ms PROBLEM DER SPRACHE BB Hum-VON - V 3. 3 =_;_ f; HOFMANNSWL 0 >5: Thesis forihe Degree of Ph. D. ‘ MICHIGAN STATE UNIVERSITY MELANIE CORDRAY ' ‘ , 1973 ' LIBRARY ‘ Michigan State University This is to certify that the thesis entitled 9/15 7WBL£M 052 57,616}! 5 35/ Hug 0 you #0 F HAN/us Th‘A L presented by He/am'e Cord/ray has been accepted towards fulfillment of the requirements for fhp Jegreein German Language and Literature @0422.” )2 jay/{£1 Major professor ’ Date 2/21/73 0-7639 3 LIBRARY Michigan State University ABSTRACT DAS PROBLEM DER SPRACHE BEI HUGO VON HOFMANNSTHAL BY Melanie Cordray Hugo Von Hofmannsthal (1874-1929) became famous very early in life by writing poems which captured the reader with their lyrical beauty and magic dreamlike lan- guage. But soon after the turn of the century the poet Hofmannsthal no longer wrote poems. Language as such had gradually become problematic; he could no longer write lyrics. Hofmannsthal looked for other literary genre to express himself and experimented with the novel, drama, and essay. However, the problem of the inadequacy of language as a means of communication and self expression constantly recurs in his works and is never completely solved. This dissertation treats some aspects of Hofmanns- thal's scepticism towards language. By chronologically analyzing some of his works, it becomes evident that the problematic attitude towards language reflects a certain Melanie Cordray attitude towards life in general. The "Chandos-Krise" proves to be a culmination of an existential crisis in which a struggle for correct literary expression is the most important aspect. By analyzing works written after the "Chandosbrief" one finds that the author is trying to supplement verbal expression by using different dramatic means such as gesture, mimicry or silence. His collabo- ration with Strauss made it possible to supplement the literary work with the help of music. An analysis of both versions of his last drama 233 Turm serves to show how the act of writing becomes more and more difficult for Hofmannsthal and turns into a struggle for the best known means of literary expression in a world which he felt had forgotten him. This dis- sertation wants to provide a new approach to Hugo von Hofmannsthal the poet and the man. DAS PROBLEM DER SPRACHE BEI HUGO VON HOFMANNSTHAL VON 1 15* r'V \M‘b Melanie'Cordray A THESIS Submitted to Michigan State University in partial fulfillment of the requirements for the degree of DOCTOR OF PHILOSOPHY Department of German and Russian 1973 Fur meinen Vater ii INHALTSHBERSICHT Seite I. EINLEITUNG . . . . . . . . . . . . 1 II. ALLGEMEINES ZUR SPRACHE . . . . . . . . 5 III. SPRACHTON ALS AUSDRUCK EINER BESTIMMTEN LEBENSEINSTELLUNG . . . . . . . . . . 14 IV. CHANDOS-KRISE: KRISTALLISIERUNG EINER KONTINUIERLICHEN ENTWICKLUNG . . . . . . 48 v. SUBLIMIERUNG DER SPRECHWEISE DURCH GESTISCHE UND MIMISCHE MITTEL UND DURCH DIE MUSIK . . 72 VI. SPRACHLICHE GESTALTUNG IN DEN BEIDEN TURM- FASSUNGEN O C O I O C O O O O O O 9 7 VII 0 ZUSAMMENFASSUNG . C O O . O C O C O 119 ANMERKUNGEN . . . . . . . . . . . . .' . 122 LITERATURVERZEICHNIS . . . . . . . . . . . 125 iii I . EINLEITUNG Hugo von Hofmannsthal war zu Lebzeiten, auBer in literarischen Kreisen, nur wenig bekannt. Sein fruher Ruhm als Lyriker drang zwar kurz in die affentlichkeit wurde aber bald wieder vergessen. Literaturkritiker seiner Zeit widmeten ihm einige Aufmerksamkeit, die sich jedoch fast ausschlieBlich auf sein fruhes lyrisches Werk bezog. Erst Jahre nach seinem Tod begann man sich allmahlich fur sein Gesamtwerk zu interessieren. Hofmannsthal hat sich immer wieder gegen die einseitige Beschaftigung mit seinem Fruhwerk aufgelehnt. In einem Brief an Rudolf Borchardt schreibt er 1924: I - Es ist das mot d'ordre der boswilligen und sonst fata-' len Litteraten geworden, mich auf mein Jugendoeuvre festzulegen, und das was ich seitdem geleistet habe, und was, alles in allem, denn doch etwas ist, frech und bewuBt zu ignorieren. Sein frfiher Ruhm hat lange sein spateres Werk beschattet. Seitdem die ffinfzehnbandige Gesamtausgabe sowie verschiedene Briefwechsel vorliegen, ist die Moglichkeit gegeben, diesen Dichter und sein Werk in dessen ganzer Vielschichtigkeit neu auszuwerten. Mit dieser Arbeit soll ein Beitrag zur Hofmann- sthalforschung geleistet werden, der nicht nur einen bestimmten Ausschnitt seines Werkes betrachtet und dadurch unbewuflt oder bewuBt die eine oder andere dichterische Seite Hofmannsthals in ein besonderes Licht stellt, das uns oft die Perspektive der Gesamtleistung nicht erkennen laBt. Es soll hier im Hinblick auf das Gesamtwerk die Benutzung und gedankliche Auswertung der Sprache untersucht werden. Fur Hofmannsthal war die Sprache nicht nur dichterisches Gestaltungsmittel, sondern wurde als Phanomen der menschlichen Mitteilung thematisch im Dichtwerk selbst behandelt. Immer wieder bringt der Dichter eine gewisse Sprachskepsis und Sprachnot zum Ausdruck. Sein Verhaltnis zur Sprache ist und bleibt widerspruchsvoll. "Wahre Sprachliebe ist nicht moglich ohne Sprachverleugnung" (A 71), schreibt der junge Hofmannsthal. Diese Erfahrung ist die Grundlage zu paradoxen Losungen des Sprachproblems. Meist drfickt der Dichter groBe Skepsis der Sprache gegenfiber aus; ab und zu jedoch, in Augenblicken ungehemmten dichterischen Schaffens, spricht er ihr Offenbarungskraft zu. Es soll in dieser Arbeit gezeigt werden, wie sich der Dichter im Fortschreiten seines Schaffens mit der ‘Verschiedenen Aspekten der Sprache auseinandersetzte. Amflnand seiner Dichtung und Briefwechsel sowie anhand deussen, was fiber Hofmannsthal selbst bekannt ist, soll eirle Relation von Sprach- und Lebenseinstellung aufgezeigt we rden . Es gibt zahlreiche literaturkritische und sprachanalytische Arbeiten, die das Problem der Sprache bei Hofmannsthal in einzelnen Punkten mehr oder weniger eingehend behandeln und zu den verschiedensten Ergebnissen kommen. Einige der wenigen Arbeiten, die sich direkt mit dem Aspekt der Sprache im Werke Hofmannsthals auseinander- setzen, wurden von Sibylle Bauer, Hugo von Hofmannsthal, zusammengestellt. Hierzu gehoren Sprachverleugnung und Mantelsymbolik von Paul Requadt. Das Sprachproblem wird anhand der symbolischen Bedeutung des Mantels analysiert. Wolfram Mauser untersucht in seinem kurzen Essay Daseinsunmittelbare Sprache den Gebrauch einzelner Worte und erwahnt die Bedeutung der Gebarde. Am interessantesten ist Richard Brinkmanns erweiterte Fassung seiner Tfibinger Antrittsvorlesung fiber Hofmannsthal und die Sprache. Es handelt sich um das Aufzeigen einiger Aspekte der Sprachproblematik. Unter anderem wird auf das Verhaltnis von Sprach- und Existenzkrise bzw. Kulturkrise hingewiesen. In diesen kritischen Untersuchungen wird Hofmannsthals Werk als fertige Dichtung in Betracht gezogen, und der Dichter selbst geht als Schaffender aus dem Blickfeld Verloren. In der hier vorgelegten Dissertation soll neben Char Betrachtung verschiedener Phanomene der Sprachskepsis Pk>fmannsthal als Mensch und dichterisch Wirkender immer im. Vordergrund bleiben. Es soll deutlich gemacht werden, wie dem Dichter aufgrund seiner Einstellung der Sprache, der Zeit und sich selbst gegenfiber das Dichten allmahlich zum schweren Handwerk wird. II. ALLGEMEINES ZUR SPRACHE Die Menschheit ohne Sprache ist unvorstellbar, denn die Sprache ist die Voraussetzung der menschlichen Entwicklung auf allen Lebensgebieten, und sie ist zudem Ausdruck einer Gemeinschaft, die durch sie erst ermoglicht wird. Wahrend die Umgangssprache in erster Linie der Mitteilung dient, so hat die Dichtersprache doch neben der Mitteilung die Aufgabe, aus sich selbst heraus als kfinstlerisches Mittel zu wirken. Wir benutzen den Sprachschatz unbewuBt und als_ etwas Selbstverstandliches. Die Sprache kommt als solche nur dann zur Sprache, wenn uns fur einen bestimmten Ge- danken oder ein Geffihl die Sprache fehlt oder zum Bei— spiel, wenn wir eine fremde Sprache erlernen wollen. Dann verliert die Sprache auf einmal ihre Selbstverstandlichkeit als unbewuBte Funktion, und wir erkennen, daB selbst die Sprache mit ihrem anscheinend unbegrenzten Wortschatz rmitunter der Wirklichkeit nicht gerecht zu werden vermag. Finer die wenigsten von uns sind Dichter, und daher kommt es 'uns nicht so sehr darauf an, ob wir ein bestimmtes (Raffihl auch wirklich in seiner ursprunglichen Echtheit auscirficken konnen. Fur die meisten von uns trifft zu, was Karl Kraus behauptet: "Man lebt so entfernt Von der Sprache und glaubt, weil man sprachen kann, sprechen zu konnen." Wir bedienen uns der Umgangssprache so gut wir konnen, und fur den alltaglichen Gebrauch reicht sie auch gewohnlich aus. Diese Umgangssprache ist jedoch weit von einer eindeutigen Bestimmung des Wortgebrauches entfernt, und indem der einzelne die Sprache benutzt, nutzt er sie auch zugleich ab. "Unsere hochsten Dichter allein . . . gebrauchen unsere Sprache sprachgemaB," (P IV 437) schreibt Hofmannsthal. Bevor weiter auf das Verhaltnis des Dichters zur Sprache eingegangen wird, sei zunachst der Baustein der Sprache betrachtet: das Wort und das durch sinnvoll zusammengestellte Worte entstehende Gesprach. Ein jeder weiB, daB gegebene Worte mitunter sehr schwerwiegend sein konnen, nicht so schwerwiegend wie die Tat, aber doch oftmals ausreichend, um uns, wie man im Volksmund sagt, in des Teufels Kfiche bringen zu konnen. "Nicht ein Wort, nicht eines Blickes / Ungreifbares Nichts ist je / Ungeschehn zu machen . . ." (G 266) Mit Worten treten wir in Verbindung zu anderen. Wir teilen uns mit, ‘wir fragen, antworten, versprechen, schworen, fluchen, jbeten, bitten und verzeihen. Durch die Handhabung der imarte, durch unsere Rede charakterisieren wir uns selbst. Lhui wenn wir einmal durch Nachlassigkeit im Sprachgebrauch einean negativen Eindruck in anderen Menschen erweckt haben, so ist es schwierig, dies wieder gut zu machen, denn Worte wiegen schwer. Auch Hofmannsthal hat diese Erfahrung gemacht: "Worte gibts, die treffen wie Keulen. Doch manche / Schluckst du wie Angeln und schwimmst weiter und weiBt es noch nicht." (G 90) Die Tragweite und Konsequenz eines Wortes kann vielmals nicht vom Sprecher ermessen werden. Deshalb gibt Hofmannsthal den Rat: "Seid behutsam in sechs Fallen: Wenn ihr Sprecht, sprecht die Wahrheit; wenn ihr etwas versprecht, haltet es . . ." (A 49) Leider benutzen wir die Worte unserer Sprache, auch bedeutungsvolle Worte, oftmals mit groBer Leichtigkeit: wir nehmen ihnen den Ernst und die eigentliche Tragkraft, die Echtheit ihres Bedeutungsgehaltes. Dadurch wird die Sprache gefahrdet. Sie sollte einzig als Kommunikationsmittel, nicht aber als Trager der Verleumdung und Unwahrheit benutzt werden, denn Es schwindet alles, alles gleitet hin, Dein Leib bleibt dir nicht treu, kaum bist dus noch, Doch daB du deine Lippe hast befleckt, Das bleibt, und war die Lippe weggeschwunden. (G 373) Hofmannsthal erkannte die Plattheit der Sprache, zu der sie durch die Menschen entwfirdigt wurde: "Wir haben kei- nen allgemeingfiltigen Gesprachston mehr, weil wir keine Gesellschaft und kein Gesprach, weil wir keinen Stil und keine Kultur haben." (P I I9) Sprach- und Kulturzerfall héngen eng miteinander zusammen. Die Sprache ist die Brucke zu anderen Menschen. Aber diese Brucke ist nur tragbar, wenn der einzelne nicht nur reden, sondern auch zuhoren will, denn ein echtes Gesprach kommt nur im Wechsel von Reden und Zuhoren zustande. Sind die Sprecher nicht auch zugleich aufmerksame Zuhorer, so reden sie entweder aneinander vorbei oder monologisieren. Beides ist in den frfihen lyrischen Dramen Hofmannsthals der Fall. Hier stehen die Hauptpersonen isoliert, denn die Sprache dient ihnen nicht zur menschlichen Kontaktaufnahme, sondern fordert die Abkapselung der AuBenwelt gegenfiber. Die Personen sind sich ihrer sprachlichen Sonderstellung bewuBt und beneiden diejenigen Menschen, die fest im Alltagsleben verwurzelt sind und seine Sprache sprechen: Sie konnen sich mit einfachen Worten, Was notig zum Weinen und Lachen, sagen. Mussen nicht an sieben vernagelte Pforten Mit blutigen Fingern schlagen. (G 201) Hier spricht Claudio in Tor und Tod, der keinen AnschluB an das Leben finden kann. Es gibt kaum einen Dichter, der nicht irgendwann wahrend seiner Schaffenszeit die Aussagefahigkeit der Sprache-angezweifelt hatte. Selten aber findet sich ein llichter, der die Fragwfirdigkeit der Sprache thematisch 5M3.beWUBt in den Vordergrund stellt, wie das bei Hoffinannsthal der Fall ist. Schon Dichter frfiherer litxaxarischer Epochen bekunden hin und wieder Unsicherheit inbezug auf sprachliche Gestaltungsmoglichkeit. Novalis schreibt in diesem Zusammenhang: "Es muB noch viele Worte geben, die ich nicht weiB: wuBte ich mehr, so konnte ich viel besser alles begreifen."3 Dber Herder schreibt Hofmannsthal in diesem Zusammenhang: ". . . sehen wir den gleichen Schatten der Resignation nicht auch ihn fiberfliegen, wenn er, der getraumt hatte wie einer (groBer Geist) von einer alles sagenden Sprache, der gerungen hatte wie einer (groBer Geist) und mit Riesenkraften, den Weg zu weisen, wie das Unendliche, ja das schlechthin Unsagliche ware in Worte zu drangen - horen wir um die gleichen Jahre nicht auch aus seinem Munde . . . solche Worte: 'Gib mir die Gebarde, sie ist mehr als Worte.'" (P IV 25,26) Mit der wachsenden Sprachskepsis hangt ein wachsendes MiBtrauen der realen Welt gegenfiber zusammen, das um die Jahrhundertwende und zu Anfang des 20. Jahrhunderts von vielen Dichtern zum Ausdruck gebracht wird (z.B. Rilke, Malte; Kafka, Urteil; Expressionisten). Das Verhaltnis zur Sprache wird wesentlich von dem Verhaltnis des Dichters zum Leben und seiner Stellung in der Gesellschaft bestimmt. Der einzelne, der keinen Kontakt mehr zum Mitmenschen sucht oder finden kann, ist auch nicht mehr Meister der Sprache und des Gesprachs. So zum Beispiel die Menschen in den frfihen Dramen Hofmannsthals. Sie beherrschen gar nicht mehr die 10 herkommliche allgemeine Umgangssprache, sondern sprechen eine Dichtersprache, die nicht auf ein Gegenuber ausgerichtet ist und sich nicht zum Gesprach eignet. Karl Kraus, beschreibt in seinen fiberaus kritischen Schriften die Symptome des Kultur- und Sprachzerfalls seiner Zeit: In mir emport sich die Sprache selbst. Tragerin des emporendsten Lebensinhalts, wider diesen selbst. Sie hohnt von selbst, kreischt und schuttelt sich vor Ekel. Leben und Sprache liegen einander in den Haaren, bis sie in Fransen gehen, und das Ende ist ein unartikuliertes Ineinander, der wahre Stil dieser Zeit. Diese Stillosigkeit beunruhigte auch Hofmannsthal und war mit der Anreger seiner Sprachproblematik. Dieses Thema wird vor allem im Schwierigen behandelt. Die Erkenntnis, daB das Erfassungsvermogen der Sprache seine Beschrankungen hat, ist von den meisten Dichtern irgendwann zum Ausdruck gebracht worden. Denn 'jeder individuell denkende Mensch stoBt frfiher oder spater in einen Gedankenbereich vor, der sprachlich nicht mehr zu realisieren ist. Die Sprachskepsis bezieht sich aber nicht nur auf die Tragweite der Sprache selbst, sondern betrifft auch das einzelne Wort an sich. Das Wort als Trager einer definitiven Bedeutung wird in dieser Funktion angezweifelt. Es ist vielmehr unprazis, abgenutzt und letzten Endes in seiner Vieldeutigkeit ffir einen Dichter unbrauchbar. Hofmannsthal bemerkt hierzu: "Mir ist manchmal, als ob alle Worte, die's gibt, nur dazu da ll waren, daB man sich damit verwirrt." (L II 94) Versagt sich die Sprache dem Dichter, so wird er skeptisch, denn ohne sprachliche Erfassung geht alles Erdachte schlieBlich wieder verloren. Diese Erfahrung drfickt Stefan George in seinem viel zitierten Gedicht "Das Wort" aus, wo es am Ende heiBt: "So lernt ich traurig den verzicht: / Kein ding sei wo das wort gebricht." Mit diesem Verzicht wird zugleich die Bedeutung der Sprache und die Abhangigkeit des Dichters von ihr anerkannt und akzeptiert. Eine derartige Sprachnot verbunden mit Sprachskepsis fuhrt entweder zu einem Versuch ihrer Dberwindung, indem der Dichter nach neuen sprachlichen Ausdrucksmoglichkeiten sucht, oder sie, wenn notig, selbst formuliert, wie es zum Beispiel bei Klopstock und den Romantikern der Fall war - oder sie fuhrt den Dichter zur Resignation, wie im Falle Rimbauds, der schon mit 20 Jahren zu schreiben aufhorte. Sprachresignation kann sich auch auf andere Weise ausdrficken, indem der Dichter die Worte als Spielballe seiner Imagination benutzt, sie ihrer Gehaltsbedeutung entbloBt und sie nur nochafljsTon- und Bildsymbole verwendet, wie man es in Gedichten verschiedener moderner Lyriker findet (z. B. bei Benn, Enzensberger, Celan). Der kausale Zusammenhang der Worte ist mutwillig zerbrochen worden, und eine gehaltliche Aussage ist nicht mehr moglich und auch gar nicht vom Dichter beabsichtigt. Resultat dieses 12 neuen Konzepts der Dichtung ist zum Beispiel das, was Benn das "absolute Gedicht" nennt, das Gedicht ohne Glauben, das Gedicht ohne Hoffnung, das Gedicht an niemanden gerichtet, das Gedicht aus Worten, die Sie faszinierend montieren.5 Ein dichterisches Werk, das auf diesem Grundsatz fundiert, kann schon nicht mehr als Dichtung im konventionellen Sinn bezeichnet werden. Hier hat die Sprache ihre eigentliche Funktion, namlich die der Vermittlung zwischen Menschen, verloren. Sie wird selbst ad absurdum gefuhrt. Auf diese Dichter des Expressionismus und der Moderne, die die herkommliche Sprache und literarische Form als ungenugend verwerfen, weist schon Hofmannsthal mit seiner Sprachskepsis. Aber bei ihm ffihrt diese Skepsis niemals zu solch radikalen Neuerungen. Er steht mit seiner Dichtung an einer Zeitenwende und laBt sich keiner literarischen Stromung zuordnen. Sicher ist er sehr der literarischen Dberlieferung verpflichtet, denn nahezu alles, was er schrieb, beruht auf literarischem Erbe. Erst seine sprachliche und gedankliche Verarbeitung gaben dem fiberlieferten wieder einen ganz neuen Wert. Hofmannsthal hat zwar niemals den Zweifel am Wort fiberwunden, aber er hat sich dennoch immer wieder der Sprache anvertraut, denn nur durch die Sprache findet der Dichter zum Mitmenschen. Daran lag es Hofmannsthal in erster Linie. Er wollte gehort werden und mit keinem seiner Werke in der Isolation verbleiben. Er schrieb l3 nicht wie sein Zeitgenosse George fur einen kleinen Leserkreis ausgesuchter Interessenten, sondern fur das allgemeine Publikum. Hofmannsthal hatte einen fiberlieferten literarischen Stoff vor sich, dem er mit Hilfe der Sprache etwas Neues, Eigenes geben wollte. Er lebte als Dichter durch die Sprache und stellte mit ihr Menschen dar, die diese Sprache selbst wieder benutzten. Wenn in dieser Arbeit Hofmannsthals Sprachproblematik behandelt werden soll, so wird schon jetzt einsichtig, daB die Sprache auf zwei Ebenen betrachtet werden muB. Es soll untersucht werden, inwieweit der Dichter selbst bei seiner Arbeit die Grenze des sprachlichen Ausdrucks erfahrt und ferner, wie sich die Sprachskepsis in den einzelnen dichterischen Gestalten verdichtet. Beide Gedankengange gehen ineinander fiber, konnen also nicht einzeln betrachtet werden. III. SPRACHTON ALS AUSDRUCK EINER BESTIMMTEN LEBENSEINSTELLUNG Das Frfihwerk Hofmannsthals ist im groBen ganzen ein lyrisch bestimmtes und beschaftigt sich wiederholt mit dem Stadium der Praexistenz und ihrer Problematik. Diese Problematik wird dann akut, wenn der Zustand der Praexistenz nicht mehr unbewuBt und unreflektiert ist, sondern objektiviert wird. Im Fruhwerk wird mit voll- endetem sprachlichen Ausdruck die Notwendigkeit des Dbergangs von der Praexistenz in die Existenz dargelegt. Zum praexistenziellen Zustand gehort eine vollendete, aus dem UnbewuBten kommende, unreflektierte magische Sprache, die jedoch wie die Praexistenz selbst fragwfirdig wird, weil sie am eigentlichen Leben vorbeigeht und nur auf Verblendung und Bezauberung hinzielt. Sobald Hofmannsthal fiber die asthetische Faszination des magischen Sprechens nachdenkt, ist dieses Sprechen als solches nicht mehr mog- lich, denn es kann wie die Praexistenz selbst nur als etwas Unreflektiertes bestehen. Bei der Lekture des Frfihwerkes, hauptsachlich den lyrischen Dramen, wird deutlich, daB eine bestimmte Lebenseinstellung einen ihr angemessenen Sprachton bedingt. Es soll in diesem Kapitel gezeigt werden, warum der junge l4 15 Hofmannsthal den lyrisch - magischen Sprachton aufgibt und sich aufgrund einer neuen Lebensauffassung um ein rKommunikatives Sprechen bemfiht. "Dein Wort hat uns berauscht und nicht der Wein" (G 154), sagt Fortunio zu Andrea in Hofmannsthals erstem dramatischen Werk Gestern. So wie Andrea seine Freunde durch Worte berauscht, so begeistert auch der junge Hofmannsthal seine Zeitgenossen mit Versen und lyrischen Dramen, die eine vollige Beherrschung der Sprache offenbaren. In seinem Gedicht Vorfruhling steht es deutlich, daB dem Dichter die Sprache in diesen Versen ganz zu Dienste stand. Im Augenblick der dichterischen Intuition hat er sich ganz dem Klang und Bilderreichtum der Sprache hingegeben. Sie lauft véllig zwanglos dahin, alles verbindet sich zu einer einzigartigen Musikalitat und Harmonie. Alliteration und Assoziation ergeben sich wie_ von selbst. Fruhreif und altklug erscheint Hofmannsthal in seinen ersten Gedichten und besitzt doch auch zugleich noch die Unkompliziertheit der Jugend. Gerade deshalb kann er dem Wort noch ganz vertrauen. Es dient ihm nicht in erster Linie zur begrifflichen Unterscheidung, sondern wird zum Ausgangspunkt des lyrischen Sprechens, das es durch seine bildlichen sowie klanglichen Assoziationen anregt: 16 Das Wort, das Andern Scheidemfinze ist, Mir ists der Bilderquell, der flimmernd reiche. (G 471) Hoffmannsthal schreibt in Poesie und Leben, "daB ein Gedicht ein gewichtloses Gewebe aus Worten ist, die durch ihre Anordnung, ihren Klang und ihren Inhalt, indem sie die Erinnerung an Sichtbares und die Erinnerung an Horbares mit dem Element der Bewegung verbinden, einen genau umschriebenen, traumhaft deutlichen, fluchtigen Seelenzustand hervorrufen, den wir Stimmung nennen." (P I 265) A15 der Dichter "Vorfruhling" niederschrieb, hat er sicher nicht an der unbegrenzten Ausdrucksmoglichkeit der Sprache gezweifelt. Die Worte kamen ihm mehr oder weniger unbewuBt, und das Gedicht entstand in erster Linie auf Grund der Intuition und nicht der Kontemplation. Es entstand in einem Augenblick der inneren Erleuchtung, "und diese Augenblicke sind die Geburten der vollkommenen Gedichte, und die Moglichkeit vollkommener Gedichte ist ohne Grenzen wie die Moglichkeit solcher Augenblicke. Wie wenige gibt es dennoch, wie sehr wenige. Aber daB ihrer fiberhaupt welche entstehen, ist es nicht ein Wunder?" (P II 96) Der junge Hofmannsthal hatte viele dieser genialen Augen- blicke, in denen Gedichte von sprachlicher sowie formaler Vollendung entstanden. Viele seiner fruhen Verse wirken in erster Linie durch ihre sprachliche Gestaltung. Sehr bezeichnend hierffir ist das Gedicht "Erlebnis": Mit silbergrauem Dufte war das Tal Der Dammerung erffillt, wie wenn der Mond Durch Wolken sickert. Doch es war nicht Nacht . . . (G 8) 17 Die magische Kraft der Worte betort hier den Schreiber in gleichem MaBe wie den Zuhorer. Die Freude am Bildlichen und Klanglichen der Sprache ffihrt dahin, daB sich die ma- gische Kraft des Wortes vor seine gehaltliche Aussage stellt. Der Leser kann sich gar nicht eigentlich auf den Inhalt konzentrieren. } Hofmannsthal wahlt fur seine Lyrik ganz bewuBt eine Sprache, die der Alltagssprache so fern wie moglich ist und begrfindet dies in seinem sehr aufschluBreichen Essay Poesie und Leben aus dem Jahre 1896. Hier heiBt es ganz im Sinne Stefan Georges und seines Dichterkreises: "Es ffihrt von der Poesie kein direkter Weg ins Leben, aus dem Leben keiner in die Poesie.‘ (P I 263) Alle weiteren Erorterungen dieses Essays sind Folgerungen dieser fiberzeugung des jungen Hofmannsthal von der Unvereinbarkeit von Kunst und Leben. Der Dichter auBert sich hier mit sprachlicher Genialitét, die oft den Ton der fiberheblichkeit zeigt. Fur ihn ist nur der ein wahrer Dichter, der "Kfinstler in Worten" (P I 265) ist. "Der Mutigste und der Starkste ist der, der seine Worte am freiesten zu stellen vermag; denn es ist nichts so schwer, als sie aus ihren fasten, falschen Verbindungen zu reiBen. Eine neue und kfihne Verbindung von Worten ist das wundervollste Geschenk ffir die Seelen." (P_I 265) Mit diesen Worten weist Hofmannsthal auf den Expressionismus. Es wird sich jedoch zeigen, daB er seine Einstellung in spateren Jahren andert. l8 Zunachst einmal entwickelt der Dichter auf Grund dieser zitierten fiberlegungen den magischen Sprachton, ein Sprechen auf hoherer Ebene. Es entspricht ganz der Stellung des Dichters. Er fiberblickt das Leben, sieht es aus einer ganz anderen Perspektive. Seine Position als Dichter ver— gleicht Hofmannsthal oft mit dem Flug des Adlers: ". . . des Tieres hochste Gewalt und Gabe ffihlte er auch in seine Seele flieBen . . . Er ahnte, daB ein Blick von hoch genug alle Getrennten vereinigt und daB die Einsamkeit nur eine Tafischung ist." (E 162) Aber um diese alles fiberblickende Sicht zu erlangen, braucht der Dichter einen enormen geistigen Kraftaufwand, und wiederum dient der Adler, dies zu symbolisieren: Der Adler kann nicht vom flachen Boden wegfliegen; er muB mfihselig auf einen Fels oder Baumstrunk hfipfen: von dort aber schwingt er sich zu den Sternen. (A 37) Das ist gerade das Privileg des Dichters, da er groBere Zusammenhange ahnt und sie in genialen Momenten sprachlich erfassen kann. Im Gedicht "Ein Traum von {groBer Magie" sieht sich Hofmannsthal selbst in diesem allmachtigen Magier. Beide stehen fiber dem Leben und benutzen es doch zugleich als Substanz ihres Schaffens. Der Magier beherrscht durch Gebarden die Welt, der Dichter tut es mit Worten. Mit Hilfe seiner magischen Sprach- weise erhebt er die begriffliche Wirklichkeit auf eine hohere Stufe und macht sie somit zur dichterischen Wirk- lichkeit. Dieses Wirken bezeichnet Hofmannsthal als l9 "Augenblicke der Macht" (A 238).. Die dichterische Wirk— lichkeit ist oftmals eine Traumwirklichkeit. Viele frfihe Verse beschwbren eine Traumwelt, in der sich der Dichter gedanklich mit allen Aspekten des Lebens sowie dessen Grenzsituation, dem Tod, beschaftigt. Ffir derartige poe- tische fiberlegungen scheint eine magische Sprache allein angemessen. fiber die Magie schreibt Karl Pestalozzi: Die Magie sucht den Moment der Mitteilung aus der Sprache vollig auszumerzen. ,Sie verunmoglicht jedes Gesprach und bleibt immer monologisch, da sie die Wahrheit durch Schonheit und nicht durch Wirklichkeit zu erreichen sucht.6 Die magische Sprache will fiberwaltigen, nicht fiberzeugen. Sie ist kein soziales Organ sondern ein individuelles und verstoBt somit gegen die Aufgabe der Sprache, die im Dienst des Lebens steht. Mit dem Loslosen vom magischen Sprachen Hand in Hand geht ein Zurfickfinden ins aktive Leben. Nicht nur in Hofmannsthals frfihen Versen, sondern auch in seinen lyrischen Dramen finden wir magisches Sprechen. Fast alle Hauptpersonen sind in diesem Sprachton. befangen, und solange sie nicht zur begrifflichen alltags— sprache finden,gelingt auch nicht der fibergang von der Praexistenz zur Existenz. Der Sprachton reflektiert also eine bestimmte Lebenseinstellung. Die Gefahr, die dieses magische Sprechen mit sich bxringt, erkennt Hofmannsthal schon sehr bald, ohne sich 20 jedoch zunachst der Magie des Wortes entziehen zu konnen. 1891 schreibt er: Verstehn, Gestalten, Kfinstler sein, wozu? Wozu denn Leben? und wozu die Kunst? Erlogenes an Erlogenes, Wort an Wort Wie bunte Steinchen aneinanderreihn! Was wissen wir, wodurchs zusammenhalt; Und muB es so und kann nicht anders sein?! (G 492) Schon in diesen frfihen Versen klingt eine Problemstellung inbezug auf Dichter, Kunst und Leben an, die in spateren Werken immer wieder auftritt. Im gleichen Gedicht wird auch die Verpflichtung des Dichters gegenfiber dem Leser erwahnt. Hofmannsthal versucht trotz aller Zweifel seine Dichtung zu rechtfertigen, denn er wollte ja mit ihr eine Aufgabe erffillen: DaB mich bei deiner trostverschlossnen Angst Ein seltsam dumpfes Mitleid hat durchwfihlt. Und daB ich, selber ohne Trost und Rat, Dich trosten wollte, wie ein Kind ein Kind, Das nichts von unverstandnem Kummer weiB, Von Dingen, die unfaBbar in uns sind. (G 492) Kommunikation mit dem Mitmenschen wird gesucht. Der Dich- ter weiB, man will ihn horen, und seine groBte Verfeh- lung ware es, wenn er nicht wahrhaftig ware. Sag nie mehr, bei deiner Seele! Als du spfirst. Bei deiner Seele! Tu nicht eines Halms Gewicht Mit verstelltem Mund hinzuk Dies ist so ein Punkt, wo Rost Ansetzt und dann weiterfriBt. (G 267) Das Wort birgt in Sich eine Verantwortung. Hofmannsthal éarkennt und erfahrt in seinem eigenen frfihen Schaffen die Genvalt der Worte. Im Zusammenhang hiermit wird auch seine 21 wachsende Abneigung Stefan George gegenfiber verstandlich. George hatte die Sprache so in der Gewalt, daé er durch sie die Macht eines Verffihrers der Menschen gewann. Von seinen Worten, den unscheinbar leisen, Geht eine Herrschaft aus und ein Verffihren, Er macht die leere Luft beengend kreisen, Und er kann toten, ohne zu berfihren. (G 502) Dieser Herrschaft eines Magiers, die George fiber die Sprache sowie seine Zuhorer zu haben schien, versucht Hofmannsthal auszuweichen. Aber auch er selbst kann in seinen frfihen versen und Dramen sprachlich und gedanklich nicht auf dem Boden der konkreten Realitat verweilen. Er denkt sich immer wieder in eine Art Traumwelt hinein. Zum Traume sag ich: "Bleib bei mir, sei wahr!" Und zu der Wirklichkeit: "Sei Traum, entweiche!" (G 471) , Mit Hilfe der Sprache wird einem irrealen Gedankengut Wahrhaftigkeit gegeben, wahrend die Wirklichkeit sprachlich in eine traumhafte Sphare enthoben wird. Auf diese Weise drfickt sich ein reales Erleben poetisch so aus: Schimmernd gieBt die Ampel Dammerwogen um dich her, Leise kommt der Orchideen Duft geflogen um dich her Aus den bunten, schlanken Vasen; und der Spiegel streut die Strahlen, Die er, wo der Schimmer hinfallt, aufgesogen, um dich her. Auf dem Teppich, der zu FfiBen, spielt der Wider- schein des Feuers, Zeichnet tanzend helle Kreise, Flammenbogen um dich her; Und die Uhr auf dem Kamine, die barocke, zierlich steife, Tickt die Zeit, die sfiBvertraumte, wohlgewogen um dich her. (G 475) 22 Hier betritt der Dichter das Reich der Phantasie, das mit Hilfe der Sprache zur dichterischen Wirklichkeit wird. Seine Gedanken werden durch die Sprache angeregt. Sie hat groBe Suggestivkraft und wird in diesem Gedicht eher um ihrer selbst willen benutzt als zur Realisierung wesent- licher Gedanken. In seinem Gesprach fiber Gedichte (1903) rechtfertigt Hofmannsthal rfickblickend das, was er in seinen eigenen frfi- hen Versen sprachlich sowie gedanklich verwirklicht hatte, namlich poesie als Bezauberung. Das magische Sprechen wird hier als einzig moglicher Ausdruck einer seelischen Er- fahrung verstanden, die zur poetischen Verwirklichung drangt. Das magische Sprachen ist allerdings nur dann ge- rechtfertigt, wenn es dazu dient, den Leser zu grBBerer Einsicht des Daseins zu ffihren und ihn "unaufhorlich zu verwandeln" (P II 89). Es ist wichtig zu bemerken, daB diese Analyse der poetischen Sprache nach der Chandos- Krise entstanden ist, also zu einer Zeit, da sich Hof- mannsthal dem Genre der Lyrik Inurnoch gelegentlich zu- wandte, sondern vielmehr in Prosastficken und Dramen seine Gedanken zu verwirklichen suchte. Hofmannsthal bringt in dieser Auswertung der lyrik einige afiBerst interessante Gedanken zum Ausdruck, die jedoch zur Zeit der Entstehung seiner frfihen Gedichte sicher noch nicht alle konzipiert waren. Die Jugendlyrik ist aus einem ganz anderen Denken heraus entstanden. Im Gesprach fiber Gedichte wird deutlich, 23 daB Hofmannsthal die Chandos - Krise schon hinter sich hat und eine neue Auffassung vom Menschen und seinem Verhalt— nis zur Welt vertritt. Eine der wichtigsten Erfahrungen, die der Dichter inzwischen gemacht hat, drfickt sich hier wie folgt aus: "Wollen wir uns finden, so dfirfen wir nicht in unser Inneres hinabsteigen: drauBen sind wir zu finden drauBen . . . wir besitzen unser Selbst nicht; von auBen weht es uns an." (P II 82,83) Wahrend die frfihe Lyrik und hauptsachlich die lyrischen dramen durch eine Neigung zur Selbstanalyse und Introversion gekennzeichnet werden, wird hier ein ganz neuer Weg gezeigt: die Verwirklichung des Selbst, das heiBt Selbsterkenntnis durch Anteilnahme an der Umwelt und den Mitmenschen. Erst auf Grund dieser Erkenntnis ist es ffir Hofmannsthal moglich, den Weg zum eigentlichen Drama zu finden. Im Gesprach fiber Gedichte zeigt sich in Hinsicht auf das lyrische Sprechen eine vom Dichter inzwischen gewonnene Einsicht, daB das Dasein aus unzahligen "geheimnisvollen Chiffren" besteht, "mit denen Gott unaussprechliche Dinge in die Welt geschrieben hat." (P II 87) Der Dichter darf sich glficklich schatzen, diese Chiffren oder Symbole benutzen zudfirfen, ja er muB sie benutzen, denn es gibt keine "Gedankenworte, keine ' Geffihlsworte" (P II 87), die es vermfigen, die tiefsten Regungen der Seele auszudrficken. Es wird hier die 24 begrenzte Ausdruckskraft der Sprache akzeptiert. Da wo die Alltagssprache ihren Dienst versagt, beginnt die eigentliche Poesie. Ein "Gutes Gedicht" verwendet Metaphern, Symbole und Bilder um ihrer selbst willen, denn "niemals setzt die Poesie eine Sache ffir eine andere, denn es ist gerade die Poesie, welche fieberhaft bestrebt ist, die Sache selbst zu setzen, mit einer ganz anderen Energie als die stumpfe Alltagssprache, mit einer ganz anderen Zauberkraft als die schwachliche Terminologie der Wissenschaft." (P II 84) I A15 1903 diese Betrachtungen fiber das Wesen der Poesie entstehen, hatte Hofmannsthal schon so gut wie ganz aufgehort, Gedichte zu schreiben. Im Gedichtsband seiner gesammelten Werke findet sich kein einziges Gedicht aus dem Jahre 1903. Diese fiberlegungen sind also rein theore- tisch, ohne in irgendeinem Gedicht bewuBt verwirklicht zu werden. Daher ist auch zu verstehen, daB Hofmannsthal hier nicht mehr die Einschrankung des lyrischen Schaffens durch die begrenzte Ausdrucksmoglichkeit der Sprache als akutes Problem empfindet. Nicht so zur Zeit der Entstehung seiner frfihen Lyrik. Neben Gedichten, die die vollige Beherrschung der Sprache aus einem dichterischen Impuls heraus bezeugen, schreibt schon der junge Hofmannsthal Verse, in denen er' sich selbst und dem Dichter an sich den Vorwurf macht, daB er im Grunde der Sprache nicht Herr wird, wenn es 25 darauf ankommt, eine innere seelische oder traumhafte Regung sprachlich zu realisieren. Dichter im Lorbeerkranz. Betrogner Betrfiger, Warmt dich dein Ruhmesglanz, Macht er dich klfiger?! Deuten willst du das dammernde Leben, Im Herzen erlfisen das traumende Streben? Kannst du denn noch verstehen, Was du selber gestern gedacht, Kannst du noch einmal ffihlen Den Traum der letzten Nacht? Wenn deine Seele weinet, WeiBt du denn auch warum? Dir ahnt und dfinkt und scheinet, - Oh, bleibe lieber stumm. (G 482) Der "Dichter im Lorbeerkranz" ist der junge Hof- mannsthal selbst, der schon mit 17 Jahren, als diese Verse entstanden, mit Anerkennung und Ruhm betaubt worden war. Dieser Ruhmesglanz hat ihm jedOch weder innere Sicherheit noch geistige Klarheit gegeben. Der Ruhm entbloBt sich als Betrug, denn er ehrt ihn ffir etwas, das er seiner Meinung nach nicht geleistet hat: die Vermittlung von Lebenserkenntnis. Die Betrogenen sind jene, die seine so wunderbar klingenden Verse als Reflexion der Wirklichkeit aufgenommen haben. Der Dichter, der Deuter des Lebens, wird in seiner Hilflosigkeit dem ratselhaften Leben gegenfiber bloBgestellt. Wie kann er konkrete Wahrheit darstellen, wenn alles, was er aufnimmt, sich nur zu einem vagen Ahnen und Scheinen verdichtet? Hinzu kommt noch die Frage nach der Rechtfertigung seines Schaffens: 26 Darfst du leben, wenn jeder Schritt Tausend fremde Leben zertritt, Wenn du nicht denken kannst, nichts erspfiren, Ohne zu lfigen, zu verffihren! (G 485) Er weiB, daB er in seinem Werk nicht absolut wahrhaftig sein kann. Dies beruht zum Teil auf der Sprache selbst: sie besteht aus Worten, deren Vieldeutigkeit nahezu gren- zenlos ist. Endlose Kreise Ziehet das leise Unsterbliche Wort, Fort und fort. Wie es tausendfach gedeutet Irrlichtgleich die Welt verleitet. (G 483) Der Versuch, das Leben sprachlich zu reflektieren, wird noch in anderer Hinsicht problematisch. Die Ohnmacht des Dichters dem Leben gegenfiber beruht auf der Komplexitat des Lebens selbst; es laBt sich mit einer begrenzten, begriffsgebundenen Sprache nicht in allen Einzelheiten, also nicht in seiner ganzen Wahrheit, erfassen. "Denn was dein Geist, Von Glut durchzuckt, gebar, / Eh dus ge- staltet, ists schon nicht mehr wahr." (G 483) Was im Augenblick wahr ist, verliert im nachsten Moment schon an Wahrhaftigkeit, denn jeder neue Augenblick macht den gewesenen zur Vergangenheit, die aus einer neuen PerSpek- tive gesehen sein will. Diese Augenblicksregungen kfinnen jedoch durch das Wort zur Dauer gezwungen werden, aber damit ist zugleich eine Verzerrung der Wahrheit verbrenden denn "Lfige wird die Wahrheit, die erstarrt." (G 149) 27 Mit diesen Worten ist ein wichtiger Gedankengang Hofmannsthals berfihrt. Da "jede unserer Seelen nur einen Augenblick lebt . . ." (A 93) wir also in jedem Moment ein anderer Mensch sind, muB notgedrungen jeder, aus dem Zusammenhang herausgenommene, festgehaltene Gedanke, eine im Verhaltnis zum Ganzen fiberbetonte Einzelsituation darstellen, die eine bestimmte Seite unseres Selbst ungebfihrend scharf beleuchtet und daher im Grunde unwahr ist. Jeder Dichter muB die Erfahrung machen, da seelische Vorgange viel zu komplex sind, um mit der Sprache ganz erfaBt werden zu konnen. Doch erschlieBen sich dem Dichter in einem genialen Schaffensmoment immer wieder neue sprachliche Mfiglichkeiten. Selbst die abgegriffene Alltagssprache ist im Grunde unerschopflich. "In dem Worte, dem abgegriffenen, liegt was mancher sinnend suchet: / Eine Wahrheit, mit der Klarheit leuchtender Kristalls verborgen." (G 488) Aber so wie jedes Kristall vielseitig ist, so ist auch die Bedeutung eines Wortes nicht absolut, und die darauf basierende Wahrheit kann nur eine relative sein. Hofmannsthal kritisiert wiederholt die Abgenutztheit der Sprache, denn "auf die Goldwaage legt die Welt ihre Worter nicht." (L II 68) Er sucht nach neuen sprachlichen Mfiglichkeiten, die seine dichterische Aussage bestimmter ausdrficken konnten. 28 Die begriffsgebundene Alltagssprache soll durch eine vollig neue Sprache ersetzt werden, deren Ausdrucksmog- lichkeit grenzenlos ist. "Wonnen des Denkens. Sich los- winden aus den Banden der Begriffe . . . Und dann das Bilden neuer Begriffe, machtiger, vielbeschwfirender Zauberworte, deren letztes, einfachstes Gott weiB, Gott ist." (A 104) Die Diskrepanz von Wort und Wirklichkeit soll fiberbrfickt werden. Der junge Hofmannsthal sucht nach einer Sprache, die mit der Alltagssprache so wenig wie moglich gemein haben soll, denn "das Wort als Trager eines Lebensinhaltes und das traumhafte Bruderwort, welches in einem Gedicht stehen kann, streben auseinander und schwe— ben fremd aneinander vorfiber." (P I 263) Der Zweifel an der Mfiglichkeit einer wahrhaftigen dichterischen Aussage findet sich schon frfih in Hofmannsthals Werk. Aber der Dichter vermag es, sich in seiner frfihen Lyrik ganz dem Zauber der Sprache hinzugeben, und so kann zunachst einmal die eigentliche Sprachkrise nicht zum Ausbruch kommen. In dem, was bisher fiber Hofmannsthals Lyrik gesagt und von ihr zitiert wurde, zeigt sich neben einer genialen Beherrschung der Sprache zugleich ein Beherrschtsein von ihr. Hofmannsthal sagt hierzu: "Wuchs dir die Sprache im Munde, so wuchs in die Hand dir die Kette: / Zieh nur das Weltall zu dir! Ziehet sonst wirst du geschleift." (G 89) 29 Die Grenze zwischen Sprachgewalt und Sprachfiber- waltigung ist nur vage, und das eine kann ins andere fibergehen, namlich dann, wenn sich der Dichter der Suggestion der Sprache hingibt. Das kann, wie im letzten Zitat angedeutet wurde, einen negativen Effekt haben. Es kann aber auch von positivem Wert sein, indem namlich die Worte im magischen Sprechen dem fiberlieferten Begriffszusammenhang entnommen, einen ganz neuen Symbolwert gewinnen und somit zu "versiegelten GefaBen des gottlichen Pneuma, der Wahrheit," (A 105) werden konnen. In Ad me ipsum, einer der aufschluBreichsten Interpretationshilfen, die uns der Dichter gibt, wird die Zeit des magischen Sprechens als Praexistenz bezeichnet, als ein "glorreicher aber gefahrlicher Zustand" (A 213) Das magische Sprechen ist insofern glorreich als es auf einer hoheren Ebene das Individuum und die Welt als eine Einheit darstellen kann. Gefahrlich ist dieser Zustand der Praexistenz und das damit verbundene magische Sprechen, weil keine Verbindung mit dem eigentlichen Leben, kein fibergang ins aktive Dasein, in die Existenz angestrebt wird. Das magische Sprechen ist ein Sprechen der Jugend, und es setzt ihre Unbefangenheit voraus. Ein wachsendes Geffihl innerer Unsicherheit und Unzulanglichkeit des Dichters deutet schon auf die Chandos - Krise hin. 1896 schreibt Hofmannsthal an George: "Ich ffihle mich in meinem Schaffen 30 so unsicher, so weit, nicht von Reife . . . ffir wessen Dichtungen vermfichte ich mit Zuversicht und Glauben einzutreten, solang ich, an mir selber irre, erst von jedem neuen Tag schwankend und angstlich die Bestatigung erwarten muB, daB ich fiberhaupt die Worte, mit denen wir Werthe bezeichnen, in den Mund zu nehmen nicht vfillig unberechtigt bin . . . 7 Das Aussetzen seiner lyrischen Produktivitat hangt mit dieser wachsenden Unsicherheit eng zusammen. Es sind nur noch ganz wenige Verse, die nach 1896 entstehen. Hofmannsthal wendet sich nunmehr dem Drama und der Prosa zu. Die frfihe Prosa ffihrt den Leser meistens in eine traumhaft visionare Welt, wie man sie schon aus den Gedichten her kennt. In die Zeit der beginnenden und im Chandos - Brief endenden Sprachkrise fallen zwei Prosastucke, die in diesem Zusammenhang genauer untersucht werden sollen. Im Marchen der 672. Nacht zeigt Hofmannsthal an Hand des in gesellschaftlicher Isolation lebenden und im Asthetizismus befangenen Kaufmannssohnes die Antinomie von Kunst und Leben auf. Die Erzahlung entsteht 1895, und Hofmannsthal bemerkt 1917, daB "sie die schwerste Arbeit, 8 0 sei. die ich je unternommen habe" Ein reicher Kaufmannssohn bricht alle Beziehungen zu seinen Mitmenschen ab und umgibt sich in seiner Wohnung mit den schfinsten und teuersten Gegenstanden, er glaubt schlieBlich in ihrer Betrachtung den Sinn seines Lebens zu finden. In einer kritischen Phase seines Lebens, im fibergang von der Jugend zum Erwachsensein, wendet er sich 31 von den Menschen zu den Dingen. Aber genfigt diese Daseinsform des Asthetischen auf die Dauer? Der Kaufmannssohn ahnt, daB es kein Dauerzustand bleiben darf, "er ffihlte ebenso die Nichtigkeit aller dieser Dinge wie ihre Schonheit; nie verlieB ihn auf lange der Gedanke an den Tod." (E 8) Plfitzlich gewinnen ffir den Kaufmannssohn wieder Menschen an Bedeutung. Menschen, die sich verloren und allein gelassen ffihlen, appellieren an seine Hilfsbereitschaft. Er versagt jedoch, weil er ahnt, daB durch sein Eingreifen in das Geschick anderer das Risikolose des Asthetizismus aufhfiren und das Risiko der Existenz beginnen wfirde. Der Kaufmannssohn zieht sich in den Kerker seiner selbst zu- rfick. Mit dem Verrat des Lebens beginnt sich der Abgrund des Todes zu offnen. Der Tod findet jedoch nicht seine Rechtfertigung als AbschluB eines ausgeffillten Lebens, sondern er setzt einen endgfiltigen SchluBstrich unter ein vergeudetes Leben. Der Kaufmannssohn stirbt einen haeli- chen Tod, ohne einen menschlichen Kontakt wiederherge- stellt zu haben. Welche menschlichen Kontaktmoglichkeiten sind in 'dieser Erzahlung gegeben? Der ursprfingliche Titel lautete: Geschichte des Kaufmannssohnes und seiner vier Diener. Es handelt sich also um das Verhaltnis eines Menschen zu vier Mitmenschen. Alle treten mit ihrem individuellen Wesen an ihn heran. So zum Beispiel das altere Madchen mit 32 "einer unbestimmten, ihn qfialenden Forderung" (E 13), das jfingere mit einer "ungeduldigen . . . Aufmerksamkeit" (E 13). Obwohl der Kaufmannssohn ohne seine vier Diener nicht auszukommen glaubt, ist er doch dauernd auf der Flucht vor ihnen und sucht vor allem ihren Blicken auszu- weichen. Von einer sprachlichen Kommunikation Zwischen ihm und den Dienern kann nie die Rede sein, sondern der Kontakt wird durch gestische Mittel hergestellt. Der Kaufmannssohn betrachtet diese Menschen fortwahrend und wird dauernd von ihnen beobachtet. Aber vor seinem inneren Auge erstarren sie zu etwas Kfinstlichem, Leblosen. Dieser Vorgang wird von Hofmannsthal in einem anderen Zusammenhang beschrieben. In einem Aufsatz uber Swinburne heiBt es inbezug auf den eng- lischen Kfinstler des "moralischen Englands": Sie gehen nicht von der Natur zur Kunst, sondern umgekehrt. Sie haben fifter Wachskerzen gesehen, die sich in einem venezianischen Glas spiegeln, als Sterne in einem stillen See . . . Ihnen wird das Leben erst lebendig, wenn es durch irgendeine Kunst hindurchgegangen ist . . . Beim Anblick irgendeines jungen Madchens werden sie an die schlanken, priesterlichen Gestalten einer griechischen Amphore denken. (P I 99) Diese Beschreibung trifft genau auf die Begegnung des Kauf- mannssohnes mit seiner Dienerin zu. Erst auf dem Umweg fiber die Kunst versucht er zum Leben zu finden. In dieser. Erzahlung soll jedoch gerade gezeigt werden, daB eine ein- seitige Beschaftigung mit der Kunst den einzelnen so Vom eigentlichen Leben entfernen kann, daB er schlieBlich gar keinen AnschluB mehr findet. 33 Direkte Rede in dieser Erzahlung ist niemals auf ein Gegenfiber gerichtet, sondern ist Selbstgesprach:l "Wo du sterben sollst, dahin tragen dich deine FfiBe." "Wenn das Haus fertig ist, kommt der Tod." (E 9) Der Kaufmannssohn sagt diese Worte mit fiberheblichkeit, ohne ihren eigentli- chen Sinn zu begreifen. Er denkt sich in eine Phantasie- welt hinein, die mit seinem eigenen Leben gar nichts ge- mein hat. Die ganze Erzahlweise erinnert sehr an Kafka. Der Gang der Handlung legt einen Vergleich mit der Aus- weglosigkeit eines Alptraums nahe. Die sprachliche Be- handlung des Stoffes ist realistischer als die Handlung selbst. Wahrend jedoch Kafka die Angst des einzelnen in einer sinnlos erscheinenden Welt darstellt, geht es in dieser Erzahlung um die Darstellung der Angst angesichts eines sinnlos gelebten Lebens. Die Sprache ist auBerst nfichtern und sachlich und stellt dennoch eine traumhafte VWelt dar, wie ja auch der Titel der Erzahlung andeutet. In der einige Jahre spater entstandenen Reitergeschichte ist die gehaltliche Aussage sprachlich noch wesentlich gedrangter und symbolgeladener. Es gibt hier kaum einen Satz, der nicht kunstvoll verschachtelt ist und den atemlosen Ablauf des Geschehens spiegelt. Das folgende Zitat deutet diese Erzahlweise an: Unter dem Gelaute der Mittagsglocken, der General- marsch von den vier Trompeten hinaufgeschmettert in den stahlern funkelnden Himmel, an tausend Fenstern hinklirrend und zurfickgeblitzt auf acht- undsiebzig aufgestemmte nackte Klingen; StraBe rechts, StraBe links wie ein aufgewfihlter Ameis- haufen sich ffillend mit staunenden Gesichtern; . . . (E 51) 34 Dieses Satzgeffige ist noch lange nicht zu Ende, und der Leser verliert nahezu die Orientierung auf Grund der ge- sprengten grammatischen Form. Das Geschehen hastet dahin, und obwohl es wirklich ist, gewinnt das Ganze doch durch die Haufung des Partizips etwas Irreales. Hofmannsthal kommentiert hierzu: "Das Element der Dichtkunst ist ein geistiges, es sind die schwebenden, die unendlich viel— deutigen, die zwischen Gott und Geschfipf hangenden Wor- te." (P I 310) In dieser Erzahlung zeigt der Dichter sich wieder ganz als Meister der Sprache. Alle ihre Effekte (Klang, Bildlichkeit, Rhythmus) werden benutzt, um eine traumhafte, irreale Welt zu gestalten. Die grundlegende Bedeutung und Unwiderruflichkeit des Wortes offenbart sich dort, wo es zur direkten Rede kommt, was auch in dieser Erzahlung nur selten der Fall ist." . . . in acht Tagen rficken wir ein, und dann wird das da mein Quartier," (E 53) sagt der Wachtmeister zu einer frfiheren Bekannten, und Hofmannsthal fahrt fort: "Das ausgesprochene Wort aber machte seine Gewalt geltend." (E 53) In Hofmannsthals Buch der Freun- d3 findet sich diese knappe Feststellung: "Das Wort ist machtiger als der es spricht." (A 84) Die wenigen Worte, die der Wachtmeister auBert, wachsen fiber ihn hinaus und regen seine Einbildungskraft ungeheuer an. Er beginnt sich in Traumereien uber die Zukunft zu verstricken, die schlieBlich in einem Wachtraum enden, in dem alles sym- bolisch auf seinen nahen Tod hindeutet. 35 Die zweite direkte Rede kommt vom Rittmeister, dem Vorgesetzten des Wachtmeisters: "Handpferde auslassen!" (E 53) Dieser Befehl wird vom Wachtmeister nicht befolgt, und er wird erschossen. In beiden Fallen ffihrt somit die direkte Rede zu einer radikalen Wendung der Handlung. Wahrend bisher die Sprache als Verwirklichung einer dichterischen Aussage betrachtet wurde, soll nun anhand der lyrischen Dramen die Sprache als Kommunikations- mittel untersucht werden. Die Sprache hat zwei wesentliche Aufgabenbereiche: sie dient zur Mitteilung des inneren Selbst und zum mit— menschlichen Gesprach. Im poetischen Sprechen muB sie nur die erste Aufgabe erffillen. Der Dichter teilt sich dem Leser mit mehr oder weniger groBer Subjektivitat mit. Seine lyrische Aussage ist zwar auf ein Gegenfiber aus- gerichtet, erwartet aber keinen sofortigen Respons. Dramatisches Sprechen setzt den Respons des Gegenfiber voraus, es kann sich nur zwischen zwei charakterlichen Polen entwickeln. "Das Wesen des Dramas ist Gesprach. Das Zuhfiren ist ebenso wichtig wie das Reden."9 Sicher beruht das Drama auch wesentlich auf dem Ablauf einer Handlung, "aber was geschieht, geschieht fast nur durch 10 Bin echtes Gesprach kann aber nur dann das Gesprach." entstehen, wenn sich Menschen etwas zu sagen haben und gewillt sind, ihrem Gegenfiber eine eigene Meinung zuzu- billigen. 36 Sehen wir uns Hofmannsthals lyrische'Dramen an. Die Tatsache, daB der Dichter ffir seine Dramen denselben lyrischen Sprachton verwendet wie in seinen Gedichten, ist zum Teil daffir verantwortlich, daB die Dramen als solche scheitern, denn die Doppelfunktion der Sprache ist liier dichterisch nicht verwirklicht worden. Die Iflbglichkeiten der Sprache, die "Ausdruck des Ich und zugleich Kommunikationsmittel"ll ist, werden nicht auf (einen Nenner gebracht. Das Problem liegt hier nicht in