschied zwischen Simplex und Kompositum zu entstehen und beriihrt sich damit eng mit der Funktion, in der es einen schon gegebenen Begriff noch zu verstarken scheint: 9233 (zeigen)--iroggen (zeigen) 331133 (wéihlen)--1rwe11en (erwéihlen) 0ft ist hierbei schon das Simplex transitiv gebraucht. In einigen anderen Beispielen haben wir es mit intransitiven Verben zu tun, bei denen das Praefix die Bedeutung nur wenig zu iindern scheint: 521.23%“. (schwinden, abnehmen)--irsuintan (schwinden, abnehmen) Sonst lasst sich noch eine inchoative Funktion feststellen, Wie in scrian (schreien)--irscrian (aufschreien) 24 oder auch der Abschluss einer Handlung, die Vollendung, z. B. in sagen (sagen)-- rsggen (vollstandig hersagen) sterban (sterben)--irsterban (ersterben; sterben) Verschiedene andere Beispiele k6nnten noch angefiihrt werden, um die Komplexitéit diese Praefixes zu zeigen und auf seine Beziehungen zu und Uberschneidungen mit anderen Praefixen, besonders fi_r_-_,' hin- zuweisen. Es ist interessant, an dieser Stelle zu beobachten, wie sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede ins th. fortgesetzt haben, wie beim oben erwiihnten Beispiel der Uberschneidung von i_1_'_-_ und fir-, die als erlbschen-verlbschen und ergeben-vergeben erscheinen kfinnen, wobei das letztere Beispiel einen klaren Unterschied enthalt. Als letztes Praefix sei dann _z__i; erwiihnt, dessen Bedeutungs- umfang unter allen untrennbaren wohl der geringste ist. Es ist im Grunde eine privative Partikel und kann eine “Trennung” oder ein mehr oder minder gewaltsames Ausseinanderreissen bezeichnen. 0ft driickt schon das Simplex den Begriff der Trennung aus, den dann das Praefix weiter verstarkt: brechan (brechen)--zibrechan (zerbrechen) stozan (stossen)--zistozan (zerstossen; zerstdren) Aus diesem gedriingten Uberblick iiber die wichtigsten Funk- tionen der untrennbaren Praefixe geht wohl hervor, wie bedeutend einige von ihnen fiir semantische Unterschiede geworden sind, wie 25 sie eine leichte Veranderung bewirken k6nnen oder nur zur allge- meinen Verstiirkung ohne feststellbaren Einfluss vorhanden sind. Es scheint mir evident geworden zu sein, dass man bei Bemerkungen zum Umfang von Otfrids verbalem Vokabular und bei Interpretation synonymen Verbmaterials diese Tatsache immer stark beriicksichti- gen sollte. Wenn man also die eingangs erwéihnten Beispiele SHEE' irougen, fillen-bifillen nochmals in diesem Lichte betrachtet, dann darf man sagen, dass sie die gleiche Bedeutung haben, ohne Unter- schied der Vorsilbe. Ihnen stehen aber Beispiele gegeniiber, bei denen das Praefix relevant ist: stan-irstan (=stehen-auferstehen) und graban-bigaban (agraben-begraben). II. UMFANG IN AUFSCHLUSSELUNG DURCH SACHGRUPPEN Obwohl sich diese Studie mit dem Umfang und dem Problem verbaler Synonymik bei Otfrid befasst, ist es zunéichst angebracht, einige grundsatzliche Bemerkungen zum Problem der Synonymik im allgemeinen zu machen und die Mbglichkeiten einer Interpretation stilistischer Varianten einer weit zuriickliegenden Zeit zu priifen. Es gibt in der modernen Linguistik eine vorherrschende Ansicht im Hinblick auf die Mbglichkeiten und das Vorhandensein von synony- mischen Ausdriicken. Ausgehend von den Voraussetzungen der struk- turellen Linguistik, schliessen sich (noch) viele Bloomfield an, der u.a. sagt: . each linguistic form has a constant and specific meaning. If the forms are different, we suppose that their meanings are also different. We suppose, in short, that there are no actual synonyms.1 Hockett,2 der auch stark in der Bloomfield Nachfolge steht, operiert 1Leonard Bloomfield, Language. New York, 1933. Repr. 1964, p. 145. 2Charles F. Hockett, Modern Linguistics. New York, 1958, p. 130. 26 27 mit dem Kontrast zwischen “phonemic form” and “identical mean- ing” in seiner Definition des Synonyms, die vollstandig so lautet, dass Synonyme “words of different phonemic shape but of identical or closely similar meaning” sind.1 Die Frage, die sich natiirlich aufdrangt ist diese: Worin bestehen die Unterschiede und wie findet man sie heraus? Die auf eine moderne Sprache angewandte Methode bringt die vermute- ten oder festzustellenden Synonyme in einen Satzzusammenhang, d.h. untersucht die Ersetzbarkeit eines Wortes innerhalb eines “minimal ’9 pair. Auf diese Mfiglichkeit, Synonyme abzugrenzen, weist auch Ullmann in seinem interessanten Kapitel fiber Synonymik hin.2 Es ist nun nicht allzuschwer, in einer modernen Sprache, in der einem genug Information zur Verfiigung steht, zu ziemlich verléisslichen Aussagen iiber Synonymie zweier oder mehrerer W6rter zu kommen. Hockett gibt in diesem Zusammenhang ein Beispiel fiir den Unter- schied zwischen “big” und “large,” die ja Synonyme sein k6nnen. Sein Schluss nach diesem Substitutionstest ist, dass “big and large not entirely synonymous” sind. Er macht dann abschliessend eine 1Ibid. 2Stephen Ullmann, Semantics: AIL Introduction to the Science of Meaning. New York, 1962, pp. 141-55. 28 wichtige Feststellung, namlich dass ein Wdrterbuch Synonyme nicht auffiihrt, “because they are identical in meaning, but because of their subtle shades of difference.”1 Gibt es also keine synonymischen Ausdriicke? Das m6chte ich wohl nicht kategorisch behaupten, denn es gibt z.B. im th. obschon-obgleich-obwohl, begraben-beerdigen- bestatten, die man ja wohl als Synonyme bezeichnen darf. Das bringt uns aber auf ein anderes Kriterion, dass namlich Synonyme zwar objektiv synonym sein k6nnen, aber sich im Gefiihls- ton und in der Stilebene unterscheiden (Schriftsprache, poetische Sprache, gesprochene Sprache). Dieses Problem der “objektiven” und “geschichteten” Synonymitiit, wie ich es einmal nennen m6chte, kann kompliziert genug in einer modernen Sprache sein. Es wird aber noch vervielfacht, wenn man die Synonymik einer vergangenen Epoche oder eines Autors jener Zeit durchsichtig machen will. Bei Material aus einer vergangenen Epoche muss man den Kontext als den Schliissel zu einer einigermassen verlasslichen Feststellung iiber Synonymik annehmen. Wenn Otfrid also vermutlich zwei Verben fiir die Tatigkeit des “Begrabens” hat (bigraban-bidel- ban), dann bleibt herauszufinden, a) ob sie objektiv gleichwertig sind 1Hockett, Linguistics, p. 131. 29 und b) wenn sie es sind, ob sie sich eventuell in der Stilebene un- terscheiden. Die Tatsache, dass Otfrids Werk ein poetisches ist, d.h. in einer bestimmten Reimform abgefasst ist, bringt noch ein weiteres Kriterion ins Spiel. Zum Problem des methodischen Verfahrens bleibt also zu fragen: Soll man ein nhd. Grundwort nehmen und sehen, wieviele Ausdriicke und warum von Otfrid benutzt werden, oder soll man ein ahd. Verb als Ausgangspunkt nehmen, es dann “iibersetzen” und fiir jede mbgliche Bedeutung andere Wdrter finden, die als stilistische Varianten miiglich sind? Da Ubersetzung im einen wie im anderen Falle benbtigt wird, habe ich mich zu folgen- der Arbeitsmethode entschlossen: Ich werde einen nhd. Verbalbe- griff aus einem der in Kapitel I aufgestellten Ubersicht herausneh- men und ihn einer Sachgruppe meiner eigenen Interpretation, z.B. Religion, Gefiihlsausserung etc., zuordnen. Eine Sachgruppe wird dabei eine Reihe von Verben umfassen, die sich nicht so leicht in eine der anderen Kategorien einreihen lasst. Es werden, allge- mein gesagt, nicht alle in Kapitel I vorgeschlagenen Wortfelder behandelt, aber doch ein “representativer Querschnitt” durch die Gebiete mit charakteristischen Verben, um einen Einblick in den Umfang und die Typologie Otfrid’scher Verbalsynonymik erhalten zu kbnnen. 30 Christentum Da das Gebiet der Religion und des Christentums so zentral im Werke Otfrids ist, soll die Untersuchung zum Umfang der ver- balen Synonymik mit einem Querschnitt durch dieses Gebiet begon- nen werden. Es werden dabei, wie gesagt, nhd. Verbalbegriffe zum Ausgangspunkt genommen, die dann der besseren Ubersicht wegen, hier und bei den anderen Schgruppen, in alphabetischer Reihenfolge behandelt werden. Es werden hier folgende Verben behandelt: auferstehen, begraben, erltisen, leiden, siindigen, versuchen, ver- zeihen. auferstehen Bei Otfrid scheinen zwei Verben diese Idee ausdrilcken zu k6nnen, niimlich irstan (irstantan) und skriken. thaz ward allas so gidan tho selbo druhtin wolta i_r_s_t3_n_ [IV 34, 11] lb irstantu, quad er 21 in . . . [IV 36, 8] Thaz Krist fon themo grabe irstuant [N 37, 32] ja saget thaz zi waru sie skrikten fon ther baru [IV 26, 19] thaz lib bigondun sie avaron joh stantun ir the grebiron [N 26, 20] 31 Irstantan ist das am meisten gebrauchte Verb; skriken er- scheint nur einmal. Wenn man den Kontext “sie skrikten fon ther baru” un “sie stantun ir then grebiron” als gleichwertigen Kon- text ansehen darf, dann k6nnte man sie als Synonyme bezeichnen. Sonst ist aber fiir skriken durch seinen einmaligen Beleg bei Otfrid kein sicheres Urteil zu fallen. Da aber der Sinn der Stelle diese Ij'bersetzung verlangt, k6nnte man die m6gliche Synonymitat dieser beiden Verben in Kapitel III im Hinblick auf die Sprachebene unter- suchen. Es ist schon hier bemerkenswert, dass skriken nicht als Reimwort fiir die vorhergehende Zeile dient. begraben Eng verbunden mit “auferstehen” ist das Verb begraben, das bei Otfrid mit zwei Ausdriicken aufzutreten scheint: bigraban und w. 21 thiuz nu sar giligge, thoh er bigraban ligge [III 23, 56] thio buah ouh thar giwuagen, wio sie inan bigruabun [V 6, 22] then these liuti irsluagen, joh hiar nan ouh bigruaben [V 4, 42] thara zi themo lioben man thar er lag bidolban [III 24, 64] 0b ih ouh irsturbi ni was ther mih _b_i_d_u_l__b_i_ [V 20, 107] Bigraban in seinen Formen ist bei Otfrid das vorherrschende Verb, wogegen bidelban nur in diesen beiden Kontexten erscheint. 32 Sie scheinen mir aber so viel gemeinsam zu haben, dass man die beiden Verben als Synonyme bezeichnen darf. Es bleibt darauf hinzuweisen, dass die Formen von bidelban in beiden Fallen in Reimstellung erscheinen. Die Verben waren sich aber in den verlangten Formen so iihnlich, dass man nicht unbedingt sagen kann, dass ein “man” ein “bidolban” und ein “irsturbi” ein “bidulbi” verlangen miisste. Eine etwaige verscbiedene Sprachschicht bleibt zu untersuchen. erldsen Otfrid scheint mehrere Verben in diesem Sinne gebrauchen zu k6nnen: irlosan, ginerien, irretten, giheilen. ther unsih 149% job selbo wisota [110, 4] mit sinem einen falle so gigs} er unsih alle [III 26, 56] thaz unsih so M ther gotes bote droste [IV 37, 17] thaz er quam hera zi worolti, er mennisgon gineriti [V 14, 122] tho er unsih hiar so n_e_r_i_t_a, fon fianton irretita [V 1, 3] irrettet thiz mit worton thia worolt fan then sunton [II 7, 14] thaz sie (maria) uns beran scolti ther unsih g_i_h__e_ilg [I 3, 38] tho druhtin thaz gimeinta, er thesa worolt 9.9.112 [IV 2, 1] Der Kontext der Verben ist also folgender: 33 irlosan = unsih (unsih; unsih) ginerien = mennisgon (unsih) irretten = thia worolt fon sunton giheilen = unsih (thesa worolt) Irlosan ist das am meisten gebrauchte Verb, dem sich als Synonyme nach dem Kontexttest besonders ginerien und giheilen anschliessen kannen. Irretten zeigt zwar kein Personenobjekt im eigentlichen Sinne, aber wenn man “thia worolt” als gleichbedeutend mit “unsih” ansieht, k6nnte man es doch als mbgliches Synonym mit einbeziehen. Ein wenig problematisch ist allerdings die Synonymitat durch den ZusatZ “fan then suntan,” der bei keinem der anderen Verben er- scheint. So sollte man als gesichert nur die ersten drei Verben als Synonyme betrachten. Leiden/dulden Wenn auch der Begriff des Leidens nicht erst mit dem Chris- tentum aufkam, so hat doch die christliche Lehre diesem Begriff eine besondere Bedeutung gegeben. Das Zentralverb ist wohl im modernen ' Deutsch l_e_i__defl, Obwohl duld_e_n auch 6fter in diesem Zusammenhang EBbraucht wird. Bei Otfrid scheinen sich die folgenden Verben als miigliche Varianten anzubieten: lidan, firdragan, thulten, und tholen. 34 Wio er untar sinen mohti thaz _i_r_lid_e_i_1 [I 4, 19] mag scadon harto lidan, ni kan inan bimidan [IV 9, 59] Thaz firdruag er alles joh mera ubar thaz [III 14, 109] 1112 filu hebigan then firdruag er allan [III 14, 117] thu thuruh thiu sinu bilidi firdregist thero manno fravili [III 19, 38] leithes theih githulta . . . [v 20, 104] Manag leith er thulta, unz thaz tho got gihangta [Lud. 41] Wio er selbo druag thaz kruzi, tho er thulta thaz wizzi [II 9, 79] Thia ummaht thia er thar tholeta, then er so minnota [III 23, 18] job tholeta bi unsih allaz thaz, thaz es iamer $1 the baz [IV 25, 14] Der Kontexttest zeigt folgendes Schema: lidan = scadon firdragan = allaz nid fravili githulten == leid noti wizzi tholen a ummaht allaz thaz Die beiden Verben, die sich als Synonyme anbieten, sind tholen und 1thl-llten. Firdragan scheint sich ihnen in vielen Beziehungen 35 anschliessen zu kfinnen. Eine Schwierigkeit bei diesen Verben ist, (la-SS sie auch allgemein menschliches Leiden und Ertragen aus- dl‘iicken k6nnen oder ausgedriickt haben, bevor ihnen ein christliches Gepra‘ge gegeben wurde. Eine besondere Studie dazu ist fiir das gesamte Ahd. erschienen.1 Als deskriptive Feststellung zu diesen Verben bleibt aber zu sagen, dass man githulten und tholen als synonyme ansehen darf, wobei ersteres am haufigsten vorkommt. Siindigen Der christliche Begriff des Siindigens ist natiirlich auch etwas, das sprachlichen Ausdruck finden muss. Verbal scheint es bei Otfrid durch zwei W6rter wiedergegeben zu werden: sunton und Eissiduan. tho er imo firbot thio dati, thaz er n1 suntoti [iii 5, 3] thaz thu bigoumes iamer thir, thaz thu ni suntos furthir [III 17, 58] Thoh Adam ouh bi noti zi thiu einen missidati. Suntan kommt zweimal vor, wahrend missiduan nur ein einziges Mal im Text vorkommt. Obwohl die Stelle die Ubersetzung durch ‘siindi- gen’ rechtfertigen wiirde, d.h. fiir missiduan, wiirde ich hier Bedenken 1G. de Smet, Die Ausdriicke fiir leiden im Althochd. WW 5 (1954/55). 36 haben, die beiden Verben als Synonyme zu klassifizieren, besonders da. Essiduan nur einmal vorkommt, noch dazu in Endreimstellung. Vergeben Fiir dieses Verb scheint Otfrid zwei Variationsmbglichkeiten zu haben: bilazan, firgeban. sculd bilag uns allen, so wir ouh duan wollen [II 21, 35] Ob ir in muat iu lazet, thaz sunta ir io M [II 21, 41] so wemo ir, quad, giheizet, ir sunta bilge} [V 11, 11] 113839. in thaz zi ruame theiz wari in iro duame [V 11, 15] 1135512 in thiu sin guati thio iro missidati [III 14, 70] Kontexttest: bilazan z uns sculd sunta wemo sunta firgeban = in in missidati Beide Verben k6nnen im gleichen Zusammenhang erscheinen and man darf sie in diesen Fallen als Varianten ansehen. Wiihrend bilazan hier immer mit einem Akkusativobjekt erscheint, scheint 113531333 nur mit einem Dativ erscheinen zu ko'nnen. Bis auf diesen spe- ziellen Gebrauch von firgeban darf man aber die beiden als SYtlonymméiglichkeiten bezeichnen. 37 versuchen Als letztes sei noch das mit christlichem Gehalt versehene Verb versuchen in seinen Variationsmbglichkeiten untersucht. Bei Otfrid finde ich zwei Verben: 1321393 und gispanon, letzteres mit einer Nebenform irspanon. thar m sin sar harto ther selbo widarwarto [II 3, 60] Wanta er nan harto forahta in alla wisun M [II 4, 27] ther diufal sin ni m, furi man er nan habeti [II 4, 102] er spe_nit unsih alle zi mihhilemo falle [II 4, 87] . so ther tiufal inan M [N 8, 18] Wenn man die beiden Kontexte ther diufal sin ni korota und ther diufal nan spuan als gleichwertig ansieht, dann darf man sie als m6gliche Varianten ansehen. Die eigentliche Bedeutung von “spa- nan” scheint aber die des “Verlockens” zu sein, wie es auch im anderen Beispiel fiir dieses Verb zum Ausdruck kommt. Die Beleg- stellen scheinen darauf hinzudeuten, dass sie mtiglicherweise Syno- nyme sind, Obwohl aus Mangel an Belegen kein schliissiger Beweis mfiglich ist. 38 Sinnliche Wahrnehmung Aus dem Gebiet der sinnlichen Wahrnehmung seien ein paar Verben ausgewahlt, die bei Otfrid als m6gliche Synonyme auftreten k6nnten. Als nhd. Schliisselwiirter m6chte ich h6ren, sehen, beriih- reg und ihre Variationsmfiglichkeiten untersuchen. h6ren so sliumo so ih gihorta thia stimmu thina [I 16, 11] . . thaz ir hortet quedan mih [II 13, 5] Martha thiu guata so siu thia kunft gihorta [III 24, 5] Er losota iro worto joh giwarto harto [I 22, 35] joh losoten mit giwurti thero sineroantwurti [I 22, 38] firnim thesa lera, so zellu ih thir es mera [I 3, 30] Thaz wir firneman alle waz thiu racha wolle [V 12, 53] Fuar er sar heimort, f_i_r__nam ouh gerno thiu wort [I 21, 9] Obwohl diese Verben viel gemeinsam haben und in einigen Kontexten vielleicht fiir einander eintreten k6nnten, kann man keine klares Kriterion fur ihre Synonymitat finden. Losen scheint sich von horen und firneman am klarsten abzutrennen, denn es wird immer mit einem sachlichen Genitivobjekt gebraucht. Horen und firneman 39 haben so viel gemeinsam, class man sie vielleicht als Halbsynonyme bezeichnen kann. Sehen Im Wortfeld des Sehens erscheinen vier Verben, die viel ge- meinsam haben und daher als potentielle Synonyme zu untersuchen sind. Es sind dies die Verben sehan, scouwen, luagen und lgp_fe_n_. want er wiht zin ni sprah, thaz er thar wuntar $1.532 [I 4, 80] wir sahun sinan sterron, . . . [I 17, 21] wanta thiu min ougun nu thaz giscouwoton [I 15, 17] Ir selbo es hiar nu mot! . . . [IV 24, 29] ther sconi sina 151263: thaz er sih thara fuage [II 12, 32] . . . joh 1_u_aggt_a avur in thaz grab [V 6, 7] . irluageti thia fruma thar [V 6, 24] Kapfeten si lango, was wuntar s1 thero thingo mit hanton oba then ougon, thaz si baz mohten scouon. Sie irluageten nan kumo zi jungist filu rumo; thar wolkono obanentig ist, thar sahun si nan nahist. [V 17, 37-40] Diese letzte Belegstelle zeigt alle vier Verben. Es ist die einzige Stelle fiir kapfen. Es ist im Lexikonteil mit “gaffen, schauen” angegeben. Da es nur einmal vorkommt, kann man es nicht gut als 40 Variation beriicksichtigen. Irluagen scheint immer mit einem Objekt gebraucht werden zu miissen und hat wohl die Bedeutung “erblicken.” Die beiden Verben, die mir am meisten gemeinsam zu haben schei- nen, sind sehan und scowon. Man k6nnte sie nach dem vorliegenden Material als Halbsynonyme bezeichnen. be riihren Dieser Verbalbegriff scheint bei Otfrid durch zwei Verben ausgedriickt werden zu ktinnen: biruaren und rinan (birinan). So waz so himil fuarit, joh erden ouh biruarit [II 1, 11] noh moht er nan biruaren noh wergin ouh gifuaren [II 4, 107] job 12 zi thiu gifiarta, thes giwates tradon m [111 14, 24] Thaz henti mine 21 douiene hiring [I 25, 6] Si wunsgtun, muasin r_i_n_a_n thoh sinan tradon einan [III 9, 9] Si geroten inan zi rinanne [II 15, 7] Ans diesen Beispielen (inan biruaren; {nan zi rinanne) und den anderen mit Sachobjekt geht ziemlich klar hervor, dass diese bei- den Verben als Synonyme auftreten k6nnen. Sie sind beide im Text ungefahr gleich haufig. 41 Gefiihle und Ausdruck der Gefiihle Ein Bereich, der durch bei Otfrid reich durch Verben ver- treten ist, soll mit einigen typischen Verba auf Synonymitat unter- sucht werden. Als Schliisselverben habe ich die nhd. Verben sich erschrecken, sich freuen, sich fiirchten, weinen und beweinen sowie sich wundern ausgewahlt. sich erschrecken Das Wortfeld des “sich erschreckens, in Angst geraten vor” hat viel mit dem Wortfeld der Furcht zu tun und kann sich im heu- tigen Deutsch, ebenso wie wahrscheinlich im Ahd., in einigen Fallen fiberschneiden. Otfrid gebraucht mehrere Verben, die diesen Affekt allSdriicken k6nnen. Wie weit sie austauschbar sind, muss sich noch er geben. Es treten folgende Verben mehr oder weniger haufig auf: aneman, sih sciuhen, sih brutten, irqueman. 10h hintarquamun harto thes gotes boten worto [I 12, 6] Qintargyam er harto thero selbo worto [I 17, 30] Tho hintarquam thiu muater . . . [II 8, 16] Qintarquamun alle thie warun tharinne [IV 4, 59] Ther engel imo zuasprach tho er nan sciuhan sah [I 4, 26] lrsciuht er filu thrato sulichero worto [IV 11, 20] 42 bi thiu so sciuhten sie sar [I11 17, 49] Ni brutti thih muates noh thines anluzzes [I 5, 17] M harto sulihero worto [IV 13, 39] in muate irquamun harto thero druhtin worto [IV 12, 4] Ein Kontexttest zeigt folgendes Schema: hintargeman = thero worto absolut irsciuhan = sulichero worto bi thiu sih brutten = muates irqueman = sulichero worto ES scheint hieraus hervorzugehen, dass drei Verben im selben Kon- text erscheinen kiinnen und daher wohl als synonymische Variations- ming’llichkeiten bezeichnet werden diirfen. Sih brutten kommt nur einmal im gesamten Text vor und lasst keine Entscheidung zur Sy- “onymitit zu. Es wird im Gegensatz zu den anderen Verben mit Binem verstarkenden Substantiv gebraucht und bedeutet so etwas Wie “sich(im) Herzen erschrecken.” Es ist allerdings ein seltsames Verb und es wiirde sich lohnen, es auf seine Herkunft und Stilebene 1m dritten Kapitel dieser Arbeit zu untersuchen. 43 sich freuen Auf diesem Gebiet zeigt Otfrid drei potentielle Synonyme in den Verben sih (ir-) frewen, sih menden und sih bliden. Nun frewen sih es alle, so wer so wola wolle [I 1, 123] frew ih mih in muate gote heilante [I 7, 6] thaz si ouh thes ginenden, mit uns sih saman menden [IV 37, 35] t ‘. - 1 . , mitunssihsamanbliden . . . [N37, 36] ist sineru giburti sih worolt mendenti [I 4, 32] in thin sie thes ginenden sih himilreiches 939932 [11 12, 36] . . thaz sih es worolt £13923 . . . suntar sih es M [II 12, 38-39] All-S diesen Beispielen geht hervor, dass die drei Verben als Syno- nyme erscheinen ktinnen, wobei besonders eine Variation zwischen W und sih bliden zu bestehen scheint. Es bleibt zu unter- sucfillen, ob Stilebenen hier von Bedeutung sind. W In diesem Bereich stossen wir auf drei Verben, die sich mir als potentielle Synonyme anbieten: sih forahten, intratan und 31%:- Ni forahti thir, biscof . . . [I 4, 27] 44 forahten sie in hto gahun, so sinan anasahun [I 12, 5] Ni intratan sie niheinan unz se inan eigun heilan [I 1, 98] Alle thie es gihorten, harto sie es intrieten [I 13, 15] Biginnent sie angusten, sie wollent sih inzellen [V 20, 111] men erscheint nur einmal im Text und ist daher am schwersten mit den anderen Verben durch den Kontexttest in Einklang zu brin- gen, Die Ubersetzung der Stelle lasst zwar wohl die Bedeutung erkennen: “Sie beginnen sich zu fiirchten,” und k6nnte sich also Wortfeldmassig ohne weiteres zu diesen anderen Verben stellen. Mit relativer Sicherheit kann man aber wohl nur sih forahten und intra- tan als synonyme Variationsmiiglichkeiten bezeichnen. weinen Fiir diese Tatigkeit scheinen sich bei Otfrid folgende Verben als Variationsmfiglichkeiten anzubieten: weinon, riazan and ME- Sie weinoten tho luto joh scrirun filu thrato [IV 26, 7] weinoten se lango himile gizango [IV 26, 27] Thiu liuti ouh Lu__z_u_i_i_ alle thie quamun zemo thinge [III 24, 53] Maria stuant uzana thes grabes, 322. [V 7, 1] frageta er sa, ziu si 3132} [V 7, 47] Tho bigan er m, zi druhtine ruafen [IV 18, 39] quadun, silti loufan, zi demo grabe, wuafan [III 24, 45] 45 Aus den obigen Beispielen geht wohl ziemlich sicher hervor, dass weinon und riazan als synonymische Varianten auftreten k6nnen. Das dritte Verb, wuafen, scheint zwar mehr nach “jammern, klagen” hinzutendieren, aber man k6nnte es wohl doch bestimmt als Halbsy- nonym innerhalb dieser Gruppe bezeichnen. Unter den beiden Ver- ben weinon und riazan herrscht letzteres im Text vor. Neben diesem intransitiven Gebrauch kommen sie haufig auch transitiv vor. Wo wir also im th. “weinen 'uber, beweinen” sagen, tauchen diese Verben bei Otfrid meistens mit der Vorsilbe bi_- auf. Sie k6nnen aber auch 6fter ohne dieses Praefix erscheinen, sodass man bei der Interpretation einer Stelle besonders vorsichtig sein muss. Den beiden Verben biweinon und biriazan ktinnen sich in diesem transitiven Gebrauch anscheinend auch die Verba biriwen und m anschliessen, wie die folgenden Stellen zeigen: weinota iogilicho then bruader [III 24, 8] . . thar 31 then bruader liobon £25 [111 24, 48] thar man then bruader klagota [III 24, 58] lilgota iogilicho thia thohter wenaglicho [III 10, 14] Ni warun in then liutin, thie sulih riweten [IV 30, 36] 0b ih in karkare was, ir biriwetut thaz [V 20, 77] Bes