DAS POTENTIAL DER FRAU BEI HEINRICH VON KLEIST By Lieselotte Traute Ritter A DISSERTATION Submitted to Michigan State University in partial fulfillment of the requirements for the degree of DOCTOR OF PHILOSOPHY Department of German and Russian 1981 ABSTRACT DAS POTENTIAL DER FRAU BEI HEINRICH VON KLEIST By Lieselotte Traute Ritter This dissertation attempts to investigate woman's potential as seen by Heinrich von Kleist during his life and as it is apparent in his literary works. The capacity of his female figures has not yet been sufficiently recognized for its significant role, namely the ability of Kleist's heroines to fulfill their function by exercising a decisive influence on the behavior of mankind. The study focuses first upon the social position of female pro- tagonists and shows their lives to be determined by traditional and conventional norms of a patriarchal society. An investigation of the male-female relationship demonstrates the fundamental difference between the sexes as the female reliance on her inner emotional truth, the male's on his reason. Contrary to the author's personal Opinion that women occupy an inferior position in life, most of his female pro- tagonists show a surprising ability to master their confrontation with life's fateful interventions, to develop their given talents by adjust- ing to sudden changes, and to attain independence in their individual views and actions. Thus, the main emphasis of this dissertation has been placed on the woman's function in Kleist's literary works where her self-sacrificing love and her devotion to bring happiness to others may be called her most outstanding character traits. Kleist's intention to offer poetic "Beispiele lebendiger Handlung" permits us to divide his dramas and novellas into seven groups of Lieselotte Traute Ritter Opposing concepts. Within these groups, the function of his female characters is shown to be threefold: 1. Representation of opposite concepts in each literary work. 2. Development of given talents and rise to an individual existence through independent thought and action. 3. Exemplary concern and behavior in order to increase man's awareness of the need to effect a change in his value system. After we have analyzed the literary text and have studied six recurring woman roles as well as six types of female figures, we have to consider Natalie in Prinz Friedrich von Homburg to be Kleist's ideal female character because of the perfect balance of reason and emotion inherent in her. I. II. III. Inhaltsverzeichnis Einleitung Die Frau in ihrer gesellschaftlichen Position 1. Die Frau in der dargestellten Wirklichkeit 1.1. Schauplatz und Zeitpunkt der Handlung 1.2. Die gesellschaftliche Situation Die Konfrontation der Frau mit der Gesellschaft Zufall und Schicksal Lebenskrisen des jungen Kleist Die Weltanschauung des jungen Kleist Verstand und Vernunft Das neue Lebensziel Die Gebrechlichkeit der Welt im Werk Labyrinth und Paradies NNNNNNN O NChU'l-vfiUN‘ C e Wirkungsmoglichkeit der Frau in ihrem L bensbereich 3 1. Stellung und EinfluB 3 2. Die Rechtslage der Frau 3.3. Gesellschaftskritik 3 4. Standes— und Rassenunterschiede 3 5. Die Frau und der Staat Die Frau in ihrer wesenseigenen Beziehung zum andern Geschlecht Wesen und Bestimmung der Frau Ehe und Liebe Frauen um Kleist 3.1. Hilhelmine von Zenge 3.2. Ulrike von Kleist 3.3. Marie von Kleist 3.4. Henriette Vogel Die Bildung der Frau Die Darstellung der Frau in der Dichtung ii Seite 12 12 12 14 16 16 18 21 22 25 26 27 31 31 36 45 52 58 69 69 72 79 a1 84 88 9o 93 102 Seite III. 6. Die variierenden Frauenrollen im Werk 106 6.1. Ehefrau 107 6.2. Mutter 109 6.3. Schwester 111 6.4. Tochter 112 6.5. Geliebte 113 6.6. Freundin 115 7. Frauentypen im Kleistschen Werk 118 7.1. Engel - Teufel 119 7.2. Das 'gefallene Madchen' 122 7.3. Das Machtweib 125 7.4. Die geistliche Gestalt 129 7.5. Die mysteriose Erscheinung 130 7.6. Die Idealgestalt 132 IV. Die Funktion der Frau im dichterischen Werk 134 1. Der sprachliche Ausdruck 135 2. Die Antithetik der Begriffe 137 3. Der bildende Wert der Dichtung 140 4. Die Aufgabe der Frau 142 5. Die Einordnung der Werke unter dem Titel gegensatzlicher Begriffe 144 5.1. Vertrauen - MiBtrauen 145 5.2. Tugend - Laster 163 5.3. Liebe - HaB 182 5.4. Recht - Unrecht 195 5.5. Menschlichkeit - Ubermenschlichkeit 204 5.6. Menschenliebe - MenschenhaB 208 5.7. Unschuld - Schuld 213 V. Zusammenfassung 230 Anmerkungen 235 Bibliographie 245 iii An erster Stelle mochte ich Herrn Professor Diether Haenicke meinen Dank aussprechen, dessen inspirierende Vorlesungen erstmalig das Interesse ffir Heinrich von Kleist und sein Werk erweckten. Meinem "Doktorvater," Professor Raimund Belgardt, schulde ich einen besonderen Dank ffir*die wertvollen Anregungen wahrend seines Kleist-Seminars und die mannigfachen Kommentare, durch die diese Arbeit zustande kommen konnte. Fur seine beachtenswerten Vorschlage und stilistischen Hinweise sage ich Professor Kurt Schild meinen aufrichtigen Dank. Professor Mark Kistler gilt ein ganz besonderer Dank flir seine unermfidlichen Bemfihungen und wichtigen Ratschlfige. Allen Mitgliedern meines Komitees, insbesondere Professor Heinz Dill und Professor Dale Bonge, danke ich fUr ihr aufmerksames Lesen dieser Arbeit und die daraus entstandenen Veranderungen. iv CollG DU DVLG EG ESA Euphorion GLRL GR GRM GSt Hesperia JDSG JEGP HLN Monatshefte Neophil UP ZDP Abkfirzungen Colloquia Germanica Der Deutschunterricht Deutsche Vierteljahrschrift flir Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Etudes Germaniques English Studies in Africa Zeitschrift ffir'Literaturgeschichte German Life and Letters Germanic Review Germanisch—Romanische Monatsschrift, Neue Folge Germanische Studien Journal of the American School of Classical Studies at Athens Jahrbuch der Deutschen Schiller-Gesellschaft Journal of English and Germanic Philology Modern Language Notes Fur Deutschen Unterricht, Deutsche Sprache und Literatur NeOphilologus Unterrichtspraxis Zeitschrift ffir Deutsche Philologie I. Einleitung "Es scheint, als ob das allgemeine Unglfick die Menschen erzoge, ich finde sie weiser und warmer, und ihre Ansicht von der Welt groBher— ziger." (II,773)1 So auBerte Heinrich von Kleist sich im Jahre 1806 in einem Brief an seine Schwester Ulrike Uber die Einwirkung des Zeitge- schehens auf die Menschen seiner Umgebung, besonders aber auf die preuBische Konigin Luise. Und er betonte: An unsere Konigin kann ich gar nicht ohne RHhrung denken. In diesem Kriege, den sie einen unglUcklichen nennt, macht sie einen grofleren Gewinn, als sis in einem ganzen Leben voll Frieden und Freuden gemacht haben wUrde. Man sieht sie einen wahrhaft koniglichen Charakter entwickeln. Sie hat den ganzen groBen Gegenstand, auf den es jetzt ankommt, umfaBt; sie, deren Seele noch vor kurzem mit nichts beschaftigt schien, als wie sie beim Tanzen, oder beim Reiten, gefalle. Sie versammelt alle unsere groBen Manner, die der Klonig] vernachlassigt, und von denen uns doch nur allein Rettung kommen kann, um sich; ja sie ist es, die das, was noch nicht zusammengestfirzt ist, halt. (II,773-774) In Zeiten der Krise die Dringlichkeit des Handelns zu erkennen, aus dieser Notlage heraus fiber sich selbst hinauszuwachsen und die Initia- tive zu ergreifen, sich in die politischen Ereignisse PreuBens einzu— schalten - solch eine Verhaltensweise bezeugt die Gegebenheit und die Entfaltung beachtenswerter Anlagen in der Konigin. Was Kleist mit dieser Briefstelle zum Ausdruck bringt, lfiBt sich ebenso an den Werken des Dichters ablesen: es handelt sich um eine fUr Kleists eigene Zeit bemerkenswerte Einschatzung der Wirkungsfahigkeit der Frau.2 Die vor- liegende Arbeit hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Potential der Frau in ihrer gesellschaftlichen Position, in ihrer wesenseigenen Beziehung 1 2 zum anderen Geschlecht und in ihrer Funktion in den Dramen und Prose- werken Kleists zu untersuchen.3 Die Frags nach dem Potential der Frau in ihrer gesellschaftlichen Stellung ist erstens auf die dichterische Darstellung der Wirklichkeit ausgerichtet, die den Wirkungsbereich einschlieBt, der den Frauenge— stalten im Werk zugeteilt wird. Es geht dabei um die wechselnde Da- seinssituation, in welche die Frau als Individuum hineingestellt ist. Zweitens soll die Konfrontation mit der Gesellschaft beleuchtet wer- den, der sich die Frau innerhalb ihres Lebensbereiches ausgesetzt sieht. Hit dem Begriff 'Potential' ist hier nicht nur die Leistungs- ' fahigkeit der Frau gemeint, sondern ebenso die Moglichkeit der Entfal- tung ihrer Anlagen und ihres Wirkens in dem ihr zuerkannten Lebens- bereich. Ffinf der insgesamt funfzehn Dramen und Prosawerke, die in dieser Untersuchung behandelt werden, tragen den Namen einer Frau als Titel und lassen somit bereits die weitreichende Bedeutung erkennen, die der Frauengestalt im.Kleistschen Werk eingeraumt wird. Wahrend die mannv lichen Charaktere verschiedentlich als Handlungstrager neben denen der Frauen vollig in den Hintergrund treten, zeichnen sich die meisten Frauengestalten, wie im Falls der Marquise von 0. . ., durch sine au- Bergewbhnliche Selbstandigkeit im Handeln aus. Anders lassen eine unge- wfihnliche Einsicht in die gegebene Situation erkennen,4 wie Natalie im Prinzen von Homburg oder Toni in der Verlobung in §£¢ Domingo. Penthe- silea wirkt erschfitternd durch die Unbedingtheit ihrer Leidenschaft. Das Kathchen von Heilbronn.fiberrascht durch den unbedingten Glauben an die Verwirklichung des Traumes. 3 Nicht nur in den Werken, bei denen der Name der Protagonistin als Titel erscheint, wird das Schicksal der Frau zum Fokuspunkt des Gesche- hens erhoben. Im Zerbrochnen Krug wird zum Beispiel die Angelegenheit des Kruges als Grund ffir die Klage vor dem Dorfrichter angegeben. Im Hittelpunkt der Handlung steht jedoch Eves Bemfihen, sich gegenfiber den Drohungen und Einschfichterungsversuchen eines korrupten Reprasentanten des staatlichen Rechtswesens zu behaupten und gleichzeitig ihren Verb lobten vor dem angeblich sicheren Soldatentod zu bewahren. In der Hermannsschlacht ging es dem Dichter darum, seine Zeitgenossen durch das Vorbild Hermanns zum patriotischen Aufstand gegen Napoleon aufzu- rufen. An entscheidender Stelle innerhalb der Handlung steht jedoch Thusneldas EntschluB, sich in ihrer Denk- und Handlungsweise dem Ehe- mann und damit dem Volke anzupassen und sich an dem romischen Eindring— ling zu rachen. Die Welt, in die Kleist seine Frauengestalten hineinstellt, ist voller Wirrnisse und Widersprfichlichkeit. Der Zufall spielt hier eine Uberaus wichtige Rolls. Die Absicht des Dichters bestand aber nicht darin, die Umwelt seiner Figuren, das Milieu, auf naturalistische Weise in Einzelheiten darzustellen. Ihm dient der Schauplatz, der als Hand- lungsort dem Jeweiligen Geschehen angepaBt ist, lediglich als Kulisse. Conrady nennt die Welt im Kleistschen Werke "eine Kunstwelt, vom Autor ffir seine Absichten hergerichtet. Sie soll den Ablauf eines Versuchs- und Probespiels menschlicher Verhaltensweisen erm'dglichen.”5 Ebenso war as keineswegs der Plan des Dichters, als engagierter Gesellschafts— kritiker zu wirken. Dennoch kann nicht abgeleugnet werden, daB jede literarische Wirklichkeitsdarstellung als Zeichnung speziell gewfihlter 4 Ausschnitte gesehen werden muB, die der Realitat des menschlichen Daseins entliehen wurden. Die Frags nach der wesenseigenen Beziehung der Frau zum ande- ren Geschlecht konzentriert sich erstens auf die Erfassung der variierenden Frauenrollen, zweitens auf den Versuch, eine Gruppierung von Frauentypen vorzunehmen, die im Werke zur Darstellung gelangen. Vorrang ist der jungfraulichen Gestalt gegeben, die mit ihrer sich vollig hingebenden Liebe und Aufopferungsbereitschaft dem Hanne das hbchstmogliche Glfick im Leben zu bieten vermag und somit der Idealge- stalt des Dichters am nachsten rfickt. Entsprechend der Kleistschen An- sichten fiber das Wesen und die Bestimmung des Weibes, fiber Liebe, Ehe und Bildung, erscheint die Frau hauptsachlich in ihrem untergeordneten Verhfiltnis zum Manna. Das bemerkenswerte AusmaB ihrer Wirkungsffihig— keit steht allerdings in krassem Gegensatz zu Kleists KuBerungen fiber die Abhangigkeit der Frau vom Manne, fiber ihre physische Schwfiche, die sie ihrer "Natur nach die zweite Stelle in der Reihe der Wesen" (11,493) einnehmen laBt. Verglichen mit den mannlichen Gestalten erb weist sich ihre Kapazitat im Denken und Handeln oftmals als dem Manne weit fiberlegen. Der vielfach dargestellte Umschlag von Passivitat zu aktivem Eingreifen in das Geschehen, wie bei der preuBischen.K6nigin Luise, ist durch die Bereitschaft zur Selbstaufopferung gekennzeichnet. Bei den ausschlaggebenden Eigenschaften handelt es sich weitgehend um solche, die dem Hanne nicht zu eigen sind. Kleists Frauengestalten be- sitzen die Anlage, sich zu einer fiberlegeneren Einstellung zum Leben durchzuringen. Hit der Entfaltung ihrer Charaktere erheben sie sich aus der ihnen durch Tradition und Konvention aufgedrungenen Rolls in der Gesellschaft. Damit ergibt sich ffir die Frau die Mbglichkeit, zu 5 der Individualitfit ihrer wesenseigenen Existenz durchzustoBen. Ihr Streben ist darauf ausgerichtet, in dieser gebrechlichen Welt jene Gegensfitzlichkeiten und Widersprfiche zu.uberwinden, mit denen der Zufall ihr den Weg verstellt. Die Gestalt der Frau im Kleistschen Werk hat in der Kleistlite— ratur schon verschiedentlich Beachtung gefunden. Die Mehrzahl der Abhandlungen datiert jedoch aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Im Jahre 1917 widmete J. C. Blankenagel den Frauengestalten in Brief und Werk einen wesentlichen Abschnitt seiner Arbeit fiber The Attitude of Heinrich von Kleist toward the Problems of 2132' Er gelangte zu dem Ergebnis, daB Kleist der Frau wohl den zweiten Platz in der Reihe der menschlichen Wesen zugeteilt habe, daB sie jedoch vor allem im Spatwerk durch die gegebene Situation dazu veranlaBt werde, ihre Passivitat auf- zugeben, sobald sie das Objekt ihrer Liebe in Gefahr sehe. Blankenagel schatzt Kleist als einen seiner Zeit vorauseilenden Kfinstler ein, als eine Art Vorkampfer der Frau, ahnlich wie Friedrich Hebbel.6 Franziska Fuller behandelte 1924 "das psychologische Problem der Frau" und glaubte, eine enge Verbindung zwischen dem Leben und der Dichtung Kleists zu erkennen. Ihrer Ansicht nach vermag man die Frau- engestalten des Dichters nur deshalb so lebenswahr zu empfinden, "so ganz als einen Teil von Kleists Gemfitszustand," weil er sie "aus seinen innersten Anschauungen heraus" geschaffen habe. "Die Sehnsucht nach Liebe, nach dem Weibe als der Verkorperung des Eros, spricht tatsfich- lich aus den Werken des Dichters, denn nur wer diese Sehnsucht selbst in ihrer ganzen Tiefe erlebt hat, kann ihr den elementaren Ausdruck verleihen, wie Kleist es getan." Als einzige Tragik der Kleistschen Frauengestalten sieht Fuller die Tatsache, daB sis "in eine Welt der 6 menschlich-mfinnlichen Satzungen" gestellt seien, eine Welt der "histo- rischen Gegebenheiten, die ihrem eigensten Wesen zuwiderlaufen." Aus der Intuition des schfipferischen Menschen heraus habe Kleist der Frau ihren Platz in der Henschheit zugewiesen. Damit habe er zugleich "der Frauenbewegung im hfichsten, reinsten Sinne ihr letztes Ziel gesetzt: die Welt des Mannes, des Logos, zu durchdringen mit ihrem Sein, mit Eros, damit aus der Synthese von Eros und Logos das hfichste Kunstwerk, die Menschheit, erstehe."7 In seiner Dissertation fiber Frauen—Erleben und Frauen-Gestalten bei Heinrich von Kleist verglich Kurt Semela 1934 die vorliegenden Kleistbriefe mit den Werken. Im Gegensatz zu Ffillers Ansicht weist Semela ganz besonders auf den groBen Unterschied hin, den er zwischen dem Leben und der Dichtung Kleists zu erkennen glaubt. Er hebt jedoch ebenfalls die weitgehende Bedeutung hervor, die der Frau als "Trfigerin des Problems" in der Dichtung eingerfiumt wird. "Die Liebe, die heilig— ste Beziehung zwischen zwei Menschen, wird durch das reine Geffihl der Frau erhalten." In den Frauengestalten sieht auch er das Liebesideal des Dichters verwirklicht: Reinheit, Zartheit und ein lebenstiefer Sinn, die Ffihigkeit zur unbedingten Hingabe, die Entschlossenheit bis in den Tod, ihr "Erstgeffihl" zu wahren, das sind die wesentlichen und die erlebnishaften Zfige, die aus den Frauen der Kleistdichtung sprechen und sie kennzeichnen als die lebensvollsten, schfins sten Gestalten der deutschen Dichtung.8 Um eine eingehende Studie fiber das Frauenthema handelt es sich bei der 1937 verfiffentlichten Untersuchung von Clara Kuoni fiber die Wirklichkeit und Idee'ig_Heinrich von Kleists Frauenerleben. Kuoni stimmt mit Semela in der Ansicht fiberein, daB Kleist das weibliche Ideal, wie es im Werk erscheint, "aus reiner innerer Schau geschaffen" 7 habe. Eine Verbindung mit dem Leben des Dichters sei nicht gegeben. Das Grundproblem.Kleists konne als ein "Suchen nach Gott" bezeichnet werden, als ein Streben nach Uberwindung der beschrankten menschlichen Existenz. Da jede reale Liebe unvollkommen sei, habe der Dichter in seinen Frauengestalten die absolute Liebe dargestellt, habe sie damit zu GeffiBen des gfittlichen Willens gemacht. Als wichtigste Eigenschaf- ten der Kleistschen Frauengestalt nennt auch Kuoni die Hingabe an die Liebe und ihre selbstlose Opferbereitschaft andern gegenfiber.9 In der Dissertation von Francis Brooke aus dem Jahre 1954 wird die Art der Verhfiltnisse zwischen den mannlichen und weiblichen Protagoni- sten im Kleistschen Werk untersucht. Als entscheidendes Merkmal der Frauengestalten bezeichnet Brooke die totale Hingabe des weiblichen Wesens an die Liebe im Gegensatz zu ihrem mannlichen Partner. Eine Entwicklung der Charaktere sieht Brooke im Laufe der Handlung des Kleistschen Werkes nicht gegeben.1O Im Gegensatz zu Clara Kuonis Ansicht, daB Frauenerleben und Frau- engestalten bei Kleist vollig auseinander liegen, sieht Elisabeth Heptner gemeinsam mit Ffiller eine deutliche Verbindung zwischen dem persfinlichen Frauenerleben Kleists und seinen weiblichen Charakteren in der Dichtung.11 Heptner glaubt. daB Kleists Faszination mit der Ge- stalt der Frau wie die aller mfinnlichen Dichter frfiherer Zeiten einen Niederschlag im dichterischen Werk finden muBte. Der Gegensatz zwischen dem Traumbild der Kleistschen Ideen und der Realitfit seines eigenen Frauenerlebens habe zugleich anregend und hemmend gewirkt. Auch Kleist sei noch von gesellschaftlicher und religifiser Konvention beeinfluBt gewesen, die das Eingestfindnis eines besonderen Interesses ffir oder die spezielle Konzentration eines Dichters auf die Gestalt der 8 Frau als unangemessen oder gar als anstoBig betrachtete. Kleist habe seine Hemmungen dem weiblichen Geschlecht gegenfiber durch die Schaffung eines Idealbildes der Frau in seinem Werk fiberwunden. Uber die Dark stellung der weiblichen Charaktere in der Dichtung ffihrt Heptner aus: Kleist imbued his female characters with Romantic ideas on womanhood, the poet's personal idealized concept of woman, and a progressive view of the equality of the sexes. While in his personal relationships with and theorizing about woman Kleist was governed by the Enlightenment notion of education to virtue and the purposefulness of marriage, in his imagina- tive work the poet divorces himself from the eighteenth cen- tury concept of love and becomes instead an advocate of irrationalism.12 Die angeffihrten Untersuchungen stimmen darin fiberein, daB der Frau in der Kleistschen Dichtung ein wichtiger Platz eingeraumt wird. Weni- ger Ubereinstimmung ist allerdings in der Beantwortung der Frage gege- ben, ob sich eine enge Verbindung zwischen dem persfinlichen Frauenerle— ben des Dichters und der Darstellung seiner Frauengestalten im dichte- rischen Werke erkennen lfiBt. Man ist sich allerdings einig darfiber, daB Kleist in der Zeichnung seiner Frauengestalten von einem Idealbild beeinfluBt wurde. Dieses Idealbild weicht jedoch erheblich von den Er- fahrungen seines eigenen Frauenerlebens in der Realitat ab. Seine Ideen.fiber das Wesen und die Bestimmung der Frau erscheinen in den poe- tischen Werken transzendiert, da seine Heldinnen keineswegs als Indivi- duen dargestellt sind, die in ihrer Denk- und Verhaltensweise allein vom Manne abhfingig sind, wie man es nach der Ansicht des Dichters, bei dem die Frau den zweiten Platz in der Rangordnung der menschlichen We- sen einnimmt, erwarten sollte. Es sind vielmehr Individuen, die sich vor allem in der Konfrontation zu behaupten wissen, die die Ffihigkeit besitzen, von einer gesellschafts- und konventionsbestimmten Passivitat zu aktivem Eingreifen in den Lauf des Geschehens fiberzuwechseln. 9 Was allerdings in keiner der angeffihrten Untersuchungen zum Ausdruck kommt, das ist die fiberaus wichtige Funktion, die Kleist den Frauengestalten in seiner Dichtung fibertragen hat. Darum soll die Hauptbetonung in der vorliegenden Arbeit auf der Beantwortung der Frage nach dem Potential der Frau im Rahmen ihrer Funktion im dichterischen Werk liegen. Mit dem Begriff 'Funktion' ist die Aufgabe gemeint, wel- che der Frau vom Dichter innerhalb seines dichterischen Werkes zuge— teilt wird. Im Kleistschen Werk handelt es sich um die Funktion der Frau, sich erstens durch die Entfaltung ihrer beachtenswerten Anlagen zu individualler Entscheidung und Selbstfindigkeit durchzuringen, zwei- tens durch das Beispiel ihrer Denk- und Verhaltensweise der Menschheit den Weg zu weisen, wie sie sich aus der Widersprfichlichkeit dieser gebrechlichen Welt zu einem menschenwfirdigeren Dasein zu erheben verb mag, und drittens, als Representantin gegensfitzlicher Begriffe aufzu- treten, die ihrerseits die Polaritfit der dargestellten Daseinssituation zum Ausdruck bringen. Kleist lfiBt also die Frau eine Rolle spielen in seinen Werken, eine Rolle, die ihrem Wesen, ihrem innersten Sein ent- spricht und zugleich einem menschenfreundlichen Zweck dient. Von ent- scheidender Bedeutung ist dabei aber die Verbindung der funktionalen Bestimmung der Protagonistinnen mit einer Stileigenheit, die wiederum die wichtigsten Gedanken des Dichters einschlieBt. In seinem "Brief eines Dichters an einen anderen" schreibt Kleist: Wenn ich beim Dichten in meinen Busen fassen, meinen Gedanken ergreifen, und mit Hfinden, ohne weitere Zutat, in den deini- gen legen kfinnte: so wfire, die Wahrheit zu gestehn, die ganze innere Forderung meiner Seele erffillt . . . . Nur weil der Gedanke, um zu erscheinen, wie jene flfichtigen, undar- stellbaren, chemischen Stoffe, mit etwas Groberem, Korperb lichen, verbunden sein muB: nur darum bediene ich mich, wenn ich mich dir mitteilen will, und nur darum bedarfst du, um mich zu verstehen, der Reds. (II,347-348) 10 Und in seinem "Aufsatz, den sichern Weg des Glficks zu finden," betont Kleist, wie er nach den rechten "Worten und Bildern" (II,306) suche, um seine Ideen so ausdrficken zu kfinnen, damit sie fiberzeugend wirken. Das bedeutet, daB Kleist mit einer bewuBt getroffenen Auswahl dieser Wfirter und Bilder eine ganz bestimmte Absicht verfolgte. Die im selben Aufsatz so vielfach verwendete Verbindung von jeweils zwei, in seltene— ren Fallen auch drei Begriffen, die von synonymer oder auch wider- sprfichlicher Bedeutung sind, darf demnach keineswegs als Zufall gewer- tet werden. Die wichtigsten Gedanken dnfickt der Dichter gerade hier durch die Gegenfiberstellung der gegensatzlichen Begriffe Glfick und Unglfick, Erfahrung und Tatigkeit, GenuB und Entbehrung, Denken und Handeln, Herz und Geist, Tugend und Laster aus. (II,301-318) In der vorliegenden Untersuchung soll aufgezeigt werden, daB sowohl in den Dramen als auch in den Prosawerken die wichtigsten Ge- danken des Dichters durch eine Verbindung von Begriffen ausgedfiickt werden, die in ihrer Widersprfichlichkeit die unbedingte Notwendigkeit des unausgesetzten Abwfigens zwischen diesen Werten erkennen lassen. Eine Aufteilung der Werke in sieben Gruppen, deren Einordnung unter dem Titel bestimmter Begriffsverbindungen bedeutungsvoll erscheint, ist vorgesehen. Dabei soll auf Kombinationen zurfickgegriffen werden, die nicht nur in Kleists poetischem Werk, sondern auch in seinem persfinli- chen und theoretischen Schrifttum Anwendung gefunden haben. Folgende Einteilung wird daffir vorgeschlagen: 1. Vertrauen - MiBtrauen Die Familie Schroffenstein Der zerbrochne Krug 11 2. Tugend - Laster Die Marquise von 0... Das Erdbeben in Chili Amphitrygn 3. Liebe - HaB Penthesilea Das Kfithchen von Heilbronn 4. Recht - Unrecht Michael Kohlhaas Die Hermannsschlacht 5. Menschlichkeit - Das Bettelweib von Locarno Ubermenschlichkeit Die heilige Cficilie 6. Menschenliebe - MenschenhaB Der Findling Die Verlobung in _S_t_. Domingo 7. Unschuld - Schuld Der Zweikampf Prinz Friedrich von Homburg Der Beweis soll erbracht werden, daB die Kombination der funktionalen Bestimmung der Frauengestalten mit einer Stileigenheit des Dichters, seine wichtigsten Gedanken durch sinnreiche Begriffsverbindungen her- vorzuheben, ffir die Dichtung Heinrich von Kleists von groBer Bedeutung ist. Mit der Darstellung des Geschicks und der Charakterentfaltung seiner Protagonistinnen scheint der Dichter die Mfiglichkeit zu demon- strieren, durch das gemeinsame Wirken von Geffihl und Verstand zu hfiheren BewuBtseinsstufen vorzudringen. Das dichterische Werk kann somit als Kleists Vision einer gerechteren und friedlicheren Welt gewertet werden. II. Die Frau in ihrer gesellschaftlichen Position Bei der Behandlung der gesellschaftlichen Position der Frau im Werke Kleists sind es vor allem drei Fragen, die besondere Aufmerksam- keit verlangen: 1. Wie zeigt sich die dichterische Darstellung der Wirklichkeit, in die die Frau als Individuum hineinversetzt ist? 2. Welcher Konfrontation durch die Gesellschaft sieht die Frau sich in ihrer Stellung ausgesetzt? 3. Was ffir eine Wirkungsmfiglichkeit wird der Frau innerhalb des ihr zugewiesenen Lebensbereiches zuerkannt? Wie wird also die Wirklichkeit im Werk vom Dichter erfaBt, wie wird sie gestaltet? 1. Die Frau in der dargestellten Wirklichkeit 1.1. Schauplatz und Zeitpunkt der Handlung Man findet in den Kleistschen Werken kein einheitliches Zeitbild dargestellt, kein getreues Abbild der Gesellschaft des beginnenden 19. Jahrhunderts mit ihren geistigen und ethischen Problemen, mit ihren sozialen, politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Als Schauplatz werden geographisch nachweisbare Orte genannt, wodurch der Eindruck erweckt wird, man habe es mit einer klar identifizierbaren Umwelt zu tun. Ffir den Zerbrochnen Krug wahlte der Dichter einen frei erfundenen Handlungsort in Holland. Im Erdbeben in Chili dagegen griff er auf die tatsfichlich stattgefundene Naturkatastrophe zurfick, die am 13. Mai 1647 die Hauptstadt Santiago zerstfirt hatte. Auch in der 12 13 Verlobung von SI, Domingo hielt Kleist sich an Tatsachenberichte fiber einen Aufstand der Schwarzen, der auf der Insel Haiti ausgebrochen war, nachdem der Pariser Nationalkonvent ihnen im Jahre 1894 ffir den franzfi- sischen Teil der Insel Freiheit und Gleichberechtigung mit den weiBen Kolonisten zugesichert hatte. In der Marquise von 0... wiederum befin- den wir uns in "einer bedeutenden Stadt im oberen Italien." Mit dem Findling ffihrt Kleist uns nach Rom, mit der Heiligen Cficilie vor die Tore der Stadt Aachen. Beim Bettelweib von Locarno ist der Ort des Geschehens bereits mit dem Titel angezeigt. Wie der Schauplatz, so ist auch der Zeitpunkt des Geschehens oftmals durch geschichtlich beurkundete Ereignisse belegbar. Die dargestellte Umwelt im Zweikampf, in der Familie Schroffenstein und im Kfithchen von Heilbronn versetzt uns zurfick in den mittelalterlichen Lebensraum, wfihrend die Begebenheiten im Prinzen von Homburg lediglich ein Jahrhundert in der Geschichte Brandenburgs zurfickliegen. In der Hermannsschlacht ist der Zeitpunkt der Handlung bis auf die Lebenszeit des Cheruskerffirsten Arminius zurfickverlegt, fiber den die Geschichts— schreibung aussagt, daB er in 9. Jahre n. Chr. die rfimischen Eindring— linge im Teutoburger Wald besiegte. Wfihrend der Lebenszeit Luthers ereignet sich der Aufstand des RoBhfindlers im Michael Kohlhaas, der als einer "der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit" bekannt war. Das Geschehen in Penthesilea und auch im Amphitryon dagegen ffihrt uns zurfick in den Bereich der antiken Sage. Trotz der genauen Orts- und Zeitpunktangaben, trotz des Auftretens historischer und sagenhafter Gestalten, gewinnt man doch nicht den Ein- druck einer vom Dichter beabsichtigten realistischen Wirklichkeitsdar— stellung. Conrady geht sogar noch weiter in seinem Urteil, wenn er sagt: 14 Man kfinnts versucht sein, fiberspitzend zu behaupten: Wenn jsmand kein realistischer Darsteller ist, dann ist es Kleist. Doch mfissen wir sslbstvsrstfindlich diffsrenzisrsn, um nicht mtierstanden zu werden. Zwar wird das, was vom dichteri- schen Wort ergriffen und benannt wird, genau und 'wirklich- keitsgetrsu' dargeboten. Aber es waltet sine Auswahl, die as in Wahrheit zu sinsr auch nur sinigsrmaBsn kompletten Wirk- lichkeitsdarstellung gar nicht kommen laBt.13 Dennoch war die Festlegung eines bedeutsamen Raumes und eines sorg- ffiltig bezeichneten Zeitpunktes in ssinsn Dichtungen ffir Kleist von groBer Wichtigkeit. Der gewfihlte Schauplatz, dis genaue Zeitangabe und dsr Entwurf einer gesellschaftlichen Situation bilden die Elements eines realistisch srscheinenden Wirklichkeitsausschnittes, dsr innerb halb dss Werkes jedoch rein funktionale Bedeutung srhfilt. Wir habsn es also mit einer Wirklichkeit zu tun, die dsr jeweiligsn dichterischen Intention angspaBt ist. Dis lediglich skizzenhafts Darstellung ist vfillig ausrsichsnd als Hintergrund flir dis Handlung, dsr allein das Interesse gelten soll. Die gszsichnets Umweltsituation ist nur sin Mittsl, Lebensvorgfings sichtbar zu machen.14 1.2. Die gesellschaftlichs Situation Die Mannigfaltigksit dsr gesellschaftlichen Situationen, in die die Frau im Werke hineinversetzt wird, lfiBt nicht nur das groBe AusmaB dichterischsr Phantasis bei Kleist erkennen, sondern ebenfalls die In- tention dss Dichters, sins bedsutungsvolle Umwelt zu gsstaltsn. Klsists Streben war darauf ausgerichtet, dis gesellschaftlichs Wirk- lichkeit zu vsrvollkommnsn. Er wollte srreichsn, daB dis zukfinftige Wirklichkeit sine besssre sein sollte als seine gegsnwfirtigs. An seine Vsrlobte schrieb er im Oktober 1801 aus Paris: "Ein groBes Bsdfirfnis ist in mir regs geworden, ohne dessen Befriedigung ich nismals glfick- lich sein werde; es ist disses, etwas Gutss 22.tun°" (11,692) 15 Er glaubte, Gott habe "dem Menschsn sin so frsiss, herrliches und fippigss Leben bestimmt," ihm "Krafts unendlicher Art" vsrliehen, "um ihn zum Konig dsr Erds zu machsn." Der Mensch jsdoch habs disss Krfifts nicht gsnutzt und liege ”von unsichtbaren Gsistern fibsrwfiltigt . . . auf vsrwundsrnswfirdigs und unbegrsiflichs Weiss, in Ksttsn und Bandsn." Statt das Hochstmoglichs zu srgreifsn und sich aus dsr Jfimmerlichksit seines Daseins zu erheben, gefalle sr sich in seinem bsschrfinkten Zustand. Sich selbst betrachtete Klsist jsdoch von Gott dazu aussrb sehen, "dis Torheiten und Irrtfimer seiner Gattung" zu fiberschausn. Er glaubte, ihn habe dsr Herrgott "mit dem Kosher dsr Reds” ausgerfistet; seine Aufgabe als Dichter ssi ss, mitten unter dis Menschen zu treten "und sis mit Pfsilsn, bald scharfer, bald leissr, aus dsr wundsrlichsn Schlafsucht, in welcher sis befangen liegen," zu wscken. Disssm Bsksnntnis im "Gsbet dss Zoroaster" (II,325-326) ffigt Klsist dis Bitte um "Einsicht in alle Erbfirmlichkeiten, Halbhsitsn, Unwahrhaftigkeitsn und Gleisnsreien" hinzu, die das Elsnd dss Zeitalters herbeigsffihrt hattsn, dis Bitte um "Kraft, den Bogsn dss Urteils rfistig zu spannen," um "Bssonnenhsit und Klughsit, . . . den Vsrdsrblichsn und Unhsilbarsn" niedsrzuwsrfsn, "den Lasterhaften" zu schrscken und "den Irrsn" zu warnsn. Durch das Beispiel seiner Dichtung hoffts Klsist, nicht nur aufzuzsigsn, wis die gsgsnwfirtige Welt wirklich war, sondern auch wie sis sein kfinnts. Wis sshr dsr "Teufel Aberwitz" das Leben dsr Menschen bereits ”in Bandsn" (11,886) hielt, vsrmochts seine Darstellung von Naturkatastrophe und Ssuchs, RassenhaB und Mordanschlag, Rebellion und Krieg, Gswalttfitigksit und RschtsmiBbrauch im Werk zu bsweissn. Klsist war aber gsnauso fibsrzsugt davon, daB disss Welt sins glficklichs sein kfinnts. An Wilhelmins von angs schrieb er daher: 16 ”Denks sinmal an alle dis Abschsulichksiten, zu welchsn dsr Eigsnnutz dis Msnschsn trsibt - dsnke Dir sinmal dis glficklichs Welt, wenn jsdsr ssinsn signen Vorteil, gsgsn den Vorteil dss andern vsrgfiBe." (11,624) Was Klsist also in ssinsn Dramen und Novellen untsrnimmt, das sind dichterische Experiments einer Wirklichkeitsbswfiltigung, Vsrsuchs, dis Menschsn durch sindringlichs Beispisle einer glficklichsrsn Zukunft entgsgsnzuffihrsn. Daher darf die im Werk gszsichnets Wirklichkeit nur als intentional geformts Realitat vsrstandsn werden. Die dargestellten gesellschaftlichen Situationsn erscheinen als Teil dsr Handlung. Sis bilden den Ausgangspunkt flir den stsnsweg dsr Charaktere und srfahren nur zu bald durch den Einbruch eines unberechenbaren Schicksals sins sntschsidsnds Verfinderung, die ihre Auswirkung auf das Dasein dsr Frauengestalten erkennen laBt. 2. Dis Konfrontation dsr Frau mit dsr Gesellschaft 2.1. Zufall und Schicksal Vor allsm in den Novellen zeigt es sich, daB Zufall und Schicksal ss sind, die die Konfrontation dsr Frau mit dsr Gesellschaft herbsi— ffihren. Da sieht dis Marquise, ”sine Dams von vortrsfflichsm Ruf" (11,104) sich plfitzlich durch "sin unerhfirtes Spiel dss Schicksals" (11,132) aus dsr Harmonie ihres Alltags herausgsrisssn und aus dem El- ternhaus ausgsstoBen, weil sis ihre Schwangsrschaft mit ksinsr gesell- schaftlich akzsptablsn Erklarung zu begrfindsn vermag. Toni wird durch das zuffillige Auftauchen dss fliehsnden Gustav in die Grsusl eines Rasssnkampfss verwickelt, was sis zur ngnerin ihrer sigsnen Mutter und ihrer sigenen Rasss werdsn lfiBt. Littsgards findet sich durch sin "Spiel dss Zufalls" (11,488) vom sltsrlichsn Besitz vsrwisssn, weil man 17 ihr plfitzlich zur Last legt, als Witws sin zfigelloses Leben geffihrt zu haben. Das Elend Josephes wird durch die sntschisdsns Weigsrung ihrer stolzsn Familie ausgelfist, den einer niedsrsn Gesellschaftsklasss sntstammendsn Jeronimo als Liebhabsr dss Madchsns zu akzsptisren. "Wir dfinksn uns frei," msint Klsist, "und dsr Zufall ffihrt uns allgswaltig an tausend fsingesponnsnsn Ffiden fort." (11,642) Doch nicht nur in den Novellen, sondern auch in den Dramen tritt sin nicht zu bannsndss Verhfingnis sin, das man auch als sins "unsrhfirte Begebenheit"15 bezeichnsn kfinnte, wodurch die Betroffsnsn gezwungsn werden, sich mit dem vollig Unsrwartetsn aussinandsrzusetzsn. Spsziell dis Frauengestalten mfissen es auch hier erlebsn, daB unvsrmutets Ereig- nisss ihre bis dahin frsundlich gesinnts Umwelt plfitzlich in sine fsindliche vsrwandsln, daB dis sintrstendsn Zufalls sins schicksalhafts Bedeutung ffir ihr Leben annehmen. Zur Eigsnart dsr Kleistschen Werke zfihlt ss fsrnsr, daB dsr Dichter bei dsr Darstellung von Situation und Zufall sins srhsblichs Stsigsrung in Anwendung brachts, dis fiber dis traditionsgemfiBsn Formsn weit hinausrsichte.16 Das Leben wird zu einem "Spiel dss Zufalls," dsr Mensch absr erscheint wie "sins Pupps am Drahte dss Schicksals." (11,490) So findet sich Agnes von Schroffen- stein untsr den Frauengestalten dss Dramas plfitzlich aus dem Glfick ihrer sbsn srwachsndsn srsten Liebe zu Ottokar herausgsrisssn und von den vsrnichtenden Auswirkungsn dss Strsites um das Familisnsrbrscht erfaBt. Hilflos sieht Eve sich trotz ihres guten Rufss vor Gsricht gezsrrt, von dsr sigsnen Mutter als Hurs gsstempelt, von Ruprscht, den sis hatts retten wollsn, vsrstoBsn, von dem Richter, dessen unredlichsn Nachstsllungsn sis sich zu srwehrsn versucht, durch offens Drohungsn in 18 die Engs gstrisben. An Alkmenss Geschick demonstrisrt dsr Dichter dis Machtlosigksit dss Menschsn gsgsnfibsr den Tfiuschungsvsrsuchsn eines Gottss--dis plfitzlich sinsstzsnds Vsrwirrung eines aus dsr unbedingten und unbsirrbaren GswiBhsit dss Geffihls lsbsndsn und lisbendsn weibli- chen Gsschfipfss. Der Einbruch in die naturwidrige Existenz dsr Amazo- nenkfinigin srfolgt durch die Gswalt dsr Liebe zu Achill, und Penthesi- lea vsrmag sich dsr Entscheidung nicht zu entzishen, ob sis dem Gssstz dss Staatss odsr dsr Stimms dss sigensn Herzens folgsn mfisss. Das Kathchen von Heilbronn darf sich rfihmsn, als "sin Wesen von zarterer, frommsrsr und liebersr Art" (1,433) angssshsn zu werden, als man ss sich dsnksn kfinnts, bis plfitzlich dsr Anblick dss Grafsn vom Strahl in der vfitsrlichsn Werkstatt das Madchsn wis "sin Blitz" (1,435) niedsr- schmsttsrt und ss als blind srgsbsns Metzs dem Rittsr folgt. Dis Erksnntnis beleidigtsn Vsrtrausns vsrwandslt dis sanfte Chsrusksrb ffirstin Thusnslda in sins rachsdfirstigs Furis, dis den verrfitsrischsn rfimischsn Jfingling mitlsidslos durch sine wilds Barin zsrreiBsn lfiBt. Durch dis Todssfurcht dss Prinzen von Homburg wird Natalie zur tat— krfiftigsn Vsrmittlsrin, dis sowohl "das Krisgsgssstz" als auch "dis lisblichen Gsffihle" (1,680) hsldsnmfitig zu reprassntisren weiB. 2.2. Lebenskrisen dss Jungsn Klsist 1n dsr in Kleists Werken dargestellten Umwelt, in dsr gezsichnstsn gesellschaftlichen Situation, zeigt sich die Gebrschlichksit dsr Welt. Man sollte annehmen dfirfen, daB as dis krissnhaftsn Zeiten warsn, in denen dsr Dichter lebte, dis ihn in seiner Wirklichkeitsdarstsllung beeinfluBtsn. Wir habsn es mit einer Welt zu tun, dis durch gsistigs und politischs, durch sozials, wirtschaftlichs oder auch rein indivi— dusll bestimmte Krissn ins Wanksn gsratsn ist. Klsists eigene Krissn 19 bezeichnet Hans Mayer als solchs dsr bfirgsrlichsn Wsltanschauung. Er bstrachtet dis Dichtung Klsists als sins "sntschsidsnds Etapps in dsr Entwicklung bfirgerlichen Dsnksns in Deutschland." Das psrsfinlichs Schsitsrn dss Dichters dsuts auf den Anfang einer "tiefsn bfirgerlichsn Gsssllschaftskriss" hin.17 Man hat Kleists Leben auch als sins Tragodie in ffinf Aktsn be- zeichnet, deren Ends jeweils durch sins Katastrophs gskennzsichnst ssi. In jsdsm sinzslnsn Akt srscheine dsr Charakter dss Heldsn von einer andsrsn Seite. Der srsts Akt, in dem sich dsr Eigensinn dss in voll- kommener Einsamksit ssinsn ng suchendsn Autodidakten zeige, schloB mit dem Zusammenbruch seiner "naiven Weltanschauung." Dsr zweits Akt, gs- kennzsichnst durch den sich verzshrendsn Ehrgsiz eines Ruhmsfichtigsn, habe zum Zusammenbruch seines fiberspanntsn kfinstlsrischsn Zieles gsffihrt. 1m drittsn Akt ssi das wachssnds SelbstbswuBtssin dss aus seiner innsrsn Ides heraus schaffsndsn Kfinstlsrs vorhsrrschsnd gewsssn. Er sndsts mit dem Vsrzicht auf die Selbstbestimmung dss kfinstlsrischsn Zieles. 1m visrtsn Akt habe dis maBloss Leidenschaft dss Politiksrs gewirkt, dis zum Zusammenbruch dsr vatsrlandischsn Hoffnung gsffihrt habe. Der ffinfts Akt habe die hfichsts Selbstbsherrschung und Unter- ordnung unter sine von auBen an ihn herantrstsnds Zweckbsstimmung auf- zuwsissn. Den SchluB disses lstzten Aktss und damit dsr gssamtsn Tragfidis bilds dis vollkommens Sslbstzsrstfirung dss Dichters.18 Das Leben in dieser Welt, das Dasein in dsr gesellschaftlichen Wirklichkeit seiner Zeit, zsigts sich dem Dichter nie von dsr leichtsn Seite. An seine Schwester Ulrike schrieb Klsist, "daB das Leben sin schwsrss Spiel ssi; und warum ist es schwsr? weil man bestandig und 20 immsr von nsusm sins Karts zishsn soll und doch nicht wsiB, was Trumpf ist; ich msins darum, weil man bestandig und immsr von neusm handsln soll und doch nicht wsiB, was rscht ist." (11,629) Bestimmend ffir Kleists Leben war von.Kindhsit an sins groBs Wechsslhaftigksit, dsr sich dsr Dichter ausgesetzt sah, und die seine Betrachtungsweiss dss menschlichen Daseins erheblich beeinfluBts. Dis scheinbar gssichsrte Zukunft dss filtssten Sohnss dss prsuBischen Kompanischefs Joachim Friedrich von Kleist war von dem Augenblick an in Frags gestellt, da dsr Vater im Jahre 1788 vsrstarb und seine Familie durch unzursichsnds Tsstamentsanordnungsn in ungesichsrtsn Vsrhfiltnisssn zurficklisB.19 Wohl wurds dsr damals slfjfihrigs Heinrich dsr Tradition seines altprsu- Bischsn Adslsgeschlschts sntsprschsnd und durch die besonders Gunst dss Kfinigs zum Offizisr dss prsuBischsn Gardsregimsnts in Potsdam ausgebil- dst. Doch schon als Zwanzigjfihriger fiuBerts sr seine Abnsigung gsgsn- fibsr dsr widsrspruchslossn Ausffihrung militfirischsr Bsfshls, dis ksins psrsfinlichs, ksins menschliche Beurtsilung einer gegsbsnsn Situation srlaubtsn. (11,479) Der vom.Kfinig gsnshmigte Abschisd, dsr dem vsrhaB- tsn Militfirdisnst 1799 sin Ends sstzts, lisB wohl den Traum eines Universitfitsstudiums ffir Heinrich von.Klsist Wirklichkeit werden, doch nur zu schnsll zsigts sich ssins Unzufrisdsnhsit mit dsr Einssitigksit einer rein wisssnschaftlichsn Bildung. Obwohl dis Anfang 1800 srfolgts Verlobung mit Wilhelmins von angs, dsr Tochter dss Ortskommandantsn in Frankfurt, es ihm srlaubte, auf sins glficklichs gemeinsame Zukunft zu hoffen, so belaststs ihn dis Forderung ihrer Eltsrn ganz erheblich, sich auf sins gssichsrte stsnsstsllung vorzubsreitsn. 21 2.3. Dis Weltanschauung dss jungsn Kleist Doch nicht nur ssins fiuBsre, sondern auch seine innsrs Situation war fiuBsrst widsrsprfichlich. Ssinsr perfektibilistischstsleologischen Weltanschauung20 sntsprschsnd strsbte dsr jungs Klsist bekanntlich danach, durch umfangrsichs Bildung und einen "Schatz von Wahrheitsn" sine "hfihsrs Stufs dsr Vsrvollkommnung auf diesem Sterne" (11,633) zu srreichsn, sich selbst "auf sins Stufs nfiher dsr Gotthsit zu stellsn." (11,586) Er glaubts fest daran, daB dis fortschrsitende Bereicherung seines Wisssns auch mit dem Tods nicht snden wfirds (11,633), war davon fibsrzsugt, daB die Vsrvollkommnung dsr Zweck dsr Schopfung (11,316), dis Sehnsucht nach sinsm srreichbaren Glfick (11,477) die Bestimmung dss irdischsn Daseins ssi. Klsists Streben galt also hauptsfichlich seiner Bildung, woruntsr sr einen auf Wisssn ausgerichtsten Bildungs- vorgang vsrstand, dem als Ziel gestsckt war, die Gssstzlichkeit dsr physischsn und moralischen Natur zu erkennen. Disss als Wahrheitsn angesshsnsn Erksnntnisss solltsn ihn in die Lags vsrsstzsn, mit dem Scharfblick dss Geistss sein "Schicksal selbst zu lsiten." (11,310) Dsm Dichter ging es also keineswegs um sin fiberheblichss Trachtsn nach absolutsr Wahrheit, wis es von dsr Klsistforschung immer wieder darge- stellt wurds, sondern um das Sammeln von einem "Schatz von Wahrheitsn," nicht um gfittliche Vollkommsnhsit, sondern um Vervollkommnung, dis ss ihm srlaubsn sollte, sich dsr Gotthsit zu nfihsrn und sein sigsnss Schicksal glficklich zu gsstaltsn.21 So schrieb sr an ssinsn Lshrer Martini: Ein Traum kann disss Sehnsucht nach Glfick nicht sein, dis von dsr Gotthsit selbst so unauslfischlich in unserer Seele srwsckt ist und durch welchs sis unvsrksnnbar auf sin ffir uns moglichss Glfick hindsutet. Glficklich zu sein ist ja dsr srsts aller unsrer Wfinschs, dsr laut und lsbsndig aus jsdsr 22 Adsr und Jedsm Nsrv unsres Wesens spricht, dsr uns durch den ganzen Lauf unsres Lebsns begleitst, dsr schon dunksl in den srstsn kindischsn Gedanken unsrer Ssels lag, und den wir endlich als Greiss mit in die Gruft nshmen werden. (11,477-478) Glficklich zu werden bedeutst ffir Klsist keineswegs sin Streben nach Rsichtum, matsrisllen Gfitsrn oder amtlichsn Wfirdsn, sondern er nennt "Glfick nur dis vollsn und fiberschwsnglichen Genfisss, dis . . . in dem srfrsulichsn Anschauen dsr moralischen Schonheit unseres sigensn Wesens liegen.” (11,476) 2.4. Verstand und Vernunft Dis Bsschfiftigung mit "dsr nsusrsn sogsnannten Kantischsn Philosophis" beraubte Kleist jedoch plfitzlich seines "sinzigsn" und "hfichstsn” Lebenszisles. (11,634) Dis Erkenntnis seines Irrtums war niedsrschmsttsrnd. An seine Schwester Ulrike schrieb er: Der Gedanke, daB wir hisnisdsn von dsr Wahrheit nichts, gar nichts, wissen, daB das, was wir hier Wahrheit nennen, nach dem Tods ganz andsrs heiBt, und daB folglich das Bestrsbsn, sich sin Eigentum zu erwerben, das uns such in das Grab folgt, ganz vsrgsblich und fruchtlos ist, dieser Gsdanks hat mich in dem Heiligtum meiner Seele srschfittert - Msin sinzigss und hochstes Ziel ist gesunksn, ich habe ksinss mshr. Seitdsm skelt mich vor den Bfichsrn, ich legs dis Hands in den SchoB, und suche sin neues Ziel . . . (11,636) In seiner Wahrheitssuche, im Gebrauch seines Vsrstandss, kann Klsist als Mensch dsr Aufklfirung gesehen werden. In seiner Ausrichtung absr auf das sins Ziel, das Streben nach Annfihsrung an die Gotthsit mit dem Besitz einer Sammlung von Wahrheitsn, die er sich durch intellektuells Erkenntnisss zu srringsn hoffts, folgts sr seinem sigsnen Gsflfihl, das sr zu seiner ”sigsnsn Religion" srhob. Er vertrauts jsnsm innsrsn Gsffihl, jsnsr "hfihsrsn Vernunft" (11,485) oder auch jsnsm gswisssn "Zustand unsrer, welcher wsiB" (11,323). dsr bei den meisten Menschsn nicht mshr gsgsbsn scheint, so daB Kleist von den Angshfirigsn seiner 23 Familie behauptets: "Geffihls, dis sis selbst nicht haben, haltsn sis auch gar nicht ffir vorhandsn.” (11,473) Ihn bsschfiftigts dis Frags: ”Wsr sichsrt uns absr unssr innsrss Glfick zu, wenn as dis Vernunft nicht tut?" (11,491) Garantisrt also dsr Verstand dem Menschsn Wisssn, Bildung, Erkenntnis und Wahrheit, so wirkt die Vernunft als die innsrs Stimms dss sinzslnsn, als jsnss Geffihl, das den rechten stenswsg anzsigt. ”Man kann ffir'jeden Augenblick dss stsns nichts andsrss tun, als was dis Vernunft flir ihren wahren Vorteil srksnnt" (11,484). be- hauptsts dsr Dichter. Der Mensch sollte demnach im Leben nis andsrs handsln, als dis innsrs Stimms oder dis Vernunft es verlangtsn. Martini gsgsnfibsr ffihrte er aus: "Wenn man also nur seiner sigsnsn Ubsrzeugung folgsn darf und kann, so mfiBts man sigsntlich niemand um Rat fragsn, als sich selbst, als die Vernunft; denn niemand kann besser wisssn was zu meinsm Glfick dient, als ich selbst; . . ." (11,472). Wir habsn es also mit einem rein personlichen.Vsrnunftbsgriff zu tun. Heinz Ids bsschrsibt das Vsrhfiltnis dsr psrsonalsn Kraft dsr Vernunft zur objsktiven dss Vsrstandss und beidsr Beziehung zur Wahrheitssuchs folgendsrmaBsn: Dis Vernunft als sine innsrsts, den Menschsn in seinem Msnschssin charaktsrisiersnds und ihm Richtung gebsnds Kraft fordsrt dis Erffillung dss jeweiligsn Menschseins im Glfick und vsrwsist dsn Menschsn auf Wahrheit schlschthin; dsr Verstand smpffingt disss Weisung und ffihrt das von der Vernunft Gsbo— tens aus, indsm er im Rahmen dss ihm Mfiglichsn Wahrheitsn sammslt. Dis Vernunft fordsrt dis Selbstvsrwirklichung dss Menschsn im Glfick; dsr Verstand ist das wichtigsts Mittsl, sis zu vollzishsn. Disss Unterschsidung zwischen Verstand und Vernunft srmfiglichts es Klsist nach dsr Kantkriss zu behaupten: "Aber dsr Irrtum liegt nicht in Herzsn, sr liegt in Verstands und nur dsr Verstand kann ihn hsbsn . . . ich bin durch mich selbst in einen Irrtum gsfallsn, ich kann mich 24 such nur durch mich selbst wisdsr heben." (11,638) Auf dsr Suchs nach einem nsusn Lebensziel fiuBsrts er absr trotz grfiBtsr Nisdsrgsschlagen— hsit: "Es muB etwas Gutes aus diesem innsrn Kampfs hervorgshn." (11,636) Auch jstzt noch vertrauts er seinem Verstand vollends, "das Wort, welchss das Rfitssl lfisst," (11,638) zu finden. Allsrdings war er sich darfibsr im klaren, daB dis Erkenntnis fiber dis Bestimmung dss Menschsn auf dieser Erds nur in begrenztem Umfangs mfiglich war, denn ”. . . wie kfinnsn wir beschrfinkts Wesen, dis wir von dsr Ewigksit nur sin so unsndlich klsinss Stfick, unssr spannsnlanges Erdsnlsbsn fiberss— hen, wie kfinnsn wir uns getrausn, den Plan, dsn dis Natur ffir dis Ewig- ksit sntwarf, zu srgrfindsn?” (11,316) Sonst warsn dis Augsnblicks, in dsnsn sr sich seiner "selbst bswuBt ward,” seine schfinsten gewsssn. ”Jstzt,” msints sr, "muB ich sis vsrmsidsn, weil ich mich und msins Lags fast nicht ohne Schaudsrn dsnken kann." (11,650) Hatts sr zuvor mit Hilfs dss Vsrstandss Wahrheitsn zu erkennen versucht, so war sr lediglich zu dsr Erkenntnis gslangt, daB wir nis sichsr sein kfinnsn, "ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist, oder ob es uns nur so scheint." (11,634) Hatts sr sich vor dsr Kantkriss auf das richtungweisends innsrs Gsffihl, auf seine Vernunft bsrufsn, so lshnts sr jetzt den Gedanken ab, "daB sine Stimms im Innern uns hsimlich und dsutlich anvsrtraus, was rscht ssi." (11,683) Vor dsr Kantkriss hatts Klsist sich sinsn stensplan entworfen und hatts behauptst: Bestimmung unseres irdischsn stsns heiBt Zweck dsssslbsn, oder dis Absicht, zu welcher uns Gott auf disss Erds gssstzt hat. Vsrnfinftig darfibsr nachdsnksn hsiBt nicht nur disssn Zweck selbst dsutlich ksnnsn, sondern auch in allsn Verhfilt- nisssn unseres stsns immsr dis zwsckmfiBigstsn Mittsl zu seiner Errsichung herausfindsn. (11,318) 25 Nachdsm er sich seines ursprfinglichsn stenszielss vfillig bsraubt sah, erschisnsn ihm dis Dings dsr Welt "tausendffiltig vsrknfipft und verb schlungen." (11,683) An seine Vsrlobts schrieb er: Ja, wahrlich, wenn man fibsrlsgt, daB wir sin Leben bsdfirfsn, um zu lsrnen, wie wir lebsn mfiBtsn, daB wir selbst im Tods noch nicht ahndsn, was dsr Himmsl mit uns will, wenn niemand den Zweck seines Daseins und seine Bestimmung kennt, wenn dis msnschlichs Vernunft nicht hinrsicht, sich und die Seele und das Leben und die Dings um sich zu begrsifen, wenn man seit Jahrtaussndsn noch zwsifslt, ob es sin Recht gibt -- kann Gott von solchsn Wesen Vsrantwortlichkeit fordsrn? (11,682-683) 2.5. Das neue Lebensziel So sndsts dsr ”srsts Akt" im Leben Kleists wohl mit dem Zusammen- bruch ssinsr Weltanschauung, ffihrte ihn absr seiner wahren Bestimmung als Dichter einen wesentlichen Schritt nfihsr. Um zu sinsr Entscheidung fiber seine zukfinftigs stsnswsiss zu gslangsn, muBts Klsist sich jedoch zuvor "GswiBhsit und Sichsrheit in dsr Seele" (11,684) vsrschaffen. Dis Furcht, bei dsr Wahl eines-neuen Lebenszislss wiederum einen Fshl- tritt zu begshen, einem neuen Irrtum ausgesetzt zu sein, lisB ihm das Leben zur Drangsal werden. (11,654) "0 Gott, wenn mir sin sinzigsr Wunsch srffillt wfirds, mich aus diesem Labyrinths zu retten," (11,648) klagts sr und nannts ss "skslhaft, zu lsbsn." (11,655) Vsrzwsifslt gsstand er seiner Vsrlobtsn in Brief: Disses rfitsslhafts Ding, das wir besitzen, wir wisssn nicht von wem, das uns fortffihrt, wir wisssn nicht wohin, das unssr Eigsntum ist, wir wisssn nicht, ob wir darfibsr schalten dfirfsn, sins Habs, dis nichts wert ist, wenn sis uns etwas wert ist, sin Ding, wie sin Widsrspruch, flach und tisf, fids und reich, wfirdig und vsrfichtlich, visldsutig und unergrfind- lich, sin Ding, was jedsr wegwsrfsn mfichts, wie sin unvsrb stfindlichss Buch . . . (11,670) Dis sndgfiltigs Ablshnung dss angebotsnen Postsns im prsuBischsn Staats- disnst und die Entfernung aus dsr einsngsndsn Berliner Umgsbung lieBsn 26 schlisBlich doch ihre bslsbsnde Wirkung erkennen. Untsr dem EinfluB dsr Eindrficks seiner Pariser Rsiss vsrspfirts Klsist schon bald sine Vsrpflichtung, dsn GsnuB dss Lebens, das ihm von der Schfipfung gsgsbsn war, vsrdisnsn zu mfisssn. Seine Arbsit sollte in Zukunft nicht allein dsr Wahrheit gswidmst sein, sondern sis sollte ebenfalls einem ”msnschsnfrsundlichsren Zweck" (11,684) dienen. Er hoffts, mit dem in Aussicht gsnommsnsn dichterischen Werk den Menschsn nicht nur zeigen zu kfinnsn, wis ihr Leben wirklich aussah, sondern auch wie das Dasein in dieser Welt sin glfickliches sein kbnnts. 2.6. Dis Gsbrechlichksit dsr Welt im_Werk Was ffir sin Bild der Welt zeigt uns dsr Dichter Klsist schlisBlich in seinem Werk? Es ist sins gsbrschlichs Welt, in dsr Familie Schrof- fenstein sine grausams Welt, in dsr dis Vfitsr ihre eigensn Kinder srb mordsn, wo von einer Mutter verlangt wird, daB sis dis Liebe aus ihrem Herzsn vsrbannen und stattdsssen den HaB hineinsetzen solls. -In dieser Welt hat ”allss sich gewandslt." Menschsn habsn mit "Tisrsn dis Natur gswschsslt." (1,53) Es ist sins schrscklichs Welt, in dsr sins Penthe- silsa gemeinsam mit ihren Hunden "mit schaumbsdecktsr Lipp" (1,410) dis Glisdsr Achills in Stficks reiBt. Dort dient Toni als Lockvogsl ffir dis Ermordung dsr wsiBen Flfichtlinge, und sine satanischs Msnschenmsngs srschlfigt im "christlichsn Dom" (11,155) nicht nur Josephs und Jsroni— mo, sondern auch das vfillig unschuldigs Kind Don Fsrnandos. Es ist ein Platz, wo dsr sinst ssuchenkranks Nicolo die Gsmahlin seines Rstters zu vsrgswaltigsn versucht, wo sin russischsr Offizisr dis Marquise von jsnsn vishischsn Mordknschtsn befrsit, dis sich ihrer bsmfichtigt hattsn, um sich schlisBlich selbst an dsr Ohnmfichtigsn zu vsrgshsn. 27 "Ach, was ist dies flir sins Welt! Wis kann sin sdlss Wesen, sin dsnksndss und smpfindsndss, wie dsr Mensch hier glficklich sein!" (11,766) So fiuBsrts sich dsr Dichter. Aber sr hatts es sich zur Aufgabe gestellt, an einer Vsrbssssrung dieser Welt, in dsr alles "wie eingeschachtslt" (11,769) erscheint, an ihrer Vsrvollkommnung mitzuar— bsitsn. Darum sxistisrt neben dsr gebrechlichen Welt auch sins Welt dsr Idylls wie in jsnsm lisblichen Gsbirgstal, wo die Zwsigs dsr Bfiume ffir Agnes "sin schfitzsnd Flordach webtsn," wo dsr Wasssrfall dem schlafsndsn Mfidchen sin Lied sang und die Lfifts es "wie Fedsrn umwsh- tsn." (1,95) In diesem Naturparadiss, fern dsr zsrstfirsndsn Macht dsr menschlichen Gesellschaft, blfiht dis reins Liebe zwischen Agnes und Ottokar gsnauso wis dis Liebe von Josephs und Jsronimo, die sich nach ihrem Wisdsrfindsn auBerhalb dsr vom Erdbsben hsimgssuchtsn Stadt in sins paradissischs Einsamksit flfichten. Abssits saBen sis unter dem "prachtvollsn Granatapfslbaum, dsr ssins Zwsigs, voll duftender Frfich— ts, weit ausbrsitsts," wo dis Nachtigall "im Wipfsl ihr wollfistigss Lied" flfitsts, "um durch das hsimlichs stauchz ihrer Seslen niemand zu betrfiben." (11,150) Es ist auch sins Welt, in dsr die Amazonsn— kfinigin von den Lisbssfrsudsn dss Rossnfestss trfiumt, das Kfithchsn von dsr Hochzsit mit ihrem Rittsr. Dsr Dichter stellt den Menschsn also in sins Welt, in dsr dis Widsrsprfichs dss Daseins ihn bedrohsn, ihn gsffihrdsn, ihn wohl zerbrschen, absr auch erheben kfinnen. 2.7. Labyrinth und Paradiss Dis zum Ausdruck kommsndsn ngensfitzs, die das menschlichs Leben bsstimmen, lasssn bereits das antithetischs Vsrhfiltnis von Labyrinth und Paradise im dichterischen Werk erkennen, das so bezeichnend ist ffir dis Betrachtungsweiss dss Daseins durch den Dichter. ”Ach, was ist das 28 Leben eines Menschsn ffir sin farbsnwechsslndss Ding!" (11,671) So schrieb er in einem seiner Briefs. 1n ssinsn Werken stellts sr dsr "gebrechlichen Einrichtung dsr Welt" (11,143) dis Welt als ”dsr lisb- lichs Schauplatz dss stens" (1.479) gegsnfibsr. Einmal mag sis als "Paradiss" (11,568) erscheinen, sin andsrss Mal sieht sich dsr Mensch in dem ”Labyrinths" seines Daseins vsrfangsn. Die Erfahrung dsr Wechsslhaftigkeit und dss Widersprfichlichsn in seinem sigsnsn Leben scheint somit sinsn bedeutungsvollen Niedsrschlag in dsr Dichtung Klsists gsfunden zu haben. 1m Erdbsben von Chili wird disss Wider- sprfichlichkeit mit Hilfe eines raschsn Wechssls in dsr Darstellung paradissisch glfickhafter Augsnblicks und solchsr Moments, die das hoffnungsloss Ausgslisfsrtssin dss Menschsn an sin teuflisch erschei- nsndss Schicksal erkennen lasssn, sogar zur strukturbestimmsnden Funktion erhoben. Da sieht Josephs, dis einzige Tochter Don Asterons, sich an einen ausweglos srscheinenden Irrgartsn ihres irdischsn Daseins gsfsssslt, das sich ihr in ststsm Wechsel von paradissischsm Glfick und teuflischsm Unhsil‘prfissntisrt. Kaum hat sis dis Seligksit dsr srstsn Liebe srfah- ren, als dsr Vatsr dem "zartlichen Einvsrstfindnis" (11,144) mit ihrem Hauslshrsr durch ihre Untsrbringung im.Karmslitsrklostsr sin Ends be- rsitst. Der gswaltsamsn Trsnnung dsr Lisbsndsn folgt jedoch durch sinsn "glficklichen Zufall" ihre Lisbesvsrsinigung im Klostergarten, sin kurzsr GsnuB dss "vollen Glfickss" (11,144), dsr von den jungen Lsutsn als paradissischsr Augenblick smpfunden wird. Doch das Labyrinth dss stsns vsrdichtst sich ffir Josephs in dsr Folge durch dis Gsburt ihres Kindss. Ihrss sittsnlossn Vsrhaltens wsgen zur Enthauptung vsrdammt, scheint dis junge Mutter auf ihrem Todssgang dem grausamsn Schicksal 29 unabwsndbar ausgslisfsrt. Auf dem Wegs zur sigsnsn Hinrichtung wird ihr jedoch im Augenblick dsr hereinbrschsnden NaturkatastrOphs dis Moglichkeit zur Rettung dss sigsnsn stens gsgsbsn. Doch bsvor sis sich disses unsrwartsten Glfickes noch voll bewuBt zu werden vermag, rsgsn sich ihre Muttsrgsffihls. "Als ob alle Engel dss Himmsls sis umschirm- ten" (11,148), so gslingt es ihr, dsn hilflossn Knabsn glficklich zu bsrgen, um im nfichsten Augenblick mitzusrleben, wie die Abtissin, ihre einzige Wohltfitsrin, vor ihren Augen zsrschmsttsrt wird. Obwohl sis unvsrletzt mit ihrer "Bsuts" dem Verderben sntrinnen kann und sich dss gsrsttsten stsns zu frsusn bsginnt, wirkt dis Abwesenhsit dss Gslisb- tsn bsdrficksnd auf sis. Vergeblich sucht sis ihn unter dsn'Ubsrlsbsne den, und "schlich, visl Transn vsrgieBsnd, in sin dunkles, von Pinien bsschattstss Tal, um seiner Seele, dis sis entflohsn glaubts, nachzu— betsn; und fand ihn hier, disssn Gslisbten, im Tale, und Seligksit, als ob es das Tal von Eden gswsssn wars." (11,149) Am nfichsten Morgen scheint ss, als hatts das Erdbsben mit dsr Zsrstfirung irdischsr Gfitsr dis Menschsn zur Selbstbesinnung geffihrt, so daB ”dsr menschlichs Gsist selbst, wie sins schons Blums, aufzugehn" vsrmochts. (11,152) Eine paradissischs Nachstsnlisbs scheint dis Uber- lsbsndsn zu vsrsinsn. Um so gswaltiger erweist sich die Wirkung dss plfitzlichsn Sturzss aus dieser paradissischen Seligksit in die totale Vernichtung. "Tausendffiltig vsrknfipft und verschlungsn sind die Dings dsr Welt." (11,683) Hatts Josephs sich am Morgen noch "unter den Seligsn" (11,152) gsglaubt, so sieht sis sich am Nachmittag bereits den Grsusltatsn eines "blutdfirstenden" (11,158) Haufsns ausgslisfert. Der heiligsts 0rt--dsr christlichs Dom dsr Dominikansrb-und die hei- ligsts Handlung--sine fsisrlichs Mssss zur Ehre dss Schfipfers als 3O "Lob, Preis und Dank" (11,155) ffir dis gsschenkts Rsttung--wsrden "zum AnlaB und Schauplatz” dsr brutalstsn Gswalt,23 zum Todssort ffir Jo- ssphe, Jsronimo und sin unschuldiges Kind. Liebe und Trsnnung, Liebes- vsrsinigung und Vsrdammung, Errsttung und Mord bsschrsiben in raschsr Folge jenss "farbsnwschsslnds Ding" (11,671), das sich Leben nennt. Es ist sin Dasein, dessen Wirrsal und Schrscksn Kleist selbst ausrufen lisB: "Das hatts dsr Himmsl mit diesem dunksln, ratsslhaftsn, irdi- schsn Leben gewollt, und weiter nichts--?" (11,666) Dis einzige Mbglichksit, sich dem "Teufel Aberwitz" gsgsnfibsr zu behaupten, liegt nach Meinung dss Dichters im Menschsn selbst. Ihm allein sind Krfifts gsgsbsn, dis ihn zu seiner kfiniglichen Bestimmung zurfickffihrsn kfinnen.' Auf die "wahre und richtigs Wertschfitzung dsr Dings" kam es Kleist sowohl vor als auch nach dsr Kantkrise an. Dis eigene stenssrfahrung hatts seine frfihsrs Behauptung nur bsstfitigt: "Wie oft grfindst sich das Unglfick eines Menschsn bloB darin, daB er den Dingsn unmfigliche Wirkungen zuschrieb, oder aus Vsrhfiltnisssn falschs Rssultate zog, und sich darinnen in ssinsn Erwartungsn betrog." (11,310) Er war selbst zu falschen Rssultatsn in seinem Leben gslangt, indsm er nur zum Nutzen dss sigsnen Vorteils sein ganzss Streben dsr Erkenntnis dsr Wahrheit und dsr Sslbstvsrvollkommnung gswidmst hatts. Nachdsm er jsdoch dsn Irrtum seiner eigensn "Dsnkungsart" srkannt hat- ts, war sr mit Hilfe seines Verstandss nach srnsuter Ubsrprfifung dsr Voraussstzungsn ffir disss Denkwsiss zu einem neuen Ergebnis gslangt: Nicht auf den sigsnsn Nutzsn sollte dsr Mensch in seinem Leben bedacht ssin, sondern grfiBts Zufrisdsnhsit und wahres Glfick lisBsn sich nur im Wirken zum Wohls dsr Mitmenschsn finden. Disses Wirken zum Wohls dsr Msnschhsit sollte fortan ffir ihn selbst durch das dichterische Werk 31 gsschshsn, in dem allerdings die am eigenen Dasein smpfundsns Rfitssl— haftigksit und Widerspnfichlichkeit im Leben seiner Frauengestalten dichterische Beachtung fand. 3. Dis Wirkungsmfiglichkeit dsr Frau_ig ihrem Lebensbereich Nicht auf die Darstellung gesellschaftlicher Situationsn in einer vsrmsintlich geordnsten Welt, nicht auf den plfitzlichsn Einbruch eines nicht zu bannsndsn Verhangnissss in disss Welt hatts es dsr Dichter in seinem Werke in erster Linis abgesshsn, sondern auf die "Denkungsart" odsr dis "Empfindungswsiss," mit der die jeweils Betroffsnsn "dsr Last nisdsrdrficksndsr Schicksals" begsgnsn. 1m weitersn Vsrlauf disses Kapitsls soll untersucht werden, wie dis Frau im Werke Kleists sich dem schicksalhaftsn oder auch zuffilligen Einbruch in ihre Welt gsgsnfiber zu behaupten vermag. Befindet sis sich in dsr Lage, sich "vor dsr Ver- zwsiflung zu sichsrn" (11,305) oder muB sis dem unabwsndbaren Schicksal untsrlisgsn?24 Welchs Entfaltungsmfiglichkeit wird ihr als weiblichsm Wesen innerhalb dsr menschlichen Gesellschaft singsrfiumt? Welchs gs- ssllschaftlichs Stellung wird ihr zugetsilt? Vsrmag sis, sich als Frau in dem ihr zugetsiltsn Lebensbereich zu vsrwirklichen? 3.1. Stellung und EinfluB Welchs Stellung nimmt dis Frau als Individuum in dsr von Kleist dargestellten gesellschaftlichen Wirklichkeit seiner Werke sin? Ob es sich um Eustachs odsr Gertrude Schroffenstein, um Lisbeth Kohlhaas oder dis Marquise handelt, ob wir dis gesellschaftlichs Position Thusnsldas, Elvires oder Josephes betrachten, oder ob wir dis Stellung von Agnes, Littsgards oder Kfithchsn in Augenschsin nshmen, es bestshsn ksins Zwei- fsl darfibsr, daB die Frau vom Dichter in sins Welt mfinnlichsr Satzungsn 32 und ngsbsnheiten hineingestellt ist, die ihrem eigenen Wesen nur zu oft widsrsprschsn. Ssinsr Schwester Ulrike gegenfibsr betonts Kleist: "Kannst Du Dich dem allgemeinsn Schicksal Deinss Gsschlechtss sntzis— hen, das nun sinmal ssinsr Natur nach dis zweits Stelle in dsr Reihe dsr Wesen beklsidst?" (11,493) Ubsr dis Bestimmung dsr Frau fiuBsrts sr: ”. . . die Bestimmung dss Weibes ist wohl unzwsifelhaft und unver- ksnnbar; denn welchs andsrs kann es sein, als disss, Mutter E3 werden, und dsr Erds tugendhafts Menschsn-Eu erzishen?" (11,318) Ststs erscheint die Frau in Kleists dichterischem Werk dahsr in ihrer Abhfingigkeit vom Manns. Der Aufsicht dsr vsrhsirateten Frau-- wie Lisbeth, Eustachs oder auch Gsrtruds—-untsrstehsn Haushaltsffih— rung und Disnstbotsnunterwsisung, dansben dis Erzishung dsr Kinder, vornshmlich die dsr Mfidchsn. Dis Betrsuung betagter Eltsrn wird vor allsm Frauen fibsrtragsn, dis als Witwen ins Eltsrnhaus zurfickkshrsn, wie es im Falls dsr Marquise oder Littsgardes gsschieht. Das jungs Mfidchsn wird von Kindhsit an auf die zu srwartsndsn hfiuslichsn Pflich- tsn vorbsrsitst. Nsbsn dsr Erziehung innerhalb dss Familienkrsisss steht schon frfihzsitig dsr EinfluB dsr Kirchs. Die Konfirmation im Alter von visrzshn oder ffinfzshn Jahren, dsr sogenannts "Rittsrschlag dsr Weibsr" (1,66), bsstfitigt dis Heiratsffihigksit eines jungsn mad- chsns, so daB nicht nur Agnes, sondern auch das Kfithchsn und Toni mit Recht an die Wahl eines Ehsgemahls denken dfirfen. Obwohl das auf patriarchalischsn Werten aufgebaute Gesellschafts- systsm dsr persfinlichsn Freiheit und Sslbstfindigkeit dsr Frau in der Offsntlichksit wsnig Raum bietst, sis offizisll ksins Machtstellung innerhalb dsr Familie sinnehmen lfiflt, so bedeutst das keineswegs, daB sis vollkommen ohne EinfluB ist. Gertrude Schroffenstein ist zum 33 Beispiel in dsr Lage, mit ihren AuBsrungsn und Vsrmutungsn nicht nur dis Atmosphfirs zu vsrgiftsn und MiBtrausn zu srwscken. Nach kurzer Zeit schon hat sis es srreicht, daB ihre vsrdachtigsndsn Andsutungsn von den Lsutsn als bswisssns Tatsachsn akzsptiert und die Rossitzsr Vsrwandten fiffentlich als Mbrdsr dss klsinsn Philipp bezeichnet werden. 1hr EinfluB erweist sich also als fiuBsrst gsffihrlich, blsibt allerdings auf Familie und Gesinds bsschrfinkt. Blanksnagel msint, die Frauengestalten dsr Werke aus dsr frfihsn Schaffsnspsriods sollten den grfiBten Nisderschlag dsr Ansichtsn dss Dichters fiber dis Frau aufzuweisen haben. Dis Frauen wfirdsn hier als passiv und schwach charaktsrisisrt statt als aktiv und aggressiv.25 Eustache zeigt sich wohl als schwach in ihrer Weigsrung, den Vsrwandtsn auf Warwand Rachs zu schwfiren: "Vsrschone mich, / Ich bin sin Weib — . . . 0 Gott! Wis soll sin Weib sich rfichen?" (1,52) Kaum hat sis jedoch srkannt, daB es sich bei dsr Reus Ruperts fiber sein stillschwei- gsndes Einvsrstfindnis mit dem Mord an Jsronimus lediglich um einen Tfiuschungsvsrsuch handelt, da srhebt sis trotz ihrer Stellung als "unterdrficktss Weib" ihre Stimms laut und anklagend gsgsn ihren Ehemann: Dsnn fiber alles siegt das Rschtgsffihl. Auch fiber jsde Furcht und jeds Liebe, Und nicht dsr Herr, dsr Gatts nicht, dsr Vatsr Nicht meiner Kinder ist so heilig mir, DaB ich den Richtsrspruch vsrlsugnen sollte, Du bist sin Mbrdsr. (1,116) Auch Lisbeth zeigt sich als treusorgsnds, ihrem Ehemann srgsbsns Ehe- frau, passiv in ihrer Einstellung, bis Michael Kohlhaas seinem Nachbarn die gssamtsn Besitzungsn zum Kauf anbistst, ohne disss Absicht zuvor seiner Frau gegenfiber auch nur angedsutet zu haben. Dis Sorge um 34 die Zukunft ihrer Kinder und ihres Mannss vsranlaBt sis, gsgsn seine Plans zu sprechen. Doch "Kohlhaas sagts betroffsn: lisbsts Lisbeth, was machst du? Gott hat mich mit Weib und Kindern und Gfitsrn gssegnst; soll ich hsuts zum srstsnmal wfinschsn, daB es andsrs wfirs? - - -" (11,28) 1hr Einspruch blsibt unbeachtst. Sis muB sich den Entschei- dungsn ihres Mannes anpasssn. Nach Ansicht dss Dichters hat dis Frau "ksins andern Vsrpflichtun- gen" zu erffillen als disjenigen "gsgsn ihren Mann." "Das Glfick dss Mannss" gilt Kleist als "dsr alleinige ngenstand dsr Frau." (11,506) Er betont, dsr Mann ssi schlisBlich "nicht bloB dsr Mann seiner Frau, er ist auch sin Bfirger dss Staatss; die Frau hingsgen ist nichts, als dis Frau ihres Mannss." Sis "ist mit ihrer ganzen Seele ffir ihren Mann tfitig, sis gshfirt nismandsm an, als ihrem Manns, und sis gshfirt ihm .5225 an,” und smpffingt daffir "nichts von ihm, als Schutz gsgsn Angriff auf Ehrs und Sichsrheit, und Unterhalt ffir die Bedfirfnisss ihres Lebsns . . ." (11,507-508) 0b wir uns dsr Zeit dsr Grischen, Rfimsr oder Gsrmansn zuwendsn, ob wir dis Periods dss visrzshntsn, sschzshntsn, achtzehntsn oder gar dis dss beginnenden nsunzehntsn Jahrhunderts einer genauen Betrachtung un- tsrzishen, dis Frau ist und blsibt auch weitsrhin ganz dem Manns angs- hfirend, entwsdsr dsr Gswalt dss Vatsrs oder nach dsr Heirat dsr dss Ehsgattsn unterstsllt. Egal in welchs historischen oder politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Vsrhfiltnisse dis Frau hineingsboren ist, sis muB sich den Gegebenheitsn anpasssn, wie Tradition und Konvsntion ss von dem weiblichen Wesen vsrlangsn, das "seiner Natur nach dis zweits Stelle in dsr Reihe dsr Wesen bsklsidst." (11,493) Dementspre— chend zeigt sich vor allem in den frfihsn Werken Kleists dis Position 35 dsr Frau als sins von dsr Gesellschaft bestimmte. Die Frau nimmt den Platz sin, dsr ihr zugewisssn wird. Sis srffillt ihre Pflicht, wie man as von ihr srwartst. Ein wirkliches Ausbrechen aus ihrer Position, wie ss spfiter bei Penthesilea gsschieht, kommt ihr keineswegs in den Sinn. In ihrer Untersuchung fiber "Vfitsr und Mfitter in der Sozialstruktur von Kleists Erdbsben in Eglil" bemerkt Lorenz, daB Kleist im Gegensatz zu andsrsn Dichtsrn seiner Zeit ksinsrlsi Schwisrigkeitsn gehabt habe, Frauen und die Motive ihres Handelns innerhalb dsr Gesellschaft darzu- stellen. Es ssi auffallsnd, daB es gerade die Frau ssi, die sich in den Werken durch ihre Sslbstfindigkeit auszeichne und die mfinnlichsn Charaktere als Handlungstrfigsr in den Hintergrund treten lasss. Vor- wisgsnd ssien dis Frauen es, dis aufgrund eines unsrklfirbarsn Laufs der Dings in sins Zwangslags gerieten, aus dsr es keinen rationalen Auswsg gsbs. Untsr dem sxtrsmen Druck einer gsgsbsnen Situation srhfibsn sis sich fiber sich selbst und gelangtsn zu einer Selbstfindigkeit in ihrem Handsln, die ffir dis Frau im allgemeinsn und selbst in dsr dargestell- tsn Situation als ungswfihnlich bezeichnet werdsn mfisse.26 Dis srstsn Anzeichsn eines sigsnwilligen Denkens hattsn wir bereits an Eustache aufzsigsn kbnnsn, dis ihren Ehemann Rupert wegsn seiner fsigen Mordtat an Jsronimus zu vsrurteilen wagt: Das ist so hfiBlich, so vsrfichtlich, daB Sslbst ich, dein untsrdrficktes Weib, es kfihn Und laut vsrachts. Pfui! 0 pfui!. Wie du Jstzt vor mir sitzsst und es leiden muBt, DaB ich in meiner Unschuld hoch mich brfists. (1,116) Ein fihnlichss Aufbsgshren dsr Frau unter dem Druck einer gesellschaft- lichen Konfrontation lfiBt sich an Eves Vsrhalten bsobachten, da sis gsgsn ihren Willsn vor Gsricht gszsrrt wird. 36 3.2. Dis Rechtslage dsr Frau Mit Eves Gestalt im Zerbrochnen Krug hat Kleist nach Ansicht Heptners dis Unvsreinbarksit zwischen dsn individusllen Rschtsn, wie das Gssstz dsr Niedsrlands sis ihren Bfirgern garantiert, und dsr tat- sfichlichsn Sichsrstsllung dieser Rschts durch dis maBgsbenden Instanzsn demonstriersn wollsn.27 DaB Reprfissntantsn dsr Rschtsgswalt absr nicht nur sins gfinstigs, sondern auch sins zsrstfirsrisch wirkends Macht auf die Msnschhsit ausfiben kfinnsn, hat dsr Dichter gsnauso dsutlich aufzu- zsigsn gewuBt. MuB Michael Kohlhaas seine Rschts gsgsnfiber einer hab- gierigsn und machthungrigsn Adslsklasse vsrtsidigsn, so sieht Eve sich als Frau von dem gesetzlosen Vorgshen dss Dorfrichtsrs Adam konfronr tisrt. Ohns Rficksicht auf die ihm auferlsgtsn Verpflichtungsn gsgsne fiber dsr Gesellschaft nutzt er seine Position aus, um sich durch bs- trfigerische Tfiuschungsvsrsuchs personliche Vorteils zu vsrschaffen. 1m Zerbrochnen Krug hat Kleist den feudal-gesellschaftlichen Hin- tsrgrund dsr Familie Schroffenstein durch sin hollfindisches Bauern- milisu srsstzt. Hatts Eustache es dort als Frau gswagt, die srstsn Anzeichsn eines sslbstfindigen Denkens und Handslns erkennen zu lasssn, so zeigt Eve nach Ubsrwindung ihrer anffinglichsn Einschfichterung sine fihnlichs Entwicklung. Bei Beginn dsr Gsrichtsvsrhandlung versucht sis noch, ihre Mutter zu bsschwfirsn, sis solls die Sachs dss Krugss auf sich bsruhsn lasssn, nicht sovisl "Aufruhr, so visl Unheil" (1,174) stiftsn, jsdoch ohne Erfolg. Dis Mutter macht sis darauf aufmerksam: Dsin gutsr Name lag in diesem TOpfe Und vor dsr Welt mit ihm ward er zerstoBen. (1,194) Es bsrfihrt Frau Marthe Rull nicht weiter, daB gerade sis ss ist, die den gutsn Namsn ihrer Tochter ruinisrt, indem sis die nfichtlichsn 37 Vorffills in dsr Schlafkammer dss Mfidchens dsr Offentlichksit preisgibt. Demgsgsnfibsr ffirchtst dsr Dorfrichter Adam, "dis ganze Sippschaft" kfinnts hsrgekommsn sein, um ihn selbst vor seinem eigenen Gsricht zu vsrklagen. In seiner Angst bittst er: Evchsn! Ich flehs dich! Um alle Wundsn! Was ists, das ihr mir bringt? (1,195) Kaum hat er jsdoch von Eve srfahren, daB ffir ihn psrsfinlich ksins Gsfahr dsr Entlarvung bestsht, als er schon beginnt, das Mfidchen mit unvsrschamtsn Drohungsn sinzuschfichtsrn. "Hfir du, bei Gott, ssi klug, ich rat ss dir." (1,196) Flfisternd gibt sr ihr srnsut zu verstehen,, daB es allein von seiner Unterschrift abhfings, ob die hollfindische ngisrung ihren Verlobten als Soldaten nach Indien einschiffsn wfirds, wo ihm sin schrscklichsr Fiebsrtod gswiB ssi, oder ob sr bsi Eve blsi- bsn und sich seiner Gesundheit srfrsusn kfinns. Mit zweidsutigsn Wortsn rat er ihr: Sprich, Evchsn, hfirst du, sprich jstzt, Jungfsr Evchsn! Gib Gotts, hfirst du, Herzchen, gib, mein Seel, Ihm und dsr Welt, gib ihm was von der Wahrheit. Aber er warnt sis auch: Ein Richter immsr, wsiBt du, ist sin Richter, Und einer braucht ihn heut, und einer morgen. Sish, Kind, nimm dich in acht, ich sag nichts weiter. In Huisum, hols dsr Hsnksr, glaubt dirs keiner, Und keiner, Evchsn, in den Nisdsrlanden . . . (1,214-215) Als Angehfirigs dss sinfachsn Volkss ist Evs dazu srzogen wordsn, zum Manns aufzuschausn, vor allsm absr den Vertrstsrn dss Staates ststs mit dsr nfitigsn Hochachtung zu begsgnsn. Wis Adam, so ist auch sis sich dsr Tatsachs bswuBt, daB sis ss trotz ihrer Unschuld nicht wagsn dfirfts, sins Person in einer staatlichen Position fiffsntlich 38 bloBzustsllsn, selbst wenn es sich dabei nur um einen Dorfrichter han- delt. Ubsrmannt von ihrem Argsr fiber das scheinhsiligs Verhaltsn Adams, dsr sis zu einer ffir’ihn,vortsilhaftsn falschen Zsugenaussags zu zwins gen versucht, lfiBt sis sich dazu hinrsiBen, ihn einen "Unvsrschfimten," einen "Nisdsrtrfichtigsn" zu nennsn. War sr es doch selbst gswsssn, dsr sich unter Vortfiuschung falschsr Tatsachen Zugang zu ihrer Schlafkammsr vsrschafft und den Krug zerschlagsn hatte. Statt absr dsr Bedeutung von Eves firgerlichsm Ausbruch nachzuforschsn, wird sis von dem Gsrichts- rat Walter selbst wegsn ihrer ungsbfihrlichen Reds zurschtgewisssn: Jungfsr! Was untersteht Sie sich? Ist das mir dsr Rsspskt, den Sis dem Richter schuldig ist? (1,218) Obwohl Kleist das Madchen sinerseits dsr List dss Dorfrichters untsrlisgsn laBt, so ist Eve andrerssits die nfitige Charakterfestigkeit gsgsbsn, an dsr Wahrheit festzuhalten und sher den eigenen gutsn Ruf und die Liebe ihres Verlobten aufzuopfern, als das Leben Ruprschts zu gsffihrdsn. An Eve zeigt dsr Dichter also nicht nur dis Gegebenheit bsachtsnswertsr Anlagen einer Frau, sondern ebenfalls dis Entfaltung dieser Anlagen, indem sis sich als weibliches Wesen in dsr Konfronta- tion mit sinsr brfichig gewordenen Gesellschaft zu seslischsr Freiheit und Selbstvsrwirklichung durchzuringsn vermag. 1m Laufs dsr Verhand- lung lfiBt dsr Dichter das Madchsn Schritt ffir Schritt Furcht und Respekt vor dsr Obrigkeit fibsrwinden und schlisBlich durch die Auf- dsckung dsr Schuld dss Dorfrichters dis wahren Umstfinde eingestehen. Zieht man also dis vom Dichter besonders betonts Darstellung dsr Wir- kungsffihigksit und auch dsr Wirkungsmfiglichkeit Eves in ihrer gesell- schaftlichen Stellung in Bstracht, dann muB dis Vermutung Stahls, daB 39 Ruprscht und Eve den Einschfichtsrungsversuchsn dss Dorfrichters Adam wahrschsinlich srlsgen wfirsn, wenn dsr Gsrichtsrat Walter dsr Verhand- lung nicht beigewohnt hfitte, als Irrtum abgslshnt werden. Stattdsssen sollte das ungswfihnlich mutigs Vsrhalten Eves als sins beachtenswerts und von Kleist beabsichtigts Tat ansrkannt werden, dis zugleich ihre eigene Ehrs und die Achtung vor dsr Gesellschaftsklasss, dis sis selbst reprfisentiert, wisdsr hsrstsllt.28 Im Gegensatz zu Eves Empfirung und Standhaftigkeit, die ihr schlieB- lich zu ihrer Rschtfsrtigung verhslfsn, wfire Littegards von Ausrstsin in der Novelle Der Zweikampf hilflos und schuldlos dem Todesurteil verb fallsn, wenn nicht dsr Zufall die Aussage ihrer Zofs im rechten Augen? blick hfitts eintrsffsn lasssn. Hisr zeigt sich eindeutig die vfillig rschtloss Position dsr unverheiratsten oder vsrwitweten Frau, die wie Littegards nach dem frfihsn Tods ihres Gsmahls auf die Burg ihres Vatsrs zurfickgekshrt war, um dort in grfiBtsr Zurfickgezogsnheit zu lsbsn. Dem Wunsch dss Vatsrs, sine neue Ehe sinzugehsn, war sis mit Rficksicht auf ihre beiden Brfidsr nicht nachgekommsn. Deutlich gsnug hattsn disss ihr zu vsrstshen gsgsbsn, daB sis auf die Hintsrlasssnschaft dss schwsster- lichen Vsrmfigens rechnsten. Zwar fehlts es Littegards auch nicht an Bswsrbern "aus den sdslsten und begfitertstsn Gsschlschtern dss Landes." (11,235) Um jsdoch "dis Einigksit dss Hausss zu srhaltsn" (11,236), hatts sis sich dsnnoch entschlossen, auf sin sigsnes Glfick zu Vsrzich- tsn und dem Vorschlag eines dsr Brfider folgend als Abtissin in sin Frau- enstift einzutrstsn. Wollts sis nach dem Tods dss Vatsrs sin untrag— bares Vsrhfiltnis mit den Brfidern vsrmsidsn, so gab es ffir sis als Frau ksins andsrs Mfiglichkeit. Von ihr als weiblichem Wesen srwartets man 40 die Zurfickstsllung sigsnsr Wfinschs. Sis hatts dahsr einen formsllsn Abschisdsbrief an Friedrich von Trota gssandt, dessen Wunsch es gswessn war, sis zu heiraten. Jsdoch all ihre Bemfihungsn um Frieden und Einig— ksit sollten sich in dieser "gebrechlichen Welt" als nutzlos srweissn. Vom Dichter wird ihr sin Schicksal auferlsgt, das sis--§hnlich wie die Marquise von 0 . . .--zur Zielschsibs sntwfirdigsndsr lesidigungsn und rficksichtslossr Anklagsn dsr Gesellschaft werdsn lfiBt, das sbsn- falls dis Fragwfirdigkeit eines angsrufsnen Gottesurtsils heraus- stellt. Wis schwisrig die Rechtslage ffir die alleinstshends Frau war, die ihre Position innerhalb dsr Gesellschaft dss Fsudalsystems am Ends dss vierzshntsn Jahrhunderts behaupten muBts, wsiB Kleist ebenfalls an dsr Gestalt dsr Regentin dss Landss in dsrsslben Novells aufzuzsigsn. An dieser Stelle liegt dis Versuchung nahs, jsnsn Kritiksrn wie Heptner und Blanksnagel beizupflichtsn, dis Kleist als Vorkfimpfsr ffir dis Rschts dsr Frau bezeichnen.29 Man kbnnts den Eindruck gewinnen, dsr Dichter spreche einer Frau keineswegs dis Beffihigung ab, dissslbs Posi- tion wie sin Mann auszuffillsn. Dis vom Kaiser gsnshmigte Einsetzung dsr shsmaligsn Grfifin Katharina von Heersbruck als Regentin dss Landss nach dem Ablsben ihres Gsmahls, dss Herzogs Wilhelm von Brsysach, scheint auf sins dsrartigs Ansicht hinzudsuten. Dabei wird hervorgs- hobsn, daB disss Heirat ursprfinglich als unstandssgemfifl gsgolten hatts, so daB dis Verbindung zunfichst gshsimgshaltsn wurds. Ein Lob spricht man dsr amtisrendsn Regentin aus ob ihrer Zurfickhaltung in dsr Ausfibung dss ungswohntsn Amtss. Man achtst vor allsm ihren Edslmut und die weissn Entscheidungsn in dsr Untersuchung dss Mordss an dem Herzog. Es erweist sich also, daB selbst sins Frau ohne speziells Ausbildung, ohne 41 besonders Vorbsrsitung fiir disss Position, dsnnoch dis Fahigkeiten besitzt, dis ihr fibsrtragenen Regisrungspflichten mit gutsm Einffih- lungsvsrmfigen und groBsm Gsschick zu srffillsn. Da dieser Teil dsr Novells dem Dichter jsdoch lediglich als Kulisse ffir dis Darstellung dss Geschicks von Littegards disnt, muB dsr Gsdanks abgswisssn werden, daB es Kleist hier etwa um die Bessitigung von Standssunterschiedsn innerhalb dsr Adslsklasse ging, ebenfalls, daB sr dis Frags dsr Gleich— berschtigung ffir dis Frau behandsln wollte. Vor allsm dis Briefs an seine Schwester Ulrike und such an Wilhelmins von angs lasssn deutlich gsnug erscheinen, daB dis Frau seiner Ansicht nach dem Manns untsrtan ist, daB sis im fiffsntlichen Leben fiber keinen EinfluB vsrffigt. DaB das Recht ststs auf dsr Seite dss Mannss, nur ssltsn auf der Seite dsr Frau zu stehen scheint, lfiBt die Situation Littegardes deut- lich gsnug erkennen. Obwohl dis Untersuchungen fiber den Mord an dem Herzog von Brsysach srgsben haben, daB dsr tfidlichs Pfsil aus dsr Rfistkammsr dss Halbbrudsrs dss Ermordstsn stammt, hfilt man den Grafsn Jakob den Rotbart dsnnoch einer so ruchlossn Tat nicht ffir ffihig. Dis vorgstfiuschts frisdvolls Ansrksnnung seiner AusschlieBung von dsr Thronfolgs, dis GroBzfigigksit in dsr Ablshnung ihm angstragsner Kmtsr und Wfirdsn durch dis Regentin bringen ihm nur Ansrkennung und noch grfiBsrs Vsrehrung sin, als daB sein Vsrhaltsn MiBtrausn srweckt. Man vsrgibt ihm sogar, daB sr Littegards mit seinem Bskenntnis vor dsr Gesellschaft bloBstsllt, dis Mordnacht gemeinsam mit ihr vsrbracht zu haben. Der vorgswisssns Ring, sin Ring ihres vsrstorbsnsn Gsmahls, scheint allerdings dis Richtigksit dieser Aussags zu bsstfitigsn. Dis benachtsiligts Position dsr Frau innerhalb dsr mittslaltsrb lichsn Gesellschaft zeigt sich dagsgsn eindeutig an dsr Situation von 42 Littegards. Kaum ist dsr Vatsr dem Schlag fiber jens "Anzsigs von dsr Schande seiner Tochter" (11,236) srlsgen, dis hsimlichs Geliebte dss Grafsn Rotbart zu ssin, als dis Brfidsr, deren Gswalt sis nach dem Tods dss Vatsrs unterstsllt ist, die gfinstigs Gslegsnhsit ergreifen, sich dsr unbsqusmsn Schwester zu sntlsdigsn. Ohns ihre Unschuld auch nur in Betracht zu zishsn, ohne ihr dis Gslegsnhsit zu einem Wort dsr Vertsi- digung zu bieten, wird sis nicht nur dss anstfiBigsn Lebenswandels bszichtigt, sondern auch dss Mordes an ihrem Vatsr bsschuldigt. 1n unbshsrrschtsr Wut schrsckt dsr Brudsr nicht sinmal davor zurfick, seine eigene Frau zu miBhandsln, dis sich ihm mit dsr Bitte um Menschr lichksit in ssinsn ng stellt. Rficksichtslos wird Littegards noch wfihrsnd dsrsslben Nacht wie sine Vsrbrscherin aus dem vfitsrlichen SchloB vsrwiesen. Was absr hfitts man in dsm'Vsrhaltsn Littegardss als Vsrbrschsn bezeichnsn ksnnsn? DaB es bswisssn scheint, sis hatts sins Nacht mit einem Liebhabsr vsrbracht? Schon vor dem Mord an dem Herzog hatts dsr Graf ststs ohne Bedsnksn damit gsprahlt, daB "er dis Weiber dsr angrsn- zendsn Edsllsuts" (11,230) lisbs. In dem Bestrsbsn, sich von dsr Verb dfichtigung dss Brudsrmordss rsinzuwaschsn, ist ihm Jedes Mittel rscht. Dis Tatsachs, daB dsr Mbrdpfsil seiner Rfistkammsr sntstammt, findet dagsgsn ksins Erwfihnung mshr. Man akzsptisrt seine Aussags, flir disss Sachlags ksins Erklfirung gsbsn zu kfinnen. Durch den Brief ihrer hab— sfichtigsn Brfidsr an das Tribunal absr wird Littegards als "fibsrwisssns Vsrbrscherin" gsstempelt und dsr Vsrfolgung durch das Gssstz preis- gsgsbsn. Dis jungs Frau war also nicht nur den wisdsrholtsn anstfiBigsn Annfihsrungsvsrsuchen durch dsn Grafsn Jakob ausgesetzt gswsssn, sondern 43 sis findet sich plfitzlich als Opfer eines Irrtums vollig sntehrt und sntwfirdigt vor den Augen dsr Gesellschaft stehen, obwohl sis dsnsslben Grafsn jsdsrzsit eindeutig gsnug abgswisssn hatte. Ksins Mfiglichksit wird ihr als Frau gebotsn, vor Gsricht ihre Unschuld zu vsrtsidigsn, wie es dem Grafsn als Mann mit seiner Aussags gsstattet wird. Aller- dings steht dsr Graf wegsn Mordes vor dem Tribunal, sis nur ihres any gsblich sittsnlosen Lebenswandels wegsn. Durch den vsrlsumdsrischsn Brief ihrer Brfidsr ist sis somit als hilflos Abhfingigs von den mfinnli— chsn Mitglisdsrn dsr Familie dem konventionsllen Urteil dsr Gesell- schaft rficksichtslos ausgeliefsrt. Dis Brfider gehen selbst so weit, "zur Ehrsnrsttung dsr durch sis beleidigtsn Familie" zu fordern, "ihren Namsn aus dsr Gsschlschtstafsl dss Brsdaschsn Hausss" ausstrsichsn zu dfirfsn und Littegards ”zur Strafs wegsn so unsrhfirtsr Vsrgshungsn, aller Ansprfichs auf die Vsrlasssnschaft dss sdlsn Vatsrs, dsn ihre Schande ins Grab gsstfirzt, ffir vsrlustig" (11,241) srklfirsn zu kfinnsn. Obwohl dis Richter darauf hinweisen, daB sis in dieser privatsn Angels- gsnhsit ksins Entscheidungsgswalt besitzen, wird dsr vsrlsumdsrischs Brief dsnnoch zum AnlaB daffir, daB man dis Zwsifsl an dsr Wahrhaftig- ksit dsr Aussags dss Grafsn ffir restlos beseitigt hfilt und beschlith, ”dis Klags, dis wegsn Ermordung dss Herzogs fiber ihn schwsbte, sofort aufzuheben." (11,241-242) Als sinzigss aktivss Handsln in der sonst vorwiegsnd passiven Verhaltensweise Littegardss kfinnte man dis Tatsachs bszsichnen, daB sis sich zwecks Hilfe und Unterstfitzung an den einzigsn Mann wsndst, dsr ihr in seiner Liebe und Freundschaft ststs ergsbsn gswsssn war und sis such in dieser schwisrigsn Lags nicht vsrlfiBt, an Friedrich von Trota. Nur seinem mutigsn Eintrstsn.ffir’dis gelisbts Frau, seinem unbedingten 44 Glauben an ihre Unschuld trotz dsr Entscheidung dss Zwsikampfss gsgsn ihn, ist es zu vsrdanksn, daB selbst dis Zwsidsutigkeit dss angsrufsnen Gottesurtsils ans Tagsslicht gsbracht wird. Der positive Ausblick:ffir dis Zukunft dsr Msnschhsit wird durch dis Entscheidung dss Kaissrs angszsigt, nicht langer auf die Unfehlbarksit dss Gottesurtsils zu verb trausn, sondern den "Statutsn dss gshsiligten gfittlichsn Zwsikampfs" dis Worts beizuffigsn: "wenn ss Gottss Wills ist." (11,261) Damit scheint dis These srwisssn, daB dsr Dichter sins besssre Welt flir dis gssamts menschlichs Gesellschaft, fiir Mann und Frau, ffir moglich hielt. Eine besssre Welt hatts sich jsdoch.ffir dis Rechtslage dsr Frau bis ins achtzehnts Jahrhundert noch nicht singsstsllt, wie das Schicksal Babskans in dsr Verlobung in St. Domingo ss bswsist. Selbst dis Tatsa- chs, daB dis Mulattin sins weitlfiufigs Vsrwandts dsr srstsn Frau dss Pflanzungsbssitzsrs Guillaume von Villsnsuvs ist, bedeutst flir Babskan ksins Hilfe. Wfihrsnd sinss Aufsnthalts mit ihrer Herrin in Paris war sis schwangsr gswordsn und hatts sins Tochter zur Welt gsbracht. Mutig hatts sis vor Gsricht dis Ansrksnnung dsr Vatsrschaft verlangt. Der Marseiller Kaufmann Bertrand hatts jsdoch dis Vatsrschaft zu diesem Kinds abgeleugnet, wahrschsinlich "aus Scham vor einer jungsn rsichsn Braut, dis er heiratsn wollte . . ." (11,169). Als Mann scheint sr nur ssinsn eigenen Vorteil im Augs gehabt zu haben, und es ist anzunshmsn, daB sins Vatsrschaftsanerkennung den shrgsizigen und aufwfirtsstrsbsndsn Gsschfiftsmann sowohl im wirtschaftlichen als such in seinem gesellschaft- lichen Erfolg behindsrt hfitte. Dis jungs Mulattin absr in ihrer rscht- lossn Situation als Frau und Leibeigsne wurds von ihrem Herrn zusfitz- lich mit sschzig Psitschsnhiebsn bsstraft, sins korpsrlichs Zfichtigung, dis sich als lsbsnslfinglicher Schadsn auf ihre Gesundheit auswirkts. 45 3.3. Gsssllschaftskritik Mut zu einer beachtenswerten Tat zeigt ebenfalls die vsrwitwste Marquise von 0..., dis als "Dams von vortrsfflichsm Ruf, und Mutter von mshrsrsn wohlsrzogsnsn Kindsrn" einen "so sonderbarsn, den Spott dsr Welt reizsndsn Schritt" untsrnimmt, durch sin Zeitungsinssrat in den "Intelligsnzblfittsrn von M..." (11,127) den Vatsr dss Kindss, "das sis gsbfirsn wfirds," ausfindig zu machen. Sis bshauptst, "ohne ihr Wisssn in andrs Umstfinds gskommen" zu sein, daB sis absr "aus Familisnrfick- sichtsn sntschlosssn wfirs, ihn zu heiraten." (11,104) Durch disss ungewfihnlichs Ankfindigung am Anfang dsr Novells vsrhindert dsr Dichter, daB dsr Lsssr--wis dis Umwelt dsr Marquise--soglsich sin vsrdammsndes Urteil fiber disss Dame ffillt. Er lfiBt vielmehr dis Tatsachs deutlich werden, daB sins dsrartig ungewfihnlichs Verhaltensweise nur durch fiu- Beret ungswfihnlichs Umstfinds hervorgerufsn sein kann. Es handelt sich tatsfichlich um einen Schritt, zu dem sich die Marquise srst nach vislssitigsn Erwfigungsn sntschlisBsn kann, einen Schritt, zu dem sis durch dis Einstellung dsr Gesellschaft gezwungsn wird. WOhl ist ihr durch dis Ubsrzsugung ihrer eigenen Unschuld und die BswuBthsit ihrer ststs tugsndhaften stensweiss dis Kraft gsgsbsn, sich mit dsr ffir sis selbst unfaBbarsn Tatsachs ihrer nicht wegzuleug- nsndsn Schwangsrschaft abzufindsn. Dis gesellschaftlichs Umwelt dsr jungen Frau ist Jsdoch nicht bersit, ihre Unschuldsbsschwfirungen zu akzsptisren. da sis ksins Erklfirung fiir disssn unbegrsiflichsn Zustand zu gsbsn vermag. Der um dsrartigs Vorkommnisss wissende Doktor msint, ihr "die lstztsn Grfinds dsr Dings" nicht srklfiren zu brauchen. (11,120) Dis herb bsigsrufsns Hsbamms bshauptst, "daB sich dsr muntsrs Korsar, dsr zur 46 Nachtzsit gslandst, schon finden wfirds." (11,124) Die Eltsrn dsr Mark quiss absr sindn srschfittsrt: "Ein rsinss BswuBtsein und sins Hebams ms!" (11,122) Obwohl sis ihre Tochter als das Muster sinss tugsndhaf- ten Msnschsn zu ksnnsn glaubsn, schsinen plfitzlich alle Bsweise gsgsn disss Ubsrzsugung zu sprechen. Unffihig, dsr Aufrichtigksit dsr Mar- quise weitsrhin trauen zu kfinnsn, siegt bei den Eltsrn dis Entrfistung, wenn auch dis Tochter ”mit jammsrndsr Stimms, alle Heiligen zu Zsugsn ihrer Unschuld" (11,125) anfleht. Vsrzwsifslt ist sis "fiber den Irrb tum" dsr Eltsrn, "fiber dis Ungsrschtigksit, zu welcher disss vortrsff- lichsn Menschsn vsrffihrt wurdsn . . ." (11,125). Doch dsr EinfluB gesellschaftlicher Konvsntionsn erweist sich als zu stark. Der Spiegsl, in dem die Eltsrn das Bild ihrer Tochtersrblicksn, ist ohne ihr Wis- ssn "schisf und schmutzig." (11,628) In dsr Bsschrfinkung ihrer Erkennt- nismfiglichkeit glaubsn sis, sich an die Tatsachs dsr Schwangsrschaft haltsn zu mfisssn. Dis Mutter wfirs visllsicht noch willsns gswsssn, das Vsrgehsn selbst zu akzsptisrsn, hatts die Marquise ihrerseits sich nicht gswsigert, ihren Fshltritt einzugsstehsn. Wer kfinnts ihr absr "unter so unsrhfirtsn Umstfindsn, Vertrauen schsnken?" (11,135-136) Da- rum srklart dis Mutter: Ein Fshltritt, so unsfiglich er mich schmsrzsn wfirds, sr lisBs sich, und ich mfiBts ihn zuletzt vsrzsihn; doch wenn du, um einem mfittsrlichsn Vsrweis auszuwsichen, sin Mfirchsn von dsr Umwfilzung dsr Weltordnung srsinnen, und gottsslfisterliche Schwfirs haufsn kfinntest, um ss meinem, dir nur allzugsrnp glfiubigsn, Herzen aufzubfirdsn: so wfire das schfindlich: ich wfirds dir nismals wisdsr gut werden. (11,122) Es wird dsr Tochter nicht nur vsrweigsrt, das Wochenlagsr im Eltsrn- haus aufzuschlagen. Tisfsts Entrfistung vsrleitst den Vatsr sogar zu dem extrsmsn Schritt, dis Marquise unter Bsdrohung mit dsr Waffs aus 47 dem Haus zu weissn und dsr Lasterhaften durch den Brudsr ihre eigenen Kinder abzufordsrn. Daraufhin flisht dis Marquise mit ihren Kindsrn aus dsr Mitts dsr menschlichen Gesellschaft, aus dsr Bsqusmlichksit dss Stadtlsbsns in dis Einsamksit. In der natfirlichen Umgsbung ihres Land- sitzss ist es ihr wisdsr mfiglich, klarsr zu denken und sine Entschei- dung fibsr dis Zukunft zu trsffsn. Der Aufruhr, dsr ihre Brust zsrriB, legte sich, als sis im Freisn war, sis kfiBts haufig dis Kinder, disss ihre liebe Beuts, und mit groBer Sslbstzufrisdenheit gedachte sis, welch einen Sieg sis, durch dis Kraft ihres schuldfreisn BewuBt- ssins, fiber ihren Brudsr davon gstragsn hatts. 1hr Verstand, stark gsnug, in ihrer sonderbaren Lags nicht zu rsiBsn, gab sich ganz unter dsr groBen, heiligen und unerklfirlichsn Ein- richtung dsr Welt gsfangsn. Sis sah die Unmoglichkeit sin, ihre Familie von ihrer Unschuld zu fibsrzeugsn, begriff, daB sis sich darfiber trfisten mfisse, falls sis nicht untsrgehen wolls . . . (11,126) Dis Kritik dss Dichters an dsm‘Vsrhaltsn dsr Eltsrn, dis unsrh schfittsrlich an den Normen dsr Gesellschaft fssthaltsn, lfiBt sich nicht fibersshsn. Es gslingt Kleist in dieser Novells, nicht nur an den El- tsrn, sondern such an dsr Marquise aufzuzsigsn, daB dsr Mensch in ssi- nsm Erdsnlsbsn mit Blindhsit gsschlagsn ist. Statt mit Hilfe einer Ubsrprfifung dsr Dausr dieser Schwangsrschaft sins Klfirung hsrbeizuffih- ren, die nicht nur durch dis trsffends Bemsrkung dsr Hsbamms, sondern auch durch das ungswfihnlichs Vsrhalten dss russischen Grafsn angedsutet wird, halt man an dem konventionsllen Denken dsr Gesellschaft fest. Der Heiratsantrag dss Grafsn muB vorerst abgswisssn werden, da dis Marquise einen Schwur gstan hat, sich nicht wisdsr zu verhsiratsn. AuBsrdsm gshfirt ss zum gutsn Ton, daB man den jungsn Mann srst gsnausr ksnnsnlsrnsn muB. Gsnfigsnd Zeit muB ebenfalls zur Vsrffigung ste— hen, dis nfitigsn Erkundigungsn fiber den Grafsn und ssinsn bishsrigsn stsnswandsl einzuholsn. "Alls kamsn darin fibersin, daB sein Betragen 48 sshr sonderbar ssi, und daB dsr Damenhsrzsn durch Anlauf, wie Festun— gen, zu srobern gswohnt schsins." (11,114) Mit dsr Anpassung an die ge- sellschaftlichen Konvsntionsn meint man zugleich, dis mannlichs Leidenr schaft dss Grafsn bis zu einem akzsptablsn Grads zfigsln zu kfinnsn. Gsnauso wie man von dsr Tatsachs dsr Schwangsrschaft darauf schlieBt, daB dis Marquise im Gshsimen sin lastsrhaftes Leben gsffihrt haben mfisss, gsnauso ist man davon.fiberzsugt, daB dsr Graf einen unta- dsligsn Lebenswandsl aufwsissn konns, da er bei dem Ansturm auf das Fort so viels vortrsfflichs Eigenschaftsn sntwickslt hatts. (11,118) Es wars niemand in den Sinn gekommsn, daB in beidsn Fallen gerade das Gegsntsil den wirklichsn Tatsachen sntsprschsn kfinnte. Erst dsr fiuBsrst ungswfihnlichs Schritt, den dsr Dichter dis Marquise tun lfiBt, namlich den Vatsr dss zu gsbfirsndsn Kindss durch sin Zeitungsinssrat zu suchsn, ffihrt sins Anderung in der Dsnkwsiss herbsi. Natfirlich hat dis Annoncs zunachst dis zu srwartsnds schockisrsnde Wirkung auf die Familisnmit- glisdsr. Dann vsranlaBt jsdoch das Inssrat vor allsm dis Mutter, dsr Aufrichtigkeit ihrer Tochter srnsut Glauben zu schsnksn. Dis Marquise selbst absr findet den Mut zu dieser Zeitungsannoncs, weil sis durch dis eigene Erfahrung dss AusgsstoBsnssins zu dsr Erkenn-~ tnis gslangt, daB such ihr Kind nach seiner Gsburt als "sin Schandflsck in der bfirgsrlichsn Gesellschaft" gelten wfirde. Allsin um dsm.Kinds zu dem Namen ssinss Vatsrs zu verhslfsn, ist sis willsns, disssn zu hsi- ratsn, obwohl sis sonst mit ihm nichts zu tun haben wfinscht. Trotz ihres unsrklfirbaren Schicksals zeigt also auch dis Marquise ihre Gebundenhsit an sins konventionslls Dsnkwsise, da sis meint, daB dsr Vatsr ihres Kindss "zum Auswurf seiner Gattung gshfirsn mfisss," daB 49 sr "nur aus dem zsrtrstsnstsn und unflatigstsn Schlamm dsrsslben, hsr- vorgegangsn sein kfinns." (11,127) Um dem Kind zu hslfen, ist sis bereit, dis Verbindung mit dsr menschlichen Gesellschaft wisdsr auf- zunshmsn. Dis Wichtigksit einer legitimsn Gsburt wird damit ganz besonders hervorgshobsn. Von dem Standpunkt dss zwanzigstsn Jahrhunderts aus betrachtet er- scheint es kaum glaublich, daB dsr russischs Graf sich mit den Bsdinr gungsn jenss Heiratsvsrtrages sinvsrstandsn srklarsn wfirds, "in welchem dieser auf alle Rschts eines Gsmahls Vsrzicht tat, dagsgsn sich zu al- lsn Pflichten, die man von ihm fordsrn wfirds," (11,142) bereit srklart. Am Anfang dss nsunzshnten Jahrhunderts jsdoch war sin Heiratsvsrtrag oder Abkommen, von den Eltsrn dss Madchsns abgsfaBt, nichts AuBsrge- wfihnlichss. Kleist selbst hat in ssinsm'Verhfiltnis zu Wilhelmins von angs gszsigt, wis sshr sr von gesellschaftlichen Konvsntionsn abhfingig war. Ohns den sntschsidsnden Brief an die Eltsrn dss Madchens hatts er dem gutsn Ruf Wilhelmines schadsn kbnnsn, sin Ruf, dsr ihm "doch tsurer ist als alles in dsr Welt." (11,500-501) "Vor Ihnsn zu stehen, und nicht sprechen zu dfirfsn," schrieb er an das Madchen, "weil andsrs disss Sprache nicht hfirsn sollen, Ihrs Hand in dsr msinigsn zu haltsn und nicht sprechen zu dfirfsn, weil ich mich [sic] disss Sprache gsgsn ‘Sig nicht srlaubsn will, ist sine Qual, dis ich aufhsben will und muB. Ich will es dahsr srfahren, ob ich Sis mit 3222: lisben darf, oder gar nicht." (11,500) Erst nachdem dis Eltsrn dss Madchens sich mit dsr Verbindung sinvsrstandsn srklart hattsn, war seine Liebe zu Wilhelmins ihren "wfirdigsn Eltsrn" gsgenfibsr kein Bstrug mshr. Auch in seiner Beurtsilung dsr Berliner Gesellschaft zeigt ss sich immsr wisdsr, wis sshr Kleist sinsrseits selbst Wsrt darauf legte, daB 50 man dis Form wahrts, wfihrsnd sr andrerssits das gesellschaftlichs Leben in dsr prsuBischsn Hauptstadt verurtsilts. So schrieb er an Wilhelmins: Aber, unter uns gssagt, 3s after ich Berlin sshs, 3s gswisser wird es mir, daB disss Stadt, so wie alle Rssidenzen und Hauptstfidts kein sigsntlicher Aufsnthalt flir dis Liebe ist. Dis Menschsn sind hier zu zisrlich, um wahr, zu gswitzigt, um offen zu sein. Die Msngs von Erschsinungsn stfirt das Herz in ssinsn Gsnfisssn, man gswfihnt sich endlich in sin so vielfa- chss sitlss Interesse sinzugreifen, und vsrlisrt am Ends ssin wahres aus den Augen. (11,517) 1mmsr wisdsr ffihlts dsr Dichter sich in die Lags gsdrangt, sein Verb haltsn den Erwartungsn seiner Umgsbung anpassen zu mfissen. Nur mit Widerstrsbsn akzsptisrte er jens Empfehlungsschrsibsn, dis ihm fiir das Studium in dsr Hauptstadt Frankrsichs mitgsgsbsn wurdsn. Msints er doch, dort dsmselbsn Kreis von "kaltsn, trocknsn, sinssitigsn Menschsn" ausgesetzt zu sein, "in deren Gesellschaft" sr sich "nis wohl bsfand." (11,643) Kleist ffihlts sich also von dsr Berliner Gesellschaft, dsr sr selbst angehfirts, in keiner Weiss angezogsn. Dis Notwendigksit, sins Rolls zu spielen, und sin innerer Widsrwillen dagsgsn machen mir jsde Gesellschaft lastig, und froh kann ich nur in meiner signen Gesellschaft sein, wsil ich da ganz wahr sein darf. Das darf man unter Menschsn nicht sein, und keiner ist es-- (11,628) Gsradszu abgsstoBen ffihlte sr sich absr spfiter von dsr franzfisischsn Gesellschaft, dis ihm im Gegensatz zu Berlin nicht dis in.PrsuBsn fibli— chs Hochachtung als Offizisr, selbst als shemaligsr Offizisr, sntgsgsn— brachts.3O So bsrichtsts sr an Luise von ang: Von allsn Gsssllschaftsn, dis man hier du ton nennt, sind die franzfisischsn Heldsn ausgsschlosssnr-warum? Wsil sis nicht artig gsnug sind. Dsnn dem Franzossn ist es nicht gsnug, daB sin Mensch sins groBs, starks, erhabsne Seele zeige, er will auch, daB er sich zisrlich betrage, und sin Offizisr mfigs sine Tat begangsn haben, dis Bayards oder Tursnnss wfirb dig wfirs, so ist das hinrsichsnd, von ihm zu sprechen, ihn zu lobsn und zu rfihmsn, nicht absr mit ihm in Gsssllschaftsn zu sein. (11.588) 51 Das Gsffihl, daB er sich "in irgsnd sin konventionslles Verhaltnis dsr Welt" (11,692) nicht hineinpasssn kfinnte, wurde immsr starker in Kleist. De absr sin fibsrmfichtigsr Ehrgeiz ihn ebenso dazu vsranlaBts, dsn Anfordsrungsn dss gesellschaftlichen Urteils sntsprschsnd zu handsln, da sr selbst zugab, daB man ihn wegsn seiner "Abhfingigksit von dsm.Urtsils andersr, schwach nennen" (11,693) kfinns, war disss Bewerb tung ffir ihn offsnbar dsnnoch von groBer Wichtigkeit. In seinem Abschisdsbrief aus der Schwsiz informisrte er Wilhelmins von Zengs darfibsr: Ich werds wahrscheinlichsr Weiss nismals in mein Vatsrland zurfickkshren. 1hr Weiber versteht in dsr Regel sin Wort in dsr deutschen Sprache nicht, es hsiBt Ehrgeiz. Es ist nur sin sinzigsr Fall in welchem ich zurfickkshre, wenn ich dsr Erwartung dsr Menschsn, dis ich tfirichter Weiss durch sins Msngs von prahlerischen Schritten gersizt habe, sntsprschsn kann. Der Fall ist mfiglich, absr nicht wahrscheinlich. Kurz, kann ich nicht mit Ruhm im Vaterlands erscheinen, gsschisht es nis. Das ist sntschisden, wie dis Natur meiner Seele. (11,726) Obwohl in spfitsren Jahrsn sine lsichts Mildsrung in Kleists Einstellung zur Gesellschaft seiner Epochs sintrat, zeigt sich doch in seiner Dich- tung sins srhsbliche Gsssllschaftskritik, so unaufffillig disss auch manchmal ins Werk eingeffigt sein mag. In seiner Untersuchung fiber den Kleistschsn Erzfihlsr und den Bsdeutungsgshalt dss Werkes hebt Wolfgang Kayssr hervor, daB dieser Erzahlsr wohl vorhandsn ssi, sich jsdoch auBsrst ssltsn mit einer dirsktsn Bemsrkung an den Leser wends. So sntstehs dsr Eindruck, st— was wirklich Vorgsfallsnes werds bsrichtst. Trotz dieser schsinbaren Beschrfinkung auf das rein Faktischs in dsr Erzfihlwsiss lasss sich dsnnoch die Tatsachs dsr wertsnden Stellungnahms nicht fibersshsn, mit 52 dsr dsr Erzfihlsr, und damit dsr Dichter, das Werk begleite. Uber disses Werten dss Erzfihlsrs ffihrt Kayssr aus: Damit hebt er sich nun absr doch, wie es scheint, rscht deutlich heraus, und vor allsm: damit srwirbt er unssr Vertrauen: denn nun haben wir dis GswiBhsit, daB er das Ganzs fiberschaut, daB er den Sinn davon srfaBt hat und uns fibermitteln wird, daB wir uns ihm anvsrtrauen kb'nnen.31 Zwar weist Kayssr ebenso darauf hin, daB disss wertsnden Bemsrkungen keineswegs sinsn festsn Bsurteilungsstandpunkt dss Erzfihlsrs erkennen lisBsn. Sis reprfissntierten jsdoch gerade in ihrer typischsn Stilei- genheit, namlich in ihrer Paradoxis, den schtsn Kleist. "Das sind die Phfinomsns, die disssn Erzahlsr rsizen: wo wir vor dem Doppelantlitz dsr Wirklichkeit in Vsrwirrung gsratsn." Und Kayssr betont, daB sins dsrartigs Doppslgesichtigkeit das Werten keineswegs entwsrte oder gar sins beurtsilends Stellungnahms zur Welt unmfiglich machs. "Eher im ngenteil: dieser Erzahler wertst dauernd, er kann gar nicht andsrs, und wir sollsn ss mit ihm tun."32 Ein dsrartiges Doppelantlitz dsr Wirklichkeit zeigt sich ganz besonders im Erdbsben in Chili, wo dsr Dichter trotz fshlsndsr gsssllschaftskritischer Bemsrkungen, die sich dirskt an den Leser richten, seine wertsnds Einstellung vsrspfirsn lfiBt. 3.4. Standss- und Rassenunterschieds Ausgangspunkt jsnss grausamsn Schicksals, das sich an dem jungsn Lisbsspaar und einem unschuldigen Kind vollzisht, ist dsr Standssuntsr— schisd zwischen dsr sinzigen Tochter dss rsichsn Don Asteron und ihrem shemaligsn Hauslehrsr, dem jungsn Spanier Jsronimo Rugsra. Was den jungsn Lsuten als grfiBtss Liebesglfick erscheint, wird von dsr Familie dss Madchsns als sins Abweichung von dsr gesellschaftlich ansrkanntsn Norm betrachtet und vsrurteilt. Dsr Vatsr als Patriarch dsr Familie trifft dis Entscheidung, das Madchsn zur Strafs in dsm.Karmslitsrklostsr 53 untsrzubringsn, natfirlich unterstfitzt "durch dis hamische Aufmsrksamkeit" eines "stolzsn" Brudsrs. Lorenz ffihrt dazu aus: Dis Unmfindigksit dsr Frau in dsr Familie wird durch Josephsns Vsrbannung ins Klostsr . . . demonstrisrt. Klasssnuntsr— schisds werdsn nach Gsburt und Besitz begrfindst und durch die Normierung dss Gsschlschtslsbsns dsr Frau gswahrt. Menschsn, dis wie Jsronimo und Josephs dagsgsn vsrstoBen . . . kfinnsn durch vatsrlichs Gswalt gstrsnnt werden.33 Obwohl Kuoni mit Recht darauf hinweist, daB im Erdbsben in Chili_mannr lichs und weiblichs Individusn vom Dichter einandsr keineswegs als "symbolisch bsdsutungsvoll" gsgsnfibergestsllt wurdsn, so lfiBt sich die Tatsachs dsr vsrschiedsnartigsn Behandlung von Frau und Mann in dieser Angslsgenhsit nicht fibersehsn.34 Natfirlich ist es Josephs, die mit ihrer Nisdsrkunft auf den Stufsn dsr Kathsdrals wfihrsnd dsr fsisrlichsn Fronleichnamsprozsssion dis Gesellschaft schockisrt. Dis menschlichs Vsrdsrbthsit, dis hier als Herausfordsrung an die Moral dsr Gsssll- schaft gswertst wird, findet "auf Befshl dss Erzbischofs" dis scharfste Bsstrafung. "Man sprach in dsr Stadt mit einer so groBen Erbitterung von diesem Skandal" (11,144), so daB dsr Feuertod, zu dem Josephs verb urtsilt wurds, den frommen Matronsn und Jungfrauen der Stadt als sinzig gsrschte Strafs srschisn. GroBs Entfifistung ruft dahsr dis Entscheidung dss Vizskfinigs hervor, dsr den Feuertod in sins Enthauptung umfindsrt. Obwohl Kleist oder an seiner Stelle dsr Erzfihlsr auch hier seine Darb stsllung auf das rein Faktischs bsschrfinkt, so ist die Tatsachs dsr wertsnden Stellungnahms, dsr snthaltsnen Gsssllschaftskritik, wiederum deutlich srksnnbar, wenn sr bsrichtst: Man vsrmiststs in den StraBsn, durch welchs dsr Hinrichtungs- zug gehen sollte, dis anstsr, man trug dis Dacher dsr Hfiussr ab, und die frommen Tfichtsr der Stadt ludsn ihre Freundinnsn sin, um dem Schauspisls, das dsr gfittlichsn Rachs gsgsbsn wurds, an ihrer schwsstsrlichsn Ssits beizuwohnsn. (11.145) 54 Jsronimo dagsgsn bsfindst sich wohl im.Geffingnis; von sinsm.Prosz gsgsn ihn ist absr ksins Reds, obgleich sr sigsntlich als Mitschuldigsr betrachtet werdsn mfiBts. Verurtsilt wird allein das Madchsn. Lorenz ffihrt dazu aus: Wenn sich Jsronimo auch im.Gsffingnis bsfindst, so hat doch Josephs stfirker an den Grundfssten dsr patriarchalischsn Gs- sellschaft gefiittslt. Als Tochter und heiratsffihiger Artiksl ist sis flir dis Familie wie ffir das weitsrrsichsnds Sozial- gsffigs nur als Jungfrau von Wert, wobsi dis Rsinheit dsr Gs- ffihls wsnig bedeutst. Jsronimo ist als Mann und potentisllsr Patriarch noch immsr ffir Staat und Familie brauchbar und hfichstsns einer Sachbeschfidigung schuldig, da ssins "Tugend" nicht auf Keuschhsit beruht. Erst als dss Erdbsben von dsr kirchlichen Autoritat als Zeichsn dsr gfittlichen Rachs inter- pretisrt wird, bsststh [sic] sin Grund, ihn als Mitsfindsr zu srmordsn.3 DaB es zu dsr angssstztsn Enthauptung nicht kommt, daB dsn Lisbendsn und ihrem nsugeborensn Sohn sin srnsutss Zusammentreffsn srmfiglicht wird, vsrdanksn Josephs und Jsronimo dem sinsstzsndsn Erdbsben. Statt dss srwartstsn Todss dfirfen sis sin beseligendes Glfick in einer para- dissischsn Umgsbung gsnisBsn; und sis "warsn sshr gerfihrt, wenn sis dachten, wie visl Elsnd fiber die Welt kommen muBts, damit sis glficklich wfirdsn!" (11,150) Dis Werts, zu deren Erhaltung Josephs im srstsn Teil dsr Novells zum Tods vsrurteilt wird--die patriarchalischs Normisrung dss ssxusl— len Verhaltsns und die Wahrung des privatsn Besitzes--habsn nach dem Eintrstsn dss Erdbebsns ksins Bedeutung mshr.36 Es scheint, als hatts dis Naturkatastrophs mit dsr Zerstfirung irdischsr Gfiter dis Menschsn zur Selbstbesinnung gsffihrt, so daB "dsr menschlichs Geist selbst, wie sins schfins Blums, aufzugshn" vsrmochts. (11,152) Dis Standesuntsrschisds treten vfillig in den Hintsrgrund. Man tut Gutss und nimmt barmhsrzigs Handlungsn mit dankbarsm Herzen sntgsgsn. "Es war, als ob dis Gsmfiter, 55 seit dem ffirchterlichsn Schlags, dsr sis durchdrfihnt hatts, alle verb sfihnt wfiren." (11,151) Eine paradissischs Nachstsnliebs schisn dis Ubsrlsbsndsn zu vsrsinsn. Auf dsn Fsldsrn, so weit das Augs rsichts, sah man Menschsn von allsn Standen durcheinandsr liegen, Ffirsten und Bettler, Matronsn und Bausrinnsn, Staatsbsamts und Tagelfihner, Kloster— herrsn und Klostsrfrausn: sinandsr bsmitlsiden, sich wsche sslssitig Hfilfs rsichsn, von dem, was sis zur Erhaltung ihres stens gersttet haben mochtsn, frsudig mitteilen, als ob das allgemeine Unglfick alles, was ihm entronnen war, zu sinsr Familie gemacht hatts. (11,152) Dis momentans Aufhsbung dsr standischen Schranksn, dis heldenhaftsn Taten dsr Nachstenliebs, lasssn nach Kuonis Ansicht sins starke Besin- flussung durch Rousseaus Schriften erkennen. Natur und Gesellschaft sind in einem scharfen Schwarzwsinontrast sinandsr gsgsnfibsrgsstsllt. Kuoni bshauptst, hier . . . ist die Gesellschaft mit ihrem fiffsntlichsn Recht, dsr kirchlichen Rsligiositat und dem allgemeinsn sittlichsn Urteil v 0 l l i g negativ bswertst als willkfirliche Eman- zipation dsr sslbsthsrrlichsn Ratio vom Urgesstz dsr Natur. Disss wird, in Menschenschicksal fibersstzt, durch dis unr willkfirlichs und unmittslbare Neigung zwsisr jungsr Menschsn vsrkfirpert. Sis ist sittlich, indem dis Lisbendsn sis als, unbedingt und swig ansrksnnsn und ffir sis zu jsdsm Opfer bereit sind. Dis Liebe zu einem Mann eines niedsrsn Standss, dis Gsburt ihres Kindss am Fronleichnamstag auf dsr Domtrsppe, dies sind die Vsrgehen, deren man Josephs beschuldigsn kann. Die deutlich werdsnde Ironis dss Dich- tsrs erffihrt sine Stsigsrung in dsr Auffordsrung Don Fsrnandos an die jungs Mutter, ssinsn hungrigsn Sohn wie ihr sigsnss Kind zu nfihrsn, weil seine verletzte Frau dazu nicht in dsr Lags ssi. Und Josephs bs- tont: "in disssn schrscklichen Zeiten weigsrt sich niemand, von dem, was er bssitzsn mag, mitzutsilsn." (11,150) Auf disss Weiss finden die am Tags zuvor noch AusgsstoBensn srnsut Aufnahms in sine Gesellschaft, 56 die sis vor wenigsn Stundsn noch auf dem ng zur Richtstfitte mit hfimi— schsn Blicksn hatts vsrfolgen wollsn. Allsrdings gshfirt Donna Elissa bsth zu jsnsn, dis sich gswsigsrt hattsn, dem Schauspisl beizuwohnsn. Wahrsnd das Erdbsben fiir Josephs sins Wohltat dss Himmsls bedeutet, so erscheint es in dsr Predigt dss Chorhsrrn als Strafs Gottss fiir das "Sittsnverdsrbnis dsr Stadt." (11,155) War Josephs zuvor von dsr Tat- sachs gerfihrt gswsssn, daB soviel Unglfick fiber dis Welt kommen muBte, damit ihr soviel Glfick bsschsrt werdsn konnts (11,150), so disnt dis Umkshrung disses Gsdanksns dsr ruchlossn Msnschenhords als Anklags: wisvisl Elend war durch das psrsfinlichs Glfick dsr jungsn Leuts fiber die Welt gskommsn! Dassslbs Erdbsben also, das den Lisbendsn als sin Wunr dsr dss Himmsls erscheint war, wird von dsr im Tempsl vsrsammeltsn Christengsmsinds als gfittlichs Strafs ffir das sittsnloss Klostsrlsbsn betrachtet. Mit Recht hebt darum Walter Silz hervor, wie barmhsrzig sich sins lsidsnds Gesellschaft zeigt, wfihrsnd sine gsrsttsts Msnsch— hsit in ihrem Handsln von Erbarmungslosigksit geleitst wird.38 Standssuntsrschisds spielen jsdoch nicht allein im Erdbsben in Chili sins wichtige Rolls. 1m Bettelweib von Locarno wird sins hilf— loss alts Frau durch die Harthsrzigksit dss Marchsss in den Tod gstris- ben. Elisabeth Kohlhaas muB ihren Vsrsuch, sich dem kurfiirstlichsn Landsshsrrn mit einer Bittschrift in dsr Sachs ihres Mannss gsgsn dis Herrsn von Tronka zu nfihern, mit ihrem Leben bszahlsn. Der Graf vom Strahl kann ss sich trotz dsr auBsrgewfihnlichsn Vorzfigs Kfithchsns nicht vorstsllsn, daB sis dis aussrwfihlts Braut, dis angskfindigts Tochter dss Kaissrs sein kbnnts, da sis seiner Gesellschaftsklasss nicht ange- hfirt. Nsben Klasssnuntsrschisden steht dis Vsrschiedsnhsit dsr Rasssn ganz besonders im Mittelpunkt dsr Novells Dis Verlobung l£;§33 Domingo. 57 Als sin Beispiel dsr Tyrannsi dsr wsiBsn Rasss srffihrt dsr Leser von dem Schicksal dsr Mulattin Babskan, dis von ihrem Herrn dem ngsr Congo Hoango "an Weibes Statt" gsgsbsn wurde, weil dieser nach dem Tods seiner srstsn Frau nicht mshr hsiraten wollte. Gustav seinsrseits weiB mit Schaudsrn von dsr Tat eines jungen Mfidchsns "vom Stamm dsr Negern" zu srzahlsn, das von seinem Herrn als Sklavin vsrkauft wurds, wsil ss sich dessen "Wfinschsn nicht willfahrig gszsigt hatts." Als dis Empfi- rung dsr Schwarzsn auflodsrts, lag disses Mfidchsn an sinsr anstecksnden tfidlichsn Krankheit darnisdsr, lud jedoch ihren frfihersn Herrn zu sich sin, dsr sich gerade auf dsr Flucht in dsr Nfihe bsfand, um ihm nach vislsn Lisbkosungsn und Zfirtlichkeitsn ins Gssicht schlsudsrn zu kfin- nen: "sins Pestkranks, dis den Tod in dsr Brust tragt, hast du gekfiBt: gsh und gib das gslbe Fiebsr allsn denen, dis dir gleichsn!" (11,170) Und Gustav ffigt hinzu, "daB, nach dem Gsffihl seiner Seele, ksins Tyrane nei, die die WsiBen js verfibt, einen Vsrrat, so niedsrtrfichtig und ab- scheulich, rschtfsrtigen kfinnts." (11,170-171) Er ahnt nicht, daB Babskans Tochter Toni, dis flfinfzshnjfihrigs Mestizs, dis ihn begrfiBt hatts, "wegsn ihrer ins Gslblichs gshsndsn Gssichtsfarbs" von ihrer Mutter zu dsr List gsbraucht wird, jsnsn "weiBsn Hunden", dsn Angshfi- rigsn dsr wsiBsn Rasss, listig Unterkunft und Hilfe anzubistsn und sis festzuhalten, bis Congo Hoango mit seinem Negsrtrupp heimkehrt und die Betrogensn srmordst. (11,161) Der Tyrannsi dsr wsiBsn Rasss in dsr Sklavsnhaltung wird hier vom Dichter dis Rachs dsr Untsrdnficktsn nach dsr Befreiung durch den Na- tionalkonvsnt gsgsnfibsrgestsllt. Kleists Kritik an dsm‘Verhaltsn dsr WsiBsn lfiBt sich nicht fibersshsn. Als tragisch erweist sich dieser Rasssnunterschisd insbesondere im Vsrhfiltnis zwischen Toni und Gustav. 58 Toni ist gewillt, kraft ihrer srstsn aufblfihsnden Liebe dem gelisbten Mann alles aufzuopfern, was sis zu bieten hat. Gustav dagsgsn ist trotz dsr Erfahrung mit seiner Verlobten, dis auf dsr Guillotine starb, um sein Leben zu retten, nicht in dsr Lage, die Hintsrgrfinds flir Tonis Handsln zu erkennen. Gsnauso hatts er damals bei dem Opfer Marianss "den Inbegriff aller Gfite und Vortrefflichkeit srst mit ihrem Tods" (11,174) durchschaut. Zu sshr in den gsgsnwfirtigsn Ereignissen dss Raessnkampfss vsrhaftst, vermag er an Tonie Aufrichtigksit nicht zu glaubsn und srschith das Mfidchsn, das sich bemfiht, einen Auswsg aus dieser vsrzwsifslten Lags ffir sis bsids zu finden. Ffir Toni dagsgsn bedeutst dis Situation, sins Wahl treffsn zu mfiesen zwischen ihrer Liebe zu einem WsiBsn und dem Gehorsam dsr eigenen Mutter und somit dsr schwarzsn Rasss gegenfiber. Als Frau besitzt Toni jedoch dis Ffihig— ksit, sich trotz ihres jugsndlichsn Alters in dsr Konfrontation zu bs— haupten, dsr sis sich plfitzlich ausgesetzt sieht. Gustave Unfahigkeit dagsgsn, ihr zu vertrausn, vsrhindert die Erreichung ihres gsstecktsn Zieles, die Gegensfitzs dsr Rasss zu fibsrwindsn und gemeinsam einem glficklichsn Leben in dieser gebrechlichen Welt sntgsgsnzustrebsn. 3.5. Dis Frau und der Staat Sisht Toni sich mit dem Zwang einer Wahl zwischen dsr schwarzsn und dsr wsiBsn Rasss konfrontisrt, so wird Penthesilea vor dis Entscheidung gestellt, als Kfinigin sntwedsr den Gssstzsn dss Amazonenstaatse oder dsr Forderung ihres sigsnsn.Hsrzsns zu folgsn. Disss Konfrontation zwischen Staat und Individuum etsht im Mittelpunkt von Kleists Drama Penthesilea. Ubsrliefsrter Mythoe und historiechs Wahrheit vsrsinsn sich hier bei dsr Darstellung dsr gesellschaftlichen Wirklichkeit dss Amazonsnstaatss, dessen Grfindung ureprfinglich ale Ausdruck dsr Selbstbestimmung frsier 59 Individusn stattgsfundsn hatte. Dis vfilligs AusschlisBung dss Mannss muB als sins Demonstration von Unabhangigksit, Mfindigksit und Sslbst- behauptung gesehen werden. Penthesilea bsrichtst darfibsr: Und dies jetzt ward im Rat dss Volks beechlosssn: Frei, wis dsr Wind auf offnsm Blachfeld, sind Dis Fraun, dis solchs Heldentat vollbracht, Und dem Geschlecht dsr Manner nicht mehr disnstbar. Ein Staat, sin mfindigsr, ssi aufgsstsllt, Ein Frauenetaat, den fiirdsr ksins andrs Herrschsfichtgs Mannerstimme mshr durchtrotzt, Der das Gssstz sich wfirdig sslbsr gebs, Sich selbst gehorchs, sslbsr auch bsschfitzs: Und Tanais ssi seine Kfinigin. (I, 388-389) Das traditionslls Herrschaftsrecht dss Mannss wurds also durch dis Sou- veranitat der Frau srsstzt. Vom Standpunkt dss patriarchalischsn Gs- ssllschaftssystsms gesehen erscheint dis Schaffung eines Frauenetaates ale unnatfirlich. Selbst dis Tatsachs, daB es dis Gswalttaten dsr Kris- gsr dss ins Land singefallenen AthiOpisrkfinigs gswsssn warsn, welchs dis gsschfindsten Frauen dss Skythsnstammes zu dieser MaBnahms vsranlaBt hattsn, vermag dis Unnatfirlichksit dsr Situation nicht zu.fibsrdecken. Wis sollten disss Frauen in dsr Lage sein, sich kriegsriech zu bshaup- tsn und ihr Land zu vsrtsidigsn? Waren sis nicht dem sicheren Spott ihrer Fsinds ausgesetzt, wenn es sich srweissn wfirde, daB im.Kampf dis Kraft "von schwachsn Fraun, bssngt durch volls Brfists" (1,389) nicht ausrsichts, dsn Bogsn zu spannsn? "Dis groBs Tanais" jsdoch begsgnsts diesem Einspruch, indem sis sich die rschte Brust vom Leibs riB und somit das Reich dsr "Amazonsn oder Bussnlossn" (1,389) grfindsts. Welchs Verfinderungsn srgsben sich jedoch im Laufs dsr Zeiten in jsdsm nsugegrfindstsn Staat? Peter Horn vsrwsist auf den unvsrmsid- lichen Vsrfall, dsr sintrstsn muB, solangs im Staats ksins Mbglich— ksit bestsht, die Ides dsr Sslbstbshauptung durch standig wisdsrholts 60 heroischs Taten aufrecht zu srhalten. Jsdss Gssstz, sogar jsnss, dae ursprfinglich ale Ausdruck eines rationalen Gemsinschaftswillsns gelten kfinnts, entwicksls sich notwsndigsrwsiss zu einem Machwsrk dsr Gswalt- hsrrechaft, wenn ss nicht durch dsnsslben gsmsinsamen frsisn Willsn aktiv srnsusrt werds. So ssi die ursprfinglich bsfreiends Tat dsr Tanais zu einem Mythos gswordsn, anstatt als fortdausrnds Basis fiir sins standig sich srnsusrnds Ubsrsinstimmung zu fungieren. Disser Mythos sntwicksls sich zu einem gsistigen Ziel, das in seinem Werts ansrkannt werds und fortdausrn kfinns, bis sins Konfliktsituation zwi- schen Penthesilea und dem Gssstz dss Amazonsnstaates auftrsts.39 Es ist also mfiglich, durch kfinstlich gsschaffsns Lebensbsdingungsn dis Abwsssnhsit dss Mannss von dsr Gsmsinechaft dss Volkss zu rscht- fsrtigsn. Dis kampfsrischs Vsrtsidigung dss Frauentums, dsr Frauen- shrs, mag sich im Augenblick dss gewaltsamsn Hersinbrechens gsgns- rischsr Machts als sinnvoll srweissn. Selbst dsr Fortbsstand dss Staates laBt sich durch sine Einrichtung wis das Rossnfsst zu Thsmi- scyra sichsrstellsn, wo dsr Mann zu einem rsinen Werkzeug dsr Frau sr- nisdrigt wird. Problems lasssn sich jsdoch nicht vsrmsidsn, wenn dis Gssstzs dss Staates von dsr Amazons dis Bszwingung dss Mannss auf dem Schlachtfsld als Voraussstzung flir die Lisbesvsreinigung verlangsn. Dis psrsfinlichs Wahl eines Kfimpfsrs ist dsn Frauen untersagt, um dae Aufflammen von Liebssgsffihlsn nach Mfiglichkeit zu vsrhindern. Wen dis Gfittsr ihnen auch immer ale ngnsr zuffihren, ihn mfissen sis im.Kampf bssisgsn und dfirfsn sich srst dann gemeinsam mit dem Ubsrwundsnsn den Freuden dss Lisbssfsstss hingsbsn. Ist mit dsr Sichsrstsllung dsr Fortpflanzung dis Nfitzlichksit dss Mannss srschfipft, so kann man sich seiner wisdsr sntlsdigsn. Disss gewaltsams Trsnnung und damit die 61 Vsrneinung eines dsr slementarstsn Geffihle, die dsr Frau zu eigen sind, die Vsrneinung eines schtsn Gsffihls flir das andsrs Geschlecht, muB notwsndigsrwsiss zu tragischsn Konsequsnzsn ffihrsn. Der Schmerz dss Schsidsns beim "Fest dsr reifsn Mfitter" laBt nur zu deutlich erkennen, daB alle Gssstzs und alle getroffenen MaBnahmen nicht vermfigsn, die natfirlichs Liebe dsr Frau zum Manns zu untsrbinden und das Rossnfest als rein funktionale Vsrsinigung dsr Geschlechtsr zu akzsptisren. . . . --dsnn viels Trfinen flieBsn, Und manchss Herz, von dfisterm Gram ergriffen, Bsgrsift nicht, wie dis groBs Tanais In jedsm srstsn Wort zu preissn ssi.-- (1,392) Ist es ihre Jugsnd, ist es dsr Mangsl an psrsfinlichsr Erfahrung, dsr es Penthesilea verwshrt, sich dss zugrunds lisgendsn Widerspruchs in dieser Verbindung von Kampf, Liebe und Trsnnung, von Amazonengesstz und individusller Lisbessshnsucht voll bewuBt zu werden? Dem vsrmsint- lich von ihr fiberwfiltigtsn Achill gssteht dis Amazonsnkfinigin, daB ihr dis frsis Wahl eines Mannss vsrsagt ssi, ohne sich dessen bewuBt zu sein, daB sis sich bereits gsgsn disses Gssstz vsrgangsn hatts. Allsr- dings war es die Mutter Otrers gewsssn, dis Penthesilea im Augenblick dss Todss gshsimnisvoll anvsrtraut hatts: Du wirst den Pelsidsn dir bekranzsn: Wsrd sins Mutter, stolz und froh, wie ich--" (1,394) Unwillkfirlich ist Penthesilea darum mit ihrer unsrlaubten Wahl schuldig gswordsn, beeinfluBt durch dae Wort dsr stsrbsnden Mutter. Unwisssnt- lichs Schuld ist es, die mit der Bskranzung dss Peliden auf ihr lastet, da ihr dis Tatsachs ihres Untsrlisgene im Kampfe durch dis Tfiuschung nicht bekannt ist. Unvsrzeihlichs Schuld absr lfidt die Amazonsnkfinigin sich in dem Augenblick auf, da sis in vollsr Ksnntnis ihrer Lags die 62 Befreiung aus den Hfindsn Achills durch dae sisgreichs Amazonenhssr vsrflucht: Vsrflucht ssi dieser schfindliche Triumph mir! Vsrflucht jedwsds Zungs, dis ihn feisrt, Dis Luft verflucht mir, dis ihn weiter bringt! War ich, nach jsdsr wfirdgen Rittsrsitte, Nicht durch das Glfick dsr Schlacht ihm zugsfallsn? Wenn das Geschlecht dsr Menschsn unter sich, Mit Wolf und Tiger nicht, im Streite liegt: Gibts sin Gssstz, frag ich, in solchsm Krisgs, Das den Gefangsnsn, dsr sich ergsben, Aus seines Sisgsrs Bandsn lfiesn kann? (1,400) In vollsr Ksnntnis dsr wirklichsn Sachlags, daB sis die Unterlegens im Kampf mit Achilles gswesen war, deutet Penthesilea mit diesem Fluch ihre Bereitschaft an, dem Amazonendassin zu enteagen und dem Mann ihrer Lisbs zu folgsn,--sine erstmalig bswuBts Auflshnung gsgsn dis Fords- rungen dss Amazonsnstaates. Ihrer Klags fiber dis Befreiung aus den Handen dss Grischsn folgt daher dsr bsrschtigts Zorn dsr Obsrpris- stsrin, dsr Bewahrerin dss Gesetzse, die dsr Kfinigin ihre Vergehen vorhfilt: Nun denn, du sstzest wfirdig, Kfinigin, Mit diesem Schmfihungewort, muB ich gestehn, Den Taten disses Tags die Krone auf. Nicht bloB, daB du, die Sitts wenig achtsnd, Den Gegner dir im Feld dsr Schlacht gesucht, Nicht bloB, daB du, etatt ihn in Staub zu werfen, Ihm selbst im.Kampf srlisgst, nicht bloB, daB du Zum Lohn daffir ihn noch mit Rossn krfinzset: Du zfirnst auch dsinsm trsusn Volke noch, Das deine Ksttsn bricht, du wendest dich, Und rufst den Ubsrwindsr dir zurfick. (1,401) Nsbsn den Vsrgshsn gsgsn dis Gssstzs dss Amazonsnstaates erweist sich jedoch dis Tatsachs als grfiBte Schuld, daB die Schar dsr gefangsnsn griechischen Heldsn, dis man zum Rossnfest hatts ffihrsn wollsn, durch Penthesilsas persfinlichen Kampf um Achill singsbfiBt wurds. Das Fest kann nicht gsfeisrt werden. Dis Fortpflanzung im Staats ist durch dis 63 Verfolgung rein persfinlichsr Intersessn dsr Kfinigin gsffihrdet worden. Vollsr Vsrachtung schlsudsrt darum dis Oberpriestsrin Penthesilea sntgsgsn: Frei, in dss Volkss Namen, sprsch ich dich; Du kannst den FuB jetzt wsndsn, wie du willst, Kannst ihn mit f1attsrndsm.Gewand srsilsn, Der dich in Fssssln schlug, und ihm den RiB, Da, wo wir sis zsrsprsngten, fibsrrsichen: Also ja wills das hsilgs Krisgsgssstz! (1,401) Ist es dis AusstoBung aus dem Amazonenvolk oder dis Wucht dsr Anklags, den Gssstzsn zuwidergehandelt und somit den Verlust dsr srrungensn Heldsn vsrschuldst zu haben, dsr Penthesilea zur rassnden Tat vsrlsitst? Oder ist es die srnsute Auffordsrung zum Zwsikampf durch Achilles und das daraufhin in ihrem Innern auftauchends Empfin- den, von ihm als Frau vsrachtet zu sein, wodurch Penthesilea dazu vsr- ffihrt wird, Achill auf so grauenhafts Weiss zu srmordsn? Sich selbst noch unbewuBt dss begangensn grausamsn Mordes, lfiBt sis dsn Toten als Opfer dsr Oberpriestsrin zu FfiBen legsn, dis srschfittsrt ausruft: War ichs, du - Mensch nicht mshr, wie nenn ich dich? Dis disssn Mord dir schrecklich abgsfordsrt? - Wenn sin Verwsis, sanft aus dsr Liebe Mund, Zu solchsn Grsuelnisssn trsibt, so sollsn Dis Furisn kommen, und uns Sanftmut lshren! (1,416) Kaum ist Penthesilea sich jedoch ihrer ungshsursn Tat bewuBt gsworden, da vsrkfindst sis ihren EntschluB, sich von dem Gssstz dss Amazonsn- staates loszusagsn und dem.Gsliebtsn in den Tod zu folgsn. Ein Wsitsr- lsbsn unter dem Druck ihrer gewaltigsn Schuld ist unmfiglich gewordsn. 1hr lstztsr Rat an die Amazonsn, dis Aschs dsr Tanais in die Luft zu strsusn, zeugt ffir*dis Notwsndigkeit einer Ernsusrung dsr vsraltstsn Gssstzs. Er bswsiet sbsneo Psnthssileas Durchbruch zu individusller Erkenntnis unt Entscheidung. 64 Heptner bezeichnet dae tragische Ends dsr Heldin, wie Kleist se in diesem Werk dsmonstrisrs, ale das Endergebnis eines falschen staatli- chen Rechtsbegriffes. Penthesilea ssi in einen Staat hineingeborsn, dsr sich Jsdss Recht anmaBe, das dem Individuum zu eigen ssi. Er habe sich nicht nur das Recht reservisrt, flir das allgemeine Wohl zu sorgen, sondern sr habe sich selbst zum Wachtsr fiber die intimstsn Gsffihls gemacht und das Individuum zu einer Funktion, zu sinsm Objskt rsduzisrt. Solangs das Individuum sich fiber dis Bsschrfinkungsn, dis dsr Staat dem Einzslnsn auferlsgs, im klarsn ssi, wfirs sin harmonischse Leben mfiglich. Sobald jsdoch das Individuum zu dsr Erkenntnis gslange, daB dsr Staat dis Entwicklung und den freisn Ausdruck dsr zugrunds lisgendsn mensch— lichsn Gsffihls vsrbists, ssien Spannungen nicht zu vsrmsidsn. Darum habe Penthesilea sich hinr und hsrgsrisssn gsffihlt zwischen einer sings- gangensn Vsrpflichtung den Vorfahren gsgsnfibsr, ihrem Schwur dsr Treus als Konigin, und dsr starken Neigung, sich von einer unnatfirlichsn und unmsnschlichsn Last zu bsfreisn. Zur Wahl habe ihr gsstandsn, sntwsdsr ihre Treus zum Staat zu brechsn, oder die Bsschrfinkung ihrer Natur zu akzsptisren. Beids Mbglichkeitsn hattsn dis Kfinigin zu dsr Erkenntnis gslangen lasssn, daB es in dieser Zeit keinen Platz mshr flir sin System gebs, das sich selbst als Obsrhohsit bstrachts und von ssinsn Mitglie— dsrn verlangs, alles zu opfsrn, sinschlieBlich dsr menschlichen Liebe.4O Der Durchbruch zu ihrer Individualitfit muB jsdoch von Penthesilea mit dem Leben bszahlt werden. Jsglichs Opfer zum Wohls dss Staates verlangt nicht nur das Gssstz dsr Amazonsn von ihrer Kfinigin, sondern ebenso dsr Cherusksrflirst Herb mann von seiner Ehsfrau. Allsrdings geht es in dsr Hermannsechlacht nicht wie bishsr um die Erringung individusller Freiheit, um psrsfinlichs 65 Rschts dsr Frau, sondern es handelt sich um die Vsrwirklichung einer Freiheiteidss, die den gsrmanischsn Vfilksrstammsn dazu vsrhslfsn soll, sich dsr Herrschaft dsr rfimischsn Eindringlings zu sntlsdigsn. Das Werk selbst gilt als dis dichterische Auffordsrung Kleists an seine Zeitgenossen in PrsuBen und in Ostsrreich, sich gemeinsam aus dsr Knschtschaft Napoleone zu erheben. Dis Darstellung disses Freiheite- kampfee dsr untsrdrficktsn Germanen im Werk steht nach Korffs Ansicht "jenssits von Gut und Bfiss, jsnesits jsdsr Moral und Humanitat,"41 da dem Cherusksrffirstsn jsdse Mittel rscht erscheint, das dsr Erlangung dss gssstztsn Zieles disnt. In Hermanns listigsm Vsrstellungsspisl steht Thusnslda ihrem Ehemann zunfichst in keiner Weiss als ebenbfirtige Partnerin zur Seite. Jsdoch durch die Entfaltung ihres Charaktere zur Notzsit scheint dis Cherusksrffirstin dsr preuBischsn Kfinigin Luise zu fihneln, obwohl sis sonst kaum etwas mit der sdlsn Gestalt dsr Kfinigin gemeinsam hat. Ihrs Erschsinung sntspricht vielmehr jsner Bsschrsibung Kleists, in dsr er Dahlmann gsgsnfiber betonts: "msins Thusnslda ist brav, absr sin wsnig sinffiltig und sitsl, wie hsuts dis Mfidchsn sind, denen dis Franzossn imponisrsn; wenn solchs Natursn zu sich zurfickkshren, so bsdfirfsn sis sinsr grimmigsn Rachs." (1,9434944) Dementsprschend erscheint Thus- nslda auch im Drama sin wsnig gefallsfichtig, putzlisbsnd und leicht- glfiubig. Willig schsnkt sis den Schwfirmsreien dss jungen Rfimers Vsntidius Gshfir. Thusnsldas shslichs Treus ist absr zu keiner Zeit in Frags gestellt, da sis ihren Mann wirklich lisbt. Dennoch ffihlt sis sich in ihrer Eitslksit von dsr Leidenschaft dss Rfimsrs bssindruckt, ohne an dsr Echthsit disses Gsffihls zu zweifsln. Kuoni bshauptst: 66 Ja, es ist im Grunds nur ihre eigene grads und unvsrdorbene Ehrlichkeit, welchs sis dss Vsntidius srheuchelts Gsffihls ffir scht nshmen lfiBt. Jsdoch sis fibersieht, daB sine srnstlichs Lisbs ffir sis sich unmfiglich mit dsr Mission eines kaiser- lichen Gesandten vsrsinsn laBt. Der Rfimer Vsntidius muB mit seiner Leidenschaft Vsrrfitsr sein, sntwsdsr an ihr oder an seinem Herrn. Sis absr versteht das Unlfisbars dsr Bindung an das Volkstum nicht . . .42 Entgegsn dsr Wfirds einer gsrmanischsn Ffirstin laBt Thusnslda sich sogar von Vsntidius darin unterweisen, wie man sich nach rfimischsr Art als Frau fsstlich schmfickt. Ubsrraschsnderwsiss laBt Hermann sis gswahrsn. Er bsstarkt sis noch darin, dem stfirmischsn Jfingling den frschsn Locksnraub zu verzsihen, da dis Entwicklung dsr Situation zweifsllos in seine gshsimen Plane paBt. Vfillig illusionslos scheint sr sich dsr Tatsachs bewuBt zu sein, daB Thusnslda Vsntidius lediglich als kostbarss Tier gilt, dessen Kopf man schersn kann, um einer Rfimerin dis Gslegsnhsit zu bieten, sich mit den blondsn Locksn dsr Germanin zu putzen. Thusnslda will es absr nicht glaubsn, daB drei Rfimsr einer Frau in Ubisn Das Haar, das goldsne, dis Zfihns such, Dis slfsnbsinsrnen, mit einem Werkzeug, Auf offner StraBe, aus dem Mund genommsn? (1,569) Kaum srfahrt sis jsdoch, daB Vsntidius die gsstohlens Locks dsr rfimi- schsn Kaissrin als sins Probe dss goldnsn Haares fibersandte, das sr ihr nach dss Cherusksrffirstsn Tod zu fiberbringsn vsrsprach, so verlangt sis aus Empfirung fiber disss schmahlichs Tfiuschung, sich selbst an dem Rfimsr rfichsn zu dfirfen. Er hat zur Bfirin mich gemacht! Arminiue will ich wisdsr wfirdig werdsn! (1,616) Erschfittsrt muB sis ihren Fshler anerkennen, ihrem eigenen Gsffihl mshr gstraut zu haben als dsr Warnung ihres Mannss vor den rfimischsn Fein- den. Auf gskrfinktsr Msnschsnwfirde basiert ihr EntschluB, sich dsr 67 patriotischen Dsnkwsiss ihres Ehemannss anzupasssn, ja, ihn mfiglichsr- weiss in dsr Grausamkeit ihrer Rachs noch zu fibertrsffsn. Stfirzt Penthesilea sich mit ihren Hunden auf Achill, weil sis sich als Frau vsrachtst glaubt, so bsnutzt dis Cherusksrffirstin sins hungri- ge Bfirin, um sich ffir dis Vsrhohnung ihres Msnschsntums zu rfichsn. Dem im Zwingsr Gefangsnsn, dsr sich dsr Bsstis ausgelisfert sieht, ruft sis --sslbst zur Bsstis gswordsn—-hohnlachsnd zu: Was gibts, Vsntidius? Was srschreckt dich so? Dis Bfirin von Cheruska? Thusnslda, bist du klug, dis Ffirstin ists, Von deren Haupt, dsr Livia zur Probe, Du jfingst dis ssidns Locks abgslfist! LaB den Moment, dir gfinstig, nicht sntschlfipfsn, Und ganz dis Stirn jstzt schmeichelnd schsr ihr ab! Ach, wie dis Boretsn, Lisbstsr, schwarz und starr, Der Livia, dsinsr Kaissrin, werdsn stshn, Wenn sis um ihren Nacken nisderfallsn! Sag ihr, daB du sis lisbst, Vsntidius, So halt sis still und schsnkt die Locksn dir! (1,619-620) Disss Grausamkeit, von den Umstshsndsn mit Erschfittsrung miter- lsbt, trfigt Thusnslda von dem Cherusksrflirstsn den GruB sinsr Heldin und das Lob sin, "groB und prachtig" gehandslt zu haben. Obwohl Thus- nslda in ihrem Dasein kaum als aktiver Mensch zu wertsn ist, so zeigt sis dsnnoch dis ffir Kleists Frauengestalten typischs Ffihigkeit, sich in einer Welt vollsr Wirrnisss und Widersprfichs zu behaupten. So skizzenhaft sich die Darstellung dss jeweiligsn Wirklichkeits- ausschnittss im Werke auch erweist, es handelt sich um sins realistisch srscheinends Umwelt von vorwisgsnd funktionalsr Bedeutung, dis dsr dich- terischen Handlung angspaBt ist. Eine Vislzahl von Daseinssituationsn srffihrt einen zuffilligsn oder auch schicksalhaftsn Einbruch, durch den 68 Kleists Frauengestalten sinsr Konfrontation mit dsr Gesellschaft ausge- setzt werdsn. Trotz ihrer durch Tradition und Konvsntion bsschrfinkten Position beweisen Kleists Protagonistinnsn, daB sis dis Ffihigksit be- sitzen, dis ihnen aufgszwungsns passive stsnssinstsllung zu fiberwin- den. Durch ihre eigene Initiative sind sis in dsr Lage, sich in einer Welt zu behaupten, in welcher dsr Entfaltungsmfiglichksit dsr Frau nicht nur fssts Grsnzsn gssstzt sind, sondern wo ihrs Ffihigksit dss sslb- standigsn Denkens und Handslns sogar angszwsifslt wird. Dennoch ist es dis Frauengestalt, dis sich dsr Gsbrechlichksit dsr Welt anzupasssn versteht, dsr gsnfigend Besonnenheit und Klugheit gsgsbsn scheint, den Menschsn zu seiner kfiniglichsn Existsnz auf dieser Erds, zu sinsm friedlicheren Dasein, zurfickzuffihren. Da ringt dis Marquise sich zu einer Entscheidung durch, dis ihre Bereitschaft zur Selbstaufopferung zum Wohls ihres Kindss gsnauso demonstrisrt wie Tonis Entschlosssnhsit, ihre Bindung an Eltsrnhaus und Rasss zur Rettung Gustave aufzqufern. Auch das Erwachsn von Eves SelbstbswuBtssin, Psnthssilsas Loslfisung aus dsn Fssssln einer vsraltstsn Staatsform und die Erweckung von Thusnsl- das Nationalgeffihl srweissn sich als dichterische Darstellungsn eines Entwicklungsprozssses beim Weibs, dsr mit dem srstsn gewaltsamsn Dassinssinbruch bsginnt und bis zur Erlangung einer hfiheren BswuBt- ssinslags rsicht. Hisr ergibt sich dsr Eindruck, dsr Dichter habe dis- ssn Entfaltungsprozsss zur Funktion dsr Frau in seinem Werk erhoben. Durch das Beispiel ihrer Dsnk- und Verhaltensweise scheint Kleist dis Notwsndigksit dsr Einsstzung eines neuen Wertsystems aufzuzsigsn, das bei dsr Beurtsilung dsr gesellschaftlichen Umwelt vor Fshlurtsilsn schfitzsn soll. 111. Die Frau in ihrer wsssnssigenen Beziehung zum andern Geschlecht 1. Wesen und Bestimmung dsr Frau 1mmsr wisdsr wurds dsr Versuch untsrnommsn, die Frau als einen vom Manns wsssnsvsrschisdsnsn Typus zu erfasssn. Man bemfihts sich vor allsm, naturgegebsns biologische Unterschisds zwischen Mann und Frau als Bswsisgrfinds ffir dis Behauptung aufzuffihrsn, daB das weiblichs Gs- schlscht dem mfinnlichsn untsrlsgsn ssi. Gsffihl und Empfindung, Denken nach dsr Logik dss Herzens, Hegen und Pflsgsn, Sorgsn und Bswahrsn als typischs Bedfirfnisss dsr Frau wurdsn dem Zwsckhandeln und rationalen Denken dss Mannss, ssinsmflUntsrnshmungsgsist, seinem Ernsusrn, Wagsn und seiner Erfindsrgabs gsgsnfibergsstellt. Zwsifellos kam es bei dis- ssn Bsmfihungsn oft zu Flachhsitsn und Halbwahrhsitsn. Vsrwschslungsn gsschichtlichsr Einzslzfigs mit Wesensmerkmalsn untsrlisfsn. Ebenfalls wurds fibersshsn, daB dis aufgsffihrten Eigsnartsn neben den naturge- gebsnsn biologischsn Unterschisdsn zusfitzlich durch geschichtlichs, besonders absr durch sozials Bsdingungsn beeinfluBt wurdsn, die sich als ausschlaggsbsnd fiir dis Festlegung dsr Rolls von Frau und Mann aus- wirkten. Auf dieser Rollsnvsrtsilung absr baute sich auch zu Kleists Lebzsitsn sowohl das sozials als auch das kulturslls Leben dsr mensch- lichen Gesellschaft auf.43 Obwohl dis vislseitigsn Ideen, die wfihrsnd dss gssamtsn 18. Jahrb hundsrts aufgetaucht warsn, einen befrsisnd wirkendsn EinfluB auf das Leben und Denken dsr Msnschhsit ausfibtsn, schisn man um die Jahrhundert- wsnds bsi dsr Beurtsilung dss Wesens und dsr Bestimmung dsr Frau such 69 7O wsitsrhin an dem Gedanken festzuhalten, daB sis von Gott ffir dsn Mann gsschaffsn wurds, dem sis in jsder Hinsicht untsrtan ssi. Trotz wie- dsrholtsr Bsstrsbungsn, dsr Verbindung zwischen Mann und Frau sinsn hfihsrsn Wsrt zu gsbsn und somit das Msnschsntum und die Wsiblichkeit dsr Frau zu vsrtisfsn, vsrfindsrts sich nur wenig.44 Das hfiuslichs Waltsn dsr Frauen und Tfichtsr galt immer noch als ihre schfinsts Bestim- mung. Rscht und Sitts sichsrtsn den Vfitsrn, Gattsn und Brfidern auch wsitsrhin dis unbedingte Autoritfit fiber dis weiblichen Angshfirigsn dsr Familie.45 Die Partnsrwahl ffir dis Ehe wurds gewfihnlich von den Eltsrn nach sozialen und wirtschaftlichen Kriterien gstroffen. Dis Liebe spielts dabei nur sins gsrings Rolls. Manner hsiratstsn in fortgs- schrittsnsm Alter; Madchsn dagsgsn wurdsn sshr jung in dis Ehe gegeben. Wegsn dsr groBen Stsrblichksit dsr Frauen sollte sins frfihs Heirat dis Gswfihr einer ausrsichsndsn Kinderzahl bieten. Der Fortbsstand dsr Fa- milie muBte gssichsrt sein.46 Das shslichs Verhaltnis zwischen Mann und Frau war keineswegs durch sins Ubsrsinetimmung dsr Gsmfitsr gskenn- zsichnst. Es handslts sich lediglich um sin Institut zur Wahrnshmung dsr hauslichsn und sozialen Pflichten, nicht um sin shslichss Vsr- hfiltnis mit srotischer Zunsigung, sondern um einen distanzisrt frsund- lichen Umgang. Noch Anfang dss 19. Jahrhunderts wurds dis Ehsfrau dar- fibsr bslehrt: Von dsinsm Mann kannst du nur vsrlangsn, daB er dich hoch- schfitzs: sr absr darf mit Recht von dir vsrlangsn, daB du ihn vsrshrst. Er ist das Haupt dsr Familie und grfindst sis, du bist bloB das Werkzeug, durch das er sis grfindet.47 Dem Mann, dsr als Familisnobsrhaupt auch wsitsrhin mit fast unumschrfink- tsr Autoritfit hsrrschts, muBts auch von dsr Ehsfrau und den Kindsrn gs- nauso wis vom Personal dsr notwsndige Rsspekt sntgsgengsbracht werdsn. 71 Das Verhaltsn auf den Gsbistsn dsr Liebe, Ehe und Ssxualitfit, auch das Verhfiltnis zwischen Eltsrn und Kindsrn wurds von den altsn Grundsfitzsn dss patriarchalischsn Gsssllschaftssystem bestimmt.48 Sowohl dis Beechrfinkung auf das Wirken im hfiuslichsn Kreiss als auch dis Sichsrung dss Fortbsstandss dsr Familie mit sinsr ausrsichsn- dsn Anzahl von Kindsrn und deren Erziehung schisnsn auch ffir Heinrich von Kleist als Bestimmung dss weiblichen Geschlechts zu gelten. Ubsr dis "wahrs Aufklfirung dss Weibes und die einzige Philosophis, dis ihr anstsht" ffihrts er seiner Braut Wilhelmins von Zengs gsgsnfibsr aus: Deins Bestimmung, liebe Freundin, oder fibsrhaupt dis Bestim- mung dse Weibes ist wohl unzwsifelhaft und unvsrkennbar: denn welchs andsrs kann es sein, als disss, Mutter EB werdsn, und der Erds tugsndhafts Menschsn zu srzishsn? (11,318) Ebsnso lfiBt Kleist ksins Zwsifsl darfibsr aufkommsn, daB auch sr dis Frau ale dem Manns untsrgeordnst sinstuft, wenn sr seiner Schwester vorhfilt: Kannst Du dich dem allgemeinen Schicksal Deinss Gsschlschts sntzishsn, das nun sinmal seiner Natur nach dis zweits Stelle in dsr Reihe dsr Wesen beklsidst? (11,493) Dis Ides, Ulrike kfinnts wirklich srnsthaft dsn Wunsch hsgsn, shslos zu blsibsn und somit "frei und unabhangig" zu lsbsn, lshnts er als einen hfichst unrsifen Gedanken ab. Er vsrwies auf die physischs Uberlsgen— hsit dss Mannss, die es dsr Frau srst srmfiglicht, ihr stsnsschicksal zu msistsrn. "Nicht einen Zaun, nicht einen lsbsndsn Grabsn" kfinnte sis seiner Meinung nach ohne eines Mannss Hilfe fiberschrsitsn. Wis sollte sis ss daher wagsn dfirfen, "allein fiber dis Hfihen und fiber dis Abgrfinds dss stsns" zu wandeln? Im Hinblick auf Ulrikss EntschluB, dis Welt zu bsrsissn, ffihrts sr aus: 72 Ist ss auf Rsisen, daB man Geliebte suchet und findet? Ist ss dort wo man dis Pflichtsn dsr Gattin und dsr Mutter am zweckmfiBigetsn erflillt? Oder willst Du endlich wenn Dir auch das Rsissn.fibsrdnfissig ist, zurfickkshrsn, wenn nun dis Blfits Deinsr Jahre dahingewslkt ist, und srwartsn, ob sin Mann ph11030phisch gsnug denks, Dich dsnnoch zu heiraten? Soll sr Wsiblichkeit von einem Wsibs srwartsn, deren Geschaft ss wfihrend ihrer Rsiss war, sis zu untsrdrficken? (11.492) Mit dsr tatsachlichsn Ausffihrung disses Planes wfirds sis sich seiner Meinung nach ihrer "hfichsten Bestimmung", ihrer "heiligstsn Pflicht, dsr srhabsnsten Wfirds, zu welcher sin Weib smporsteigsn" kfinns, sntzis- hsn. Disss Bestimmung absr ssi das einzige Glfick, das ihr das Leben zu bieten habe: Ehefrau und Mutter zu werdsn. Aus diesem Grunde betonts sr: Und wenn Madchsn wie Du sich dsr heiligen Pflicht Mfittsr und Erzisherinnen dss Msnschsngeschlschts zu werdsn, sntzishsn, was soll aus dsr Nachkommenschaft werdsn? Soll dis Sorge ffir kfinftigs Gsschlschtsr nur dsr Uppigkeit feilsr oder sitlsr Dirnsn fiberlasssn sein? Oder ist sis nicht vielmehr sine heilige Vsrpflichtung tugsndhaftsr Madchsn? (11,493) Ulrike schisn absr doch rscht zu bshaltsn mit der Behauptung, ihr Leben als Frau ssi "unauflfislich" an die Konvsntionsn dsr Gesellschaft gsbundsn, da man "oft an den gemsinstsn Vorurteilsn" klsbs, wfihrsnd dis Manner allein die "unsingeschrankte Freiheit dss Willsns" bssfiBsn. (11,491) 2. Ehe und Liebe Dis meisten AuBsrungsn Kleists, dis als allgemeine Anschauungen dss Dichters fiber Wesen und Bestimmung dsr Frau, fiber Ehe und Liebe zu wsrten sind, lasssn sich durch dis Briefs an seine Braut aufzsigsn. In vfilligsr ZweckmaBigkeit geht es ihm darum, Wilhelmins sin mfiglichst vollkommense Bild jsnsr Frauengestalt vor Augen zu ffihrsn, dis sr sich 73 selbst als seine stenspartnsrin wfinscht. "Vertrauen und Achtung" bezeichnet sr hier als "dis beidsn unzsrtrsnnlichsn Grundpfsilsr dsr Liebe," dis sis bsids "sdlsr und bssssr" machen soll. (11,503) Unwanp dslbarss Vertrauen und grfiBts Offsnhsrzigksit, "wahrs Treus und wahrs Liebe" srwartst sr von ihr als Frau (11,502), deren Verhaltsn er von Gsffihl, Empfindsn und einer Dsnkwsiss abhangig macht, die dsr Logik dss Herzens statt dsr dss Vsrstandss oder dsr Vernunft gshorchs. "Glfick- lich, glficklich, Wilhelmins, mfichts ich gsrn werdsn" (11,504), betont Kleist, und sr fordsrt dis Braut dazu auf, ebenfalls stwaigs Wfinsche fiber dsn gsmsinsamsn stsnswsg offsn auszusprschsn. (11,504-505) Um Wilhelmins flir dis Ehe zu bilden, gibt er ihr Denkfibungsn auf, die vorwisgsnd Themsn dss Ehslsbens behandsln, wie zum Beispiel: wel- cher von zwsi Ehslsutsn wohl "am meisten bei dem ffifihersn Tods dss an- dern vsrlisrt." Man sollte annehmen dfirfsn, daB hier sins Verbindung gleichberechtigtsr Partner bsschrisbsn wird, weil Kleist hsrvorhsbt, daB "jsder ffir den andern tut, was er seiner Natur nach vermag." Er folgsrt jsdoch, da "dsr Mann unendlich mshr empffingt, als die Frau, er auch unendlich mshr bei dem Tods dsrsslben vsrlisrsn mfisss, ale dis Frau bei dem Tods ihres Mannss." (11,506-507) Der Grund zu dieser Folgsrung liegt in dsr Kleistschsn Unterschsidung dsr Bestimmung dsr Menschsn. Der Mann wird nicht nur in seiner Stellung als Gatts seiner Frau gesehen. Er hat dansben auch noch ssinsn Vsrpflichtungsn als Bfirgsr dss Staates nachzukommsn. Dagsgsn wird die Frau lediglich als dis Frau ihres Ehemannss betrachtet, dis ksins andern Vsrpflichtungsn zu erffillsn hat ale dis ihrem Gattsn gsgsnfibsr. Wfihrsnd also das Glfick dss Mannss "dsr einzige ngsnstand dsr Frau" ist, so ist das Glfick dsr Frau "absr nicht dsr einzige ngsnstand dss Mannss . . . . Der Mann 74 ist nicht mit allsn ssinsn Krfiftsn fiir seine Frau tatig, sr gshfirt ihr nicht ganz, nicht ihr allein, denn dis Welt macht Ansprfichs auf ihn und seine Krfifts: dis Frau hingsgsn ist mit ihrer ganzen Sssls ffir'ihrsn Mann tfitig . . ." (11,507). Damit ist sin scharfsr Trennstrich zwi- schen dsn stene- und Wirkungsbsrsichsn dss Mannss und der Frau gszs- gen. Kleist scheint hier eindeutig an jsnsn Konvsntionsn festzuhalten, dis dem Manns einen wsitsn Arbsitsbsreich zugsstshsn, dis Frau hingsgsn in dis Engs und Einssitigksit ihres Haushalts verweissn, wo sis sich auf die Betrsuung dss Mannss, auf die Pflichtsn dsr Haushaltsffihrung und Kindsrsrzishung konzentrisrsn soll. Die Welt auBsrhalb disses Wir- kungsbsrsiches scheint ihr also auch nach Ansicht dss Dichters unzu- gfinglich zu sein. Eigens Intersessn und Wfinschs werdsn dsr Frau nicht zuerkannt, und Kleist betont: "die Frau ist schon glficklich, wenn es dsr Mann nur ist, dsr Mann nicht immer, wenn ss dis Frau ist, und die Frau muB ihn srst glficklich machen." (11,508) Demnach liegt also selbst dsr Erfolg einer Ehe und dss shelichsn Glficks lediglich bei der Frau. Was srhalt dis Frau nun als Gegenleistung ffir dis Erffillung dieser ihr auferlsgtsn Pflichtsn? Kleist lfiBt keinen Zwsifsl darfibsr aufkom- msn, daB seiner Meinung nach . . . dis Frau, in dsr Erffillung dsr Hauptpflichtsn ihres Mannss, nichts smpffingt, als Schutz gsgsn Angriffs auf Ehrs und Sichsrheit, und Unterhalt ffir dis Bsdfirfnises ihres Lebens, dsr Mann hingsgsn, in dsr Erffillung dsr Hauptpflich- tsn seiner Frau, dis ganze Summs seines hfiuslichen, das hsiBt fibsrhaupt, alles Glfickss von ihr empffingt; . . . und daB also das Glfick dss Mannss sigsntlich dsr Hauptgsgenstand dss Bs- strsbsns beidsr Ehelsuts ist. Aus dsr Vsrglsichung dieser Sfitzs bsstimmt nun dis Urteilskraft, daB dsr Mann bei weitem, 3a unendlich mshr von seiner Frau smpffingt, als dis Frau von ihrem Manns. (11,506-507) 75 Daraus ergibt sich flir Kleist, daB dsr Mann beim frfihsren Tods seiner Frau alles Glfick vsrlisrt. Dis Frau scheint dagsgsn bei seinem frfih- zsitigsn Ablsben nichts sinzubfiBen, da Schutz und Sichsrheit ihr durch Gssstz und Staat, visllsicht auch durch vsrwandts Psrsonsn gsbotsn werdsn. Der Unterhalt wars durch seine Hinterlassenschaft sicherge— stellt. Aber wie will die Frau dem Manns hintsrlasssn, was sr bei ihrem Tods vsrlisrt? Er vsrlisrt die [sic] ganze Inbegriff ssi- nse irdischsn Glfickss, ihm ist, mit dsr Frau, dis Quslls alles Glfickes vsrsisgt, ihm fehlt alles, wenn ihm sine Frau fehlt, und alles, was dis Frau ihm hintsrlasssn kann, ist das wehmfi- tigs Andsnken an sin shemaliges Glfick, das ssinsn Zustand noch um e0 traurigsr macht. (11,508) Dis Hauptpflicht dsr vsrhsirateten Frau bssteht also darin, das irdi- schs Glfick ihres Gattsn zu sichern. Von ihr verlangt Kleist dis voll- kommens Selbstaufopferung, dis Aufgabe sigsnsr Wfinsche, indem sr ihr nicht nur das Recht, sondern sogar das Bsdfirfnis eines eigenen, psrsfin- lichen Glficksgsffihle abspricht. Allsin von ihrem Wesen, von dsr ihr als Frau angsborensn Eigsnschaft, andsrs zu vsrsorgen und zu beglficksn, "mit ihrer ganzen Sssls fiir dsn Mann" tfitig zu sein, lsitet dsr Dichter dis Vsrpflichtung her, daB sis allein dis Ehe glficklich zu gsstaltsn habe. Damit sntstshen dsr Frau aus dieser shelichsn Verbindung ledig- lich Pflichtsn und ksins Rschts. Den Mann absr srwartst in dsr Ehe das vollste Glfick. Dis Ahnlichksit zwischen den hier zum Ausdruck kommsnden Gedanken Kleists und den Ansichtsn Fichtes fiber dis Beziehung von Mann und Frau, wie sis in seinem "System dsr Sittenlshrs" von 1798 erscheinen, ist bsmsrksnswsrt. Als dsn antralgsdanksn Fichtes zum Thema Liebe be— zeichnet Kluckhohn dis Auffassung, daB dis Wfirds dss Weibes und das Wesen dsr weiblichen Liebe in dsr vollkommensn und sich vfillig 76 untsrordnsndsn Hingabe an den gelisbten Mann beruhe. Disser Auffassung liege die Erkenntnis von der Vsrschisdsnhsit mfinnlichsr und weiblichsr Liebe zugrunds. Und Kluckhohn hebt hervor, daB dis Behandlung dieser Frags um die Jahrhundertwsnds mit groBsm Interesse vsrfolgt wurds.49 Man sollte daher annehmen dfirfsn, daB auch Kleist an einer solchsn Diskussion intersssiert war, da er sich Anfang dss Jahrss 1800 mit Wilhelmins von Zengs vsrlobts. Seine wichtigsten AuBsrungsn.fibsr dis Frau stammsn vorwisgsnd aus den Jahrsn 1799 bis 1802. Das Vsrlfibnis mit dsr Braut lfiste sr bskanntlich mit seinem Brief vom 20. Mai 1802. (11,725-726) In dsr von Kluckhohn beschriebsnsn Aussinandsrsstzung geht es um zwsi vsrschiedsns Ansichtsn. Auf dsr einen Seite wird dis Liebe im wesentlichen als sinnlichs Leidenschaft aufgefaBt, wobsi dem Manns dis starksrs Sinnlichksit zugestanden wird. Dis weiblichs Liebe, dis srst durch dis Lisbs dss Mannss srweckt werde, bestehs daher nur in Gegen- lisbs. Dis andsrs Ansicht hebt dagsgsn dsn seelischsn Wert dsr Liebe hsrvor. Man msints, in dsr Frau dis grfiBsrs Fahigksit zu restlos hin- gebendsr Liebe zu finden. Obwohl Fichte sich nach Kluckhohns Ansicht auf die lstzters Seite gestellt habe, ssi er jsdoch in dsr Hsrleitung aller Unterschisds mfinnlicher und weiblichsr Liebessmpfindung wiederum auf das physischs Vsrhalten dsr Geschlechtsr im Zeugungsakts verfallsn. Darin werds das weiblichs Geschlecht nur als lsidsnd betrachtet, das mannlichs dagsgsn als allein tatig. Auch Kleist bezeichnet Wilhelmins gsgsnfiber ihr Geschlecht als sin lsidsndss. (11,692) An dieesm‘Untsr- schisd zsige sich, daB dis Befrisdigung dss Gsschlschtstriebes dsr Zweck allein ffir das mfinnlichs Geschlecht ssi. Daher kfinns sich das Weib nur aus dem Trieb hingsbsn, den Trieb dss Mannss zu befrisdigsn 77 und nicht dsn eigenen. Dis weiblichs Liebe werds somit von Fichte als dsr Naturtrisb dsr Frau bezeichnet, einen Mann zu bsfrisdigen. 1m Many ns dagsgsn gsbe ss ursprfinglich nur dsn Gsschlschtstrisb. Dis Liebe sntwickels sich srst durch dis Ehe. Indem dis Frau sich vfillig auf den Mann sinstslls, sich sozusagen zum Mittsl ffir dsn Zweck dss Mannss machs, gsbe sis ihre Persfinlichksit auf, was jsdoch aus Liebe, aus Hin- gabe geschehs. Weil nun dis Frau in ihrer Liebe zum Manns und in dsr Ehe ihre Persfinlichksit aufgebs, fordsre ihre eigene Ehrs dis vfillig unbegrsnzte Unterwsrfung unter dsn Willsn dss Mannss.50 Auch Kleist srwartst von der Frau in dsr Ehe vfilligs Selbstaufopferung und Unsigenv nfitzigksit in ihrem Verhalten. (11,624) Sis ist such seiner Ansicht nach "mit ihrer ganzen Sesls flir ihren Mann tatig" (11,507) und preise sich schon glficklich, wenn es ihr gelungsn ssi, dsn Mann glficklich zu machen. Sollts dis Verbindung zwischen Mann und Frau jsdoch auseinanr derbrschsn oder, wie er an seine Braut schreibt, "wenn ich doch jemals mein Herz Dir sntzfigs, Dir selbst, nicht mir, wfirdest Du die Schuld zuzuschrsiben haben." (11,631) Die Ansicht Fichtes, daB Mann und Frau unvsrheiratet nur zur Halfts Mensch ssien, daB sis srst durch die Ehe vollkommen wfirden, stellt zugleich die Gleichwsrtigkeit und gsgsnssitigs notwsndige Ergan- zung dsr Gsschlschtsr heraus, dagsgsn nicht dis Glsichartigkeit dsr Gsschlschtsr. Es heiBt, Fichte habe sich daflir ausgesprochsn, daB dem weiblichen Geschlecht wie dem mfinnlichsn alle Menschsn? und Bfirgerrsch— ts zustfindsn. Er habe jsdoch zugleich dis Frags srhobsn, ob dis Frau disss Rschts wirklich ausfibsn wolls, da sis ja in jugsndlichsm Alter unter dsr Gswalt dss Vatsrs stands, nsch dsr Verhsiratung absr dsr Ehemann dsr Vsrwaltsr ihrer Rschts ssi. Wohl habe dieser sich mit ihr 78 zu beratsn, bsvor er such in ihrem Namen seine Stimms in 0ffsntlichen Angslegsnheitsn abgsbs, also sozusagen ffir sis mitstimms. Allsin Wit- wen sollte man als selbstfindig srklarsn und ihnen alle bfirgsrlichsn Rschts zugestehsn, dis dsn Mannsrn gsgsbsn ssien. Trotz dieser Gleich— stsllung mit dem Mann dfirfe dis Frau jsdoch ksins 0ffsntlichsn Amtsr vsrwaltsn, da Bsamts frei sein mfiBtsn, um ihren vsrantwortungsvollsn Postsn auszuffillsn. Dis Frau kfinns Jsdoch srnsut hsiratsn und ssi dann nicht mshr frei, da sis sich ihrem Manns untsrwsrfe. Dis srfordsrli— chs Freiheit wfirds dann absr einen VsrstoB gsgsn ihre weiblichs Wfirds bsdsuten.51 Kluckhohn wsist darauf hin, daB dis idealistischs Ehsauffassung auf disss Weiss bei Fichte zu dem altsn patriarchalischsn Ehsidsal zurfickgs— langs. Trotz dsr Ansrksnnung dsr Einhsit von Liebe und Ehe liege damit Fichtes Gedanken doch die Anschauung von einem schroffsn Dualismus von geschlschtlichsr und sigsntlicher Liebe zugrunds. Andrsrssits habe Fichte dis Bedeutung dsr Ehe flir dis sittlichs Psrsfinlichksit srkannt, wie ss vorher nis gsschehsn ssi. Er habe dis unverhsiratets Person nur zur Halfts als einen Menschsn gesehen. Dis sdslsten Seitsn dss mensch- lichen Charaktere absr kfinnten nur in dsr Ehe susgebildst werdsn. Zwar wars ss unmfiglich, sin Pflichtgebot zur Ehe aufzustsllen, da dis Liebe sich nicht gebistsn lasss. Allsrdings ssi dsr gsfaBts Vorsatz, sich nis zu vsrshslichsn, unbedingt pflichtwidrig.52 Ernsut schsinen hier Kleists Worte aufzutauchsn, wie sr sis in den Vorwfirfsn seiner Schwe— ster Ulrike gsgsnfibsr bsnutzts, als sr betonts, sis sntzishs sich ihrer "hfichstsn Bestimmung," ihrer "heiligstsn Pflicht, dsr srhabsnsten Wfir— ds, zu welcher sin Weib smporsteigsn" (11,493) kfinns, sollte sis dsn EntschluB, sich nicht zu vsrmahlen, tatsachlich ausffihrsn. 79 Die Frags, ob Kleist sich dsn vorhsrrschsndsn Auffassungsn.fibsr Wsssn und Bestimmung dsr Frau, fiber Liebe und Ehe, angeschloessn habe, ob sr hauptsfichlich auf Ideen dsr Aufklfirung, auf Gedanken Fichtes, Rousseaus oder Wislands zurfickgegriffsn habe oder, wie Kayka ausffihrt, visllsicht von seinem Namsnsvetter Franz von Kleist beeinfluBt war,53 ist allerdings flir dis vorliegends Untersuchung von gsringer Bedeutung und soll daher nicht weiter vsrfolgt werdsn. Es sollte lediglich herb susgsstellt werdsn, daB Kleist am Anfang des 19. Jahrhunderts mit ssi- nsn Ansichtsn keineswegs allein dastand und aus diesem Grunds vom Stand- punkt dss 20. Jahrhunderts her nicht als vfilligsr AuBsnssiter vsrur- teilt werdsn darf. Als wesentlich wichtiger erweist sich dagsgsn dis Beantwortung dsr Frags, ob alle Frauengestalten in Kleists Leben und Werk, ssi se als Ehefrau oder Geliebte, als Mutter, Tochter, Schwester oder Freundin, dis ihnen zugewiesenen Rollsn ihrer Bestimmung gemfiB und den Ansichtsn dss Dichters sntsprschsnd srflillsn. 3. Frauen __u_m Kleist Leidsr ist es bei Kleist nicht wis bei Goethe mfiglich, jsde Stufs seines gsistigsn Fortschritts und seiner Psrsfinlichksitesntfaltung in Zusammsnhang mit seinem eigenen Frauenerleben an Hand dss dichterischen Werkes zu vsrfolgen. Auch seine Briefs gsbsn nur ungsnfigsnd AufschluB fiber seine Bszishungsn zu den Frauen seiner Umgsbung. Allsrdings lfiBt sich die Tatsachs nicht bsstrsitsn, daB trotz vsrschiedsnsr Freund- schaftsn mit Mannsrn (es ssien nur Ernst von Pfusl, Rfihls von Lilisnr stern, Ludwig von Brockss und Adam Mfillsr gsnannt), dis Bszishungsn zu Frauen dsn nachhaltigstsn EinfluB auf den Dichter ausfibtsn. Schon dsr srste srhaltsns Brief, dsr an die Tants Massow gsrichtst ist, lfiBt dis 80 Tisfs dss Geffihls im Andenksn an die vsrstorbsns Mutter vsrspfirsn. (11,465) Dis Verbindung mit der Tante beschrfinkts sich vorwisgsnd auf sin Vsrhfiltnis vsrwandtschaftlichsr Ffirsorgs, da sis dsn sltsrnlossn Haushalt in Frankfurt wsitsrffihrts. Dis srste bskannts Jugsndlisbs zu Louise von Lincksrsdorf, dis wahrscheinlich in die Berliner Garnisons- zsit fisl, scheint jsdoch von groBer Bedeutung ffir'Klsist gswsssn zu sein. Kayka msint, Kleist werds schon 1792 als GsfreitsrbKorporal das jungs Madchsn ksnnsngslsrnt und von ferns vsrshrt haben. Als sr dann 1795 in dis Garnison zurfickgskshrt ssi, kfinnte sich sin zartsr, schwfirb msrischsr Vsrkehr zwischen dsn kindlich Vsrlisbtsn angssponnsn haben, sin Vsrhfiltnis, das visllsicht dem fiden Garnisonslsbsn einen frsund- lichen Zaubsr vsrlishsn habe.54 Semela dagsgsn bshauptst, dsr Ton von Kleists Brisfsn an Wilhel- mins bis zum Antritt dsr Wfirzburgsr Rsiss vsrlsits zu dsr sicheren Annahms, daB Kleist dis Frau bis zu diesem Zeitpunkt erotisch noch gar nicht erlebt habe. Der 23-Jahrigs ssi sselisch noch nicht so weit gersift gswsssn, "um sin wirklich srlsbnishaftss Gsffihl ffir sins Frau zu smpfindsn."55 Disssr Behauptung widsrspricht jsdoch nach Kleists sigsnsr Aussags die Erinnsrung an Louise bei seiner Abrsiss von Berlin. Wenn dsr Anblick eines jungsn Madchsns am anstsr ihres Eltsrnhausss noch Jahre epfitsr beim'Vonfibsrfahrsn lsbhafts Geffihls in ihm srweckt, wenn er immer noch mit Begsisterung an vsrgangsns Freuden zurfickdsnkt, so sollte man hier doch schon von einem Erlsbsn dsr Frau sprechen dfira fsn. (11,535) Disses Vsrhfiltnis zu Louise muB meiner Meinung nach in seinem Frauenerleben als sin srstes BswuBtwsrdsn ssinsr selbst gesehen werdsn, fiberstrahlt von dem Glanz dsr srstsn Liebe, als sins neue 81 stsnsphass, auf die er selbst zurfickwsist, als Wilhelmins von einer neuen Epochs spricht, dis ffir sis bsgonnsn habe. --Lisbs Wilhelmins! Soll ich Dir gsstshsn, daB ich mich oft schon, sinnsnd, mit Ernst und Wehmut fragts, warum sis nicht schon lfingst singstrstsn war? So viels Erfahrungsn hattsn dis Wahrheit mir bestatigt, daB dis Liebe immer unglaublichs Vsrb findsrungsn in dem Menschsn hervorbringt; ich habe schwachs Jfinglings durch dis Liebe stark werdsn sshsn, rohs ganz weich- herzig, unempfindlichs ganz zfirtlich; Jfinglings, dis durch Erziehung und Schicksal ganz vsrnachlfissigt warsn, wurdsn fsin, gesittst, sdsl, frei; . . . (11,611) Dsrsrtigs Verandsrungsn hatts Kleist an sich selbst srfahren, Vsrfinds— rungsn, dis durch Louise von Lincksrsdorf in sein Leben Eingang gefun- dsn hattsn. Nsbsn dieser Jugsndlisbs gab es nur visr Frauen, dis sins bsdsutsams Rolls in Kleists Leben spieltsn: seine Vsrlobts Wilhelmins von Zengs, ssins Stisfschwsstsr Ulrike, Maris von Kleist als sinfluB- rsichsts Freundin und schlisBlich dis Todssgsffihrtin Henriette Vogsl. 3.1. Wilhelmins von Zengs Wis sshr dis gsistigs Planung in allsm vorhsrrschsnd war, was Kleist als Liebe bszsichnsts, hebt Semela im Hinblick auf das Verhalt- nis zwischen dsn Verlobten hervor, besonders absr in bszug auf das An- fangsstadium dieser Verbindung. Es handsls sich seiner Meinung nach bsi Kleists Lisbesauffassung um ksins Totalitfit, dis ihren Zweck in sich finds, sondern dis Lisbs habe ffir ihn nur die Bedeutung sinsr Durchgangsstation auf dem ng zu einem hfihersn Ziel. Dis Hauptaufgabs dsr Lisbs absr ssi dis Vsrvollkommnung dss Menschsn.56 So schreibt dsr Dichter nach sbsn srfolgtsr Verlobung an Wilhelmins: Edler und besssr sollsn wir durch dis Liebe werdsn, und wenn wir disssn Zweck nicht srreichsn, Wilhelmins, so mtisrstshen wir uns. Lassen Sie uns daher immer mit sanftsr menschen- freundlichsr Strengs fiber unssr gsgsnssitigss Betragen wachsn . . . Fahrsn Sis wenigstsns fort, sich immer so zu bstragsn, daB ich mein hfichstss Glfick in Ihrs Liebe und in Ihrs Achtung sstzs: dann werdsn sich alle dis gutsn Eindrficks, von denen 82 Sis visllsicht nichts ahndsn, und die ich Ihnsn dsnnoch innig und hsrzlich danke, verd0ppsln und vsrdreifachsn. -- Daffir will ich denn such an Ihrer Bildung arbsitsn, Wilhel- mins, und den Wert dss Mfidchsns, das ich liebe, immer noch mshr vsrsdlen und srhfihsn. (11,503) Dis wahrs Natur dsr Frau, ihr Gsffihl, ihr Herz, ihre "himmliechs Gfits," glaubt Kleist durch dis Einflfisss dsr Gesellschaft, durch "Vor- schriftsn ffir Misnsn und Gsbfirdsn und Wortsn und Handlungsn" (11,660- 661) kfinstlich vsrfindert und in unnatfirlichs Bahnsn gsdrfingt. Durch Er- ziehung und hsrkfimmlichs Ansichtsn wfirds jswsils dis Entscheidung gs- troffsn, was als schicklich gelten konnts. So wars es zum Zeichsn dsr Sittlichksit gswordsn, kein "warmss Geffihl" zu zsigsn. Ganz besonders auf die Frauen habe sich die Ansicht ausgswirkt, sis dfirftsn "nur immer so visl ffihlen, als dsr Hof srlaubt, und ksins Menschsn mshr lisben, als dis franzfisischsn Gouvsrnantsn vorschrsiben." (11,660) Jens kfinst- lichs "kalte Krusts," mit dsr somit das Herz von Jugsnd an fibsrzogsn ssi, lasss das wahrs Wesen dsr Frau nicht mehr erkennen. Wilhelmins ffir dis Ehe auszubildsn, sieht Kleist daher als seine Aufgabe als Mann an, doch auszubilden nach seinem Sinn. Dsnn das ist nun sinmal mein Bsdfirfnis; und wars sin Madchsn such noch so vollkommen, ist sis fsrtig, so ist es nichts ffir mich. Ich selbst muB es mir formsn und ausbildsn, sonst ffirchts ich, geht es mir, wie mit dem Mundstfick an meiner Klarinstte. Dis kann man zu Dutzendsn auf dsr Mssss kaufen, absr wenn man sis braucht, so ist kein Ton rein. (11.549) Bildungs- und Erziehungsgsdanksn stehen also ffir Kleist im Vordsrgrund. Sis erscheinen ihm von auBerordsntlichsr Wichtigkeit, weil er in Wil- helmins in srstsr Linis dis zukfinftigs Mutter seiner Kinder sieht. Von ihr verlangt sr darum, sis solls den Gedanken wis einen diamantsnen Schild um ihrs Brust lsgsn, daB sis "zu einer Mutter gsborsn" ssi. Ssinen Ansichtsn fiber dis Bestimmung dsr Frau sntsprschsnd betont er: 83 Was kfinnts Dir sonst dis Erds ffir sin Ziel bieten, das nicht vsrachtungswfirdig wfirs? Sis hat nichts was Dir einen Wert gsbsn kann, wenn es nicht dis Bildung sdlsr Menschsn ist. Dahin richts Dsin hsiligstss Bestrsbsn! Das ist das einzige, was Dir dis Erds sinst vsrdanksn kann. Gshs nicht von ihr, wenn sis sich schfimsn mfiBts, Dich nutzlos durch sin Msnschsn- altsr gstragsn zu haben! (11,577) Kleist hat sins bestimmte Vorstellung im Sinn, wenn er von dsr gemsin- samsn Zukunft spricht. Er bshauptst, sr sshs "nichts, als sin sinzigss Bild--" Dich, Wilhelmins, und zu Dsinsn FfiBsn zwsi Kinder, und auf Dsinsm SchoBe sin drittss, und hfirs wie Du dsn . . . Eigensinn dss einen zu Standhaftigkeit, dsn Trotz dss an- dern zu Freimfitigksit, dis Schfichtsrnhsit dss drittsn zu Bsschsidsnhsit, und die Neugisrds aller zu WiBbegisrds um- zubildsn wsiBt, sshs, wie Du ohne visl zu plaudsrn, durch Bsispisle Gutss lshrst und wie Du ihnen in Dsinsm signen Bilds zsigst, was Tugend ist, und wie lisbsnswfirdig sis ist--Ist ss sin Wundsr, Wilhelmins, wenn ich ffir disss Empfindungen die Sprache nicht finden kann? (11,577) Tatsachlich war Kleist nicht in dsr Lage, zu Wilhelmins fiber ssins wahren Geffihls zu sprechen. Heptner behauptst sogar, es ssi ihm unmfig— lich gswssen, seine Unffihigksit zu lisben anzusrkennen. Aus diesem Grunds habe er dis Verantwortung flir dsn Erfolg ihrer Verbindung auf Wilhelmins abgeschobsn.57 Unbegrenztss Vertrauen und Aufopfsrungsbe— reitschaft vsrlangts sr von ihr. Da ihm sins shrsnvolls Rfickkshr in dis Hsimat vsrwehrt war, sollte sis sich von den Angshfirigsn trsnnen und ihm in sins ungswisss Zukunft in dis Schwsiz folgsn. Trotz seiner Bsrufung auf das Bibslzitat "Du sollst Vatsr und Mutter vsrlasssn und Deinem Manns anhangsn" (11,705), trotz seiner Fsststellung, daB sein Glaubs an sis noch nicht ins Wanksn gsratsn ssi, daB ihre Liebe, wenn as such ksins hohs Neigung ssi, ihn dsnnoch glficklich machen kfinns (11,704), ffihlts Wilhelmins sich diesem Opfer nicht gswachssn. Sis untsrnahm einen lstztsn Vsrsuch, dsn Verlobten umzustimmsn, ihn, 84 dsr monatslang nichts von sich hatts hfirsn lasssn, auch fiber ihr persfinlichss Ergshsn zu informisrsn. (11,721-723) Ubsr disses Schrsibsn gibt Semela folgsnds Stellungnahms: Disser Brief Wilhelminsns ist - wenn auch nur fiuBsrlich - sin schfirfstsr Gegensatz zum Kleistschrsiben. Aus jsdsr Zsils spricht sins smpfindsnds Frau. Eine hsimlichs Sehnsucht klingt in aller Zarthsit aus den schlichten Wortsn. Dis Art wie sis von Brudsr, von Schwester spricht, offsnbart reins mfittsrlichs Zfigs. Ein rsifes, stillss, traumsrisches Wesen, sbsnsovisl Mfidchen wie Frau. Wis srlsbt Kleist disss Tfins? Mit gswollt harten Wortsn behandslt sr Wilhelmins kalt. Ffir ihn gibt es kein Zurfick! Seinem Ehrgeiz muB sr lsbsn! Dsnn ist plfitzlich dis Kleistischs Sslbstbshsrrschung vorbsi, dis Wsichheit fibermannt ihn, dis Vsrzwsiflung fiber das Ends schrsit aus ihm heraus: "Lisbss Madchsn, schreibs mir nicht mshr. Ich habe keinen andern Wunsch als bald zu stsrbsn.58 Zwsifsl tauchsn bei Semela auf, ob Kleist Wilhelmins von Zengs wirklich lisbts. Sah er in ihr nur das Weib, dis zukfinftigs Mutter seiner Kins dsr, nicht absr dis Geliebte, an die sr sich durch schts Liebe gsfss— sslt ffihlts? War visllsicht das Fshlsn dsr inzwischen vsrstorbsnsn Mutter bei seiner Rfickkshr nach Frankfurt ausschlaggsbsnd gswsssn ffir seine Verlobung mit Wilhelmins, da er sich nach sinsm vsrstfindnisvol- len, weiblichen Herzen sshnts? 3.2. Ulrike von Kleist Ein ganz bssondsrss Vsrhfiltnis bestand zwischen Heinrich von Kleist und seiner Schwester Ulrike. Es scheint, als habe sis allein vsrmocht, ihm dis fshlsnds Mutter zu srsstzen, ihm durch sein gsnzss Leben hindurch mit Rat und Tat, vor allsm absr such mit finanzisllsr Hilfe zur Seite zu stehen. Nur ihr schisn er in seiner Familie zu trauen, denn sis allein schisn mit ihm gemeinsam Wegs zu gehen, dis nicht dsn gesellschaftlichen Konvsntionsn sntsprschsn. An Martini schrieb er fiber dis Schwester: "Sis ist die einzige von meiner Fami- 1is, dsr ich mich ganz anzuvsrtrauen schuldig bin, weil sis dis einzige 85 ist, die mich ganz vsrstshsn kann." (11,486) Ulrike gsgsnfibsr bekannts er in aller Offsnhsit: Wis lshrrsich und bildsnd Dsin Umgang mir ist, wie vielsn wahren Vorteil Deins Freundschaft mir gswfihrt, das schsus ich mich nicht, Dir offsnhsrzig mitzutsilsn; . . . Du, mein liebss Ulrikchen, srsstzsst mir dis schwer zu srsstzsnds und wahrlich Dich shrsnds Stelle meiner hochachtungswfirdigsn Frsunds zu Potsdam. Ich schsus mich such nicht Dir zu gs- stshsn, dsB dis Aussicht auf Deins Freundschaft, so sshr ich sonst andsrs Universitfitsn zu bsziehsn wfinschts, mich dsn- noch, wenigstsns zum Teil, bestimmte, meinen Aufsnthalt in Frankfurt zu wfihlen. (11,487) Es scheint also, als habe Kleist seine Schwester, vor allsm absr ihr Vsrstfindnis ffir seine Handlungsweise, dringsnd gsbraucht, um die tisf singrsifsndsn Verandsrungen in seinem Leben zu msistsrn. Sis be- dsutsts ffir ihn nicht stsnsinhalt, doch stsnshslt, sins Stfitze als Frau, als Gsffihrtin ffir dis Zukunft. 1n aller Ehrlichksit bekannts er: "Ich schfitzs Dich als das sdslsts dsr Madchsn, und liebe Dich, als dis, welchs mir Jstzt am tsusrsten ist. Wfirst Du sin Mann oder nicht msins Schwester, ich wfirds stolz sein, das Schicksal msinss ganzen stsns an das Dsinigs zu knfipfsn." (11,487/88). Hisr dnfickt dsr Dichter deutlich aus, wie sshr sr Ulrike ale Kamsrsdin flirs Leben schfitzts, wisvisl Wert er ihrem Wesen beimaB. Obwohl er nicht immer mit ihrer Verhaltensweise fibersinstimmts, betonts er, ". . . sin Tadsl - und selbst dsr lsisssts ist zu bitter ffir sin Wesen, das keinen andern Fshler hat, als disssn, zu groB zu sein ffir ihr Geschlecht." (11,677) Und trotzdsm, oder gsra- ds deshalb, weil er sis so schfitzts, wollte sr such in ihr dsn Wunsch nach Bildung srwecksn, um jsnss Streben nach Vsrvollkommnung such ihr _ zu ermfiglichsn. Traus mir zu, daB ss msins innigs Ubsrzsugung ist, auf wel- cher sich dss jstzt Folgende gnfindst. Bei so vielsn Ffihigksi— tsn, dis Dsinsn Verstand, bei so vielsn hsrrlichsn Tugendsn, dis Dsin Herz schmficksn, scheint es so lisblos und unsdsl 86 sins dunkls Ssits an Dir dsnnoch auszuspfirsn. Aber grade disss dunkls Seite, ist ksins unbsdsutends, gleichgfiltigs. Ich dsnks, sis wfirds Dsinsm Wesen dis Krone aufsstzsn, wenn sis im Lichts stfinds, und darum wfinschs ich, sis zu srhsllsn. Und wenn such das nicht wfirs,--wsnn jemand so nshe am Zisls steht, so vsrdisnt er schon allein um dsr ssltnsn Erschsinung willsn, daB man ihn ganz hinaufffihrs. (11,488) Er vsrlsngte von ihr, sis sollte sich sinsn Lebensplsn bilden und dann seiner Ausffihrung sntgsgsnstrsben. Dsffir mfiBts sis ihre Natur genau prfifsn und zu beurtsilsn vsrsuchen, wslchse morslischs Glfick ihr am angsmssssnstsn ssi. (11,491) Einsrssits strsbts Kleist also danach, Ulrike als Frau das Recht zuzusrksnnsn, ihren eigenen Weg zu gehen als freisr Mensch, ihren eigenen Lebensplsn aufzusstzsn, wenn sr bshauptst, daB sis als Frau gsnauso dsr Herrschaft ihrer signen Vernunft untsrwor- fsn ssi wis sin Mann. Andrsrssits hielt sr ihr jsdoch vor, dsB ss ihre "heiligsts Pflicht" ssi, gerade dis durch Konvsntionsn aufgestelltsn ngsln zu srffillen und sin vorgszsichnetes Leben als Frau, besonders absr als Mutter zu ffihrsn, da dsr Wsitsrbsstand dss Staates gssichsrt werdsn mfisss. Kleist srkannts dabei gar nicht, wie deutlich in ssinsn Argumentsn gsgsn Ulrikes stsnsstil dis konventionslls Einstellung dsr Gesellschaft seiner Zeit sichtbar wurds. Ulrike srwiss sich trotz ihres Gsschlschts unbedingt als dis Starksrs, ZislbswuBtsrs dsr Gsschwistsr. Sis vsrfolgts ihren Lebens- weg, wie sis selbst es ffir richtig hielt, nicht in Anpassung an die Ansichtsn dsr Gesellschaft. Der Brudsr mag sis um disss Ffihigksit bs- nsidst haben, da sr vollkommen abhfingig war von dem Urteil sndsrsr. An Adolfins von Wsrdsck schrieb er: . . . ss gibt nichts GroBss in dsr Welt, wozu Ulrike nicht fahig wars, sin sdlss, wsisss, groBmfitiges Madchsn, sins Heldsnsssls in einem Wsibsrkfirpsr, und ich mfiBts von allsm disssn nichts sein, wenn ich das nicht innig ffihlsn wollte. Aber - sin Mensch kann visl bssitzsn, visles gebsn, es laBt 87 sich doch nicht immer, wie Goethe sagt, an seinem Busen ruhsn - Sis ist sin Madchsn, das orthographisch schreibt und han- delt, nach dem Takts spielt und dsnkt, sin Wesen, das von dem Wsibs nichts hat, als dis Hfiftsn, und nis hat sis gsffihlt, wis sfiB sin Handsdruck ist - Aber sis mtisrstshsn mich doch nicht -? 0 ss gibt kein Wesen in dsr Welt, das ich so shre, wie msins Schwester. (11,675-676) Doch such Ulrike profitisrts von dem sngsn Vsrhfiltnis mit Heinrich. Was man sonst dsr allsinstshsndsn Frau nicht gsststtst hatts, srmfigr lichts dsr Brudsr ihr. Sis wurds nicht nur seine sngsts Vsrtrauts, ssi- ns vsrstandnisvolls Gsffihrtin flir das ganze Leben, sis wurds such ssi- ns Rsissbsgleiterin. Ulrike lisbts das Rsisen mit groBsr Leidenschaft, und Kleist rfihmts besonders ihre Entschlosssnhsit und Gsistssgsgsnwart in schwisrigsten Situationsn. Ein auBsrst rsgsr Gsdanksnaustausch snt- wickslts sich zwischen dsn Gsschwistsrn, und Kleist hatts immer wieder Gslegsnhsit, Ulrikes gsistigs Gswandthsit anzusrkennen. Ihr gsgsnfibsr konnts sr vfillig offsn sein und brauchts nicht wis bsi Wilhelmins zu ffirchtsn, mtisrstandsn zu werdsn. Ulrike sstzts sich immer wisdsr fiir dsn Brudsr sin und vsrmochts dsnnoch nicht, bis zum Ends sein schfipfs- rischss Talent als Dichter voll zu wfirdigsn. Trotzdsm vsrsagts sis ihm als sinzigss Mitglied seiner Familie hfichst ssltsn ihre Hilfe, selbst wenn sis sein sigsnartigss Vsrhslten, seine plfitzlichsn Rsisen, ssins Vsrzwsiflung fiber dis Unmfiglichksit dsr Errsichung dichterischsr Ziele, dis sr sich gssstzt hatts, vor allsm absr seine Sslbstmordgsdanksn nicht vsrstshsn konnts. Doch gerade disss Eigenschaftsn, die as ihr als sslbstbewuBtsm und unabhangigem Menschsn srmfiglichten, dem Brudsr in jedsr Notlsgs zur Seite zu silsn, lisBsn sis in ssinsn Augen so wsnig dsffir'gesignst erscheinen, als Frau sntsprschsnd ihrer Bestimmung sin konventionslles Leben zu ffihrsn, das Glfick in einer Ehe zu finden. 88 Trotz aller gemeinsam durchgsstandsnsn Schwisrigksitsn kam es schlisBlich doch zum Bruch zwischen den Gsschwistsrn. In seiner Vsrzwsiflung ffillts Kleist sin rscht hartes Urteil fiber dsn sinzigsn Menschsn, dsr zu jedsm Opfer ffir ihn bsrsit gswsssn war. In seiner Todssstunds bsrsuts sr jsdoch sein Vsrhaltsn und schrieb Ulrike einen lstztsn Brief als Eingsstfindnis: Ich kann nicht stsrbsn, ohne mich, zufrisdsn und hsitsr, wis ich bin, mit dsr ganzen Welt, und somit auch, vor allsn ands- rsn, msins tsusrste Ulrike, mit Dir vsrsfihnt zu haben. LaB sis mich, dis strengs AuBsrung, die in dem Briefs an die Kleistsn snthaltsn ist, laB sis mich zurficknshmsn; wirklich, Du hast an mir gstan, ich sags nicht, was in Kraftsn einer Schwester, sondern in Kraftsn eines Menschsn stand, um mich zu retten: dis Wahrheit ist, daB mir auf Erdsn nicht zu hel- fsn war. Und nun lsbs wohl; mags Dir dsr Himmsl sinsn Tod schsnksn, nur halb an Freuds und unaussprschlicher Hsitsr- ksit, dem msinigsn gleich: das ist dsr hsrzlichsts und in- nigsts Wunsch, dsn ich flfir Dich sufzubringen wsiB. (11,887) 3.3. Maris von Kleist Wis innig dis Freundschaft mit Maris von Kleist war, zeigt sich am dsutlichstsn in den Briefen dsr lstztsn Lebensmonats dss Dichters. Semela warnt vor einer Hersuslfisung dieser Briefs aus ihrem Zusammen- hsng, um sis dann als Einzsldokumsnts zu vsrwsndsn.59 An dsr Tatsachs bestshsn jedoch ksins Zwsifel, daB Kleist in seiner Cousins einen.Msn- schsn bssaB, dsr sich mit unbsschrsiblichsr Gfits und grfiBtsr Warmhsr- zigksit um ihn bsmfihte. 1m Gegensatz zu Ulrike, von dsr Kleist bshaup— tsts, sis habe "dis Kunst nicht vsrstandsn sich aufzuopfern, ganz ffir das, was man lisbt, in Grund und Bodsn zu gshn: das Seligsts, was sich auf Erdsn srdsnksn lfiBt, js worin dsr Himmsl bestshsn muB, wenn ss wahr ist, daB man darin vsrgnfigt und glficklich ist" (11,885), schisn Maris gerade dieser Kunst ffihig zu sein. Das bests Bild von ihr srhalt man durch Kleists eigene Worte: 89 Sagsn Sis mir, wodurch habe ich so viels Liebe vsrdisnt? Oder habe ich sis nicht vsrdisnt, und schsnksn Sis sis mir b108, weil Sis fibsrhaupt nicht hasssn kfinnsn, weil Sis alles, was sich Ihrem.Krsise nahsrt, mit Liebe umfssssn mfisssn? (11.877) Semela meint: "Zum grsnzenlossn Opfsrmut dsr Schwester, zu ihrer bs- dingungslossn Einffihlungskraft in dis barocks Natur dss Brudsrs mfisesn wir sins zarts, fsins Fraulichksit und einen mfittsrlichsn Glanz lsgsn, dann haben wir ungefahr das Bild jsnsr Frau vor uns, das Kleist uns von seiner Kusins entwirft."6O Sis war ss, dis ffir ihn bsim.K6nig sins Pension srwirkts, dis sich heftig flir ssins Befreiung aus franzfisischsr Gsfangsnschaft singssstzt hatts. (11,1052-1053) Mit tisfstsm'Vsrstand- nis und Einffihlungsvsrmfigsn nahm sis Antsil an seiner Dichtung und wirkts wohltusnd auf das Gsmfit dss Dichters. Kleist brauchts und wfirb digts disss Antsilnahms an seiner Arbsit. Bsgsistert schrieb sr an sis: "Disss Ihrs Neigung, sich auf die Partei dss Dichters zu wsrfsn, und durch Ihrs signs Einbildung gsltsnd zu machen, was nur halb gssagt ist, bestimmt mich, mir fiftsr das Vsrgnfigen zu machen, Ihnsn im Laufs msinsr Arbsitsn abgsrisssns Stficks dsrsslben zuzusendsn." (11,797) Wie sshr er ihr vertrauts, wie sshr sr von ihrer Fahigksit, Entscheidungsn zu trsffsn, abhangig war, lfiBt seine Bitte erkennen: "Sprschsn Sis sin Wort, msins tsusrste Freundin, sprechen Sis sin bsstimmtss Wort, das mich sntschsids: ich bin schon so gswohnt, alles suf Ihrs Vsrsnlassung und Ihrsn AnstoB zu tun, daB ich dis Kraft, mich selbst zu sntschsidsn, fast ganz sntbshrs." (11,879) Der plfitzlichs Tod dss Dichters traf Maris von Kleist schwsr. Wis sshr such sis dsn Freund zu schatzsn wuBts, zeigt ihre AuBsrung: "An Heinrich Kleist habe ich den Tsilnshmsr an allsn meinen Freuden, an allsn meinen Leiden vsrlorsn." (11,1053) Elisabeth Ffillsr bshauptst, 90 selbst Maris von Kleist habe sich bei aller Liebe und Freundschaft doch nicht zu jsnsr Hfihs dss Geffihls aufschwingsn k0nnsn, dis ihr in dss Freundss dichterischen Frauengestalten sntgsgsngetrstsn ssi. Sis habe, wis s0 manchs andsrs, Kleist von ssinsn "fixsn Idssn" hsilsn wollsn, um sein Leben in dis ruhigsn, frisdlichsn Bahnsn dss Alltags zu lsnksn.61 Der Dichter selbst betont in ssinsn lstztsn Zeilen an die mfitterlichs Freundin: Ach, ich versichrs Dich, ich habe Dich so lisb, Du bist mir so fibsraus tsusr und wert, daB ich kaum sagsn kann, ich lisbs disss liebe vsrgfittsrts Freundin mshr als Dich. Der Ent- schluB, dsr in ihrer Seele aufging, mit mir zu stsrbsn, zog mich, ich kann Dir nicht sagsn, mit welcher unaussprschlichsn und unwidsrstshlichen Gswalt, an ihre Brust; srinnsrst Du Dich wohl, daB ich Dich mehrmsle gsfrsgt habe, ob Du mit mir sterbsn willst? - Aber Du sagtest immer nein - (11,888) 3.4. Henriette Vogsl Seit seiner Jugsndzsit hatts Kleist verschiedentlich dsn Wunsch gsauBsrt, eines Tages gemeinsam mit einem Freund in den Tod zu gehen. Doch srst in Henriette Vogsl schisn sr jensn Menschsn gsfundsn zu haben, dsr ihn voll und ganz vsrstand, so daB ssins "Seele, durch die Bsrfihrung mit dsr ihrigen, zum Tods ganz rsif gswordsn" war. (11,885) Man hat dsn Eindruck, als ob nur disss Frau dis Fahigksit bsssssen hatts, dis Traurigkeit Kleists als sins "hfihsrs, fsstgswurzslte und unhsilbars" (11,885) zu bsgrsifsn. Sis war zumindsstsns seiner Meinung nach dis einzige, dis unbedingt an ihn glaubts. Seine lebenslangs Suchs nach dem Du, das bereit war, sich ihm vollends aufzuopfern, hatts endlich sin Ends gsfundsn. Nur im Tods ging damit Kleists groBe Sehn- sucht in Erffillung, daB ss sins Frau gab, dis willsns war, "ganz ffir dss, was man liebt, in Grund und Bodsn zu gehen: das Seligste, was sich auf Erdsn srdsnksn laBt." (11,885) In wahrsr Ekstass sprach Kleist 91 darum von dem nahen Tods als dem "hsrrlichstsn und wollfistigstsn aller Tods." (11,888) Ffir sis beids bsdsutets dsr Tod kein Ends. Kleist msints, einen Schritt zu tun, dsr ihn in sins "besssre Welt" ffihrsn wfirds, sins Welt, in dsr er ssins Freunds "mit dsr Liebe dsr Engel" ans Herz zu drficksn hoffts. (11,888) Dsr Tod wird also von Kleist als Ubsrgangsstufs gesehen. Nur dis Seele, das sinzig Wessntlichs dss Menschsn, hat nach dem Tods sins Wsitsrffihrung dsr Existsnz auf einer hfihsrsn Ebens zu srwartsn. Disss Ides, dis Kleist Ulrike gsgsnfibsr bereits im Jahre 1800 gsfiuBsrt hatts (11,603), wird noch im lstztsn Augenblick seines stsns von ihm auf- rscht srhalten, wie dsr Abschisdsbrief an Maris von Kleist bswsist. (11,888) Dennoch taucht dis Frags auf, was wohl am wichtigsten ffir Kleist gewsssn sein mag. War es lediglich dsr Gedanke, gemeinsam in jsns "besssre Welt" hinfibsrzugshen, dsr ihn so sshr an Henriette Vogsl fsssslte? Oder glaubts er wirklich an ihre unbedingte Liebe und Auf- 0pfsrungsbsreitschaft, die sr sinst von seiner Braut gsfordsrt und von ihr nicht srhaltsn hatts? Sollts man nicht annehmen dfirfsn, dsB Kleist noch im lstztsn Augenblick seines stsns einem Irrtum untsrlsg? Es hsiBt, Henriette Vogsl habe an sinsr unhsilbarsn Krankheit gslittsn und versucht, dsr unabwsndbaren Qual eines langsamen Dahinsischsns zu snt— gehen. Sis war ss, die in dem Dichter einen Gsffihrtsn gsfundsn hatts, dsr ihr dsn sntschsidsndsn Schritt durch ssins Gegsnwart srlsichtsrts. Kleist selbst gibt js zu vsrstshsn, dsB es ursprfinglich Henriettss Ides gewsssn war, gemeinsam aus dem stsn zu schsidsn. In seiner Todss- stunds schisn sr absr zu glaubsn, dem vollkommensn Glfick, das ihm im gsmsinsamsn Erlsbsn mit einer gslisbtsn und lisbendsn Frau suf Erdsn nicht beechisdsn war, durch dsn gsmsinsamsn Tod naher kommen zu kfinnsn. 92 Von einem "Strudel von nis smpfundsnsr Seligksit" (11,888) ffihlts sr sich ergriffen. Disss gsistigs Vsrfassung war es, in dsr sich Kleist und Henriette Vogsl auf ihre "groBs Entdsckungsrsiss" in jsns "besssre Welt" bsgabsn. Mit dem Vsrhallsn dsr vsrhfingnisvollen Schfisss in dsr Nahs dss Wannsses fand am 21. November 1811 das Leben dss Dichters Heinrich von Kleist, "das allsrqualvollsts, das je sin Mensch gsffihrt hat," (11,887) sin Ends. Schon im Jahre 1801 hatts er in einem Brief seiner Schwester anvsrtraut: "Ach, liebe Ulrike, ich passe mich nicht unter dis Msn- schsn, es ist sins traurigs Wahrheit, absr sins Wahrheit." (11,628) In seiner Todssstunds schisn disss Wahrheit noch immer Gfiltigksit zu ha- ben, da er Ulrike singsstand: "Dis Wahrheit ist, daB mir auf Erdsn nicht zu hslfsn war." (11,887) Dis lstzte Hoffnung, ssinsmiKfinig und seinem Vaterland wisdsr als Offizisr disnsn zu kfinnsn, PrsuBsn endlich von dsr bsdrficksndsn Macht Napoleone befrsit zu sshsn, war ihm gsnom- msn. "Die Zeit ist ja vor dsr Tfir, wo man wegsn dsr Treus gsgsn ihn [den Kfinig], dsr Aufopfsrung und Standhaftigksit und aller andern bfir— gsrlichsn Tugendsn, von ihm selbst gsrichtst, an den Galgsn kommen kann." (11,884) Am tisfstsn hatts ss ihn absr getroffsn, von dsr eigenen Familie "als sin ganz nichtsnutzigss Glisd dsr menschlichen Gesellschaft, das keiner Tsilnahms mshr wert ssi," (11,884) vsrurteilt zu werdsn, so daB das Leben wirklich nicht mshr lsbsnswsrt srschisn. Ein groBsr Unterschied bsstsht also zwischen dem tatsfichlichen Vsrhfiltnis dss Dichters zu Frauen, zwischen ssinsn stsnssrfahrungsn mit ihnen und dem Idealbild, das ihm flfir dis Beziehung zwischen Mann und Frau vorschwsbts. Und Kuoni hat rscht mit dsr Behauptung fiber Kleists Vsrhfiltnis zur Frau, wenn sis betont: 93 Das Aussinandsrfallsn von fiuBsrsm Schicksal und innsrlich sntschsidsndsm ssslischsm Erlsbsn tritt nirgsnds rficksichts— loser an den Tag als in dsr persfinlichstsn, sinmaligsn und vsrbindlichsten Beziehung zu einem Du, in dsr Liebe. Ksins von den Frauen, dis Kleist im stsn nshe tratsn, steht mit nicht wsgzudsnkendsr Notwsndigksit in seiner geistig-psrsonr haftsn Entwicklung. Es gibt in seinem stsn ksins ins In- nsrsts grsifsnds Liebe zu sinsr Frau: und doch konnts sr dis lsidsnschaftlichs Lisbeswut Psnthssilsas und die sslbst- vsrgssssnds Innigksit Kfithchsns aus sich gsstaltsn. 2 4. Dis Bildung dsr Frau Bildungs- und Erziehungsgsdanksn warsn ffir Kleist als Mensch und als Dichter sowohl vor als auch nach dsr Kantkriss von auBsrordentlichsr Wichtigkeit. An Wilhelmins von Zengs schrieb er: Ich hatts schon als Knabs (mich dfinkt am Rhsin durch sins Schrift von Wisland) mir dsn Gedanken angssignst, daB dis Vsrvollkommnung dsr Zweck dsr Schfipfung wars. Ich glaubts, daB wir sinst nach dem Tods von der Stufs dsr Vsrvollkommr nung, dis wir auf diesem Sterne srrsichtsn, auf einem andern weiter fortschrsitsn wfirdsn, und daB wir dsn Schatz von Wahr- heitsn, dsn wir hier sammsltsn, such dort sinst brauchsn kfinntsn. Aus disssn Gedanken bildsts sich so nach und nach sins signs Religion, und das Bestrsbsn, nie auf einen Augen- blick hisnisdsn still zu stehen, und immer unaufhfirlich einem hfihsrn Grads von Bildung sntgsgsnzuschrsitsn, ward bald das einzige Prinzip meiner Tfitigksit. Bildung schisn mir das einzige Ziel, das dss Bestrsbsns, Wahrheit dsr einzige Reich! tum, dsr dss Bssitzss wfirdig ist. - (11,633) Nach dsr Kantkriss betonts sr, dsr Mensch habe "sin unwidsrsprschlichss Bedfirfnis sich aufzuklarsn. Ohns Aufklarung ist sr nicht visl mshr als sin Tier." (11,682) Und Kleist bsschloB, seine untsrbrochsnsn Studien wisdsr fortzusstzsn, "absr nicht mshr bloB um dsr Wahrheit willsn, sons dsrn.ffir meinen msnschsnfrsundlichsrsn Zweck -" (11,684). Disser Zweck war bekanntlich dis Hinwsndung zum dichterischen Schaffsn, das von nun an allsn Menschsn disnsn sollte, sin Werk, das dsr Msnschhsit zu einem msnschsnwfirdigsrsn Dasein vsrhslfsn sollte. 94 Ids hat dsr Bedeutung dss Kleistschsn Bildungsbsgriffss nachgs— forscht und srklart, daB dsr Dichter beim Gebrauch dss Ausdrucks 'Bil- dung' nicht an die fiblichs Bedeutung von 'Erwsrb von Wisssn' gedacht habe, daB mit dem Bildungsbsgriff keineswegs 'Psrsfinlichksitsbildung' gsmsint ssi. Ffir Kleist ssi Bildung vor allsm das Mittsl gewsssn, das gsistigs Interesse dss Menschsn zu srwecksn. Indem dsr Mensch sich bilds, srffille sr sin gfittlichss Gsbot, selbst daran mitzuarbsitsn, das Himmslrsich dss Glficks zu srwsrbsn. Somit erweist sich Bildung als sins Schulung dsr Vsrstandsskrfifts, als sins Ausbildung dsr "gsistigsn und kfirpsrlichsn Krafts" dss Menschsn. Ids msint, Kleist kfinnts gar nicht an intellektuells oder gar an wisssnschaftlichs Bildung gedacht haben, wenn sr zum Beispiel bshauptst, daB such im Unglfick Bildung liege.63 Dis Willsnsbstonthsit dsr Kleistschsn Gssamthaltung wirkt sich such auf dem Gsbists dsr Bildung aus, vor allsm auf das Bsstrsbsn dss Dichters, nicht nur sich allein, sondern such andern zu einem bessersn Bildungsstand zu vsrhslfsn. So gslang es ihm wahrsnd seiner Studien- zsit in Frankfurt, vor allsm dsn Bildungssifer dss weiblichen Bskann- tenkrsisss zu sntfachsn. Auf Kleists Bitte willigts sein Lshrer Wfinsch, Professor dsr Naturwisesnschaftsn, sin, vor zwfilf 'ilitsratis', um die ss sich ssinsr Ansicht nach in disssm.Kreis handslts, einen Winter lang fiber dis Experimentalphysik zu sprechen.64 Aber such Kleist selbst vsrmochts ssinsn Hang zum leshrsn nicht zu untsrdrficken. Er lisB sich speziell sin Kathsdsr anfertigsn, von dem hsrab sr vor dsn jungsn Damen kulturgeschichtlichs Vorlssungen hielt. Sein Bsstrsbsn richtete sich absr besonders auf die Vsrbssssrung dsr deutschen Grammatik und Ortho- graphis, auf schriftlichs Sprache und Dsnkfibungsn, da dis weiblichs 95 Jugsnd im Durchschnitt zu wenig Ausbildung srhalten hatts, und wenn, sich vorwisgsnd auf Franzfisiech untsrhislt. Franzfisisch wurds zu dsr Zeit Kleists als dis Sprache dsr gsbildetsn Gesellschaft angssshsn. Der Dichter war'fibsrzeugt von dem "vislssitigsn Nutzsn" jsnsr Denkfibungen, dis sr ganz besonders such Wilhelmins aufgsb. Er ssh sinsn Nutzsn flir dis menschlichs Bildung auf Grund dsr zunshmsndsn Vsrtrauthsit mit dsr grammatischsn und stilistischen Behandlung dsr Themsn, ebenso sins Erwsiterung dss Urteilsvsrmfigsns, sins Vertisfung fundamentalsr Wahrheitsn. (11,505) Vollsr Stolz dachts Kleist spfiter an jsns Tags zurfick, wenn sr an die Verlobts schrieb: . . . - habe ich nicht auch wfihrsnd meiner Anwsssnhsit in Frankfurt unter unssrn Familisn manchss Guts gsstiftet -? Durch untadslhaftsn stsnswandsl dsn Glauben an die Tugend bei andern starksn, durch wsiss Freuden sis zur Nachahmung rsizen, immer dem Nachstsn, dsr ss bsdarf, hslfsn mit Wohl- wollsn und Gfits - ist das nicht such Gutss wirksn? Dich, mein gslisbtes Madchsn, ausbildsn, ist das nicht etwas Vor- trsffliches? Und dann, mich selbst auf sins Stufs naher dsr Gotthsit zu stsllsn - - (11,586) Darin ssh Kleist seine Aufgabe flir dis Zukunft, Wilhelmins als Frau zu bilden, sis zu seinem eigenen Bildungsnivsau zu erheben. Er war von dsr Ides fibsrzsugt, daB dis Frau, dis als kfirpsrlich Schwfichers vom Mann abhangig ssi, ihm such gsistig unterlegsn sein mfisss, zumal ihm vorwisgsnd dsr Verstand gsgsbsn ssi, bei dsr Frau absr das Gsffihl vor- hsrrschs. 0 wenn ich Dir nur sinsn Strahl von dem Feusr mitteilen kfinn- ts, das in mir flammt! Wenn Du es ahndsn kfinntest, wie dsr Gedanke, aus Dir sinst sin vollkommnss Wesen zu bilden, jsds stsnskraft in mir srwfirmt, jsds Fahigksit in mir bewegt, jsds Kraft in mir in Leben und Tatigksit setzt! - (11.576-577) Trotz dieser Ubsrzsugung von der Superioritat dss Mannss, dsr dazu aussrsshsn ist, als Erzisher dsr Frau zu wirksn, muB Kleist in ssinsn 96 Ansichtsn als seiner Zeit weit voraus ansrkannt werdsn, da ffir ihn ksins Zwsifsl daran zu bestshsn schsinen, daB das weiblichs Geschlecht wie das mannlichs zu sinsr wsitrsichsndsn Bildung gsistig in dsr Lags ist. Allsrdings sieht sr einen individusllsn Unterschisd in dsr Mbg- lichksit dsr Entwicklung vorhandsnsr Anlagen, wenn er Wilhelmins gsgsn- fibsr betont, daB sr selbst nichts "hineinlsgen" kfinns in ihre "Sssls, nur sntwicksln, was dis Natur hineinlsgts." Ssien ihrs Anlagen absr such noch so vortrsfflich, nur die Braut selbst kfinns ihre Entfaltung durch sigsnss "Hand snlsgsn" herbsiffihren. "Du selbst muBt Dir das Ziel stscken, ich kann nichts als Dir dsn kfirzesten, zwsckmaBigstsn Weg zsigsn: und wenn ich Dir jetzt sin Ziel aufstsllsn werds, so gsschisht ss nur in dsr Ubsrzsugung, daB ss von Dir langst srkannt ist. Ich will nur deutlich darstsllsn, was visllsicht dunksl in Dsiner Seele schlum- msrt." (11,565) Kleist mfichts in Wilhelmins sins stsnsgsffihrtin zur Seite haben, dis sich zu einem vollkommensn Wesen gebildst hat, um dsr Aufgabe gsrscht zu werdsn, die ihrer wartst als Ehefrau und Partnerin flirs Leben, vor allsm absr als Mutter seiner zukfinftigen Kinder. Js, Wilhelmins, wenn Du mir kfinntsst dis Freuds machen, immer fortzuschreiten in Dsiner Bildung mit Geist und Herz, wenn Du se mir gslingsn lasssn kfinntsst, mir an Dir sins Gattin zu formsn, wie ich sis flir mich, sine Mutter, wie ich sis flir msins Kinder wfinschs, srlsuchtst, aufgsklart, vorurteillos, immer dsr Vernunft gshorchsnd, gsrn dsm Herzen sich hingsbsnd - dann, ja, dann kfinntsst mir flir sins Tat lohnen, flir sins Tat - (11,564-565) Dss Bildungsidssl Kleists schlith also such dis Gestalt dsr Frau mit sin. Auf dsn zukfinftigsn Bsruf als Ehefrau und Mutter, als Erzishsrin dsr nfichstsn Generation, muB dis Braut vorbersitst werdsn. Darum rat sr ihr: 97 Bei Jsdem solchsn intersssantsn Gedanken mfiBtsst Du also im- mer fragsn, sntwsdsr: wohin deutet dss, wenn man es auf den Menschsn bszisht? oder: was hat das fiir sins Ahnlichksit, wenn man ss mit dem Menschsn vsrglsicht? Dsnn dsr Mensch und die Ksnntnis seines ganzen Wesens muB Dsin hfichstss Augsnmsrk sein, weil se sinst Dsin Gsschaft sein wird, Menschsn zu bil- den. (11,596) Nur zu 0ft wurds Kleist als pedantischsr Philistsr vsrlacht, dsr sich in seiner "ganzen Sslbsthsrrlichkeit" und in "mannlichsr Sslbst- fibsrhsbung" zum Schulmsistsr dss weiblichen Gsschlschts machte, das nun sinmal ssinsr Natur nach dis zweits Stelle in dsr Reihe dsr menschli- chen Wesen beklsidst. Man betrachtete ihn selbst visl zu sshr als einen Lernendsn, um ihn als Lshrer akzsptisrsn zu kb’nnsn.65 Bfilow bsrichtst, daB zu Kleists Zeiten dis jungsn Damen dsr Gesellschaft tatsfichlich sin sshr schlschtss Deutsch sprachsn, was ihnen dsr Dichter als sins Schande vor Augen hielt, ihnen absr such dabei half, diesem Mangsl Abhilfs zu vsrschaffen. Er sorgts ffir guts Lsktfirs, brachts ihnen dis bssten Dich- ter und las ihnen aus disssn Werken vor.66 Auch Goethe traf sich in Wsimar wfichsntlich mit einem Zirksl von Damen, um mit ihnen literarische Wsrks zu lsssn oder zu fibersstzsn.67 Aus Wfirzburg schrieb Kleist an Wilhelmins, daB man nirgsnds dsn Grad dsr Kultur sinsr Stadt oder fibsrhaupt dsn Geist dss vorhsrrschsn- dsn Geschmacks schnsller ksnnsnlsrnsn kfinns, als in den Lsssbiblioths- ken. Auf seine Frags nach dsr zur Vsrffigung stshsndsn Auswshl vorhanv dsnsr Bfichsr habe es sich dort herausgsstsllt, daB wedsr Wisland, Schiller noch Goethe vorhandsn oder gar srlaubt warsn. Dis literari- schsn Werke, dis zu dieser Zeit auf dem Markt srschisnsn, warsn nicht ffir dis gswfihnlichsn Bfirgsr bestimmt, sondern sis blisbsn einer klsinsn Grupps von sussrwfihltsn Intellsktusllsn vorbehaltsn. Auf dis Frags, wsr denn am meisten in dsr Stadt less, hisB es: "Juristsn, Ksuflsuts 98 und vsrhsiratsts Damen." Den unverhsiratetsn Damen dagsgsn war es vsr- botsn, dort Bfichsr zu fordsrn. Gsnauso durftsn ksins Bfichsr an Studsnr tsn ausgshfindigt werdsn. Zu haben warsn lediglich "Rittsrgsschichtsn, lautsr Rittsrgsschichtsn, rschte dis Rittsrgsschichten mit Gespenstsrn, links ohne Gsspsnstsr." In Wfirzburg ging es nach Kleists Urteil mshr darum, sich auf die "zukfinftigs himmlischs Glfickssligkeit" vorzubsrei- tsn, als sich auf die "gsgenwartigs irdischs" sinzustsllsn." (11,562- 563) Hier scheint sich dsr Ausspruch dss Vicomts Louis ds Bonald zu bs- stfitigsn, dsr als erster betonts, daB "Literatur Ausdruck dsr Gsssll- schaft" ssi.68 Disser Ausspruch dfirfts nicht nur ffir dis nsu sntste- hsnds Literatur, sondern ebenso ffir dsn literarischsn Bildungsstand dsr Gesellschaft Gfiltigksit haben. Wfihrend also sinsrseits dis Bsmfihungsn Kleists um die Bildung dss weiblichen Gsschlschts ansrkannt werdsn mfisesn, wfihrend vor allsn Din- gsn dis ffir dss Dichters sigsns Zeit bsmsrksnswsrte Einschfitzung dsr Bildungs- und Entfaltungsfahigkeit dsr Frau, wie sis spfitsr im Werk sr- scheint, hsrvorgshobsn werdsn muB, so darf andrerssits Kleists Abhfine gigksit von dem konventionsllen Denken ssinsr Epochs nicht fibersshsn werdsn. So war sr keineswegs mit Ulrikes Absnteusr sinvsrstandsn, die in Mannsrklsidung an einer fiffsntlichsn Vorlesung an dsr Universitfit in Leipzig tsilnahm. Dis Vsrklsidung sollte stwsigs Stfirungsn vsrmsidsn, dis "Wsibsrrficks" wahrscheinlich hsrvorgsrufsn hattsn, da Frauen dss Universitatsstudium nicht offsnstand. (11,656) Obwohl sich schon im 18. Jahrhundert die srstsn Ansatzs zu sinsr gsplantsn Mfidchsnr und Frausnbildung zsigtsn, hatts sich bis ins 19. Jahrhundert im wesentlichen nichts gsfindsrt. Von vielsn Familisn, vor allsm von solchsn dss Adele, wurdsn Hofmsistsr angsstsllt, welchs die 99 Sfihns auf sin zukfinftiges Universitfitsstudium vorbsrsitstsn, oder sis fungisrtsn spatsr als Bsglsitsr wfihrsnd dsr fiblichsn 'Kavslisrstour'.69 Dis Eltsrn Lessings nshmen sogar das Opfer auf sich, gsnfigsnd Gsld zu borgsn, um dsn ffinf Sbhnen sins guts Bildung srmfiglichsn zu kfinnsn. Dis Tochter wurds dagsgsn wie alle andsrsn Madchen dieser Epochs mit den allsrnotwsndigstsn Grundksnntnisssn ffirs Leben ausgerfistet, dis sis aus Bibsl und Kochbuch srhislt.7O Nur in Ausnahmsfallsn, wie in Gosthss Familie, wo dsr Vatsr ssinsn Sohn Wolfgang persfinlich untsrrichtsts, durfts such dis Schwester den Unterrichtsstunden bsiwohnsn. AuBerst gsgsnsatzlichs Ansichtsn warsn such wsitsrhin in bszug auf Frauen vorhsrrschsnd. Als Antwort auf die Frags, ob Frauen ffihig ssi- en, shrsnvolle akadsmischs Wfirds zu srlangsn, hsiBt es in dem zwischen 1732 und 1750 in Halls und Leipzig gsdrucktsn GroBsn Universal—Lsxikon aller Wisssnschaftsn und Kfinste, welchs bishsro durch menschlichen Verstand und Witz srfundsn wordsn in dem Artiksl fiber "Weiber": "Why not? . . . Neither civil laws nor the customs of nations exclude women folk from such degrees, and the divine laws have decreed nothing in the matter, but have left it to the disposition of men. If Bologna and Padua honor Turks, Saracens and Jews with the doctorate, why not women?"71 An der Universitfit in Bologna hatts tatsfichlich dis srste Frau 1732 dis Doktorwfirds srhalten und durfts dort spfitsr selbst lsh- rsn. Disss Nachricht mag ffir einen auBsrgswfihnlichen Fall in PreuBsn ausschlaggsbsnd gewsssn sein, wo Dorothea Christians Erxlsbsn im Jahre 1754 durch das Eingrsifen Friedrichs dss GroBen nach singehsndsr Prfi- fung und Annahme ihrer Dissertation von dsr Universitfit Halls ihre Doktorwfirds auf dem Gsbist dsr Msdizin srhislt und ffir den Rest ihres stsns als Krztin praktizisrsn durfts.72 Daneben tauchte absr such dis 100 Frags auf, ob Frauen denn fibsrhaupt Menschsn ssien. Besondsre Bsschs tung vsrdisnt zu diesem Punkt sins Broschfirs von Michael Ambros, dis im Jahre 1793 srschisn. Der Titel lsutsts bezeichnendsrweiss: Wsibsbil- dsr sind ksins Menschsn. Wird sonnsnklar bswisssn aus dsr Schrift und aus der gssunden Vernunft. Nachdsm dsr Autor bswisssn zu haben glaubt, daB dis Frauen innerhalb dsr Heiligen Schrift nirgsnds als Menschsn be- zsichnst werdsn, geht er dazu fiber, dis vorgegebsnen Einspnfiche von Frauen zu seiner Abhandlung mit 'stichhsltigsn' Grfindsn zu widsrlegsn. Puckett zitisrt besonders das sschsts Argument und seine verheersnde Antwort: Sixth objection, from the wife of a graduate professor. Every animal naturally brings its kind into the world; we women bring humans, consequently we are humans, too. Solution. From the thorn bush grow the most beautiful roses, from the most loathsome worms, the daintisst butterflies, and from dung come beetles. Yield the point then, my dear women! You are, to be sure, dear, pleasant and necessary to us, but your humanity is in a parlous state. Und Puckett wsist darauf hin, daB dsr scherzsnds Ton disss Schrift am Leben srhislt, ja, daB sis im Jahre 1911 sogar srnsut gsdruckt wurds.73 Wahrend also in Italisn schon zur Zeit dsr Renaissance dss Ideal dsr Psrsfinlichksit srwuchs, das erstmalig such ffir die Frau gsltsnd wurds, wo dsr Gsdanks auftauchts, daB such dis Frau sich zu einer voll- sntwickslten sslbstschfipfsrischen Psrsfinlichkeit zu erheben vermag,74 konnts man sich in PreuBsn noch im 20. Jahrhundert nicht von der Ides dsr notwsndigsn unterschisdlichsn Behandlung von Knabsn und Madchsn lfissn. Zur Zeit dss Erstsn Wsltkrieges gslangts sins Untersuchung fiber Erziehung und Vsrsrbung zu folgsndsm Ergebnis: 101 Die Frau ist kfirperlich schwfichsr als dsr Mann; sis kann also dsn durch sin UbsrmaB gsistigsr Arbsit vsrursachten Kraftvsr- lust wenigsr leicht ausglsichen als dsr Mann; dis Fortpflan- zungsfunktion ist fiir dsn weiblichen Organiemus weit bedeut- samsr als ffir den mannlichen. Eine durch gsistigs Arbsit hervorgsrufsns Glsichgewichtsstfirung wird also bei der Frau visl starksr sein als bei dem Manns, und ffir die Nachkommsn- schaft sind die Folgsn einer solchsn Glsichgswichtsstfirung weit srnstsr, wenn ss sich um die Frau, als wenn es sich um dsn Mann handelt. Dsnn dis Gesundheit dsr Mutter ist ffir das Kind visl wichtiger als die dss Vatsrs. Dis Mutter Gosthss hatts, obwohl hsrvorragend begabt, doch nis dsn Faust schrei- ben kfinnen. Wenn sis absr durch sin UbsrmaB gsistigsr Tatigb ksit ihre Zsugungskrafts such nur um wenig gsschwficht hatts so wfirde sis nis einen Faustdichtsr zum Sohn gehabt haben.7§ Allsrdings kfinnsn disssn Ansichtsn ebenso dis herausragendsn Frausns charakters dsr Literatur gsgsnfibergsstsllt werdsn, wie zum Beispiel dis Gestalt Iphigsniss oder dis einer Minna von Barnhslm. Entscheidsnd ist jsdoch dis Tatsachs, dsB Kleist trotz dsr um die Jahrhundertwsnds vorh hsrrschsndsn vislssitigsn Ansichtsn fiber Frauen und ihre Bildung davon fibsrzsugt war, daB dem weiblichen gsnauso wie dem mfinnlichen Wesen dis Mfiglichksit zur Entfaltung vorhandsnsr Anlagen anzusrkennsn ssi, daB vor allsn Dingsn ffir ihn an dsr Bildungsffihigksit dsr Frau ksinsrlsi Zwsifsl bestandsn. Kleist mag in ssinsn Ansichtsn ebenfalls durch dss Vorbild dsr Frauen beeinfluBt gewsssn sein, dis um die Jahrhundertwsnds in Berlin von sich rsden machtsn. Nach franzfisischem Muster hattsn sich dort literarische Zirksl gebildst, denen jedsr, dsr sich zur Elite dss Gsistes zfihlts, anzugshfirsn trachtsts. Die leiebthsit dsr gsssll- schsftlichsn Zusammsnkfinfts in den Salons kann als besonders Lsistung von Henriette Hertz, Rahel Levin und Dorothea Veit gelten, denen als ' Jfidinnen dis Kreiss dsr gswfihnlichsn Berliner Gesellschaft vsrschlosssn warsn. Disssn gsistreichen Frauen gslang se, die Wslten dss Adele, dsr Gelehrtsn, dsr Bssmtsn und Kauflsute, ja, sogar dis dsr Schauspisler in 102 ihren Salons zu vsrsinsn, Menschsn also, dis sonst durch dsn Berliner Kastengsist strsng vonsinsndsr gstrsnnt warsn. Durch ihren sprfihendsn Geist und ihre vorzfigliche Bildung gslang es disssn Frauen, jsnsr nis- drigsn Auffassung vom weiblichen Geschlecht Einhalt zu gebistsn, dis sich durch das gssamts 18. Jahrhundert hindurch srhalten hatts. Beson— dsrs in Dorothea Vsit, dsr spfitersn Frau Friedrich Schlegels, lsrnte Kleist einen Menschsn ksnnsn, dsm jsns Einhsit dss Gsistss und dss Herzens gsgsbsn war, wie er ss spfitsr in seinem dichterischen Werk mit der Charaktsrisisrung seiner Frauengestalten so ausgezeichnst darzu— stellsn vsrmochts.76 5. Dis Darstellung dsr Frau in dsr Dichtung Der Kleistschsn Ansicht fiber das Wesen und die Bestimmung dss Weibes sntsprschsnd erscheinen die Frauengestalten im Werk vorwisgsnd in einem untergsordnstsn Verhaltnis zum Manns. In krssssm.ngensatz zu den AuBerungen dss Dichters fiber dis Zweitrangigksit dsr Frau, fiber ihre physischs Schwfichs, dis sis ihrer Natur nach von dsr Starks dss Mannss abhangig erscheinen laBt, steht jsdoch das bsmsrksnswsrts AusmsB ihrer Wirkungsffihigksit. Dis Frau erweist sich keineswegs als schwach und unfahig, ohne dis Hilfe dss Mannss dis Konfrontation mit dem Schicksal zu msistsrn. Sis besitzt ohne Zwsifsl die Ffihigkeit, sich vfillig unabhfingig zu sntschsidsn und zu handeln. Hatts Eustache sich ststs als trsue Ehefrau dem Willsn ihres Mannss untsrworfsn, so zfigsrt sis dsnnoch keinen Augenblick, Ottokar sntgsgsn dsn Anordnungsn dss Vatsrs aus dem Gsffingnis zu bsfreisn, als ss gilt, das Leben von Agnes und somit dis Liebe zwischen den Kindsrn zu retten. Agnes miBachtst dis Warnungsn ihrer Mutter und findet immer 103 wisdsr sins Mbglichksit, sich von dsr Burg hinwegzustshlen, um sich mit Ottokar im stillsn Gsbirgstal zu trsffsn. Eve ist willsns, dsn Verlust ihres gutsn Rufes hinzunshmsn, solangs Ruprschts Leben damit gersttet wird. Im sntschsidsndsn Augenblick wagt sis ss sogar, gsgsn sinsn Verb trstsr dss staatlichen Gsrichtswsssne Stellung zu nshmen. Penthesilea zeigt sich nicht nur als beachtenswerts Kfimpfsrin im Gefscht mit Achill, sis srklart sich nicht nur bereit, dsn Amazonsnstaat zu vsrlssssn, um Achill zu folgsn, sondern durch sin HfichstmsB an Willsnskraft vermag sis sogar, ihrem eigenen Leben sin Ends zu sstzsn, in dem sis dem Staat gsgsnfibsr schuldig gsworden war. Kathchsn teilt ihrer Absicht, das sltsrlichs Haus zu vsrlasssn, nicht sinmal dem zurfickblsibsnden Vatsr mit, sondern sis vsrschwindst eines Morgens, weil ihr Innsrss ihr gs- bietet, dem Rittsr zu folgsn. Thusnslda erscheint sinsrseits wie sin verzartsltss und gsdankenlosss Wesen, dessen Sinnen und Trachtsn ledig- lich auf Unterhaltung und Zeitvsrtrsib ausgerichtst sind. Erst dsr MiBbrauch ihres Vsrtrauens lfiBt sis zu einer wfirdigsn Gsffihrtin in dem Kampf gsgsn dis Rfimsr werdsn. Natalie besitzt dis innsrs Kraft, ihrer Lisbs zum Prinzen in dem Augenblick zu sntssgen, da sis glaubt, ihm so das Leben retten zu kfinnen. Wis im dramatischsn Werk, so zeigt es sich such in den Novellen, daB dis Frauengestalten sich durch sslbstfindigs Entscheidung und Hand- lung in sntschsidsndsn Situationsn zu bewfihrsn wisssn. Lisbeth schaltst sich aktiv in den Kampf dss Michael Kohlhaas sin, da sis glaubt, ihm als Frau in seinem Bsstreben suf sine Weiss hslfsn zu kfinnsn, dis ihm als Mann nicht zur Vsrffigung steht. Dis Marquise erhebt sich in dem Augenblick fiber ihr unsrklfirlichss Schicksal, da sis dis Existsnz ihrer Kinder durch sinsn wfitsnden Vatsr bsdroht sieht. Josephs scheut nicht 104 die Gsfahrsn eines sinstfirzsndsn Gsbaudss wahrsnd dss Erdbsbsns, als es darum geht, ihren Sohn aus dem brennsndsn Klostsr zu retten. Toni vsr- wandslt sich innerhalb wenigsr Stundsn von einem unwissenden Mfidchen, das sich gedanksnlos dazu gsbrauchsn lth, weiBsn Flfichtlingsn sins tfidlichs Falls zu stsllsn, zu einer klugsn Bsschfitzerin Gustave, ffir dsn sis sogar ihr Leben sinzusstzsn gswillt ist. Littegards und Alk- mens glaubsn sich unschuldig schuldig, gsbsn jsdoch ihre anffinglichs Auflshnung gsgsn dis Anschuldigungsn suf, da sis in ihrem tisfstsn In- nsrn von unsrklarbsrsn Zwsifeln srschfittsrt werdsn. Es zeigt sich also, daB dis Mshrzahl dsr Frauengestalten Kleists sins sktivs Einstellung annehmen, sobald sis einen nshsstehsndsn Men- schsn in Gsfahr sshen. Dabei handelt ss sich in den meisten Fallen um dsn Gslisbten oder Ehsgattsn, in andsrsn um das Leben dsr eigenen Kine dsr, dis dsr Gsfahr ausgesetzt sind. Ist nur das eigene Leben bedroht, so blsibt dis Frau passiv in ihrem'Vsrhalten, wie dis Beispisls von Elvire und dem Bettelweib bezeugsn. Geleitst werdsn dis Frauen Kleists in ihrem Handsln vor allsm von dem besonderen Gsffihl, das ihnen ale weiblichen Wesen innswohnt. In dem ststs vorhandsnsn Gegensatz zwi- schen Verstand und Geffihl, dsr ffir dsn Dichter selbst sine so groBs Rolls spielts und dsr in dsr Charsktsrisisrung dsr Frauengestalten Dar- stsllung findet, fiberwiegt im sntschsidsndsn Augenblick das Gsffihl als Impuls zum Handsln. Allsin bei Natalie scheint jsns vfilligs Einhsit zwischen Geist und Herz gsgsbsn, auf die es dem Dichter speziell ankam. Agnes und Ottokar ist es nur gemeinsam mfiglich, das rschte MaB an Gs- ffihl und Verstand oder Geist und Herz wirksam werdsn zu lasssn. Bei Penthesilea dagsgsn schaltet dis Ubermscht dss Geffihls dsn Verstand vfillig aus, dsr srst nach dsr grausamsn Tat wisdsr sinzusstzsn scheint. 105 Die Marquise folgt allein dsr Eingsbung ihres Gsffihls, indem sis ihre Kinder an sich rafft und mit ihnen das Eltsrnhaus vsrlaBt. Erst nsch dsr Tat, drauBsn in dsr freisn.Nstur, gewinnt sis ihre Verstandeskraft zurfick, um schlieBlich dis notwsndigen Entscheidungsn fiir dis Zukunft zu trsffsn. Obwohl das Hauptintsresss dss Dichters vorwisgsnd auf den innsrsn Wert seiner Frauengestalten gsrichtst zu sein scheint, auf ihre Tugsnr den, so bedeutst das nicht, daB er bei ihrer Charaktsrisisrung dis au- Bere Erschsinung vfillig unbeachtet lieB. Dis meisten dsr Kleistschsn Frauen sind jung und von suBsrordentlichsr Schfinhsit, dis jsdoch nur ssltsn und wenn, dann auBsrst ungenau bsschrisbsn wird. Auch hier scheint es, als habe dsr Dichter mshr Wert auf die Wirkung dsr weibli- chen Rsizs auf den Mann gslsgt. Von Littegards heiBt es, sis ssi "dis schfinsts," bis auf den Augenblick dsr schmahlichsn Anklags durch dsn Grafsn Jakob such "dis unbsscholtsnsts und maksllosssts Frau dss Landss." (11,235) Dis Marquise ist als "sins Dame von vortrsfflichsm Ruf" (11,104) bekannt. Agnes erscheint Ottokar in ihrer Schfinhsit und Reinhsit wie sin Engel, dem er den Namen Maria gibt, da dss Madchsn dem Bildnis dsr Gottssmuttsr gleichs. (1,62) Dss Kathchen wird als "sin Wesen von zarterer, frommsrsr und liebersr Art" (1,433) bezeichnet, als man es sich vorstsllen kfinns. An Alkmens preist man dsn "schfinstsn Rsiz, dsr auf der Erds blfiht" (1,260), dsr sogar einen Gott vom Olymp hsrabstsigsn laBt, um ihr zu begsgnsn. Von Penthesilea heiBt es: Solch sins Jungfrau, Hermia! So sittsam! In jedsr Kunst dsr Hands so gsschickt! So rsizend, wenn sis tsnzts, wenn sis sang! So voll Verstand und Wfird und Grazis! (1.414) 106 Und doch ist es dissslbs Penthesilea, dis sich mit ihren Hunden suf Achill stfirzt, um ihn mit ihren Zfihnen zu zsrrsiBen. Wenn Heptner bshauptst, Kleist ssi bei dsr Zeichnung seiner weib- lichen Figursn sowohl von romantischen Ideen fiber die Frau als auch von dsr Idsalgestalt beeinfluBt gewsssn, dis ihm von dsr Frau vorschwsbte, so muB dieser Ansicht im Hinblick auf die Betonung dss Gsffihls und der Leidenschaft zugestimmt werden.77 Allsrdings hat seine Charakterisis— rung dsr Frauengestalten gsnauso wie seine Wirklichkeitsdarstsllung wesentlich scharfsre und nfichternsrs Zfigs aufzuwsissn. Es bestshsn ksins Zwsifel daran, daB es sich hier keineswegs um genaue Personsn— bsschrsibungsn handelt, um genau gszsichnets Individusn. Wir haben vielmehr Gestalten vor uns, die in den Ablauf dsr Handlung hineinge- etsllt sind, dsnsn dsr Dichter sins rein funktionale Bedeutung zuge- tsilt hat. Daher lasssn sis an persfinlichsn Ksnnzeichen nur soviel srh ksnnsn, wis es ffir den Ablauf dss Geschehens notwsndig erscheint. Der Ansicht Conradys, man mfisss die Kleistschsn Figursn als rein funktional bezeichnsn, weil sis sbsn nur dies ssien und nicht um ihrer selbst wil- len durchgestsltsts Menschsn, muB darum zugestimmt werden.78 6. Die variierenden Frauenrollen im_Werk In ihrer Eigsnschaft als rein funktionale Figursn erscheinen dis wichtigsten Frauengestalten im.Klsistschen Werk als Ehefrau oder Ge- liebte, als Mutter, Tochter, Schwester oder Freundin und erffillen dis ihnen zugewiesenen Rollsn ihrer Bestimmung gemfiB. Ffir das Verhaltnis zum Manns hat dsr Dichter ffir jsde Variants dsr weiblichen Charaktere sin passsndss ngsnfibsr gsschaffsn und somit in jedem Werk ffir sins gssignste Abwandlung dss IchsDu-Vsrhfiltnissss gssorgt. 107 6.1. Ehefrau 0b es sich um Lisbeth odsr Alkmens, um Eustache, Gertrude, Elvirs, Thusnslda oder dis Mutter dsr Marquise handsln mag, sis alle sntsprs- chsn dsn Vorstsllungsn Kleists von einer gutsn Ehefrau. ngsn ksins von ihnen kfinnts man den Vorwurf erheben, dsB sis ihre Pflichtsn vsrnach— lfissigen. Sis vsrstshsn ss, sich dsn Wfinschsn ihrer Ehsgattsn zu unr tsrwsrfen und sis zugleich gIficklich zu machen. Sis haben jens Eigens schsftsn und Tugendsn aufzuwsissn, dis vom Dichter als notwsndig bs- zsichnst werdsn, um sins gIficklichs Ehe zu gewfihrlsistsn: wahrs Liebe und Treus, Herzensgfits, Vertrauen, Uneigsnnfitzigksit und Aufopfsrungs- bersitschaft. Dss Ssxuelle tritt bei dsr vsrhsirateten Frau mit weni- gen Ausnahmsn in den Hintsrgrund. Eustache versucht durch dis Erinns- rung sn ihre lisbsvolls Hingabe am Absnd vor dsr Hochzsit, Rupert in seiner rassnden Wut gsgsn die Vsrwandtsn auf Warwand zu besfinftigsn. Alkmens, trotz dsr BewuBthsit ihrer Unschuld an sich selbst irre gs- wordsn, glaubt, dis Ehe mit Amphitryon nicht weiterffihrsn zu kfinnsn, da man sis scheinbar dsr Untrsus bszichtigen mfisse. Dis idealisisrts Darb stsllung dss shelichsn Vsrhfiltnissss, wie es speziell in Alkmenss Situ- ation gsschieht, mag besonders bsrschtigt sein, falls es Kleist darum ging, ssinsn Mitmenschsn dss ngsntsil von dem vor Augen zu ffihrsn, was sich ihnen im tfiglichsn Leben bot. Ubsr Berlin wurds im Jahre 1799 be- richtst: Da Berlin dsr Zentralpunkt dsr preuBischen Monsrchis ist, von wo alles Bfiss und Guts fiber dis Provinzsn sich ausgieBt, so hat sich die dortigs Vsrdorbsnhsit nach und nach fiber disss ausgebrsitst. Dsr Offizisrstsnd, dem MfiBiggangs hingegsben und den Wisssnschaftsn sntfremdet, hat ss am wsitssten unter allsn in dsr Gsnustrtigksit gsbracht. Sis treten alles mit FfiBsn, disss privilsgisrtsn Stfirenfrisds, was sonst heilig gsnannt wurds, Religion, shslichs Treus, alle Tugendsn dsr Hauslichksit. Ihrs Wsibsr selbst sind unter ihnen Gsmeingut 108 gswordsn, dis sis vsrkaufsn und vsrtauschsn und sich wech— sslwsiss vsrffihrsn. Ksin shrlichsr Bfirgsrsmann, kein solider Zivilist kann sin Weib mshr bskommsn, was jsns SchmsiBfliegsn nicht schon verunrsinigt hattsn oder, wenn sis unschuldig in den Ehsstand trst, nicht zu bsflecken suchtsn.79 Kleist selbst betonts in einem Brief an Wilhelmins fiber das Hoflebsn: "Auch wfirs dsr Aufsnthalt an fremdsn Hfifsn kein Schauplatz flir das Glfick dsr Liebe. An dsn Hfifsn hsrrscht dis Msds, und die Liebe flisht vor dsr unbeschsidnsn Spfittsrin." (11,504) Agnes Ausspruch Ottokar gsgsnfiber, dsB sin Weib ksins Mfihs schsus, wenn ss sich um einen Lisbssdisnst fiir dsn Mann handsls (1,76), snt- spricht dsr Dsnkwsiss dsr vsrhsirateten Frauengestalten im.Klsistschen Werk. Besondsre Lisbeth und Eustache bemfihsn sich, sntsprschsnd ihrer Funktion im dichterischen Werk auf die Dsnk- und Verhaltensweise ihrer Ehemannsr sinzuwirksn. Lisbeth erweist sich als tatkraftigs Partnerin dss Michael Kohlhaas und muB ihre Selbstloeigksit sogar mit dem Leben bszahlsn. Sis wird wie Eustache zur Mahnsrin, die mit "stiller Stand- haftigkeit" dem stfirmischen Willsn dss Mannss Einhalt zu gebistsn versucht. Gsrtrudes spezieller Hang zum MiBtrausn und ihr negativsr EinfluB auf ihre Umgsbung mfisssn als rein funktionale Bsdfirfnisss flir dis ngenfiberstsllung von Vertrauen und MiBtrausn in dsr Familie Schroffenstein gesehen werden. Dis Mutter dsr Marquise wsiB dsr Ge- spaltenheit ihrer Geffihls als Ehefrau und Mutter dadurch Abhilfs zu vsrb schsffen, daB sis mit kluger Planung und sinigsr List Vatsr und Tochter wisdsr zu vsrsinsn vermag. Auch von Elvire heiBt es, sis ssi Pischi sine "trsfflichs Gsmahlin." (11,201) Dis Rolls Piachis in seiner Ehe mit Elvire erweist sich vorwisgsnd als dis eines verstfindnisvollsn Bsschfitzsrs, dsr um die grenzenloss Treus dsr jungen Frau dem totsn 109 stsnsrstter gsgsnfibsr weiB und disses Gsffihl dsr "rsinsn Seele" El- virss achtst. In Thusnsldas Fall bestshsn ksins Zweifel an ihrer shs- lichen Treus, obwohl sis in ihrer Einfalt und Eitslksit dis Annfihsrung dss jungsn Rfimsrs Vsntidius sowohl ablshnt als auch srmutigt. Man dsrf also behaupten, daB dis im Werke auftrstsnden shelichsn Verbindungsn auf Liebe, doch wesentlich mshr auf gsgsnssitiger Hochach- tung und tisfstsm Vertrauen basisren und somit zu einem Ehsglfick bei- trsgsn, das sich gerade in Krieenzsitsn bswfihrt. Anzsichsn eines Rfittslns an den Fssten dss patriarchalischsn Gsssllschaftssystems, an den Vorrechten dss mannlichsn Obsrhauptes dsr Familie, sind nicht gsgsbsn. 6.2. Mutter . Die Muttsrgestaltsn bei Kleist lasssn sich in drei Gruppsn auf- tsilsn. Von Eustache, Gertrude, Lisbeth und Thusnslda weiB man, daB sis sich jedsrzeit als treusorgsnds Mfittsr srweissn, dis ststs auf das Wohl ihrer Kinder bedacht sind. Von Thusnslda hfirt man nur, daB sis zwsi Sfihns hat, dis jsdoch in ihrsm‘Verhaltnis zur Mutter im Drama kei- nen wesentlichen Platz sinnehmen. Lisbeth, sonst gswfihnt, sich dsn Wfinschsn ihres Mannss anzupasssn, wagt es in ihrer Sorgs um die Zukunft ihrer Kinder, gsgsn dis Plane von Michael Kohlhaas zu sprechen, da sr sinsm Nachbarn gsgsnfibsr seine Absicht zum Ausdruck bringt, den gessmr tsn Besitz zu vsrkaufsn. Gertrude wird in ihrem Denken und Handsln wesentlich von dsr Sorgs um die Sichsrheit ffir Agnes beeinfluBt. Auch Eustache, dis sich selbst als "untsrdrficktes Weib" (1,116) bezeichnet, srkfihnt sich, gsgsn die Bsfshls Ruperts zu handsln, indem sis Ottokar aus dem Turm sntwsichsn lfiBt. DaB Muttsrliebs sich als sins stfirksre Macht auszeichnst als alle Liebe und Ehrfurcht, die sie dem Ehemann 110 sntgsgsnbringt, vermag insbesondere dis Mutter dsr Marquise aufzuzsi- gsn. Obwohl sis selbst srschfittsrt ist fiber dis unfstars Tatsachs dsr Schwangsrschaft ihrer Tochter, obwohl ihre Enttfiuschung fiber dsn vsrmu- tstsn Fshltritt und die Hintsrlist dsr Marquise ksins Grsnzen kennt, vermag sis dsr Tochter das Mitgsffihl ihres Muttsrhsrzsns dsnnoch nicht vfillig zu sntzishsn. Der mit ihren Transn benstztsn schriftlichsn Auf- fordsrung dss Vatsrs, das Eltsrnhaus sofort zu vsrlasssn, ffigt sis darum das Wort 'diktisrt' hinzu. Entsprschsnd ihrer Bestimmung als Frau im Werke Kleists vermag sis, mit ihrem EinfluB den Vatsr davon zu fibsrzsugen, daB sin frsvslhaftsr stsnswsndel dsr Marquise noch ksinss- wsgs bswisssn ssi. Dis Mutter ist es schlisBlich, dis sich srdrsistst, gsgsn das Vsrbot ihres Mannss wisdsr Kontakt mit dsr Tochter sufzunsh- msn, um sich von dsr Tugendhaftigksit dsr jungsn Frau srnsut zu.fibsr- zsugsn. Allsin ihrem Wirken ist es zu vsrdanksn, daB ss zu einer Vsrb sfihnung zwischen Vatsr und Tochter kommt. Nebsn diessm‘Vsrhaltnis zwischen Mutter und Tochter steht die mfittsrlichs Sorgs um dsn Sohn im Mittelpunkt dss Wirksns dsr Mutter Friedrich von Trotas und dsr dss Grafsn vom Strahl. Vsrstfindlich ist die ablshnsnde Einstellung Frau Helsnas Littegards gsgsnfibsr, dis ihrer Ansicht nach in ihrer Vsrworfenhsit zum Unglfick ihres Sohnss "dss Bs- wuBtssin dsr Schuld im Busen, hisrhsr zu treten, und den Arm dss treu- stsn und sdslmfitigsten Freundss zu bswaffnen wagt, um ihr sin Gottes- urtsil, in einem ungsrschtsn Zwsikampf zu srstrsitsn!" (11,247) Dis Kleistschs Mutter lfiBt ksins Mfihe unvsrbsucht, ist zu jedsm Opfer be- reit, ihren Kindsrn Bsistsnd zu lsistsn. Von einer dsrartigsn Aufopfsrungsbsrsitschsft lasssn sich jsdoch wedsr bsi Frau Marthe Rull noch bei dsr Mulattin Babskan Anzsichen 111 erkennen. Beids sind so sshr von dsr Richtigksit ihrer sigsnnfitzigsn Dsnk- und Handlungsweise fibsrzeugt, daB dis Nisdrigksit ihres Vsrhaltens ihren Tfichtern gsgsnfiber von ihnen nicht srkannt wird. Sis srweissn sich jsdoch als Ausnahmsn. Dis schts Muttsrgestalt, dis aus Liebe zu ihren Kindsrn zu jsdsm Opfer bereit ist, zeigt dsr Dichter in seiner Anskdote Muttsrliebs. (11,277) Hier setzt sins Mutter ihr sigsnss Leben sin, um ihre Kinder vor einem tollwfitigsn Hund zu schfitzsn. 6.3. Schwester Wollts man dis sngsn Bszishungsn zwischen dem eigenen Leben Kleists und den Gestalten in seinem dichterischen Werk zu beweisen vsrsuchen, so dfirfts dis begrfindste Annahme, sin Brudsr-Schwestsr-Vsrhfiltnis von wesentlichsr Bedeutung dsrin zu finden, sich nicht bsstfitigsn. War es doch gerade seine Schwester Ulrike, dis immer wieder in Notzsitsn zu seiner Seite silts, dis ihm sin Leben lsng jsds mfiglichs finanzislls Unterstfitzung gewfihrts, dis nach dss Dichters eigenen Wortsn alles ffir ihn gstan hatts, was msnschsnmfiglich gewsssn war. 1m Werk tritt dsr Brudsr dsr Marquise in dsr Hauptsachs als Stellvertrster dss Vatsrs auf. Ohns persfinlichs Gsffihls dsr Schwester gegenfibsr auBsrt er sich vsrdammsnd fiber dis "Schande, die die Marquise fiber die Familie gs- bracht hatts" (11,127) und fragts den russischsn Grafsn, "ob sr ra- ssnd gsnug wfire, zu wfinschsn, mit dieser Nichtswfirdigen vsrmfihlt zu sein?" (11,128) Dassslbs nficksichtsloss Vorgshsn lasssn die Brfidsr Littegardss erkennen, dis bei der srstsn sich bietsndsn Gslegsnhsit vsrsuchen, die Schwester um ihr rechtmaBiges Erbs zu betrfigsn. Anetstt ihr dsn so fiberaus dringsnd bsnfitigten Schutz dsr Familie zu gswahrsn, und sich in dieser Angslegsnhsit ffir'sis sinzusstzsn, nfitzsn such sis ihre 112 bevorzugts Position als Rsprfissntantsn dss mannlichsn Gsschlschts in dsr vorhsrrschsndsn Gsssllschaftsordnung aus, um ihren sigsnnfitzigen Zwecksn zu disnsn. 6.4. Tochter Als folgsams Tfichtsr srweissn sich Josephs, Toni, Agnes und such Eve bis zu dem Augenblick in ihrem Leben, da dss Erwachsn dsr srstsn Liebe in ihnen jsnss innsrs Gsffihl auflsbsn laBt, das ihnen dis Rich- tigkeit ihrer individusllsn Entscheidungsn und ihrer verandsrtsn Dsnk- und'Vsrhaltsnswsiss bestfitigt. Dis grfiBts Veranderung ist am.Kfithchsn von Heilbronn bsmsrkbar. Aus dsr trsusorgsnden Tochter, dis dsm'Vater dsn mutterlossn Haushalt ffihrt, wird durch den Anblick dss Grafsn vom Strahl sins Landstreichsrin, die sich nicht davon abhaltsn laBt, dem Rittsr auf Schritt und Tritt zu folgsn und ihm ihre Dienste zu erwei- ssn. Nichts vermag sis zu bewegen, zu ihrer frfihersn Lebensweiss im Eltsrnhaus zufifickzukshrsn. Ubsr das Verhaltnis Littegardss zu ihrem Vatsr gibt dsr Dichter nur dis Auskunft, daB jsns Nachricht von der Schande dsr Tochter ihm den TodssstoB versetzt, nfimlich als Zsugin vor dem Gsricht dss Kaissrs in Basel erscheinen zu mfisssn, um Auskunft fiber sins gemeinsam mit dem Grafsn Rotbart vsrbrachte Nacht zu srteilsn. Als wichtigstss VsterbTochter-Verhaltnis erweist sich absr das dsr Mar- quiss. Weiss hebt hervor, daB dsr Kommandsnt, an vsrantwortungsbewuB— tss und shrsnvollss Handsln gswfihnt, dem Druck dsr bsstfirzenden Um- stands nicht gswachsen ssi. In seiner Rolls als Patriarch dsr Fami- lie versuchs er, auf tyrannische Weiss seine Autoritfit geltsnd zu ms- chsn, um so seine eigene Unsicherhsit und Vsrwirrthsit zu.fibsrdscksn. Nicht dsm Vatsr, sondern dsn diplomatischen Ffihigkeitsn dsr Mutter blsibs ss fibsrlasssn, dsn sxtrsmsten Schritt dss Kommandsntsn, seine 113 Tochter mit dsr Schquaffs in dsr Hand aus dem Haus zu weisen, zu.fibsr- brficken. Der Vatsr, dsr als Beschfitzsr dss weiblichen Gsschlschts auf- trsten sollte, srweiss sich stattdsssen als sins Gsfahr. Gsnauso wie dsr Kommandant zu weit gsgangsn ssi in dsr Verdammung seiner Tochter, gsnauso zeigs sich bei dsr Vsrsfihnung sin unnatfirlich srscheinendes UbsrmaB an Vatsrlisbs.80 6.5. Geliebte Die Liebe kfinnts als dis wsrtvollsts und wichtigsts Beziehung zwischen Mann und Frau bei Kleist bezeichnet werdsn. Vor allsm in der jugsndlichsn Gestalt dss rsi-nsn, zarten, tugsndhaften Madchsns scheint das Liebesideal dss Dichters vsrwirklicht zu sein. Disss wesentlichen Zfigs vsrbindsn sich bei dsr Frau mit dsr Fahigksit zu unbedingtsr Hinr gsbe. So vermag Ottokar Agnes wirklich ganz dis Seine zu nennen "in dsr grenzsnlosestsn Bedeutung." (1,99) Und er bsksnnt ihr gegenfibsr: Du gehst mir fiber alles Glfick der Welt, Und nicht ans Leben bin ich so gsbundsn, So gsrn nicht, und so fest nicht wie an dich. Drum will ich, daB du nichts mshr vor mir birgst, Und fordrs srnst dein unumschrankt Vertrauen. (1,77) Nebsn dsr Liebe, durch dis sis "sdlsr und besssr" (11,503) werdsn sol- lsn, spielt das Vertrauen in diesem Icthu-Verhfiltnis zwischen Mann und Frau sins fiuBsrst wichtige Rolls. Auch Eve verlangt sin absolut blin- des Vertrauen von Ruprscht. Dis lstztsn Worte Tonis lasssn erkennen, daB such sis dissslbs vertrauensvolls Einstellung von Gustav srwartst hatts, wie sis willsns gewsssn war, ihm nicht nur ihr vollstes Verb trausn zu schsnksn, sondern ihm sogar ihr Leben aufzqufsrn. In ihrer rsinsn Liebe zu Ottokar ist Agnes zu jsglichsr Tat bereit. "Ich tus alles, wie dus willst" (11,97), gsstsht ihm das 114 Madchsn. Disss Worte schlieBsn wie bei Toni such dis Bereitschaft zum Tods sin, da Agnes glaubt, mit dem Trunk aus dsr Quells das tfidlichs Gift aus dsr Hand dss Gslisbten zu smpfsngsn. Disss Bereitschaft, ge- meinsam mit dem gslisbtsn Mann in den Tod zu gehen, dis als Motiv bs- rsits in dem Erstlingsdrama auftaucht, sollte den Dichter als Gsdanks bis zu seinem Ends nicht vsrlasssn. Doch such Ottokar als Mann bswfihrt sich in seiner Opferbereitschaft. Er versucht, durch dsn Klsidsrtausch in dsr Hfihls und die Hingabe dss eigenen Lebens dis Geliebte vor dsr Rachsucht seines eigenen Vatsrs zu retten. Auch Anklfings dss Erotischsn sind in fast allsn Werken Kleists zu finden. "In einer vsrschwisgsnsn Nacht" hattsn Josephs und Jsronimo "den Klostsrgarten zum Schauplatz" ihres "vollsn Glfickss gemacht." (11,144) Disss stns wird an sinnlichsr Eindruckskraft durch dis Bs- schrsibung jsnsr paradissischsn Einsamksit nach dem Erdbsben noch.fiber- troffen, wo dis Nachtigall zu dem hsimlichsn "stauchz ihrer Seelsn" hoch "im Wipfsl ihr wollfistigss Lied" flfitsts. (11,150) Das srotischs Erlsbsn zwischen Mann und Frau hat nach Kleists Ansicht allein in dsr Ehe seine Gsltung. Nur dort ist es gshsiligt. Ein srotisches Erlsbsn vor dsr Ehe gilt als Sfinde, so wie Ottokars Worte in dsr Hfihlsnszsns ss andsutsn: - Ach, Agnes! Wenn srst das Wort gesprochsn ist, das dsin Gsffihl, jstzt sine Sfinds, heiligt - - (1,140-141) An sins dsrartigs Sfinds srinnsrt such Eustache ihren Mann, als sis sich ihm "am Tags vor dss Priestsrs Spruch" schenkts. (1,122) Doch nicht nur in den jungfrfiulichen Gestalten wie Agnes, Josephs, Eve, Kfithchsn, Toni und Natalie findet disses Liebesideal Kleists seine 115 dichterische Vsrwirklichung. Selbst rsifsrs Frauen wis Littegards, dis Marquise oder Alkmens lasssn jsnsn faszinisrsnden Reiz vsrspfiren, dsr sins groBe Wirkung auf den Mann ausfibt. Aber gerade dis Ksuschhsit und das tugsndhafts Leben dsr Frau schsinen sich verschiedentlich als zu- sfitzlichsr Ansporn auf das mannlichs Geschlecht auszuwirken, dis Unnah— bars zu vsrffihrsn. Daffir mfigen Elvire, Alkmens, Littegards und such Eve als Beispiel gelten. Und man sieht sich gezwungsn, trotz dsr im Werke dargestellten Vsrffihrungsn und Vergewaltigungsn dsr Ansicht Hept- nsrs beizupflichtsn, daB es unter Kleists Heldinnen ksins einzige un- ksuschs Frau gibt.81 6.6. Freundin Brooks msint, Ruprscht als sinfacher Bauer im Zsrbrochnen.Krug hatts unter fihnlichen Umstanden Eves Bitte um Hilfe abgelshnt, wenn sis wie Littegards zu ihm gekommen wars. Friedrich von Trota dagsgsn bs- sitzt sin unbegrsnztss Vertrauen in dis Rsinheit und Ksuschhsit dsr Freundin. Bevor sis noch ihre Unechuldsbstsuerungsn zu Ends zu bringen vermag, untsrbricht Trota sis: "Gsnug, msins tsusrste Littegards!" risf Herr Friedrich in- dem sr mit sdlem Eifer ihre Hand nahm, und an seine Lippsn drfickte: "verlisrt kein Wort zur Vsrtsidigung und Rschtfsr- tigung Eursr Unschuld! In meiner Brust spricht sins Stimms ffir Euch, weit lebhafter und fiberzeugsndsr, als alle Vsrsiche- rungsn, ja selbst als alle Rechtsgfifinds und Bswsiss, dis 1hr visllsicht aus dsr Verbindung dsr Umstands und Begebenheiten, vor dem Gsrichte zu Basel ffir Euch sufzubringen vsrmfigt. (11,240) Obwohl sis ihn also als zukfinftigsn Ehsgatten zuvor abgswisssn hatts, um stwsigs Schwisrigksitsn dss Erbes wegsn mit ihren Brfidsrn zu vsr- msidsn, so erweist sich seine Gssinnung als edel gsnug, um ihr jstzt zur Seite zu stehen, und sr erklfirt ihr: 116 Nshmt mich, weil Eurs ungsrschten und ungroBmfitigsn Brfider Euch vsrlasssn, als Euren Freund und Brudsr an, und gfinnt mir dsn Ruhm, Euer Anwslt in dieser Sachs zu sein; ich will dsn Glanz Eurer Ehrs vor dem Gsricht in Basel und vor dem Urteil dsr ganzen Welt wisdsrherstsllsn! (11,240) Friedrichs Vertrauen laBt ihn nicht einen Augenblick an ihrer Unschuld zweifsln, ja, es ist sogar noch gsnauso stark vorhandsn, nachdem dis Jungs Frau meint, sich trotz ihres rsinsn BswuBtseins selbst als schul- dig srklfirsn zu mfissen, da sogar Gott gsgsn sis sntschisdsn habe. Dis Frau als Freundin dss Mannss hat in eigenen Leben dss Dichters sins wsitaus grfiBers Rolls gsspislt, als es sich vom Werk ablsssn laBt. Seine Braut spricht sr wisdsrholt als Freundin an. Er msint, "man mfiBts wenigstsns tfiglich sin gutss Gsdicht lsssn, sin schfinss Gsmalds sshsn, ein sanftss Lied hfirsn - oder sin hsrzlichss Wort mit einem Freunds rsdsn, um such dsn schfinern, ich mfichts sagsn dsn menschlichs- rsn Teil unseres Wesens zu bilden." (11,494) Nach dsr Meinung dss Dichters kann wahrs, schts Freundschaft fast die Gsnfisss dsr Liebe ersetzsn - Nsin, das war doch noch zu visl gssagt; absr visl, sshr visl kann sin Freund tun, wenn dsr Geliebte fehlt. Wsnig—' stens gibt es ksins andsrsn Genfisss, zu welchen sich die Liebe so gsrn herab lieBs, wenn sis ihr gsnzss Glfick gsnosssn hat und auf sins Zsitlang fsiern muB, als dis Gsnfisss dsr Freundschaft. (11.529) Ohns Zweifel hatts dis schts Freundschaft ffir dsn Dichter sins auBergs- wfihnlichs Bedeutung. Heptner bshauptst, Kleist ssi in ssinsm'Vsrhfilt- nis zu Frauen im Leben weitgehend durch die Schwankungsn in ssinsn frsundschaftlichen Bszishungsn zu Mannern bestimmt gewsssn. Natfirb lich kann nicht abgsstritten werdsn, daB Kleist sins groBs Vorliebs flir Freundschaften mit Mannsrn bssaB. Allgemsin wird dis Tatsachs, daB er in seine Briefs an mannlichs Freunds soviel Gsffihl hineinlsgts, als 117 Bswsis seiner homosexusllen Veranlagung angssshsn. Als Beispiel ffihrt such Heptner dsn Brief vom 7. Januar 1805 an Ernst von Pfusl auf. . . . Ich hsirats nismals, ssi Du die Frau mir, dis Kinder, und die Enksl! Gsh nicht weiter auf dem Wegs, den Du bstrs- tsn hast. . . . Nimm meinen Vorschlag an. Wenn Du dies nicht tust so ffihl ich, daB mich niemand auf dsr Welt lisbt. Ich mfichts Dir noch mshr sagsn, absr es taugt nicht ffir*dae Brisfformat . . . (11,750) Heptner meint, daB Kleist sich davor geflirchtst habe, irgsndsinem zu nshe zu stehen, sgal um welchss Geschlecht es sich dabei handsln moch- ts. Er habe sich nach Liebe gesshnt, habe jsdoch sins Angst vor dem Risiko einer Enttfiuschung gehabt.82 Auf Grund disses Brisfss und dsr mysterifissn Rsiss nach Wfirzburg zu folgern, daB Kleist flir sins normals Ehe ungseignet war, erscheint meiner Meinung nach unberechtigt, da gs- rads wahrsnd dieser Epochs dsr Kult dsr Freundschaft ssinsn Hfihspunkt srreichts. Dss Vsrlangen nach Totalitat zeichnets alle Romantiksr ssi- nsr Zeit aus. Man bsrichtst von einem wahren Freundschaftshungsr bei Friedrich Schlegel und Ludwig Tisck, die beids das Bsdfirfnis hattsn, viels und 'intsrsssants' Freunds um sich zu vsrsammsln, um mit ihrer Hilfe zu neuen Ideen und postischsn Einffillsn zu gslangen.83 Es handelt sich also um sins eindrucksvolls Reihe von Frauen- und Madchsngsstaltsn, die in ihrer Eigsnschaft als Ehsgattin, Mutter, Tochter, Schwester, Geliebte und Freundin Eingang in dis Dichtung Kleists gsfundsn haben. Ihrs Charskterisisrung lfiBt nicht nur dis bsmsrksnswsrts Phantasis dss Dichters erkennen, sondern such dis bsseligends Uneigennfitzigksit, dis als speziells Eigenhsit dsr Frau im Werk jedoch nicht allein auf dsr Seite dsr Frau, sondern gsnauso beim Manns aufgszsigt werdsn kann. Dis Fshigksit, sich ffirsin- andsr aufopfsrn zu kfinnen, ist ffir'Kleist dsr Bewsis dsr Echthsit 118 und Heiligksit sinss Vsrhfiltnissss zwischen dem Ich und dem Du, zwi- schsn Mann und Frau. 7. Frauentypen Em Kleistschsn Werk Bei Typen handelt es sich um "bestimmte unvsranderlichs Charaktere mit fsststehsndsn Msrkmalen, die besonders im Drama in ihrer Art fest- gslsgt sind und in vsrschiedsnstsn Stficksn in gleichsr Weiss wisdsrksh- ren." 1m srnstsn Drama "bszwsckt dis typisisrsnds Darstellung durch dsn Vsrzicht auf Individualitat ihrer Personsn und Einmaligksit ihrer Ereignisse dis Veranschaulichung dss Allgemsingfiltigsn, Msnschlichsn und neigt somit zur Idsalisisrung. Sis bezeichnet ihre Figuren bswuBt durch Standss- oder Bsrufszugehfirigkeit als stsllvsrtrstsnd ffir sins bestimmte Klasss oder Volksschicht."84 Nach dieser Definition kfinnts man es als sin widsrsprfichlichss Untsrfangsn bezeichnen, bei Kleists Frauengestalten von Frauentypen zu sprechen, da in dieser Untersuchung gerade dsr Durchbruch zum Individusllen bei den weiblichen Figuren her- vorgshoben wird. Auch Conrady betont, daB zum Beispiel die Austausch- barksit dsr gsbardenhaften Zfigs nicht zu dsr Annahme vsrlsitsn dfirfe, daB wir hier sins gsplants Typendarstsllung vor uns hattsn. Er meint, um als Typen gelten zu kfinnsn, ssien dis Gestalten zu unterschisdlich gszsichnst und in ihrer Verhaltensweise zu differsnzisrt dargestellt.85 Mfillsr—Seidsl dagsgsn hebt hervor, daB in vsrschiedsnsn Fallen die man- gslnds Individualitfit und dsr Vsrzicht auf die Darstellung unverwsch- sslbarsr Personsn in dsr Figurengsstaltung ss srlaubsn, vom Typischsn zu sprechen.86 1m Folgendsn soll lediglich dsr Vsrsuch untsrnommsn werdsn, neben dsr Rollsnvsrtsilung dsr Frauengestalten im.Klsistschsn Werk sins Gruppierung dsr weiblichen Figuren vorzunshmsn, dis dazu 119 bsrschtigt, von typischsn Ksnnzeichen oder auch nur von einer gsmsin- samsn Zugshfirigkeit zu Gruppsn zu sprechen, welchs von auBsn her, von ihrer Umwelt, als bestimmte Typen singsschatzt werdsn. Auch hier soll speziell dis Frau in ihrer wessnssigensn Beziehung zum andern Geschlecht im Vordsrgrund stehen. 7.1. Engel - Teufel Dis Wsltanschauung dss Mittslalters wurds weitgehend durch dis Vorstsllung dss ngsnsstzss von Gott und Teufel bestimmt. Ds man dem Himmsl dis Hfille gsgsnfibsrstsllts, wurds dsr Teufel such als Widersa— chsr Gottss betrachtet, und dsr Glaubs an die Verteufslung der Welt nahm immer grfiBsrs Dimsnsionen an. Allss Unsrklarlichs dss irdischsn Lebens wurds durch das Wirken dss Tsufsls srklart, dsr ststs darum bemfiht ssi, sein sigsnss Reich dsr Hfills zu srwsitsrn, um somit das Reich Gottss zu vsrmindsrn. Aus diesem Gegensatz von Gottssrsich und Tsufslsrsich er- gab sich zusfitzlich dsr Unterschisd von Wundsrwirkung und Zaubersi. Nach dieser Ansicht grsifsn Gott und Teufel willkfirlich in dis Gssstzs dsr Natur sin. Wahrsnd Gottss Wundsr als lsgitim gelten, sind die Wun- dsr dss Tsufsls nur sins Travestis dss Wirksns Gottss. Disss Untsrb schsidung findet such dann Anwsndung, wenn Gott oder dsr Teufel ihre Gswalt an die Menschsn fibsrtragen, dis dann sntwsdsr als Heiligs wirk- liche Wundsr vollbringsn oder als Anhfingsr dss Tsufsls, als stsnmsi— stsr oder stsn ihre Zaubersisn ausffihrsn. Da dis Menschsn jsdoch zum Zwecks dsr tsuflischen Handlungsn Gott absagsn und ihre Seele dem Tsu- fsl vsrpfanden mfisssn, sntsteht jsner Bund mit dem Teufel, dsr schon in dsr ursprfinglichsn Fsustsags sins so groBs Rolls spielts. Weil man von alters her dis Frau besonders dazu bsffihigt hielt, magischs Kfinsts zu vollffihren, so vsrband man disssn Gedanken mit Ideen dsr christlichsn 120 Theologie, wonach das Weib das Auftauchen der Sfinde in dieser Welt verursacht habe, demnach von Natur aus als ein Gefaa der Unreinigkeit zu betrachten sei.87 Die Frau wurde also nicht nur als Verffihrerin des Mannes gesehen, sondern ebenso als Verhandete des Teufels, als eine Hexe. In Deutsch- land, wo die Inquisition keinen rechten Bodsn hatte finden konnen, wurde man mit dem Ausgang des 15. Jahrhunderts durch die einsetzenden Hexenprozesse voll entschadigt. Papst Innozenz VIII. beauftragte 1m Jahre 1484 die Theologieprofessoren Jakob Sprenger und Heinrich Insti- toris damit, eine papstliche Bulls fiber die Verfolgung und'Verurteilung von Hexen auszuarbeiten. Das in Deutschland als Hexenhammer bekannts Werk wurde 1489 zum ersten Mal gsdruckt und allgemein als das theolo- gische und juristische Handbuch ffir Hexenrichter anerkannt. Da die Kirche ihre Gegner nicht selbst hinrichtete, wurde die Hexerei als ein Verbrechen bezeichnet, das von geistlichen und weltlichen Richtern zu- gleich vsrfolgt werdsn mfiBte. So verbanden sich Theologie und Juriste— rei zu einem hexenbrennerischen Geschaftsbetrieb, der nicht allein von einem morderischen Glaubenseifer bestimmt wurde, sondern ebenfalls von einer ungeheuren Habsucht. Es bestehen keine Zweifel darfiber, daB unr zahlige Hexenverbrennungen von dem Umstand beeinfluBt wurdsn, daB das Vermogen der Eingeascherten zu zwei Dritteln den Grundherren, zu einem Drittel aber den Richtern, Geistlichen, Angebern und Henkern zugespro— chen wurde.88 Scherr weist darauf hin, daB das im Hexenhammer enthaltene Regi- ster von Anzsichen, nach denen die Hexen srkannt werdsn konnten, durch die Praxis noch eine wesentliche Erweiterung fand. Er ffihrt dazu aus: 121 In Wahrheit, Ernstestes und Lacherlichstes, Erhabenes und Komisches, GroBtes und Kleinstes, Vorzfige und Gebrechen, Tugend und Laster, Schonheit und HaBlichkeit, Reichtum und Armut, Frommigkeit und Gleichgfiltigkeit, Gesundheit und Krankheit, Klugheit und Einfalt, guter und schlechter Ruf, Wort und Gebarde - alles und jedes war unter Umstanden aus- reichend, den Verdacht der Hexerei zu erregen. Es klingt abenteuerlich und ist doch nur zu wahr, mehr als anderthalb Jahrhunderte lang - von 1500 his 1675 - war kein Mfidchen und keine Frau, aber auch gar keines und gar keine in Deutschland auch nur eine Stunde sicher, in der nachsten nicht als Hexe angegeben, angeklagt und prozessiert zu werden.89 In neunundneunzig von hundert Fallen aber bedeutete eine Anklage zu- gleich auch Verurteilung. Diese Hexenverfolgungen fanden selbst noch im achtzehntsn Jahrhundert statt. Im Jahre 1756, also nur einundzwanzig Jahre vor dem Geburtsjahr von Heinrich von.Kleist, wurde ein Madchen im Alter von visrzshn Jahren in Landshut in Bayern zum Tode vsrurteilt und enthauptet, weil es angeblich eine Wette mit dem Teufel abgeschlossen hatte.9O So taucht such in Kleists Werk, besonders im Zerbrochnen E335, noch das Motiv des Teufels auf, der des Nachts Eve einen Besuch abgestattet haben konnts, "Mit einem.PferdefuB, und hinter ihm / Er- stinkts wie Dampf von Pech und Haar und Schwefel." (I,234) Ohne Auf- klarung der wahren Umstande hatts es Eve passieren konnen, als Verbfin- dete des Teufels verdammt zu werden. Hoffmeister macht die Beobachtung, daB die Frau seit dem spaten Mittelalter im literarischen Werk nur selten als konkretes Wesen darge- stellt wurde. Entweder verunglimpfte man sie als einen Lockvogsl Luzi— fers, oder man verehrte sie als einen Engel. Dagegen wurde die tugsnd- same, betriebsame Haus- und Ehefrau kaum als wert befunden, zum 'lite- rarischen Gegenstand' erhoben zu werden.91 Der Wechsel in der Beurtsi- lung eines Menschsn von einem Extrem zum anderen zeigt sich zum Beispiel bei der Marquise, die den Grafsn bei seinem ersten Erschsinen als einen 122 Engel, spater jedoch als teuflische Gestalt empfindet. Wie ein Engel erscheint Agnes in ihrer reinen Schonheit sowohl Johann als auch Otto- kar, der die "Khnliche der Mutter Gottes" auf den Namen Maria tauft. (I,62) Daneben erscheint aber auch Ursula, die Totengrfiberswitwe, die dem ertrunkenen Knaben einen Finger abgeschnitten hatte, in der Gestalt einer Hexe, die ihre Tochter mit diesem Kinderfinger einen Glficksbrei kochen laBt. Die Aufgeschlossenheit Ottokars aber einem vermeintlichen Hexenglauben gegenfiber zeigt sich in seiner Reds zu dem jungen Madchen: Was sprichst du mit Dem Kessel, Madchen? Bist du eine Hexe, Du bist die lieblichste, die ich gesehn, Und tust, ich wette, keinem Boses,,der Dir gut. (I9128) Der extreme Gegensatz in der Beurtsilung laflt Littegards in den Augen Trotas als sine engelsreine Gestalt erscheinen, in denen der Gesell- schaft als eine Verdammenswfirdige. Gsnauso vsrurteilt der Vatsr der Marquise die junge Frau als eine schandliche, "verschmitzte Heuchlerin! Zehnmal die Schamlosigkeit einer Hfindin, mit zehnfacher List des Fuch- ses gepaart." (11,132) Und doch erweist sie sich zuletzt als eine "Reinere als Engel sind." Die zuvor Lasterhafte wird nun als "Herr- liche, Uberirdische" bezeichnet. (II,135) Es zeigt sich also, daB die Frau in der literarischen Darstellung den Brauch noch immer nicht ab- zuschfitteln vsrmochts, entweder als Engel verehrt oder als ein Lock- vogel des Teufels vsrurteilt zu werden. 7.2. Das 'gefallene Madchen' DaB man die sexuallen Bedfirfnisse des Mannss von Jeher anerkannte, war bereits hsrvorgshobsn wordsn, ebenso, daB fur die Frau als Tatsachs angenommen wurde, daB ihr eigenes Glfick vor allem in der Befriedigung 123 dss mannlichen Gsschlschtstriebes liege. Fast scheint es, als lieBe sich dementsprechend im.Kleistschen Werk sin Hang zur freiwilligen Hingabe an den Mann oder such an einer ungerschtfertigten Besitznahme durch den Mann aufzsigsn. Das "zartliche Einvsrstandnis" zwischen Josephs und Jsronimo wird durch die Hingabe dss Madchens an den Gslisb- ten im Klostergarten zu einem "vollsn Glfick." Eustache gibt zu verb stehen, daB sis bereits am Vorabend ihres Hochzsitstages Rupert die Rechte eines Ehemannss zugestanden habe. Agnes ffigt sich in der Hoh- lenszene willig den Wfinschen Ottokars, der vorgibt, sie verflfihren zu wollsn, um ihr zu ihrer Rettung seine eigene Kleidung aufzuzwingen. Toni wird von ihrer Mutter dazu gsbraucht, ihre jugendlichen Rsizs spielen zu lasssn, um wsiBe Flfichtlinge ins Haus zu locken. Ihr wird aufgetragen, ”den Fremden ksins Liebkosung zu versagen, bis auf die lstzte, die ihr bei Todssstrafs verbotsn war." (II,161) Dennoch ge- wahrt sis disss lstzte Liebkosung Gustav. Disser freiwilligsn Hingabe an den Mann stehen die Falls der er- zwungenen Besitznahms gegenfibsr. An der ohnmachtigen Marquise vergeht sich sin russischsr Offizisr, nachdem er sis aus den Handen "viehischer Mordknechte" befrsit hatte. Nicolo, dsr verkleidst vor Elvire er- scheint, hatts ohne die unerwartste Ankunft Piachis die junge Frau miBbraucht. Alkmens gibt sich Jupiter hin, allerdings in dem Glauben, in ihm ihren eigenen Ehsgatten Amphitryon vor sich zu haben. Auch von unberechtigtsn Anschuldigungen der Unksuschheit blsibsn die Frauen Kleists nicht verschont. Jakob der Rotbart bshauptst, daB Littegards ihm zumindsstsns fur sins Nacht angehort habe, eine Behauptung, die sis zwar abstreitet, die jedoch durch das angerufene Gottesurtsil Be- stfitigung zu finden scheint. Von Kathchen, das dem Grafsn rom Strahl 124 fibsrall hin folgt, nimmt selbst ihr sigsnsr Vatsr an, der Rittsr habe das Madchsn vsrfluhrt. Eve gsrat in den Vsrdacht, einen andsrsn Mann als den Verlobten zu nachtlichsr Stunds in ihrer Kammsr empfangsn zu haben. In Wirklichkeit ist sis absr bsmfiht, sich dsr unsittlichsn Nachstsllungen dss Dorfrichters zu erwshrsn. Um jsdoch die Sichsrheit dss Verlobten nicht zu gsfahrden, vsrwsigsrt sis die Aussags vor Gs- ‘ richt. Bezeichnsnd flur dis Einstellung dss Mannss einem jungsn Madchsn gegenfiber ist die Reds dss unverschamtsn Richters Adam: Ein twatsches Kind. Ihr sshts. Gut, absr twatsch. Blutjung, gefirmelt kaum; das schamt sich noch, Wenns einen Bart von wsitsm sieht. So'n Volk, Im Finstsrn leiden sies, und wenn es Tag wird, So lsugnsn sies vor ihrem Richter ab. (1,218-219) Dis Entstehungsgsschichts dss Amazonsnstaates demonstrisrt das verhse- rsnds Schicksal dsr Frauen im Falls eines kriegsriechsn Unterliegens. In der Hermannsschlacht wird die Schfindung eines jungen Madchsns sogar ffir politische Zwecks ausgenutzt. (1,590-591) Ayrault wsist darauf hin, daB alle Frauengestalten ihre Rsinhsit auch dann noch vsrtsidigsn, nachdem sis hochst ungsrschter Behandlung und Beurtsilung ausgesetzt warsn. Es scheint, als warsn sis besonderen Prufungen im Leben unterworfsn, um dann noch hsrrlichsr und wertvollsr fur dis Liebe daraus hsrvorzugehsn.92 Doch wie dis Mstaphsr dss Schwans in dsr Erinnsrung dss russischsn Grafsn aufzsigt, da sr ihn "sinst mit Kot bsworfen, worauf dieser still untergetaucht, und rein aus dsr Flut wisdsr smporgekommsn ssi" (11,116), so lasssn auch die Kleistschsn Frauengestalten nach dsr Schandung erkennen, daB ihre Rein- hsit und Ksuschhsit unbssintrachtigt blsibt durch das, was ihnen angs- tan wurds. Somit vermag Heptner mit Recht zu behaupten, daB es unter Kleists Protagonistinnsn ksins einzige unkeuschs Frau gsbe.93 125 7.3. Das Machtwsib Im Gegensatz zu dem 'gefallensn Madchen', jensm Frauentyp, der dem Vsrlangen dss Mannss srlisgt, zeigt sich die Wirkung dss Machtwsi- bss darin, daB sich dsr Mann dsr bezwingsndsn Schonhsit ihrer Gestalt nicht zu sntzishsn vermag. Disss Frauengestalt, dis traditionsgsmafi als Vsrkorpsrung dss Bosen gilt, tritt in Deutschland mit dem burgerb lichen Trauerspiel dss 18. Jahrhunderts in den Vordsrgrund. Es ist die Figur dsr bstrfigerischsn Verffihrsrin, dsr wollfistigsn Buhlerin, dsr sifersfichtigen Gslisbten, von Emil Staigsr als "rassndes Wsib" bezeich- nst,94 von Ursula Friess in dsr Unterschsidung zwischen 'Buhlsrin' und 'Zauberin' gesehen.95 Das Machtweib wird von Friess als haufigsts Typsnbszsichnung fur sins ganze Reihe von Frauengestalten sowohl in Drama als auch im Roman dss 18. Jahrhunderts gsnnant. Sis bshauptst, daB disss Bszeichnung als sins Pragung von Malsr Mfillsr gelts und es von daher bsrschtigt ssi, von dem 'Machtwsib' als von einer typischsn Erschsinung dsr sogenanntsn Sturm—und—DranghEpochs zu sprechen. In- zwischen ssi disss Bezsichnung in dsr Forschung so gslaufig gswordsn, daB sis keineswegs nur auf bestimmte Frauen aus dsr Literatur dsr sisb— zigsr und achtziger Jahre bsschrankt blsibs.96 Grimms wortsrbuch erklart dsn Ausdruck 'Machtwsib' als "gswalt ausfibsndss wsib."97 An dieser Definition laBt sich bereits dis Viel- ssitigkeit dss Begriffss erkennen, da sich das Wort Macht sowohl auf politischss odsr gesellschaftliches Machtstrsben, auf die trfigsrischs Macht dsr Liebe, oder auch auf die fibsrmachtigs Tatkraft einer Rachs— sfichtigsn bsziehsn konnts. Auf die Verschisdsnhsit von Machtwsibtypsn soll hier nicht weiter singegangsn werden, da dieser Frauentyp im Kleistschsn Werk nicht hfiufig gsnug auftaucht. Er ist hauptsachlich 126 durch dis Gestalt Kunigundss im.Kathchen von Heilbronn vsrtrstsn. Al- lsrdings lasssn sich an Penthesilea Charakterzfige aufzsigsn, die als typischs Eigsnhsiten dss Machtwsibss bezeichnet werdsn konnten. Wenn Korff an dsr Amazonenkonigin vor allsm sin "AuBsrstss an wildbeses- sener Leidenschaft" hsrvorhsbt,98 dann darf dabei nicht ubsrsehsn wer- den, daB ihr 'Rassn' sich auf sin gsstortes BewuBtssin zurfickffihrsn lfiBt. Es handelt sich also in Psnthssilsas Fall keineswegs um sins charaktsristischs Eigenhsit. Der plotzlichs Umschlag von sdlsr Liebe zu roher Gswalt ist bei ihr vor allsm als Ausdruck unterdrficktsr Gs- ffihls zu wsrten. Auch an dsr Gestalt Babskans in der'Vsrlobung i£:§33 Domingo lasssn sich Eigenhsitsn eines Machtwsibes erkennen. Allsrdings kann sis nicht dsr Adslsklasse zugsrechnet werdsn, zu dsr das Machtwsib gswohnlich gehort. Im Folgenden soll vor allsm dis individuslle Funk— tion dss Kleistschsn Machtweibss beleuchtet werdsn, welchs Aufgabe ihm im Rahmen dss Werkes zugetsilt wird. Kunigunds von Thurnsck fallt die Funktion zu, in aller Krthsit dsn Gegensatz zwischen Kathchsn und sich selbst aufzuzsigsn. Der Na- turlichkeit dss jungsn Hadchsns, ihrem jugsndlichsn Liebreiz und dem absolutsn Vertrauen auf das eigene Gsffihl hat Kleist mit Kunigunds das absolut Kfinstliche gegenfibsrgsstellt: den mit unnatfirlichsn Mitteln gsschaffsnsn Reiz dss raffinisrten Weibes. Dennoch gslingt ss ihr dank einer ungshsuren Schlauheit, sins zaubsrhafts Wirkung auf ihre gssamts Umwelt auszufibsn, so daB dsr Burggraf von Frsiburg zu berichtsn vermag: O, Georg! Du hattest sis sehsn sollsn, wie sis daher gerit- tsn kam, einer Fabel gleich, von den Rittsrn dss Landss um- ringt, gleich einer Sonns, unter ihren Planstsn! Wars nicht, als ob sis zu den Kisssln sagts, dis unter ihr Funksn sprfih- tsn: ihr mfiBt mir schmslzsn, wenn ihr mich seht? Thalsstris, die Konigin dsr Amazonsn, als sis herabzog vom.Kaukasus, 127 Alexander dsn GroBsn zu bitten, daB sr sis kfisss: sis war nicht rsizsndsr und gottlichsr, als sis. (1,460) Und dsr Graf vom Strahl bsrichtst fiber "die rassnde Megars": "Ich glaubs, das ganze Reich friBt ihr aus der Hand. Kls0patra fand einen, und als dsr sich dsn Kopf zerschellt hatts, schautsn dis anderen; doch ihr disnt alles, was sins Ribbe wenigsr hat, als sis, und ffir'Jsdsn sinzslnsn, dsn ich ihr zerzaust zurUCkssnds, stehen zshn andsrs wider mich auf -" (1,456). Alls sind von dsr Schonhsit "dieser jungsn Auf- wisglerin" ergriffen, sis, die "die Waffsn ihres klsinsn schelmischsn Angssichts" zu ihrem Vorteil zu bsnutzsn wsiB. Trotz dieser auBersn Schonheit reprassntiert Kunigunds in diesem Werk jsdoch die Boshsit, Vsrlogsnhsit, HHBlichkeit, zeigt sich als sine Hexs in Engslsgestalt, die nicht vor dem Versuch zurfickschreckt, das Kathchsn durch Gift aus dem Wegs zu schaffsn, nachdem das Jungs Hadchen das strsng gshfltste Gshsimnis ihrer kfinstlichen Schonhsit sntdeckt hat. An dieser Gestalt verspfirt man nichts von jsner "himmlischsn Guts dss Weibes, alles, was in ihre Nahs kommt, an sich zu schlisBen, und an ihrem Herzen zu hegsn und zu pflegsn mit Innigksit und Liebe" (11,573), wie dsr Dichter es von dem weiblichen Wesen srwartst. An ihr erweist sich vielmehr dsr Ausspruch Kleists: ". . . nichts dagsgsn macht das Weib hfiBlicher und gleichsam dsr Katzs ahnlichsr als dsr schmutzige Eigennutz, das gisrigs Einhaschsn ffir dsn signen GenuB. (11,572-573) Der Unterschisd in dsr Charskterisisrung dsr beidsn Gestalten schisn Kleist nicht ausrsichsnd, so daB er fast zu krasss Hilfsmittsl wfihlte, um die Wirksamkeit von Kunigundss Schonhsit fibsrzsugsnd darstsllsn zu konnsn. Zum Beispiel beklagt Treitschke, daB Kleist bei der Zeichnung Kunigundss dem marchsnhaften Charakter dss Stfickes nicht trsu gsblisbsn 128 ssi. Rficksicht auf die Ansprfiche dsr Bfihns hattsn dsn Dichter dazu vsrlsitst, statt dsr zaubergswaltigsn Fee Kunigunds jsnss nfichtsrns ra- tionalistischs Schsusal zu schaffsn, das so widsrwfirtig sr- scheint hier in der hsitsrsn Fabelwslt, wo hohere Geistsr noch gsrn mit dem farbenrsichsn Msnschsnlsbsn vsrkehren. Die maBloss Heftigksit dss Dichters verffihrt ihn auch dies- mal, jedes Motiv zu Tods zu hetzen. Er kann sich nicht gsnug tun in dsr Schilderung seiner Heldin, sr jagt sis durch alle Stufsn dsr Ernisdrigung hindurch, und wahrsnd er ihr sins fibsrmsnschlichs Demut lsiht, die dsr Sslbstentwfirdigung zu- weilsn nahs kommt, hauft er auf ihre Feindin Kunigunde sine ganz unmoglichs Last dsr Schandlichksit.99 Und Treitschks folgsrt hier, daB dsr Dichter noch immer unter dem Schmerz um seine verlorens Braut gelittsn habe und sich daher bsrsch- tigt fuhlte, ”sin Weib ohne Herz mit seinem Hasse zu zeichnen." Diese Folgerung scheint unberechtigt, da Kleist bereits 1805, also zwsi Jahre vor dsr Entstshung dss Kathchens von Heilbronn, in Konigsbsrg gelsbt hatts, wo er mit seiner frfihsren Verlobten und Ihrem Ehemann Professor Krug gesellschaftlich verkshrte, Ja, ihnen sogar das Ge- dicht "Dis beidsn Tauben" (1808) widmete. Eine andsrs Ubsrlisfs- rung vsrwsist auf den Bruch mit Julie Kunzs als AnlaB zu diesem Werk, in dem er sins andsrs Dams, dis disss Verbindung gsstort habe, so schwarz und haBlich wie moglich darzustellen vsrsuchte, daB daraus dis Ubsrtreibung seiner Kunigunds sntstandsn ssi. (1,938) Die Tatsachs be- stsht, daB Kleist srhebliche Veranderungsn an dem Stuck vornahm, von denen Bfilow (1848) betont, daB dis ursprUnglichs Fassung die "kari— kisrte HaBlichksit Kunigundsns weit besser motivisrt und sis in sin bssserss Licht gsrfickt habe." (1,939)100 Wenn Kleist selbst darfibsr Auskunft gibt, daB Das Kathchsn von Heilbronn von Anfang herein sins ganz trefflichs Erfindung gewsssn ssi, "und nur die Absicht, es ffir die Bfihne passsnd zu machen, hat mich zu HiBgriffsn verffihrt" (1,939). 80 129 sollte man sher annehmen dfirfsn, daB es vorwisgsnd die Intention dss Dichters war, die Gestalt Kunigundss hier dsn Fordsrungsn dsr Bfihns mit einer Annahsrung an die traditionslls Charaktsrisierung dss Machtweibes anzupasssn. Allsrdings erscheinen bei Kunigunds dis Zfige wesentlich verscharft. Sis ist nicht von ihrem Lisbesvsrlangsn gstrisben, sondern bei ihr steht das Trachtsn nach matsrisllen Besitz im Vordergrund, was ihr zur Macht vsrhslfsn soll. Darum gsbraucht sis dis Manner um sich, nutzt sis aus, laBt sis als galante Verteidiger ihrer Ehrs flir sis sintrsten, um sich dann ihrer zu sntlsdigsn, sobald sis ihrer Dienste nicht mehr bsdarf. Kuoni betont, daB die Figur Kunigundes mit ihrer kunstvollsn MiBlungsnheit im Grunds nur den negativsn Beweis daffir lisfsre, "daB Kleist allein aus seinem sigsnst geschautsn Ideal dsr Seslsnreinheit lebsndigs Frauengestalten zu dichten vsrmochts." Daher dfirfe man bei ihm auch keinen "Rsichtum an Typen" srwartsn.101 7.4. Die geistliche Gestalt Uneigsnnfitzigkeit, Aufopfsrungsbsrsitschaft, Nachstenliebs und mfittsrlichs Guts dfirfen als typischs Ksnnzeichen dsr gsistlichsn Frau- engestalt gswsrtst werdsn. Sis tritt im Werke Kleists wisdsrholt als Abtissin auf, als jsne Frau also, die bewuBt die Liebe zum andsrsn Gs- schlscht aus ihrem Leben ausschlith. In dsr Dichtung wird ihr von Kleist nur sin untergsordnstsr Platz zugewiesen.102 Hfittsrlichs Liebe smpffingt somit Josephs von dsr Abtissin im Erdbsben in Egill’ die das Hadchen trotz seines Vergehsns lieb gswonnsn hat und dsr jungsn Mut- ter vsrspricht, ffir'ihrsn klsinen, hilflossn Sohn zu sorgsn. Die Abtissin Antonia von Tronka ist als "sins fromms, wohltatige und hsi- ligs Frau" (11,34) bekannt. Sis zsichnst sich dadurch aus, daB sis selbst im Augenblick dsr Bsdrohung durch Michael Kohlhaas nicht von 130 dsr Stelle weicht und versucht, sowohl ihr Klostsr als auch die Ehrs Gottss zu vsrtsidigsn. Auch sis wars dsr Rachs dss RoBhandlsrs verb fallsn, hatts nicht jsnsr ”ungshsure Wettsrschlag" dsn Rachsuchtigsn davon abgehalten, dis gsplants Zsrstorung dss Klostsrs durchzuffihrsn. In dsr Heiligen C§cilis wendet sich die Kbtissin, "sine sdle Frau, von stillsm koniglichen Ansehn" (11,225), wegsn dsr drohsnden Gsfahr durch dis Bildsrstfirmer wisdsrholt an den kaissrlichsn Offizisr, um Schutz fur das Klostsr zu srhalten, muB es Jsdoch erlebsn, daB sis in ihrer Sorgs von diesem "Fsind dss Papsttums" vsrhbhnt wird, daB man ihr sins Wache mit dsr Bsgrfindung verweigert, sis sshs Gsistsr. Dennoch bsstsht die Abtissin unerschfittsrlich darauf, "daB das zur Ehrs des hochstsn Gottss angsordnsts Fest begangsn werdsn mfisse." (11,218) Trotz ihrer vortrsfflichen Tugendsn, trotz ihrer uneigennfitzigen Lebensweiss, sind es gerade dis gsistlichsn Gestalten, dis sntwsdsr auf grausams Weiss ums Leben kommen oder dis sich ganz besonders dsr ruck- sichtslossn Behandlung durch Vsrtrstsr dss mannlichsn Gsschlschts aus- gesetzt sshen. 7.5. Dis mzstsriose Erschsinung Als einen Schritt ins Irrationals, in diesem Falls das Irrationale als Wundsr, versteht Kuoni dis Figur dsr Zigeunsrin in Kleists Novells Michael Kohlhaas. Disss mysterioss Frauengestalt tritt erstmalig am Tags nach dsr Bssrdigung Lisbeths auf dem Markt von JUtsrbock in Er- schsinung, wo sis Michael Kohlhaas sin Amulstt mit der PrOphszeiung fibergibt, daB es ihm sinst sein Leben retten werds. Nicht nur die Tat- ' sachs, daB dieser Frau alle Einzslhsitsn fiber den Rschtsstrsit dss RoBhandlsrs bekannt sind, nicht nur ihre groBs Khnlichkeit mit seiner vsrstorbsnsn Ehefrau Lisbeth, sondern vor allsm dsr mit ihrem vollsn 131 Namen untsrzsichnsts Zettsl am Tags seiner Hinrichtung srlaubsn ksins rationals Erklarung. Sis scheint einer Sphfirs anzugshfirsn, dis vom Verstand nicht erfaBt werdsn kann. Dis Zigsunsrin hat absr nach Kuonis Ansicht dis Mission zu srffillsn, "nachdrficklich zu bsstatigen, daB Kohlhaas auf die Rachs am.Kurffirstsn sin hohsrss Anrscht hat."103 Ein ebenso geheimnisvollsr Schlsisr scheint fiber dem Wirken dsr Nouns Antonia zu liegen. Trotz bswuBtlosen Zustandes, in dem sis im Klostsr dsr heiligen Cacilis krank darnisdsr liegt, erscheint sis zu dsr Auf- ffihrung eines altsn italisnischen Musikwerkss zum Fronleichnamsfsst und fibsrnimmt dis musikalischs Leitung, ohne tatsfichlich ihr Krankenlagsr vsrlassen zu haben. Der Gswalt dsr von ihr gslsitstsn zaubsrhaftsn Musik absr gslingt es, dis jugsndlichsn Frsvlsr vollig zu bssfinftigsn, dis ihren eigenen "Bildsrsturm" auf das Klostsr geplant hattsn. Statt absr auf zerstfirsrischs Weiss Hand anzulsgsn, sinken sis vor dsr Msn- schsnmsngs auf Knisn nisdsr und murmsln, "dis Stirn inbrfinstig in den Staub hsrabgsdrfickt" (11,221), dis ganze Reihe jensr kurz zuvor von ihnen vsrspottsten Gsbets. Der Mutter dsr Jfinglinge, dis seitdsm im Irrsnhaus sin "gsistssartigss" Leben ffihrsn, vermag sin Freund nur zu bsrichtsn: "Wodurch disss Tat, zu deren Ausffihrung alles, auf das Ge- naussts, mit wahrhaft gottlossm Scharfsinn, angsordnet war, gsschsitsrt ist, ist mir unbegrsiflich; dsr Himmsl selbst scheint das Klostsr dsr frommen Frauen in ssinsn heiligen Schutz gsnommsn zu haben." (11,221) Wfihrsnd Lisbeth in dsr Gestalt einer Zigsunsrin tatsfichlich unter dsn Menschsn auftritt, dis Klostsrschwsstsr auf mysterifiss Weiss an zwei Platzsn zu gleichsr Zsit vorhandsn ist, so handelt es sich bei dsr Gestalt dss Bsttslwsibss um sins unsichtbars Erschsinung, deren Exi- stsnz absr selbst von einem Hund gsspfirt und gsmisdsn wird. Die 132 Auswirkung ihres Auftauchens langs Zeit nach dem Tods dsr unglficklichsn Frau im Hauss dss Marchsss ist verhssrsnd. Den Tod vsrhsiBt auch die Weissagung eines altsn Weibes dem rfimischsn Fsldhsrrn Varus in der Hermannsschlacht, um danach wisdsr auf unerklarbars Weiss zu vsrschwin- dsn. Alls diess Figuren kfinnsn dem Bereich dss Wundsrs zugsordnst wsrh dsn, das von einer Welt rsgiert wird, dis wie im Marchsn gerschtsr zu sein scheint als dis Realitat dss wirklichen Lebens. 7.6. Dis Idsalgestalt Wis wichtig Kleist dis Idsalgestalt dsr Frau ffir sein sigsnss Leben war, zeigsn deutlich seine Worte in einem Brief an Wilhelmins von Zengs: Manchss Madchen habe ich schon mit Dir verglichsn, und bin srnst gswordsn, z.B. dis Lettow, dis Duhattois etc.; manchss ist auch hier in Berlin, das ich gsgsn Dich halts, und srnst macht mich jsdesmal disss Verglsichung; absr Du hast sins jahrslangs Bekanntschaft, dis innigsts Vertraulichksit, sins bsispislloss Tat und ebenso bsispislloss Vsrzsihung ffir Dich, und wenn Du nur sin wsnigss noch, nur dis Ahnlichkeit mit msinem Ideals, nur dsn srnstsn Willsn, es sinst in Dir dar- zustsllsn, in Deins Waagschals lsgst, so sinkt die andsrs mit allsn Madchsn und mit allsn Schfitzen dsr Erds. (II,610-611) Kleists Sehnsucht gilt besonders dem reinen, tugsndhaften Madchsntyp, dsr in vollem Vertrauen und unbedingtsr Opferbereitschaft gswillt ist, dem Manns "in dsr grenzsnlosestsn Bedeutung" anzugshfiren. Es handelt sich also bei dsr idsalsn Frauengestalt im Werk keineswegs um das Kathy chsn von Heilbronn, da das jungs Madchsn aus einem innsrsn Zwang heraus dem Rittsr folgt, ohne sich fiber sein Handsln voll bewuBt zu werdsn. Kleist srwartsts vielmehr von der idealen Frauengestalt, daB sis mit un- bsirrbarer Geffihlssichsrhsit an dsr Seite dss Mannss allsn Gsfahrnisssn dss Lebens begsgnsn und ihm als wfirdigs, wenn auch zweitrangigs Part- nerin zur Seite stehen sollte. Semela meint zwar, in der Gestalt von 133 Agnes habe sich visl von dem Sshnen, mit dsm.Klsist sich in seinem eigenen Leben seine Braut vorstsllts, ausgswirkt. So hfitts sr sich die Frau gedacht, wie sis ssin mfiBts, um gelisbt werdsn zu kfinnsn.104 Aufgrund dsr vislssitigsn Untersuchung fiber dis Frau in ihrer ws- senssigsnen Beziehung zum andern Geschlecht und ihrer Darstellung im dichterischen Werk soll hier dis Ansicht vsrtrstsn werdsn, daB sich aus dsr Vislfalt dsr im Werk snthaltensn Frauenfigursn besonders sine Gs- stalt abhsbt, dis als dis Vsrkfirperung dss Kleistschsn Idealbildes dsr Frau gelten mag: dis Gestalt Nataliss im Prinzen von Homburg. In ihr schsinen sich das innsrs Gsffihl und die hingebends Liebe und Gfits eines tugsndhaften Madchsns mit einem ausgezeichnstsn Verstand zu vsrbindsn. Dis ideals Kombination von Herz und Geist vsrlsiht Natalie die innsrs Kraft, dsr Liebe zum Prinzen in dem Moment zu sntssgen, da sis msint, ihm nur durch disses Opfer das Leben retten zu kfinnsn. Ihrs Funktion ist damit jsdoch noch nicht abgsschlosssn. Erst in dem Augenblick, da es ihr gelungsn ist, dsn Prinzen in seiner Dsnkwsiss zu einer Nsuorisn- tisrung zu vsranlasssn, sieht sis ihre Aufgabe srffillt. Auch Kluckhohn betont, daB dis Lisbssdarstsllung im Prinzen von Homburg, dis vom Dich- tsr auf so hsrvorragsnds Weiss vorgsnommsn wurds, bis hsuts ksins gs- bfihrsnds Wfirdigung srfahren habe. Dis Gestalt Nataliss entbshrs dsr fortreiBendsn Leidenschaft und srgrsifsndsn Anmut Penthesileas, absr ihre Liebe kenns Hfihsres noch als dsn Besitz dss Gslisbten, so sshr ihr danach auch vsrlangs. Disses Gestfindnis legt sis in aller Offsnhsit und Freimfitigksit vor dsm.Kurffirsten ab. Sis besitzt absr auch dis GrfiBs, auf den Gslisbten zu vsrzichten und in dem Augenblick in Jubsl auszubrschen, da dsm,Prinzsn in seiner Gsffingniszslle dsr Durchbruch zu einer msnschsnufirdigsren Denk- und Handlungsweise gslingt.105 IV. Dis Funktion dsr Frau in dichterischen Werk Im April 1811 schrieb Heinrich von Kleist an ssinsn Freund Fouque: "Dsnn dis Erschsinung, dis am meisten bei dsr Betrachtung eines Kunst- vsrkes rfihrt, ist, dfinkt mich, nicht das Werk selbst, sondern die Eigsntfimlichksit dss Gsistss, dsr es hsrvorbrachts und der sich in unbswuBtsr Freiheit und Lisblichksit darin sntfaltst." (11,861) In seinem "Brief eines jungen Dichters an einen jungsn Maler” (1810) hebt Kleist auf ahnlichs Weiss dis Wichtigksit dsr Einbildungskraft hsrvor: eigene Ideen, Phantasis, sich in "dsr Erfindung, diesem Spisl dsr Ssligen, zu vsrsuchsn" (11,336), um "dsn Gipfsl dsr Kunst" erstsigsn zu kfinnsn. (11,337) Dis Aufgabe dss Malsrs sieht sr nicht in endlossr "Untsrtfinigksit," wozu ihn das Kopisren alter Werke vsrdamms, sondern darin, sein "Eigenstss und Innsrstes, durch UmriB und Farbsn, zur Anschauung zu bringen!” Als sin "wesentliches Stfick" dsr Kunst be- zeichnet Kleist auch hier "dis Erfindung nach eigentfimlichsn Gssstzsn." (11,336) Disser Eigsntfimlichksit dss dichterischen Gsistss soll bei dsr Beantwortung dsr Frags nach dem Potential dsr Frau im Rahmen ihrer Funktion nachgsforscht werdsn. Hattsn wir also bishsr sowohl dis gs- ssllschaftlichs Stellung dsr Frau als auch ihr wesenssigsnss Vsrhfiltnis zum andern Geschlecht zu srhellsn versucht, so soll dis Aufmsrksamksit nunmshr auf die Funktion dsr Frau im dichterischen Werke Kleists gs— richtst sein. Mit dem Begriff 'Funktion' soll hier die Aufgabe bezeichnet werden, welchs dsr Frau vom Dichter innerhalb seines Werkes zugetsilt ist. Bei Kleist bssteht dis Funktion dsr Frau darin, sich selbst durch 134 135 die Entfaltung ihrer beachtenswerten Anlagen zu individusller Entschei- dung und Selbstfindigksit durchzuringen, durch das Beispiel ihrer Dsnk- und Verhaltensweise dsr Msnschhsit den rechten Weg zu weisen, wie sis sich zu einem menschenwfirdigsrsn Dasein zu erheben vermag. Innsrhalb dsr jswsiligsn Handlung lfiBt sich das Wirken dsr Frauengestalten durch bedsutungsvolle Bsgriffspaars kennzeichnen, die in ihrer Gegensatzlichp ksit dis Polaritat dsr dargestellten Daseinssituationsn besonders deut- lich zum Ausdruck bringen. Daraus ergibt sich die Mbglichksit, dis Frau in ihrer Funktion als Rsprfisentantin bsdsutsamer Bsgriffsvsrbin- dungsn zu betrachten. 1. Der sprachlichs Ausdruck In seiner Bedeutung dem Sinne dsr modsrnsn Stilforschung gsmfiB ist 'Ausdruck' dis Sichtbarmachung eines Innsren durch einen sprachlichen ngsnwsrt, der durch dis ffir seine Wahl ausschlaggsbsndsn Eigenschaftsn dis ihm zugrundsliegenden seelischsn Vorgangs in moglichst adaquatsr Weiss vsrlautbart und dadurch sine Vorstsllung von ihnen gibt. Dis Sprache dsr Dichtung snt- halt, an ksins fiuBsre ngenstandlichksit gsbundsn, dsn rein- stsn Ausdruck, dsr durch seine Bsdsutun stisfs sich sins eigene Welt von Vorstsllungsn schafft.1 Bersits in einer seiner frfihsstsn KuBsrungsn, in dem "Aufsatz, den sichsrn Weg dss Glficks zu finden" (II,301-315, etwa 1799 sntstandsn) betont Kleist, er "suche und spfihs umhsr nach Wortsn und Bildern" (II,306), um den Freund von dsr "hsrrlichsn, beglfickendsn Wahrheit" seiner Ideen fibsrzsugsn zu kfinnsn. Das hsiBt also, daB Kleist mit einer bewuBt getroffenen Auswahl von "Wortsn und Bildern" sins ganz bestimmte Absicht verfolgte. Die in selben Aufsatz so vielfach ver- wendete Verbindung von jswsils zwei, in ssltsnsren Fallen auch drei 136 Bsgriffsn, dis von synonymer oder auch widsrsprfichlichsr Bedeutung sind, darf demnach nicht als Zufall gswsrtst werdsn. Dis wichtigsten Gedanken drfickt Kleist gerade hier durch dis Gegenfibsrstellung dsr gsgsnsatzlichen Begriffe Glfick und Unglfick, Vernunft und Herz, Tugend und Laster, Herz und Geist, Reichtum und Armut, Denken und Handsln, Erfahrung und Tatigksit, GsnuB und Entbehrung aus.107 Dementsprschsnd sollte man auch vom dichterischen Werk srwarten dfirfen, daB dsr gswfihlts Ausdruck einen bedsutungsvollsn Gedanken sinschlith, daB sine sbsnsol— chs Absicht dss Dichters bei dsr Planung und Gsstaltung seiner Dramen und Prosawerks vorlag. Diese Folgerung erscheint insbesondere bsrsch- tigt, da Kleist in seinem "Brief eines Dichters an einen anderen" (1811) ausffihrt: Ich bsmfihe mich aus meinen bestsn Kraftsn, dem Ausdruck Klarb heit, dem Vsrsbau Bedeutung, dem Klang dsr Worte Anmut und Leben zu gsben: absr bloB, damit disss Dings gar nicht, vielmehr sinzig und allein dsr Gedanke, dsn sis sinschlie- Bsn, srscheine. (11,348) Kleist will also nicht dis Gsfahr singshen, durch einen falsch gewfihl— tsn Ausdruck mtisrstanden zu werdsn, durch das unrscht gewfihlte Bild dsn eingeschlosssnsn Gedanken unter dsn Menschsn nicht zur Auswirkung bringen zu kfinnen. Da sr sich absr dsr Sprache bediensn muB, um seine Gedanken sichtbar zu machen, betont er: Nur weil dsr Gedanke, um zu erscheinen, wie jsne flfichtigsn, undarstellbarsn, chemischen Stoffs, mit etwas Grobsrsm, Kfir- perlichsn, verbunden sein muB: nur darum bediene ich mich, wenn ich mich dir mitteilen will, und nur darum bedarfst du, um mich zu vsrstshsn, dsr Reds. (11,347-348) Und Kleist hebt hervor, daB dis deutschs Sprache nicht "arm an Nfiancen" ssi, so daB es nur gsrings Schwisrigksitsn bereits, "sin paar Wfirtsr" zu finden, die das, was er zu sagsn beabsichtigs, such "sshr passsnd und richtig ausdrficksn." (11,306) 137 DaB Kleist bereits in jungsn Jahrsn um die rschte Wirkung seiner Worte bsmfiht war, beweisen sinigs Zeilen aus seinem Brief an Martini, in dem sr auf sein Schrsibsn an den Konig von PrsuBsn zwscks Entlassung aus dem Potsdamsr Gardsrsgimsnt hinweist. Disses Schrsibsn hatts sr nicht abgssandt, weil er "nach Vollsndung dessslben" ihn "abzuschicksn nicht fifir gut fand,” denn, so hebt sr hervor, "ich ffihlts, daB dis Darstellung dss ngsnstandss so fshlsrhaft wie unvollstfindig ist, und daB dis Sprache, dis ich darin ffihrs, nicht besonders gsschickt ist, um zu fibsrzsugsn und sinzunehmsn." (11,478) Ubsrzsugsnd absr wirkt Kleist in ssinsn Werken, in denen man die Gegsnfiberstsllung gsgsnsfitz- lichsr Begriffe als dis besondere Wahl dss rechten Wortss durch dsn Dichter zu bszsichnsn vermag und die dargestellten Situationsn als dis sorgffiltig gswfihlten Bilder. 2. Dis Antithstik dsr Begriffe Eine gslsgsntliche Benutzung synonymer Doppelformsn als Stilei- genhsit galt in den Postiksn dsr Renaissance als besonderer Schmuck. Hsutzutags tauchsn disss Formsn such in dsr Alltagssprachs auf und werdsn vielfach schon als sinheitlichsr Begriff angssshsn. In dsr Auswirkung auf den Leser zeigt es sich, daB die Nebensinanderstsllung von Bsgriffen schon sins Zwsiglisdrigksit dsr Aussags erkennen 1aBt. Um wisvisl bedeutsamsr muB darum dsr Gebrauch nsbensinandsrgsstelltsr Begriffe gewsrtst werdsn, dis als ngensfitzs erscheinen. Der Gegensatz selbst trfigt bereits dsn Ksim einer kfinftigen Aussinandsrsstzung in sich. Dabei srgsbsn sich drei Darstsllungsmfiglichkeiten dsr Entwick- lung. Nebsn dem Sieg dsr einen oder dsr anderen Seite ist in dritten Falls dsr Ausglsich zwischen beidsn mfiglich. Dis Gegensfitzlichksit mag 138 sich im Unterschisd zwischen dsn Charakteren auswirksn, in dsr Art und Weiss ihrer Existsnz, in dsr ngsnsfitzlichksit dsr Gsschlschtsr oder auf dem Gsbist dsr Ethik.108 Bei dsr Hfiufigksit dsr von Kleist ange- wsndsten Doppelbsgriffs, vor allsm von Bsgriffsverbindungen, dis sins widersprfichlichs Bedeutung aufzuwsissn haben, sollte man annehmen dfir~ fen, daB es sich dabei um sins ganz bestimmte Absicht dss Dichters han- delts. Da sein Werk absr, wie sr Maris von Kleist gsgenfibsr betont, ebenfalls "nur halb" Gssagtes sinschlith, was dsr eigenen "Einbildung" Spislraum bistst (11.797), sollte man nicht allein dsn in dsr Dichtung tatsfichlich srscheinenden Begriffsverbindungen besonders Beachtung schsnksn. Gsnauso visl Aufmsrksamksit vsrdisnsn dis Einzslbsgriffs, deren Zugshfirigksit zu einem Begriffspaar gegensfitzlicher Bedeutung bei ihrem Auftauchsn sofort den fehlsndsn Teil dss Ausdrucks im Denken dsr Menschsn auflsbsn lasssn. Schon Platon hat gszsigt, daB wir bei den Begriffen dsn einen gar nicht ohne dsn anderen denken kfinnsn, daB viel- mehr dsr sins aus dem anderen entspringt.109 Dis nicht aufzulfissnds Beziehung dsr beidsn Begriffe zueinander, selbst wenn sis nicht gsmsin- sam bsnutzt werdsn, muB dsnnoch als gsgsbsn betrachtet werdsn und ist durch dis Tatsachs bswisssn, daB wir die Bedeutung dss einen Bsgriffes nur im Gegensatz zu dem zweiten zu srfasssn vsrmfigsn. Daraus ergibt sich ffir das dichterische Werk Kleists, daB gerade dem "nur halb Gssag- tsn" besonders Bsdsutsamksit bsizumssssn ist. Wird also zum Beispiel in dsr Familie Schroffenstein das MiBtrauen wesentlich fifter als das Vertrauen genannt, so taucht dsnnoch bei jedsm.Gsbrauch dsr fshlsnde zweits Begriff als Erganzung dss srstsn zu gleichsr Zeit auf. Ebenfalls brachts dsr Dichter in seinem Werk das "gemeine Gssstz dss Widerspruchs" zur Anwsndung, das nach seiner Ansicht "nicht bloB 139 von Msinungen und Begshrungen, sondern auf weit allgemeinsrs Weiss, auch von Gsffihlen, Affsktsn, Eigenschaftsn und Charakteren" gelts. (11,331) Ubsr disses Gssstz, das Kleist dem Bereich dsr Elsktrizitat entlshnts, urtsilts dsr Dichter folgsndermaBsn: Disses hfichst merkwfirdigs Gssstz findet sich, auf sins, un- seres Wisssns, noch wenig beachtets Weiss, such in dsr mora- lischen Welt; dsrgsstalt, daB sin Mensch, dessen Zustand in- different ist, nicht nur augsnblicklich aufhfirt, es zu sein, sobald sr mit einem andsrsn, dessen Eigenschaftsn, gleichvisl auf welchs Weiss, bestimmt sind, in Bsrfihrung tritt: sein Wsssn sogar wird, um mich so auszudrficken, gfinzlich in den sntgsgsngesstztsn Pol hinfibsrgespislt; er nimmt dis Bsdingung + an, wenn jener von dsr Bsdingung -, und die Bsdingung -, wenn jsnsr von der Bsdingung + ist. (11.330) Kleist vsrwsist auf das Gsbist dsr Erziehung, wo man versucht habe, durch "den Anblick bossr Bsispisle" die Bstrachtsndsn "von dem Laster abzuschrscksn." (II,332) Man habe in Erwfigung gszogsn, ”sine soge- nannts Lastsrschule, oder vielmehr sins gegensfitzischs Schuls, sins Schuls dsr Tugend durch Laster zu errichtsn," we die Lshrer "nicht bloB durch Ermahnungen, sondern durch Beispiel, durch lebendigs Hand- lung, durch unmittslbarsn praktischsn, gssslligen Umgang und Vsrkehr zu wirksn suchen." (11,334) Allsrdings scheint Kleist disssn--zwar ironisch aufzufasssnden—- "Allsrnsussten Erziehungsplan" durch ssinsn eigenen Ausspruch zu snt— krfiftsn, wenn sr Wilhelmins von Zengs zu vsrstshsn gibt: "Hinsinlegen kann ich nichts in Dsine Seele, nur sntwicksln, was dis Natur hinein- lsgts." (11,565) Jsdoch dsr Gedanke, "nicht bloB durch Ermahnung, son- dern durch Beispiel, durch lebendigs Handlung" (11,334) auf die Msn- schen zu wirksn, scheint dem gssamtsn dichterischen Werke Kleists zu- grunds zu liegen. 140 3. Der bildende Wert dsr Dichtung Vor dsr Kantkriss hatts Kleist noch die Frags gestellt: "Darf man sich in dieser Welt wohl bestrsbsn, das Vollkommsne wirklich zu machen, oder muB man sich nicht bsgnfigsn, nur das Vorhandns vollkommnsr zu ma- chen?" (11,512) Mit dsn Erfahrungsn der Kantkriss war das Bsdfirfnis in ihm srwacht, "etwas Gutss zu tun." (11,692) Er gslangts zu dem Ent- schluB, durch seine Dichtung einem "msnschsnfrsundlichsrsn Zweck" (11,684) zu disnsn, an einer Vsrbssserung dieser Welt, in dsr alles "wie singsschachtslt erscheint" (11,769), an ihrer Vsrvollkommnung mit- zuarbsitsn. Vor allsm das Gsffihl dsr Machtlosigkeit und dss Elsnds, das in seinem Zsitaltsr vorhsrrschsnd war, laststs schwsr auf Kleist. Dis Frags bsschfiftigts ihn: "Was ist dies flir sine Welt? Jammer und Elsnd so darin vsrwsbt, daB dsr menschlichs Geist sis nicht sinmal in Gedanken davon bsfreisn kann." (11,772) Gsrads auf die Bssinflussung disses menschlichen Gsistss schisn es dem Dichter anzukommsn. Nach dsr Betrachtung von Gsmfildsn hatts sr sich darfibsr gefiufiert, was seiner Ansicht nach dsn Wert eines Kunstwsrkss bestimmt: "Dsnn nicht das, was dem Sinn dargestellt ist, sondern das, was das Gemfit, durch disss Wahr- nshmung srregt, sich dsnkt, ist das Kunstwsrk." (11,783) Auf das Gsmfit dsr Menschsn wollte Kleist mit Hilfe seiner Dichtung sinwirksn. Ihr Scharfblick dss Gsistss sollte sis in dis Lags vsrsstzsn, ihr Schick- sal selbst zu msistsrn. Hattsn dis Menschsn auch dis BswuBtheit dss eigenen Wsrtes vsrlorsn, so glaubts dsr Dichter trotz aller sinengsn- dsn Verhaltnisse, daB ss nur von dsr Initiative dss Einzslnen abhings, seine Krafts zu nutzsn, um sich aus der Jfimmsrlichksit seines Daseins aufzurichtsn, das ihn zum Spielball dss Schicksals gemacht hatts. Mit ssinsn Dramen und Novellen untsrnahm.Klsist also dsn Vsrsuch, dis 141 Menschsn von der Mfiglichkeit einer besssren, glficklichersn Welt zu fibsrzsugsn. Seine eigenen Lebenserfahrungen hattsn dem Dichter dis Gfiltigksit seiner Behauptung bsstfitigt: "Wis oft grfindet sich das Unglfick eines Menschsn bloB darin, daB er dsn Dingsn unmfigliche Wirkungen zuschrieb, oder aus Verhfiltnissen falsche Rssultats zog, und sich darinnen in sei— nen Erwartungsn betrog." (11,310) Er selbst war zu falschen Rssultatsn gekommsn, indem sr nur zum Nutzsn dss eigenen Vorteils sein ganzss Streben dsr Erkenntnis dsr Wahrheit und der Sslbstvsrvollkommnung gs- widmst hatts. Nachdsm er jsdoch dsn Irrtum seines eigenen Denkens srkannt hatts, war sr nach srnsuter Ubsrprfifung dsr Voraussetzungsn ffir disss Dsnkwsiss zu einer Nsuorientisrung gslangt. Das rschte Lebens- zisl sollte daher fortan lautsn: "Anders bsglficksn, es ist das rsinste Glfick auf dieser Erds." (11,691) Zu dieser Erkenntnis sollte dis Msnsch- hsit durch die in seinem dichterischen Werk snthaltene Auffordsrung gslangen, bssssr denken zu lsrnsn. Disss Untersuchung grsift zurfick auf die Studie "Kleists Weg zur Wahrheit", in dsr legardt dis These zur Diskussion stellt, daB Kleist zwischen zwsi Dsnkwsissn unterschsidet. "Die srste ffihrt dsn Menschsn in den 'Irrtum' und die andsrs laBt ihn ssinsn Irrtum erkennen und zeigt ihm dsn 'ng zur Wahrheit'."110 Disss These basiert auf dem.Gsdanksn dss ”besssr-denksansrnsns", sine Auffordsrung, dis nach legardts An- sicht vom Dichter an jsdsn Menschsn gsrichtst wird. Sis bszisht sich auf die Ffihigksit dss menschlichen Vsrstandes, ssins eigenen Irrtfimsr zu erkennen und zu bsrichtigsn. Dis Mbglichkeit ist durch sins Verfinde— rung in der Dsnkwsiss gsgsbsn. Disss Vsrfindsrung 1aBt sich durch dis Ubsrprfifung dsr Voraussetzungen flir sins gegebene Dsnkwsiss herbsiffihren. 142 Solltsn dis Prfimisssn erkennen lasssn, daB ihre Gfiltigkeit nicht lfingsr sxistiert, so muB disss Erkenntnis nicht nur zur Ansrksnnung neusr Pra- misssn ffihrsn, sondern zugleich auch zu einer Neuorisntisrung in der Denkungsart. Und legardt ffihrt aus: An den Menschsn sind also zwei Fordsrungsn gestellt, und die Formulisrung ”besssr denken lsrnen" snthfilt sis beids: sins Neuorisntisrung in dsr Dsnkwsiss dss Menschsn und sins Neu- orisntisrung in seiner Wertsetzung. Dies sind radikals Fordsrungen, absr Kleist halt deren Erffillung ffir durchaus moglich. 1‘ Ffir dis Funktion dsr Frau im Werke Kleists erweist sich die Erffillung dieser Forderung von fibsrragendsr Wichtigkeit. Ihr scheint die Aufgabe fibsrtragsn zu sein, jenes "bssserbdenksansrnsn" beim Manns herbsizur ffihren. Ihr Beispiel und ihr EinfluB gsbsn ihm AnlaB zu einer unauf- hfirlichen Uberprfifung dsr als gfiltig akzsptisrtsn Werts, so daB die Gsfahr eines Fshlurtsils bei dsr Einschfitzung der Menschsn vermiedsn werdsn kann. 4. Dis Aufgabe dsr Frau Den Ansichtsn dss Dichters fiber Wesen und Bestimmung dss Weibes gemfiB erscheint dis Frau im dichterischen Werke Kleists vorwisgsnd in ihrem untergsordnstsn Vsrhfiltnis zum Manns. Wohl ist ihm dsr fiberra— gsnde Verstand gsgsbsn, dsr ihn im'Vsrgleich zum weiblichen Geschlecht fibsrlegen erscheinen laBt. Dis Frauengestalten absr sind es, denen das "innsrs Geffihl", sins "hohere Vernunft" (11,485) zu eigen ist, jsnsr Zustand unsrer, welcher wsiB (11,323), wodurch sis vom Dichter dazu beffihigt werdsn, einen sntschsidsndsn EinfluB auf ihre Umwelt, selbst auf den Mann, auszufibsn. Das Wirken dsr Frau vsrglsicht Kleist mit dsr Standhaftigksit eines Rebsnhfigsls, dsr dsn Lauf dss Rhsinss in gssigns- ters Bahnsn lsnkt, wenn er an Adolfins von Werdsck schreibt: 143 Pfsilschnsll strfimt dsr Rhsin heran von Mains, als hatts sr sein Ziel schon im Augs, als sollte ihn nichts abhaltsn, ss zu srreichsn, als wollte er es, ungsduldig, auf dem kfirzsstsn Wegs srsilen. Aber sin Rebsnhfigsl (dsr Rhsingau) beugt ssi- nsn stfirmischen Lauf, sanft absr mit fsstem Sinn, wie sine Gattin den stfirmischen Willsn ihres Mannss, und zeigt ihm mit stiller Standhaftigkeit dsn Weg, dsr ihn ins Mssr ffihrsn wird - Und er ehrt dis sdls Warnung und gibt sein vorsiligss Ziel auf, und durchbricht, dsr frsundlichsn Weisung folgsnd, dsn Rsbsnhfigsl nicht, sondern umgeht ihn, mit beruhigtsm Laufs seine blumigen FfiBs ihm kfisssnd - (11,674-675) Wis das Wasssr dss Rhsines in seinem Lauf durch den Rebsnhfigsl gsleitst wird, so ist die Funktion dsr Hinlsitung zu einer Neuorisntisrung in dsr Dsnkwsiss im Kleistschsn Werk dsn Frauengestalten fibsrtragsn wordsn. Man konnts somit dis Funktion, dis dsr Dichter ssinsn Frauenge- stalten im Werk fibergibt, als sins Aufgabe bezeichnen, dis sich aus drsierlsi Punkten zusammensstzt: 1. Konfrontisrt mit der gsgsbsnsn Daseinssituation soll dis Frau sich als weibliches Wesen aus dsr untergsordnstsn Position erheben und sich durch dis Entfaltung ihrer Anlagen zu der Individualitfit ihrer wessnseigsnsn Existenz durchringsn, soll durch sslbstandigss Denken und Handsln zu persfinlichsn Ent- scheidungsn gslangen. 2. Der Frau ist aufgstragen, auf die Mfiglichksit einer Andsrung in der Dsnkwsiss aufmsrksam zu machen und ihre Umwelt durch ihr Beispiel zu sinsr Neuorisntisrung in dsr Dsnk- und Hand- lungsweise, zu einer neuen BewuBtssinshaltung, hinzuffihrsn. 3. Innsrhalb der Handlung selbst wird dsr Frau dis Rolls zuge— wisssn, als Reprfisentantin jsner gegensfitzlichen Begriffe aufzutreten, die in den Mittelpunkt dss jswsiligen Werkes gestellt sind. 144 Statt dsr zu srwartsndsn Passivitst dsr Frauengestalten zeigt sich somit sins fibsrraschsnds Aktivitfit im Denken und Handsln. Dis Frau signst sich ausgezeichnst ffir dis ihr vom Dichter fibsrtragsns Funktion, dsr Msnschhsit dsn Weg zu einem vollkommsnersn Dasein, zu einer glfick— lichsren Zukunft, zu weisen, da gerade ihr sin Gott im "Innern hsimlich anvsrtraut, was rscht ist.” (11,661) 5. Dis Einordnung dsr Werke unter dem Titel gsgsnsfitzlicher Begriffe Durch dis Darstellung dsr Widersprfichlichksit, aus dsr sich die Frau srhsbt, ergibt sich dem Dichter dis Mfiglichksit, an Hand einer bsispislhaftsn stsnssituation sowohl dem Zuschausr als auch dem Leser in dichterischer Gestalt dis fisthstischs Erfahrung sinsr ngsnwarts- bewfiltigung zu vsrmittsln. Dis Kombination gsgsnsfitzlichsr Begriffe fungisrt dabei als Anleitung ffir den Menschsn, dis Widersprfichlichksit dsr gegebenen Situation zu erkennen. Bei dem Reichtum dichterischer Phantasis zeigt es sich auch hier, daB Kleist sich-~wis.bsi dsr Zeich— nung seiner Charaktsrs--durch Vislssitigksit in dsr Auswahl sinandsr ge- gsnfibsrgestslltsr Begriffe auszeichnet. Dennoch hat ss sich als sinn- voll srwisssn, sins Auftsilung dsr Werke in sisbsn Gruppsn vorzunshmsn, deren Einordnung unter dem Titel gsgsnsfitzlichsr Bsgriffsvsrbindungen besonders bsdeutungsvoll erscheint. So steht in dem Drama Dis Familie Schroffenstein dsr Gegensatz zwischen Vertrauen und MiBtrausn im Mittsl- punkt dsr Handlung, gsnauso wie dis GrfiBs dss Vertrauens und die Nis- drigksit dss MiBtrausns im Zerbrochnen Krug sins wichtige Rolls spie- lsn. Dem Gegensatz zwischen Tugend und Laster sind die Erfahrungsn dsr Marquise, Josephss und Alkmenss untergsordnet, wfihrsnd dsr Gegensatz 145 zwischen Liebe und HaB sowohl in Penthesilea als auch im,Kfithchsn von Heilbronn bsdsutsam ist. Recht und Unrecht werdsn in Michael Kohlhaas und in dsr Hermannsschlacht sinandsr gsgsnfibsrgestsllt. Da- gegsn wird dsr Gegensatz zwischen Msnschlichksit und Ubsrmsnschlichksit als einer Form dsr Unmenschlichksit zum Fokuspunkt in dem Bettelweib von Locarno und in dsr Heiligen Cficilis. Um dsn Unterschisd zwischen Msnschenliebs und MenschsnhaB krsist dis Handlung im Findling und in dsr Verlobung in St. Domingo. Unschuld und Schuld absr stehen sinandsr im Zwsikampf und im Prinzen Friedrich von Homburg gsgsnfibsr. Hier soll dsr Bsweis erbracht werdsn, daB dis Kombination dsr funktionalen Bestimmung dsr Frauengestalten mit einer Stileigenhsit dss Dichters, seine wichtigsten Gedanken durch sinnreiche Bsgriffsvsrb bindungsn hsrvorzuhebsn, ffir das gssamts dichterische Werk Kleists von groBer Bedeutung ist. Dis Bewsisffihrung soll sich dabei vorwisgsnd auf dss Dichters eigene Worte stfitzsn. 5.1. Vertrauen - MiBtrausn Schon in seinem srstsn Drama Die Familie Schroffenstein zeigt sich das Bsstrsbsn Kleists, in dsr Dichtung gsgsnsfitzlichs Begriffe sowohl in dsr Gsstaltung dss Geschehens als auch bei der Charskterisisrung dsr Figuren anzuwendsn. Kurt Semela hat bereits darauf hingswisssn, daB es in diesem HaB- und Lisbssdrama kaum sine Person gsbe, dis nicht polar singsffigt ssi. Jsdem Spisler sntsprsche sin ngsnspislsr. Dis Polari- tfit erstrscks sich wsitsrhin auch auf die Handlung. Auf jeds Aktion folgs sins Gegenaktion.112 In den spfitsren Werken rficksn dis sinzslnsn Frauengestalten immer klarsr in den Mittelpunkt dss Geschehens, da ihnen, wie bereits angedsutet, dis Funktion.fibsrtragen wird, nicht nur durch ihre "Dsnkungsart oder Empfindungswsiss", sondern auch durch ihr 146 Handsln dis ngensfitzlichksit bsdsutsamer Bsgriffspaars hervorzuhsbsn, dis ihrerseits dis Polaritat dsr dargestellten Daseinssituationsn zum Ausdruck bringen. In dsr Familie Schroffenstein nimmt dis Frau noch nicht dis Vorrangstellung sin. In dem Erstlingsdrama Kleists gilt das Hauptintsresss dem ngensatzpaar VertrauensMiBtrauen selbst, das ssinsn EinfluB sowohl auf die Handlung als auch auf die Handslndsn vsrspfirsn laBt. Dss Vertrauen ist dabei gsnauso polar bsdingt durch das MiBtrau- en wie dis Liebe durch dsn HaB. Zwar kfinnts das sins auch ohne das andsrs zur Auswirkung kommen. Allsrdings wars dann sins dsrartig di- mensionals Wsitung, wie Kleist sis ffir das ngensatzpaar Vertrauen- MiBtrauen verwendete, nicht dsnkbar.113 Es wfirs sins zu sinfachs Lfisung gewsssn, die Angehfirigsn dss Hauses Warwand als Vertrster dss MiBtrausns dsn Personsn dss Hausss Rossitz als Reprasentanten dss Vsrtrausns gegenfibsrzustellsn. Dis sntschsidsndsn ngensfitzs laBt Kleist bereits innerhalb der shelichsn Vsrbindungsn dsr beidsn Grafsn zutags treten. Auf Rossitz ist der finstsrs, von HaB und Leidenschaft besssssns Rupert mit dsr mildsn, grenzsnlos vertrauendsn Eustache vsrhsiratst. Auf SchloB Warwand lebt dagsgsn dsr msnschlich denkends Sylvester mit seiner Gsmahlin Gertrude, deren Argwohn und feindseligs VerdachtsauBsrungsn das MiBtrauen dsn Vsrwandtsn auf Rossitz gsgsnfibsr unaufhaltsam steigsrn. Dem.ngsnsatz dsr Charaktere beidsr Ehepartnsr innerhalb dsr sinzslnsn Familisn snt- spricht dsmzufolgs nicht nur die Gegsnfibsrstsllung dsr beidsn Vsttsrn auf Rossitz und Warwand, sondern auch dis ihrer Ehefrausn. Eustaches Bemfihsn, einen mildernden EinfluB auf ihren Ehemann aus- zufiben, sntspricht Kleists Auffassung fiber das Wirken dsr vsrhsirateten 147 Frau, die dem "stfirmischsn Willsn ihres Mannss" Einhalt gsbistst, die ihm "mit stiller Standhaftigkeit" (11,675) den rechten Weg zu weissn versucht. 1n diesem Drama geht es vorwisgsnd um den Erbvsrtrag, dsr bekanntlich von den GroBvfitsrn zum Wohls dsr vsrwandten Hfiussr abge- schlosssn wurds, stattdsssen jedoch nur Zwistracht hsrvorgsrufsn hat. Da beim Ausstsrbsn dsr einen Schroffensteinsr Linis dsr Besitz an die andsrs fibergehen soll, kann Rupert sich eines wachssndsn Argwohns nicht srwshren, die Vsrwandten hfittsn es darauf abgesshsn, sich mit allsn Mitteln dss gssamtsn Bssitzss zu bsmachtigen. Eine anffinglichs Vsrmutung hat sich mit den Jahrsn zum fssten Verdacht sntwickslt und wird schlisBlich ffir Rupert durch den plfitzlichen Tod seines jfingsten Sohnss zur bewissensn Tatsachs. Blind vor Rachsucht, MiBtrauen und Wut schrsckt daher dsr Herr auf Rossitz nicht davor zurfick, dis Mitglisder seines Hausss zum Rachsschwur gsgsn dis Vsrwandten zu zwingsn. Jsronimus gsgsnfiber bskennt Eustache dis Erfolglosigkeit ihres Bestrsbsns, ihren Mann zu Vernunft und MaBigung anzuhaltsn: --Ja, dieser HaB, dsr die zwsi Stamms trennt, Ststs grundlos schisn er mir, und ststs bsmfiht War ich, dis Manner auszusfihnen—-doch Ein neues MiBtrausn trsnnts ststs sis wisdsr Auf Jahre, wenn so kaum ich sis vsrsinigt. (1,110) Rupert jsdoch bezeichnet das Wert "Vertrauen" als dsr Welt dsr Ammsn— mfirchsn angehfirsnd. 1m Augenblick dss Rachsschwurs srksnnt Eustache nur zu deutlich, daB das Urteilsvsrmfigen ihres Mannss nicht nur durch dsn Schmerz um dsn Verlust dss Sohnss, sondern weit mehr noch durch dsn altsn Argwohn beeintrfichtigt ist. Sis verlangt von ihrem Gsmahl: O Rupert, mfiBgs dich! Es hat dsr fresh lesidigts dsn Nachtsil, daB die Tat Ihm dis Besinnung selbst dsr Rachs raubt, 148 Und daB in seiner signen Brust sin Freund Dss Fsindss aufstsht wider ihn, dis Wut-- Wenn dir sin Garn Sylvester stellt, du lfiufst In dsinsr Wunds blindem Schmerzgsffihl Hinsin. --K6nnst du nicht prfifsn mindsstsns Vorhsr, aufschisbsn noch dis Fshds.-- (1,53) Wis Lisbeth, dis Gattin von Michael Kohlhaas, so wirkt auch Eustache als Mahnsrin, versucht, ihren Mann von unfibsrlsgtsm Handsln abzuhalten. Ihrer Natur nach ist sis dazu gsnsigt, vsrtrauend statt miBtrausnd zu rsagisren. Ihrs Wsiblichkeit wshrt sich gsgsn dsn unbedingten HaB Ruperts. Sis sucht zu verstehen, ist willsns zu vsrgsbsn. Sis glaubt sher an einen Irrtum, an einen trfigsrischsn Schsin dsr Umstfinds, als daB ihr Glaubs an das Guts in den Menschsn ins Wanksn gsrists. Trotz dss angsblichsn Gsstfindnissss auf dsr Foltsr, das dsn Vsttsr auf Warwand als Anstiftsr zum Mord an ihrem Sohn zu bsstfitigen scheint, vsrtraut sis dsnnoch ihrem innsrstsn Gsffihl: Nun fiber jsdwsdss Gsstandnis geht Msin innsrstes Gsffihl doch.- (1,109) Selbst dsr Verlust dss eigenen Sohnss halt also Eustache nicht davon ab, ihrem tisfstsn Wesen trsu zu blsibsn, lfiBt sis an ihrem,Glaubsn, an ihrem Rschtgsffihl, das speziell als Eigenhsit dsr Frau bezeichnet wird, nicht irrs werdsn. 1m Gegensatz zu Eustache ist Sylvestsrs Ehefrau Gertrude auf War- wand vom Dichter dis Aufgabe zugetsilt, durch Andsutungsn und hsimlich ausgesprochsns Vsrmutungsn zwischen dsn Familisn Zwistracht zu schmis- dsn, ohne jsdoch damit bei ihrem Mann wirklichs Erfolgs zu srzislsn. Argsrlich gsbistst sr ihr zu schwsigsn. Er ksnnt dis Schwfichs ssinsr Frau und gibt ihr dis Schuld an manchsm Mtisrstandnis: 149 --0 daran ist, Beim Himmsl! niemand schuld als du Gertrude! Das MiBtraun ist die schwarzs Sucht dsr Seele, Und alles, auch das Schuldlos-Rsins, zisht Ffirs kranks Aug dis Tracht dsr Hfills an. (1,69) Es ist Gertrude, dis Kleist "das Nichtsbsdsutsnds, Gemsins, ganz All- tfiglichs, spitzfindig, wie gestreuts Zwirnfaden" (1,69) zu einem Bild vsrknfipfsn laBt, das dis Vsrwandten auf Rossitz verdfichtigt. Sis sagt nichts fiffsntlich. Heimlich vsrtraut sis Agnes an, "es kfinnts sein, war moglich, hab dsn Anschsin fast--" (1,67), als wfirsn dis Rossitzsr an dem Tod dss klsinsn Philipp schuld. Mit dem "vergiftstsn Dolch" und dsr "vsrgiftstsn Ananas" hat Kleist Bsispisls gsschaffsn, die die Ab- surditat disses MiBtrausns ganz besonders vsrdsutlichsn. Semela hat darauf hingswiessn, daB das MiBtrausn Gsrtrudss ksinss- wsgs die glsichs Tiefendimension aufzuwsissn habe wie das Vertrauen von Eustache. Er ffihrt dis unterschisdliche Bstonung auf Kleists naturbs— dingts Unffihigksit zurfick, das MiBtrausn ebenso srlsbnishaft darstsllsn zu kfinnsn wie das Vertrauen. Das MiBtrausn bei Kleist ssi als sins Form gsistigsn Erkennsns nur rational bsdingt. Und Semela warnt mit Recht davor, in diesem Drama bei dsr Beurtsilung dsr Frauengestalten allzu lsichtfertig als wesentliche Charaktsrzfigs dsr Frau zu dsutsn, was hauptsfichlich als funktionale Eigenhsit zum Zweck der Kontrastie- rung gelten mfisss. Um den Gegensatz von Vertrauen und MiBtrauen bs- sondsrs deutlich hsrvorzuhsbsn, ssi das Vertrauen Eustaches als sin unbegrsnztss dargestellt. Gsrtrudss MiBtrausn dagsgsn, obgleich ss als geistigss Prinzip dss Dramas unbestrittsn sins Vorrangstellung sinneh— ms, ssi nicht so kraftvoll gsstaltst, daB es dem Vertrauen von Eustache das Glsichgswicht haltsn kb'nns.114 150 Die Ffihigksit zu einem unsrschfittsrlichsn Vertrauen, das weit fiber dis Grsnzsn dss Gswfihnlichen hinausgsht, besitzt Eustache gemeinsam mit Sylvester. Der Herr auf Warwand kann ss trotz Ruperts Ankfindigung dsr Fshds nicht glaubsn, daB dsr Vsttsr ihn einer dsrartig ruchlossn Mbrd- tat bsschuldigsn konnts. Wer kann das Unbegrsiflichs bsgrsifsn? - Wo ist mein Helm, mein Schwsrt? - Dsnn hfirsn muB Ichs doch aus seinem Munds, sh ichs glaubs. (1,73) Ohns auf den Einspruch seiner Frau Gertrude zu schtsn, dis um sein Ls- ben flirchtst, ohne dsr Bsstatigung dss Rossitzischsn Herolds Gshfir zu schsnksn, dsr ihm bei einem solchsn Schritt dsn sicheren Tod voraus- sagt, will Sylvester waffenlos nach Rossitz rsitsn, um sins Aussprachs mit Rupert zu erzwingsn. Nur so kfinnts seiner Meinung nach dsr Irrtum, dsr dieser Angslegsnhsit zugrunds lisgen mfisse, aufgsklart werden. Nur so kfinnts man grfiBsres Unhsil vsrmsidsn.115 Als sdlsr, bssonnensr Mensch zahlt Sylvester in seinem blindsn Vertrauen darauf, daB dem Vsttsr sein Leben gsnauso heilig sein werds wie ihm selbst das Leben dss Vsrwandten auf Rossitz. Eine dsrartigs Vertrauensffihigksit, wie Sylvester und Eustache sis aufzuwsissn haben, ist sins moralischs Kraft, dis Seslenstarks voraus- sstzt. Grundlags eines solchsn Vsrtrausns ist dsr Glaubs, dsr sich durch das Gsffihl ffir dsn sittlichsn Wert einer andsrsn Person recht- fsrtigt. Natfirlich kann disses Gsffihl einem Irrtum unterlisgen wie Sylvestsrs unbegrsnztes Vertrauen zu Rupert. Einsr andsrsn Person zu vsrtrausn, ist ststs sin Wagnis, denn es handelt sich im Grunds immer um sin 'blindss' Vertrauen. SchlieBlich wfirs ss kein Vertrauen, wenn 151 im sntschsidsndsn Augenblick objsktivs Sichsrheitsn und guts Grfinds als Bswsiss ffir die Vsrtrausnswfirdigksit einer Person zur Verffigung stane dsn. Wisssn srfordsrt kein Vertrauen. Wahrss Vertrauen absr ist sine leastungsprobs moralischsr Kraft und bedeutst, an einen Menschsn auch dann noch glaubsn zu kfinnsn, wenn alle sichtbarsn Tatsachen gsgsn ihn sprechen.H6 Bei Eustache und Sylvester ist sins dsrartigs Vsrtrausns— ffihigksit gsgsbsn. Es erweist sich jsdoch, daB das Vertrauen sine ebenso blinds, das gssamts Ffihlsn und Denken dss Menschsn bsstimmends Macht ssin kann wie das MiBtrauen. In Sylvesters Absicht, den Vsttsr auf Rossitz aufzu- suchsn, srblickt Rupert nur sinsn "raffinisrtsn Schachzug." Sylvestsrs unwandslbarss Vertrauen in Ruperts Schuldlosigksit bezeichnet dieser als sins "List dsr Holls, von dem bfissstsn dsr Teufel ausgshsckt!" (1,114)117 Das MiBtrausn dss Herrn auf Rossitz ksnnt ksins Grsnzsn. Sylvestsrs unsrschfittsrlichss Vertrauen dagsgsn gerat srst in dem Augenblick ins Wanksn, da sr erkennen muB, daB selbst sein sigsnss BswuBtssin, das ihn mit der Ksnntnis seiner Unschuld nach dem Erwachsn aus dsr Ohnmacht hatts stfirksn sollsn (1,82), ihn von sinsr Schuld scheinbar nicht mehr frsizusprschen vermag. Gertrude. 0's ist sin tsuflischsr Bstrug, dsr mich, Ja dich miBtrauisch hatts machen kfinnsn. Sylvester. Mich selbst? MiBtrauisch gsgsn mich? Nun laB Doch hfirsn. (1,85) Sylvester kann dis Tatsachs, daB Ruperts jfingstsr Sohn allsm Anschsin nach tatsfichlich von ssinsn Leutsn im Gsbirgs srschlagsn wurds, nicht langer von sich wsissn. SchlisBlich hattsn dis Mfirdsr ihre Schuld selbst singsstandsn, hattsn ihren Herrn als Anstiftsr zum Mord kurz vor ihrem Tods auf dsr Folter namhaft gemacht. 152 Sylvester. Vsrschisdsn? - Und gsstandsn? - Und im Tods, Wfir auch das Leben voll Abschsulichksit, Im Tods ist dsr Mensch kein Sfindsr. - Nsin, das ist kein Bstrug, kann keiner sein. "(I—.86) So sshr glaubt Sylvester an die Wahrheit einer im Augenblick dss Todss gegebenen Aussags, daB er dem BewuBtssin seiner eigenen Schuldlosigksit ksins Aufmsrksamkeit mehr bsizumssssn scheint. Sich selbst zum Rfitssl gswordsn (1,93) gibt er trotz seiner Vsrzwsiflung dis Hoffnung auf si- nsn frisdlichsn Ausglsich mit dem Vsttsr nicht auf. Erst als Jsronimus ssinsn Vsrmittlsrdisnst mit dem Leben bszahlt und Sylvester sich die Sinnlosigksit eines wsitsrsn Bsmfihsns um Verstandigung singestehen muB, nachdem dsr Herr auf Warwand vollsr Schrscksn erkennen muB, mit seinem fibsrmaBigsn Vertrauen Jsronimos' Tod schuldlos vsrschuldst zu haben, vsrkfindst er seiner Frau Gertrude: Nun, Bsruhgs dich - fortan kein andsrss Gsffihl als nur dsr Rachs will ich ksnnsn, Und wie ich duldend, einer Wolks gleich Ihm langs fiberm Haupt gsschwebt, so fahr Ich einem Blitzs gleich jstzt fiber ihn. (1,125) In dsr Gegsnfiberstsllung dsr wirksam wsrdsndsn Krafte wfirs somit dis fiberwfiltigsnds Macht dss MiBtrausns im Leben dsr Schroffensteinsr bswisssn. Doch dsr Dichter hatts ss sich zur Aufgabe gemacht, "das Arkadischs oder fibsrhaupt Interessants auch an dem Gsmeinstsn" (11,572) aufzuzsigsn. Mit dsr srwachsndsn Liebe zwischen Agnes und Ottokar, dsn lstztsn fibsrlsbsndsn Erbsn dsr beidsn Hfiussr, bistet Kleist sins wsi- tsrs Mfiglichksit an, einen Auswsg "aus diesem Wirrwarr" (1,93) zu finden. Er hat dsn beidsn jungsn Leuten gemeinsam dis Funktion dsr 153 Bswsissrbringung fibsrtragsn, daB dis Macht dsr Liebe selbst unter schwisrigsten Bsdingungsn Ungshsures zu bswfiltigsn vermag. Zwar ist Agnes und Ottokar sin dsrartigss Vertrauen, wie es Eustache und Sylve- ster zu eigen ist, noch nicht gegeben. Sis mfissen sich disses Vsrtrau- sn zusinandsr srst srwsrbsn. Ein "unumschrfinkt Vertrauen" (1,77) fordsrt Ottokar von Agnes, wfinscht, daB sis ihm ihren Namen nsnns, obwohl sr selbst ssinsn eigenen wsitsrhin gshsimzuhaltsn gsdsnkt. Ssinsr Auffordsrung "Willst du nicht bssssr von / Mir denken lsrnsn?" (11,78) bsgegnst Agnes mit den Wor- tsn: ”Soll ich dir traun, wenn du nicht mir?" (1,78) Der Jfingling klagt, daB dss Madchens Seele, dis bei ihrem srstsn Zusammentreffsn im Gsbirgstal "wie sin schfinss Buch" (1,95) offsn vor ihm gslsgsn habe, jetzt wis ”sin vsrschlansr Brief" (1,96) srscheine. Beids ffihlsn.sich zusinandsr hingszogsn, scheusn jedoch im Hinblick auf die Fshds zwi- schen ihren Familisn davor zurfick, sinandsr ihre Idsntitfit sinzugssts- hen. Ottokars Gsffihl ist gsspalten zwischen dem Rachsschwur am Sarge dss totsn Brudsrs und seiner Liebe zu dem Mfidchen. Agnes dagsgsn wird trotz ihrer Lisbs von dsr Furcht vor einer mfiglichen Ermordung durch Ottokar fibsrwfiltigt. BssinfluBt durch dis deen ihrer Mutter ist sis fibsrzsugt davon, mit dem Qusllwasssr, das Ottokar ihr zur Stfirkung rsicht, zugleich das tfidlichs Gift aus seiner Hand zu smpfsngsn. absr sis hat dsnnoch nicht dis Absicht, sich zu retten. Ohns seine Liebe, dis ffir sis dsr Sinn ihres Lebens ist, hat das Leben ksins Bedeutung mehr ffir sis. . . . Dis Krone sank ins Mesr, Glsich einem nacktsn Ffirstsn werf ich ihr Das Leben nach. Er brings Wasssr, brings 154 Mir Gift, gleichviel, ich trink es aus, er soll Das Ungshsusrsts an mir vollendsn. (1,96-97) Nachdsm sis endlich dsn Mut gsfundsn und Ottokar in ihre Dsnkwsiss sin- gswsiht hat, zeigt es sich, daB auch er gswillt ist, das vsrmsintlichs Gift mit ihr gemeinsam zu trinksn. Disss Bereitschaft beidsr, aus Lisbs miteinandsr zu stsrbsn, verhilft ihnen zu dsr Erkenntnis ihres Irrtums, srmfiglicht ihnen, ihr MiBtrauen zu fiberwindsn. Und Ottokar fragt das Mfidchsn: Willst dus? Mit mir lsbsn? Fest an mir haltsn? Dem Gsspsnst dss MiBtrauns, Das wisdsr vor mir treten kfinnts, kfihn Entgsgsnschrsitsn? Unabandsrlich, Und wars dsr Vsrdacht auch noch so groB, Dem Vatsr nicht, dsr Mutter nicht so traun, Als mir? (1.98-99) Agnes srklart sich zwar ganz dis Seine "in dsr grenzsnlosestsn Bedeu- tung" (1,99), gibt absr ebenso deutlich zu erkennen, daB sis sich selbst als unsrfahrsnes MEdchsn gsgsn ungsrschtfsrtigts Anklagsn zu behaupten wsiB. Entsprschsnd dsr ihr als Frauengestalt vom Dichter fibsrtragensn Funktion srflillt sis nun ihre Aufgabe, den Gslisbten durch das Beispiel ihrer Dsnk- und Verhaltensweise zu einer Neubswsrtung dsr Sachlags hinzulsitsn. Der Ansicht Frickss, daB Agnes srst durch Otto- kar aus dem MiBtrausn befrsit werdsn muB, kann nur im Hinblick auf das von ihr als vsrgiftet vermutsts Wasssr, das sr dem Madchsn rsicht, bs- statigt werdsn. In dsr Folge dsr stns ist es dann jsdoch Agnes, dis dsn Gslisbten von dsr Zwsidsutigksit dsr angsblichsn "Tatsachen" fiber- zeugt.118 155 Auf disss Funktion dsr Frau kommt as im Kleistschsn Werke an: in sntschsidsndsn Situationsn durch ihr Eingrsifsn in den Lauf dss Gesche- hens, mit Hilfe eines Zusammsnspisls von Gsffihl und Verstand, auf die Notwsndigksit einer stetigsn Ubsrprfifung und Nsueinschfitzung dsr gsgs- benen Umstande hinzuwsissn. In diesem speziellen Fall ist es dis Auf; gabs von Agnes, Ottokar zu dsr Erkenntnis jsnsr grausnhaftsn Mtisr— stfindnisse zu ffihrsn, die ihre Familisn sntzwsisn. Ffir Ottokar steht es als bswisssns Tatsachs fest, daB sein Brudsr von Sylvester "hinge- richtst" wurds, da as dis Mbrdsr selbst gsstandsn haben. Solangs sich absr dis Menschsn unbedenklich auf die Eindsutigksit zweidsutigsr Gs- stfindnisss vsrlasssn, besonders, wenn disss Gsstfindnisss auf dsr Foltsr ausgsprth werdsn und nur aus einem sinzigsn Wort bestshsn, so langs ist die Gsfahr falscher Folgerungsn unvsrmsidbar. Agnes ist jsdoch wie Eustache jsnes besonders Gsffihl zu eigen, das sis trotz aller fiuBsrsn Anzsichen an dsr Richtigksit dieser Aussags zweifsln lfiBt. Mich fiberzsugt es nicht. Dsnn etwas gibts, das fiber alles Wfihnsn, Und Wisssn hoch srhabsn - das Geffihl Ist es dsr Ssslengfits andrsr. (1,99) Ottokar msint, nicht mit ihren Augen sshsn zu kfinnsn; Agnes bshauptst, es nicht mit den ssinigsn tun zu kfinnen. Er betont, sis solls nicht von ihm vsrlangsn, seinem eigenen Vatsr wenigsr zu trausn als dsm_ihri- gsn. Sis sntgsgnst, daB er dasselbe auch nicht von ihr fordsrn dfirfe. Den Vsrdacht, sein sigsnsr Vatsr habe Johann als Msuchslmfirdsr nach Warwand gssandt, wsist Ottokar zurfick. Ottokar. Msin Vatsr! Ein Msuchslmfirdsr! Ist sr gleich sshr heftig, Nis hab ich andsrs doch ihn, als ganz edel Gskannt. 156 Agnes. Soll ich nun dsinsm Vatsr mshr, Als du dem meinen traun? (Stillschweigen) Ottokar. In Jsdem Falls, War zu dsr Tat Johann von msinsm Vatsr Gsdungsn nicht. Agnes. Kann sein. Visllsicht so wenig, Wis von dem msinigsn dis Lsuts, dis Dsn Brudsr dir srschlugen. (Stillschweigen) Ottokar. Hfitts nur Jsronimus in seiner Hitzs nicht Den Menschsn mit dem Schwsrts gleich vsrwundst Es hatts sich visllsicht das Rfitssl gleich gslost. Agnes. Visllsicht - so gut, wis wenn dsin Vatsr Dis Lsuts nicht srschlagsn hatts, dis Er bei der Lsichs dsinss Brudsrs fand. (Stillschweigen) (1,100-101) Nebsn dsn Argumentsn von Agnes sind die als "Stillschwsigsn" gskenn- zsichnstsn Untsrbrschungen besonders bedeutsam. Damit wird speziell auf die jswsiligs Zsitspanns hingewisssn, in welcher dsr Prozsss dsr Neuorisntisrung in Ottokars Dsnkwsiss stattfindst. Kuoni bszweifslt allerdings, daB sin visrzshnjahrigss Madchsn wie Agnes psychologisch dazu ffihig ssi, mit der "Dialsktik ihrer bssssrsn Einsicht . . . die Fadsnschsinigksit aller Vsrdachtsgrfinds" zu snthfillsn.119 Hattsn also sowohl Jsronimus als auch Rupert fibsrlegtsr gehandslt, dann wars "visllsicht das Ratsel gleich gslfist" wordsn. Hfitts Sylve— ster dsn Fiebsrreden von Johannes sins besonders Bedeutung unterschis- bsn wollsn, so hfittsn disss wie dis Aussags auf dsr Foltsr auch ihm als ‘ Tatsachsnbswsis disnsn konnen. (1,101) Erst dem unsrmfidlichsn Wirken von Agnes, ihren sindringlichsn Hinwsissn auf die Gegebenheitsn beidsr 157 Ssitsn, gslingt es, dsn vsrwirrsndsn Schsin zu lfissn, dsr dsn Dingsn anhaftst, so daB Ottokar schlisBlich bekennsn muB: 0 Agnes! Agnes! Ich fangs an zu ffirchtsn fast, daB wir Doch dsinsm Vatsr wohl zu visl gstan. (1,101) Nur zu gsrn ist Agnes daraufhin bereit, auch im Namen ihrer Familie das zurfickzunehmsn, was sis alle von seinem Vatsr falsch gedacht haben. Damit ist dsr Neuorisntisrungsprozess abgsschlosssn. Sowohl Agnes als auch Ottokar sind zu dsr Erkenntnis gslangt, daB Schuld und Unschuld auf beidsn Seitsn lisgen. Ihrs Liebe fiirsinandsr allein hat sis dazu bsfahigt, ihre Zweifel und ihr MiBtrausn zu fibsrwindsn. Doch disss Erkenntnis wfirs wsrtlos ohne die entscheidends Tat. Daher ruft Ottokar aus: Nun wohl, 's ist abgstan. Wir glaubsn uns. - 0 Gott, welch sine Sonns geht mir auf! Wenns moglich wars, wenn die vatsr sich So gsrn, so leicht, wie wir, vsrstshsn wolltsn! - Ja kfinnts man sis nur zusammsnffihrsn! (I,102)120 Zwar ist es Ottokar und Agnes mfiglich, sinandsr das gswaltigs Aus- maB dsr Mtisrstandnisss zu srklfirsn und die Wahrheit dsr Umstands je- nsr vsrhfingnisvollsn Todssffills und Mords zu erkennen. Doch wedsr ih- nsn noch Eustache soll ss gslingsn, dem grausamsn Lauf dss Geschehens, dsr Ermordung dsr Kinder durch ihre eigenen Water Einhalt zu gebistsn, da dis Hoffnung auf Ubsrwindung allsn MiBtrausns durch dis Liebe dsr jungsn Lsuts durch Eustaches Gsstandnis zsrschlagsn wird. Wis dem Dichter selbst, so blsibt auch Agnes und Ottokar das dauernds Lisbes- glfick im Leben vsrsagt. Der vsrzwsifslts Ruf Sylvestsrs findet ksins Antwort: "Gott dsr Gsrschtigksit! / Sprich deutlich mit dem Menschsn, daB srs wsiB / Auch, was sr soll!" (1,147) Ausschlaggsbend blsibt 158 jsdoch dsr Gedanks dss Dichters, daB disses Glfick mfiglich gewsssn wars, wenn dis Einstellung dsr Bstsiligtsn nicht von Eigennutz, sondern stattdsssen von einer Dsnkwsiss bestimmt gewsssn wfirs, dis sich um Einsicht in dis Wahrheit bemfiht. Agnes und Ottokar mfisssn stsrbsn,. doch sis gehen in den Tod mit der Ubsrzsugung, daB das Glfick moglich gewsssn wars, wsnn dis andern sinandsr gsnauso vsrtraut hfittsn wie sis. Ein ebenso grsnzenlosss Vertrauen wie das, zu dem Agnes und Otto- kar sich kraft ihrer Liebe durchgsrungsn haben, srwartst Eve von ihrem Verlobten im Zerbrochnen Krug. Wis in dsr Familie Schroffenstein ist dsr Unterschisd in dsr Dsnk- und Handlungsweise dss jungen Paarss auoh in diesem Werk von dsr ngsnsfitzlichksit dss Bsgriffspsarss Vertrauen- MiBtrauen bestimmt. Hisr ist Eve dis Mbglichkeit gsgsbsn, durch das Vorbild ihres standhaftsn Vsrhaltsns aufzuzsigsn, zu welcher GrfiBs das Wesen eines sinfachsn Mfidchens aus dem Volks sich zu sntfaltsn vermag, wenn es glaubt, sins wirklich srnst zu nshmsnds Gsfahr zum Wohls dss Gslisbten abwendsn zu konnsn. Ihrs Funktion ist es, dsn Verlobten zu dsr Erkenntnis zu ffihrsn, daB ihm, im Vertrauen auf Eves Liebe und Treus, in dsr BswuBhsit ihres ststs maksllossn Lebenswandels, ksins Zweifel hattsn aufkommsn dfirfsn. Er hatts vor Gsricht singsstshen sollsn, daB er dsn Krug dsr Mutter zsrschlagen hatts, um mit dieser bewuBtsn, doch wohltusndsn Lfigs das Madchsn vor dsr fiffsntlichsn BloBstsllung zu bswahrsn. Eve srhofft also dissslbs uneigsnnfitzigs Dsnk- und Verhaltensweise von Ruprscht, zu dsr sis als Frau dis Fahig- ksit besitzt. Ruprscht dagsgsn hat dsr Dichter keineswegs mit dsrssl- ben Sensitivitfit ausgsstattst wie Ottokar. Ihm ist es nicht gsgsbsn, 159 sich dss ihm srwissensn Vertrausns, vor allsm absr dsr groBsn Opferbe- reitschaft Eves wfirdig zu srweissn. DaB Eve wedsr Verstandnis noch Vertrauen von ihrer eigenen Mutter zu srwartsn hat, wird dem Madchsn auf unmtierstandliche Art und Weiss zum BswuBtssin gsbracht. Ohns Mitgeffihl schleppt Frau Marthe Rull ihre Tochter vor das Gsricht in Huisum, wo sis mit ihrem sslbsthsrrlichsn und sslbstgerechtsn Vsrhaltsn das Madchsn an den Prangsr stellt, statt auch nur einen Augenblick nach dem wahren Grund ffir das ungewfihnlichs Bsnshmsn ihrer sonst so sittsamsn Tochter zu forschen. Nicht nur man- gslndss Vertrauen, sondern abschfitziges MiBtrausn ist alles, was Marthe Rull ihrer Tochter zu bieten hat. Dsmgsgsnfibsr bsstsht Eves einzige Schuld darin, ihr Vertrauen in dis falschs Person gssstzt zu haben. In ihrer Unschuld hatts sis gsglaubt, einem Vsrtrster dsr staatlichen Rschtsgswalt vsrtrausn zu kfinnsn. Ihr natfirlichss, rschtschaffsnss Wesen hatts sis keineswegs an dsr Ehrlichkeit, an dsr msnschsnfrsund- lichsn Hilfsbsrsitschaft sinss Menschsn zweifsln lasssn, dsr dis Posi- tion eines Richters beklsidst. Da sis dis eigene Mutter nicht davon abzuhaltsn vermag, dis Angslegsnhsit dss zsrschlagsnsn Krugss vor Gsricht zu bringen, versucht sis, sich hsimlich mit dem Verlobten zu vsrstandigsn, ohne damit jsdoch irgsndwslchs Erfolgs zu srzislsn: Eve. Ruprscht! Ruprscht. Fort du -! Eve. Lisbstsr Ruprscht! Ruprscht. Mir aus dsn Augen! Eve. Ich beschwfirs dich. Ruprscht. Dis lfidsrlichs -! Ich mag nicht sagsn, was. 160 Eve. LaB mich sin sinzgss Wort dir heimlich - Ruprscht. Nichts! (1,193) In seiner Enttauschung fiber den scheinbar sittsnlossn stsnswandsl Eves ist Ruprscht gsnauso blind wie Rupert Schroffenstein in seiner Rachsucht. Ohns auf die flshsndsn Worte dss Madchsns zu schtsn, ohne ihr sin Wort dsr Erklfirung zu srlaubsn, ist sis von ihm bereits vsrur- teilt und verdammt. "Vsrflucht bin ich, wenn ich dis Metzs nshms." (1,193) Von einer Heirat will sr nichts mshr wisssn. In seinem sigsn- nfitzigsn Bsmfihsn, sich selbst von dem Vsrdacht rsinzuwaschsn, dsn Krug zsrschlagen zu haben, bemerkt er kaum, daB sr dis Mfiglichksit dsr Un- schuld dss Madchsns gar nicht in Erwfigung zisht. Prahlsrisch bsrichtst sr dsn Tatbsstand: '8 war sin Spektakel, und Frau Marthe fragts Dis Jungfsr dort, wsr ihr dsn Krug zsrschlagsn, Und die, die sprach, ihr wiBts, daB ichs gewsssn. Msin Seel, sis hat so unrscht nicht, ihr Herrsn. Den Krug, den sis zu Wasssr trug, zsrschlug ich. (1,212) Eve dagsgsn sieht sich in sins scheinbar aussichtsloss Lags versetzt. Konfrontisrt mit den vislfachsn Beschrfinkungsn, die ihr die Gesell- schaft auferlsgt, ist sis gezwungsn, trotz dsr BswuBthsit ihrer Un- schuld sins Tatsachs zu bsstatigsn, dis ihre Schuld sinzugsstehsn scheint. Sis vermag nicht abzuleugnsn, daB sich neben Ruprscht sin wsitsrer mfinnlichsr Besuchsr zu nachtlichsr Stunds in ihrer Schlafkam- msr aufgshaltsn hat. Wie kfinnts sis ss absr wagsn, als Angshfirige dss niedsrsn Volkss einen Vertrstsr dsr Rschtsgswalt als dsn wirklichsn Tater vor seinem eigenen Gsricht bloBzustellsn? Hislt dsr Dorfrichter Adam ihrer Meinung nach doch dis Zukunft Ruprschts in dsr Hand. 161 Wohl wars Ruprscht nie auf den Gedanken gekommsn, sine Tat sinzu- gsstshsn, die sr nicht begangsn hatts. Dis miBlichs Lage, in dsr Eve sich durch die Hartnfickigksit ihrer Mutter vor Gsricht bsfindst srb weckt jsdoch sein Mitlsid. Sis jammsrt mich. LaBt doch dsn Krug, ich bitt Euch; Ich will's nach Utrecht tragen. Solch sin Krug - Ich wollt ich hfitt ihn nur sntzwsi gsschlagsn. (11,216) Hatts sr gsglaubt, seine GroBzfigigksit beweisen zu kfinnen, so sieht sr sich statt sinsr Dankbarksitsbezsugung von Eve ihrer Anklags ausge- setzt, unsdslmfitig gehandslt zu haben. Das Madchsn bshauptst, Ruprscht hatts sis bssser kennsn mfissen, hatts tisf in seinem Herzen wisssn sollsn, daB sin bestimmter Grund hintsr ihrem sigsnartigsn Vsrhaltsn stehen mfisss. Mangslndss Vertrauen wirft sis ihm vor und meint: Und hattsst du durchs Schlfissslloch mich mit Dem strscht aus dem Krugs trinksn sshsn, Du hattsst denken sollsn: Ev ist brav, Es wird sich alles ihr zum Ruhme lfisen, Und ists im Leben nicht, so ist es jsnssits, Und wenn wir aufsrstshn ist auch sin Tag. (II,216-217) Eve srwartst also von dem Gslisbten dsn Bewsis dessslben unbegrsnztsn Vsrtrausns, das sis ihm mit ihrem Ja-Wort schsnkte. Hier schsinen Kleists sigsns Worte anzuklingsn, dis er an seine Vsrlobts schrieb: "So visl Vertrauen, so visl unbegrsnztss Vertrauen von meiner Seite vsrdisnt doch wohl sinigs Erwidsrung von dsr Ihrigsn. Ich will nicht sagsn, daB Sis mich lisben mfiBtsn, weil ich Sis liebe; absr vertrauen mfisssn Sis sich mir, weil ich Ihnsn unbegrsnzt vsrtraut habe." (11,502) Wisdsr wird dis Intention dss Dichters deutlich, dsr Frauengestalt dis Aufgabe zu fibsrtragsn, dsm Mann von einer sigsnnfitzigsn Dsnk- und Handlungsweise zu sinsr unsigsnnfitzigen zu verhslfsn. Agnes und Ottokar 162 srweissn sich gleichwsrtig in dem AusmaB ihres Vertrausns, so daB dis ngsnargumsnts dss Madchsns genfigsn, damit Ottokar von seiner sinssiti- gsn Art dsr Beurtsilung dsr Situation zu einer Neuorisntisrung in ssi- nsm Denken und Handsln gslangt. Eve dagsgsn ffillt dis Aufgabe zu, Ru- prscht durch ihre Erklfirungsn srst flir sins unsigsnnfitzigs Denk- und Handlungsweise rsif zu machen. Wahrsnd sis von sinsm'Vsrtrausn spricht, das selbst dsn Tod fibsrdausrt, deutet sr als Mensch dsr ngsnwart an, daB ihm nur das Greifbars im Dissssits etwas gelts. Durch dis Schsinr heiligksit dss Dorfrichters wird dis Opferbereitschaft Eves auf sins harts Probe gestellt. Trotz dsr ebsn gsmachtsn Erfahrung, daB dsr Vsrlobts sich ihres Opfers und ihrer Tatkraft nicht wfirdig erweist, liBt das Madchsn um ssinstwillsn alle Furcht vor psrsfinlichsr Gsfahr hintsr sich und gibt schlisBlich mutig dsn Namen dss wahren Tfitsrs zu vsrstshsn. Es handelt sich dabei um dsn Richter selbst, dsr versucht hatts, Eve zu vsrffihrsn, indem er ihr vsrsprach, mit dem ganzen EinfluB seiner Position Ruprscht als Soldat vor einer Einschiffung nach Indien .zu bswahrsn. Erst dis vfilligs Klarstsllung dsr Sachlags srmfiglicht ss Ruprscht, sein MiBtrausn zu fibsrwinden und dsm Madchsn zu vsrzsihen. DaB sozials Ebsnbfirtigksit ksins gsistigs Glsichwsrtigkeit gswahr- lsistst, lfiBt dis Verhaltensweise Ruprschts erkennen. Zwar stsllsn sich alle Anschuldigungsn, dsnsn das Madchsn ausgesetzt war, als unbe- grfindst heraus. Wohl zeigt es sich, daB sich Eve ksins andsrs Mfigliche ksit gsbotsn hatts, dsn Verlobten zu schfitzen. Dis Charskterisisrung dss jungsn Madchsns laBt es jsdoch zweifslhaft erscheinen, daB ss sich dazu bereit srklfirsn wfirds, Ruprschts MiBtrausn ohne wsitsrss zu verzsi- hsn. Disses Verhaltsn dfirfts sinsrseits auf die gsringsn Erfahrungsn dss Dichters im Umgang mit Frauen zurfickzuffihrsn sein. Andrsrssits 163 konnts er dis zweitrangige Position dsr Frau in dsr Gesellschaft in Be- tracht gszogsn haben. Entsprschsnd seiner Ansicht fiber dis Bestimmung dss Weibes betrachtete er es als ihre Pflicht, den Mann unter allsn Um- standsn glficklich zu machen. Nur von diesem Standpunkt aus gesehen sr- schsint dis Untsrwsrfung Eves einem Manns gsgsnfibsr glaubhaft, dsr in seiner Vsrtrausnsffihigksit vfillig vsrsagt. 5.2. Tugend - Laster Als dichterische Vsrsuchs, durch ”Beispiel und lebendigs Handlung" dis Msnschhsit zu "Tugend durch Laster" zu ffihrsn, dfirftsn dis drei Werke dsr nachsten ngsnsatzgrupps gelten. Ffir dis funktionale Bestims mung dsr Frau liegt in diesem Falls dis Hauptbetonung auf dsr Hervorhs- bung dsr ngensfitzlichksit dss Bsgriffspaarss Tugend und Laster. Als 'Tugsnd' bezeichnet man "die bestandigs Gsrichtsthsit dss Willsns auf das Sittlich—Guts; sis ist selbst sittlich gut und ein sthischer Wert." Ffir Aristotslss bsdsutste "jede Tugend sin Mittlsrss zwischen zwsi (vsrwsrflichen) Extremen" wie, zum Beispiel, "dis Besonnenheit zwi- schen Zfigsllosigksit und Gsffihlsstumpfhsit, dis Tapfsrkeit zwischen Tollkfihnheit und Fsigheit,” oder "dis Gsrschtigkeit zwischen Unrechttun und Unrechtlsidsn."121 Kleist selbst sagt, ihm srscheine die Tugend . . . wie sin hohss, srhabsnss, unnsnnbarss Etwas, fifir das ich vsrgsbsns sin Wert suche, um es durch dis Sprache, vsrgs- bsns sins Gestalt, um es durch sin Bild auszudrficksn. Und dsnnoch strsbs ich diesem unbegriffsnsn Dings mit dsr innig- stsn Innigksit sntgsgsn, als stfinds ss klar und deutlich vor meiner Seele. (II,475) Ksin "besssrsr Sporn zur Tugend" erscheint ihm mfiglich als dis Aussicht auf sin nahss Glfick, kein schfinsrsr und sdlerer Weg zum Glficks erscheint ihm dsnkbar als dsr Weg dsr Tugend. (11,303) Disssn Weg dsr Tugend absr sieht er vorgszeichnet als "gleich weit entfsrnt von Reichtum 164 und Armut, von UbsrfluB und Mangsl, von Schimmsr und Dunkslhsit, dis bsglficksnds MittslstraBs, dis wir wandsrn wollen." (11,308-309) Wis hisr seinem Freund Rfihls von Lilisnstern, so srteilt dsr Dichter allsn Menschsn dis Aufgabe, in ihrem Denken und Handsln ststs zwischen zwsi Extrsmsn zu wfihlsn, ss als Lebensziel zu betrachten, fihnlich wis Ari- stotslss zu vsrsuchen, durch standigss Abwfigsn dsn Mittslweg zwischen gsgsnsatzlichsn Begriffen zu finden. Der Msnschhsit zu diesem Zisl zu vsrhslfsn hat dsr Dichter sich ja mit dem "msnschsnfrsundlichsrsn Zweck" seiner Dichtung selbst zum Ziel gssstzt. Der Frau in seinem Werk fallt dabei vorwisgsnd dis Aufgabe zu, durch das Beispiel ihrer Dsnk— und Verhaltensweise dis bsdsutungsvollsn ngsnsfitzs vor Augen zu ffihrsn. Der Durchbruch zu individusller Entscheidung laBt sich bei Josephs im Erdbsben in dsr VOrgsschichts erkennen, da sis sich gsgsn dsn Willsn und die Warnungsn dss Vatsrs Jsronimo im.Klostsrgartsn aus Liebe hine gibt. Bei dsr Marquise tritt dsr Durchbruch zu einer sslbstandigsn Verhaltensweise im Laufs dsr Handlung sin. Durch das rficksichtsloss Vorgshsn ihres Vatsrs gslangt sis zu einer beachtenswerten Entfaltung ihrer eigenen Anlagen. Trotz dsr seit Jahren gswfihntsn Anpassung an die Meinung andsrsr vermag sis, sich gsgsn dis Abfordsrung ihrer sigs- nsn Kinder dem Brudsr gsgenfibsr standhaft zu behaupten. Wahrsnd dis Marquise in einer Ohnmacht durch dis ihr unbswuBte Vsrgswaltigung in dis unbegrsiflichs Lags ihrer Schwangsrschaft gsratsn ist, so ist auch .Alkmsns dis Erkenntnis vsrwshrt, daB sis sich Jupiter, dem hfichstsn dsr Gfittsr, in dsr Gestalt Amphitryons hingibt. Jsdoch allein dsr Gedanks in ihrem BswuBtssin, daB sis, wenn auch unschuldig, schuldig gswordsn sein konnts, lfiBt Alkmens zu dem EntschluB gslangen, daB sis sich einer 165 Fortsstzung dsr Ehe mit Amphitryon nicht lfinger wfirdig srweiss. Sis ist somit in dsr Lage, sogar einen Gott trotz dsr Hingabe von ihrer sinmaligsn Tugendhaftigksit zu fibsrzsugsn. An Josephss Vsrhaltsn im Erdbsben soll vor allsm dsr Gegensatz zwischen tugsndhaftsr und lastsrhaftsr Lebensweiss aufgszsigt werdsn. Wsr wfirds es abstrsitsn konnen, daB dis Errsgung dsr Gesellschaft dsr Stadt bsrschtigt erscheint, da Josephs am Fronleichnamstag bei der fsi- srlichsn Prozsssion dsr Nonnsn vor Augen aller Menschsn auf den Stufsn dsr Kathsdrals nisdsrkommt und unter dsm.Klang dsr Glocksn einen Sohn zur Welt bringt. AuBsrst wenig srffihrt man in dsr Novells darfibsr, was Josephs selbst in ihrem Innern vsrspfirt, ob sis selbst ihr Handsln als sin Laster betrachtet. Wslchsn Eindruck dis vsrhfingts Todssstrafs auf ihr Gsmfit hat, findet ksins Erwfihnung. Umso dsutlichsr wird vom Dich- tsr dis Vsrdammung "dsr jungsn Sfindsrin" durch dis Gesellschaft San- tiagos dargestellt, wie dsr vom Erzbischof bsfohlene "gsschfirftssts Prosz" bsi dsr groBsn "Erbitterung fiber disssn Skandal" zu dem unver- msidlichsn Todssurtsil ffihrsn muBts, wie die Umwandlung dss Urteils vom Fsusrtods zu einer Enthauptung groBs Entrfistung hsrvorrisf. Ksin Mit- gsffihl kommt bei disssn "frommsn Tfichtsrn dsr Stadt” zum Ausdruck, lediglich dsr fibsrhsblichs Wunsch, sich selbst bei dem "Schauspisl dsr gfittlichsn Rachs" im Glanzs dsr sigsnsn tugsndhaften Lebensweiss zu spisgsln. Wahrsnd dsr Dichter also am Anfang sin Bild dss Lastsrs von Josephs zu zeichnen scheint, bietst sich mit dem Einbruch dsr Natur- katastrophs immer starksr sin Bild dsr Tugendhaftigksit. Untsr To- desgefahr rsttst dis jungs Mutter ihren Sohn aus dem zusammsnstfir- zsndsn Klostsr, anstatt lediglich an ihre eigene Rettung zu denken. 166 Die jungs Familie sondsrt sich ffir’dis Nacht von den andsrsn Ubsr- 1sbsndsn dss Erdbsbsns ab, um sis mit ihrem eigenen Glfick nicht an be- trfibsn. Der Bitte Don Fsrnandos, ssinsn hungrigsn Sohn wie ihr sigsnss Kind zu nahren, folgt sis willig und ohne Aufhsbsns von dsr Tatsachs zu machen, daB sis plotzlich von dsr Gesellschaft dsr Stadt wisdsr akzsp- tisrt zu sein scheint. Wis bei den andsrsn, so wird such in Josephs dsr innigs Wunsch wach, dsr fsisrlichsn Mssss in dsr unzsrstfirt geblis— bensn Dominikansrkirche bsizuwohnsn, um Gott ffir dis wundsrbars Rettung zu danken. Das Laster scheint sich damit immer mshr von dsr Seite Jo- ssphss auf die dsr Gesellschaft Santiagos zu vsrlagsrn. Zu sinsr v61- 1igsn Umkshrung in dsr Reprassntation von Tugend und Laster kommt ss allerdings wfihrsnd disses Gottssdisnstss, da es prisstsrlichsr Bsrsd- samksit gslingt, sins inbrfinstig bstsnds Gsmeinds in sins satanischs Rotts zu vsrwandsln, dis von blutdfirstigsr Mordlust getrisbsn wird. Auch in dieser Situation bswfihrt sich Josephs durch ihre todssmutigs Opferbereitschaft, mit ihrer Selbstaufgabs wenigstsn das Leben dsr Kinder zu retten. lsbsn Sis wohl, Don Fernando mit den Kindsrn! risf Josephs - und: hier mordst mich, ihr blutdfirstendsn Tiger! und stfirzte sich frsiwillig unter sis, um dsm.Kampf sin Ends zu machen. (11,158) Doch Msister Psdrillo, dsr sis mit einer Keuls nisdsrschlug, ruhts nicht sher, "als bis sr dsr Kinder sinss bei den Bsinsn" aus dem Arm Don Fsrnandos "gsrisssn, und, hochhsr im.Krsise gsschwungsn, an eines Kirchpfsilsrs Ecks zerschmsttsrt hatts." (11,158) Hisr scheint sich die Behauptung Kleists wirklich zu bsstatigsn: "Da waltst sin groBss unsrbittlichss Gssstz fiber dis ganze Msnschhsit, dem dsr Ffirst wis dsr Bsttlsr untsrworfsn ist. Der Tugend folgt dis leohnung, dem Laster 167 die Strafs." (11,307) Wsr dfirfts ss nach dieser Entwicklung noch wagsn, dis Bfirgsr Santiagos als Vsrtrstsr dsr Tugend zu bezeichnen, Josephs dagsgsn als Vsrkorpsrung dss Lastsrs? Der Bswsis wird vielmehr sr- bracht, daB mit jsdsr vsrandsrtsn Sachlags sins nsus Ubsrpnfifung dsr Pramisssn ffir sins gsgsbsns Dsnkwsiss stattfindsn muB, um gegebenen- falls zu einer Neuorisntisrung zu gslangen. Als Fshler kfinnts man es betrachten, daB Josephs sich von einem UbsrmaB dss Gsffihls dazu bsstimmsn lfiBt, an dsm Dankgottssdisnst tsil- zunshmsn. Allsrdings hatts Donna Elisabeth ihrs Vorahnungsn und Warnun- gsnnur Don Fernando gsgsnfibsr ausgesprochsn. Josephss innsrss Gsffihl hatts sis selbst kurz vorhsr selbst davor gswarnt, dsr paradissisch anmutendsn Nachstenlisbs und Msnschsnfreundlichksit vollends zu trausn. 1n Erffillung dss dritten Tsils ihrer funktionalsn Aufgabe als weiblichs Mittslpunktsgsstalt in dsr Novells srhsbt Josephs Einspruch gsgsn den Plan Jsronimos, dis zuvor bsschlosssns Abrsiss aufzuschiebsn. An dis- sem Punkt zeigt sich bei Josephs nicht nur das Zusammsnspisl dss rsch- tsn MaBss an Gsffihl und Verstand, sondern auch ihr Trachtsn, Jsronimo von dsr Richtigksit sinsr vsrfindsrtsn Dsnkwsiss zu fibsrzsugsn. Daher gibt sis zu, daB auch sis nach dsr Erschfittsrung dss Erdbebsns srnsut an die Mfiglichksit einer vsrsfihnung mit ihrer Familie glaubs, absr dazu rats, disssn vsrsfihnungsversuch aus dsr Sichsrheit dsr fsrnsn Hafsn- stadt zu untsrnshmsn. Hatts Jsronimo als Mann sich von dsr auBsrlich frisdlichsn und groBhsrzigsrsn, ja, fast paradissisch anmutendsn At- mosphfire bssinflusssn lasssn, so verlaBt Josephs als Frau sich auf jens innsrs Stimms, dis ihr neben einer vsrstandssmfiBigsn Beurtsilung dsr Sachlags Vorsicht gsbistst. Eine dsrartigs Vorsicht sollte sich als gsrschtfsrtigt srweissn. Und Silz ffihrt dazu aus: 168 In dieser Erzfihlung werdsn dis Krfifts dsr Gesellschaft und dsr Natur, dis sinandsr manchmal unterstfitzsn, manchmal auf- hsbsn, gszsigt als gleichsrmaBsn unberechenbar, irrational und zsrstorsnd. Es gibt nirgsnds Sichsrheit ffir das Indi- viduum. Dis Schfipfung und die menschlichs Natur werdsn immer Erdbsben ausgesetzt sein. Das Leben in all ssinsn Erschsi- nungsformsn, ob fsindlich, ob frsundlich, blsibt unzuvsrlas- sig. Das fibsrlsbsnds Kind ist nicht Sinnbild dss Triumphss dsr Liebe fiber Tod und Sfinds; es ist sin Beispiel ffir dis Zuffilligksit dss Daseins in einer unbegrsiflichsn Welt.122 DaB dis Tugend sntgsgsn dsr Ansicht dss Dichters nicht als dsr sichsrs Weg zum Glfick gelten kann, scheint sich an dem Schicksal dsr Marquise von 0... zu beweisen. 1m Gegensatz zu Josephss wichtiger funktionalsr Aufgabe im Erdbsben in Chili, durch ihre Verhaltensweise den Unterschisd zwischen Tugend und Laster herauszustellsn, im.ngsnr satz zu einer Novells, in dsr kaum sin Anzsichen fiber das psychologi- schs Erlsbsn Josephss zum Ausdruck kommt, steht bei der Marquise von 0... dsr Durchbruch zu einer auBsrgswfihnlichsn Sslbststandigksit im Denken und Handsln im Vordsrgrund dsr Darstellung. Hisr tritt dis bipolars Sicht dss auBsrsn Wsltbildes, das im Erdbsben so besonders betont wird, gsgsnfibsr dsr dichterischen Gsstaltung dsr Neuorisntis- rung in dsr Dsnkwsiss in den Hintsrgrund. Dennoch sind auch hier dis dargestellten vsrfinderungsn dsr auBsrsn Lebensumstfinds nicht unbsdsu- tend, da sis dis Basis flir dis Neuorisntisrung darstsllsn. In das gsrsgslts Dasein, das dis Marquise seit dem Verlust ihres Gsmahls im Hauss ihrer Eltsrn ffihrte, hattsn dis Krisgssreignisss nur sins vorfibsrgshsnds Vsrwirrung dsr Verhaltnisss gsbracht. Dis baldigs Rfickkshr "in dis alts Ordnung dsr Dings" (11,109) lisB selbst dsn un- glficklichsn Zwischsnfall schnsll in Vsrgssssnhsit gsratsn, dem disss Dame bei der Erobsrung dsr Fsstung ausgesetzt gewsssn war. Hatts dsr hinzukommsnds russischs Offizisr sis doch noch rschtzsitig vor den 169 rohsn Gswalttaten jsnsr "vishischsn Mordknschts" bswahrsn konnsn, dis sich ihrer bsmachtigt hattsn. Doch disss Rfickkshr zum altgswohntsn Gang dss Lebens sollte sich nur zu bald als sin Trug hsrausstsllsn. Dis Marquise, "sins Dams von vortrsfflichsm Ruf" (11,104), sah sich plfitzlich in dis unbegrsiflichs Lags versetzt, ihre allzsit tugsndhafh ts Lebensweiss in Zweifel gestellt zu finden. Ihrer "unsrklfirbarsn Schwangsrschaft" wegsn wurds sis rficksichtslos aus dem Eltsrnhaus gs- wisssn und muBts mit ihren Kindsrn auf dem eigenen Landsitz Zuflucht suchsn. Auch dis spfitsr eintrstsnds Vsrsfihnung mit den Eltsrn, dis Rfickkshr in den Kreis dsr Familie, vor allsm absr ihre psrsfinlichs Aussinandsrsstzung mit dsr problematischsn Gestalt dss Grafsn F..., lasssn wohl sinschnsidsnds Verandsrungsn im Leben dsr Marquise srksns nsn, ohne jsdoch jsns hsrvorstschsnds Bedeutung einer fortdausrnden ngsnsfitzlichksit dss Daseins als Labyrinth und Paradiss anzunshmsn, wie es durchgshsnd im Erdbsben aufgszsigt werdsn konnts. In dsr Marquise von 0... dagsgsn tritt dsr Gegensatz im fiuBsrsn Wsltbild vorwisgsnd im srstsn Teil dsr Novells in Erschsinung. .Das an den Anfang gsstellts Zeitungsinssrat findet in dsr Mitts dsr Novells srnsut Erwfihnung, um an dieser Stelle die wschselhafts Vorgsschichts jsnsr "sonderbarsn Auffordsrung in den Intslligsnzblfittsrn von M..." (11,127) abzuschlisBsn und die hier wesentlich wichtigsre Konzsntra- tion auf sins Neuorisntisrung in dsr Dsnkwsiss sinzulsitsn. Das Auf und Ab dss AuBsrsn wird in dsr zweiten Halfts dsr Novells von sinsm Hin und Her dss Innern abgslfist. Hisr haben wir ss darum wenigsr mit einem auBsrsn als mit einem innsrsn Labyrinth zu tun, in dem vor allsm dis Marquise vsrfangen ist. Eine mshrfachs Neuorisntisrung in dsr Dsnkart 170 wird bsi dsr jungsn Witws notwsndig, bis sis zu sinsr neuen, korrigisr— tsn Wertschfitzung ihrer Situation gslangt und damit dsn Frieden ihrer Seele wisdsrzufindsn vermag, dsn man als "Paradiss in ihrer Brust" bs- zsichnsn konnts.”3 Dis Gegebenheit und Entfaltung ihrer bsachtsnswer- tsn Anlagen srlaubsn ihr, mit Hilfe dsr Ubsrlegung‘nagh dsr Tat-~wis beim Ringsn--zu dem fiuBsrst wichtigen Durchbruch zu individusller Ent- scheidung zu gslangen.124 Als Ergsbnis erscheint jsns "sonderbars, dsn Spott dsr Welt reizsndsn" Zsitungsannoncs, mit dsr sis dsn ihr unbe- kannten Vatsr ihres zu gsbarsndsn Kindss sucht, um ihn zu heiraten. Wis absr kommt dieser Durchbruch zu sinsr Neuorisntisrung und damit zu dsr Individualitfit ihres Wesens zustande? Bei dem EntschluB zu dem Zeitungsinssrat handelt es sich tatsachlich um sinsn Schritt, zu dem sich die Marquise srst nach vislssitigsn Erwfigungsn zu sntschlisBsn vsrmochts, einen Schritt, dsn man als Ergsbnis einer singshsndsn Ubsr— prfifung ihrer Dsnkwsiss, vor allsm absr auch als Bsrichtigung dss zuvor singsnommsnsn Bsurteilungsstandpunktss bszsichnsn darf. Bevor es je- doch zu dieser bsrichtigtsn Dsnkwsiss und damit zu einer ausschlaggs- bsnden Verandsrung, sowohl in dsr BswuBtssinshaltung als such in dsr Gsffihls- und Handlungsweise dsr Marquise kommen konnts, war sis vfillig im Irrtum vsrhaftst, dsm das bsschrfinkts Erkenntnisvsrmfigsn dss Msn- schsn sis hatts anhsimfallen lasssn. Dis Ubsrzsugung von ihrer eigenen Unschuld, dis BswuBthsit ihres tugsndhaften Lebens, lisBsn sich mit dsr unfaBbarsn Tatsachs ihrer nicht wsgzulsugnsndsn Schwangsrschaft in keiner Weiss vsrsinsn. "Ein rsinss BswuBtssin und sins Hebamms!" (11,122) Disser Gegensatz srschfittsrts nicht nur dis sntsstzts Fami- lis dsr Marquise, sondern weit mshr noch sis selbst, dis ihr sigsnss Gswisssn nach sinsr mfiglichsn Erklfirung ffir jensn "sonderbarsn und 171 grsiflichsn Zustand" (11,123) durchforschts. Also nicht nur Zweifel an dsr Urteilsffihigksit dss Arztes, an den Bemsrkungen dsr Hsbamme srhoben sich in ihr, sondern ebenfalls Zweifel an dem eigenen BswuBtssin ihrer Unschuld. "Sis durchlisf, gsgsn sich selbst miBtrauisch, alle MOmsnts dss vsrflosssnsn Jahrss, und hielt sich fiir vsrrfickt.” (11,120) Wis sollte ss ihr hier gslingsn, sich aus dieser Vsrwirrung zu bsfreisn, aus dem Zustand, dsr sis an den Rand dsr Vsrzwsiflung ffihrts, um zu einer neuen und klarsrsn Dsnkwsiss durchstoBen zu kfinnsn? Zu dem offsnbarsn Gegensatz zwischen dem als glficklichs Ffigung zu bstrachtsnden Zustand dsr Muttsrschaft und dsr hier wie sin ausweglosss Labyrinth dargestellten Situation einer unbswuBtsn Empfangnis fiuBsrt Fricks: Was Kleist sonst als das hfichsts Glfick, die srfiillts irdischs Bestimmung dss Weibes ansah, dis GswiBhsit, Mutter zu sein, das bedsutsts nun dis Vsrnichtung dsr zsitlichsn wis dsr ab- solutsn Existsnz: dis Zsrstfirung dss Vsrhfiltnissss dsr Mar- quise zu den Ihrsn wie ihres swigsn Vsrhfiltnissss zu sich selbst und zu Gott. Dsnn jsds sis moralisch rsttsnds Erklfi- rung dsr Wirklichkeit liegt vollig auBsrhalb dss Bsrsichss dsr Mfiglichksit und dsr Gedanken.12 Hilflos sah sich die Marquise sinsm unsrklarbarsn Schicksal ausgesetzt, ffihlts sich unffihig, unter dem Eindruck dsr bslastendsn Umstfinds klars Ubsrlsgungsn anzustsllsn und zu sinsr Erkenntnis ihrer neuen Lags zu kommen. Erst das rficksichtsloss Vorgshsn des zur Pistols grsifsndsn Vatsrs und die plfitzlich auftauchends Gsfahr, ihre Kinder zu vsrlisrsn, lisBsn sis zur Tat schreitsn, ohns dabei zur Selbstbesinnung zu gslan- gen. Als hfitte sis srst in diesem Augenblick Bskanntschaft mit sich selbst gemacht, "hob sis sich plfitzlich, wie an ihrer eigenen Hand, aus dsr ganzen Tisfs, in welchs das Schicksal sis hsrabgsstfirzt hatts, sm- por." (11,126) "Mit dem ganzen Stolz ihrer Unschuld gsrfistst" (11,126) 172 ergriff sis die Kleinsn und vsrlisB mit ihnen das Eltsrnhaus. Erst "nach dsr Tat" schisn ihr dsr Zeitpunkt gsgsbsn nachzuforschsn, "was in dem Vsrfahrsn fshlsrhaft und gsbrschlich war . . . und das Gsffihl fiir andsrs kfinftigs Ffills zu rsgulisren." (11,337) Jstzt unternahm sis dsn Vsrsuch, vor sich selbst Rschsnschaft fiber ihre Vsrhaltsns— und Dsnk- wsiss abzulsgsn. "Ihr vsrstand, stark gsnug, in ihrer sonderbarsn Lags nicht zu rsiBsn, gab sich ganz unter dsr groBen, heiligen und unsrklfirh lichen Einrichtung dsr Welt gsfangsn." (11,126) Hisr spisgslt sich Kleists sigsns Erkenntnis wider, daB "dis menschlichs vsrnunft nicht hinrsicht, sich und die Sesls und das Leben und die Dings um sich zu bsgrsifsn." (11,683) War dis Welt von ihrer Unschuld nicht zu.fibsrzeu- gsn, so wollte dis Marquise wenigstsns "mit Stolz gsgsn dis Anfalle dsr Welt" (11,126) gswappnst sein, wollte das zu srwartsnds Kind als sin bssondsrss Geschsnk Gottss betrachten. Fricks ffihrt dazu aus: Das Ich vermag hier kraft seiner unbegrsiflichsn Macht, kraft seiner Rsinhsit und Einhsit mit sich sslbsr und damit mit Gott, - das ratsslhafts und vsrnichtende Schicksal zu.fibsr- windsn, ohne an dem Widerspruch zwischen dsr Wirklichkeit und dsr bswahrtsn Rsinhsit dss Gsffihls zugrunds zu gehen. Es vermag sich mitten in diesem Widerspruch und gsgsn ihn an be- hauptsn. Ja, noch mshr: Aus dsr nur negativsn, nur vsrzwsi- fslnd sich bshauptsndsn Haltung gsgsnfibsr einem vollsndst sinnlossn, dis absolute Existsnz und die Rsinhsit dsr Sesls notwsndig vsrnsinsndsn Schicksal, - wird hier zuerst dsr snt- schsidsnds Ubergang in sins ganz andsrs Haltung, in dis fromms Annahmeé in das Ja zu dieser dsmonischsn Wirklichkeit voll- zogsn.1 Disss Behauptung dss Individuums sinsm unbegrsiflichsn Schicksal gsgsnr fiber wird jsdoch nur durch dis vsrfindsrts Dsnkwsiss dsr Marquise mog- lich. Indem sis dis Tatsachs ihrer Schwangsrschaft, wie disss auch immer zustande gskommsn ssin mag, vor sich selbst nicht mehr als unmfig— lich abwsist, sondern sis als unumstfiBlichs Gegebenheit akzsptisrt, geht sis von vsrfindsrtsn Prfimisssn aus und gslangt auf disss Weiss zu 173 einer vollkommen neuen Beurtsilung ihrer Lags. Erst disss Neuorisntis- rung srmfiglicht ihr, den EntschluB zur Aufgabe dsr Zsitungsannoncs zu fasssn. Mfillsrstidsl bshauptst zwar, dis Marquise gsbe sich "in dis widsrsprfichlichs Wirklichkeit gsfangsn und laBt das Widerspruchsvolls als Schicksal auf sich bsruhsn. Sis fibsrwindst ss vom Gsffihl ihrer Mfittsrlichksit her."127 Das Gsffihl dsr Mfittsrlichksit mag wohl von ausschlaggsbsndsr Bedeutung ffir ihre Ubsrlsgungsn sein. Dis Entschei- dung jsdoch, dsn Vatsr dss Kindss zu heiraten, bswsist vielmehr, daB dis Marquise "das Widerspruchsvolls als Schicksal" nicht auf sich bsruhsn laBt. Aus dsr Einsamksit, in die sis aus Hilflosigkeit einem unsrklarlichsn Schicksal gsgsnfiber gsflfichtst war, tritt sis mit ihrem Zeitungsinssrat srnsut in den Mittelpunkt dsr Welt, von dsr sis nur Vsrachtung zu srwartsn hatts, dsr sis dsnnoch zu begsgnsn gswillt ist. Wis dsr Dichter selbst, so hatts auch dis Marquise srkannt: "Das Leben selbst ist sin Kampf mit dem Schicksal." (11,337) Um dss Kindss willsn ist sis fest sntschlosssn, diesem Schicksal nicht auszuwsichen, sondern ihm mutig sntgsgsnzutrstsn. Kleist msint, ss lisgs "in dsr Tugend sins gshsims gfittlichs Kraft, dis dsn Menschsn fiber sein Schicksal srb hsbt." (11,305-306) Dis srnsute Ubsrprfifung aller wichtigen Aspskts hat dis Marquise schlisBlich zu sinsr Entscheidung gslangen lasssn, dis allein von dem Wunsch diktisrt ist, dem Wohls dss Kindss zu disnsn. Sis will den Vatsr heiraten, obwohl sr, wie ihr vsrstand ihr sagt, "zum Auswurf seiner Gattung gshfirsn mfisss." (11,127) Dis sigsnnfitzigen Bedsnksn, daB sis sich mit dsr Auffordsrung an den Vatsr dss Kindss durch das Zeitungsinssrat dem sicheren Spott dsr Allgemsinhsit aussst— zen wfirds, sucht sis zu untsrdrficken. Mit Hilfe dss Vsrstandss ist es 174 ihr also mfiglich, das zuvor unbegrsiflich Erschsinsnds als sin Gegebe- nss zu akzsptisrsn und davon ausgshsnd ihre Dsnkart dem Wohls ihrer Kinder anzupasssn. Der Verstand war es, dsr ihr dazu vsrhalf, daB "das Gsffihl ihrer Sslbstandigksit immer lebhafter in ihr ward, und sis bs- dachts, daB dsr Stein ssinsn Wert bshalt, sr mag auch singsfaBt sein, wie man wolls . . .” (11,127). Allsrdings gsrat disses frisch srrunp gens SslbstbswuBtssin in dem Augenblick srnsut ins Wanken, da zur verb sinbartsn Stunds kein Unbskanntsr, sondern dsr Graf F... das Haus ihres Vatsrs bstritt. War dis Marquise auf einen Lasterhaften gsfaBt gewsssn, so glaubt sis jstzt jsdoch, sinsn'Tsufsl in Msnschsngsstalt vor sich zu sshsn. Dis vsrandsrts Sachlags ffihrt ebenso sins sofortigs Vsrfindsrung in dsr Dsnkwsiss hsrbsi und vsranlaBt die Marquise zu dsr Erklarung, sins Ehe mit dem Menschsn nicht singehsn zu kfinnsn, dsr ihr gsgsnfibsr sein scham- losss Vsrhaltsn hintsr dsr Gestalt eines rsttsndsn Engels zu vsrstscksn gswuBt hatts. Hatts also ihre Entscheidung zuvor dem Wohls dss Kindss gsgolten, so glaubt sis jstzt, "daB sis, in diesem Falls, mshr an sich, als ihr Kind, denken mfisss." (11,142) Man kfinnts also behaupten, daB Kleist hier dis Neuorisntisrung wenigsr von dsm'Vsrstand, sondern visl- mshr von einer Rsaktion dss Gsffihls abhfingig macht, sin Gsffihl, das dis Marquise dem Grafsn seit ihrem srstsn Zusammentreffsn sntgsgsngsbracht hatts. Allsrdings laBt dsr auf den Namen dsr Familie bsdachts Water disss auf sigsnnfitzigss Denken fuBsnds Einstellung nicht gelten, da sis mit dsr im Inssrat angsdsutstsn Absicht unvsreinbar ssi. Eine eingehende Ubsrprfifung dsr Bsdingungsn dss Heiratskontraktss, dis dem Grafsn dis Erffillung samtlichsr vatsrpflichtsn aufsrlegsn, ihm jsdoch dis Rschts eines Gsmahls absprschsn, fibsrzsugt schlisBlich auch dis 175 Marquise davon, ihre Einstellung sin wsitsrss Mal andern zu mfissen. Sis willigt in dis Verbindung sin, um dem urspfifinglichsn Zweck zu disnsn und dsm ungsborensn Kinds einen Namen zu sichern. Erst sin Jahr nach dsr Taufs dss Sohnss, nachdem sich dsr Graf durch sein fortgssetzt mustsrgfiltigss Vsrhaltsn dsr Wisdsraufnahms in dis menschlichs Gesellschaft srnsut wfirdig srwisssn hat, wird ihm auch von ssitsn dsr Marquise vsrzishsn. "Um dsr gebrechlichen Einrichtung dsr Welt willsn" (11,143) hat sis alle Bswsiss, dis zuvor gsgsn ihn gesprochsn hattsn, sinsr wsitsrsn Prfifung untsrzogsn. Sis muB sinsshsn, daB es dem Grafsn srnst gewsssn war mit seinem Beksnntnis, "dis einzige nichtswfirdigs Handlung, dis er in seinem Leben begangsn" (11,112) hatts, wisdsr gut zu machen. Sis kommt auch zu dsr Erkenntnis, daB ss haupt— sfichlich von ihrer eigenen Dsnkwsiss abhangt, ob sis dsn Grafsn wis sinsn Teufel odsr als das ngsntsil, als einen rsttsndsn Engel betrach- tsn wolle, daB also dis ausschlaggsbsndsn Voraussstzungsn ffir ihre bis- hsrigs Dsnkwsiss sins Bsrichtigung vsrlangsn, da die sichtbarsn Bsmfi- hungsn dss Grafsn, seine Vsrfshlung zu bsrichtigsn, ansrkannt werdsn mfisssn. Damit wird sins wsitsrs Neuorisntisrung mfiglich, dis zu einer sntschsidsndsn und sndgfiltigsn Verandsrung sowohl in dsr BswuBtssinshal— tung als such in dsr Gsffihls— und Handlungs—wsiss dsr Marquise ffihrt. Der Zustand dsr Vsrwirrung ist damit bssndst. Eine zweits Hochzsit wird gsfeisrt, und endlich kann dsr mit "Kot bsworfsns Schwan," dsr in dis Tisfsn dsr Widersprfichlichksit dss menschlichen Daseins getaucht war, "rein aus dsr Flut wisdsr" smporkommsn. (11,116) Dis Marquise hat, wie Kleist in seiner Abhandlung "Ubsr das Marionettsnthsatsr" ausffihrt, gs- wisssrmaBsn "sin Unsndliches" durchschrittsn (11,345), bis sis schlisB- lich mit Hilfe dss Vsrstandss "das Paradiss in ihrer Brust" wisdsrsrlangt 176 hat, das ihr vorfibergehsnd durch dis Gswalt dss wschsslhaftsn Lebens vsrlorsngsgangsn war. In Falls dsr Marquise vermag man nicht zu behaupten, daB dis funk- tionale Bestimmung dsr bsispielhaftsn Dsnk- und Handlungsweise haupt— sachlich darauf abgsstimmt ist, dsm Grafsn zu einer Neuorisntisrung zu verhslfsn. Er hat dsn sntschsidsndsn Schritt bereits nach seiner Gene— sung mit dem ausgesprochsnen Heiratsantrag gstan, obwohl sr zu diesem Zeitpunkt noch bsstrsbt war, seine Vsrfshlung gshsimzuhaltsn. Dsmzufol- gs muB nicht nur sr, sondern auch dis Familie dsr jungsn Frau dazu vsr- anlaBt werdsn, "bssser denken zu lsrnsn." Dis Hauptbetonung dsr funk- tionalsn Aufgabe liegt ffir dis Marquise von 0... sinsrseits auf dsr Ent- faltung ihrer Anlagen, um zu dsr Individualitfit ihrer wsssnssigsnsn Existsnz durchzustoBsn. Andrsrseits soll sis durch das Beispiel dsr wisdsrholtsn Neuorisntisrung sowohl in ihrer BswuBtssinshaltung als auch in ihrer Dsnk- und Verhaltensweise dsn Weg zu einem msnschsnwfirdigsrsn Dasein weisen, das dem Wohl dsr andern, nicht absr dem gsmsinsn Eigens nutz disnt. Der Unterschisd zwischen Tugend und Laster, dsr im Erdbsben an dem Schicksal sinss jungsn Madchsns, in dsr Marquise von 0... an dem einer vsrwitweten jungsn Frau hsrausgsstsllt wird, zeigt sich im Amphitryon an dem Beispiel einer glficklich vsrhsirateten und lisbendsn Ehefrau. In sins vsrzwsifslts Lags ffihlt auch Alkmens sich durch sin undurch— sohaubarss Schicksal versetzt, da Amphitryon sis nach sinsr vsrmsint- lich mit ihm vsrbrachtsn Lisbssnacht bsschuldigt, sich einem andsrsn Manns, ”dem nichtswfirdigsten dsr Lottsrbubsn", hingegsben zu haben. Dis ngsnfibsrstsllung von Tugend und Laster zeigt sich hier sinsrseits 177 durch Alkmenss innsrs Uberzsugung von ihrem tugsndhaften Vsrhaltsn, andrerssits durch dis "rassnds Behauptung" Amphitryons, er habe sich bis zum Morgen im Lager aufgehaltsn und konns daher seine Gattin nicht bssucht haben. Noch tisfsrs Bsstfirzung srgrsift Alkmens jsdoch aufb grund dsr Tatsachs, daB sis bei sinsr'fibsrprfifung an dem Diadsm dss Labdakus, dem Gsschsnk dss Gslisbten, statt dss vsrmsintlichsn Buch- stabsn A sin vsrhfingnisvollss J vorfindst. Wis dis Marquise von 0..., so ffihlt auch Alkmens sich gezwungsn, trotz ihrer "reinen Seele", ihrer "bswuBtsn Unschuld", sich immer wisdsr zu fragsn, ob es mfiglich sein kfinnts, daB sis bei der Erschsinung Amphitryons einer Tfiuschung any hsimgsfallsn war, um sich doch ststs srnsut bekennsn zu mfisssn: - Eh will ich irrsn in mir selbst! Eh will ich disses innersts Geffihl, Das ich am Muttsrbusen singssogsn, Und das mir sagt, daB ich Alkmens bin, Ffir einen Parthsr oder Perssr haltsn. Ist disss Hand mein? Disss Brust hier mein? Gshfirt das Bild mir, das dsr Spiegsl strahlt? Er wfirs fremdsr mir, als ich! Nimm mir Das Aug, so hfir ich ihn; das 0hr, ich ffihl ihn; Mir das Gsffihl hinwsg, ich atm' ihn noch; Nimm Aug und 0hr, Gsffihl mir und Geruch, Mir alle Sinn und gonns mir das Herz: So laBt du mir dis Glocks, dis ich brauchs, Aus sinsr Welt noch find ich ihn heraus. (1,282) Das vom Dichter so oft hsrvorgshobens "innsrs Gsffihl", das dsr Frau dis unmittslbare GswiBhsit odsr "jsnss Rschtsgsffihl" vsrspfirsn laBt, scheint dsm weiblichen Geschlecht dadurch srhalten zu sein, daB ss durch dis Bsffihigung zur Gsburt mit dsr Natur nahsr verbunden ist als das mannlichs Wesen. Fricks bshauptst, dsr Begriff dss Gsffihls ssi vom Amphitryon an dsr Schlfisssl zum Verstandnis dsr Problematik Kleists und seiner Dichtung,128 und sr dsfinisrt disssn Begriff folgsndsrmaBsn: 178 Das Gsffihl absr ist dsr Widerschsin disssr heiligen Selbstgs- wiBhsit dss Ich um ssins Bestimmung, es ist die unmittslbare, momentans Einigung dss psychologisch—vordergrfindlichsn Bs- wuBtssins dss Ich mit seinem mstapsychologischsn, swigsn Existsnzgrunds; ss ist das "Gswisssn" dss Ich, wenn Kleist nicht disss aus dsr Welt dsr Ratio und dss ngsnstandlichsn stammsnds Zusammensstzung vermiedsn h'atts.12 Nur in dsr Gestalt Amphitryons ist es dem Gott mfiglich, Alkmens zur Hingabe zu vsrlsitsn. Nur ihm ist die Macht gsgsbsn, nicht allein das fiuBsrs, sondern auch das innsrs Wesen dss Thsbansrfsldhsrrn anzu- nshmsn, ja, disses Wesen in seinem Werts noch zu steigsrn. Dennoch soll ss selbst Jupiter trotz aller Versuchs nicht gslingsn, Alkmens in ihrem innsrstsn Gsffihl, in ihrer BswuBthsit dsr unbedingten Treus zu Amphitryon zu srschfittsrn. Alkmens srffillt hier dsn wichtigsten Teil ihrer Funktion im dichterischen Werke Kleists, da sis durch dis Unwan- dslbarksit ihres Gsffihls flir dsn Ehsgattsn selbst einen Gott von dsr Reinhsit dieser schtsn Liebe zu.fibsrzsugsn vermag. Sis vsrkfirpsrt dis Tugend, dis selbst dsr singshsndsn Prfifung durch dsn Gott standhfilt. Alkmenss Leben ist vfillig auf ihre Liebe zu Amphitryon ausgerich- tet. Sis beklagt dis Notwsndigksit seines Schsidsns und trausrt um die Augsnblicks, dis dsr Krisg ihrer Liebe raubt. Willig wfirds sis das Gsschsnk dss Diadsms gsgsn einen StrauB Vsilchsn sintauschsn, wenn sis beids statt dsr Trsnnung zusammsn blsibsn konntsn; "Was brauchsn wir, als nur uns selbst?" (1,260) Jupiter hat sich unter dis Menschsn gsssllt, um in den Armsn Alkmenss dis Seligksit dsr irdischsn Liebe zu srfahren. Allsrdings blsibt ihm dabei nicht vsrborgsn, daB ihre Lis- bssbszsugungsn nicht ihm, sondern ststs Amphitryon, dem Ehsgattsn, gsl- tsn. Da ihr Amphitryon in dieser "gfittlichsn" Lisbssnacht schfinsr und hsrrlichsr als js zuvor srschisnsn war, versucht Jupiter mit allsn ihm allein zur Vsrffigung stshsndsn Mitteln, Alkmens dazu zu bewegen, 179 zwischen dsr pflichtgsmfiBsn Hingabe an den Ehsgattsn und dsr Liebe zu untsrschsidsn, dis sis dem Gslisbten schsnks. Ffir Alkmens ist jsdoch dsr Gedanks einer dsrartigsn Unterschsidung unmfiglich, da beids ffir sis sins untrsnnbars Einhsit darstsllsn. Ja, selbst dis Gestalt dss Gottss, wis Jupiter ihr schlisBlich vorhfilt, vsrmischt sich ffir sis mit dem Bild Amphitryons. Alkmens dagsgsn braucht unbedingt dis Bsstfitigung Amphitryons, daB er, dsr Ehsgatts ss gewsssn war, dsn sis in dieser Nacht tatsfichlich in ihren Armsn gshaltsn hatts. Wis dis Marquise durchsucht sis dis Erlsb- nisss dsr Lisbssnacht nach irgsndwslchsn Anhaltspunktsn, dis ihr Auf- schluB gsbsn kfinntsn fiber dis unsrklfirbarsn ngsnsfitzs. War ers, dem ich zu eigen mich gsgsbsn, Warum ststs dsn Gslisbten nannt sr sich, Den Disb nur, welcher bei mir nascht? Fluch mir, Dis ich lsichtsinnig diesem Schsrz gslfichslt, Kam sr mir aus dss Gattsn Munds nicht. (1.283) Der Unbsirrbarksit ihrer rsinsn Sssls und dsr BswuBthsit ihrer Unschuld stehen dis ”rassnds Behauptung" Amphitryons und das Zeichsn J dss Diadsms gsgsnfibsr, mfisssn also als untrfiglichs Bswsisstficks gsgsn dis Sichsrheit ihres innsrstsn Gsffihls gelten. Wenn ich zwsi solchs Namen, lisbsts Charis, Nicht untsrschsidsn kann, sprich, kfinnsn sis Zwsi Ffihrsrn, ist es mfiglich, eigen sein, Dis lsichtsr nicht zu untsrschsidsn wfirsn? (1,283) Gsstfirt in ihrem innsrstsn Gsffihl knist sis daher, das Diadsm in den Handsn, vor dem vsrmsintlichsn Amphitryon und bskennt: Ich glaubs - daB mir - sin andsrsr - srschisnsn: Wenn es dsin Mund mir noch vsrsichsrn kann. (1,285) Wohlwollsnd gibt Jupiter ihr zu vsrstshsn: 180 Ich wars. Ssis wsr es wolls. Sei - ssi ruhig, Was du gssshn, gsffihlt, gedacht, smpfunden, War ich: wsr'wfirs auBsr mir, Geliebte? Wsr dsins Schwslls auch bstrsten hat, Mich immer hast du, Tsusrsts, smpfangsn, Und ffir jsdweds Gunst, dis du ihm schsnktsst, Bin ich dsin Schuldnsr, und ich danke dir. (1,285) Alkmens vermag dsn tisfsn Sinn dieser Gottssworts nicht voll zu srfas- ssn. In der Bsstfitigung Jupitsrs hfirt sis nur dsn groBmfitigsn Trost dss Gottss und die Tatsachs ihres eigenen Vsrsagsns. An sins wsitsrs shslichs Verbindung ist darum ihrem Wesen gsmfiB nicht mehr zu denken. Ich will nichts hfiren, lsbsn will ich nicht, Wenn nicht mein Busen mshr unstrfiflich ist. Und ich, zshn Todsn rsicht ich msins Brust. Gsh! Nicht in dsinsm Haus sishst du mich wisdsr. Du zsigst mich keiner Frau in Hellas mshr. (1,286) Alkmens vermag dis Tatsachs nicht zu fassen, daB Jupiter selbst sich ihr gsnaht hatts. Aggsler betont, Jupiter ist hier nicht dsr schlschthin fibsrlsgsns Gott, dsr frei fiber ssins gfittlichs Allmacht vsrffigsn kann. Jstzt, da sr dis Welt bstrsten, hat er sich ebenfalls deren Gssstzsn zu unterwsrfsn. Er ist nicht mehr, was er seinem Wesen gsmfiss war. Auch sr hat seine eigene Idsntitfit vsrlorsn und muB von sich als einem andsrsn s rschsn: er ist zum Doppslgfingsr ssinsr selbst gswordsn.1 War as Alkmens zuvor nicht mfiglich gewsssn, zwischen dem Gattsn und dem Gslisbten zu untsrschsidsn, so begegnst sis auch dsm Vorwurf Jupitsrs, daB sis ob all dsr Liebe zu Amphitryon dsn Gott vsrgssss, da sis sogar am Altar noch "in dss Blitzss zucksndsr Vsrzsichnung" ststs nur dis Zfigs dss Gslisbten sshs, mit dsr vsrzwsifslten Frags: "Kann man auch Unwillkfirlichss vsrschuldsn?” (1,291) Hatts sis doch ststs gsmsint, dem Gott ihrs Ehrfurcht, dem Gattsn absr ihre Lisbs sntgsgsngsbracht zu haben. Und Jupiter untsrnimmt einen lstztsn Vsrsuch, Alkmens zu einer 181 Ansrksnnung seiner ”gfittlichsn" Liebe zu vsrlsitsn, dsr dis irdischs Empfidung dss Thsbanerfsldhsrrn nicht gswachssn ist. Jupiter. Und dsnnoch kfinntst du leicht dsn Gott in Armsn haltsn, 1m Wahn, es ssi Amphitryon. Warum soll dsin Gsffihl dich fibsrraschsn? Wenn ich, dsr Gott, dich hisr umschlungsn hislts, Und jstzo dsin Amphitryon sich zsigts, Wis wfird dsin Herz sich wohl srklfirsn? Alkmens. Wenn du, dsr Gott, mich hier umschlungsn hisltsst Und jstzo sich Amphitryon mir zsigts, Ja - dann so traurig wfird ich sein, und wfinschsn, DaB sr dsr Gott mir wars, und daB du Amphitryon mir blisbst, wie du ss bist. (1.294) Trotz aller Bsmfihungsn dss Gottss, trotz seines Eingsstshsns nicht dsr Gatts, sondern Jupiter zu sein, hfilt Alkmens an dem Gedanken fest, in dem Manns, dem sis sich hingibt, allein Amphitryon zu sshsn, dsr bei ihr ist. Darum erweist sich auch bei dsr ngsnfibsrstsllung dss doppslt vorhandsnsn Amphitryon ihre Wahl dss Gottss als unbedingt diesem inns- rsn Gsflfihl sntsprschsnd, da Jupiter in ihrer bsschrfinktsn Erkenntnisffi- higksit ja wirklich Amphitryon ffir sis ist. Der Gott muB durch Alkme- nss Verhaltensweise dis gfittlichs GrfiBe ihrer shelichsn Treus und ihrer Tugend anerkennen, dsr Thsbansrfsldhsrr absr muB srst lsrnen, sich dieser Tugend wfirdig zu srweissn. Von Wisss ffihrt aus: Wenn dsr Gott durch Vsrdoppslung dis Menschsn in den Wahn stfirzts und damit ihres heiligen Rschtss, sin Ich zu sein, beraubte, so hebt sr kraft ssinsr Gfittlichksit disss Vsrd0p- pslung wisdsr auf und gibt ihnen ihr Ich gleichsam srhfiht als Ich wisdsr zurfick, in einer gshsimnisvollsn Identitfit dss Msnschlichsn mit dem.Gfittlichsn. Disss Rfickgabs dss Ich durch dsn Gott darf am Ends dsr vsrzwsifslts Amphitryon sr- lsbsn, und disses undurchdringlichs Mysterium dss Gottss, dsr dsnnoch Amphitryon war und als Amphitryon gelisbt wurds, laBt Alkmens jsnss in dsr Schwsbs blsibsnds "Ash!” aussprechsn. In sinsr sinzigsn Ausdrucksgsbfirds ist hier noch sinmal das Rfitsslhafts dieser Einkshr dss Gottss zusammsngsfaBt.131 182 5030 Liebe - 19.-B. Wis sng dis beidsn Begriffe 'Liebs' und 'HaB' miteinandsr in War» bindung stehen, lfiBt sich deutlich an Kleists Penthesilea und seinem Kathchsn von Heilbronn aufzsigsn, noch nachdrficklichsr an einer Gegen- fibsrstsllung dsr beidsn in den Mittelpunkt dsr Handlung gsstelltsn Frauengestalten. In dsr Ethik ist 'Lisbs' "dis Tugend dsr Psrsfinlichksit in bszug auf die Psrsfinlich- ksit, gshort selbst zum Psrsfinlichksitswsrt dss Lisbendsn und ist auf den Personlichksitswsrt dss Gslisbten gsrichtst, Hin- gabe an ihn . . . Dsnn alles, was an sich wsrtvoll ist, er» ffillt ssinsn Sinn darin, daB ss auch 'ffir jsmand' wsrtvoll ist . . . Der Lisbsnds gibt dem Gslisbten . . . dis nsus Dimension seines Wesens, 'flfir ihn' zu sein, was sr sonst nur 'an sich' ist. Psrsfinlichs Lisbs ist dsr Komplsmsntfirwsrt zur Persfinlichksit, dis Sinngsbung ihres Ssins" . 132 Wis schnsll vsrdréngts Liebe jsdoch nach dsn Erkenntnisssn dsr Tisfsnpsychologis in ihr ngsntsil, in HaB umzuschlagsn vermag, zu sinsr bis zur Leidenschaft gsstsigsrtsn Abnsigung,133 geht ebenfalls aus dsr Dsnk- und Verhaltensweise Psnthssilsas hsrvor. Kleist selbst hatts betont: . . . wsr das Kfithchsn lisbt, dem kann dis Penthesilea nicht ganz unbegrsiflich sein, sis gshfirsn ja wie das + und - dsr Algebra zusammsn, und sind sin und dassslbs Wesen, nur unter sntgsgsngesstztsn Bszishungsn gedacht. (1,797) In Anlshnung an disssn Ausspruch kfinnts dis Darstellung dsr Lisbs im Kfithchsn von Heilbronn als sins Liebe mit nsgativsm'Vorzsichsn bs— trachtet werdsn, das Umschlagsn dsr Liebe Psnthssilsas in HaB absr als sinsn HaB mit positivsm Vorzsichsn. Beids Frauengestalten folgsn un- beirrt dsr Bestimmung ihres Ichs. Das Kathchsn ist durch sinsn innsrsn Zwang an den Grafsn vom Strahl gsbundsn, Penthesilea dagsgsn ist die Lisbs zu Achill Bestimmung, obwohl disss dem.Gssstz dss Amazonsnstaates widsrspricht. Bsiden Frauen ist die dichterische Funktion.fibsrtragsn, 183 neben dsr vsrkfirpsrung dsr ngsnsatzbsgriffs Liebe und HaB dsn Gslisb- tsn auf die Mfiglichksit einer Andsrung in dsr Dsnkwsiss aufmsrksam zu machen. Penthesilea ffillt dis zusatzlichs Aufgabe zu, sich in dsr dar— gestellten Daseinssituation zu behaupten und in dsr Bsdrohung ihrer ws- ssnssigsnsn Existsnz zu Entscheidungsn zu gslangen, dis dsn Durchbruch zu sslbsténdigsm Denken und Handsln erkennen lasssn. Korff bezeichnet dis Grundidss dss Kfithchsnmarchsns, dis Liebe zwischen dem jungsn Madchsn und dem Grafsn vom Strahl, als gfittlichs Bestimmung, zum altsn Bsstand ”romantischsr Ideen” gshfirig. Kleists Darstellung untsrschsidst sich seiner Meinung nach lediglich durch dis romantischs Ubsrstsigerung, dis disses Thsma in seinem Werk srffihrt.134 Mit dieser Ansicht hat Korff rscht, denn kaum gibt es grfiBsrs ngsnsfitzs odsr Widerstands zu fibsrwindsn. Wahrsnd Kfithchsn dem Heilbronnsr Bfir— gsrstand angshfirt, ist dsr Graf dsr Nachkomms sinss altsn Rittsrgs- schlschts, dessen Ahnenrsihs "dis shrwfirdigsn Locksn schfittslnd" schon gsgsn dsn Gedanken einer dsrartigsn Verbindung aus dem Totsnrsich aufzustshsn scheint. (1,454) Nicht nur gsgsn dis Konvsntion dsr bfirgsrlichsn Gesellschaft, sondern auch gsgsn dsn Willsn dss Grafsn folgt das Madchsn dem Rittsr und gibt seine disnsnds Position auch dann nicht auf, als dsr Graf sich mit Kunigunds vsrlobt. Unsr- klfirlich ist das Vsrhaltsn dss frfihsr so folgsamsn und tugsndhaften Kindss, das dsr alts Theobald vor dem gshsimen Gsricht bsschrsibt: Ein Kind rscht nach dsr Lust Gottss, das hsraufging aus dsr Wfistsn, am stillsn Fsisrabsnd msinss Lebens, wie sin gsradsr Rauch von Myrrhsn und Wachholdsrn! Ein Wesen von zarterer, frommsrsr und liebersr Art mfiBt ihr such nicht denken, und kfimt ihr, auf Flfigsln dsr Einbildung, zu den lisben, klsinsn Engsln, die, mit hsllsn Augen, aus dsn Wolksn, unter Gottss Handsn und FfiBsn hsrvorgucksn. (1,433) 184 Wsdsr mit gutsn Werten noch mit dsr Psitschs laBt sich das Kathchsn aus dsr Nfihs dss Grafsn vsrtrsibsn. Dem BsschluB dss hsimlichsn Gsrichte sntzisht ss sich durch sins Ohnmacht. Seit es dsn Rittsr in jsnsr srstsn Bsgsgnung in dsr Heilbronnsr Schmisde wisdsrsrkannts, glaubt es unsrschfittsrlich an seine Bestimmung, so wie es dis alts Magd vorausgs— sagt hatts. Der Traum hatts dis Wsissagung nur bsstatigt, daB sin gro- Bsr, schonsr Rittsr das Kfithchsn.fibsrs Jahr "hsusrn" wfirde. Mit dem Auftauchsn dss Grafsn in Heilbronn hatts disss Traumwslt ihre Bsstfiti— gung in dsr Wirklichkeit srfahren. Aus tiefstsr Ubsrzsugung glaubt das Mfidchsn daher an die Vsrwirklichung dsr gfittlichsn Offenbarung. Jsds Situation Jsdoch, die dieser Ubsrzsugung widsrspricht, wird als "un- wirklichs Wirklichkeit" von Kathchsn sinfach nicht akzsptisrt. Wis andsrs hingegsn vsrhfilt sich dsr Graf, dsr doch im.Grunds gsnommsn dis gleichs Offenbarung im Traum srlsbts. Kleist glaubts, daB das weiblichs Geschlecht dem Transzsndsnten nfihsr stfinds, dsr Mann da- gsgsn seine naive Unschuld vsrlorsn habe. Er ssi sich seines Handslns bswuBt gswordsn und habe daher seine innsrs Ruhs vsrlorsn. In ssinsn weiblichen Charakteren dagsgsn bsschrsibt dsr Dichter sins innsrs Hark monis, dis als das Ergsbnis sinsr vfilligsn Hingabe an die Lisbs zu vsrstshsn ist. Kathchsn ist vom Dichter ganz dsr Macht dsr Lisbs unter stellt, daB alles auBsr disssm.Gsffihl von ihrem BswuBtssin ausgeschlos- ssn ist. Heptner msint, dieser unsrschfittsrlichs Glaubs an das Guts dsr Dings und die Einraumung einer Vsrrangstsllung an den srstsn, sich nis irrsndsn Impuls, lisBsn ksinsn Platz ffir'disharmonischs Elements in ihrer Natur, so daB ss im Endergebnis mfiglich ssi, fiber dsn rsdlichen, tapfsrsn Rittsr zu triumphisrsn.135 Es muB Jsdoch singsrfiumt werdsn, 185 daB es dem Grafsn nicht vsrgfinnt war, das Gssicht dsr ihm bsstimmtsn Jungfrau zu betrachten. Einss wsiB sr absr bestimmt: E8 8011 sins Kaissrtochtsr sein, dis ihm dis Hand zum Bund dsr Ehe rsichsn wird. Daher ist es nicht vsrwundsrlich, daB er dsr Ides anhsimfallt, in Kuni- gunds dis ihm vorbsstimmts Gattin auf so "romantischs" Weiss im Walds gsfundsn zu haben. Auch bei ihm ist dsr Glaubs an die Vsrwirklichung dss Traumss wach, wenn disss Ubsrzsugung bsi ihm als Mann durch das Wirken dss Vsrstandss auch nicht so stark auftritt wie bsim‘Kathchsn. Wis sollte sr ss srwartsn kfinnsn, daB jenss ihn vsrfolgsnds Bfirgsrmfid- chsn sinst seine Gsmahlin werdsn sollte? Und doch laBt sein Gsffihl ihn zaudsrn. Ohns wirklich klars Erkenntnis seiner Liebe zu dem Mfidchsn klagt sr bereits nach dsr vsrhandlung vor dem Fsmsgericht fiber dis Un- mfiglichksit einer vsrbindung mit ihr. 0 du - - - wis nenn ich dich? Kfithchsn! Warum kann ich dich nicht mein nennen? Kathchsn, Madchen, Kfithchen! Warum kann ich dich nicht mein nennen? Warum kann ich dich nicht auf- hsbsn, und in das duftends Himmslbstt tragen, das mir dis Mutter, dahsim im Prunkgsmach, aufgsrichtst hat? Kathchsn, Kathchsn, Kfithchsn! (I,454) Dennoch jagt sr dis ihn vsrfolgsnds fort, fiigt und bsdroht das Madchsn, ist absr zugleich auch durch Kathchsns Lisblichksit und kindlichs Rein- hsit ssltsam gsfsssslt. Erst nach dsr "sigsnartigsn Fsusrprobs", srst nach jsnsr stns unter dem Holundsrbusch, wird auch ihm klar, daB Kath- chsn dis ihm vorbsstimmts Kaissrtochtsr ist. Jstzt fallen auch endlich ffir dsn Grafsn Traum und Wirklichkeit zusammen, so daB ss nur noch si- nss kurzsn Schrittss bis zur Ansrksnnung dss Madchsns als schts Kaissrb tochtsr bsdarf, eines Schrittss jsdoch, dsr zwar unglaubthaft, daffir 186 absr romantisch wirkt. Eine gfittlichs Offenbarung findet somit hier ihre ”romantischs" Vsrwirklichung. Dis Parallels zwischen dsr Gestalt Kathchsns und dsr Kleistschsn Marionette lafit sich nicht fibersshsn. Wis "sins Pupps am Drahte dss Schicksals" (11,490) geht das Madchsn, von unsrschfittsrlichem Vertrauen auf sein innsrstss Gsffihl gslsitst, seiner Bestimmung sntgsgsn, vollsr Vertrauen auf den, dsr allein dis Schicksalsffidsn in dsr Hand hfilt. Wo Kathchsn aus ihrem unbswuBtsn Gsffihl heraus handelt, da wird dsr Schwar- punkt dsr eigenen Existsnz zum Ausgangspunkt dsr Handlung. Nur tisfs Lisbs und Ergsbsnhsit lasssn das Mfidchsn zu einer so unmittslbarsn Beziehung zu Gott gslangen, daB sogar Engel zu seinem Schutz aufgsbo- ten werdsn. Auch an Kathchens unnatfirlichsm Vsrhaltsn als wsrbsnds Frau laBt sich sins Parallels zu Kleists "Marionettsnthsatsr" erkennen. Wis jsnsr jungs Mann, dsr in seiner Unschuld dis natfirlichs Grazis dss Msn- schsn noch nicht vsrlorsn hat, so wirkt auch die Gestalt dss wsrbsndsn Kathchsns in seiner kindlichen Rsinhsit nicht abstoBsnd, wie man as sonst bei einer dsrartigsn Umkshrung dsr fiblichsn vsrhaltsnswsiss dsr Menschsn srwartsn konnts. Korff bshauptst sogar: Erst in dieser Umkshrung dsr natfirlichsn Situation dsr Gs- schlschtsr liegt das Besondsre und Eigsntfimlich-Gswagts, das Extravagants und in diesem Sinn "Romantischs" dss Marchsns. 3 Auch darin muB Korff zugestimmt werdsn, denn gerade in dsr Aufzsichnung dss Paradoxsn, dss Ungswfihnlichsn, erweist sich die auBsrordsntlichs Wirkung dsr Kleistschsn Werke, vor allsm absr seiner weiblichen Figu— ren. Man kfinnts wohl sagsn, daB dss Dichters sigsns Idssn.fibsr das 187 Vsrhaltsn einer lisbendsn Frau im Kfithchsn von Heilbronn einen fiber- stsigsrtsn Nisderschlag fanden. Allsrdings zeigt dis Verhaltensweise Kfithchsns ksins abstoBsnds Aggressivitfit. Als Disnsnds nimmt sis von dem angsbststen Herrn alles sntgsgsn, ssi ss sin frsundlichss Wort oder sin vsrwsis, sins Drohung mit dsr Peitsche oder sin FuBtritt. Wichtig dabei ist, daB sich das Mfidchsn wie dsr Jfingling im "Marionettsnthsatsr" seiner sigsnartigsn Situation nicht bswuBt ist. Es handelt aus dsr Ubsrzsugung heraus, ssi- nsr Bestimmung zu folgsn. Daher vsrdisnt disses Handsln keinen Tadsl. In kindlichsr Unschuld und Reinhsit bskennt Kfithchsn bereits vor dsr Fsms ihre Liebe zu dem Grafsn, als sis auf die Frags dss Rittsrs "Du lisbst mich?" mit einem klarsn "Herzlich!" antwortet, ohne sich jsdoch wirklich fiber dis GrfiBs disses Gsffihls im klarsn zu sein. (1,452) Sis disnt dem ritterlichsn Herrn, wie es sich ihrer Stellung als Bfirgsrs— tochtsr gezismt. In ihrem unsrschfittsrlichsn Glauben an die Vsrwirkli- chung dss Traumss lebt sis ganz in Erwartung dsr Stunds, dis ihr dis srsshnts Erffillung bringen soll. Dabei zeigt sich das Mfidchsn in keiner Weiss srschrocken, als Kunigunds dss Grafsn Verlobts wird. Kathchsn ist sogar bereit, dsr hsrzlossn Frau anschsinsnd unwichtigs Andenksn aus dem Fsusr zu retten, also dsr zukfinftigsn Gattin ihres Grafsn sogar bis an den Rand dss Todss zu disnsn. Gsrads disses Vsrhalten dss Mfidchsns bswsist, wie wenig ss sich als sigsntlichs Rivalin Kunigundss sieht. Disss hingsgen hat dis Gsfahr dsr ngnsrin voll srkannt und schrsckt nicht sinmal vor dem ruchlossn Mordvsrsuch zurfick. 1n Kfithchsn vsrhsrrlicht dsr Dichter das Natfirlichs, dis unvsrb ffilschts Reinheit, was ganz besonders durch dsn krasssn Gegensatz zu 188 Kunigunds in Erschsinung tritt. Wfirds auch Kathchsn mit Kunigundss Mitteln kampfsn, so vsrlfirs das Stfick jsglichsn Wsrt. Wfihrsnd also Kunigunds mit Hilfe raffinisrtsr Plfine und Mittsl nicht in dsr Lags ist, dss Grafsn wirklichs Lisbs zu srringsn, so wirkt das Kathchsn in seiner Natfirlichksit und Rsinhsit umso starksr und sindringlichsr, zumal es in keiner Weiss auf sins bestimmte Wirkung bedacht ist. Gs- rads das fibt jsdoch dis grfiBts Wirkung auf den Grafsn aus. Obglsich sr dsn Gedanken sinsr Heirat mit dsr Bfirgsrlichsn immer wisdsr von sich fortschisbt, obwohl ihn dis Bsstandigkeit in Kathchsns Verhaltensweise schon visl frfihsr auf den Gedanken hatts bringen sollsn, daB hier sin tisfsrsr Grund vorlisgsn mfisss, so vsrtraut sr auf ssinsn vsrstand, dsr ihm dsn Weg zu Kunigunds zu wsissn scheint. Obwohl also zugsgsbsn werdsn muB, daB Kathchsn wedsr aus sigsnsm EntschluB noch aus sigsnsr Kraft zu dem unsrschfittsrlichsn Glauben an dsr Vsrwirklichung dss Traumss fssthalt, so blsibt dsnnoch dis Tatsachs bestshsn, daB gerade disss Unbsirrbarksit zum Erfolg ffihrt. Entscheidsnd wirkt sich dss Grafsn EntschluB aus, das Mfidchsn, das im schlafsndsn Zustand spricht, fiber dsn Grund seines Vsrhaltsns zu bsfragsn: Dies Madchsn, bestimmt, dsn hsrrlichstsn Bfirgsr von Schwabsn zu bsglficksn, wisssn will ich warum ich verdammt bin, sis sinsr Metzs gleich, mit mir hsrum zu ffihrsn; wissen, warum sis hintsr mir hsrschrsitst, sinsm Hunds gleich, durch Fsusr und Wasssr, mir Elsndsn, dsr nichts flir sich hat, als das Wappsn auf seinem Schild. (1,503) Und ss stellt sich heraus, daB ss sich tatsfichlich um mehr als bloB sinsn "sympathetischsn Zug dss Herzens” handelt, so daB auch dem Grafsn auf disss Weiss dis Mbglichksit gsbotsn wird, sins Vsrfindsrung in ssi- nsr Dsnkwsiss vorzunshmsn, da dis Vbraussstzungsn sich vfillig vsrfindsrt 189 haben. Durch dis Bsstfindigksit dss jungsn Madchsns, dis dsr Dichter hier zu sinsm Extrsm ffihrt, wird auch dem Grafsn dsr Weg zu sinsr Nsur orisntisrung in seiner Bstrachtungsart gswisssn. Der wichtigsts Teil dsr funktionalen Aufgabe im Werk ist damit fiir Kathchsn srfiillt. Psnthssilsas funktionale Aufgabe im srstsn Teil dsr Tragfidis ist es, kraft ihrer Liebe Achill zu einer vsrandsrung in seiner Dsnk- und Handlungsweise zu vsranlasssn, sin ProzeB, dsr sich bei seiner Rfickkshr zum grischischsn Hssr bereits an ihm vollzogsn hat. Bei dsm‘Vsrhfiltnis zwischen Penthesilea und Achilles konnts man fast von sinsr Lisbs auf den srstsn Blick sprechen, dis sich so vsrhfingnisvoll auf die Beziehung zwischen dem grischischsn Heldsn und dsr Amazonsnkfinigin auswirksn soll. Ein tragischss Ends ist nicht abzuwsndsn, da beidsn durch dis Bsdingthsit ihrer Dsnk- und Verhaltensweise dis Mfiglichksit vsrsagt blsibt, an sinandsr die Bswsggrfinds flir dis unsrklfirlich srscheinenden Handlungsn zu durchschausn. Ausschlaggsbsnd ist bereits das srste Zusammentreffsn zwischen den Grischsn und dem Hssr dss Amazonsnstaates. Odysseus' Bemfihungsn, von Penthesilea dsn Grund flir ihren Krisgszug zu srfahren, schlagsn nicht nur fshl, sondern das Vsrhaltsn dsr Amazonenkfinigin gibt nur noch grfiBsrs Rfitssl auf. An ihrer Jungfraun Spitzs aufgspflanzt, Gsschfirzt, dsr Helmbusch wallt ihr von dsr Schsitsl, Und ssins Gold— und Purpurtroddsln rsgsnd, Zsrstampft ihr Zsltsr unter ihr dsn Grund. Gsdanksnvoll, auf sinsn Augenblick, Sisht sis in unsre Schar, von Ausdruck lssr, Als ob in Stein gshaun wir vor ihr stfindsn; Hier disss flachs Hand, vsrsichr' ich dich, Ist ausdrucksvollsr als ihr Angssicht: Bis jstzt ihr Aug auf den Peliden trifft: Und Glut ihr plfitzlich, bis zum Hals hinab, 190 Das Antlitz ffirbt, als schlfigs rings um ihr Die Welt in hells Flammsnlohs auf. (1,324-325) Der bsgsistsrts Ausruf Penthesileas, daB selbst ihre Mutter einem solchsn Manns nis bsgsgnst ssi (1,325), und ihr jungfrfiulichss Errfitsn sprechen deutlich gsnug. Gsnauso ffihlt Achilles sich zu Penthesilea hingszogsn, ohne sich jsdoch fiber disses Empfindsn Rschsnschaft abzu- lsgsn. Er rsagisrt wis sin Jfigsr, dsr, gslockt durch sin prfichtigss Wild, dis Vsrfolgung dss Tisrss nicht aufzugebsn vermag. ... sr weicht, so schwfirt sr, sher Von disssr Amazons Ferss nicht, Bis sr bsi ihren ssidnsn Haarsn sis Von dem gsflscktsn Tigerpfsrd gsrisssn. (1,329) Zuvor hatts Achill beim srstsn Blick, dsn Penthesilea auf seine Er- schsinung warf, das fibsrhsblichs Lfichsln dss srfahrsnsn Mannss mit Odysseus ausgstauscht, weil sr ihren "trunknsn Blick", ihr jungfrfiu— lichss Errfitsn, ihre Zerstrsuthsit zu vsrstshsn glaubts. Was absr. hatts sis dazu vsranlaBt, ihm in einem Augenblick tfidlichsr Bsdrfingung lfichslnd das Leben zu schsnksn? Dis Unentschisdsnhsit dss Kampfss zwischen ihnen scheint seiner grischischsn Heldsnshrs unsrtrfiglich zu sein. Er weigsrt sich, dsr Auffordsrung Agamsmnons Folge zu lsistsn und sich ins sichsrs Lager zurfickzuzishsn. Kampft ihr, wie dis Vsrschnittnsn, wenn ihr wollt; Mich sinsn Mann ffihl ich, und disssn Wsibsrn, Wenn keiner sonst im Hssrs, will ich stshn! (1,341) Klugheit und Wsishsit dss Ratschlagss vsrmfigsn nichts bei ihm zu srb rsichsn. Nach seiner sigsnsn Aussags hat Achill sich bis zu dieser Stunds keiner bsgshrsndsn Frau vsrwsigsrt. Vfillig vsrfangsn in dsr BswuBthsit seiner sslbsthsrrlichsn Mfinnlichksit, jsdsrzsit singsstsllt 191 auf sins flfichtige Bsgsgnung mit einer schfinsn Frau, glaubt er auch jetzt, Psnthssilsas Wfinschs zu ksnnsn. Kurz, geht: ins Grischsnlagsr folg ich such; Dis Schafsrstunds blsibt nicht lang mshr aus: Doch mfiBt ich auch durch ganze Monden noch, Und Jahre, um sis frsin: dsn Wagsn dort Nicht shr zu meinen Frsunden will ich lsnksn, Ich schwfirs, und Psrgamos nicht wisdsrsshn, Als bis ich sis zu msinsr Braut gemacht, Und sis, dis Stirn bskranzt mit Todsswundsn, Kann durch dis StraBsn hfiuptlings mit mir schlsifsn. (1.542) Nichts kann dsn Peliden von der Wsitsrffihrung disses "sinnentblfiBtsn Kampfss" abhaltsn. Einsrssits gibt sr deutlich zu vsrstshsn, daB sr einer Lisbschaft mit Penthesilea nicht abgsnsigt ssi. Sein Ungsstfim lfiBt jsdoch erkennen, daB s8 ihm um mshr geht als um sin flfichtigss Lisbssabsntsusr mit dsr Amazonenkfinigin, obwohl er sich das selbst noch nicht sinmal sinzugsstshsn vermag. Mit dsrsslben Hsftigksit wsndst Penthesilea sich gsgsn dsn Wunsch dsr Amazonsn, dsn Kampf aufzugsbsn. Sis wollsn mit dsr groBsn Schar dsr srbsutstsn Heldsn dsn Hsimwsg antrstsn und das Rossnfest vorbsrsi- tsn. Ksins Bedeutung haben absr Triumph und Rossnfest ffir'dis Amazo- nsnkfinigin ohne ihren "jungsn trotzgsn Krisgsgott". Gsnauso wie Achill sich dem Befshl Agamsmnons widsrsetzt, ins Grischsnlagsr zurfickzuksh— rsn, so widsrsstzt Penthesilea sich dsr Forderung dss Amazonsnhssrss, dsn Kampf sinzustsllsn. Schwsr lastst auf ihr dsr Sturz vom Pfsrd, schwsrsr jsdoch wisgt noch dis Tatsachs, daB Achill ihr, wie niemand zuvor, ”das kriegsrischs Hochgsffihl vsrwirrt," daB sein Anblick sis kampfunffihig macht. 192 Ffihl ich, mit aller Gottsr Fluch leadns, Da rings das Hssr dsr Grischsn vor mir flisht, Bei disses sinzgsn Heldsn Anblick mich Gslahmt nicht, in dem Innsrstsn getroffsn, Mich, mich dis Ubsrwundsns, Bssisgts? Wo ist dsr Sitz mir, dsr kein Busen ward, Auch dss Gsffihls, das mich zu Bodsn wirft? Ins Schlachtgstfimmsl stfirzsn will ich mich, Wo dsr Hohnlachslnds mein harrt, und ihn Mir fibsrwindsn, oder lsbsn nicht! (1,343) Hatts Penthesilea am Anfang ihres Arguments nur verlangt, "dsn Ubsrmfi- tigsn" zu ihren FfiBsn im Staub zu sshsn, so hat im Laufs ihrer Reds sins Wsitsrsntwicklung dss Gsdanksns stattgsfundsn. Nicht allein dsr Sisg fiber ihn ist das Ziel. Ein Leben ohne dsn grischischsn Heldsn bsginnt hier erstmalig flir Penthesilea ssinsn Sinn zu vsrlisrsn. Das Amazonsntum tritt in den Hintsrgrund und das Vorrscht dsr innsrstsn Lisbessshnsucht, die sis als Frau smpfindst, bshauptst sich. Disses Ziel ihrer Lisbs zu srreichsn, lfiBt sich die Amazonsnkfinigin nicht vsrwshrsn. O O O 188 miCh! Du hfirst, was ich bsschloB, sh wfirdsst du Den Strom, wenn sr herab von Bergen schith, Als meiner Seele Donnsrsturz rsgisrsn. (1,543) Spfitsr, da dsr Geliebte ihr zu FfiBsn liegt, sis selbst absr in dsr Tau- schung vsrhaftst ist, Achill im.Kampfs fibsrwundsn zu haben, zeigt Pen- thesilea sich ganz als lisbends, hingebends Frau, dis ohns Schsu ihre Liebe sinzugsstshsn vermag. Achill dagsgsn, dsr ursprfinglich dis Amas zonenkfinigin an ihren Haarsn durch dis StraBsn zu schlsifsn vsrsprochsn hatts, ist nicht allein durch ihre Schfinhsit, sondern ebenfalls durch dsn Reiz dss Unbskanntsn an ihrer Lebensweiss bssindruckt. Statt dis Ubsrwundens ins Grischsnlagsr zu bringen, um dort als Held gsfeisrt zu 193 werdsn, bsschlith er, sis zu dem Thron seiner Vfitsr zu erheben. Achill ist wohl in dsr Lage, das, was Penthesilea ihm fiber dis Entsts- hung ihrss Staates bsrichtst, was sis fiber dis Gssstzs sagt, dsnsn sis untsrlisgt, dsr Sprache nach zu vsrstshsn. Doch dis volls Tragwsits dss Gshfirtsn vermag sr nicht zu srfasssn. Ffir ihn ist und blsibt dis Amazonsnkbnigin nur sins Frau wis alle andern Frauen, denen sr bishsr bsgsgnst ist. Penthesilea dagsgsn ist sich durch ihren Sturz nicht vfillig im klarsn fiber ihre Reds und ihr Handsln. Sis ist unsinig mit sich selbst in ihrsm'Vsrhfiltnis zum Amazonsnstaat und in ihrer Bszis- hung zu Achill. Sis srklfirt ihm dis Gsbrfiuche dss Rossnfestss und ahnt noch nicht, daB sis als Unterlegens ksins Mbglichksit hat, mit ihm nach Themiscyra zu zishsn. Er dagsgsn verlangt von ihr, ihm zu folgsn. Du sishst, es drfingt dis Zeit, wenn du nun hfirst, Was fiber dich dsr Gfittsr Schar vsrhfingt. Zwar durch dis Macht dsr Lisbs bin ich dsin, Und swig disss Bandsn trag ich fort; Doch durch dsr Waffsn Glfick gshfirst du mir; Bist mir zu FfiBsn, Trsffliche, gssunksn, Als wir im Kampf uns trafsn, nicht ich dir. (1,597) Im Grunds gsnommsn rsdsn Penthesilea und Achill ansinandsr vorbsi und sind nicht in der Lage, dis Situation dss andsrsn voll zu bsgrsifsn. Das rschte vsrstandnis flirsinandsr blsibt ihnen bei aller Liebe vsr- sagt.137 Als sntschsidsnd erweist sich jsdoch dis Neuorisntisrung in der Dsnkwsiss, dis sich bsi Achill bsmsrkbar macht. Hatts sr zuvor Penthesilea nur als weiblichs Gegnsrin im.Kampf gesehen, dis unbedingt fibsrwundsn werdsn muBts, wenn sr ssins Heldsnshrs nicht gsffihrdst sshsn wollte, so war mit dem Wunsch, sis zu ssinsr Gsmahlin zu machen, bs- rsits sin wichtiger Schritt zu einer vsrfindsrtsn Dsnkwsiss gstan. Dis vfilligs Neuorisntisrung in dsr Dsnkwsiss Achills wird schlisBlich durch 194 dsn EntschluB gskennzsichnst, nach dsr Befreiung Psnthssilsas durch das srnsut vorstfirmsnds Amazonsnhser sich ihr nochmals im Zwsikampf zu stsllsn und sich ihr ohne Gegsnwshr zu srgsbsn, um dsr Konigin dis Tsilnahms am Rossnfest durch seine Untsrwsrfung zu srmfiglichsn. Mit diesem Wechsel von sinsr Dsnk- und Handlungsweise, dis vfillig auf den Eigsnnutz singsstsllt war, zu einer vsrhaltsnswsiss, dis auf das Wohl dsr Amazonsnkfinigin ausgerichtst ist, findet dsr zweits Teil dsr funk- tionalen Bestimmung Penthesileas, die Hinffihrung Achills zu siner vsr- findsrtsn BswuBtssinshaltung, ssinsn AbschluB. Ubsrwfiltigt von ihren Lisbesgeffihlsn, deren AusmaB und Wirkung sis nicht zu beurtsilsn vermag, trifft dis Nachricht von Achills srb neuter Auffordsrung zum Zwsikampf dis Amazonsnkfinigin wie sin Schlag. Sis srkannt nicht, daB er gswillt ist, sich ihr frsiwillig zu srgsbsn, daB er meint, mit dieser formsllsn Herausfordsrung dsn Anfordsrungsn ihres Staates zu gsnfigsn, so daB Penthesilea nach seinem'Untsrlisgsn mit ihm nach Themiscyra zum Rossnfest zishsn kfinnte. Penthesilea je- doch versteht disssn Aufruf zu srnsutsm Kampf wfirtlich, so wis sr‘fibsr- bracht wird. Da absr das Amazonsntum in ihrem Denken bereits in den Hintsrgrund gstrstsn ist, also sntgsgsn dsr Annahme Achills ksins groBs Bedeutung mshr flir sis hat, ffihlt Penthesilea sich als lisbsnds Frau zutisfst gstroffsn, durch das Bsksnntnis ihrer Liebe in ihrem Innsrstsn vsrhfihnt, zumal ihre Vsrwundung sin Unterlisgsn ihrerseits srwartsn lfiBt. Gsrads disss mtisrstandsns, schsinbars Vsrspottung absr vsrwan- dslt das HochstmaB an Liebe in dsr jungsn Amazonsnkfinigin in sin ebenso groBss AusmaB dss Hassss. Da dsr HaB dissslbsn gewaltigsn Dimsnsionsn srrsichsn muB, dsn dis Liebe aufzuwsissn hat, mufl dis Darstellung dis- ses snormsn Hassss innerhalb dsr Handlung auch ungswfihnlichs Formsn 195 annehmen. Das gsschisht durch dis ungshsurs Grausamkeit dss Mordes, da Penthesilea sich gemeinsam mit ihren Hunden auf Achill stfirzt und den Wshrlossn zsrflsischt. 0b Liebe oder HaB, ob Kfisss oder Bisss ihn trsffsn, ist ihr in diesem Augenblick gleichbsdsutsnd. Das kommt bs- sondsrs deutlich in einer ursprfinglichsn Fassung dieser stns zum Aus- druck, wo Penthesilea an dsr Lsichs kniesnd betont: Ich bilds mir, Msin sfiBsr Lisbling, sin, daB du mich doch, Trotz disses grobsn Fshlsrs, rscht vsrstandst. Beim Jupiter! Der Meinung will ich stsrbsn Dir warsn msins blutgsn Kfisss lisbsr Als dis lustfsuchtsn einer andern. Du hislst mir wstt ich, als ich dich srstickts, Glsich sinsr Taubs still, kein Glisd hast du, Vor Wsllust, fiberschwsnglicher, 0 Diana! Ksins dsinsr Glisdsr mir dabei gsrfihrt. Sish, Prothos, sish - dsr Rest von sinsr Lipps - Sprich, dfinkts dich nicht als ob er lachslts? 0 beim Olymp! Er ist mir ausgssfihnt, Und jsnsr andrs Teil sr lfichslt auch. Nun denn, du hast auch rscht, o du mein Abgott! - Dsnn wenn du alles wohl dir fiberlegst So hab ich dich vor Lisbs aufgsgesssn. (I .885-884) 0b es Lisbs oder HaB ist, wodurch Penthesilea zu dieser Mordtat vsrlsi- tst wird, hat nach dem Erwachsn aus dsr Rassrsi ffir dis Amazonsnkfinigin ksins sntschsidsnds Bedeutung mehr. Mit dieser Tat hat sis sich vfillig von dem Amazonsnstaat gslfist und dsr Weg steht ihr offsn, sich mit dem Gslisbten im Tods zu vsrsinsn. Es ist sin Weg dss Durchbruchs zu dsr Idsntitfit ihrer wsssnssigsnsn Existsnz, dis Erffillung dss dritten Tsi- lss dsr funktionalen Bsstimmung‘Psnthssilsas im.Klsistschsn Werk. 5.4. Egght_- Unrecht Als Rsprfissntantinnsn dsr Begriffe Recht und Unrecht srflillsn sowohl Elisabeth Kohlhaas als auch Thusnslda, dis jungs Cherusksrffirb stin, vorwisgsnd ihrs Funktion im Werke Kleists. 1m Gegensatz zu dsr 196 Novells Michael Kohlhaas, in dsr Lisbeth dsn Kampf ihres Ehemannss um sein psrsfinlichss Recht gsgsn dis Herrsn von Tronka zu untsrstfitzsn sucht, geht es in dsr Hermannsschlacht um die Vsrwirklichung einer Frsihsitsidss, um das Recht dsr untsrworfsnsn gsrmanischsn Vblksstfimms, sich von dsr Herrschaft dsr rfimischsn Untsrdrficksr zu bsfreisn. Wah- rsnd Lisbeth von Anfang an sins aktivs Rolls in dsm.Unterfangsn ihres Ehemannss spielt, steht dis Cherusksrflirstin ihrem Gattsn zunfichst nicht als sbsnbfirtigs Partnerin zur Ssits. Lisbeth erweist sich als ideals Ehefrau im Sinne Kleists, als ausgezeichnsts Hausfrau und Mutter, dis wfihrsnd dsr Abwsssnhsit ihres Mannss dis Lsitung dsr Wirt- schaft ohne Schwisrigksitsn zu fibsrnshmen vermag, dis tatkrfiftig ffir sein vsrgshsn gsgsn dis Junker von Tronka sintritt. Thusnslda erweist sich dagsgsn als vsrwfihnts, sitls Ffirstin, dis dsn Bsstrsbungsn Herb manns nur wenig Interesse oder vsrstandnis sntgsgsnbringt. Wfihrsnd dsr Cherusksrffirst mit dsr List dss vorausplansndsn Aufrfihrsrs dis ksinss- wsgs srnstsn Bszishungsn seiner Frau zu dem jungsn Rfimsr ventidius zu ssinsn Gunstsn zu vsrwsrtsn bsabsichtigt, klagt sis fiber ihre Schuld, dss Jfinglings Herz mit falschen zartlichksitsn sntflammt zu haben. Argsrlich hfilt sis ihrem Mann vor: Dich macht, ich ssh, dsin RfimsrhaB ganz blind. Wsil als dfimonsnartig dir Das Ganz' erscheint, so kannst du dir Als sittlich nicht dsn Einzslnen gsdsnksn. (1,557) Thusnslda versucht, Hermann frsundlich gsgsn sinzslns Rfimsr zu stimmen, da disss sich ritterlich gsgsn deutschs Frauen und Kinder bstragsn, 38, in einem Falls sogar unter sigsnsr stsnsgefahr sin dsutschss Kind aus dsn Flammsn gersttet haben. Hermanns HaB jsdoch ksnnt ksins Grsnzsn. 197 Ich will die hohnischs Damonsnbrut nicht lisben! Solang sis in Gsrmanisn trotzt, Ist HaB mein Amt und msins Tugend Rachs. (1,594) Hermann wshrt sich nicht nur dagsgsn, durch dis Taten und durch das untadsligs Vsrhaltsn rfimischer Offizisrs milder gsstimmt zu werdsn. Er srksnnt, daB dis politischs Sachs ihre Macht vsrlisrsn wfirds, wenn dis Einwohnsr den Bssatzungstruppsn gsgsnfibsr frsundlich singsstsllt wfirsn. Dis Aussinandsrsstzung zwischen dsn Ehsgattsn fiber Thusnsldas Vsr- haltnis zu dem Rfimsr ventidius disnt dem Dichter, dis wahren Gedanken dss Cherusksrffirstsn ans Licht zu bringen. Der vsrsuch Thusnsldas, si- nsn bssfinftigsnden EinfluB auf den RfimsrhaB Hermanns auszufibsn, verb fshlt natfirlich vfillig seine Wirkung, da gerade sis es ist, dsr dis be- schrfinkts Erkenntnisffihigksit den klarsn Blick auf den Ernst dsr Lags vsrwshrt. Dis passive Einstellung dsr Cherusksrffirstin erffihrt jsdoch sins plfitzlichs Verfindsrung, da sis durch dsn abgsfangsnsn Brief von dem hintsrlistigsn Spiel dss Rfimsrs srffihrt. Sis ffihlt sich in ihrer weiblichen Wfirds zutisfst gstroffsn. Sis hatts doch sbsn psrsfinlich um Gnads ffir dsn Jfingling gsbstsn. Kaum ist ihr absr ssin vsrrat bekannt gswordsn, da verwandslt sich die sanfte Cherusksrffirstin wis Penthesi- lea in sins rachsdurstigs Furis, dis sich mit ihrem Handsln dem patrio- tischen vsrhaltsn ihres Ehemannss anpaBt, ihn durch dis Grausamkeit dsr Rachs noch zu fibsrtrsffsn versucht. Nur die Auslisfsrung dss Rfimsrs an sins hungrigs Bfirin erscheint ihr, wie bereits dargestellt, als sins passsnds Strafs ffir dis Vsrhfihnung ihres Gsffihls und ihres Msnschsn- tums. Rficksichtslos vsrspottst sis dsn kraftlos wsrdsndsn Baren- kfimpfsr, bis sins Ohnmacht sis ihrer Sinne bsraubt. Disss Tat 198 Thusnsldas vsrlsitst Korff zu dsr Bemsrkung, dis Rfichsrin Krismhild, dis darauf bestsht, dem Mfirdsr ihres Mannss sigsnhfindig das Haupt ab- schlagsn zu dfirfsn, ssi "sins humans Lichtgsstalt neben disssr von Kleists swig fibsrhitztsr Phantasis srsonnsnsn deutschen Bfirin".138 Von ihrem Mann dagsgsn wird Thusnslda mit den Wortsn bsgrfiBt: "Msin schfi- nss Thuschsn! Heldin grfiB ich dich." (1,625) Ssinsr Ansicht nach hat sis sich ganz dsn Bsdfirfnisssn dss Augsnblicks angspaBt, hat ihre klsinmfitigsn Bsdsnksn fortgsschobsn und ist dabei sogar fiber sich selbst hinausgswachssn. Damit zeigt sich selbst bei einer im wesent- lichen passiven Frauengestalt Kleists dis Ffihigksit, durch dis Entfal- tung vorhandsnsr Anlagen und ihr aktivss Eingrsifsn in dis Handlung das Recht dsr Gsrmansnstamms mit dsrsslben Leidenschaft zu vsrtsidigsn wie Hermann. I In dsm.Kampf dss RoBhandlsrs Kohlhaas um die Gsrschtigksit erweist sich ssins Frau Lisbeth als dis bests Stfitzs. Sis stimmt nicht nur mit seinem Vorhabsn fibersin, sondern sis bsstfirkt ihn sogar in seinem Ent- schluB, die Rschtsklags gsgsn dsn Junker sinzursichsn, da "noch manchsr andrs Rsissnds, visllsicht minder duldsam, als sr, fiber jsne Burg zishsn wfirds; daB as sin Werk Gottss wfirs, Unordnungsn, gleich disssn, Einhalt zu tun; und daB sis dis Kostsn, dis ihm dis Ffihrung dss Prozsssss vsr- ursachsn wfirds, schon bsitrsiben wolls." (11,20-21) Ffir Lisbeth steht also dis Bessitigung von "Unordnungsn", dis nicht nur ihrem Mann, sons dern such andsrsn Menschsn dis grfiBten Schwisrigksitsn vsrursacht haben, zum Wohls dsr gssamtsn Msnschhsit im Vordsrgrund. Allsrdings sollte ss sich zsigsn, daB dis Rschtssachs in dsr Tat klar war (1,21), daB jsdoch dis Eingaben von den zustfindigsn Instanzsn abgswisssn wur- dsn, da dis sinschlfigigsn Positionsn von vsrwandtsn dss Junkers von 199 Tronka singsnommsn wurdsn. Auf ihre Unbsstschlichksit war keineswegs zu zfihlsn, zumal es sich um sin Vbrgshsn eines Bfirgsrlichsn gsgsn sin Mitglisd ihrer eigenen adligsn Gesellschaftsklasss handslts. Bartsls wsist darauf hin, daB innerhalb dsr stfindischsn Ordnung dsr hfifischsn Gesellschaft dis Forderung sinss Bfirgsrs nach Gsrschtig- ksit notwsndigsrwsiss zu einer KatastrOphs ffihrsn muBts, da Kohlhaas als RoBhandlsr sin solchsr Anspruch, dsr zum Vorrscht dsr adligsn Gs- ssllschaft gshfirte, nicht zustand. Dis Machtprobe zwischen dem RoBhfindlsr 'Michasl Kbhlhaas' und dsm 'Junksr von Tronka' kfinnts in einer stfindischsn Ordnung nur dann auf sinsn Konflikt individusller Intrssssn lokali- sisrt werdsn, wenn dis Kontrahsntsn dem gleichsn Stand angs- hfirtsn. Nach dem Sslbstvsrstfindnis dieser Ordnung dfirfts Michael Kohlhaas kein Gegner dss Junkers werdsn. In dem Moment, in dsm.Kohlhaas ffir sich als Bfirgsr Rschts gsgsnfibsr dem Stand bsansprucht, dsr dis Macht dieser Gesellschaft rs- prassntisrt, stellt sr dis stfindischs Ordnung in Frags.1 Sowohl Kohlhaas als auch ssins Frau Lisbeth dagsgsn glaubsn, sich als Bfirgsr bstrachtsn zu kfinnsn, dis dsr Ordnung dss Staates unterlisgen, dis unbedingt dazu bsrschtigt sind, ihre Klags gsgsn dsn Junker zu erheben. Ffir dsn RoBhandlsr wird disss Angslegsnhsit zu sinsr Sachs grfiBtsn AusmaBss. Er spricht von Zwecksn, "im Vsrglsich mit wslchsn, seinem Hauswsssn, als sin ordsntlichsr Water, vorzustshsn, untergsord- nst und nichtswfirdig ssi." (11,25) Als Kohlhaas jsdoch seinem Nachbarn dis gssamtsn Besitzungsn zum Kauf anbistst, ohne disss Absicht zuvor mit seiner Frau bssprochsn zu haben, fibsrrascht ihn dis fibsraus lsbhafts Rsaktion Lisbsths. Hatts sis doch bishsr, wis ss ihrer untergsordnstsn Stellung als Ehefrau zu- kam, sich ststs ssinsn Wfinschsn ohne Widerspruch angspaBt. Jstzt gibt sis allerdings deutlich gsnug zu vsrstshsn, daB sis mit dem Vsrkauf 200 keineswegs sinvsrstandsn ist. Aus Furcht, was dis Zukunft ffir dis Familie bringen kfinnts, aus scht mfittsrlichsr Sorgs um die Kinder, spricht sis gsgsn die Plans dss RoBhandlsrs. Doch Kohlhaas srklfirt unmtisrstfindlich, daB sr sich seines Bssitzss vsrauBsrn wolle: "weil ich in einem Lands, lisbsts Lisbeth, in welchem man mich, in meinen Rschtsn, nicht schfitzsn will, nicht blsibsn mag. . . . Ich bin gswiB, daB msins Frau hisrin so dsnkt, als ich. -" (11,27) Sag mir an, sprach sr, indem sr ihr dis Locksn von dsr Stirns strich: was soll ich tun? Soll ich msins Sachs aufgsbsn? Soll ich nach dsr Tronksnburg gehen, und den Rittsr bitten, daB sr mir dis Pfsrds wisdsr gsbe, mich aufschwingsn, und sis dir hsrrsitsn? - Lisbeth wagts nicht: ja! ja! ja! zu sagsn - sis schfittslts wsinsnd mit dsm.Kopf . . . "Nun also!" risf Kohlhaas. "Wenn du ffihlst, daB mir, falls ich mein Gswsrbs forttrsibsn soll, Recht werdsn muB: so gfinns mir auch dis Freiheit, dis mir nbtig ist, es mir zu vsrschaffsn!" (11,28) In dem Protest Lisbsths, daB Kohlhaas sich nicht mehr um ssins Familie kfimmsre, zeigt sich die Funktion dsr Frau, als Mahnsrin zu wirken, dsn Mann auf die rschte Bahn zurfickzuffihrsn. Seine Aufgabe absr ist es dann zu sntschsidsn, was ihm wichtiger ist, die Gerschtigksit wegsn zwsisr Pfsrds oder das Wohl seiner gssamtsn Familie. Vollsr Entsstzsn muB Lisbeth jsdoch erkennen, daB dsr RoBhandlsr in seinem Strsit um sein Recht nicht mehr aufzuhaltsn ist, ja, daB sr sogar mit Waffsn- gswalt daffir zu kampfsn gswillt ist. Da Lisbeth sich als Frau dazu gezwungsn sieht, sich dsn Plfinsn ihres Mannss anzupasssn, untsrnimmt sis sinsn lstztsn vsrsuch, das Unhsil abzuwsndsn, indem sis selbst aktiv in das Geschehen singrsift. Gsrads als Frau meint sis, mit Hilfe sinss altsn Freundss am Hofs dss Kurffirstsn, diesem psrsfinlich sins Bittschrift fibsrrsichsn zu kfinnsn, was man Kohlhaas selbst vsrwsigsrn wfirds. SchlisBlich gilt ss 201 inbssonders, jsnsn Kreis bsstschlichsr Hoflings in dsr Nahs dss Landss- hsrrn zu durchbrschsn, dis sins gsrschte Handhabung dsr Streitsachs zu vsrhindsrn wisssn. Trotz ihrer untergsordnstsn Stellung erweist dis jungs Frau sich als fibsraus sinfallsrsich und tfichtig. Unglficklichsr— wsiss muB sis disssn lstztsn versuch mit ihrem Leben bszahlsn. Als Elisabeth kurz vor ihrem Tods noch sinmal das BswuBtssin wisdsrsrlangt, grsift sis nach dsr Bibsl, um ihrem Mann die Wichtigksit eines Wortss darin aufzuzsigsn: Vsrgib dsinsn Fsindsn; tus wohl auch denen, dis dich hasssn! (11,30) Kohlhaas jsdoch bsnutzt ihren Tod als Begrfindung ffir dis Wsitsrvsrfolgung ssinss Strsitss, indem sr Luther singsstsht: ”Hochwfirdiger Herr! es hat mich msins Frau gskostet; Kohlhaas will dsr Welt zsigsn, daB sis in ksinsm ungsrschtsn Handel umgskommsn ist.” (11,46-47) Der RoBhfindlsr scheint also dis lstzte Warnung seiner Frau zu vsrgssssn, dis ihn trotz ihres Unfalls dazu auffordsrt, ssinsn Fsindsn zu vsrgsbsn. Kuoni betont dazu: Kohlhaas srhfilt, wie Hermann, sein swigss Ich rein von dsr unauswsichlichsn Bsschmutzung, indem sr die Intsrssssn dss zsitlichsn, sogar dis Erhaltung dss Lebens, bsissitssstzt. Nicht dis Ubsrhsbung dss Individuums, sondern dis Behauptung, ja dsn Triumph dss individusllsn Rschtsgsffihls in Kohlhaas schildsrt Kleist mit dsr lisbsvollstsn, singshsndstsn Sorg- falt. Kbhlhaas bszahlt gslasssn dis Schuld, welchs dis Un- vollkommenhsit dsr Welt ihm aufbfirdsts, mit dem stsn, sobald sr versichsrt ist, daB das ihm zugeffigts, matsrisll visl gs- ringffigigsrs, Unrecht dis gssstzlichs Sfihns srfahren wird.140 Obwohl dsr RoBhfindlsr seine Ehefrau als Stfitzs in seinem Kampf um sein Recht im Irdischsn vsrlorsn hat, scheint sis in dsr "fibsrmsnschli- chsn" Gestalt sinsr altsn Zigsunsrin ssinsn Kampf wsitsrhin zu beglei- tsn. Wenn Kuoni von einer Mission spricht, dis Lisbeth selbst nach 202 ihrem Tods zu srfiillsn habe, so kfinnts man noch sinsn Schritt wsitsrge- hsn und behaupten, daB sis ihre Funktion, ihren Ehemann zu dsr rechten Dsnk- und Handlungsweise hinzuffihrsn, noch nicht bssndst hatts, als sins fibersifrigs Lsibwachs dss Kurffirstsn ihr dsn tfidlichsn StoB mit dem Schaft sinsr Lanzs vsrsstzts. Man gslangt zu dieser Ansicht, wenn man sinsrseits dis AuBsrungsn Kleists berficksichtigt, daB ffir ihn dis Verbindung dsr Ehelsuts fiber dsn Tod hinausreicht. Aus diesem.Grunds ist gerade dis von Paulin hsrvorgshobsns groBs Ahnlichksit in dsr ver~ haltsnswsiss Elisabeths und dsr Zigsunsrin so faszinisrsnd.141 Hatts Lisbeth zuvor ihre nsgativsn Gsffihls untsrdrfickt und auf die Frags ihres Mannss, ob er sein Streben nach Gerschtigksit aufgsbsn sol- ls, mit einer nsgativsn Antwort bsschsidsn wollsn, hattsn ihr jedoch in ihrer Sprachlosigksit dis Worte gsfshlt, so hatts Kohlhaas disses Schwsigsn in seiner Stellung als Patriarch dsr Familie als Bsstfitigung seiner Ansicht angsnommsn. Bei ihrem Bssuch in seinem Ksrksr hat sich seine Meinung in keiner Weiss gsfindsrt. Auf ihre Frags, ob sr nicht um seines klsinsn Sohnss willsn ssin Bstrsiben aufgsbsn wollte, "sagts sr vsrwirrt: daB dis Kinder selbst, wenn sis groB wfirsn, ihn, um ssinss Vsrfahrsns lobsn wfirdsn . . ." (11.97-98). Erst jstzt bsginnt dem RoB- hfindlsr dis groBs Ahnlichksit dsr Altsn mit ssinsr vsrstorbsnsn Gattin aufzufallsn. Doch nicht nur dis Rsaktion dss RoBhandlsrs ist bsdsut- sam, sondern auch dis dsr Kinder. Hattsn sis sich bsim srstsn Anblick dsr Zigsunsrin fiuBsrst schsu gszsigt, so gswfihnsn sis sich.fibsrra- schsnd schnsll an die Frsmds. Ja, sogar dsr Hund schnfiffslt frsudig an ihr wie an sinsr Bskanntsn. Am sindsutigstsn absr scheint dsr mit dem vollsn Namen "Elisabeth" untsrzsichnsts Zettsl darauf hinzudsuten, daB es sich bei dsr Zigsunsrin tatsfichlich um die Verstorbsns handelt, 203 da nicht nur Kohlhaas, sondern auch dsr Kastsllan, dsr ihm kurz vor dsr Hinrichtung dsn Zettsl fiberbringt, durch sein vsrhaltsn anzsigt, daB er bei dem Zusammentreffsn mit dsr Unbskanntsn etwas fiuBsrst Ungswfihnli— ches erlebt hatts. Man sieht sich daher fast gezwungsn, dsr Ansicht Kuonis bsizustim- msn, daB dis Tots sins Mission zu srflillsn habe, nfimlich dis, "nach- drficklich zu bestfitigsn, daB Kohlhaas auf die Rachs am Kurflirstsn sin hoherss Anrscht hat."142 Wis sonst lisBs sich disss mysterifiss Gestalt srklarsn, dis erstmalig am Tags nach dsr Bssrdigung Lisbsths auf dem Markt in Jfitsrbock in Erschsinung tritt, wo sis aus sinsr Msnschsnmengs gsrads Michael Kohlhaas wfihlt und ihm sin Amulett mit dsr Prophszsihung aushfindigt, daB ss ihm sinst sein Leben retten werds. Was sonst kfinnts man von dsr Tatsachs denken, daB sis in vollsr Ksnntnis aller Zusammen- hfings dsn Fortlauf dsr Streitsachs zu vsrfolgen scheint und sein Leben wie auch das seiner Kinder bis zu seinem Tods begleitst, ja, ihm kurz vor seiner Hinrichtung mit ihrer Nachricht fiber dis ngsnwart dss Kurb ffirstsn zu seiner lstztsn Gsnugtuung vsrhilft. Auf dis Frags dss ROB- hfindlsrs, "wsr sis sigsntlich ssi, wohsr sis zu dsr Wisssnschaft, dis ihr inwohns, komms," (11,98) gibt sis zu vsrstshsn: "auf Wisdsrsshsn Kohlhaas, auf Wisdsrsshn! Es 8011 dir, wenn wir uns wisdsrtrsffsn, an Ksnntnis fiber dies alles nicht feh- lsn!" Und damit, indem sis sich gsgsn dis Tfir wandts, risf sis: "lebt wohl, Kindsrchsn, lebt wohl!" kfiBts das klsins Geschlecht nach dsr Reihe, und ging ab. (11,98) War also Lisbeth am Anfang davon.fibsrzsugt gewsssn, daB es sich bsi dem Rschtsstrsit ihres Mannss um einen Kampf zum Wohls dsr gssamtsn Msnsch- hsit handslts, daB es sin Werk Gottss wfirs, dsrartigsn Unordnungsn Ein- halt zu gebistsn, so hatts sis ihr vsrsprschsn, ihn in dieser Sachs voll zu untsrstfitzsn, bsi ihrem Tods noch nicht voll einlfissn kfinnsn. 204 Bssondsrs ihre mfittsrlichs Bssorgnis um das Wohl dsr Kinder lfiBt srksn- nsn, daB ihr von einer hfihsrsn Macht sins zweits Mbglichksit gsbotsn wird, ihre Aufgabe als Partnerin und Mahnsrin dss Mannss zu srflillsn. Wis ihr Erschsinsn sins Verandsrung in dsr Dsnk- und Verhaltensweise dss RoBhfindlsrs als Vatsr und Bstrsusr seiner Kinder hsrbsiffihrt, hat Paulin in seiner Untersuchung hsrvorgshobsn.143 5.5. Msnschlichksit - Ubsrmsnschlichksit Dis dichterische Funktion dss Bsttslwsibss und dsr Nonns Antonia in dsr Heiligen Cacilis bssteht darin, dsn Gegensatz zwischen Msnsch- lichksit und Ubsrmsnschlichksit hsrvorzuhsbsn, dsr hier sins Form dsr Unmsnschlichksit anzunshmsn scheint. In dsr srstsn Novells wird sins alts, bsttslnds Frau von dsr mitlsidsvollsn Marquise fiir dis Nacht auf- gsnommsn wird, von dem Marquis jsdoch dazu vsranlaBt, sich in sins an- dsrs Ecks dss Raumes zu bsgsbsn. Disss Auffordsrung dss Haushsrrn an die Alts srfolgt scheinbar mshr aus Gsdanksnlosigksit als aus Rfick- sichtslosigksit, zumal von dem Dichter ksins wsitsrs Erklfirung fiber dis Notwsndigksit eines Wschssls dsr angswisssnsn Schlafstslls im Zimmsr gsnannt wird. Unglficklichsrweiss zisht sich die alts Frau durch ihren Sturz lsbsnsgeffihrlichs Vsrlstzungsn zu, an denen sis noch wfihrsnd dsrsslben Nacht stirbt. Jahre vsrgshsn und niemand srinnsrt sich mshr an jsnsn ungswfihnlichsn Vorfall. Allsrdings haben sich im Vsrlauf dsr Jahre ffir'dsn Marquis durch Krisg und MiBwachs finanzislls Schwisrig- ksitsn srgsbsn, dis ssinsn Wohlstand gsffihrdsn, so daB sr sich dazu sntschlith, das SchloB zum Vsrkauf anzubistsn. Zur grfiBtsn Ubsrrar schung dsr SchloBbswohnsr und Besuchsr taucht absr das tots Bettelweib gerade zu diesem Zeitpunkt zu mittsrnfichtlichsr Stunds wisdsr im SchloB auf und laBt ssinsn zsrstfirsrischsn EinfluB bei allsn verspfirsn, dis 205 mit dem graflichsn Ehepaar in vsrbindung stehen. Man srksnnt, daB hier sins fibsrmsnschlichs Kraft wirksam wird, ds es sich bei dem Bettelweib jetzt um sins unsichtbars Gestalt handelt. Dis tatsfichlichs Existsnz dsr vsrstorbsnsn im Zimmsr wird jsdoch nicht nur durch dis sich wisdsr- holsndsn Gerauschs jsnsr Nacht angedsutet, sondern scheint selbst durch das Vsrhsltsn dss Hundss Bsstatigung zu finden, dsr etwas Unsichtbar- Gsffihrlichss vsrspfirt und zu msidsn versucht. Dis dichterische Funktion dss Bsttslwsibss in dsr Novells scheint sich darauf zu konzentrisrsn, dis Unmsnschlichksit dss Marchsss hsraus- zustsllsn und ihn flir sins gsrings MiBtat grsusam zu bsstrafsn. Nicht nur von ssinsr vsrfingstigtsn Frau, sondern such vom ganzen Gesinds wird dsr Marquis vsrlasssn, da ihm ksins Mbglichksit gsbotsn wird, sich von dieser Schuld zu bsfreisn. Von dsr unsichtbaren Gestalt zum Wahnsinn getrisbsn, legt er in seiner vsrzwsiflung selbst Fsusr im SchloB an und sfihnt mit seinem eigenen Tod dis Schuld an dsr vsrlstzung und dem Sterbsn dsr Altsn. Der sntsstzlichs Untsrgang eines Menschsn aufgrund einer klsinsn Vsrfshlung erscheint hier im dichterischen Werk gsrschtfsrtigt, zumal wir ss mit einem 'Bsispisl lebendiger Handlung' zu tun haben, das dis srzishsrischs Absicht dss Dichters demonstrisrt: Dis Msnschhsit soll zu einem msnschsnwfirdigsrsn Dasein gsffihrt werdsn. Mangslnds Nfichstsns liebe wird vom Dichter als sin unwfirdigss Handsln vsrurteilt, da ss sich such hier zu bswahrhsitsn scheint, daB im menschlichen Leben dis Tugend bslohnt, das Laster absr, in diesem Falls sin momsntansr Akt dsr Unmsnschlichksit, dadurch bsstrsft wird, daB das Damonischs zur Auswirb kung kommt. Der dfimonischs Trieb, sich flir sins Unmsnschlichksit zu 206 rachsn, kommt damit bis fiber den Tod hinaus zur Gsltung.144 Ffir dis Durchffihrung disses Rachesktss wfihlts dsr Dichter sins Frau, dsr Schul- digs dagsgsn gshfirt dem mannlichsn Geschlecht an. Dss Auftauchsn dsr unsichtbaren Bsttlsrin zwscks Bsstrafung un- msnschlichsn Handslns hat sich als dichterische Funktion dsr Frau im Bettelweib von Locarno srwisssn. Wahrsnd hier dsr Msnschhsit dis Mfig- lichksit sinss Umwschsslns von einer sigsnnfitzigsn Lebensweiss zu sinsr solchsn vor Augen gsffihrt wird, dis auf das Wohl andsrsr ausgerichtst ist, so zeigt sich in dsr Heiligen Cficilis, daB dis Gswalt dsr Musik mit ihren zaubsrhsftsn Klangsn visr Jfinglings zu bssfinftigsn vermag, dis sich in frevslhaftsr Absicht zum Fronleichnamsfsst ins Klostsr bs- gsbsn haben. Statt absr suf zsrstfirsrische Weiss im Dom Hand anzulsgsn, ffihlsn disss jugsndlichsn Frsvlsr sich durch die Klfings eines altsn italisnischsn Musikwsrkss dazu gezwungsn, vor dsn vsrsammeltsn Glfiubi— gsn sufs Knis zu sinksn und, "die Stirn inbfifinstig in den Staub herab- gsdrfickt," sins ganze Reihe von Gsbetsn zu murmsln, dis sis kurz zuvor rficksichtslos vsrspottst hattsn. (11,221) Es erweist sich, daB dis visr jungsn Lsuts in das Irrenhaus dsr Stadt singslisfsrt werdsn muB- tsn, da sis an "dsr Ausschweifung einer rsligifissn Ides" srkrankt warsn, seit dis Vsrfindsrung in ihrem Wesen durch dis musikalischsn Klfings auf sis gswirkt hatts. (11,219) Dort saBsn sis beim Bssuch ihrer Mutter, dis endlich Auskunft fiber ihr vsrblsibsn srhalten hatts, in lsngsn, schwarzsn Talsrsn, um sinsn Tisch, auf welchem sin Kruzifix stand, und schisnsn, mit gsfaltstsn Handsn schwsi- gsnd auf die Platte gsstfitzt, dassslbs anzubsten. Auf dis Frags dsr Frau, dis ihrer Krafts beraubt, auf einen Stuhl nisdergssunksn war: was sis dasslbst machen? antwortstsn ihr dis Vorstshsr: "daB sis bloB in dsr Vsrhsrrlichung dss Heilands bsgriffsn wfirsn, von dem sis, nach ihrem Vorgsbsn, 207 bssser als andrs, sinzusshsn glaubten, daB er dsr wahrhaftigs Sohn dss alleinigsn Gottss ssi." (11,220) Bsrsits seit sechs Jahren ffihrsn sis disses Leben, das sich auf so unglaublichs Weiss von ihrer frfihsrsn Lebensart untsrschsidst. Disss gswaltigs Vsrfindsrung absr ist nur mfiglich gewsssn, weil ss scheint, als habe dsr Himmsl selbst zum Wohls dss heiligen Klostsrs und dsr NOD? nsn in das Geschehen singsgriffsn. Ein ebenso gshsimnisvollsr Schlsisr, wis sr fiber dem srnsutsn Erschsinsn dss Bsttslwsibss liegt, scheint such hier fiber das Wirken dsr Nonns Antonia gsbrsitst zu sein. Trotz ihres bswuBtlossn Zustanr dss, in dem sis im.Klostsr darnisdsr lag, war sis zur Aufffihrung dss altsn Musikwsrkss zum Fronleichnamsfsst srschisnsn und hatts die musi- kslischs Lsitung fibsrnommsn, ohne in Wirklichkeit ihr Kranksnlsgsr vsrlssssn zu haben. Nur mit gfittlichsr Hilfe war es somit gelungsn, dsn Frsvsl dsr Jugsndlichsn abzuwsndsn. Nur duroh dis gshsimnisvolls Mitwirkung dsr heiligen Cficilis hattsn dis Tfins dsr Mssss solchs Macht gswonnsn, daB sis dis Durchffihrung dsr frsvlsrischen Tat vsrhindsrb tsn.145 Kuoni bemerkt dazu: Gott nfitigt dsn Spfittsrn dis Anbstung gswaltsam ab, indem er ihren freisn Willsn zsrbricht, dsr zu frsvslhaftsr Willkfir sntartst ist. Dsnn dsrin bsstsht das Graussnsrrsgsnds dieser Gottssstrafs, daB dis mfinchischsn Andachtsfibungsn dsr Brfider s s s l s n l o s, wis durch dis Mschsnik eines unsichtbaren Rfidsrwsrks vsrursacht, sblsufsn. Dis Freiheit ihrer Psrsfinp lichksitsn ist zsrstfirt; sis sind einer krankhaftsn Zwangs- ides anhsimgsfallsn.146 Wis im Bettelweib, so ist es auch hier sins fibsrmsnschliche Kraft, dis zur Auswirkung kommt. Durch dis Gestalt dsr Nonns Antonia, durch ihre funktionale Aufgabe, ihre Klostsrschwestsrn von ihrsr*fibsrmfifli- gsn Furcht vor dsr Zsrstfirung zu befrsisn, wird auch hier sins Strafs sls Beispiel angebotsn, dis im dichterischen Werk AnlaB zu sinsr 208 unsigsnnfitzigsn Dsnk- und Verhaltensweise bieten soll. Dss Unmsnsch- lichs soll somit kraft dss Ubsrmsnschlichen vsrhindert werdsn. 5.6. Msnschsnliebs - MsnschsnhaB In seinem "Aufsatz, dsn sichsrn Weg dss Glficks zu finden” schrieb dsr Dichter an ssinsn Freund Rfihls von Lilisnstsrn: Js, mein Freund, Tatigksit verlangt sin Opfer, sin Opfer verb lsngt Liebe, und so muB sich die Tfitigksit suf wahrs innigs Msnschsnliebs gnfindsn, sis mfiBts denn sigsnnfitzig sein, und nur ffir sich selbst schsffsn wollsn. . . . denn das, was ich Ihnsn zur Bskfimpfung dss Msnschsnhassss, wenn Sis wirklich so unglficklich wfirsn ihn in Ihrer Brust zu vsrschlisBsn, sagsn kfinnts, wird mir durch dis Vorstsllung, dieser hfiBlichsn sb- schsulichsn Empfindung, so widrig, daB es mein gsnzss Wesen smpfirt. MsnschsnhaB! Ein HaB fiber sin gsnzss Msnschsnge- schlscht! 0 Gott! Ist es mfiglich, daB sin Msnschsnhsrz weit gsnug ffir so visl HaB ist! (11,312) In ssinsn Novellsn Dsr Findling und Dis Verlobung in St. Domingo ist es Kleist gelungsn, disssn Gegensatz zwischen Msnschsnliebs und Msnschsn- haB in den Mittelpunkt dss Geschehens zu stsllsn, wobsi dis beidsn Frauengestalten Elvire und Toni in ihrer Charskterisisrung als Vertrs- tsrinnsn dsr Msnschsnliebs fungieren. Obwohl es sich bei Elvire um sine vorwisgsnd passive Figur handelt, sind ss gerade ihre Zurfickhaltung und ihre Vortrefflichksit, dis wie sin besonderer Rsiz, absr such wie sin unausgssprochsnsr Tadsl auf Ni- colo wirken. Der jungsn Frau ist in Pischi sin Ehemann zur Seite gs- stellt, dsr aufgrund dss Altsrsuntsrschisdss zwischen ihnen visllsicht mehr als ihr Bsschfitzsr denn als ihr Liebhabsr gelten mag. Er achtst dis fiber dsn Tod hinausreichsnds Treus, dis Elvire ihrem sinstigsn Le- bensrsttsr Colino sntgsgsnbringt, sins Treus, die in stsrksm.Kontrast zu dsr Undankbarksit stsht, dis Nicolo auszeichnst. Wfihrsnd Elvire dsn Knabsn bsi seiner Ankunft in Rom vollsr Liebe "an ihre Brust drfickts", ihm alles, was dem klsinsn, an dsr Pest vsrstorbsnsn Stisfsohn gshfirts, 209 zum Gsschsnk machts und ihn "in dem MsBs lieb gswonnsn, sls sr" ihnen tsusr zu stehen gskommsn war, so wird gerade sis dis Zielschsibs seines Hassss und seiner Leidenschaft. Trotz dsr sorgffiltigsn Erziehung, dis man Nicolo angsdsihsn lth, stellt ss sich heraus, daB das Schicksal Pischi und seiner Frau, wis Kuoni betont, "einen Wschsslbalg ins Haus gssstzt." Ksins Gottsskindschsft zeigt sich an Nicolo. Vislmshr scheint dis Vsrlsugnung dss Gfittlichsn in ihm Gestalt sngsnommsn zu hs- ben.147 Man sieht sich gezwungsn, Mfillsr~Seidsl beizupflichtsn, dsr dis Entwicklung dsr groBsn Gsffihlskfilte dss Findlings auf das Vsrhaltsn dsr Pflsgssltsrn zurfickffihrt, die es ssinsr Meinung nach an menschli- chsr Wfirms ihm gsgsnfibsr fshlsn lasssn, da jsdsr in sich selbst vsrb schlosssn und gsnauso vsrschlosssn dem andern gsgsnfibsr auftritt.148 Dss mag sich besonders in Elvires Fall bsstfitigsn, dis ffir sich selbst Kraft aus ihrer Totsnvsrshrung zu smpfangsn scheint, sins Vsrshrung, dis jsdoch Nicolo unbsksnnt ist. Da seine Grundsigsnschaftsn, hart- nfickigs Bigottsris und sin Hang ffir das weiblichs Geschlecht, es ihm vsrwshrsn, dis Ksuschhsit Elvires als wirklich vorhandsn zu akzsptis- rsn, srrsgt gsrads ihr untsdslhaftss Vsrhaltsn ssins Leidenschaft, zu- gleich absr such ssinsn HaB. In ihr sieht sr irrtfimlichsrwsiss dis Vsrrfitsrin ssinss eigenen schfindlichsn Vsrhaltsns selbst am Tags dsr Bssrdigung seiner vsrstorbsnsn Ehefrau Constanzs. In dsr zuffillig snt- dscktsn Ahnlichksit mit dsr Gestalt Colinos auf dem Bild in ihrem Zim- msr sieht er in seiner sgoistischsn Sinnlichksit sich selbst als dsn ngsnstand ihrer Anbstung und Liebe. Sein Wunsch, sis zu vsrffihrsn und sis damit von dem "vorgstfiuschten Thron" ihres tugsndhaften Vsrhaltsns und ihrer Ksuschhsit zu stfirzsn, sndst jsdoch mit seiner eigenen Ermor- dung, sin Rachsakt, von dem ksins irdischs Gswalt Pischi abzuhsltsn 210 vermag, da er in Elvires reiner Liebe das Gfittlichs sslbsr hfihnisch ' bslsidigt sieht.149 Im Gegensatz zu Elvire stellt Kleist in dsr Verlobung in St, Domingo in dsr Gestalt Tonis sins Frau dsr, dis sich sus dsr passiven Einstellung zum Leben befrsit und sins bsmsrksnswsrts Aktivitat sntwickslt, da es darum geht, dem Mann, dem sis ihre Liebe gsschenkt hat, das Leben zu retten. Mit dieser Tat dsr Msnschsnliebs léBt sis jsns unbedingte Lisbs und Aufopfsrungsbsreitschaft erkennen, die Kleist in seinem sigsnsn Leben zu finden suchts, jsns vollkommens Selbstaufgabs, deren Vorhandsnssin Gustav nicht zu erkennen vermag, obwohl sis sich ihm bereits zum zweiten Mal in seinem Leben bistst. Darum betont Semela, daB nicht dsr Kampf zwischen dsn Rasssn im'Vordsr- grund dsr Handlung stshs, daB hier nicht dsr Ubsrlsgsnhsit dsr schwarh zsn fiber dis wsiBs Rasss dsr VOrrang im Rahmen dss Geschehens gsgsbsn ssi, sondern daB vielmehr das rein psrsfinliche Erlsbsn zwischen dsn beidsn Lisbendsn im Mittelpunkt dsr Handlung stshs, in der die Ubsrb lsgsnhsit dss Weibes fiber dsn Mann herausgsstsllt werds.150 Hatts Toni bis zu diesem Zeitpunkt, da Gustav Eingang in ihr Leben fand, sich widsrspruchslos und aus Gehorsam ihrer Mutter gsgsnfibsr dazu hsrgsgsbsn, dis wsiBsn Flfichtlings ins Haus zu locksn, so bringt dis Frags Gustavs sis zu einem srstmaligsn Nachdsnksn fiber ihr Handsln, nachdem sr suf dsn Bsricht dsr abschsulichsn Rachs jsnss Negsrmadchsns dis Frags stellt, ob Toni wohl einer solchsn Tat ffihig wfirs. Obwohl Toni vsrnsint, ist sis dsnnoch sichtlich vsrwirrt. Erst durch Gustavs Darstellung wird ihr dis Unmsnschlichksit ihrer Taten bswuBt, und erstmalig taucht dis Erkenntnis in ihr auf, daB sis Khnlichss vsr- schuldst hat. Durch disss Frags Gustavs wird sis dazu gezwungsn, 211 ihre sigsns Dsnk- und Handlungsweise kritisch zu untsrsuchen, sich selbst Rschsnschaft fiber ihre Verantwortlichksit ffir ihr Handsln ab- zulsgsn. Kuoni f'fihrt dazu aus: Gustavs Vertrauen in ihr Wohlmsinsn legt hisrauf sin Gsffihl dsr Msnschlichksit in sis, das ihr bishsr unbsksnnt war: sis wird wsich und offsn und die sonst absichtlichs Zutunlich— ksit scht. So hfirt sis dis Erzfihlung von dem Opfsrtod seiner Braut in wahrsr Ergriffsnhsit an, und unwillkfirlichss Mit- gsffihl lfiBt sis dsr gewohntsn Bsrschnung vsrgssssn. Sis schsnkt ihm aus dsr Tsilnahms ihres urplfitzlich aufgsfro— rensn Herzens alles, was sis zu gsbsn hat.1 Auch Gustav spfirt bei dsr Hingabe dss Msdchsns einen "Tsumsl wun- dsrbar vsrwirrtsr Sinne," "sins Mischung von Bsgisrds und Angst." Er vsrtraut sich ihr in dsr gegebenen Lags an, ds sis absr durch dis Um- stfinds nicht zu dem beabsichtigtsn Bsksnntnis ihrer bishsrigsn Taten gslangt, ist es ihm nicht mfiglich, dis Hintsrgrfinds ffir ihr Handsln voll zu durchschausn und die GrfiBs ihrsr Aufopfsrungsbsreitschaft zu erkennen. Er ist jsdoch willsns, seinem Gsffihl zu folgsn, ihrer plfitz- lichen Verbindung Dausr zu vsrlsihsn. Ssins lsngsn Erklarungsn, Treus- vsrsprschsn und srmuntsrndsn desn stehen in vislsagsndsm Gegensatz zu Tonis stummsr Erschfittsrung. Da sis, wis so viels Kleistschs Frauenge- stalten, im sntschsidsndsn Augenblick ksinss Wortss machtig ist, blsibt Gustav ohne susdrficklichs Vsrsichsrung ihrer Lisbs zu ihm, da sr als Vsrstandssmsnsch ihre Ergriffsnhsit nicht zu dsutsn vermag. Toni ds- gsgsn betrachtet ihr schwsigsndss Lisbssvsrsprschsn als sins heilige Vsrpflichtung, so daB sis mit grfiBtsr Klugheit und Umsichtigksit und in vollstsr Erkenntnis dsr eingeschlosssnsn Gsfahrsn an die Ausffihrung ihres Rsttungsplanss hsrangsht. Zwar gslingt es Gustav, in ihr zum srstsn Mal das BswuBtssin dsr Unbedingthsit ihrer Liebe zum Erwa- chsn zu bringen, doch besitzt sr selbst nicht dis Fahigksit, nun dis gswaltigs GrfiBs dieser Unbedingthsit ihrer Liebe, vor allsm in dsr 212 Vsrstellung, zu erkennen. Man kfinnts es als unglaubhaft bezeichnen, daB sin Mensch, dem zum zweiten Mal im Leben dis GrfiBs dsr Selbstauf- cpfsrung durch sins Frau dargeboten wird, dis vsrstsckte Wahrheit dss Augenblicks nicht erkennen kann. Obwohl Gustav such sdlsr Gedanken fahig ist, da sr ja zu dem Haus dss ngsrs gskommsn war, um ssinsn Vsrwsnd-ten zu hslfsn, so zeigt sich dsnnoch sins gswisss Flachhsit in seinem Charakter. Ihm genfigt es, dsn Schsin als Wahrheit zu bstrach- tsn, ohne dsB in ihm dsr Wunsch aufstsigt, dis Gegebenheit dsr Dings singehsndsr zu untsrsuchsn. Da er dis Ahnlichksit zwischen Toni und seiner totsn Braut selbst hsrvorhsbt, hfitts gerade disss Erinnsrung als sins Mahnung gelten sollsn, daB er in dsr Fsssslung durch Toni bei dsr unsrwartstsn Hsimkshr dss ngsrs Hoango dsffir wichtige Grfinds hatts vsrmutsn sollsn statt eines Vsrratss. Toni smpfindst das AusmaB ihrer Entscheidung, Gustav zu retten, vor allsm in dem Augenblick in aller Dsutlichksit, da sis von ihrer Mutter als sins nisdsrtrachtigs Vsrrfitsrin bezeichnet wird, die die Rachs Gottss srsilsn wfirds. Toni jsdoch vermag hier bereits, sich in aller Klarhsit zu ihrer nsusn BswuBtssinslags zu bekennsn, indem sis antwortst: "ich habe such nicht vsrratsn; ich bin sins WsiBe, und dem Jfingling, dsn ihr gsfangsn haltst, vsrlobt; ich gshfirs zu dem Geschlecht dsrsr, mit denen ihr im offsnsn Krisgs liegt, und werds vor Gott, dsB ich mich auf ihre Seite stellts, zu vsrsntwortsn wisssn." (11,191) Mit ihrer Hingabe an den Gslisbten und sbsnso mit diesem Bskenntnis ist es ihr gelungsn, sich aus dsr Engs und Gsbundsnhsit ihrer bishsrigsn Lebensweiss zu befrsisn und sich zu sinsr individusllsn Einstellung durchzuringen. Sis sieht sich jstzt unauflfislich an Gustav gsbundsn und ksnnt als Ziel ihres Handslns lediglich seine Rettung vor dsr 213 Rachs Hoangos. Gustav jsdoch ist es nicht mfiglich, selbst nach dem Auftauchsn seiner vsrwandtsn ohne langwisrigs Erklarungsn dis vsrworb rsnsn Hintsrgfifinds ihrer vsrhaltenswsiss zu vsrstshsn, so dsB sr bei ihrem Eintritt an dsr Ssits Herrn Strfimlis nur dis Vsrrfitsrin vor Augen sieht, dis sr nisdsrschith. Zu spfit kommt dis Erkenntnis, daB er das unsigsnnfitzigsts, ihm vfillig srgsbsns Herz mit diesem SchuB gstfitst hat. Erst jetzt srksnnt such sr dsn bsrschtigtsn VOrwurf Tonis lstztsr Worte: "Du hfittsst mir nicht miBtrausn sollsn!" (11,193) "GswiB! sagts sr, da ihn dis Vsttsrn von dsr Lsichs wsgrisssn: ich hfitts dir nicht miBtrausn sollsn: denn du warst mir durch sinsn Eidschwur verb 1obt, obschon wir ksins Werts darfibsr gswschsslt hattsn!" (11,193) Gustav absr glaubt, dss stsnsopfsrs zwsisr lisbsndsr Frauen nicht wert zu sein und nimmt sich daher selbst dss Leben. Nach Kuonis Ansicht war dsr Preis, dsr ffir ihn bszahlt wurds, zu unglsich. Es ssi ihm ksins bsjahsnds Tat ffir das Ewigs gsblisbsn, nur noch dis Vsrneinung ssinsr Erdhsftigkeit. Darum habe sr seinem nichtswfirdigsn Dasein sin Ends bsrsitst.152 Es zeigt sich also, dsB dis Gestalt Tonis, dis ss als Frau "vsrstandsn hat, sich aufzuopfern, ganz flfir das, was man lisbt, in Grund und Bodsn zu gshn," (11,885), ihre funktionale Aufgabe in alien drei Punkten im Werke srfiillt. 5.7. Unschuld - Schuld Der Gegensatz zwischen Unschuld und Schuld wird im Zwsiksmpf durch Littegards von Ausrstsin reprfissntisrt, im Prinzen von Homburg durch dis Gestalt Nataliss. Ein wsssntlichsr Unterschisd in dsr Darstellung dieser ngsnsatzbsgriffs zeigt sich vor allsm daran, daB in dsr Novells Friedrich von Trota als Mann sich mit unsrschfittsrlichsr Ausdausr dsrum bsmfiht, Littegards als Frau dazu zu vsranlasssn, trotz dss gsgsn sis 214 sprechsndsn Gottesurtsils an dem Glauben an ihre Unschuld festzuhalten. 1m Schauspisl dagsgsn ist Natalie als Frau bsstrsbt, dsn Prinzen, dsr trotz dss vsrhfingtsn Todssurtsils nicht an dessen Vollstrsckung glaubt, davon zu fiberzsugsn, daB sr seine Schuld vor dsm.Krisgsgssstz ansrksnr nsn muB, obgleich das Todssurtsil damit bsststigt wird. Im Zwsikampf tritt dis Darstellung dss ngsnsatzss zwischen Un- schuld und Schuld in den Vordsrgrund dsr Handlung. Wis dis Marquise von 0..., so hatts such Littegards, "dis unbescholtsnsts und msksllosssts Frau dss Landss" (11,235), nach dem Tods ihres Gsmahls nicht wisdsr ge- hsiratst. Bssondsrs ihrer Brfidsr wegsn, dis suf dis Hinterlassenschaft ihres Vsrmfigsns rschnstsn, hatts sis auf sins zweits Heirat vsrzichtst. Dennoch muB sis sich plfitzlich dsr schmfihlichsn Anklags ausgesetzt ss- hsn, sin hsimliches Verhaltnis mit dem Grafsn Jakob dsn Rotbart untsr- haltsn zu haben. Der EntschluB, sich nach dsr Auswsisung aus dsr hsi- matlichsn Burg in ihrer Not an Friedrich von Trota um Bsistsnd zu wsn- dsn, bswsist dss ungstrfibts Vertrauen dsr jungsn Frau suf dis Liebe und Hilfsbsrsitschaft dss Freundss, obwohl sis ihn zuvor als zukfinftigsn Ehemann abgswisssn hatts. Der Ksmmsrsr ist von dsr Schuldlosigksit Frau Littegardss so fibsrzsugt, daB sr ihr gsgenfibsr betont, sr bsnfitige ksi- ns wsitsrsn Bstsusrungsn ihrer Unschuld, um an ihre Reinhsit glaubsn zu kfinnsn. Er weigsrt sich, die Vsrsichsrungsn ihrer Unbsscholtsnhsit anzuhfirsn. Js, sr fordsrt dsn Grafsn Jakob sogar zum ritterlichsn Zwsikampf heraus, um "auf Tod und stsn, vor aller Welt, im.Gottssur~ tsil" zu beweisen, daB dsr Graf sin "schfindlichsr und nisdsrtrfichtiger Vsrlsumdsr" (11,242) ssi. Allsrdings muB sr ss erlebsn, nach dsr sigs- nsn Nisdsrlags imlefscht wegsn ssinss "sfindhsft angsrufsnen gfittlichsn 215 Schisdsurtsils" gemeinsam mit Littegards zum Tods durch Vsrbrsnnsn vsrurteilt zu werdsn. (11,254) Disser drsifachs Sturz aus "dsr Hfihs eines hsitsrsn und fast ungstrfibtsn Glficks in dis Tisfs sinss unabash- bsrsn und gfinzlich hilflossn Elends" (11,238) bswsist such in Leben Littegardss dis Unbsrschsnbarkeit dss Schicksals. Dis vsrhssrendsts Wirkung auf das Gsmfit dsr Jungsn Frau fibt jsdoch dis durch Gssstz und Konvsntion bssinfluBts Dsnk- und Verhaltensweise dsr Menschsn aus. Drsi Personsn sstzsn hier ihr vsrtrausn auf "den heiligen Aus- spruch dsr Waffsn, dsr dis Wahrheit unfshlbar ans Licht bringen" (11,244) 8011, und alle drei sind von dsr RschtmfiBigksit und Wshrhaf- tigksit ihrer eigenen Sachs fibsrzsugt. Trota vsrlfiBt sich ohne Zaudsrn auf sein innsrstss Gsffihl. Der tisfsn Bssorgnis von Trotas Mutter um die Wahrhaftigksit ihrer Sachs bsgsgnst Littegards mit dsr Bstsusrung, daB sis dis Vsrtsidigung ihrer Ehrs durch dsn Freund abgelshnt hatts, warsn disss aufgstauchtsn Zweifel ssins eigenen gewsssn. So absr sucht sis dis alts Dams zu bsruhigen: "Ksins Schuld bsflsckt mein Gswisssn: und gings sr ohne Helm und Harnisch in den Kampf, Gott und alle seine Engel bsschirmsn ihn!" (11,245) Aber such Graf Jakob ist dsr fsstsn Ubsrzsugung, mit Recht seine Aussags vsrtsidigsn zu kfinnsn, zumal sr den als Lisbsspfsnd srhaltsnsn Ring vorzuwsissn vermag. Er bstsur srt dsrum Trota gsgsnfibsr: "So gswiB als Gott gsrscht, im Urteil dsr Waffsn, sntschsidst, so gswiB werds ich dir dis Wshrhaftigksit dessen, was ich, Frau Littegardsn bstrsffsnd, notgedrungen vsrlautbart, im shrlichsn ritterlichsn Zwsiksmpf beweisen!" (11,242) Da dis Frags dss Brudsrmordss in dissslesmpf nicht zur Dsbatts stsht, kann dsr Graf mit ruhigem Gswisssn flir dis RschtmfiBigksit seiner Behauptung sintrsten, war er ja selbst unbswuBt sin Opfer dsr Tfiuschung durch 216 Littegardss Kammsrzofs gswordsn. Drsi Menschsn treten also aufgrund ih- rer bsschrénktsn Erkenntnisffihigksit flir ihre individuslle Wahrheit sin. Wis absr soll sin Gott in diesem Falls sntschsidsn, auf welcher Seite dis grfiBsrs Wahrheit liegt? Kann dieser Zwsiksmpf wirklich "zur Auf- klarung dss sonderbarsn Gshsimnissss, dss fiber dieser Sachs schwsbts" (11,243), ffihrsn? Soll sin zufalligss Stolpern als entscheidender Fsktor in dsr Ansrksnnung von Schuld und Unschuld akzsptisrt werden? Auch nach dem Kampf hfilt Friedrich von Trota trotz seiner Nisdsrlags unsrschfittsrlich an ssinsm.Glaubsn an die Unschuld dsr Freundin fest. Er vermag dsr allgemeinen Ansicht nicht bsizustimmsn, sins Schuld als bswisssn zu bstrachtsn, dis nicht sxistisrt. Seine Mutter dagsgsn verdammt "dis Schlamlosigksit und Frschhsit" dsr jungsn Frau, "mit dem BswuBtssin dieser Schuld, ohne Rficksicht auf den sdslsten Freund, dsn sis dadurch ins Vsrdsrbsn stfirzs, dss gshsiligts Urteil Gottss, gleich einer Unschuldigsn, ffir sich aufzurufsn." Dsmgsgsnfibsr hat Friedrich jsdoch sinzuwsndsn: "Ach, msins Mutter . . . wo ist dsr Sterblichs, und wsrs dis Wsishsit aller Zeiten sein, dsr ss wagsn dsrf, den gshsim- nisvollsn Spruch, dsn Gott in diesem Zwsiksmpf gstan hat, suszulsgsn?" (11,248) Ihm gilt allein dis Tatsachs bsachtsnswert, daB sr lediglich durch sin Strauchsln, nicht absr im.Kampf fibsrwunden wurds, daB seine tfidlichsn Wundsn wie durch sin Wundsr hsilsn, wfihrsnd sin lsichtss An- ritzsn dsr Haut ssinsn Gegner lsbsnsgsffihrlich srkrsnksn lfiBt. Ds- rum schlsgt sr dsn Einspruch dsr Mutter in den Wind, dsB nach dem Gssstz sin als sbgeschlosssn srklfirtsr Kampf nicht wisdsr in dsrsslben Sachs vor dsn Schranksn dss gfittlichsn Gsrichts sufgsnommsn werdsn dfirfs, daB er und Littegards unfshlbsr dem Flammsntod ausgeliefsrt ssien. Doch Friedrich blsibt unbssindruckt: ”Was kfimmsrn mich disss 217 willkfirlichsn Gssstzs dsr Menschsn?" (11,249) Nur einem kurzsn Augen? blick dss Zwsifslns ist sr ausgesetzt, da Littegards psrsfinlich, fiber dsn Ausgang dss Kampfss dem Wahnsinn nshe, ihm auf die Frags nach dem Grund ffir dis "Zsrknirschung" ihrer Seele das Bsksnntis ihrer Schuld entgsgsnzuschlsudsrn scheint: "Schuldig, fibsrwisssn, vsrworfsn, in Zsitlichksit und Ewig- ksit verdammt und vsrurteilt!" risf Littegards, indem sis sich dsn Busen, wis sins Rassnds zsrschlug: "Gott ist wahr- haftig und untrfiglich; gsh, msins Sinne rsiBsn, und msins Kraft bricht. LaB mich mit meinem Jammsr und meiner verzsifk lung allein!" - (11,251) Fricks hebt in diesem Zusammsnhang hsrvor: Dis Wirkung, dis dsr Ausgang dss Kampfss in dsr Sssls dss Kammsrsrs und Littegardens hsrvorrisf, muBts vsrschiedsn sein. - Wshrsnd bishsr die Forderung, trotz dsr fast fibsrb ffihrsndsn, rsalsn Bswsiss Littegardsn fraglos zu vsrtrausn, an den Ksmmsrsr dis hfihsrs Aufgabe gestellt hatts, indem Lit- tegards ja allein dis auf dsr Ubsrsinstimmung von Wirklich- keit und Gsffihl bsruhsnds unmittslbare GswiBhsit ihrer Rein- hsit in sich trug, - so muBts nun dsr unglficklichs Ausgang dss Kampfss ffir ihre Sssle noch vsrnichtendsr sein als flir dsn Kammsrer, denn Gott hatts unwidsrruflich durch ssin sichtbarss Handsln gsgsn ihr Gsffihl sntschisdsn, - das Abso- lute, durch dss sis sxistisrts, mit dem fibersinzustimmsn ihr sinzigsr Halt wsr, srklfirts sich gsgsn sis und stfirzts sis dadurgg in sins Vsrzwsiflung, aus dsr ss keinen Auswsg gab. Dis ngsnsfitzlichksit dsr Begriffe wird damit in dieser Novells von Kleist fast bis zum Absurdsn gstrisben. Glfick und Unglfick, Schuld und Unschuld, Glaubs und Zweifel, Tod und Leben stehen in einem so sngsn Zusammsnhang, daB es ffir das Umschlagsn von dem positivsn zum nsgativsn Pol nur sinss zuffilligsn Strauchslns bedsrf. Littegards, dis als Einzigs von ihrer eigenen Unschuld vollkommen fibsrzsugt sein kfinnts, wird, wie die Marquise von 0..., an sich selbst, an dsr "Unstrfiflichr ksit" ihres eigenen Lebenswandels irrs. Dis Unvsrsinbsrksit ihres 218 BswuBtssins mit dsr gfittlichsn Entscheidung vermag sis nicht zu bewfil— tigsn. Friedrich dagsgsn, dem Littegards nach seinem Erwachsn aus dsr Ohnmacht wisdsr nsusn Grund gibt, an ihre Unschuld such wsitsrhin glau- bsn zu kannsn, msint, es mfisss sins Bedeutung hintsr dem gfittlichsn Urteil stscksn. Ehsr will sr sins Bsstrafung seiner eigenen Sfindsn annehmen, ststt in dem Ausgang dss Kampfss einen Bswsis von Littegarh dsns Schuld zu sshsn. Dsrum gibt er dsr jungsn Frau dsn Rat: "LsB uns, von zwsi Gedanken, die die Sinne vsrwirren, dsn vsrstfindlichsrsn und bsgrsiflichsrsn denken, und she du dich schuldig glaubst, lisbsr glaubsn, dsB ich in dem Zwsiksmpf dsn ich ffir dich gsfochtsn, sisgts!” (11,254) Unbedingtss Wisssn scheint somit zum Zwsifsln zu vsrdammsn: unsrschfittsrlichsr Glaubs und tisfe Liebe absr stehen jsdsm Zweifel srhabsn gsgsnfibsr. In disssm.Kampf um Wahrheit und Gerschtigksit ffillt Littegards als Frau dis Aufgabe zu, dis ungsheurs Schwisrigksit dsrzustsllsn, dsn Glauben an die eigene Schuldlosigksit such dsnn nicht sufzugsbsn, das eigene Wshrhsitsgsffihl such dsnn nicht anzuzwsifsln, wenn aller Schsin dss Himmsls und dsr irdischsn Welt sich dagsgsn richtst. Hier zeigt sich eindeutig dis Vsrwirrung sinsr Seele, dis msint, sich auf das eigene BswuBtsein dsr Unschuld nicht mehr bsrufen zu kfinnsn, nachdem das gfittlichs Gsricht gsgsn sis sntschisdsn hat. Hilfsstsllung kann in einer dsrartigsn Situation nur dis Liebe Trotas lsistsn, dessen fsstss Vertrauen auf die Reinhsit und Ksuschhsit dsr gslisbtsn Frau sis vom Wahnsinn zu bswahrsn vermag. Es ist die wahrs Liebe, dis Kleist hier wirksam werdsn laBt, jsns Liebe, dis bsrsit ist, sich vollends sufzu- Opfsrn. Dissmal ist es jsdoch im Gegensatz zu dsr Verlobung EELSE, 219 Domingo sin Mann, dessen volligs Hingabe und Opferbereitschaft dis Frau rsttst. Von Augustinus stammt dsr Ausspruch: "Wir erkennen so visl, wis wir lisben."154 Demnach muB dis Lisbs Trotas als unsrmeBlich gsl- ten, da ssins Erkenntnisffihigksit dis dsr gssamtsn Msnschhsit zu.fibsr- ragsn scheint. Mit seiner Auffordsrung, in aller Klarhsit zwischen dsn beidsn sich bistsndsn Mfiglichkeitsn in dsr Dsnkwsiss zu untsrschsidsn, ststt eines Bswsisss nicht vorhandsnsr Schuld sher dis Tatsachs dsr Nisdsrlags im Zwsiksmpf zu srgrfindsn vsrsuchen, wsist hier dsr Mann dsr Frau dsn Weg zu sinsr neuen BswuBtssinslsgs. KuBsrst wichtig ist dabei jsdoch dis Tatsachs, daB Trota wie Pischi jsnss innersts Gsffihl zu eigen ist, das ihn zu dieser Verhaltensweise bsffihigt. An Littegardss Schicksal absr wird besonders dsr Gegensatz zwischen dsn Begriffen Unschuld und Schuld aufgszsigt. Trotas Ubsrzsugung von Littegardss Unschuld erweist sich schlisBlich doch als richtig, da dis Aufklfirung dss nfichtlichsn Absnteusrs durch Littegardss Kammsrzofs, dis sich als ihre Herrin ausgsgsbsn hatts, dsn stsrbsnden Grafsn Jakob noch rscht- zsitig gsnug srreicht, dis bereits suf dem Schsitsrhaufsn Fsstgsbun- denen vor dem Tods zu retten. Dsm.Grafen ist noch gsnfigsnd Lebenszeit gsgsbsn, seine sigsntlichs Schuld bsi dsr Anstiftung zum Brudsrmord sinzugsstshsn. Mit diesem Bsksnntnis schsidst sr aus dem Leben und hat damit alles Vsrwirrsnds dsr auBsrsn Welt gsklfirt. Dss zu unrscht Geschehens kann wisdsr in dis alts Ordnung gsrfickt werdsn, indem sowohl Friedrich von Trota als such Littegards durch kaissrlichsn BsschluB wisdsr in ihre altsn Rschts singssstzt, 3s, sogar noch bslohnt werdsn. Wis absr ist es um die Gfiltigksit dsr fibsrlisfsrtsn Gssstzs bsstsllt, dis sich in diesem Gottssgsricht als unvsrlsBlich srwisssn haben? 220 Trota ist dsr Einzigs, dsr dis Gfiltigkeit disssr Gssstzs und Bsstimmungen anzwsifslt, dis formsll vorsshsn, daB "sin Kampf, dsr sinmal nach dem Ausspruch dsr Kampfrichtsr abgsschlosssn ist, nicht wisdsr zur Ausfschtung dsrsslben Sachs vor dsn Schranksn dss gfittlichsn Gsrichts aufgsnommsn werdsn dsrf." (11,248) Kann disss ngslung such dsnn ihre Gfiltigksit haben, wenn man ss, wie im vorliegenden Falls, mit einer zweidsutigsn Entscheidung zu tun hat, die in Wirklichkeit doch von den Menschsn in dsr Bsschrankung ihrer Erkenntnisffihigksit gsdsutst wird? Disss Menschsn sind ss gewsssn, dis dsn Kampf in dsr Annahme abgsbrochsn haben, daB Trota tfidlich vsrlstzt ssi. "Wo liegt dis Verb pflichtung dsr hfichstsn gottlichsn Wsishsit, dis Wahrheit im Augenblick dsr glaubsnsvollsn Anrufung selbst, anzuzsigsn und auszusprschsn?" (11,254) Disss Frags mag such dsn Kaiser bsschfiftigt haben, als ihm dis Nachricht vom.Gsst8ndnis dss stsrbsnden Grafsn fibsrmittslt wird. Wis? risf dsr Kaiser, indem sr sich lsichsnblsB von seinem Sitz srhob, hat dss gshsiligts Urteil Gottss nicht ffir’dis Gerschtigksit seiner Sachs sntschisdsn, und ist es, nach dem was vorgsfallsn such nur zu denken srlaubt, daB Littegards an dem Frsvsl, dessen sr sis gszishsn, unschuldig ssi? - (11,259) An Littegards und Trota wsiB dsr Dichter aufzuzsigsn, daB dss Individuum mit Hilfe seines Vsrstandss durch fortwfihrends Ubsrprfifung dsr Voraussstzungsn flir seine Dsnkwsiss aus dem Zustand dsr vsrirrung und Vsrwirrung zu klarsrsm Denken und Handsln gslangen soll. Ffir dsn Kaiser als Rsprsssntantsn dss Staates ergibt sich sins shnlichs Auf- gabe. Dis Dsnkwsiss dss Staates findet ihren Nisderschlag im Gssstz. Zum Wohls dsr Msnschhsit sollte disses Gssstz stfindig fibsrpnfift werdsn, damit durch langjshrigs Ubsrlisfsrung sich als vsraltst suswsissnds 221 Bsstimmungsn srnsusrt werdsn kannsn. Dis Andsrung dsr "Statutsn dss gshsiligten gfittlichsn Zwsiksmpfss" (11,261) mit dem Zusatz "wenn es Gottss Wills ist" kfinnts somit als Neuorisntisrung in dsr Dsnkwsiss dss Staates betrachtet werdsn, dis sowohl dsm Individuum wie such dsr Gs- meinschaft dadurch zuguts kommt, daB dis Mbglichksit sinsr falschen Auslsgung oder Deutung dss Gssstzss fiir dis Zukunft vermiedsn werdsn kann. Nataliss Funktion im Prinzen von Homburg ist dem "gsmsinsn Gssstz dss Widerspruchs" angspaBt. In ksinsm Werk hat dsr Dichter bssser zu dsmonstrisrsn vsrstandsn, ”dsB sin Mensch, dessen Zustand indifferent ist, nicht nur sugsnblicklich aufhfirt, ss zu sein, sobald sr mit einem andsrsn, dessen Eigenschaftsn, gleichvisl suf welchs Weiss, bestimmt sind, in Bsrfihrung tritt . . ." (11,330). Natalie wird hier dis Auf; gsbe srteilt, dsn Prinzen aus seinem Angstzustsnd zu befrsisn, aus dsr Vsrwirrung seiner Dsnkwsiss, indem sis gerade das flir ihn fordsrt, was er selbst in panischsr Todssangst ffir sich verlangt: dis Rettung dss nacktsn stsns um jsdsn Preis. Dss gsgsnsfitzlichs Bsgriffspaar Un- schuld—Schuld steht im Mittelpunkt disses dramatischsn Geschehens. DaB jsdoch dis Prinzsssin tisf in ihrem Herzen an sins Selbstbesinnung dss Prinzen glaubt, dsB sis jsns Sichsrheit dss Gsffihls besitzt, welchss dsn Kleistschsn Frauengestalten zu eigen ist, daB sis, da dsr Augsnr blick ss verlangt, dis Initiative srgrsift, sich aktiv in dss Geschehen sinzuschaltsn, ja, falls notwsndig, sogar selbst schuldig zu werdsn, das alles wird in diesem Werk ebenso deutlich herausgsstsllt. Man kfinnts fast behaupten, daB Natalie im sntschsidsndsn Augenblick nicht nur fiber dsn Prinzen, sondern fiber sich selbst hinauswfichst. 222 In dem Moment, da dsr Prinz vfillig bssinnungslos vor Todsssngst dsr Kurffirstin zu FfiBsn fallt und um Gnads und Hilfe fleht, zeigt sich in dsr Bsschrsibung dsr Prinzsssin ihre Erschfittsrung fiber dss wenig hsldsnhafts Vsrhsltsn dss gslisbtsn Mannss, da sis, "suf dis Schultsr dsr Hofdsms gslshnt, in dsr Ferns gsstandsn hat, lfiBt sich, . . . srb schfittsrt an sinsn Tisch nisdsr und weint." (1,675) Sis ist sntsstzt fiber dis Worte dss Prinzen: Gott dss Himmsls! Seit ich msin Grab ssh, will ich nichts, als lsbsn, Und frsgs nichts mshr, ob es rfihmlich ssi! (1,676) Obwohl sis zugssagt hat, dsn Prinzen zu heiraten, obwohl sis wsiB, dsB er sis gsnauso innig lisbt wis sis ihn, muB sis jstzt dsnnoch mit an- hfirsn, wie sr aus rsinsm Eigsnnutz ssinsn Anspruch auf sis sufgibt, da er msint, beim.Kurffirstsn mit diesem Angebot sein Leben retten zu kfinnsn. Ich gsbe jsdsn Anspruch auf an Glfick Natalisns, das vsrgiB nicht, ihm zu msldsn, Bsgshr ich gar nicht mehr, in meinen Busen Ist alle zsrtlichksit ffir sis verlfischt. (I,676) Der Prinz srklfirt sich bereit, suf ssinsn Gfitsrn am Rhsin sin sinnlo- sss, ffir sinsn prsuBischsn Offizisr unwfirdigss Leben zu ffihrsn, solangs ihm dies nur das nackts Leben zu rsttsn vermag. Seine Wsrts, dis sr dsnn dirskt an die Prinzsssin richtst, bringen eindeutig zum Ausdruck, dsB Homburg sich fiber dis Echthsit und Tisfs dss Gsffihls im klarsn ist, das ihn mit dem Msdchsn vsrbindet. Aus seiner Reds tfint jsdoch haupt— sfichlich Mitlsid mit sich selbst heraus, wenn er Agnes bsdausrt: Du armss Msdchsn, wsinst! Dis Sonns lsuchtst Heut alle dsins Hoffnungsn zu Grab! Entschisdsn hat dsin srst Gsffihl ffir mich, 223 Und dsins Misns sagt mir, trsu wie Gold, Du wirst dich nimmsr einem andern wsihn. Ja, was srschwing ich, Armstsr, das dich trfists? (1,677) An dieser Stelle zeigt sich bereits dis GrfiBs dss Charaktere, dis Natalie dsn hfichstsn Platz in dsr Reihe dsr Frauengestalten im Werke Kleists sinnehmen lth. Statt dsn Vsrrfitsr an ihrer Liebe ihre Vsrb achtung spfiren zu lasssn, bsgsgnst sis ihm "mutig und erhsbsnd." Gsh, junger Held, in dsinss Ksrkers Hsft, Und auf dem Rfickwsg, schsu noch sinmal ruhig Dss Grab dir an, das dir gsfiffnst wird! Es ist nichts finstrsr und um nichts brsitsr, Als ss dir tausendmal die Schlacht gszsigt! 1nzwischsn wsrd ich, in dem Tod dir trsu, Ein rsttsnd Wort ffir dich dem Ohsim wagsn: Visllsicht gslingt ss mir, sein Herz zu rfihrsn, Und dich von allsm Kummsr zu bsfrein! (1.677) Hier spricht dis lisbsnds Frau, dis dsm.Prinzsn jsdoch nicht nur Hoff; nung auf sins Andsrung dss Urteilsspruchss machen mfichts, sondern ihn gleichzeitig zu sinsr sdlsrsn BswuBtssinshaltung anzuhaltsn versucht: Gott wird dis Pfsils mir, dis trsffsn, rsichsn! - Doch wenn dsr Kurffirst dss Gssstzss Spruch Nicht andern kann, nicht kann: wohlsn! so wirst du Dich tapfer ihm, dsr Tspfrs, untsrwsrfsn: Und dsr im Leben tausendmal gesisgt, Er wird such noch im Tod zu sisgsn wisssn! (1,678) Der Zwisspslt zwischen Gsffihl und Verstand, dsn Natalie hier smpfindst, macht ss ihr nicht leichtsr, dsm.Kurffirstsn das unwfirdigs Vsrhaltsn dss Prinzen vor Augen zu ffihrsn. Dis Lisbs zu dem jugsndlichsn Heldsn verlangt von ihr, ffir'ssins Bsgnadigung zu bitten, obwohl ihr Verstand sis dis Unshrsnhaftigksit disses Untsrfangsns klsr erkennen laBt. Zu dsinsr FfiBs Staub, wiss mir gsbfihrt, Ffir vettsr Homburg dich um Gnads flshn! Ich will ihn nicht ffir mich srhalten wisssn - 224 Msin Herz bsgshrt ssin und gsstsht es dir: Ich will ihn nicht ffir mich srhalten wisssn - Mag er sich welchem Weib sr will vsrmfihlsn; Ich will nur, daB er ds ssi, lisbsr Onksl, Ffir sich, sslbstandig, frei und unabhangig, Wis sins Blums, dis mir wohlgsffillt: (1.679) Dss Natalie als Frau gegebene Fsingsffihl lth sis dsm.Kurffirstsn dsn sntschsidsndsn Dualismus vor Augen ffihrsn, da sis dis Notwsndigksit dsr Ansrksnnung dss Krisgsgssstzss bsstfitigt, jsdoch sbsnso dis Beachtung dsr "lisblichen Gsffihls" als fiuBsrst wichtig hsrvorhsbt. Sis srksnnt also dis Pflicht dss sinzslnsn an, sich dsr Forderung dss Vatsrlsndss und ssinsn Gssstzsn untsrstsllsn zu mfisssn. Dsmgsgsnfibsr wsiB sis jsdoch ebenso sindringlich darauf hinzuwsissn, daB es sich bsi dsm Prinzen um einen jugsndlichsn Heldsn handelt, dsr aus Begsisterung zum Kampf um die Freiheit und nicht aus Opposition gsgsn das Gssstz dss Landss zu frfih in dis Schlacht singsgriffsn hatts, sins Tat also, dis sher Milds als Strengs vsrdisns. Gsnauso deutlich gibt sis absr such zu erkennen, wie sshr sis selbst als Frau dis Verhaltensweise dss Prinzen vsrachtst. Zu solchsm Elsnd, glaubt ich, sfinks keiner, Dsn dis Gsschicht als ihren Heldsn preist. Schau her, sin Weib bin ich, und schaudsrs Dem Wurm zurfick, dsr msinsr Ferss naht: Doch so zsrmalmt, so fsssungslos, so ganz Unhsldsnmfitig trsfs mich dsr Tod, In eines schsuBlichsn Lsun Gestalt nicht an! (1,681) Ksum ist dsr Kurffirst fiber dis Dsnk- und Verhaltensweise dss Prinzen sufgsklfirt, als sr such bereits vsrkfindet, daB Homburg bsgnadigt ssi. Mit einem Brief ssndst er Natalie selbst, um dem Gslisbten dis Nach- richt zu fiberbringsn. Statt dsr zu srwartsndsn fiberschwfinglichsn Begsisterung und Dankbsrksitsbszsugung sinss lisbendsn Msdchsns vsrhfilt 225 Natalie sich fiberraschsnd ruhig. Da ihr dsr Inhalt dss Brisfss an den Prinzen nicht voll bekannt ist, blsibt sis fiuBsrst zurfickhaltsnd. Sis fragt sich, was dis Msinungssndsrung so schnsll hsrbsigsffihrt haben mag, warum dis Rettung dss Gslisbten "So sichsr, / Als sis in Vsttsr Homburgs Wfinschsn liegt." (1,683) Da sins shrsnvolls Bsgnadigung noch nicht gsgsbsn scheint, vsrlfiBt Natalie sich sowohl suf ihr Gsffihl als auch auf ihren Verstand, um ffir jsds mfiglichs Situation vorbsrsitst zu sein. Dis Bittschrift dsr Offi- zisrs meint sis, im sntschsidsndsn Moment gsbrauchsn zu kbnnsn. Sis selbst untsrzsichnst einen Marschbsfshl, dsr dis Truppsn, dis ihr selbst unterstsllt sind, srsucht, bis zum Morgsngrsusn am Platzs zu sein. Jsdss Mittsl ist Natalie in disssn Vorbsrsitungsn rscht, das ffir dis Zukunft dss Prinzen vortsilhsft sein kfinnts. Danach konzentriert sis sich auf den schwisrigsten Teil ihrer Aufgabe, dsn Prinzen zu sinsr Neuorisntisrung in seiner Dsnk- und Handlungsweise hinzulsitsn, dis sis durch das Waltsn dss "gsmsinsn Gssstzss dss Widerspruchs" hsrbsizuffihr rsn vermag. Auffallsnd ist bereits dis fibsrmsBigs Freuds fiber dis Bsgnadigung, mit dsr Natalie dsn Prinzen bsgrfiBt. Da sr dis Nachricht noch nicht so schnsll zu fasssn vermag, nfitigt sis ihn, dsn Brief genausstsns zu lsssn, was such ihr zugleich dis Gslegsnhsit bistst, sich fiber dis Worb ts dss Kurffirstsn zu informisrsn. Disss Worte absr lasssn sis sofort "srblasssn." Msint Ihr, sin Unrecht ssi Euch widerfahrsn, So bitt ich, sagts mir mit zwsi Wortsn - Und gleich dsn Dsgsn schick ich Euch zurfick. (1,687) 226 Natalie hat dsn tisfgrfindigsn Sinn sofort srfaBt, dsB dsr Kurffirst dsn Prinzen nur dsnn bsgnadigsn will, falls dieser sich zu Unrecht vsrurb tsilt glaubt. In scheinbar fiberschwfinglichsr Freuds rfit dis Prinzsssin zu siner schnsllsn Antwort, um dsm.Prinzsn wie es scheint, jsde wsitsrs Ubsrlsgung fibsr sein Handsln unmfiglich zu machen. Sis will ihm sogar dis Worte an den Kurffirstsn diktisrsn, scheint also mit einer Annahme dieser Bsgnadigung unter unshrsnwfirdigen Vsrhsltnisssn sinvsrstandsn zu sein. Natalie bemfiht sich hisr bswuBt, dsn Prinzen zu einem Vsrhaltsn zu fiberrsdsn, dss sis zuvor vsrurteilt hatts. Hatts sis Homburg doch vorhsr sufgstrsgsn, noch sinmal das Grab zu sshsn, das man ffir ihn vorbsrsitst hatts, sich mit Wfirds auf den Tod vorzubsreitsn, falls dis- ssr unumgfinglich war, so rsiBt sis jstzt dsm.Prinzsn in fibermfiBigsr Gsschfiftigksit dsn Brief aus dsr Hand, dsn dieser zwscks bsssersr Ubsrb lsgung dsr Worte, dis sr als Antwort vsrwsndsn wollte, noch sinmal fibsrlsssn will. Wozu? - Saht Ihr dis Gruft nicht schon im Mfinstsr, Mit offnsm Rachsn, Euch sntgsgsngahn'n? - Der Augenblick ist dringsnd. Sitzt und schreibt! (1,687) Wshrsnd sis scheinbar zur Eils drangt, bsginnt dsr Prinz sich.fibsr disss Eils zu wundsrn. Dennoch setzt sr sich nisdsr und bsginnt zu schreibsn, sins Tatsachs, bsi deren Anblick dis Prinzsssin sich wsi- nsnd abwsndst. Hier handelt es sich keineswegs um Frsudsntrfinsn. Sis msint, er habe sich tatsfichlich sntschlosssn, disses Angebot dss Kurb ffirstsn anzunshmsn, also kein hsldsnmfiBigss Vsrhaltsn an den Tag zu lsgsn. Ksum msrkt jsdoch Natalie, daB dsr Prinz mit seiner Wortwahl nicht zufrisdsn ist, so wird sis wisdsr hsllhfirig, preist ihn sogar "Wis? Was ssgtst Ihr? -/ Msin Gott, das ist ja gut; das ist 227 vortrsfflich!" (1,688) Und schon hfirt sis das Wort, auf das sis kaum zu hoffsn gswsgt hat: Pah! - Einss Schuftss Fassung, ksinss Prinzen. - Ich dsnk mir sins andrs Wendung aus. (1,688) Er mfichts den Brief dss Kurffirstsn noch sinmal fibsrlsssn. Wisdsr rsa- gisrt dis Prinzsssin so, als versuchs sis, ihn von wsitsrsr Ubsrlsgung abzuhsltsn. Ihrs Worte, die sis zu sich selbst spricht, "0 Gott dsr Welt! Jstzt ists um ihn gsschshn!” Kfinnsn ebenfalls als widsrsprfich- lichs Bemsrkung gewsrtst werden. Statt vollsr Freuds suf ssinsn Hin- wsis zu rsagisrsn, daB dsr Kurffirst ihn sslbsr zur Entscheidung suf- rufs, daB sich hier das "groBs Herz" dss gsrschtsn Lsndssvstsrs zeigs, scheint Natalie disss Wsndung als unbsdsutsnd susgsbsn zu wollsn, indem sis vor allsm darauf hinweist, daB s8 sich hier schlisBlich nur um einen Vorwand handsls, um Dis fiuBrs Form nur, dsrsn es bsdsrf: Sobald er dis zwsi Wort in Handsn hat, Flugs ist dsr ganze Strsit vorbsi!" (1,689) Auf ihre srnsute Auffordsrung, dsn Brief zu schreibsn, legt Homburg disssn absr zur Seite mit dem Hinwsis, sr wolls sich die Sachs bis zum nachstsn Morgen fibsrlsgsn. Ohns wsitsrs Bfihnsnanwsisung lfiBt sich die folgsnds Bemsrkung Nataliss suf unterschisdliche Weiss interpretisrsn. Natalie. Du Unbsgrsiflichsr! Welchs sins Wendung? Warum? Wsshslb? Und Homburg sntwortet: Ich bitts, frag mich nicht! Du hast dss Brisfes Inhalt nicht srwogsn! DaB sr mir unrscht tat, wiss mir bsdingt wird, Das kann ich ihm nicht schrsibsn; zwingst du mich, Antwort, in dieser Stimmung, ihm zu gebsn, Bei Gott! so sstz ich hin, du tust mir rscht! (1,689) 228 Wfirs Natalie fiber disss Entwicklung wirklich snttauscht, so wfirds sis sich mit den Wortsn "Du Rsssndsr! Was flir sin Wort sprachst du?" nicht "gsrfihrt" fiber ihn bsugen. Disss Gssts lfiBt jsdoch sins Ansrksn- nung seiner Verhaltensweise vsrspfirsn. "Schmerzvoll", doch voll frsu- digsn Schmerzss, ruft sis aus: Msin sfiBsr Freund! Dis ngung lob ich, dis dsin Herz srgriff. Dss absr schwfir ich dir: dss Regiment Ist kommandisrt, dss dir Vsrssnktsm morgsn, Aus Karsbinsrn, fibsrm Grabsshfigsl, Vsrsfihnt dis Totsnfsisr haltsn soll. Kannst du dsm Rschtsspruch sdsl wie du bist, Nicht widsrstrsbsn, nicht ihn sufzuhsbsn, Tun, wie srs hier in diesem Brief verlangt: Nun so vsrsichr' ich dich, sr faBt sich dir Erhabsn, wis dis Sachs stsht, und lth Den Spruch mitlsidsvoll morgsn dir vollstrscksn! (1,689-690) Die Widersprfichlichksit und Umkshrung dsr tatsfichlichsn Vsrhfiltnisss lasssn sich nicht fibsrsshsn. Dss Lob dsr neuen ngung ist als shrlich gsmsint zu bstrachtsn. Dsnn versucht Natalie jsdoch srnsut, dsn Prin- zen in jsns Angst vor dem Tods zu vsrsstzsn, dis sis vorhsr so sshr an ihm vsrurteilts. Vor allsm dis "mitlsidsvolls" Vollstrsckung dss Todssurtsils lth aufmsrksn. Hatts dsr Prinz zuvor in panischsr Todss- sngst dis Kurffirstin um Rettung gsbstsn, so sntwortst er hier lediglich mit einem sinfachsn, dsnnoch absr bsdsutungsgsladsnsn "Gleichvisl". 1nzwischsn hat dsr Prinz in seinem Neuorisntisrungsprozsss fast dsn Endpunkt srreicht, indem er mutig fiber das Vsrhaltsn dss Kurffirstsn vsrkfindst: Er handle, wie sr dsrf; Mir zismts hier zu vsrfahrsn, wis ich 8011! (1.690) Schsinbsr "srschrocken" tritt dis Prinzsssin nfihsr hsran, um sich zu fibsrzsugsn, daB die Andsrung in dsr Dsnk- und Handlungsweise dss 229 Prinzen such im Brief ihren Nisderschlag findet. Sis gibt vor, mit seiner Antwort nicht sinvsrstandsn zu sein. “Du Ungshsusrstsr, ich glaub, du schrisbst?" Doch Homburg hat dis Antwort bereits kuvsrtisrt, vsrsisgelt und schickt sis mit einem Botsn suf dss SchloB. Seine Reds gibt absr zu erkennen, daB sr sich tstsfichlich zu einer sdlsrsn Haltung durchgsrungen hat, daB ss Nataliss Anleitung gelungsn ist, disssn Wsch- ssl herbsizuffihrsn. Nun braucht sis ihrer shrlichsn Freuds keinen Einhalt mshr zu gebistsn, braucht nicht mehr vorzuschfitzsn, daB sis andsrs dsnks, als ihre Reds ss erkennen lth. Bsgsistsrt ruft sis dsrum aus: Nimm disssn KuB! - Und bohrtsn gleich zwfilf Kugsln Dich jstzt in Staub, nicht haltsn kfinnt ich mich, Und jauchzt und wsint und sprfichs: du gsffillst mir! - 1nzwischsn, wenn du dsinsm Hsrzsn folgst, Ists mir srlaubt, dem msinigsn zu folgsn. (1,690-691) Hier tauchsn ksinsrlsi Zweifel mshr suf, dsB Natalie mit dieser Wsndung von gsnzsm Herzen sinvsrstandsn ist, dsnn ss handelt sich um sins sdls Entscheidung dss Prinzen, die das Wirken dss gleichsn MaBss an Gsffihl und Verstand erkennen lth. Dis dichterische Funktion Nataliss, im Werk das Zusammsnspisl dss rechten MsBss an Gsffihl und Verstand zur Auswirkung zu bringen, nicht nur durch ihr Beispiel dsn Gegensatz zwischen Unschuld und Schuld hsr- vorzuhsbsn, sondern sich in ihrem sslbstfindigsn Denken und Handsln zu bswahrsn, ja, dsn Prinzen durch dis Anwsndung jsnss Gssstzss vom Wider- spruch zu einer vfilligsn Vsrfindsrung seiner BswuBtssinshsltung hinzu- ffihrsn, ist die ganz besonders Aufgabe dsr jungsn lisbendsn Frau, die als dis Idsalgestalt dss Dichters betrachtet werdsn sollte. V. Zusammenfassung In dieser Untersuchung hat dis von dsr Klsistforschung vsrtrstens Ansicht Bestfitigung gsfundsn, dsB dsr Frau im dichterischen Werke Heinrich von Kleists sin wichtiger Platz singsrfiumt wird. Man gewinnt dsn Eindruck, als hsbs dsr Dichter seine Absicht, mit ssinsr Dichtkunst einem menschenfreundlichen Zweck zu disnsn, dadurch vsrwirklicht, dsB sr dsn Frauengestalten in ssinsn Dramen und Novsllsn sins Funktion von groBsr Bedeutung fibsrtragsn hat. Disss Funktion dsr Frau besteht si- nsrseits dsrin, nsbsn dsr Entfaltung ihrer beachtenswerten Anlagen in- nerhalb dsr sinzslnsn Werke als Rsprfissntsntin jsnsr gsgsnsfitzlichsn Begriffe aufzutrstsn, dis im Mittelpunkt dsr Handlung zu stehen schsi- nen. Zum andern ist ihr aufgsgsbsn, durch dsn EinfluB ihrer Dsnk- und Verhaltensweise auf die Msnschhsit sinzuwirksn. Disss Bssinflussung srfolgt insbesondere durch dis Beziehung zwischen dsn Gsschlschtern, zwischen Mann und Frau. Um dsn "Spiegsl dss Urteils ungstrfibt" zu sr- halten, bistst Kleist mit seinem Werk dichterische "Bsispisls lebendi- ger Handlung" an. Sis sollsn dis Gsfahr eines Fshlurtsils dsmonstris- rsn, zu dem man bsi dsr Beurtsilung dsr Msnschhsit ohne eingehende Un- tersuchung dsr tatsfichlichsn Gegebenheitsn gslangen kfinnts. 1m Laufs dsr Nachforschung hat ss sich srwisssn, dsB Heinrich von Kleist sins ffir ssins Epochs bsmsrksnswsrts Einschfitzung dss Potentials dsr Frau erkennen lfiBt. In ihrer gesellschaftlichen Stellung wsiB dis Frauengestalt sich trotz dss "unerhfirtsn Spisls" sinss unberechenbaren Schicksals odsr eines unsrgrfindlichsn Zufalls in dsr Konfrontation mit dsr Gesellschaft zu behaupten. In einer Welt vollsr Wirrnisss und 230 231 Widersprfichlichksitsn gibt sis nicht nur Zsugnis von dsr Gegebenheit vislssitigsr Anlagen dss Weibes, sondern weit mshr noch von dsr Entfal- tungsmoglichksit disssr Anlangsn. In ihrer Eigsnschaft als Ehefrau oder Geliebte, als Mutter, Tochter, Schwester oder Freundin zsichnst sis sich durch sin bsdsutsamss AusmaB an Wirkungsffihigksit aus, das im Gegensatz zu den Kleistschsn AuBsrungsn fiber dis Abhfingigksit dsr Frau vom Manns, fiber dis physischs Unterlsgsnhsit dss Weibes, bsdsutungsvoll erscheint. Bei dsn ausschlaggsbsndsn Eigenschaftsn dsr Frau handelt es sich weitgehend um solchs, dis beim Manns gsringsrs Gsltung haben, oder dis, wis im Falls dss innsrstsn Gsffihls, beim Manns durch dss Wirken dss Vsrstandss fibsrtfint werden. In dsr Charskterisisrung dsr weiblichen Figuren ist neben dsr tugsndhaften und trsusn Ehefrau dsr jungfrfiulichsn Gestalt dsr Vorrsng gsgsbsn, so dsB man vor allsm bei Natalie von einem Idealbild zu spre- chen vermag, das im dichterischen Werke Verwirklichung findet. Sis dsrf gerade dsrum als Idsalgestalt bezeichnet werdsn, ds bsi ihr dss Zusammenspisl dss rechten MaBss an Gsffihl und Verstand zur Auswirkung kommt, was sis dazu beffihigt, nicht nur durch ihren bsispislhsftsn Einsstz dsn Unterschisd zwischen Unschuld und Schuld hervorzuhsbsn, sondern such dsn ausschlaggsbsndsn EinfluB suf dis Dsnk- und Verhal- tensweise dss Prinzen auszufibsn. Durch dis Entfaltung ihrer Charaktere beweisen dis Frauengestal- ten, dsB sis sich aus dsr ihnen durch Tradition und Konvsntion sufgs- zwungsnsn Rolls in dsr Gesellschaft zu erheben vsrmfigsn, daB sis dis Fshigksit bssitzsn, zu dsr Individualitat zu gslangen, dis ihrer ws- ssnssigsnsn Existsnz sntspricht. Ihr Streben ist darauf ausgerichtet, in dsr Welt jsns ngsnsfitzlichksitsn und Widersprfichs zu fibsrwindsn, 232 die sich dsn Menschsn in den Weg stsllsn. Ihrs besonders Efihigksit dsr Anpassung an plfitzlich vsrandsrts stsnslsgsn lfiBt besonders dis Frau- engestalten daffir gssignst erscheinen, dis ihnen von Kleist fibsrtragsns Funktion im dichterischen Werk zu srffillsn. Durch das Vorbild ihrer Lebensweiss srmfiglichsn sis dsr Msnschhsit, sich aus dsr Widersprfichr lichksit ihrer Existsnz zu befrsisn, um sich einem msnschsnwfirdigsrsn und frisdlichsn Dasein zu widmen. Im Hinblick suf dis ngsnfibsrstsllung dsr vorgeschlsgsnsn wider- sprfichlichsn Begriffe hat dis vorliegends Untersuchung sufzuzsigsn vsr- sucht, dsB von dsr Mshrzahl dsr Frauengestalten im Werk dsm‘Vsrtrsusn mshr zugsnsigt ist als dem MiBtrausn. Josephs, dis Marquise und Alkme- ns sind ausgezeichnsts Bsispisls daflfir, daB sis trotz ihrer "Vsrgehen" als Muster dsr Tugend gelten dfirfsn. Es hat sich srwisssn, dsB ledig- lich dsr Anschsin dss Lastsrs vorhandsn ist, dsr dis Menschsn in ihrer Beurtsilung, js, dis Betroffsnsn Selbst in dsr Bswsrtung ihres eigenen Verhaltens, irrszuffihrsn vermag. Sowohl im.Kfithchsn von Heilbronn als such in Penthesilea findet nicht nur hingsbungsvolls Liebe Vsrhsrr- lichung, sondern dis Gswalt ungszfihmtsn Hassss wird gsnauso sindring- lich gsschildsrt. Der Unterschisd zwischen Recht und Unrecht wird durch Lisbsths Eingrsifsn in dis Handlung und durch dis Vsrfindsrung in dsr Dsnk- und Verhaltensweise Thusnsldas hsrvorgshobsn. Beim Bsttsl- wsib und bsi dsr heiligen Cficilis zeigt sich die Einwirkung sinsr hfihs- rsn Macht, dis ebenso in Michael Kohlhaas und im.Kfithchsn spfirbar wird. Disss Kraft erweist sich vorwisgsnd dsn Frauengestalten gsgsnfibsr als wohlwollsnd und lfiBt dsn Gegensatz zwischen Msnschlichksit und Ubsrh menschlichksit deutlich werdsn. Dis enge Beziehung zwischen Msnschsn- liebs und MsnschsnhaB kommt durch Tonis Aufopfsrungsbsreitschaft und 233 Elvires Abkshr vom Dissssits zum Ausdruck, wfihrsnd dsr Gegensatz von Unschuld und Schuld durch dis Hoffnungslosigksit Littegardss und Nata- liss EntschluBkrsft herausgsstsllt wird. ansn Frauengestalten, dis aufgrund ihres Denkens und Handslns als passiv bezeichnet werdsn mfisssn, hat dsr Dichter einen Mann zur Seite gestellt, dem das andsrnfslls bsim weiblichen Geschlecht fibsrwisgsnds innsrsts Gsffihl gsgsbsn ist, das ihn in seinem Wesen bestimmt. So zeigt ss sich, daB Pischi Elvires fiber dsn Tod hinausreichsnds Treus zu ihrem stensrstter Colino ohne Aufhsbsns respsktisrt. Gsnauso laBt sich an Friedrich von Trota aufzsigsn, dsB er durch seine Lisbs von Kleist dazu bsffihigt wird, Littegards in ihrer Vsrzwsiflung zur Seite zu stehen. An disssn mannlichsn Charakteren absr werdsn gerade jsns Eigenschaftsn herausgsstsllt, dis andsrfslls eindeutig dis Frauenge- stalten auszeichnsn. Trotz dsr zugrunds lisgendsn gsmsinsamsn Funktion dsr Kleistschsn Frauengestalten haben wir es nicht mit Msnschsntypsn zu tun, dis an fsststehsndsn Msrkmalsn und dem Vsrzicht suf Individualitfit zu erkennen sind. Dis vorstshsnds Untersuchung hat vielmehr srwisssn, dsB gerade dsr Frau, dis sich durch ihre Eigsnart vom mfinnlichsn Geschlecht unterb schsidst, vom Dichter die Funktion srteilt wird, durch das Beispiel ihrer Individuslitfit ihre Umwelt auf die Mbglichksit sinsr.Andsrung in dsr Dsnk- und Handlungsweise aufmsrkssm zu machen. Schon in seinem srstsn Drama gslingt ss Agnes, Ottokar zu sinsr Ubsrprfifung dsr als ge- gsbsn akzsptisrtsn Tatsachen zu vsranlasssn und ihn damit zur Erkennt- nis falscher Bsschuldigungsn zu ffihrsn. In seinem lstztsn Werk ist es Natalie, dis auf wesentlich komplizisrtsrs Weiss, nfimlich mit Hilfe dss gsmsinsn Gssstzss vom Widerspruch, dsm.Prinzsn zu einer Vsrfindsrung 234 seiner Dsnkwsiss, zu sinsr msnschsnwfirdigsrsn Einstellung, vsrhilft. Auch dis dazwischsn entstandenen Werke lasssn erkennen, daB dsr Dichter immer wisdsr dsr Frau dis Funktion zu fibsrtragsn scheint, durch ihr Wirken auf die Notwsndigksit sinsr unaufhfirlichsn Ubsrprfifung aller Vorsussstzungsn sinsr Dsnk- und Verhaltensweise aufmsrkssm zu machen und somit die Msnschhsit zu sinsr Neuorisntisrung in dsr BswuBtssinshaltung zu flfihrsn. Man kfinnts somit in Anlshnung an den Kleistschsn Aufsatz "Uber dis allmfihlichs Vsrfsrtigung dsr Gedanken beim desn" von sinsr "sllmshlichsn Vsrfsrtigung dsr Eigsntfimlichksit dss dichterischen Gsi- stss beim Dichten" sprechen. So wie dsr Rsbsnhfigsl dem stfirmischsn Lauf dss Rhsinss odsr such dss Mainss Einhalt gsbistst, so zeigt sich such dss Wirken dsr Frau. Sis bezeugt ihren Mut und ihre Standhaftigkeit, indem sis durch ihre Warnungsn dem Manns einen bsssersn Weg in ssinsn Entscheidungsn zu wsissn versucht. Ststt dsr zu srwartsndsn passiven Einstellung dsr Frau zum Leben, dis man aufgrund dsr Ansichtsn dss Dichters fiber Wesen und Bestimmung dss Weibes, fiber seine Bildung, fiber Lisbs und Ehe srwartsn kfinnts, hat dis vorliegends Untersuchung srgsbsn, dsB das Potential dsr Frau in ihrer gesellschaftlichen Position, in ihrer wsssnssigsnsn Beziehung zum andern Geschlecht und in ihrer Funktion in den Dramen und Prosawerken wesentlich grfiBsrs Beachtung vsrdisnt, als ss bishsr gsschehsn ist. Gsrads in dsr besonderen Kspszitfit dsr Frau liegt dis Eigsntfimlichksit dss dichterischen Gsistss im.Klsistschsn Werke bsgrfindst. Sis srmfig- lichts dsm Dichter, dis nachgswisssns Verbindung dsr funktionalen Bs- stimmung dsr Protagonistinnsn mit jsnsr Stileigenhsit vorzunshmsn, dis durch dis ngenfibsrstsllung widsrsprfichlichsr Begriffe seine wichtig— sten Gedanken zum Ausdruck bringt. Anmsrkungsn 1Zitsts und Hinwsiss auf das Primsrwsrk bsziehsn sich suf dis Ausgabs Heinrich von Kleist. Sfimtlichs Werke und Briefs, 2 Bds., 4. rsvid. Aufl., Hg. Helmut Ssmbdnsr (Mfinchsn: Carl Hanssr Verlag, 1965). Die Angabsn in Klammsrn vsrwsissn auf Band und Ssitsnzahl in dieser Ausgabs. ~ 2Vgl. Dagmar C. G. Lorenz, "Vfitsr und Mfittsr in dsr Sozialstruktur von Kleists Erdbsben in Chili," EG, Vol. 33. Nr. 3 (Sept. 1978), S. 270. 3Dss unvollsndst gsblisbsns Drsmsnfragmsnt Robert Guisksrd soll in dieser Untersuchung nicht bshandslt werdsn. 4Dagmar Lorenz, S. 270. 5Karl Otto Conrady, "Dss Morslischs in Kleists Erzfihlungsn: Ein Kspitsl vom Dichter ohns Gesellschaft," Literatur und Gesellschaft vom nsunzshntsn ins zwsnzigsts Jahrhundert, Hg. H. J. Schrimpf (Bonn: 1963), S. 56-82. Nachdruck in Heinrich von Kleist. Aufsfitzs und Essays, Hg. Walter Mfillsrstidsl, Reihe Wegs dsr Forschung, Bd. 147 (Dsrmstsdt: Wisssnschaftlichs Buchgsssllschaft, 1973). S. 731. In dsr Folge wird bsi Aufsfitzsn aus dieser Sammlung dsr Band als 'WdF, Bd. 147' bezeichnet. 6John Carl Blanksnagel, "The Attitude of Heinrich von Kleist toward the Problems of Life," Hespsria, Nr. 9 (Gottingsn: Vandsnhosck & Ruprscht,1917). S. 59- 7Franzisks Ffillsr, Dss psychologischs Problem dsr Frau in Kleists Dramen und Novellsn (Leipzig: Hassssl Verlag, 1924):»S. 86. 8Kurt Semela, Frsusn—Erlsbsn und FraueneGsstaltsn bsi Heinrich von Kleist (Diss. Berlin, 1934). 3. 72-76. 9Clara Kuoni, Wirklichkeit und Ides in Heinrich von Kleists Frau- snsrlsbsn, Wegs dsr Dichtung, Bd. 29, Hg. Emil Ermatingsr (Frausnfsld/ Leipzig: Huber & Co., 1937). S. 250ff. 1OFrancis Brooks, The Male-Female Relationships in the Dramas and 'Novsllsn' of Heinrich von Kleist (Diss. Univ. of North Carolina, 1954), S. 214. 11Elisabeth Maria Heptner, Two Nineteenth Century Conceptions of Womanhood: A Comparison of the Attitudes of Kleist and Hsbbsl (Diss. Washington University, 1975). S. 169. 235 236 12Elisabeth Heptner, S. 92. 13Kar1 Otto Conrady, s. 726-727. 14Vgl. Hans Peter Herrmann, "Zufall und Ich", GRM, XI, Heft 1, 1961, S. 75-78. 15Goethe dsfinisrts dis Novells Ecksrmann gsgsnfibsr als "sins sich srsignsts unsrhfirts Begebenheit." Vgl. Gsro von Wilpsrt, Sachwfirterb buch dsr Literatur, 4. Aufl. (Stuttgart: Alfred Krfinsr Verlag, 1964), S. 468. 16Hans Peter Herrmsnn, S. 70. 17Hans Mayer, Heinrich von Kleist. Der gsschichtlichs Augenblick. (Pfullingsn: Nssks Verlag, 1962), S. 16. 18Julius Petersen, "Kleists dramatischs Kunst," Jahrbuch dsr Kleist-Gesellschaft, 1921, S. 9. 19Heinrich von Kleists stsnsspursn. Dokumsnts und Bsrichts dsr Zeitgenossen, Neuausgabs, Hg. Helmut Ssmbdnsr (Frankfurt a.M.: Insel Verlag, 1977), S. 17-18. 20Raimund legardt, "Dss Erfahrungssubstrat dsr Kantkriss in dsr Fabslkonzsption bei Heinrich von Kleist," Vortrag gshaltsn im Dszsmbsr 1969 auf dsr Jahrssvsrsammlung dsr MLA in Denver, Colorado, S. 4. 21Hsinz Ids, Der lungs Kleist (Wfirzburg: Holznsr Verlag, 1961), S. 90ff. Vgl. such Gerhard Fricks, Gsffihl und Schicksal bsi Heinrich von Kleist (Berlin: Junker & Dfinnhaupt, 1929), dsr Kleists Bsstrsbsn sls "so unaufklfirsrisch wie mfiglich" bezeichnet, vor allsm seine Suchs nach dsr "GswiBhsit dss Ewigsn,” nsch dsr "Wahrheit", S. 9. Ebenso Gfintsr Blficksr in Heinrich von Kleist oder dss absolute Ich (Berlin: Argon Verlag, 1960), dsr von Kleists ungshsusrlichsm Vsrsuch spricht, "hier suf dieser Erds in den Besitz dss reinen Ssins zu gslangen," S. 41. 22Heinz Ids, S. 99. 23Wa1ter Silz, "Dss Erdbsben in Chili", in war, Bd. 147, s. 551- 352. 24Walter Mfillsr—Ssidsl, Vsrsshsn und Erkennsn (Kfiln/Graz: Bfihlsu Verlag, 1961), S. 77-79. Mfillsrstidsl msint, ob wir ss bei dem Ein- bruch bestimmter Ereignisse mit einem vorbsstimmtsn Schicksal oder mit blindem Zufall zu tun haben, hinge sinsrseits von der Deutung dss Dich- ~ tsrs, andrerssits von dsr jswsiligsn Dichtungsgsttung ab. Er gibt je- doch zu, dsB sich gerade das Kleistschs Werk als besonders vislschich— tig und differsnzisrt srweiss und dsr Dichter sich keineswegs an die Gssstzs halts, die die Grsnzsn dsr Gsttung bsstimmsn. 237 25John Carl Blanksnagel, S. 52. 26Dagmar Lorenz, S. 270-271. 27Elisabeth Heptner, S. 99. 28Ernst L. Stahl, Heinrich von Kleist's Dramas, rsvid. Ausg. (Oxford: Basil Blackwell, 1961), S. 73. 29Vgi. John Carl Blanksnagel, s. 59; Elisabeth Hepthsr, s. 8. 3OWis wichtig Kleist selbst dagsgsn dis Stellung dss Offizisrs srschisn, scheint dis Tatsachs zu beweisen, daB sr sogar nach dem Austritt aus dem Gardsrsgimsnt Wilhelmins von Zengs dazu auffordsrt, ssinsn frfihsrsn Titel in dsr Adrssss ihrer Briefs an ihn in Paris zu bsnutzsn: "A Mon. ds Kleist, ci-dsvant lisut. au reg. dss gardss prussisnns, posts-rsstsnts." (11,659) 31Wolfgang‘Kayssr, "Kleist als Erzshlsr," in WdF, Bd. 147, S. 232. 321bid., s. 234. 33Dagmar Lorenz, S. 275. 34Clara Kuoni, S. 223. 35Dagmar Lorenz, S. 275. 351bid., s. 273. 37Clara Kuoni, S. 220. Kuoni wsist hier ebenfalls auf die fihnlichs Situation in dsr Familie Schroffenstein hin. 38Waltsr Silz, "Dss Erdbsben in Chili", in WdF, Bd. 147, s. 351- 352. 39Peter Horn, "Penthesilea: The Revival of a Greek Myth as an Endorsement of Klsist's Social and Political Ideals," ESA, 1975, S. 102. 4OElisabeth Heptner, S. 104-105. 41H. A. Korff, Geist dsr Gosthszsit, Bd. 4 "Hochromantik" (Leipzig: 1953). S. 281. 42Clara Kuoni, S. 204. 43Brockhaus EnzykIOpfidis in 20 Bdn., 17. Aufl., 6. Bd. (Wissbsdsn: F. A. Brockhaus, 1968), S. 540f. 44Paul Kluckhohn, Dis Auffassung dsr Lisbs in dsr Literatur dss 183 Jahrhunderts und in dsr deutschen Romsntik, 3. Aufl. (Tfibingsn: Max Nismsyer Verlag, 1966), S. 302. 238 45Johannes Scherr, Kulturgsschichts dsr deutschen Frau (Dresden: Paul Arstz Verlag, 1928), S. 252. 46Joachim MaaB, Kleist, dis Fscksl PrsuBsns. Eine Lebensgsschich— ts (Mfinchsn: K. Dssch, 1957). S. 8-9. MsaB wsifl hier fiber Kleists VEtsr zu bsrichtsn, daB dieser als 41-Jshrigsr sin ffinfzshnjahrigss Mfidchen gsheiratst habe, dis jsdoch nsch dsr Gsburt von zwsi Tfichtsrn und ffinfjahrigsr Ehe gsstorbsn ssi. Dis zweits Ehe habe dsr 46-Jfihrigs dsnn mit dsr 29 Jahre altsn Juliane Ulrike von Pannwitz gsschlosssn. Aus disssr Ehe sind wsitsrs ffinf Kinder hsrvorgsgangen. 47Helmuth Kissel und Paul Mfinch, Gesellschaft und Literatur‘igzl§, Jahrhundert (Mfinchsn: Vsrlag c. H. Beck, 1977). s. 62. 481bid. , 3. 62-63. 49Pau1 Kluckhohn, s. 326-328. 501bid., s. 327-330. 511bid., s. 326-328. 521bid., s. 326-328. 53Vgl. Ernst Kayka, Kleist und die Romantik :_Ein.Vsrsuch (Berlin: Vsrlsg Alexander Duncksr, 1906), S. 13-15. Kayka hat darauf hingewis- ssn, daB man jsne Isolisrthsit dsr Kleistschsn Ansichtsn fiber dis Frau dem Dichter zu unrscht als Nachteil snrschnsts. Er hebt dis Tatsachs hervor, daB Kleists Nsmsnsvsttsr Franz von Klsist—-ob er ihn psrsfinlich gskannt haben mag, ist nicht zu bswsissns-vor ihm dsn gleichsn Idsslsn nschgsstrsbt war. Auch flir ihn hatts ss nur zwsi Pole gsgsbsn, denen sr sntgsgsnstrsbts: Gott und die Natur. Ohns einen Widerspruch in dieser Kombinstion zu sshsn, hatts such sr darauf hingsarbsitst, sins hfihsrs Vollkommsnhsit dss Lsibss und dsr Seele, grfiBers Gottfihnlichksit zu srrsichsn. Um allein dieser stsnssufgabs disnsn zu kfinnsn, hatts sr nsch Militsrb und Universitfitsausbildung dsn Staatsdisnst vsrlasssn. Er war seinem Idssl gsfolgt, indem sr sin sdlss Madchsn hsiratsts und mit ihr suf dem Lands in Rousseauschsm Sinne sins Mustsrshs ffihrts. Was er lsbts und srstrsbts, bsssng er in ssinsn Werken, dis Heinrich von Kleist nsch Ksykss Ansicht gskannt haben muB. Auf Grund dss fifih- zsitigsn Todss von Franz von Kleist (8. August 1797) glaubt Kayka fol- gsrn zu kfinnsn, dsB Heinrich von Kleist in ihm ssinsn nstfirlichsn Ffih— rsr vsrlorsn hatts und sich danach srnstsrsn Studien zuwandts und sein Leben zwscksstzsnd zu einem ethischen zu gsstaltsn bsgann. 54Ernst Kayka, S. 6-7. 55Kurt Semela, 3. 11-12. 551bid., s. 11. 239 57Elisabeth Heptner, S. 11. 58Kurt Semela, S. 20-21. 59Kurt Semela, S. 27. Semela hat in srstsn Teil seiner Disserta- tion sins eingehende Untersuchung fiber dis Verbindung zwischen dsn Klsistbrisfsn und dem Frauenerleben dss Dichters durchgsffihrt. Dis Frags, ob Kleists Brisfschrsibsn als wirklichsr Ausdruck seines Lebens gelten dfirfs, wird trotz dsr Einschrsnkung, daB ss sins vfillige Identi— tst zwischen dem Menschsn und seiner Aufisrung nis gsbsn kfinns, positiv bsantwortst, solangs dsr Interpret sowohl dis Situation dss Schrsibsrs als auch dis dss Empffingsrs bsrficksichtigs. Vgl. Kurt Semela, S. 9. 60Ibid., 8. 28. 61Elissbsth Ffillsr, s. 90. 62Clara Kuoni, S. 9. 63Heinz Ids, Der jungs Kleist (Wfirzburg: Holznsr Verlag, 1961), S. 78-80. 64Kleists Werke in 1 Bd., Hg. Gerhard Stsnzsl (Salzburg: R. Kissel) 8. 34-37. 65Vg1. Elisabeth Ffillsr, s. 12. Ebenso Heinz Ids, s. 130f. 66Heinrich von Kleists stsnsspuren. S. 32. 67Walter H. Bruford, Culture and Society in Classical Wsimar 1775- 1806 (Cambridge: At the University Press, —1962), S. 381-386. 68Rudolf Schsnda, Volk ohne Buch. Studien zur Sozialgsschichte dsr p0pulfirsn Lsssstoffs, Bd. 5 (Frankfurt s. M.: Vittorio Klostsrmann, 1970), S. 13. 69Hslmuth Kisssl und Paul Mfinch, 3. 74-75. 7OBarbsl BscksrsCantsrino, "Outsiders in the Literary Culture of Absolutism," Vortrag gshaltsn am 29. Dszsmbsr 1980 snlsBlich dsr 95. Jahrssvsrssmmlung dsr Modern Language Association in Houston, Texas. 71Hugh Wiley Puckett, Gsrmsny' s Women Go Forward (New York: Columbia University Press, 1930), 4: 5. 721bid., 8. 26-27. 73Ibid., 8. 7. 74Marie Bernays, Dis deutschs Frausnbswsgung (Leipzig und Berlin: B. G. Tsubnsr Verlag, 1920), S. 13. 240 75Helene Hummsl, "Der EinfluB dsr modsrnsn Frsusnsmanzipstion auf Ehe und Familie", in Ludwig Langsmsnn und Helene Hummsl, Frauenstimm— rscht und Frsusnsmanzipstion (Berlin: Vsrlsg dsr Deutschen Ksnzlsi, 1916), S. 110-111. 76Hans Eichnsr, Einlsitung zu Friedrich Schlsgsls Dichtungen, Kritischs Friedrich-Schlsgsl-Ausgsbs, Hg. Ernst Bshlsr unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anststt und Hans Eichnsr, Bd. 5 (Mfinchsn: Vsrlsg Ferdinand Schfiningh), 1962, S. XXII-XXVI. 77Elisabeth Heptner, S. 92. 78Karl Otto Conrady, S. 729-730. 79Johannes Scherr, S. 262. 80Hermann F. Weiss, "Precarious Idylls: The Relationship between Father and Daughter in Heinrich von Klsist's Dis Marquise von 0...," MLN 91, So 538-5420 81Elisabeth Heptner, S. 96. 821bids ’ So 10-110 83Ladislso Mittnsr, "Freundschaft und Liebe in dsr deutschen Literatur dss 18. Jahrhunderts", Stoffs Formsn Struktursn, Hg. Albert Fuchs und Helmut MOtskat, (Mfinchsn: Max Husbsr Verlag, 1962), S. 124. 84Gsro von Wilpsrt, S. 744-745. 85Karl 0tto Conrady, s. 729. 86Walter Mfillsr—Ssidsl, Vsrsshsn und Erkennsn, S. 38. 87Johannes Scherr, S. 229-233. 881bid., s. 234-237. 891bid., s. 237. 9OIbid., s. 242-244. 91Gsrhart Hoffmsistsr, "Engel, Teufel oder Opfer: Zur Auffassung dsr Frau in dsr ssntimsntslsn Erzfihlung zwischen Renaissance und Aufklfirung", Monatshsfts, Vol. 69, Nr. 2, S. 150. 92Roger Ayrault, Heinrich von Kleist (Paris: AubisrbMontsigns, . 1966), s. 389. 93Blisabeth Heptner, s. 96. 241 94Emil Staigsr, "Rassnds Wsibsr in dsr deutschen Tragfidis dss 18. Jahrhunderts," ZDP, Bd. 80, 1961, S. 364-404. 95Ursula Friess, Buhlsrin und Zsuberin. Eine Untersuchung zur deutschen Literatur 993.19: Jahrhunderts (Mfinchen: Wilhelm Fink, 1970). 96Ibid., S. 26. Friess vsrwsist hier ebenfalls auf Willi Flsms mings Einlsitung zum Schlesischsn Kunstdrsma (S. 44). wo ss mit ei- nem Hinwsis suf dis Lohsnstsinschsn Gestalten bshauptst wird: "Sis stammsn von den Mschtwsibsrn Ssnscss ab, sind absr weit menschlicher und diffsrenzisrtsr. Auch sind sis ststs Weib und aller Kfinsts dsr Vsrffihrung mfichtig. Dennoch wfirs ss vsrkehrt, sis schlschthin als gsmsins Buhlsrinnen zu bszsichnsn." 97Jacob und Wilhelm Grimm, Dsutschss Wfirtsrbuch, Bd. 6 (Leipzig: Hirzsl, 1885), Spalts 1415. 98H. A. Korff, s. 40. 99Hsinrich von Trsitschks, "Heinrich von Kleist," Aufsfitzs, desn und Briefs, Hg. Karl Martin Schiller (Mssrsburg: F. W. Hendsl Verlag, 1929), S. 31. 100Bfilow ffihrt dazu aus: "Nachdsm.Kleist das K.v.H. gsschrisbsn und Tisck mitgstsilt hatts, sprachsn und stritten sis mannigfsch dami- bsr und sagts Tisck ihm unter andsrsn ssins Meinung fiber sins msrkwfir- digs stne, die das ganze Stfick gswisssrmaBsn in das Gsbist dss M§r~ chsns odsr Zaubsrs hinfibsrspislts. Kleist mtisrstand disss AuBsrung als Tadsl, vsrnichtsts dis stns, ohne daB Tisck sins Ahnung davon hatts, und als dieser sis in dsr Folge im Druck vsrmiBts, konnts sr nicht sufhfirsn, darfibsr sein Bsdausrn auszusprschsn, weil sis dis ksri- kisrts Hsfllichkeit Kunigundsns weit bssser motivisrt und sis in sin bssserss Licht gsrfickt habe." (1,939) 101Clara Kuoni, S. 254. 102161d., 8. 255. 1031bid., s. 243—247. 104Kurt Semela, S. 47. 105Paul Kluckhohn, S. 610-611. 106Gsro von Wilpsrt, S. 45. 107Disss Stileigenhsit Kleists hat sogar auf die Kritik fibergs— griffsn. Vgl. Mfillsr-Ssidsl: Vsrsshsn und Erkennsn; Hans Peter Herr- mann: "Zufall und Ich"; u.s.m. 242 108Peter Pfitz, Die Zeit 12 Drama. Zur Tschnik dramatischsr Span- nun . (Gfittingsn: Vandsnhosck & Ruprscht, 1970), S. 151. 109Ernst von Aster, Gsschichts dsr Philosophis, 2. Aufl. (Stutt- gart: Alfred Krfinsr Verlag, 1935), S. 66-67. 110Raimund legardt, "Kleists Weg zur Wahrheit," ZDP, 92. Bd. (1973). 2. Heft, s. 163-164. ' 111Ibid., 8. 167. 112Kurt Semela, s. 44. 1131bid. 1141bid., 8. 44-45. 115Clara Kuoni, S. 133. Kuoni betont: "Dss Vertrauen bedeutst ffir dis Beziehung zum Du dassslbs, wie dss Gsffihl ffir dsn Einzslnen." 116PhiIOSOphischss Wfirtsrbuch, Hg. Heinrich Schmidt, 18. Aufl. (Stuttgart: Alfred Krfinsr Verlag, 1969), S. 208-209. 117Vgl. Gerhard Fricks, Gsffihl und Schicksal bei Heinrich von Kleist, Reihe Nsue Vorschung, Arbsitsn zur Geistesgeschichte dsr gsr- manischsn und romanischsn Vfilksr 3 (Berlin: 1929), Nsudruck Wisssnr schsftlichs Buchgsssllschaft, Dsrmstadt, 1963, S. 48-49. 1181bid., s. 49. 119Clara Kuoni, s. 133. 120Max Kommsrsll, "Dis Sprache und das Unsussprschlichs. Eine Betrachtung fiber Heinrich von Kleist", Geist und Buchstabs dsr Dich? tung. Goethe, Schiller, Kleist, Hfildsrlin, 4. Aufl. (Frankfurt a.M.: Vsrlag Klostsrmann, 1956), S. 311-312. Kommsrsll bezeichnet dis Liebe als das "Genie dss Vsrstshsns." Allsrdings vsrlsrnsn dis Lisbendsn disses Vsrstshsn, indem sis mit andsrsn zusammsnlebsn. 121Philosophischss Wfirtsrbuch, S. 625. 122walter Silz, s. 362-363. 123Aus Kleists Brief an Maris von Kleist vom 17. September 1811 geht hervor, dsB er in ihr sins fibsraus gfitigs und milde Freundin bssaB, dis seiner Meinung nsch "das Paradiss" in ihrer Brust mit sich hsrumtragsn mfisss. (11,877-878) 243 124Vsrwisssn ssi hier auf Kleists Ausffihrungen "Von dsr Ubsrls- gung" (11,337—338), in denen sr das Leben als einen Kampf mit dem Schicksal bezeichnet, in dem sich mit dem Handsln wis mit dem Ringsn vsrhalts. Dis Ubsrlsgung finds "ihren Zeitpunkt weit schicklichsr nsch, 313.223 dsr Tat," ds die in Augenblick dsr Handlung notwsndige Kraft durch dsn Zwang dsr Entscheidung bssintrfichtigt werds und somit nsch dsr Tat ksins Mbglichksit dsr Vsrwirrung oder Hemmung sinzutrstsn vermag. 125Gerhard Fricks, S. 138. 1251bid., s. 136-137. 127Walter Mfillsr-Ssidsl, "Dis Struktur dss Widerspruchs in Kleists Marquise von 0...", WdF, Bd. 147, S. 252. 128Gerhard Fricks, S. 71. 1291bid., s. 75. 130Jfirg Aggsler, Dsr weg von Kleists Alkmens (Frankfurt a.M.: Peter Lang, 1972), S. 78. 131Benno von Wisss, "Dss Msnschsnbild Heinrich von Kleists", Der Mensch in dsr Dichtung(Dfisssldorf: August Bagel Verlag, 1958), So 179-180. 132Ph11080phischss Wfirtsrbuch, S. 363. Disser Lisbssbsgriff stammt aus Nic. Hartmsnn, Ethik, 1949. 133Ibid., 3. 364. 134H. A. Korff, s. 274-276. 135Elisabeth Heptner, S. 94-95. 135H. A. Korff, s. 77. 137Ernst von Rsusnsr, Satz Gestalt Schicksal (Berlin: Walter de Gruyter & Co., 1961), S. 45. Auch Rsusnsr wsist darauf hin, dsB Psn- thssilss und Achill ansinandsr vorbsilebsn. Schon in dem, wie obsrb flfichlich Achill Psnthssilsss Amazons-sein versteht, zeigt ss sich, daB beids sittlich suf vsrschiedsnsn Ebensn stehen. 138B. A. Korff, s. 284. 1'59Sisgfrisd Bsrtsls, "Vsrmittlung dsr ngensfitzs in dsr Dichtung . Heinrich von Kleists. Bfirgsrlichs Subjsktivitfit im Konflikt mit hofi- schsn Machtvsrhfiltnisssn" (Diss. Frankfurt), 1972, S. 87. 14°Clara Kuoni, s. 244. 244 141Harry W. Paulin, "Kohlhaas and Family", §§_52, S. 179-182. 142Vgl. Anmsrkung Nr. 103. 143Harry Paulin, S. 170-182. 144Oskar Rittsr von Xylandsr, "Heinrich von Kleist und J. J. Rousseau", GSt, Heft 193 (Berlin: Vsrlsg Emil Ebsring, 1937). S. 344. 145Clara Kuoni, S. 248. 1451bid. 1471bid., s. 224. 148Walter Mfillsr-Ssidsl, "Heinrich von Kleist und die Wahrheit dss Menschsn," Stoffs Formsn Struktursn, Hg. Albert Fuchs und Helmut Motskst (Mfinchsn: Max Husbsr Verlag, 1962), S. 333-334. 149Clara Kuoni, S. 226. 150Kurt Semela, s. 59. 151Clara Kuoni, S. 231. 1521bid., s. 235. 153Gerhard Fricks, S. 144-145- 154Philosophischss Wfirtsrbuch, S. 363- Bibliographis 1. Kleists Werke Kleist, Heinrich von. ssmtlichs Werke und Briefs, 2 Bds., 4. Aufl. Hg. Helmut Ssmbdnsr. Mfinchsn: Carl Hanssr Verlag, 1965. Kleists Werke, 1 Bd. Hg. Gerhard Stsnzsl. Sslzburg: R. Kisssl, 1967. Dis Berliner Absndblfittsr Heinrich von Kleists, ihre Qusllsn und ihre desktion. Hg. Helmut Ssmbdnsr. Berlin: Wsidmsnnschs Vsrlsgs- buchhandlung, 1939. 2. Bibliographisn und Forschungsbsrichts Kluckhohn, Paul. "Klsistforschung 1926-1943." DVLG, 21 (1943), Refs- ratsnhsft, 45-87. Krsuzsr, Helmut. "Kleist-Literatur 1955-1960." DU, 13 (1961), 2, 116-55. 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