THESIS llllHIHILHIHH 1111111111111111111111 L ,3- 1293 10604 7917 LIBRARY 3 I? Michigan State 5, ' 1' i1 Universty /. i .. . _ . .‘ This is to certify that the thesis entitled VIER POLE EXPRESSIQNISTISCHER PROSA STUDIEN zu DEN ERZAHLFORMBN EXPRES- SIONISTISCHER WERKE VON KASIMIR EDSCHMID, CARL EINSTEIN, ALFRED DUBLIN UNDresented by AUGUST STRAMM JOSEPH LAWRENCE BROCKINGTON has been accepted towards fulfillment of the requirements for PhLD. degree in anuage and Literature 2322/ Major professor Date £231 /?~ «7 0-7639 OVERDUE FINES: 25¢ per du per its Inf}; ‘ mumuc mam MATERIALS. 1‘ ‘ ,\“. ‘3‘ ”2! Place in book retu mm to remove L “Jr” a charge from circulation records 17 11278 WW1 VIER POLE EXPRESSIONISTISCHER PROSA STUDIEN ZU DEN ERZAHLFORMEN EXPRESSIONISTISCHER WERKE VON KASIMIR EDSCHMID, CARL EINSTEIN, ALFRED DOBLIN UND AUGUST STRAMM BY Joseph Lawrence Brockington A DISSERTATION Submitted to Michigan State University in partial fulfillment of the requirements for the degree of DOCTOR OF PHILOSOPHY Department of German and Russian 1981 C) Capyright by JOSEPH LAWRENCE BROCKINGTON 19 8 1 ABSTRACT VIER POLE EXPRESSIONISTISCHER PROSA STUDIEN ZU DEN ERZAHLFORMEN EXPRESSIONISTISCHER WERKE VON KASIMIR EDSCHMID, CARL EINSTEIN, ALFRED DOBLIN UND AUGUST STRAMM By Joseph Lawrence Brockington Long considered to be clearly inferior to the other genres, the prose of German Expressionism has recently begun to receive the critical attention it deserves. However, even newer studies seldom focus on expressionist prose as their main topic. (Chapter I) This dissertation is an analysis of prose works by Kasimir Bdschmid (Die sechs Mfindungen), Carl Einstein (Bebuguin), Alfred D8b1in (”Die Brmordung einer Butterblume", "Die Tanzerin und der Leib", and "Der Kaplan"), and August Stramm ("Der Letzte") and includes a discussion of the narrative theories of these authors. (Chapter II) The study proceeds from the premise (as its working hypothesis) that underlying the individuality of the theories, styles, themes, and goals of expressionist writers, there is a common i n t e n s i t y of experience which shows itself in specific elements of the narrative form of these works. The analytical instrument used in the study of these narrative forms employs a phenomenological method based on R. Ingarden's Das literarische Kustwerk and concentrates Joseph Lawrence Brockington specifically on language, that which is portrayed by language (time-place, metaphor, character, etc.), story-plot-causality, and the narrator and the point of view. (Chapter III) The concept of "poles of expressionist prose" refers to specific variations in the narrative form of the works examined, which are due to different methods of depicting intensity of experience. The analysis defines four poles within the prose of Expressionism based on typical narrative forms and does not preclude the existence of other "poles". Labeled according to the element which was seen to have the greatest influence over the structure of the narrative form as a whole, the poles are: "Expressionismus der Sprache” (Edschmid), "Expressionismus des sprachlich Dargestellten" (Einstein), "Expressionismus der Handlung" (DBblin), and "EXpressionismus des Erzahlens" (Stramm). (Chapters IV-VII) The analysis also reveals three common tendencies among the works discussed: the search for new possibilities of language and expression, the use of narration from the protagonist's point of view, and a preference for shorter prose forms. (Chapter VIII) Meiner Frau und meinen Sohnen gewidmet iii ACKNOWLEDGMENTS I am deeply indebted to my major professor and disser- tation director Dr. Kurt W. Schild of Michigan State University for his suggestions and patient guidance as this project progressed from term-paper to Examensarbeit to dissertation. I must also thank the other members of my doctoral committee, Dr. Raimund Belgardt, Dr. Heinz Dill, and Dr. Mark Kistler, for their suggestions regarding the project and its final draft. Thanks are also due to the Germanistic Society of America and the Fulbright Kommission in Bonn for their grant- support for a research year at the Universitat zu Kbln (1977- 1978) and to Prof. Dr. Rolf Chr. Zimmermann and Dr. Jfirgen Zenke of that university for their assistance during that year. I wish to thank the Faculty DevelOpment Committee of Kalamazoo College for a grant to defray the costs of the preparation of the manuscript and my students, Hans-Georg Hesse, Martina Hallberg, and Bridget Lahti for their assis- tance with proof-reading and typing. Lastly I must thank the Erwin H5121 family of West Berlin, without whom this project could never have been begun, and my wife and my family for their loving patience during its completion. JLB IV II. III. GLIEDERUNG EINFUHRUNG A. FORSCHUNGSUBERBLICK B. ARBEITSDEFINITION EXEMPLARISCHES ZUR THEORIE EXPRESSIONISTISCHER PROSA A. B. C. DAS ANALYTISCHE INSTRUMENTARIUM ZUR ERSCHLIESSUNG DER ERZAHLFORMEN EXPRESSIONISTISCHER PROSA A. KASIMIR EDSCHMID ALFRED DOBLIN CARL EINSTEIN DIE ELEMENTE DER ERZAHLFORM 1. Das Element der Sprache a. Wortlaut, Wortbedeutung b. Satz und Syntax c. Rhythmus Das Element des sprachlich Dargestellten Das Element der Handlung und der Kausalitat Das Element des Erzahlers und der Erzahlperspektive 13 16 18 25 31 38 40 40 41 42 42 43 44 45 EXKURS: IV. B. SPRACHTHEORETISCHE VORAUSSETZUNGEN DER EXPRESSIONISTISCHEN PROSA ZUR DEFINITION DES BEGRIFFS "POL" ERSTER POL: EXPRESSIONISMUS DER SPRACHE AM BEISPIEL VON KASIMIR EDSCHMIDS DIE SECHS MUNDUNGEN A. DIE VORBEDINGUNGEN; DIE TEXTE B EDSCHMIDS VISIONARE SEHWEISE C. ZUR SPRACHE DER SECHS MUNDUNGEN D DIE VISIONARE SEHWEISE UND DAS SPRACHLICH DARGESTELLTE 1. Die Exotik der Raum-Zeit-Dimension 2. Die "fibersteigerte" Metaphorik 3. Charaktere E. DIE AUFBRUCHSKAUSALITAT DER HANDLUNGEN F. DIE VISIONARE ERzAHLWEISE G. ZUSAMMENFASSUNG ZWEITER POL: EXPRESSIONISMUS DES SPRACHLICH DARGESTELLTEN AM BEISPIEL VON CARL EINSTEINS BEBU UIN A. DIE VORBEDINGUNGEN; DER TEXT B. CARL EINSTEINS SUBJEKTIVE SEHWEISE UND DIE "UNOPTISCHE VERKNUPFUNG DER WORTE" C. DAS SPRACHLICH DARGESTELLTE ALS "SYMPTOM" 1. Raum und Zeit als Qualitaten a. Die Zeit b. Der Raum vi 47 52 55 55 6O 61 65 65 66 7O 72 77 79 81 81 84 92 94 94 97 VI. EXKURS: VII. 2. Die dargestellten Charaktere als "Schicksale" D. DIE HANDLUNG ALS ERLEBNISPROZESS E. EINE SUBJEKTIVE ERZAHLWEISE F. ZUSAMMENFASSUNG DRITTER POL: EXPRESSIONISMUS DER HANDLUNG AM BEISPIEL VON ALFRED DOBLINS "DIE TANZERIN UND DER LEIB", "DIE ERMORDUNG EINER BUTTER- BLUME" UND "DER KAPLAN" A. DIE VORBEDINGUNGEN; DIE TEXTE B. ALFRED DOBLINS "NATURALISTISCHE" SEHWEISE UND SEIN "KINOSTIL" C. "KINOSTIL" UND DIE SPRACHE UND DAS SPRACHLICH DARGESTELLTE 1. "Kinostil" und Sprache 2. "Kinostil" und das sprachlich Dargestellte D. DIE HANDLUNG ALS LEBENSEREIGNIS DER PSYCHOLOGISCHE IRRWEG E. DER ERZAHLER F. ZUSAMMENFASSUNG VIERTER POL: EXPRESSIONISMUS DES ERZAHLENS AM BEISPIEL VON AUGUST STRAMMS "DER LETZTE" A. DIE VORBEDINGUNGEN; DER TEXT B. ZUR MOGLICHKEIT EINER LYRISCHEN SEHWEISE C DIE LYRISCHE SPRACHE DES BEWUSSTSEINS- STROMES vii 99 101 111 113 116 116 120 123 123 127 131 142 144 145 147 147 149 152 D. DAS SPRACHLICH DARGESTELLTE ALS "LITERARISCHER POINTILLISMUS" E. DIE HANDLUNG ALS SEINSERFAHRUNG F. ZUSAMMENFASSUNG: EINE LYRISCHE ERZAHLWEISE VIII. SCHLUSSBETRACHTUNGEN A. VIER POLE EXPRESSIONISTISCHER PROSA B. GEMEINSAME FORMALE TENDENZEN DER " DARSTELLUNG EINER ERFAHRUNGSINTENSITAT Anmerkungen Literatur viii 154 157 161 163 163 166 169 181 I. EINEUHRUNG Nach jahrzehntelanger Vernachlassigung der Bedeutung der expressionistischen Prosa hat die Literaturkritik der jfingsten Vergangenheit dieser Gattung das ihr gebfihrende Recht ein- geraumt. Soergel verstellt 1925 den Zugang zu den Erzahl- formen der Epoche durch Vorurteile folgender Art: nur in der Lyrik lieBen sich Dichter von Rang nachweisen, und das "Experiment in der Prosa" k5nne am wenigsten Erfolg haben, denn Prosa brauche jenes volle und reiche "Fleisch", von dem in der intellektuellen Lyrik nur ein paar Fetzen genfigten. Es gabe kein einziges groBes Werk in der expressionistischen Prosa, und die entsprechenden Versuche--soweit sie ernst zu nehmen seien--h§tten scheitern miissen.1 Brinkmann urteilt in seinem Forschungsbericht fiber den Expressionismus noch 1960: "Den bescheidensten Raum in diesem Bericht nimmt die expres- sionistische Prosa ein. Hier ist das meiste fast vergessen."2 Sogar noch 1964 scheint Kahler Soergels Meinung zu sein: Der unwillkfirlich sich bietende Ausdruck ffir diese Tendenzen (Aufrufe, Manifeste, "Schreie", Klagen und Anklagen, Parolen von Mensch, Leben, Geist-- d. Verf. ) ist das Gedicht oder das Drama. So sind die Formen,. in denen der Expressionismus am reinsten und gemaBesten erscheint, Lyrik und Drama. Prosa ist zu gestreckt, zu gelassen fur emotionelle Eruptionen; sie erlaubt nicht die dringliche unmit- telbare Aussprache von Mensch zu Mensch, die der Expressionismus fordert. Die EXPRESSIONISTISCHE PROSA ist daher wesentlich ein Nebenprodukt der Bewegung, und obzwar sie wohl einen spezifischen Stil entwickelt hat3 ist sie stilistisch kaum jeweils unvermischt. Anhand dieser wenigen Beispiele des geistigen Klimas der expressionistischen Prosa gegenfiber wird verstandlich, warum die Anerkennung und die Wiederentdeckung dieser Prosa hinter denen der Lyrik und des Dramas im Expressionismus weit zurfickgeblieben ist. Auch heute ist es vielleicht noch zu frfih, um von einer Renaissance dieser Prosa zu sprechen, aber ein Wandel kfindigt sich an. Neue Ausgaben, oder fiber- haupt Erstausgaben der ”gesammelten Werke" expressionistischer Prosaisten sind erschienen.4 Ferner gibt es Monographien und Er3rterungen ihrer Theorien.S Sowohl die Kreise um den Sgugm und die Aktion als auch die Dichter- und Literaten- kreise der Epoche haben ihre Darsteller gefunden.6 Bin Anfang zur ErschlieBung der expressionistischen Prosa ist gemacht worden, aber es bleibt nur ein Anfang, eine Andeutung dessen, was noch zu entdecken ist. A. FORSCHUNGSUBERBLICK Dieser Anfang ist aber nicht unvorbereitet, denn es gibt eine Literatur zur Prosa des Expressionismus, so sparlich sie auch sein mag, die voran ging.7 Diese Forschung last sich in zwei allgemeine Gruppen aufteilen: in Motiv-Untersuchungen und in Gesamtdarstellungen, die zum groBen Teil auf Stil- untersuchungen basieren. Eine der frfihesten Motiv-Untersuchungen ist die Leipziger Dissertation aus dem Jahre 1934 von Wolfhart Klee: "Die charakteristischen Motive der expressionistischen Erzahlungsliteratur." In seiner Arbeit untersucht Klee die Schichten des Lebendigen, "die in Kunst und Kfinstler nicht nur sich selber meinen, sondern Ursachen und Wirkungen er5rtern, verwerfen und projektieren."8 Dazu fast er die Motive der expressionistischen Prosa zusammen und will das Phinomen "aus der psychologischen Erwagung, daB die Prosa einer "sachlichen" AuBerung der Welt am meisten konform ist.” (ebd.) Er bespricht acht Motiv- und Problemkreise, die zugleich die Kapiteleinteilung der Arbeit darstellen. Die ersten vier: "Kampf gegen den Bourgeois", "Der Krieg", "Kampf der Generationen" und "Der zerstarte Mensch" stehen unter der Rubrik "Der Mensch ist schlecht" und sind Ausdruck einer Kritik an der Vergangenheit und der Gegenwart. (S. 15) Die zweite Vierergruppe: "Individuum oder Gemeinschaft", "Die GroBheit des Einzelnen", "Die H6he des Geffihls” und "Neue Ziele--neues Menschentum" sind der Kategorie "Der Mensch ist gut zugeordnet und bezeugen einen Optimismus der Zukunft gegenfiber. (S. 15 und 127) Im Pessimismus sieht Klee auf Seiten des Expressionismus eine Hingabe an totale Kritik, die letzten Endes in Kraftlosigkeit und impotente Labilitat mfinde, denn es gebe nur Verzweiflung und Destruktion und keinen Aufbau. (S. 90-91 und 142) Im Optimismus sei die Hinwendung zum realpolitischen Bereich. Da diese Richtung auf einem sittlichen a priori des Menschen basiere, fehle ihr die Anerkennung der Freund-Feind-Opposition, die fiir wirklichkeitsnahe Politik n5tig sei. (S. 139) Es ist noch hinzuzuffigen, daB es Klee nicht in erster Linie um eine Darstellung expressionistischer Prosa an sich geht, sondern um eine Erlauterung charakteristischer Motive. Die Prosa war nur der bequemste Gegenstand ihrer Erforschung. In seiner Dissertation: "Bedeutung und Gedanke der Einheit in der expressionistischen Prosa" (Rostock 1949) will Otto Schneider "ein wesentliches Moment der Einheit-- die Ekstase--bis zur begrifflichen Harte analysieren und seine gedankliche Objektivation als Idee der Einheit in der expressionistischen Prosa von Programm, Theorie und Roman aufweisen." (S. 8) Schneider beginnt mit der Erarbeitung einer Definition des "ekstatischen Erlebnisses", die er zumeist aus nicht literarischen Quellen entnimmt. Solche Erlebnisse sind Darstellungen der "Objektivation einer in der gesteigerten Zustandlichkeit gemachten Erfahrung, deren falligstes Kennzeichen die Welt-Mensch-Einheit ist." (S. 26) Nach der Betrachtung der literarischen Gestaltung dieser Einheit bei Brager, Sack, Meurink, Ewers, Zweig, Brod und Klabund kommt Schneider zu dem Ergebnis, daB die Einheit einen Dualismus bei den jeweiligen Helden auslase: "Nach der Ein- heit streben alle Helden. Durch ein momentanes Erlebnis der Einheit werden sie sich ihrer Disharmonie fiberhaupt bewuBt. Und darum stellt die Einheit in der erlebnishaften Erfahrung ein konstitutives Element ihres Dualismus dar." (S. 120) Collette Dimic in ihrer Freiburger Dissertation "Das Groteske in den Erzfihlungen des Expressionismus: Scheerbart, Mynona, Sternheim, Ehrenstein und Heym" (1960) beabsichtigt nicht nur eine Darstellung und Erarterung grotesker Motive, sondern fragt auch, ob sich das Groteske bei diesen Autoren auf groteske Zfige beschrankt, oder sich zum Grotesken an sich verdichtet. (S. 224) Das Groteske, wie Dimic den Begriff anwendet,ist "eine das Sinnlose verbildlichende Struktur", die nicht Unsinn sein soll, sondern Protest gegen einen Sinn. (S. 6 und 49) In Anlehnung an W. Kaysers Definition stellt Dimic zwei Bereiche des Grotesken auf: 1. das satirische Groteske, eine zeitgebundene karikaturistische Verzerrung, eine Ubertreibung ins MaBlose; und 2. das phantastische Groteske, ein zeitloses, metaphysisches Sich-Uberlassen an ehuaPhantasie, die das BewuBtsein der Irrealitfit ihrer Gebilde verliert und sich im Schaffensvorgang auf den Wach— und Alp- traum stfitzt. (S. 49) Dimics Untersuchungen erweisen, daB das Groteske in der Prosa des Expressionismus hauptsachlich als groteske Zfige vorhanden sei und nicht als vollkommene Grotesken. (S. 239) Ferner sei in den Grotesken und grotesken Zfigen "das Scheitern des-Versuches, die Dekadenz durch Humor und Ironie zu fiberwinden." (ebd.)9 Das Groteske dieser Prosa entstehe aus einer konkreten, unmittelbaren Kritik an gewissen bfirgerlichen und modernen Zustfinden. Dadurch bleibe es fast immer satirisch sinnvoll und diene manchmal auBerliterarischen Zwecken, was eine Verharmlosung und Verflachung des Grotesken bedeute. (ebd.) Die Problemstellung, mit der sich Gunter Martens in seinem Buch: Vitalismus und Expressionismus (1971) befaBt, beschrankt sich nicht nur auf die Prosa im Expressionismus, sondern behandelt auch die Lyrik und das Drama.10 Martens dehnt seine Untersuchungen auf Werke von Frank Wedekind, Else Lasker-Schfiler, René Schickle, Ernst Stadler, Georg Heym und Georg Kaiser aus. Ziel seiner Arbeit ist es, die beiden so unterschiedlich bewerteten Wirkungskrafte, Vitalismus und Expressionismus, aufeinander zu beziehen und ihren gegen- seitigen Zusammenhang aufzudecken. (S. 13) Martens sieht die Funktion seiner Arbeit "nicht in erster Linie in der Aufdeckung einer wichtigen Quelle ffir den literarischen Expressionismus", sondern betrachtet sie als einen "Schritt zu Aufhellung von Wirkungslinien, in denen wir heute noch befangen sind." (ebd.) Es gelte nicht, das Faktum des Vitalismus zu konstatieren, sondern das Wie seiner Erscheinungsweise. (S. 14) Aus dieser Problemstellung heraus und im Bezug auf die Strukturen des expressionistischen Vitalismus kommt Martens zu dem SchluB, daB "auch der Expressionismus--trotz seines revolutionaren Pathos—-in einer geistesgeschichtlichen Sterung verhaftet blieb, die seit dem Ende des vorigen (d.h. 19.--der Verf.) Jahrhundertsdas kulturelle Leben in Deutschland prfigte." (8.289) Diese Sterung bekam ihren AnstoB von Nietzsche und den Lebensenthusiasten, die die StoBrichtung und das Vokabular dieser Zeit- und Kulturkritik bestimmten. Auch wenn dieser literarische Vitalismus keine einheitliche Stramung ist, offenbart sich darin eine kaum fibersehbare epochaltypische Ubereinstimmung der Problematik. Sie reprisentiert zwei Bestimmungen: "die Bewegtheit und die daraus sich ergebende Opposition gegen jede Form des Stillstandes und der Erstar- rung." (S. 290) Martens sieht als konstituierendes Motiv innerhalb der dynamischen Konzeption des Vitalismus, die seine Autoren miteinander verbindet, ”den Willen zum Bruch mit den fiberkommenen Traditionen." (S. 291) Geistesge- schichtlich gesehen, sei die Position des Expressionismus in der Entwicklung der deutschen Literatur mit der von 11 Nietzsche in der Phi1050phie zu vergleichen. In seiner Studie Literatur der Existenz (1977) behandelt Thomas Anz epische, dramatische und lyrische Werke, die zwischen 1910-1914 entstanden oder erschienen sind, von 12 verschiedenen Autoren. Anz untersucht die These, daB sich seit etwa 1900 in der deutschen Geistes- geschichte verstarkt Tendenzen zu "existentiellen" Problemstellungen bemerkbar machen, die Dichtung und Philosophie auf jeweils eigenstandige Weise zum Ausdruck bringen. Dabei geht die Existenz— literatur der Existenzphilosophie zeitlich vor- aus. Die existentielle Dichtung ist bereits ab 1910 voll ausgebildet und nicht zu ubersehen, die ihr entsprechende Philosophie erst gut ein Jahr- zehnt spater. (S. 3) Anhand einer Darstellung des Vokabulars und der Bildlichkeit der Existenzliteratur sowie einer Er8rterung der "Entfrem- dung als Erfahrung und Denkform im Expressionismus" und der aus ihr resultierenden "Angst" sieht Anz "mit der Literatur der Existenz in der Geschichte der deutschen Literatur um 1910 einen Funktionswandel, der fiber die Zeit des Expressionismus hinaus ffir das Selbstverstfindnis 'moderner Kunst' konstitutiv bleibt . . ." (S. 167) Anders als verschSnernd, ausgleichend oder eine positive, harmo- IfischeGegenwelt antizipierend, wirke die Literatur der Existenz Entfremdung und Angst anstoBerregend. (ebd.) In ihrer Negativitat wird diese Literatur "zu einer Instanz, die der Gesellschaft die andauernde Uberprfifung ihrer Normen, Werte, und Deutungsmuster abfordert." (S. 175) Mit diesen Bemerkungen zu der Arbeit von Anz 5011 die Betrachtung der ersten Gruppe der Forschungsliteratur, die der Motiv-Untersuchungen, zunachst abgeschlossen werden. Der Blick wird nun also auf die zweite Gruppe, die der Gesamt- darstellungen der expressionistischen Prosa, gerichtet, deren frfihester Vertreter Albert Soergel ist. EbergelsStellungnahme zur Prosa des Expressionismus wurde schon am Anfang dieser Studie dargestellt. In dem Kapitel "expressionistische Lyrik und Prosa" (a.a.0.), das sechsunddreiBig Seiten umfaBt, erstreckt sich die Behandlung der Prosa lediglich fiber dreieinhalb Seiten. Dabei werden auch nur zwei Schriftsteller besprochen: Kasmir Edschmid und Paris von Gfitersloh.13 Als Grund des "Scheiterns" der expressionistischen Prosa behauptet Soergel: "Er erscheint uns heute als selbstverstandlich, daB man kein groBeres Prosawerk ohne 'Fleisch', also ohne Fabe1,Anschauung, zentrale Figur, erzahlenswerte Handlung und andere Urelemente des Epischen schreiben kann. . . die wahre Form des Expressionismus war die Lyrik, und deren Gesetze lieBen sich nicht auf die Prosa fibertragen. Epische Qualitaten erweisen sich, wie die eines trabenden Pferdes, erst auf lange Strecken. " (S. 184) Mir ihrer Tfibinger Dissertation "Studien zur Entwicklung der expressionistischen Novelle" (1954) hat Inge Jens die Aufmerksamkeit der Forschung wieder auf dieses Thema gelenkt. [H12detailliertediachronische Betrachungsweise will die Entwicklung dieser Prosaform von ihren Anffingen etwa bei Hofmannsthal ("Ein Brief") bis zu dem Werk Kafkas zeigen. I. Jens, gemaB der Zielsetzung ihrer Arbeit, beabsichtigt keine umfassende Deutung des Phfinomens Expressionismus (von der Entwicklung des Stils oder der Novellenform ist auch nicht die Rede--vg1. I. Jens 8.2). Ihre Arbeit versuche, durch eine genaue, vom Text ausgehende Interpretation einzelner, besonders typischer Prosawerke zu einem Verstfindnis des Expressionismus beizutragen. (ebd.) Die eigentliche Richtung der Arbeit bleibt, trotz der Zusammenstellung einiger Stil- elemente im letzten Kapitel, letztlich ungewiB. Ahnlich wie Klee (a.a.O.) wahlt I. Jens die Prosa des Expressionismus als Untersuchungsobjekt, weil Prosa beschrfinkter als Lyrik und Drama auftrete und eindeutiger sei. (8.3) Das groBe Verdienst dieser Arbeit bleibt es jedoch, der Prosa des Expressionismus als Forschungsthema neue Aktualitat verliehen und den Platz dieser Prosa im Expressionismus betont zu haben. Helmut Liede beabsichtigt in seiner Freiburger Disser- tation: "Stiltendenzen expressionistischer Prosa" (1960) eine Untersuchung des Stils expressionistischer Werke von ffinf Schriftstellern (Dfiblin, Sternheim, Edschmid, Heym und Benn), denen je ein Kapitel der Arbeit gewidmet ist. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse der ffinf Kapitel wird von Liede nicht unternommen, denn er wolle die Besonderheit der einzelnen Autoren nicht schmfilern. Das Ziel der Arbeit sei, "die Bewegung des Denkens gerade am Widerstand fihnlicher Phfinomene durch wachsende Intensitfit der Darstellung weiter- zutragen." (S.IX) Diesem Ziel unterliegt die These: 10 'Expressionismus' bezeichnet eine Endphase der bfirgerlichen Literatur, in der das Individuum, das wahrend des 18. und 19. JahrEunderts in Deutschland seine Autonomie versaumt hat, nun-— angesichts der Ubermacht kollektiver Gewalten-- den letzten, verzweifelten Versuch unternimmt, sich auf sich selbst, auf die seinem eigenen Begriffe nach verbfirgte Selbststandigkeit zu besinnen. (S. III) In ihren zwei Aufsatzen bringen Erich von Kahler und Walter Sokel total entgegengesetzte Meinungen fiber die Prosa des Expressionismus zum Ausdruck. In seinem gleichnamigen, anfangs schon zitierten Aufsatz aus dem Jahre 1964 sieht Kahler die Lyrik oder das Drama als die adiquatesten Aus- drucksmedien hnExpressionismus. Die Prosa bleibt weit zurfick an dritter Stelle, denn "die Prosa ist zu gestreckt, zu gelassen ffir emotionelle Eruptionen; sie erlaubt nicht die dringlich unmittelbare Aussprache von Mensch zu Mensch, die der Expressio- nismus fordert." (a.a.O. S. 165) Daher sei die expressio- nistische Prosa im wesentlichen ein Nebenprodukt der Bewegung. (ebd.) Trotz dieser Bemerkungen will Kahler dennoch einige Stilzfige dieser Prosa nachweisen. Dies geschieht anhand von Vergleichen mit realistischen und naturalistischen Vorbildern deutscher und franzfisischer Herkunft. Was den Stil angeht, bezeichnet er Dfiblins "Die Tanzerin und der Leib" als die "Apotheose" expressionistischer Prosa. Diese Kurzgeschichte, die 1910 geschrieben wurde, "wird zu einer ffirmlichen Orgie expressionistischer Prosa. Syntax wird aufgelfist. . . Satz- konstruktionen verdichtet in Verbalkontraktion. Sprache wird zu einem sublimen blitzhaften erleuchtenden Gestammel. . ." (S. 219-220) 11 In seinem Aufsatz "Die Prosa des Expressionismus" bringt Walter Sokel eine der komplettesten und fiberzeugendsten Betrachtungen des gesamten Bereiches expressionistischer Prosa.14 In Hinblick auf diese Gattung will Sokel die entscheidende Frage nach der literarischen Beschaffenheit des Expressionismus stellen. (S.153) Sokel sieht eine Zweiteilung innerhalb der expressionistischen Prosa und bestimmt die Erzfihltheorien, -prinzipien und-tendenzen von Alfred Dfiblin und Carl Einstein als Kriterien dieser Teilung. Charakteristisch ffir beide Autoren und die mit ihnen "verwandten" Gruppen sind die Ableh- nung der Psychologie, eine Herabsetzung des Wertes der Handlung und im sprachlichen Bereich eine Neigung zur Kfirze, Wucht und Pragnanz des Ausdrucks. Beide Erzahlprinzipien unterscheiden sich aber auf eben diesen Gebieten. Dfiblin zum Beispiel sieht in der Psychologie "die unstatthafte Einmischung eines kommen- tierenden und analysierenden Erzfihlers, durch den die Autonomie des Dargestellten beeintrachtigt wird," (8.154) wahrend Einstein darin den Verrat der eigenstandigen Form des Kunst- werks an das mimetische Prinzip sehe. (ebd.) Dfiblin wollte statt der Handlung Ablfiufe, die im 'Kinostil' dargestellt werden sollten. Einstein hingegen tendiere zu dem Geistigen, zu Vorstellungen, die monologischer, kommentierender, aphori- stischer Weise gebracht werden mfiBten. Die Zweiteilung durch- zieht den ganzen Aufsatz, sie wird jedoch keineswegs gewaltsam chnchgeffihrt. NaChSokel sind es die Tendenzen eines Werkes, welche dessen "Verwandtschaft" mit dem einen oder anderen Erz§hlprinzip konstituieren. 12 In seinem Buch, Prosa des Expressionismus (1972), will Armin Arnold deren Herkunft untersuchen und einige Analysen und ein Inventar expressionistischer Prosa bringen.15 Er beabsichtigt, diesen "weiBen Fleck auf der Karte der deutschen Literatur mit Landschaftzeichen zu versehen." (S. 7) Der GroBteil der Arbeit ist den Analysen gewidmet. Hier werden "einige bedeutende, vernachlfissigte oder falsch eingeschitzte Autoren expressionistischer Romane unter die Lupe" genommen. (S, 56) Er konzentriert sich dabei auf Werke von Franz Jung, Kasimir Edschmid, Otto Flake, Michael Artzybaschew und Curt Corrinth. Der erste Teil der Arbeit behandelt die Herkunft der expressionistischen Prosa und versucht in wenigen Seiten Antwort auf Fragen nach der Identitfit der Prosaisten dieser Epoche zu geben. Auch untersucht er den EinfluB zeit- genfissischen Geschehens auf diese Prosa. Der dritte Teil ist das "vorlfiufige" Inventar der Prosa der Expressionisten, (S. 166) ein Katalog der Werke jener Autoren, die als expres- sionistisch angesehen werden kfinnen. Diese sehr interessante und auch nfitzliche Zusammenstellung ware noch interessanter und nfitzlicher, wenn die Kriterien der Auswahl genannt worden wiren. Damit sei der zweite Teil des Uberblicks fiber die Forschungsliteratur abgeschlossen.16 Zusammenfassend lassen sich folgende Tendenzen dieser Untersuchungen expressionistischer Prosa konstatieren: 1. Epische Formen der Epoche werden als Untersuchungsobjekte gewihlt, weil man glaubt, aus der Prosa 13 Typisches ffir alle Gattungen erfahren zu kfinnen. 2. Ein Teil der Ergebnisse der Motivforschung expressionistischer Prosa wird Opfer vorschnellen Erklarens von Motivbedeutungen, ohne genfigend nach der Funktion im Kontext zu fragen. 3. Bei Stilanalysen und Gesamtdarstellungen offenbart sich eine seltsame Unlust, gewonnene Teilergebnisse auf gemeinsame Bedeutungen und Funktionen zu befragen. 4. Trotz gesteigerter Aufmerksamkeit der Forschung ffir die Prosa des EXpressionismus sind einige Vorurteile gegen diese expressionistische Form haften geblieben. Die neuesten Arbeiten, etwa die von Anz, Martens und Vietta/Kemper, haben sich vom EinfluB der Soergel'schen (Vor)urteile fast vfillig befreit, behandeln die Prosa des Expressionismus jedoch nicht als Hauptthema. Die Gattung verdient intensivere Analysen. B. ARBEITSDEFINITION Die hier vorliegende Arbeit beschfiftigt sich ausschlieB- lich mit Kurzprosa des Expressionismus und setzt sich dabei als Ziel, eine genauere Untersuchung, eine genauere A n a l y s e von Erzahlformen dieser Prosa zu leisten. Es wird erhofft, mit Hilfe dieser Analysen grundlegende Anhalts- punkte zur Klfirung vom Wesen und von den Formen expressionistischer Prosa zu definieren. Die Analyse bedient sich einer phfinomeno- logischen Betrachtungsweise und geht von folgender Primisse (als Arbeitshypothese) aus: 14 Die expressionistische Bewegung wird getragen von individuellen Kfinstlern, d. h. von I n d i v i d u e n, die auf individuelle Art schreiben (malen usw. ) und die in ihren Werken individuelle Ziele verfolgen. Dieser Individualitat liegt aber (und aus diesem Grunde konnen entsprechende Individuen als Expres- sionisten klassifiziert werden) eine gemeinsame I n t e n s i t a t einer Erfahrung der Zeit, in der sie lebten, und der Menschen, mit denen sie lebten, zugrunde. Die Intensitat ihrer Erfahrung schlagt sich in einer spezifischen F o r m eines Kunstwerkes nieder. Diese Pramisse gelte ffir alle Kunstformen der Epoche, hier insbesondere ffir exemplarische expressionistische Kurzprosa. Aus der Ffille existierender ”Bauformen des Erzahlens" konzentrieren sich die folgenden Analysen auf vier Elemente: ein sprachliches, ein sprachlich entworfenes, ein handlungs- 17 Da diese Elemente im kausales und ein erzfihltechnisches. dritten Kapitel ("Das analytische Instrumentarium . . .") der vorliegenden Arbeit erklirt werden, sei hier auf eine weitere Definition verzichtet. Diese Arbeit wird sich auf Prosatexte beschrfinken, die zwischen 1905 und 1920 geschrieben oder verfiffentlicht worden sind. Dabei konzentriert sie sich primar auf die kleineren Prosaformen. Dieser Entscheidung liegen zwei Gedanken zugrunde: 1. Die Analyse kleinerer Prosaformen gestattet die Untersuchung einer verhfiltnismaeig groBen Anzahl von Texten. 2. Die Expressionisten selber schienen eine Vorliebe ffir die Erzfihlung und die ihr verwandten Formen gehabt zu haben. wahrend des Zeitraumes zwischen 1905 und 1920 wurden vergleichs- weise mehr Erzéhlungen (und Sammlungen von Erzahlungen) 18 verfiffentlicht als Romane. Die Frage, warum dies der Fall 15 war, wird im SchluBteil der vorliegenden Arbeit behandelt. Eine Definition dieser Kurzprosaformen im Expressionismus wird aber nicht gegeben. Da weder jeder Prosatext noch jeder, wahrend dieser Ara produzierende,Schriftsteller in Rahmen dieser Arbeit untersucht werden kann, muB sich die Analyse auf wenige Werke einiger Schriftsteller konzentrieren. Wie im Unter- titel bereits angegeben wurde, beschrfinkt sich die Konzen- tration auf Werke von Alfred Dfiblin, Kasimir Edschmid, Carl Einstein und August Stramm. Diese vier Schriftsteller und ihre Werke wurden als Hauptgegenstande der Untersuchung gewfihlt, weil sie 1. vier verschiedene "Pole" in der expres- sionistischen Prosa darstellen und 2. weil die Dichter neben ihren literarischen Werken auch theoretische Schriften verfaBt haben.19 II. EXEMPLARISCHES ZUR THEORIE EXPRESSIONISTISCHER PROSA Eine einheitliche oder gar eigentliche Theorie der expressionistischen Erzfihlkunst scheint es nicht gegeben zu haben. Sokel lamentiert, man stoBe zunachst auf den erstaunlichen Mangel an theoretischen Erwagungen, der eine literatur- wissenschaftliche Erfassung des Expressionismus unendlich erschwert. Die berfihmten Ergfisse der Edschmid, Kornfeld, Kaiser und anderen haben fast nichts fiber formale, stilistische und strukturelle Fragen der Dichtung zu sagen. (a. a. O. S. 153- 154) Selbst wenn sich aus der Ffille der Programme, Proteste, Kampf— schriften und Bemerkungen, die fastjeder Schriftsteller im Expressionismus verfiffentlicht, so etwas wie die Zfige einer Theorie herausarbeiten lieBen, so sind diese fast immer nur auf das eigene Werk bezogen (und sogar hier ist Vorsicht geboten) und lassen sich nur schwerlich auf andere Schrift- steller fibertragen. Ein Grund, warum dies der Fall ist, kann in Dfiblins Beschreibung des Phanomens "Expressionismus" gesehen werden. Die Tatsache dieser Bewegung, die man ruhig Expres- sionismus nennen kann, ist nicht zu bezweifeln. Es war und ist eine Bewegung, eine atmo- spharische Welle, wie ein wanderndes barometrisches Maximum oder Minimum. Keine Richtung, durchaus im Eegenteil: Garung ohne Richtung; etwa Zeit- stromung im Sinne von Brandes, nicht einmal so bestimmt und gezielt wie etwa ganz allgemein "Romantik". Einen wirklich bezeichnenden Namen kann das Ganze nicht, oder noch nicht haben; spricht man vom Expressionismusz so bezeichnet man den Wagen nach einem Rad; moglich ist, daB mit Expres- sionismus sich schon ein wesentlicher Einzelwille der Bewegung formuliert. (AZL 23) 16 17 Diese Uberlegungen ffihren zu zwei Fragen: 1. Warum ein Kapitel fiber die Theorie der expressionistischen Prosa, wenn es eine solche eigentlich nicht gegeben hat? 2. Wie kann Sokel von zwei Gruppen (eine 'um' Dfiblin und eine 'um' Einstein) sprechen, wenn Schriftsteller, Werk und Theorie so individualistisch waren? Auf die zweite Frage kann als Antwort gegeben werden: Sokel teilt die expressionistische Erzahlkunst in Gruppen anhand von "zwei unterschiedlichen Erzfihlprinzipien und -tendenzen, je nachdem ob sich ein Erzfihlwerk der Dfiblinschen oder der Einsteinschen Erzfihl- theorie annfihert." (a.a.O. S. 154) Die Gruppen sind insofern mit den Autoren nur "verwandt". Es sei auch an die Pramisse der vorliegenden Arbeit erinnert: Der Expressionismus wird von individuellen Kfinstlern getragen. Individualitfit der Person, der Theorie, des Werkes schlieBt keineswegs Verwandt— schaften der Erzfihlformen aus. In dieser Pramisse liegt auch die Antwort auf die erste Frage: Warum soll man die Theorie untersuchen? In der Behandlung der theoretischen AuBerungen einiger prominenter Prosaisten kann eine Orientierungsmfiglich- keit ffir die nachfolgenden Analysen geschaffen werden. Ist man sich der isthetischen Praokkupationen der zu untersuchenden Schriftsteller bewuBt, so lassen sich vielleicht einige MiB- verstandnisse schon vor den Analysen aus dem Weg rfiumen. Hinzu kommt Dfiblins Kommentar: "Der Autor ist durchaus nicht hundert Prozent Idiot in Bezug auf sein Werk." (AZL 88) In den folgenden Betrachtungen werden also die theoretischen Uberlegungen von Kasimir Edschmid, Alfred Dfiblin und Carl Einstein kurz dar- 18 gestellt. Ihre Zusammenfassung und Integration in das Erzihlwerk wird beiden.Ana1ysen ihrer Werke unternommen. Bin Versuch ihrer Deutung unterbleibt. A. KASIMIR EDSCHMID Gibt es einen Begriff, der als fundamental ffir Kasimir Edschmids theoretische Erwfigungen betrachtet werden kann, so ist dieser "die Vision" oder besser die "Vision des Kfinstlers." Dieser ffir Edschmids Theorie zentrale Begriff ist auch das Herzstfick seines Essays: "Uber den dichterischen Expres- sionismus" (1917), der zusammen mit einem zweiten Essay ("Uber die dichterische deutsche Jugend" (1918)) als Bandchen 1919 unter dem Titel: "Uber den Expressionismus in der Literatur und die neue Dichtung" erschienen ist.2 Edschmid beginnt seinen Aufsatz mit einer Einordnung des Expressionismus in die deutsche Literaturgeschichte, was zugleich zu einer Art Abrechnung mit frfiheren Epochen wurde. Seit der Romantik sei Stagnation gewesen, aber die groBe naturalistische Welle habe gegen das unromantische bfirgerliche Epigonentum geschlagen. (TKZ 43) "Der Naturalismus war eine Schlacht, die wenig Sinn ffir sich hat, aber er gab Besinnung. Da standen plfitzlich wieder Dinge: Hauser, Krankheit, Menschen, Armut, Fabriken. Sie hatten keine Verbindung noch zu Ewigem, waren nicht geschwfingert von Idee. Aber sie wurden genannt, gezeigt." (TKZ 44) Zu dieser wfisten Orientierung habe es aber einen Gegenpol voll von Aristokratie gegeben, d.h. 19 George. (TKZ 45) Der wesentlichste Verdienst der Bewegung um George sei, daB sie groBen Wert auf das Formale gelegt habe. "Man begann sich wieder zu besinnen, was Schilderung und was dagegen Dichtung sei. Die Unterschiede zwischen Schriftsteller und Dichter wurden klar." (ebd.) Die Bewegung wurde zwar zu fisthetisch, jedoch habe sich das ganze Niveau gehoben. (TKZ 46) Mit dem Impressionismus sei die Synthese von Dichten und Leben versucht worden. (ebd.) Sie glfickte nur kurzzeitig. Der Impressionismus wurde "die Kunst des Augenblicks." (TKZ 47) Man war geschult und hatte Vorwfirfe. Mit nervfiser Zartlichkeit behandelte man die Objekte. Sprung- haft setzte man Stfick an Stfick. Mit gehobener Technik vermochte man die Dinge anzugreifen, doch wurde es oft Deskription. Das Eigentliche, der letzte Sinn der Objekte erschfipfte sich nicht. Denn der Lichtstrahl des Schopfers fiberzuckte sie nur kurz. (ebd. ) Edschmid sieht im Impressionismus das Ende des seit der Renaissance entwickelten groBen Raumgeffihls. Der Impres- sionismus "zersetzte, lfiste auf und parzellierte, formte das Zerschlagene in kleine Geffihle, nicht zu massiv verschmolzenen Zusammenhfingen." (TKZ 49) Darfiber hinaus habe es nur Anarchie gegeben, und die letzte Zerstaubung des Impressionismus sei der Futurismus. Die Futuristen hitten die Teile des Impres- sionismus nur zugespitzt, sie geglfittet, ihnen eine scharfere Form und gespenstigeren UmriB gegeben, das Kokette vermieden und das Nacheinander des impressionistischen Weltlaufs zu einem hastigen, gehetzten Nebeneinander, Ineinander geschoben. Hiermit habe der Expressionismus nicht die Spur zu tun. (ebd.) 20 A15 Urheber des neuen Expressionismus, ein "Schlagwort von zweifelhafter Formulierung," sieht Edschmid die neuen Kfinstler. (TKZ 50) Sie gaben nicht mehr die leichte Erregung. Sie gaben nicht mehr die nackte Tatsache. Ihnen war der Moment, die Sekunde der impressionistischen Sch6pfung nur ein taubes Korn in der mahlenden Zeit. Sie waren nicht mehr unterworfen den Ideen, N6ten und pers6n1ichen Trag6dien bfirgerlichen und kapitalistischen Denkens. Ihnen entfaltete das Geffihl sich maBlos. Sie sahen nicht. Sie schauten. Sie photographierten nicht. Sie hatten Gesichte. Statt der Rakete schufen sie die dauernde Erregung. Statt dem Moment die Wirkung in die Zeit. Sie wiesen nicht gl5nzende Parade eines Zirkus. Sie wollten das Erlebnis, das anh51t. (TKZ 51-52) Als Reaktion gegen das impressionistisch Atomische, Verstfickte habe es ein groBes umspannendes Weltgeffihl gegeben. "In ihm stand die Erde, das Dasein als eine groBe Vision." (TKZ 52) Jetzt also ist das Wort gefallen, das zum Kernstfick der Theorie Edschmids wird: Vision. Das vision5re, umspannende Weltgeffihl der Expressionisten fordert eine neue Gestaltung der kfinstlerischen Welt, eine neues Weltbild, das anders als das impressionistische sein muB. (TKZ 53) Im Sinne des neuen Weltbildes wird dem Dichter, dem Kfinstler auferlegt, die Geffihle und die Menschen im Kern und im Ursprfinglichen zu erfassen. (TKZ 52) Er muB die Realit5t schaffen und darf sich nicht mit der geglaubten, gew5hnten, notierten Tatsache begnfigen. "Es muB das Bild der Welt gespiegelt werden. Das ist nur in uns selbst." (TKZ 54) 21 So wird der ganze Raum des expressionistischen Kfinstlers Vision. Er sieht nicht, er schaut. Er schildert nicht, er erlebt. Er gibt nicht wieder, er gestaltet. Er nimmt nicht, er sucht. Nun gibt es nicht mehr die Kette der Tatsachen: Fabriken, H5user, Krankheit, Huren, Geschrei und Hunger. Nun gibt es ihre Vision. Die Tatsachen haben Bedeutung nur so weit, als, durch sie hindurchgreifend, die Hand des Kfinstlers nach dem fast, was hinter ihnen steht. (TKZ 54) Durch die vision5re Gestaltung des Kfinstlers bekommt alles eine Beziehung zur Ewigkeit. (TKZ 55) Die Kunst hat wieder einen Vektor ins Transzendentale.3 Es geht hier darum, das Wesen, "den letzten Charakter" der Dinge herauszubringen. (TKZ 56)4 ”Der Kranke ist nicht nur der Krfippel, der leidet. Er wird die Krankheit selbst . . ." (TKZ SS) Der Mensch ist nicht mehr Individuum, gebunden an Pflicht, Moral, Gesellschaft, Familie. Er wird in dieser Kunst nichts als das Erhebendste und K15glichste: "e r w i r d M e n s c h." (TKZ 57) Dies ist weit mehr als irgendeine naturalistische Beobachtung oder ein impressionistischer Ausschnitt: "Die Welt ist da. Es w5re sinnlos, sie zu wiederholen.” (TKZ 56) Die gr68te Aufgabe der Kunst ist es, die Welt "im letzten Zucken, im eigentlichen Kern aufzusuchen und neu zu schaffen." (TKZ 56-57) Das bedeutet dann ffir Edschmid, daB es nicht mehr m5glich ist, in den Formen des bfirgerlichen Weltgedankens zu denken. "Hier gibt es keine Zusammenh5nge mehr, die das Bild des Menschen verschleiern." (TKZ S7) Der Mensch, wie alle Wesen, steht losge155t von jeglicher Konvention da. Diese Vorstellung hat enorme Konsequenzen sowohl ffir die Menschen, die Charaktere eines literarischen Kunstwerkes, als auch ffir dessen Struktur, vor allem ffir die Sprache. 22 Edschmid meint, daB die groBe Musik eines Dichters seine Menschen seien. "Sie werden ihm nur groB, wenn ihre Umgebung groB ist." (TKZ 52) Dabei hat er nicht das Heroische im Auge; sondern das Dasein der Charaktere solle an dem groBen Dasein des Himmels und Bodens teilhaben. (TKZ 53) Dieser Mensch "wird nicht unterdrfickt, er liebt und k5mpft unmittelbar. Sein groBes Geffihl allein, kein verf5lschtes Denken, ffihrt ihn und leitet ihn." (TKZ 59) Er erlebt direkt, und das ist "das gr58te Geheimnis dieser Kunst: Sie ist ohne gewohnte Psychologie." (TKZ 60) Eine Ablehnung der Psychologie ist im Expressionismus ein sehr verbreitetes, wenn nicht universales Ph5nomen. Obwohl Edschmid es nicht ausdrficklich sagt, so ist es doch zu erkennen, daB seine antipsychologische Haltung zum Teil mit der Opposition, die es zwischen dem Expressionismus auf der einen und dem Impressionismus und Naturalismus auf der anderen Seite sieht, in Zusammenhang steht. Aus dem Psychologischen kommt nur Analyse. Es kommt Auseinanderfalten, Nachsehen, Konsequenzen- ziehen, Erkl5renwollen, Besserwissen, eine Klugheit heucheln, die doch nur nach den Ergebnissen geht, die unseren ffir groBe Wunder blinden Augen bekannt und durchsichtig sind. (TKZ 60- -61) Das erinnert wohl sehr an die Beschreibung des Impressionismus: "In unz5hlige kleine Teile zerlegte er die Welt . . ." (TKZ 48-49) Aber Edschmid ffihrt einen zweiten Grund seiner Ablehnung an: "Alle Gesetze, alle Lebenskreise, die psycholo- gisch gebannt sind, sind nur von uns geschaffen, von uns 23 angenommen und geglaubt." (TKZ 61) Die Psychologie ist also ein von Menschen ersonnes System und als solches nicht in der Lage, die Vision des Kfinstlers ad5quat zu verwirklichen. Edschmid findet die neue eXpressionistische Kunst positiv, "weil sie intuitiv ist. Weil sie elementar nur findend, willig aber stolz sich den groBen Wundern des Daseins hingebend, frische Kraft hat zum Handeln und zum Leiden." (ebd.) Ob und wie weit Edschmids Meinungen fiber die Psychologie von seinen Zeitgenossen geteilt werden, bleibt noch zu zeigen. Unter den Voraussetzungen der kfinstlerischen Vision und der Ablehnung der Psychologie hat, Edschmid nach, der Aufbau des literarischen Kunstwerkes "andere Gesetze, edlere Struktur." (TKZ 62) Das Sekund5re verschwindet, sowie das Nebens5chliche. Es bleibt "die Kunst, die das Eigentliche nur will . . ." (TKZ 63) Es gibt keine Entrements mehr, keine Horsd'aeuvres, nichts Kluges, was hineingemogelt, nichts Essais- tisches, was allgemein unterstreichen, nichts Dekoratives mehr, was von auBen her schmficken soll. Nein, das Wesentliche reiht sich an das Wichtige. Das Ganze bekommt geh5mmerten UmriB, bekommt Linie und gestraffte Form. (ebd. ) Diese Forderungen haben erhebliche Konsquenzen ffir die Struktur und auch ffir die Sprache des Werkes. Es geht jetzt um UmriB, um das Typische. "Alles Nebens5chliche fehlt. Das Wichtige gibt die Idee: nicht mehr ein Denkender, nein: das Denken. Nicht mehr zwei Umschlungene: nein, die Umarmung selbst." (TKZ 65) Dadurch wird die Struktur zusammengerafft. "Die S5tze liegen in Rhythmus anders gefaltet als gewohnt," und geben nur das Eigentliche her. (ebd.) 24 Auch das Wort erh51t andege Gewalt. Dgs beschrei- bende, das umschfirfende hort auf. Dafur ist kein Platz mehr. Es wird Pfeil. Trifft in das Innere des Gegenstands und wird von ihm beseelt. Es wird kristallisch das eigentliche Bild des Dinges. Dann fallen die Ffi11w5rter. " Das Verbum dehnt sich und verscharft sich, angespannt so deutlich und eigentlich den Ausdruck zu fassen. Das Adjektiv bekommt Verschmelzung mit dem Tr5ger des Wortgedankens. Auch es darf nicht umschreiben. Es allein mus das Wesen am knappsten geben und nur das Wesen. Sonst nichts. (TKZ 66) A15 Zusammenfassung von Edschmids theoretischen Ideen darf ein Zitat aus seinem Aufsatz: "Uber die dichterische deutsche Jugend" angeffihrt werden. Gr5Ber entfachtes Weltgeffihl schafft die Kunst zur Vision. Nun diktiert der Geist, wohl eng verschmolzen der Materie, doch sie gestaltend, nicht in ihrer Abh5ngigkeiL Doch auch nicht in der dfinnen Sph5re saftloser Geistigkeit. Die Gleichung heiBt Geist und B1ut.Nicht Geist und Geist. Wir wollen nicht schemenhafte Arien, die viele heut singen. Wir wollen den Naturalismus aufpeitschen zu fanatischer Vision. Das Ding vergewaltigen im Geist . . .! Prosa wird wieder Dichtung. Theater Kampfplatz gr5Bter Zusammen- h5nge der Seele. S5tze gestrafft mit der Biegung adliger Linie sch5ner Leiber. Form und Gehalt schon eins geworden, elastisch und bebend, stark die Verzfickung und die Forderung zu tragen . ist dies nicht genug? (TKZ 32) (Ellipsen im 0riginal--d.Verf.) Am Ende dieser kurzen Darstellung der Theorie Edschmids ist auf einen Vorbehalt hinzuweisen. Wie schon anfangs erw5hnt wurde, sind die Aufs5tze, die hier referiert werden, 1917 und 1918 geschrieben und 1919 gedruckt worden. Die Kurzgeschichten Edschmids, die in dem folgenden Teil analysiert werden, sind aber zwischen 1913 und 1915 entstanden. Das 25 bedeutet, daB die Theorie nach der Produktion entstanden ist. Es ist m5g1ich, daB.die Theorie aus den schon geschriebenen literarischen Werken extrahiert wurde. Jedoch ist es nicht das Ziel der vorliegenden Arbeit, die literarische Produktion aus der Perspektive der Theorie zu interpretieren. Diese Er15uterung der Theorie dient nur als Orientierungspunkt, als Wegweiser also, ffir den Umgang mit dem Werk. Edschmid selbst hat auf das Problem hingewiesen: Als ich vor drei Jahren, wenig bekfimmert um kunstlerische Dinge, mein erstes Buch schrieb, 1as ich erstaunt, hier seien erstmals expres- sionistische Novellen. Wort und Sinn waren mir damals taub. Aber nur die Unproduktiven eilen mit Theorie der Sache voraus. (TKZ 51) B. ALFRED DOBLIN G5be es so etwas wie einen Theoretiker der expressionis- tischen Prosa, so w5re dieser in der Person von Afred D5blin zu sehen. Denn "in Alfred D5blin besaB der Expressionismus einen 5uBerst klugen, theoretisch wohlfundierten, klaren und pr5zis formulierenden KOpf, der in dem Jahrzehnt zwischen 1910 und 1920 bereits Entscheidenes und sehr Konkretes ffir die Theorie der Epik geleistet hat, was wir mit um so besserem Gewissen als expressionistische Erz5hltheorie ansehen k5nnen . . ." (Sokel a.a.O., S. 154) Aber dennoch ist D5blins theoretische Leistung keineswegs eine systematische. Sie besteht, wie alle expressionistischen "Theorien", aus 26 einzelnen Aufs5tzen, die zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Zeitschriften ver5ffentlicht wurden. Aus dieser Vielfalt hat Karl Herbert Blessing "drei mehrfach wieder- kehrende Themenkomplexe" unterschieden, wobei er sich haupt- s5chlich auf das ”Berliner Programm" ("An Romanautoren und ihre Kritiker" 1913) und die "Bemerkungen zum Roman" (1917) bezieht. (AZL 15ff. und 19ff.)5 Als Themenkomplexe sieht Blessing D5blins Forderungen nach 1. der Eliminierung der Psychologie aus dem Roman, 2. der Brechung der Hegemonie des Autors und 3. der Abschaffung der Spannung im Roman. (ebd.) Als "Grundgebrechen" des gegenw5rtigen ernsten Prosaikers sieht D5blin die psychologische Manier. Die Romanpsychologie sei reine abstrakte Phantasmagorie. (AZL 16) "Die Analysen, Differenzierungsversuche haben mit dem Ablauf einer wirklichen Psyche nichts zu tun . . ." (ebd.) Ffir den Psychiater D5blin ist die Psychologie "ein dilettantisches Vermuten, scholastisches Gerede, spintisierender Bombast, verfehte verheuchelte Lyrik." (ebd.) "Gedichtete Psychologie ist ein Unfug." (AZL 21) Immer war der Rationalismus dEr Tod der Kunst; der zudringlichste, meist gehatschelte Rationalismus heist jetzt Psychologie. Viele als "fein" verschrieene Romane, Novellen--vom Drama gilt dasselbe--bestehen fast nur aus Analyse von Gedankeng5ngen der Akteure; es entstehen Konflikte innerhalb dieser Gedankenreihen, es kommt zu dfirftigen oder hingepatzten "Handlungen". Solche Gedankeng5nge gibt es vielleicht, aber nicht so isoliert: sie besagen an sich nichts, sie sind nicht darstellbar, ein amputierter Arm; Atem ohne den Menschen, der atmet; Blicke ohne Augen. Die wirklichen M6tive kommEn ganz anderswoher; dies da, der lebendigEn Totalit5t ermangelnd, ist Schaum- sch15gerei, 5sthetisches Gequirle, Geschwafel eines doktrin5ren, gelangweilten Autors, dem nichts ein- f511t, zu Gebildeten, die sich belehren lassen wollen. (AZL 16) 27 Es ist wiederum der Nervenarzt D5blin, der eine neue Arbeitsweise, eine neue Betrachtungsweise ffir den Roman- autor anffihrt, indem er der Psychologie die Psychiatrie gegenfiber stellt. Man 1erne von der Psychiatrie, der einzigen Wissenschaft, die sich mit dem seelischen ganzen Menschen bEfaBt: sie hat das Naive der Psychologie l5ngst erkannta beschr5nkt sich auf die Notierung der Ab15ufe, Bewegungen, --mit einem KOpfschfittelL Achselzucken ffir das Weitere und das "Warum" und "Wie". (ebd. ) Der psychiatrischen Betrachtungsweise nach soll die Sprache entzaubert werden. Das Konkrete wird wichtig. Die sprachlichen Formeln dienen nur dem praktischen Verkehr. "Zorn", "Liebe", "Verachtung" bezeichnen in die Sinne fal1ende Erscheinungskomplexe, darfiber hinaus geben diese primitiven und abge- schmackten Buchstabenverbindungen nichts. Sie k5nnen nie und nimmermehr als Mikroskope oder Fernrohre dienen, . . . sie k5nnen nicht zum Leitfaden einer lebennachbildenden Handlung werden. An dieses ursprfinglich Gemeinte, dieses Simple muB man sich streng halten, so hat man das Reale getroffen, das Wort entzaubert, die unkfinst- lerische Abstraktion vermieden. (AZL 16- 17) In dem Drang zum Konkreten werden die Elemente des zweiten Themenkomplexes von Blessing (die Brechung der Hegemonie des Autors) sichtbar. In der Notierung der Ab15ufe und Bewegungen verschwindet die Person des Autors v5llig. Seine fiblichen Aufgaben als Kommentator sind jetzt dem Leser fiberlassen. "Der Leser in voller Unabh5ngigkeit einem gestalteten, gewordenen Ablauf gegenfibergestellt; er mag urteilen, nicht der Autor." (AZL 17) Auch die Fassade, der 28 Stil des Romans muB schweigen. ”Die Dichtung schwingt im Ablauf wie die Musik zwischen geformten T5nen." (ebd.) Diese neutrale Schreibweise nennt D5blin "Kinostil" oder "steinernen Stil." Die Darstellung erfordert bei der ungeheuren MengE des Geformten einen Kinostil. In h5chster Gedr5ngheit und Pr5zision hat "die Ffille der Eeschichte" vorbeizuziehen. Der Sprache das AuBerstE der Plastik und Lebendigkeit abzuringen. Der Erthlerschlendrian hat im Roman keinen Platz; man erz5hlt nicht, sondern baut. Der Erz5hler hat eine b5urische VertraulEchkeiL Knappheit, Sparsamkeit der Worte ist n5tig; frische Wendungen. Von Perioden, die das Nebeneinander des Komplexen wie das Hintereinander rasch zusammenzufassen erlauben, ist umf5nglicher Gebrauch zu machen. Rapide Ab15ufe, Durcheinander in bloBen Stich- worten; wie fiberhaupt an allen Stellen die h5chste Exaktheit in suggestiven Wendungen zu erreichen gesucht werden muB. Das Ganze darf nicht erscheinen wie gesprochen, sondern wie vorhanden. (ebd.) Dadurch wird die Hegemonie, die Diktatur des Autors fiber den Stoff sehr limitiert. D5blin spricht sogar von einem "Fanatismus der Selbstverleugnung" und auch von einem "Fana- tismus der Ent5u8erung: ich bin nicht ich, sondern die StraBe, die Laterne, dies und dieses Ereignis, weiter nichts." (AZL 18) So beschreibt er den "steinernen" Stil. Der dritte Themenkomplex wird aus den Forderungen des Kinostils und der darin enthaltenen neuen Aufgabe des Erz5hlers abgeleitet. Ist der Erz5hler nur die entpersonifi- zierte Optik eines Kinostils, wodurch nicht erz5h1t sondern "gebaut" wird, so kann nur schwerlich eine Spannung innerhalb der Handlung entstehen. D5blin will nicht nur die Spannung aus dem Roman verbannen, sondern auch die Handlung selbst. Denn 29 er sieht in der Akzentuierung der Handlung im Roman ein Element, das auf das Drama verweist: auf Konfliktschfirzung und L5sungEn in der oder jener Richtung, Schauspie1,Trag5die, Kom5die. . Der Roman hat mit H5ndlung nichts zu tun; man weiB, daB im Beginn nicht einmal das Drama damit etwas zu tun hatte, und es ist fraglich, ob sich das Drama gut tat, sich so festzulegen. Ver- einfachen, zurechtschlagen und -schneiden auf Handlung ist nicht Sache des Epikers. Im Roman heiBt es schichten, h5ufen, w51zen, schieben; im Drama, dem jetztigen, auf die Handlung hin ver- armteL handlungsverbohrten: "voran!" Vorw5rts ist niemals die Parole des Romans. (AZL 19- 20)6 Blessings drei Themenkomplexe haben eine Einffihrung in D5blins Theorie geschaffen. Es geht jetzt darum, den Gegenstand seiner Prosa einzugrenzen und dadurch zu definieren. Ein Teil dieser Definition wird in dem Aufsatz: "Futuristische Worttechnik: gestellt. offener Brief an F. T. Marinetti" (1913) dar- Es ist uns klar, MaEinetti, Ihnen wie mir; wir wollen keine Versch5nerung, keinen Schmuck, keinen Sti1,nichts AuBerliches, sondern H5rte, K51te und Feuer, Weichheit, Transzendentales und Erschfit- terndes, ohne Packpapier. Die Emballage geh5rt den Klassikern. PlattfuBeinlagen, Gipskorsette und andere Orthop5diE verehren wir nebst Sonetten, Weltanschauung h5heren T5chtern zum Angebinde. Was nicht direkt, nicht unmittelbar, nicht ges5ttigt von Sachlichkeit ist, lehnen wir gemeinsam ab; das Traditionelle, Epigon5re bleibt der Hilfslosigkeit reserviert. Naturalismus, Naturalismus; wir sind noch lange nicht genug Naturalisten. (AZL 9) Die erste Grenze lautet dann: Sachlichkeit und Naturalis- mus. D5blins Naturalismus ist aber "kein historischer Ismus, sondern das Sturzbad, das immer wieder fiber die Kunst herein- brechen muB." (AZL 18) Seine Auffassung des Naturalismus ist 30 eine "Ann5herung an eine bestimmte Wirklichkeitsauffassung, im Gegensatz zu der als veraltet empfundenen Kunstnorm."7 Diese neue "naturalistische” Wirklichkeitsauffassung, die zum Teil mit den Komponenten des Kinostils gleichgestzt werden kann, wird von D5blin zusammengefaBt als "der bestirnte Himmel fiber mir und die Eisenbahnschienen unter mir." (AZL 66) "Der Geist des naturalistischen Zeitalters", den D5blin in einem gleichnamigen Aufsatz (1924) ausffihrlich beschreibt, bringt neue M5glichkeiten ffir die Bew51tigung des Lebens und ffir die L5sung von Problemen philosophischer, religi5ser und 5sthetischer Art. DieuAntwort: die von heute haben alle Probleme gelost, auf die einfachste Weise: sie haben sie liegen gelasseE. Es sind neue Probleme gekommen. Man hat die GroBe und Wichtigkeit der alten Probleme respektvoll anerkannt und sich dann mit der Herstellung von Zahnpasta besch5ftigt. (AZL 68) Auf der anderen Seite findet der Gegenstand der Prosa D5blins seine Grenze im Leben. "Das Leben bietet noch kolossale Sch5tze, ffir deren Hebung wir keine Schaufeln haben. Wir haben nicht nur kein Handwerkszeug, sondern steigen geschminkt, mit Lackschuhen und parffimierten R5cken in das Bergwerk." (AZL 11) Der Berg heist Rationalismus, und "hinter dem verderblichen Rationalismus ist die ganze Welt mit der Vielheit ihrer Dimension v511ig versunken." (AZL 18) Das Werkzeug heiBt Kinostil; "Mut zur kinetischen Phantasie und zum Erkennen der unglaublichen realen Konturen! Tatsachenphantasie!" (AZL 19) Der Gegenstand seiner Prosa, der sich zwischen diesen zwei 31 Grenzen befindet, ist kein Punkt, kein Objekt, sondern ein Kontinuum, ein Vektor; er ist nicht der Mensch an sich, sondern ein "Lebensereignis". Es ist schon verkehrt, anzunehmen und unter dieser Annahme zu arbeiten und zu lesen: der Mensch sei Gegenstand des Drama oder des Romans. Sie haben beide weder mit dem Menschen noch mit der Wichtig- ‘keit eines einzelnen HeldEn oder seiner Probleme etwas zu tun. Das alles uberlasse man dem Pado- gogen, Pfarrer, Psychologen, Psychiater; gedichtete Psychologie ist ein Unfug. Es handelt sich um buntes oder einfarbiges, freudiges, trauriges, tiefes, flaches Lebensereignis; mache man wie mans will. (AZL 21) C. CARL EINSTEIN In Carl Einsteins theoretischen AuBerungen geht es weniger um den Roman oder ein Kunstwerk fiberhaupt, als um die Kunst an sich. "Wenn wir uns Einstein zuwenden, bemerken wir, daB er im Gegensatz zu D5blin fiber Erz5h1technisches fast nichts und fiber Erz5hlperspektive gar nichts zu sagen hat, da es ihm nicht um Literartechnisches, sondern um Weltanschaulich- Ideelles geht.” (Sokel 5.5.0., S. 156) Gibt es aber einen ffir die Kunsttheorie Einsteins zentralen Begriff, der als Orientierungspunkt ffir den Zugang zu seinen Ideen dienen k5nnte, so ist dieser die "Totalit5t". "Totalit5t ist nichts anders als ein geschlossenes System spezifischer Qualit5ten, und dieses ist total, wenn eine ausreichende Intensit5t die Totalit5t begleitet," heiBt es in einem gleichnamigen Aufsatz aus dem Jahre 1914. (GW 76)8 32 Zwei wichtige Begriffe kommen bei dieser Definition zum Vorschein: Qualit5t und Intensit5t. Mit deren Hilfe kann man zwischen verschiedenen Totalit5ten differenzieren. "Totalit5ten unterscheiden sich von einander durch Intensit5t, das heist, je kr5ftiger und reicher der Bezug ihrer Inhalte ist, je st5rker diese Elemente darstellen." (GW 79) Der Begriff Qualit5t ist aber auch ein grundlegender in Bezug auf die Kunsttheorie Einsteins. "Totalit5t ist niemals irgendwie quantitativ bestimmt und kann immer eintreten gem58 rein qualitativer Voraussetzungen." (GW 77) Die Um- stellung von Quantit5t auf Qualit5t als maBgebendes Kriterium der Totalit5t ist eines der wichtigen Merkmale von Einsteins Theorie. Diese Umstellung erstreckt sich auch auf die Kate- gorien von Raum und Zeit. Bei diesen Kategorien beginnt die Umstellung von Quan- tit5t auf Qualit5t mit einer von Einstein als notwendig betrachteten neuen Art der Wahrnehmung. "Gegenstand der Kunst sind nicht Objekte, sondern das gestaltete Sehen. Es geht um das notwendige Sehen, nicht um die zuf5lligen Objekte." (GW 74) In ihrer vortrefflichen Studie: Die Kunsttheorie Carl Einsteins hat H. Oehm eine gute Unterscheidung zwischen Einsteins und der herk5mmlichen Art der Wahrnehmung gebracht.9 In der Wahrnehmung als Beobachter sucht ein bewuetes Ich approximativ die Kongruenz von Abbild und ab- gebildeten Objekt herzustellen, w5hrend Einstein Wahrnehmen primar als halluzinatives Schauen begreift, das sich in autonom organisierten Komplexen voll- zieht, die in sich die Identit5t von Subjektivem und Objektivem enthalten und nicht mehr an einer vom BewuBtsein unabh5ngigen AuBenwelt verifiziert werden k5nnen. (Oehm 29) 33 Dieses neue, h5chst subjektive Konzept der Wahrnehmung erlaubt Einstein eine Neudefinition der Kategorien von Raum und Zeit, die in totalem Gegensatz zu der von Kant steht. "Kant sagte: Zeit fi Raum sind Formen der Wahrnehmung )( -- nein sind Formen des Wahrgenommenen. das Wahrnehmen: der Prozess." (nach Oehm)10 Ffir Einstein existieren Raum und Zeit nicht mehrzapriori, wodurch sie die Formen der Wahr- nehmung gestalten, sondern diese Kategorien sind.aposteriori. (ebd.) Das heiBt also, daB die Erfahrungen von Raum und Zeit nur Resultat des Wahrnehmungsprozesses und deshalb subjektiv und variabel sind. Als Produkte der Wahrnehmung werden Raum und Zeit nicht mehr als Quantit5ten betrachtet, sondern als Qualit5ten.11 Die Befreiung der zwei Kategorien: Raum und Zeit von der apriorischen Befangenheit Kants erm5glicht die "Umbildung und Neusch5pfung" der Realit5t, die Einstein als die Aufgabe von Kunst sieht.12 "Das Kunstwerk ist Sache der Wilkfir, also der Wahl, des Wartens." (GW 53) "Das Absurde zur Tatsache machen! Kunst ist eine Technik, tats5ch1iche Best5nde und Affekte zu erzeugen." (GW 55) Gleichzeitig erlaubt die qualitative Bestimmung dieser Kategorie Einstein, der Mimesis ein Ende zu setzten. Man war der gefangene eines erstarrten raumclichés geworden und hatte vergessen, dass die erlebten raeume ungemein verschieden gebaut und gestaltet sind. raum ist ein stueck und eine auswahl mensch- licher erfahrung, die stets abgeaendert werden kann. die raumkonvention, welche die bilder hoffnungslos ueberschattete war bequemes vorurteil. (nach Oehm 73) 34 Die Verneinung der Gfiltigkeit der Mimesis sowie die subjektive Umstellung der Kategorien von Raum und Zeit auf Qualit5t mfinden bei Einstein letzten Endes in den Kubismus. Sinn des Kubismus war: Verformung des drei- dimensionalen Bewegungserlebnisses in zwei- dimensionale Gestalt, ohne daB Tiefe oder Modele illusionistisch nachgebildet wurden; hingegen stellte man die Bewegungsvorstellungen und das Erinnerungsfunktionale dar. An die Stelle der Tiefenansicht trat nun ein kontrast- reiches Nebeneinander zweidimensionaler Formen, die so geordnet sind, daB unter Beibehaltung der Grundflache, das Volumen zu verschiedenen Ansichten eines K5rpers gestaltet ist. Man verformt die Erinnerungsdimension, d. h. die Vorstellung von Volumen, ohne die Bildf15che illusionistisch zu durchdringen. In dieser Definition des Kubismus aus Einsteinsgrosem kunst- historischem Werk: Die Kunst des 20. Jahrhunderts sind alle bisher erl5uterten Thesen seiner Kunsttheorie vertreten: die "Umbildung und Neusch5pfung," welche Aufgabe der Kunst sind, die subjektive Wahrnehmung, sowie die Umstellung des Raumes von Quantit5t auf Qualit5t. Hinzu kommt die Achtung des Kubisten vor der Integrit5t des Mediums seines kfinstlerischen Ausdrucks, in diesem Fall der Leinwand, auf die er malt. Auch Einsteins Auffassung einer qualitativen Zeit hat groBe Folgen ffir seine literarische T5tigkeit. Von der Zeit rede ich fiberhaupt nicht, sondern von Empfindungen und geistigen Vorg5ngeL die immer qualitativ sind, d h keine metaphysische Zeit (eine Unzeit) wie bei Bergson ist, sondern dadurch als Zeit empfunden wird, dass sie in verschiedenen Dimensionen gleichzeitig geffihlt wird, d h ihre Inhalte das Wortbild im entscheidenden fiberragen. (KB 144) 35 So betrachtet, hat die Zeit die M5glichkeit quantitativen Einordnens irgendwelcher Erlebnisse (also des Einordnens nach dem "Wann" des Geschehens) eingebfiBt. "Zeit, rein vorgestellt, muB qualitativer Unterschied der Erlebnisse bedeuten, der, allegorisch an Hand geometrischer Vorstellungen betrachtet, r5um1iche Folge bedeutet, w5hrend Zeit nur Unterschied der Qualit5t ist." (GW 78) A15 Qualit5t geh5rt die Zeit zu jenem geschlossenen System "spezifischer Qualit5ten," das Totalit5t heiBt. (GW 76) Es ist die Totalit5t, die es erm5glicht, "daB wir an jedem beliebigen Punkte unserer Erlebnisse diese wie ein Ganzes betrachten, und Zeit das Synonym von Qualit5t bedeutet." (GW 79) Die Totalit5t der qualitativen Zeit erlaubt keine Kausalit5t. Denn werden die Erlebnisse als eine Konstel- lation von vielen Einheiten betrachtet, die sich nur quali- tativ unterscheiden, so sind Beziehungen kausaler Art zwischen den einzelnen Einheiten unm5glich, sonst w5ren sie keine Ein— heiten mehr. "Der totale Gegenstand absorbiert jeden psycho- logischen Verlauf, der auf ihn hinzweckt, also auch jede Kausalit5t. Die kausale Betrachtung ist eine rein rfick- schauende, welch stets den konkreten Gegenstand fiberschreitet; die Ursachen sind surrogiert, nicht das Totale." (GW 78) Die Aufl5sung der Kausalit5t l58t sich als direkte Folge von Einsteins antimimetischer Haltung bezeichnen. Denn wie bei der mimetischen Darstellung eine Abbildung der schon vorhandenen, als "real" empfundenen Welt angestrebt wird, so hat die Darstellung kausaler Vorg5nge im Roman ein 5hn1iches 36 Ziel. Hinzu kommt Einsteins Abneigung gegen den psychologischen Roman: "Der psychologische Roman beruht auf kausaler SchluB- weise und gibt keine Form, da nicht anzusehen ist, wohin das SchlieBen zurfickffihrt und wo es endigt." (GW 52) Uberhaupt ist Einstein gegen die Psychologie, die er als eine Reaktion gegen die Logik sieht. (GW 75) Logik und Psychologie haben denselben Fehler, und die Psychologie ”verf5llt ebenso wie die Logik dem Irrtum, eine Wissenschaft sei f5hig, mehr als fiber sich selbst auszusagen." (ebd.) Die Darstellung einer psychologisch motivierten Kausalit5t wfirde auch die neusch5p- ferische Aufgabe der Kunst verletzen, sowie deren Totalit5t. Sie ist aus diesen Grfinden nicht zul5ssig. Das letzte Element der Kunsttheorie Carl Einsteins, das in diesem Teil behandelt wird, ist zugleich das konkreteste in Bezug auf die Literatur. _Ahnlich wie die Kubisten bei ihren Bildern auf die Integrit5t des Bildmaterials achteten, so findet sich bei Einstein der gleiche Respekt ffir das Medium der Literatur: die Sprache. D 1 e W i r k 1 i c h k e 1 t d e r D i c h- t u n g i s t d i e W o r t fuo l g e. et son fond subconscient. Nun aber genugt es nicht diese n a t u r a 1 i s t i s c h e W o r t f o l g e in dichterischer Weise zu Ornamentieren oder mit Metafern zu verdecken; ein Nonsens das dem freien Charakter des Wortes widerspricht. Hier wird v. dNaturalisten Wort und Ding identifiziert. sondern man muss, sowie die ollen Griechen ihre geschlossene litterarische Vorstellungswelt hatten oder Swift, so muss man endlich das Wort vom naturalistischen Vorgang ab15sen,d a m i t e s n i c h t n u r I m i t a t i o n, e i n e s g 1 e i c h s a m b e r e i t s v o 1 1 z o g e n e n. V o r g a n g s sei, a l s o e i n e fi b e r f 1 fi 5 s i g e T a u t o 1 o g i e, sondern man muss Geschehnisse durch arbeiten, s o w i e s i e i n n e r l i c h 37 v e r l E u f e n. Réalisme spirituEl intérieur. Also zunachst die Accidents der Vorg5nge fest- stellen und dann die 5 e e 1 ins c h e n D i m e n s i o n e n t a d u r c h W o r t v e r b s t e l l ) Das heiBt also, daB die Sprache keine Repr5sentationsfunktion mehr auszufiben hat. Die Beziehungen zu der "wirklichen" Welt sind abgebrochen--es gibt keine Mimesis mehr. Die Sprache wird zum Medium des kfinstlerischen Ausdrucks. Als solches hat sie Funktion, aber keine Bedeutung.14 III. DAS ANAEYTISCHE INSTRUMENTARIUM ZUR ERSCHLIESSUNG DER ERZAHLFORMEN EXPRESSIONISTISCHER PROSA Bevor die Darstellung der hier analysierten "vier Pole der eXpressionistischen Prosa" begonnen wird, sollen zun5chst die Kriterien des analytischen Instrumentariums skizziert und die daraus resultierenden "Elemente der Erz5hlform" charakterisiert werden.. Bei dieser Aufgabe und vor allem bei der Darstellung der "vier Pole" in den folgenden Kapiteln sei daran erinnert, daB es in der vorliegenden Arbeit um Analysen und nicht um Symbolinterpretationen geht. Das heist, die Betonnung liegt nicht auf einer Er15uterung des Symbolgehalts der Texte, sondern auf deren m5g1ichst genauer Beschreibung. Es wird nicht sofort nach Bedeutungen gefragt, sondern zuerst nach Formen und Funktionen. Erst wenn mittels der Analysen die verschiedenen Erz5hlformen beschrieben und ausgewertet worden sind, lassen sich vorsichtige Aussagen zu m5g1ichen Bedeutungen machen. Diese Verfahrensweise ist ffir die Prosa des Expressionismus (wie auch ffir die zwei anderen Gattungen der Epoche) von groBer Wichtigkeit, weil, wie noch gezeigt wird, in vielen F511en das Vorhandensein einer "Bedeutung" angezweifelt oder sogar abgelehnt wurde. Der M5g1ichkeit einer Analyse der Erz5hlform liegt R. Ingardens Auffassung des literarischen Textes zu Grunde. Diesen definiert er als "ein aus mehreren heterogenen Schichten aufgebautes Gebilde."1 Die Schichten sind: 1. Wortlaute, 2. Bedeutungseinheiten, 3. die schematisierten Ansichten 38 39 (d.h. die Darstellungscharakteristika--d. Verf.) und 4. die dargestellten Gegenst5nd1ichkeiten. (LK 26) Es ist wichtig zu notieren, daB Ingarden dieses Schichtengebilde keineswegs als "loses Bfindel von zuf5llig nebeneinandergereihten Elementen," sondern als ”einen o r g a n i s c h e n B a u" auffaBt. (LK 25) Dabei spricht er dem literarischen Kunstwerk "einen ihm wesentlichen p o l y p h o n e n Charakter” zu. (LK 26) Das heist: Infolge der Eigenart der einzelnen Schichten wird jede von ihnen auf iEre eigene Weise in dem Ganzen sichtbar und tragt etwas Eigenes zu dem Gesamjgcharakter des Ganzen bei, ohne dadurch der phanomenalen Einheit des letzteren Abbruch zu tun. (ebd.) Die Auffassung des literarischen Textes als Poly- phonie bringt nicht nur die Definition der Elemente der Erz5hlform mit sich, sondern schafft auch zugleich die M5g1ichkeit der individuellen Analyse der verschiedenen Schichten. Dieser Auffassung nach ist es m5g1ich, mit Hilfe des "analytischen Messers" diese oder jene Schicht aus dem Ganzen herauszuschneiden und sie auf ihr eigenes Wesen und ihre Funktion den anderen Schichten gegenfiber zu untersuchen, ohne den Text in seinem polyphonischen Charakter zu 5ndern oder zu zerst5ren. 40 A. DIE ELEMENTE DER ERZAHLFORM Die Elemente der Erz5hlform (wie sie in der vorliegenden Arbeit bezeichnet werden) unterscheiden sich von Ingardens Schichtengebilde einerseits durch die Addition einer Betrachtung des Erz5hlers und der Erz5hlperspektive und andererseits dadurch, daB die Elemente der Erz5hlform in manchen Aspekten Ingardens Schichten gegenfiber sehr verein- facht sind. Dadurch soll der Klarheit und der Verst5nd- lichkeit der folgenden Analysen geholfen werden. 1. Das Element der Sprache Das erste und grundlegendste Element der Erz5hlform eines Prosatextes ist die Sprache. Sprache ist fiberhaupt die notwendige Voraussetzung aller literarischen Texte, denn schlieBlich ist die Literatur nichts anders als Sprache. D. Hasselblatt erkl5rt: Gemeint ist die S p r a c h e als erste und letzte Realisierungsebene des Dichterischen. Sprache als Alles und Nichts des Dichterischen. Ausdruck und Einffihlungsinstrumentarium. Wirklichkeit und aufgehobene Mittelbarkeit, und deren m5g1iche Conclusio: Intensit5tserm5glichung. Sowohl Leben wie Unm5glichkeit jedes Lebendigen. Gleichzeitig Wortlaut, Inschrift, Chiffrensystem und Unentziffer- barkeit. Sprache--Allerheiligstes, Katasterisie- rungsfeld ffir semantische Statistik, Beschw5rungs- ritual, Mitteilungssyndrom. Zeitstruktur, Zeichen- system, ProzeB von Denkbarkeit und Verlautungen.2 Ingardens Schichtentheorie geht noch fiber Hasselblatts Dif- ferenzierung des Ph5nomens hinaus. Bereits die phonetischen 41 Komponenten werden Ingarden zum Untersuchungsobjekt, und er fragt, ob die Sprache "nur ein M i t t e l bildet, welches bloB den Z u g a n g zu dem literarischen Werk erm5glicht, oder ob sie vielmehr ein wesentliches Konstituens des Werkes selbst ist, und zwar ein Konstituens, das insbesondere in ihm als einem K 11 n s twerk eine wesentliche Rolle spielt." (LK 30-31) Ingarden bekennt sich zu der zweiten M5g1ichkeit. Die sprachlautliche Schicht bildet ein wesentliches KonstituenE des literarischen Werkes; fiele sie fort, so muBte auch das ganze Werk aufhoren zu existiereL weil die Bedeutungseinheiten ein wort- 1autliches Material notwendig fordern. Wfirde sie eine anders gestaltete sein, als sie in einem bestimmten Werke faktisch ist, so mfiBte das Werk durchgreifende Anderungen erf5hren.Enthie1te sie endlich keine besEnderen wertqualitativen Elemente in sich, so mfiBte die Polyphonie des Werkes um ein bedeutendes Element armer sein. (LK 60- -61) a. Wortlaut, Wortbedeutung Wie beide zitierten Bemerkungen zeigen, spielen die phonetischen Qualit5ten des Einzelwortes eine sehr groBe Rolle in der Polyphonie literarischer Texte. Eine nicht mindere Rolle wird der Semantik der einzenen W5rter zugewiesen. Aus der Wortbedeutung ergibt sich das Wortmaterial, mit dessen Hilfe alles Dargestellte pr5sentiert wird. Charaktere, Raum, Zeit, Thematik usw. verdanken ihre poetische Existenz letzten Endes der Wortbedeutung. 42 b. Satz und Syntax Als n5chste, gr5Bere Sinneinheit im Text muB auch der Satz auf seine phonetischen und semantischen Qualit5ten untersucht werden. Zuerst in der Wortwahl und dann im Satz- geffige wird sich die expressionistische Neigung zu Ubersteige- rungen bzw. sprachlichen Kollisionen zeigen. Die Betrachtung der Syntax geh5rt auch zur Analyse. Bilder, Gestalten, Thematiken usw., die mittels einer zerst5rten oder sonst von dem Normalen abweichenden Syntax (oder auch Wortwahl) im Text dargestellt werden, mfissen anders aufgefaBt werden als solche, die in traditionellerer Weise zur Darstellung gelangen. Syntaktische Ver5nderungen lassen sich als Resultat neuer Voraussetzungen sprachlicher Kommunikation bezeichnen. (Hier- auf wurde bei der Diskussion der Theorien schon hingewiesen.) Solche Ver5nderungen sind sehr beliebt und oft angewendete Stilmittel in der expressionistischen Prosa. c. Rhythmus" Ein drittes sprachliches Ph5nomen ist Rhythmus. Der Rhythmus erstreckt sich fiber das einzelne Wort, den Satz, ganze Abs5tze, bis fiber das ganze Werk hin. Neben einem Rhythmus, der durch die Phonetik des Textes entsteht, gibt es auch "rhythmische Charaktere . . ., welche durch den Sinn der S5tze bewirkt werden." (LK 47) Diese beiden rhythmischen Qualit5ten erzeugen das Ph5nomen "Tempo". Darunter verstehe 43 man " nicht die willkfirlich hervorzubringende und zu 5ndernde objektive Geschwindigkeit des Vortrags bei einer individuellen Lesung, sondern einen bestimmten Charakter der wortlautlichen Seiteder Sprache, z. B. den der 'Leichtigkeit' oder der tr5gen Schwere'." (ebd.) Besonders in Bezug auf die dynami- sierte Art vieler Beispiele expressionistischer Prosa ist der Begriff "Tempo" von nicht geringer Bedeutung.3 2. Das Element des sprachlich Dargestellten Zu dem zweiten Element der Erz5hlform geh5rt (mit Ausnahme der Handlung) alles, was im Text mittels der Sprache gestaltet oder dargestellt wird. (Aus methodischen Grfinden wird die Handlung im Zusammenhang mit dem dritten Element besprochen.) Das sprachlich Dargestellte schlieBt die Bilder, die Metaphern, die Thematik und menschliche Problematik, die Charaktere, den Raum und die Zeit ein. Da diese Ph5nomene Sprachgestaltungen sind und daihre Existenz nur auf ihrer sprachlichen Realisierung, also auf ihrem mittels der Sprache Dargestelltsein beruht, geh5ren sie alle nur zu der poetischen Wirklichkeit des Werkes. Sie haben keine Gfiltigkeit und keine Existenz auBerhalb der poetischen Wirklichkeit und k5nnen des- halb nicht mit 5hnlichen Parallelgestalten in der 'realen' Wirklichkeit gleichgesetzt werden. (vgl. LK 233) Sie ersch5pfen sich nicht in ihrer mimetischen Funktion. Die sprachlich dargestellten Gegenst5nd1ichkeiten sind immer und notwendigerweise unvollst5ndig konstituiert, weil 44 das Dargestellte wegen einer endlichen Anzahl sprachlicher Beschreibungenen limitiert ist. Dagegen leidet die Erfassung eines Wirklichkeitsobjekts unter der Limitation menschlicher Wahrnehmungsorgane. Darum ist der Bedeutungshorizont der Sprachgestaltungen sehr eingeschr5nkt. Die Bedeutungseinheiten, welche die einzelnen W5rter und S5tze aufweisen, lassen sich nicht fiber die Grenze der poetischen Wirklichkeit auf andere Objekte fibertragen. Besonders ffir die expressionistischen Prosaisten sind M5glichkeiten auBerliterarischer Beziehungen und Symbolverweisungen der im Text dargestellten Objekte, entworfenen Personen, Bilder, R5ume und Zeiten nicht mehr fraglos gegeben. Transzendenz, die Voraussetzung von Symbolgestaltung und -verst5ndnis ist selbst zum Problem geworden. ("Gott ist totl") Gibt es also ffir sprachlich dargestellte Gegenst5nde der expressionistischen Prosa auBetfilerarische Bezfige, so mfissen diese im F u n k t i o n a 1~ bereich erfaBt werden und nicht in dem der Bedeutungen. Auch innerhalb der poetisch entworfenen Wirklichkeit liegt das Hauptgewicht bei den Funktionen der dargestellten Objekte, Elemente oder Schichten.4 Dem Geiste "des naturalistischen Zeitalters" geht es um Funktion und nicht um verbindlichen ideellen Symbolgehalt.5 3. Das Element der Handlung und der Kausalit5t6 Bei einer Betrachtung des dargestellten Geschehens eines Prosawerkes empfiehlt es sich, streng zwischen der Aufeinander— 4s folge der Einzelschritte der Handlung und deren Auseinander- folge, der Kausalit5t, zu unterscheiden. Das heist also, daB zwischen dem "WAS geschieht" und dem "Warum es geschieht" differentziert werden muB. Obwohl die Handlung (als die D a r s t e l l u n g vom "Was geschieht”) eigentlich zum zweiten Element der Erz5hlform geh5rt, wird sie als Teil des dritten Elementes besprochen, weil die Erfassung der Handlung ein notwendiger erster Schritt zur Erfassung von deren Kausalit5t ist. Wie alles poetisch Dargestellte soll auch die Handlung nicht von der poetischen Wirklichkeit des Textes losge15st und auf objektive Wirklichkeit und ideellen Gehalt fraglos fibertragen werden. Bei der Kausalit5t geht es um die Motivation des Geschehens, die Ursache und Wirkung, Voraussetzung und Kon- sequenz der einzelnen Geschehnisse. Aus der Erfassung der Kausalit5t kann Einsicht in die Absicht des Dichters gewonnen werden. Denn es ist der Dichter, der den Kausalnexus erfindet, nach dem die Handlung ver15uft. Die Erfassung der Kausalit5t kann auch darauf hinweisen, ob der Text als Parodie, Satire, Parabel usw. aufzufassen ist, oder als Darstellung eines "bunten oder einfarbigen, freudigen, traurigen, tiefen, flachen Lebens- ereignisses; mache man wie mans will." (AZL 21) 4. Das Element des Erz5hlers und der Erz5h1perspektive Der Erz5hler ist eine poetische Fiktion und zugleich der wichtigste Charakter jedes Prosawerkes, ob er erscheint 46 oder nicht. Ohne Erz5hler g5be es kein Erz5h1en und keine Erz5hlung. Ihm hat der Dichter die Aufgabe und Funktion des Erz5hlens, d.h. der Darstellung der Objekte, Bilder, Charaktere, Handlungen usw.anvertraut. Vom Erz5hler h5ngt der Fortgang der Darstellung ab. Ffihlt er sich aber der Aufgabe des Erz5hlens nicht gewachsen, wie es z.B. beim Erz5hler in bemannsthals"Ein Brief" der Fall ist, so hat das enorme Konsequenzen--nicht nur ffir die Thematik der Erz5hlung, sondern auch ffir die ganze Erz5hlung an sich, da das E r z 5 h 1 e n s e l b s t dadurch thematisch wird.7 Als poetische Figur ist der Erz5hler, wie alle anderen Charaktere, nur sprachlich existent. Auch er ist Tr5ger bestimmter Funktionen innerhalb der poetischen Wirklichkeit des Textes und darf nicht mit der Pers5nlichkeit des Dichters verwechselt oder gleichgesetzt werden. Das wfirde das Fiktive seiner Existenz durchbrechen. (s. LK 219) Sokel hat ffir die expressionistische Prosa zwei Arten von Erz5hlern oder besser zwei Erz5hlweisen aufgezeigt: l. eine 5uBerst objektive, nicht kommentierende Erz5hlweise, wie sie sich bei D5blin im Prinzip des Kinostils verwirkliche und 2. eine einmischende, kommentierende Form, wie man sie bei Einstein antreffe. (Sokel a.a.O., S. 154-157) Die Beantwortung der Fragen, wie diese Erz5hlweisen aussehen, und ob es bei den verschiedenen "Polen" andere Variationen gibt, bleibt den folgenden Analysen fiberlassen. Der letzte Teil dieses Elements ist die Erz5hlperspektive. Es ist ffir die Erfassung der Funktionen der Elemente, Objekte, 47 Charaktere usw. der Texte wichtig festzustellen, von welchem Standpunkt aus sie dargestellt sind. In der Prosa des Expres- sionismus wird oft aus den Perspektiven der Hauptfiguren erz5h1t, wobei die Geschichten zu einer Art Ich-Erz5hlung werden, obwohl das Erz5hler-Ich nie im Text erscheint. In solchen F5llen kommen den Figuren neue,wichtige Funktionen zu. Eine solcherart gestaltete poetische Realit5t verliert dann ihren Anspruch auf Objektivit5t. Wesen und Funktion des sprachlich Dargestellten mfissen aus der neuen Perspektive erfaBt und verstanden werden. So weit die Erl5uterung des anaytischen Instrumentariums und die Definition der Elemente der Erz5hlform. Die Analysen werden den Beweis ihrer Zul5nglichkeit bringen. Zuvor seien im folgenden Exkurs einige Voraussetzungen der Sprache der expressionistischen Prosa diskutiert. EXKURS: SPRACHTHEORETISCHE VORAUSSETZUNGEN DER EXPRESSIONIS- TISCHEN PROSA Carlo Mierendorff schrieb 1920 in einem Rfickbick auf die deutsche Dichtung im Expressionismus, daB diese Dichtung sich zun5chst vor die Aufgaben gestellt gesehen habe, eine Sprache zu schaffen, einen Sprachschatz sch5pferisch zu erneuern. ”Im Tumult der Flug- und Extrabl5tter war das Wort verlorengegangen. Die Rotationspressen batten es zer- 48 quetscht. Was die Morgenzeitungen und Abendposten noch ffillte, war ein stinkiger Absud. Es hieB die Sprache sieben, Abgegriffenes und Entwertetes endgfiltig auBer Kurs setzen."8 Die Unzufriedenheiten mit der als unzul5ng1ich empfundenen Sprache darf als Kennzeichen ffir die gesamte eXpressionistische Epoche gesehen werden. Diese Unzufriedenheit der Sprache gegenfiber schl5gt sich in zwei Extremformen nieder, zwischen denen die Vielfalt sprachlicher Ausdrucksformen der expressionistischen Prosa sich zeigt. Auf der einen Seite ffihrt das MiBtrauen gegen die Sprache letzten Endes zur Sprachkrise und schlieBlich zum Verstummen. Auf der anderen mfindet es in strenger Sprachas- kese oder in der Erfindung eigener Sprachformen. Als Beispiel der ersten M5glichkeit ist Hofmannsthals "Ein Brief" zu sehen. In diesem kurzen Prosastfick berichtet Lord Chandos, wie ihm v511ig die F5higkeit abhanden gekommen sei, fiber irgendetwas zusammenh5ngend zu denken oder zu sprechen.9 Hier zeigt sich das gewaltige AusmaB der Sprach- krise auf Seiten des Erz5hlers. Denn wollte er die abstrakten Worte gebrauchen, die man normaler Weise benutzt, um Urteile zu geben, so "zerfielen" sie ihm "im Munde wie modrige Pilze".10 Die Bedingungen dieser Sprachkrise fast I. Jens zusammen als: "Zerfall der vertrauten Daseinserfahrung, Auf15sung des bis- herigen Verh51tnisses Subjekt—Objekt, Uberm5chtigwerden der Dinge, Umwertung aller Werte, Unverbindlichkeit der alten Sprach- formen;" und meint, daB all das zw5lf Jahre sp5ter im EXpres- 49 sionismus zur selbstverst5nd1ichen Voraussetzung werde. (I. Jens a.a.O. S. 34-35) Obwohl der Erz5hler des Chandos-Briefes sein schlieB- liches Verstummen ankfindigt, formuliert er noch: Ich ffihlte in diesem Augenblick mit einer Be- stimmtheit, die nicht ganz ohne ein schmerzliches Beigeffihl war, daB ich auch im kommenden und im folgenden und in allen Jahren meines Lebens kein englisches und kein lateinisches Buch schreiben werde: . . n5mlich weil die Sprache, in welcher nicht nur zu schreibEn, sondern auch zu denken mir vielleicht gegeben w5re, weder die lateinische noch die englische noch die italienische und spanische ist, sondern eine Sprache, von deiEn Worten mir auch nicht eines bekannt ist. Hier spricht die Sprache vom Verstummen. Immerhin schreibt der Erz5hler seinen Brief zu Ende. Das heist also, daB er die M5glichkeit noch wahrnehmen will, in der Form des Briefes und mit Hilfe sprachlicher Ausdrucksformen fiber seine Sprachkrise zu reflektieren und zu klagen, und dieses trotz seines Geffihls, der Aufgabe, ein zusammenh5ngendes Buch schreiben zu k5nnen, nicht mehr gewachsen zu sein. Hier kann von einem Scheitern des Erz5hlers gesprochen werden, wohl nicht aber vom Scheitern des Erz5hlens.12 Als Beispiel der Forderung nach einer Art Sprachaskese bieten sich die Manifeste des Futurismus aus dem Jahre 1912 an. Vor allem hat F. T. Marinetti in seinem Technischen Manifest der futuristischen Literatur (1912)13 die futuristischen Ziel- setzungen anhand von elf Punkten dargestellt. Diese seien hier kurz zusammengefaBt. 50 In den ersten ffinf Punkten geht es um die Grammatik. Die Grammatik (oder besser Syntax--vg1. P5rtner Bd. II a.a.O. S. 47) mfisse man zerst5ren, damit die Substantive nach der Art ihrer Entstehung angeordnet werden k5nnen. Das Verb sei im Infinitiv zu gebrauchen, damit es sich dem Substantiv anpasse und nicht dem Dichter. Adjektive und Adverbien mfisse man be- seitigen,diese weil sie dem Satz einen langweiligen Ton g5ben und jene weil sie einen Stillstand der Uberlegung voraus— setzen wfirden und dadurch mit der dynamischen Vision unver- einbar seien. SchlieBlich mfisse jedes Substantiv seine Ver- dopplung haben, indem ihm ohne Konjunktion ein .anderes Substantiv folge, das mit den ersten durch Analogie verbunden sei. Dies geschehe, weil die aviatische Schnelligkeit die Weltkenntnis vervielfacht habe und weil die Erkenntnis durch Analogie dem Menschen immer natfirlicher werde. Dabei sollten auch alle vorgepr5gten Redewendungen unterdrfickt werden. Punkt sechs fordert: "Keine Interpunktion mehr." Mit der Beseitigung der anderen W5rter sei die Interpunktion jetzt fiberflfissig. An ihrer Stelle solle man sich mathe- matischer und musikalischer Zeichen bedienen, "um gewisse Bewegungen hervorzuheben und ihre Richtung anzugeben." In den folgenden Punkten (7-10) werden die durch Analo- gien enstandenen Bilder behandelt. Die Dichtung mfisse eine ununterbrochene Folge neuer Bilder sein; und zwar Bilder, die weite Beziehungen enthalten, damit ihre ”bestfirzende Kraft" l5nger anhalte. "Bilder-Clichés, Metaphern, also fast alles" mfisse man in der Sprache zerst5ren. Die Bilder lassen sich 51 nicht kategorisieren und seien also weder elegant noch arm noch fibertrieben, noch natfirlich. Um die aufeinanderfolgenden Bewegungen eines Gegenstandes darzustellen, mfisse eine Kette von Analogien gebildet werden, die aber in ein kennzeich- nendes Wort zusammenzufassen sei. Die Analogien seien "nach einem Maximum von Unordnung" zu verteilen, ”da jede Art von Ordnung notwendig das Ergebnis eines vorsichtigen Verstandes ist.” Punkt elf heist: "Man muB das 'Ich' in der Literatur zerst5ren, das heiBt alle Psychologie." Es gelte, die ersch5pfte Psychologie der Menschen durch die lyrische Ein- dringlichkeit der Materie zu ersetzen. Es wird an dieser Stelle keine Diskussion der Aus- wirkungen unternommen, die diese zwei Extremformen des sprachlichen Ausdrucks auf die Sprache im Expressionismus hatten, da dies zu groBem Teil anderen Ortes schon geleistet worden ist.14 Diese knappe Zusammenfassung dient dazu, zwei radikale Reaktionen auf die als veraltet und nicht mehr zul5nglich empfundenen Sprache zu charakterisieren. Aus solcherart Versuchen, die alte Sprache zu fiberwinden bzw. neu zu gestalten, ergeben sich ffir die Prosa des Expressionismus die im folgenden analysierten vier "Pole". 52 B. ZUR DEFFINITION DES BEGRIFFS "POL" Die Intensit5t der individuellen Kfinstlererfahrung ist ein ausschlaggebendes Moment beim Enstehen der Bewegung, die Expressionismus genannt wird, und der Werke, die als expres- sionistisch zu bezeichnen sind. Nur diese Intensit5t haben die expressionistischen Kfinstler mit einander gemeinsam. Ihre Erfahrungen hingegen unterscheiden sich auf h5chst individuelle Weise. Bei ihren Kunstwerken galt es ihnen, diese Intensit5t in m5g1ichst konsequenter Weise darzustellen. Die ad5quate Darstellung von Intensit5t kann aber nur durch die F o r m eines Kunstwerkes geleistet werden. Die Gegenst5nde, Motive, Figuren usw., die den Inhalt eines expressionistischen Kunstwerkes ergeben, sind nicht in der Lage, von sich aus eine Intensit5t der Erfahrung hervorzubringen. Diese geh5ren zu dem Bereich des sprachlich Dargestellten und sind dadurch nur Teile der poetischen Wirklichkeit. Hier sind sie nur schwache, schattenhafte Abbildungen der Erfahrungen, aus denen Intensit5t entsteht. (Insofern ist es bei einem expressionistischen Kunstwerk sehr problematisch, dem Inhalt eine Symboldeutung fraglos zuzumessen.) Der Inhalt ist funktionell aufzufassen, da er im Dienste der Form steht. Untersucht man den Inhalt auf seine Funktion und die Art seiner Darstellung hin, so ffihren die Ergebnisse zu den f o r m a 1 e n Prinzipien, nach denen das ganze Kunstwerk gestaltet wurde. Eine solche Fragestellung ergibt sich aus der Anwendung des analytischen Instrumentariums, dessen Kriterien soeben S3 erl5utert wurden. In den folgenden Kapiteln geht es nun darum, einige Prosawerke, die dem Expressionismus zugerechnet werden, mit Hilfe dieses Instrumentariums zu analysieren.16 Die Ergebnisse der Analysen werden zeigen, daB die hier unter- suchten Werke sich in vier verschiedene Gruppen (hier "Pole” genannt) einteilen lassen. Die einzelnen Pole unterscheiden sich voneinander durch die unterschiedliche Auspr5gung und Akzentuierung der Darstellungsformen von Erfahrungsintensit5t. Das heiBt also, daB bei den Werken, die die einzelnen Pole vertreten, die Darstellung von Erfahrungsintensit5t das Ergebnis der jeweiligen Betonung eines der vier genannten "Elemente der Erz5hlform" ist. Die "Pole" lassen sich bezeichnen als: "Expressionismus der S p r a c h e", "Expressionismus des s p r a c h l i c h D a r g e s t e l l t e n", "Expres- sionismus der H a n d 1 u n g und deren K a u s a 1 i t 5 t" und "Expressionismus des E r z 5 h 1 e n 5". Die Gruppen von Prosawerken werden als "Pole" bezeichnet, weil dieser Begriff neutral ist. Von der Naturwissenschaft her hat der Begriff "Pol" die Bedeutung: Drehpunkt. "Pole" expressionistischer Prosa sind also als Punkte aufzufassen, wobei jeder Punkt als die Konstellation von gewissen formalen Kriterien zu verstehen ist, um die gleichgestaltete Prosawerke sich "drehen". Die Pole werden anhand der Analyse der jeweiligen Prosawerke definiert, nicht umgekehrt. Sie sind d e s k r i p- t i v und n i c h t pr5skriptiv. Die Pole haben keine inhaltliche Bedeutung, sondern nur Funktion; eben die Funktion, 54 verschiedene Erz5hlformen expressionistischer Prosa zu beschreiben und dadurch zu dem Verst5ndnis der Bewegung, "die man ruhig Expressionismus nennen darf" (D5blin) bei- zutragen.17 IV. ERSTER POL: EXPRESSIONISMUS DER SPRACHE AM BEISPIEL VON KASIMIR EDSCHMIDS DIE SECHS MUNDUNGENl Ein "Expressionismus der Sprache" bedeutet, daB die Darstellung der expressionistischen Erfahrungsintensit5t sich auf der Ebene des sprachlichen Elements der Erz5hlform manifestiert. Die Prinzipien, nach denen die W5rter ausge- w5h1t und angewendet werden, sowie die Art ihrer Verknfipfung, dienen als Muster und als Vorbild bei der Gestaltung der anderen Elemente der Erz5hlform und schlieBlich der des Prosawerkes als Ganzem. Die sechs Mfindungen sind ein Beispiel dieser Art der Darstellung von Intensit5t unter der Prosa des Expressionismus. Anhand ihrer Analyse erfolgt eine aus- ffihrliche Definition dieses ersten Poles. A. DIE VORBEDINGUNGEN; DIE TEXTE Als ffinfundzwanzigj5hriger soll Kasimir Edschmid unter einer StraBenlaterne gestanden und in der Morgenausgabe der "Frankfurter Zeitung" vom 1. August 1915 fiber seinen "Novellen- band" Die sechs Mfindungen gelesen haben: Die Geschichten Kasimir Edschmids sind Muster- beispiele des literarischen Expressionismus, ja, die ersten, die es bisher gibt. Vollendet in dem, was sie wollen, vom ersten bis zum letzten Wort erstaunlich meisterhaft.2 Obwohl die kritische Zustimmung zu Edschmids Werken in den Jahren danach sehr nachgelassen hat, war Edschmid jedoch ffir 55 56 viele der zeitgen5ssischen Literarhistoriker "der bedeutendste und einfluBreichste Erz5hler der Zeit, dessen Novellen als das einzig bleibende Zeugnis des erz5hlerischen Expressionismus interpretiert werden.” (I. Jens 196)3 Die sechs Mfindungen sind 1915 im Kurt Wolff Verlag erschienen und wurden mit der folgenden Widmung Versehen: Diese Novellen, die die sechs Mfindungen heiBen, weil sie von verschiedenen Seiten einstr5men in den unendlichen Dreiklang unsrer endlichsten Sensationen: --des Verzichts--der tiefen Trauer-- und des grenzlosen Todes--sind geschrieben zur einen H5lfte im HeEbst Neunzehnhundertdreizehn und im folgenden M5rz zum andern Teil. (SM 0.8.) Zu Beginn der Analyse seien hier die Handlungen der sechs Erz5hlungen zusammengefaBt.4 "Der Lazo" erz5h1t die Geschichte von Raoul Perten, der sich bei einer unerwarteten Begegnung mit seinem Onkel, in dessen Haus er wohnt, plotzlich ent- scheidet, seine Heimatstadt und das 5de, belanglose Leben, d5s er dort ffihrt, zu verlassen. Die Uber- fahrt nach Amerika macht Er im Zwischendeck mit Abenteurern, ehemaligen Haftlingen und anderen Aus- wanderern zusammen. Er bleibt nur wenige Tage in New York und f5hrt auch von dieser Stadt angewidert nach Milwaukee weiter. Dort findet er nach langem Suchen und mit der Hilfe einer ”5ligen Mfitze" end- lich Arbeit. Er f5hrt aber vier Monate sp5ter weiter nach Westen und wird auf einer groBen Farm als Cow- boy angestellt. Als Helen, die Tochter des Hauses, von einem anderen Cowboy angegriffen und vergewaltigt wird, bittet sie Raoul, obwohl sie sich ihm gegen- fiber fast immer abneigend verhalten hat, ihre Ehre zu r5chen. Dazu gibt sie ihm ihr Pferd und ihren kostbaren Lasso aus Pferdehaaren, dessen Besitz die Sehnsucht des Daseins eines Cowboys ist. Raoul erschieBt den anderen im Duell, aber er kehrt nicht zu der Farm zurfick. Er schickt Helens Pferd alEein nach Hause und reitet mit dem Lasso "auf ein Stuck Himmel zu, das sich wie ein blaues Dreieck zwischen zwei Hfigel hineinbohrte und fiber dem ein Horizont aufbrach, ungeheuer, voll Ewigkeit und in flimmern- den Rotunden kreisend wie ein von R5tse1n durch- stochender Schild. " (SM 31) 57 "Der aussEtzige Wald" ist die Geschichte von Jehan Bodel, Sire d'Arras, dem gr58ten Dichter der Pikardie. Auf dem Weg nach seiner Stadt wird Jehan von Auss5tzigen iE Wald angegriffen. Es gelingt ihm einige zu t5ten, wobei die anderen sich zurfickziehen. In der n5chsten Stadt kauft er eine junge Sklavin mit Namen Beautrix, die aus Byzanz stammt. Zu Hause angekommen, geht Jehan zu einer Dame, und sie treffen sich mit anderen Bekannten in einer Kneipe. Jedoch empfindet Jehan diese Gesellschaft die der Sklavin gegenfiber "grenz- 105 6d. " Beautrix wird seine Geliebt61nu1er kauft ihr Kleider und andere sch5ne Geschenke. Als auf einer Jagd ein junger Ritter Beautrix einen ver- lorenen Handschuh uberreicht und diesen dabei lange kfiBt, r5cht Jehan diesen VerstoB gegen seine Liebe zu dem MEdchen, indem er den Ritter dazu zwingt, eine zus5tzliche Tortur ffir einen 5ffent1ich gefol- terten Auss5tzigen anzuordnen, der seine SEuche verheimlicht hatte. Etwa sieben Wochen sp5ter kommt ein provencalischeE S5nger und fibernachtet in Jehans Haus. Am n5chsten Abend entdeckt Jehan die Zeichen von Aussatz auf seiner Brust. Er sperrt sich in seinem Zimmer ein und h51t sich von Beautrix fern, obwohl sie alles versucht, zu ihm zu kommen. Nach einer WochE geht er mit Be5utrix zum Markt- platz, um den Bfirgern Lebewohl zu sagen. Dann zeigt er seine Brust, geht nach Hause und wartet darauf, daB er zur Folter geholt wird. Aber niemand kommt. Als Beautrix mit ihm zu den Auss5tzigen geben will, weist er sie grausam zurfick und geht "mit einer EngeheEer schlichten Geb5rde" allein dem Wald zu. SM 67 "MaEitonis Hochzeit" wird von einem betrfibten Mann erzahlt, der zu dem geheimnisvollen Diamanten- Schleifer, Joaquin Pelayo, kommt, um sich von dem Tod seines Freundes zu erholen. In vierzehn Tagen soll die Hochzeit von Pelayos Tochter Manitoni und Rodriguez gefeiert werden. Der Mann wird von allen Bewohnern des Hauses freundlichst aufgenommen, und die Tage verlaufen ruhig. Kurz vor der Hoch- zeit treten zwei aufregende Ereignisse ein. Der Er25hler glaubt, einen Besucher als den M5rder seines Freundes zu erkennen. Aber Pelayo interes- siert sich nicht ffir diese Nachricht. In diesem Augenblick wird gemeldet, daB Manitonis Kahn von der Flut fiberrascht worden sei und jetzt auf die See hinaus getrieben werde. Nur durch die gr5Bten Anstrengungen von Rodriguez kann sie gerettet werden. Am Abend der Hochzeit, die in allem Prunk und glanz stattfindet, wird die Stille der Nacht von einem 58 "wahnsinnigen Schrei" durchbrochen. Rodriguez, der einen Einbrecher fiberrascht hat,1iegt tot auf der Treppe mit einem Messer im Hals. Sein M5rder wird von Pelayo langsam erwfirgt. Die Braut steht spEachlos daneben. "Da tat Manitoni dies, das gr5Ber war und furchtbarer, wie alles, was Rodriguez gab, als er sie von der Klippe rettete . . Manitoni tat es: sie trat dem Sterbenden (M5rder--d. Verf. ) mit dem FuB breit ins Gesicht; sein KOpf rollte schwerf5llig zurfick. " (SM 97) Dann geht sie zum Strand und weint und schreit. "Fifis herbstliche Passion" erz5hlt von der T5nzerin Fifi, die eine Hauptattraktion der Bude "Pariser Refief" auf einem groBen Jahrmarkt ist. Wie das Gesch5ft der Bude, ist auch Fifis Tanz mfide und schwach. Als sie aber merkt, wie ein junger Schweizer sie beobachtet, wird ihr Tanz beschwingter. Franz besucht die Bude 5fters, um Fifis Tanz anzuseheL und es kommt zu einer Art VErh51t‘nis zwischen ihnen, ohne daB sie je ein Wort zu einander sprechen. Ein besonderes Ereignis ffihrt endlich zum pers5n1ichen Kontakt. Eines Donnerstagabends, als Fifi auf der StraBe fiberfallen wirL kommt Franz zu ihrer Rettung, aber Fifi dankt einem anderen. Freitag, Samstag, Sonntag tanzt Fifi, aber Franz kommt nicht. Sonn- tagabend geht sie in eine Kirche, die nah an dem Uberfallsort steht. W5hrend eines verzweifelten Gebetes wird es ihr klar, daB sie Franz den KuB h5tte geben sollen und daB das, was sie daran verhindert hat, "Aufb5umen gewesen sei aus der allzu groBen Tiefe dieses vergangenen Lebens vor der plotzlich viel zu strahlend aufgereckten Per- spektive jener h5chsten Erffillungen. " (SM 123) An demselben Abend erscheint Franz wieder im Publikum, und Fifi versucht, durch ihren Tanz ihm alles zu erk15ren, ihm zu d5nken, ihn um Verzeihung zu bitten und ihm ihre Liebe zu versichern. Er versteht sie nicht. Sie tanzt weiter, ekstatischer, bis sie "losch, sich in sich selbst verstr5mend, tanzend, zusammensinkend, hin wie ein seltsames und gutes Licht." (SM 127) "Yousouf" erz5h1t die Geschichte von dem spanischen Marquis Las Casas, der alles (Liebe, Ehre, Gerech- tigkeit, Versprechungen) aufs Spiel setzt, um den groBen Piraten Yousouf zu fangen. Den k5niglichen Auftrag dazu hat Las Casas seinem Rivalen Luis QuijEda abgenommen. Lange versucht Las Casas den Seer5uber zu stellen, jedoch vergeblich. Bei einer 59 Expedition auf dem Land wird Las Casas selber gefangengenommen und auf die Burg von Yousoufs Tochter gef5hrt. Nachdem er mehrere Flucht- versuche unternommen hat,befreit sie ihn selber, wobei er sich ihr aber zuerst hingeben mus. Endlich findet er Yousouf und bittet ihn um eine offene Seeschlacht, bei der Yousouf sogleich durch Sch5sse get5tet wird. Trunken von seinem Sieg. will Las Casas sofort zu seiner Geliebten Juana zur5ck- kehreL Dabei bricht er sein Versprechen, das er den Galeerensklaven gegeben hat, sie nach der Schlacht freizusetzen. Als er aber versucht, die Sklaven durch das Tanzen der Haremsfrauen zu beschwichtigen und sie zugleich zur rascheren Fahrt anzufeuern, wird er ermordet. Die Schiffe werden von Luis Quijada zur5ckgebracht. Juana taumelt als sie die Leiche von Las Casas sieht. "Und da sie nicht allein das Stolze liebte und die Starke, son- dern das Endgultige vor allem und den Sieg, ging sie um den Liegenden herum und raffte ihr Gesicht, daB es g15nzend ward wie das Metall einer 5ber einem Heer geblasenen Trompete, Schritt kurz auf Luis Quijada zu und legte ihren Kopf auf seine Brust." (SM 199) "Yup Scottens" ist eine Rahmenerz5hlung. Im Rahmen- teil warten einige seiner Freunde auf Yup, der neue Vorr5te bringt. Es ist Winter irgendwo im Westen Amerikas und die Nahrungsmittelvorr5te sind ersch5pft. In der Binnengeschichte wird von Yup erz5hlt. Obwohl er verlobt isL geht Yup auf die gef5hr1iche Wette ein, als "blinder Passagier" 1000 Meilen mit einem neuen raubsicheren Postzug zu fahren, ohne entdeckt zu werdeL Seiner Braut erz5hlt er nur, daB er auf ein paar Tage mit dem Zug reisen m5sse. Ihm gelingt die Fahrt mit dem Postzug, und nach drei Tagen im Lazarett wird er 5rgerlich, daB sein Freund, der ihm mit dem PersonenexpreB f6lgen sollte, noch nicht erschienen ist. Zu Hause angekommen erf5hrt er von der Mutter seiner Braut, daB der Personenzug entgleist und er selbst als tot gemeldet worden sei, weil man seine Brieftasche bei der Leiche des Freundes gefunden habe. Bei der Nach- richt, daB er tot sei, ist seine Verlobte wahn- sinnig geworden. Sie spricht nicht mehr und erkennt ihn nicht, als er zu ihr geht. 60 B. EDSCHMIDS VISIONARE SEHWEISE Die Postulation einer "Sehweise f5r die behandelten Vertreter der "vier Pole" ist der Versuch, aufgrund einer Betrachtung theoretischer KuBerungen der Schriftsteller, Kriterien einer individuellen, poetischen Wirklichkeits- auffassung zu erarbeiten. Verschiedene Sehweisen besch5ftigen sich mit jeweils anderen Aspekten der objektiven Wirklichkeit und zeigen sich dementsprechend bei unterschiedlichen Elementen der Erz5hlform. Die Postulation einer Sehweise erm5glicht einen vorl5ufigen Einblick in das dichterische Weltblid, wie es in dem Erz5hlwerk dieser Autoren poetisch voll realisiert wird. Die Sehweise von Kasimir Edschmid 15st sich als "vision5r" bezeichnen, da die V i s i o n eine so groBe Rolle in seiner Theorie spielt.5 Edschmids Weg zur Vision entstammt seiner Unzufriedenheit mit der impressionistischen Weltanschauung und den daraus entstehenden Kunstwerken. Der Impressionismus, der so nie total ward, nur St5ckwerk gab , nur dramatisch oder lyrisch oder sentimental f5r einen Gestus, ein Gef5hl war, diese kleinen Ausschnitte der groBen Welt aber formte, wurde und muBte werden, dem Kosmos gegen- 5ber, im Auge die Sch5pfung, M6saik. In unz5hlige kleine Teile zerlegte er die Welt . . . (TKZ 48- 49) Gegen "das Atomische, Verst5ckte" der Impressionisten setzt Edschmid seitens der Expressionisten "ein groBes umspannendes Weltgef5hl," worin die Erde und das Dasein als "eine groBe Vision" stehen. (TKZ 52) Das Gef5h1 bildet die Basis der 61 Vision: "Die Flamme des Gef5hls, das direkt zusammenflieBt mit dem Kern der Welt, erfaBt das Direkte und schmilzt es in sich ein." (TKZ 63) Aus dem "Trieb" und der "Hitze des Gef5hls" des Schriftstellers entsteht die k5nstlerische Vision. (TKZ 64)6 Es ist ihre Funktion, ein neues, einheit- liches Weltbild zu schaffen, das nicht mehr teil habe an jenem nur erfahrungsm5Big zu erfassenden der Naturalisten, nicht mehr teil habe an jenem zerst5cke1ten Raum der Impres- sionisten. Es solle einfach sein, "eigentlich und darum sch5n." (TKZ 53) Durch die Vision wird die objektive Wirk- lichkeit also vereinheitlicht. So wird der ganze Raum des expressionistischen Kunstlers Vision. Er sieht nicht, er schaut. Er schildert nicht, er erlebt. Er gibt nicht wieder, er gestaltet. Er nimmt nicht, er sucht. Nun gibt es nicht mehr die Kette der Tatsachen: Fabriken, Hauser, Krankheit, Huren, Geschrei und Hunger. Nun gibt es ihre Vision. (TKZ 54) Die vision5re Sehweise f5hrt den expressionistischen K5nst1er, dessen Gef5hl sich "maslos" entfaltet habe, (TKZ 52) oft zu einer ge- bzw. 5bersteigerten Darstellung der poetischen Wirklichkeit. Darauf wird aber sp5ter eingegangen. c. ZUR SPRACHE DER SECHS MUNDUNGEN Die intuitive, vision5re Sehweise des K5nst1ers, die ein durch Gef5hl und Vision vereinheitlichtes Weltbild ergibt, erfordert neue Ausdr5cksm5glichkeiten, die auch neue Bedingungen f5r die Sprache mit sich bringen. 62 Die S5tze liegen im Rhythmus anders gefaltet als gewohnt. Sie unterstehen der gleichen Absicht, demselben Strom des Geistes, der nur das Eigent- liche gibt. . . .“ Auch das Wort erhalt andere Gewalt. Das beschreibende, das umsch5rfende h5rt auf. Daf5r ist kein Platz mehr. Es wird Pfeil. Trifft in das Innere des Gegenstands und wird von ihm beseelt. Es wird kristallisch das eigentliche Bild des Dinges. Dann fallen die F5llw5rter. Das Verbum dehnt sich und versch5rft sich, ange- spannt so deutlich und eigentlich den Ausdruck zu fassen. Das Adjektiv bekommt Verschmelzung mit dem Tr5ger des Wortgedankens. Auch es darf nicht umschreiben. Es allein muB das Wesen am knappsten geben und nur das Wesen. Sonst nichts. (TKZ 65-66) Ein besonderes Charakteristikum der Sprache der §EEE§ M5ndungen, und ein lange erkanntes Kennzeichen der Edschmid'schen Wortkunst 5berhaupt ist die D y n a m i k.7 Schon bei der Wortwahl ansetzend, beschr5nkt sich die Dynamik nicht nur auf die sorgf5ltige Wortwahl bei Verbal- konstruktionen, wie die, die am Anfang jeder Erz5hlung stehen ("Raoul Perten verlieB das Haus." "Jehan Bodel, Sire d'Arras ritt durch den Wald." usw.)(SM 2, 34) Sie zeigt sich auch im Reichtum bewegungsausdr5ckender Substantive, wie diese Bei- spiele aus den ersten Seiten des "Lazo" demonstrieren: Rieseln, Flug, Bewegung, Kreislauf, Gehen, Geb5rde, Umw5lzung usw. (SM 2-6) Dazu gibt es eine Dynamik, die durch Adjektive dargestellt wird. Hier wird das Verbale wieder zum Gestaltungsprinzip, mittels vieler Partizipialadjektive: aufgerissen, schr5g- stehend, wassergef5llt, ablaufend usw. (SM 2) Diese Tendenzen vereinigen sich im folgenden Satz: " . . . dann sitze ich 63 nicht, Beine ausgeklemmt, weit voraus, das Rad zwischen zwei H5nden hebelnd und von Zeit zu Zeit das grazende Ger5usch des bewegten Vergasers 5ber das Geh5mmer des Motors setzend . . ." (SM 4) Auch Verben folgen dieser Tendenz, indem sie eine mehr als gew5hn1iche Dynamik zeigen: "Der Wagen leerte sich beinah v511ig." (SM 6) "Br packte die Scheine und rollte sie wie Stanniol zusammen." (SM 7) "Moos spann sich grau 5ber die W5ste. Kranichz5ge rauschten 5ber ihm. Endlos blendeten die weiBen Kaktusfelder in der Ferne.” (SM 181) Auf der Satzebene wird die Dynamik von der Syntax getragen. Dabei handelt es sich oft um Auslassen des Subjekts am Satzanfang und um die parataktische Anordnung mehrerer S5tze, die mit dem gleichen Verb beginnen. Dann ging er. Ging ohne Erregung, Pose, Senti- mentalitat. Ging wie ein Passant, der eine stille GewiBheit hat oder jemand, der eine Freude in sich sp5rt, die noch nicht klar und reif geworden ist. Ging wie von einer Stelle, die einem so vertraut und dadurch so entfernt geworden ist, daB es selbst eine fabelhafte seeliche Vergeudung bedeutete, sich auch nur die Kom5die einer Traurigkeit einzureden. (SM 9) Br dachte kurz an eine Zigarette. Aber er Z5ndete keine an. Z5ndete keine an, sondern ging mit auf- geblasener Brust auf seinen groBen Horizont zu. - - - (SM 11) Uberhaupt ist die Parataxe kurzer hektischer Haupts5tze ein h5ufig angewandtes Stilmittel, die Dynamik eines Vor- ganges zu schildern. Pelayo schlief in der H5tte. Wir schenkten einem bettelnden Gendarmen Brot unterwegs. Manitoni weinte, als wir hereinkamen. Sie hatte uns nicht erwartet. (SM 92) 64 Ich lief zu Joaquin Pelayo. Ich fand ihn nicht. Da drang ich in das Zimmer im ErdgeschoB. Ich hatte nicht gek10pft. Ich stieB die T5re auf. Ganz weit. Aber der Duft schlug mir s581ich ins Gesicht und nahm mir den Atem. (SM 87- 88) Die Parataxe erzeugt eine Erh5hung des Tempos, die dazu beitr5gt, die Dynamik der S5tze noch weiter zu steigern. Die hypotaktisch angeordneten S5tze sind aber auch von der Dynamik gekennzeichnet. Im Gegensatz zur Parataxe, die meist an dramatischen H5hepunkten erscheint, kommt die Hypotaxe eher in gelasseneren Erz5hlphasen vor. (vgl. I. Jens a.a.O., S. lef.) Die Intensit5t der dadurch erzeugten Dynamik beruht auf einer Dynamik, die auf der Wortebene dargestellt wird. Es hatte ausgeregneL die Erde str5mte nach den Umw5lzungen des Gewitters aus aufgerissenen Ventilen dankbaren Geruch in die Hohe. Zwischen den gelben Kieswegen lagen kleine schr5gsteigende Dampfwolken und die wassergef5llten ungeheuren Dolden der weiBen Fliederbusche betteten sich schwer, geneigt und trunken in das Feuchte der Bl5tter und als einziges Ger5usch klang das Rieseln feiner ablaufender TrOpfen in der Luft. (SM 2) Dann sprangen die Laternenreihen die StraBen hin- unter und erreichten, leichtes geknatter der Z5ndung zur5ck1assend, den Platz, der mit rasender Wucht an tausen Ecken, Schn5ren und Windungen von Licht geborsten und aufgerammt war und 5ber den ein tiefdunkler, sterndurchlochter Herbsthimmel schr5g und k5hl heraufwuchs. (SM 100-101) Neben der Dynamik ist auch eine E x o t i k des Ausdrucks auf der Ebene der Wortwahl festzustellen.8 Dies zeigt sich bei dem Gebrauch von Fremdw5rtern, die den fremd- l5ndischen Schaup15tzen der Erz5hlungen angemessen sind. In "Der Lazo" und "Yup Scottens", die je zur H5lfte im amerikanischen 6S Westen spielen, kommen englische Ausdr5cke vor: Nigger, Milchseparators, Cents, Dollar, Cowboy, Revolver, Lasso, Miss, Boys usw. Ubersetzungen aus dem Englischen werden auch verwendet: Pferdekoppelung, B5ffe1mist, Indianer. "Der auss5tzige Wald" bringt zwei franz5sische Lieder im Original- text. In "Manitonis Hochzeit" werden spanische Anredeformen benutzt. Und in "Yousouf" kommen Termini aus dem maritimen Bereich vor: Galeere, POppa, Carmuzzal usw. D. DIE VISIONKRB SEHWEISE UND DAS SPRACHLICH DARGESTELLTE Die Tendenzen der vision5renSehweise (der gef5hlsge- ladenen Vision) und die der Sprache (Dynamik und Exotik) treffen sich auf der Ebene des sprachlich Dargestellten. Hier werden die Steigerungen des Dargestellten, deren Anf5nge bei der Sprachdynamik liegen, vollzogen und ins UbermaB potenziert. ' 1. Die Exotik der Raum-Zeit-Dimension Jede der sechs Brz5hlungen spielt mindestens zum Teil in einer exotischen, fremdl5ndischen Gegend.9 In "Der Lazo" und "Yup Scottens" ist dies der Westen Amerikas. In "Der auss5tzige Wald" ist es die Pikardie Frankreichs, wobei diese Erz5hlungen auch in eine exotische Zeit verlegt worden ist. (ca. 14. Jahrhundert) Der Schauplatz von "Manitonis Hochzeit” ist Spanien, wo auch "Yousouf" zum Teil spielt, bevor sich 66 dessen Handlung 5ber den westlichen Mittelmeerraum bis hin in den Norden Afrikas erweitert. In "Yousouf" ist der zeitliche Hintergrund wahrscheinlich das 16. Jahrhundert. "Fifis herbstliche Passion" spielt mit der Exotik eines Jahrmarkts als Schauplatz.10 Bin Charakteristikum, das alle exotischen Schaup15tze (auBer denen aus "Der auss5tzige Wald" und "Fifis herbstliche Passion")gemeinsam haben, sind die riesigen Entfernungen. Raoul Perten f5hrt von Milwaukee aus f5nf Tage mit dem Zug und dann weitere drei Tage im B5ffe1wagen, um die Farm zu erreichen.11 Yup Scottens f5hrt 1000 Meilen, um an sein Ziel zu kommen. Las Casas verbringt mehrere Monate mit dem Durch- kreuzen des Mittelmeers auf der Suche nach Bassa Yousouf. Der Weg zu Joaquin Pelayo ist auch 15nger als erwartet. R5umlich- zeitliche Distanz sowie r5um1iche Ausdehnung und zeitliche Dauer korrespondieren bei der Erzeugung exotischer Stimmung. 2. Die "5bersteigerte" Metaphorik Die Bilder, Beschreibungen und Stimmungsmetaphern der Erz5hlungen erweisen eine Steigerung des Ausdrucks, die durch den Gebrauch von Gef5hlsw5rtern, deren Bedeutungen 5bertrieben wirken, und von ungew5hn1ichen bzw. exotischen Vergleichen und Kontrasten erzeugt wird. Solche Ausdr5cke werden oft durch die Hinzuf5gung von dynamischen Konstruktionen weiter intensi- viert, oder sie werden selbst dynamisiert. Der Endeffekt ist eine Ubersteigerung, eine Uberintensivierung der Metaphorik, wie folgende Beispiele verdeutlichen. 67 Von meinem Zimmer aus hatte ich weite Schau und staunte 5ber die Seltsamkeit der Gegend, die mit einer Welle von Gr5n und 5bertriebener Frucht- barkeit noch gegen das Haus prallte und sich hinunter nach Valencia zu in eine trostlose Sand- ebene verlor, aus der, 25h und kantig, der EngpaB zum SchloB von Hospitalit5t hinaufwuchs. (SM 79) Doch dies geschaE selten und nur bei Gewittern, die mit roten g15henden Netzen das Fenster 5derten und in eine 5berhitzte Glut anschwollen. Sie blieben einen kurzen Atem lang zitternd und wie ein Segel und zum Sprung gespannt in der Offung h5ngen mit gelbgr5nen Dr5hten. (SM 46) Las Casas suchte hier in der ungeheuersten Erhebung, in der durchbebtesten Ekstase seines Lebens den Gedanken an Juana zu toten. Eine wahnsinnige Freude durchschwang ihL Er hatte den Dolch durch den Mund gezogen. Seine H5nde hielten kalt und verkrampft das Steuer.A11e Kannonen entluden sich und schrien gegeneinander. (SM 185) Wie diese Beispiele zeigen, spielen rein sprachliche Kriterien eine sehr groBe Rolle bei der Erzeugung einer ge— bzw. 5bersteigerten Bildlichkeit. Zwei Tendenzen treten dabei hervor. Erstens werden W5rter aneinandergereiht, die schon selbst eine gesteigerte Bedeutung haben: 5bertriebene Ihnmhtbarkeit,wahnsinnige Freude usw. Die einzelnen Wort- bedeutungen f5gen sich zusammen und ergeben ein 5bersteigertes Bild--besonders wenn es sich um Superlative handelt, wie z.B. die "durchbebteste Ekstase" (wobei "Ekstase" als h5chste Potenzierung des Gef5hls zu betrachten ist). Zweitens kommt die Dynamisierung. Die Wortreihen werden durch die Verwendung von Partizipien oder durch Verbindungen zu Verbalkonstruktionen dynamisiert: z.B. "Eine wahnsinnige Freude durchschwang ihn." Uberhaupt bekommt die totale Bildlichkeit einen deutlich 68 dynamischen Charakter durch den Gebrauch so vieler intensiver und dramatischer Verbalkonstruktionen: "Alle Kannonen entluden sich und schrien gegeneinander." (S.a. I.Jens S1213) Die besondere Rolle, die die Dynamik bei der Erzeugung einer 5bersteigerten Metaphorik spielt, wird in der SchluB- szene von "Fifis herbstliche Passion" gut illustriert. Die Gef5hlskomponente ist an dieser Stelle schon sehr groB. Fifi ist sich ihrer Liebe zu Franz, der aber lange nicht mehr zu ihr gekommen ist, jetzt gewiB, und das zeigt sich an ihrem Tanz. Fifi "tanzte, wie sie nie getanzt hatte, groB, vor- wurfsvoll, in Tragik und Schmerz vertieft und einem brennenden Feuer zugebracht." (SM 125) Sobald Fifi den Geliebten erblickte, tanzte sie "sch5ner, f5h1te, wie eine 858e den Leib ihr hinanstieg, alles 15ste und ihren Augen Glanz gab und Glauben." (ebd.) Die Liebe und die Gef5hle, die Fifi f5r Franz hat, kann sie ihm nur durch die Bewegungen und die Dynamik ihres Tanzes ausdr5cken. (Sie haben nie ein Wort mit- einander gewechselt!) Je mehr Fifi von der Gr5Be ihrer Gef5hle 5berkommen wird, desto schneller tanzt sie, und desto bewegter wird das Tempo der Erz5hlung. "Fifis Augen strahlten, bettelten, wurden groB und erz5h1ten alles, was sie wuBte noch von der dumpfen D5mmerung einer Wiese, die irgendwo in ihrem Hirn aus der Kinderzeit br5tete bis zu der Liebe zu ihm, dem G5tigen." (SM 126) Fortgerissen von der Dynamik und dem Gef5h1 tanzt Fifi in den Bereich der Ekstase hinein. Die sprachliche Darstellung folgt den Knderungen ihres seelischen Zustandes. 69 Ihre Beine bewegten sich immer rascher in gew5lbten Bogen, ihre H5nde schienen etwas zu g15tten, sie tanzte weiter. Ihre Augen wurden immer linder, ihr Gesicht ward durchsichtiger und kleiner, die Beine hatten ein Tempo der gr58ten Ekstase erreicht, ohne daB sie etwas zu merken schien. Dann fielen sie langsam in einen dumpferen Rhythmus, die Blicke strahlten 5berirdischer, ein leises L5che1n zog dankend f5r seine G5te nach seinem immer noch unbe- wegten Gesicht, in das sie viele Wunder hinein- schaute . . . und so tanzend, gekl5rt und eine merkwErdige Leisheit erregend, die kurz eine Sekunde sich 5ber den Platz verteilte, losch sie, w5hrend die Rohre der Dampfmaschine p15tzlich lautlos S5ulen weiBen Dampfes gegen den Himmel stieBen und ein groBes Haus hinter dem Platz wie grundlos von einer hellen Strahlung m5chtig aus dem Dunkel heraus- gerissen aufflammte . . . losch sie, sich in sich selbst verstr5mend, tanzend, zusammensinkend, hin wie ein seltsames und gutes Licht. (SM 127) (Ellipsen im Original--d. Verf.) Auch die Aneinanderreihung von mehreren Vergleichen, die einzeln schon ungew5hnlich bzw. exotisch wirken, verleiht dem dadurch Dargestellten einen gesteigerten Ausdruck. Da war es schon d5mmerig geworden. Der H5hner- hund sprang vor ihnen wie ein weiBer Strich. Der Wald lag dann hinter ihnen gleich einer Augen- braue. Dumpf rauschend wie zwei F1edermausf15ge1 zogen sich die Tore von Arras im Abend hinter ihnen zusammen. (SM 39) . und ritt auf ein St5ck Himmel zuA das sich wie ein blaEes Dreieck zwischen zwei Hugeln hinein- bohrte und 5ber dem ein Horizont aufbrach, unge- heuer, voll Ewigkeit und in flimmernden R6tunden kreisend wie ein von R5tseln durchflochtener Schild. (SM 31) Bei der Natur- und Stadtbeschreibung am Anfang von "Fifis herbstliche Passion" kommen alle sprachlichen Gestaltungs- mittel der vision5ren Sehweise zusammen und ergeben ein Bild, das zum H5chstma8 5bersteigert ist. 70 Die StraBen mit den tagm5den, grauen Trottoirs wErden gesprengt und die schweifhaften breiten GEsse, die den s5enden und starken Gesten der M5nner entflogen, legten sich klatschend und eigenwillig auf den Boden. Es wurde Abend. Die Weiden und Eschen der G5rten schwebten scheu und flimmernd vor der ungeheuren Ruhe des Opalen und tiefgelben Himmels. Und wie das Wasser das Irisierende aus der Luft sog, schritten die Menschen 5ber die StraBen wie 5ber Bilder von Signac oder CroB: Eine Viertelstunde brannte die Stadt in einer stillen Glut von gelbem Getupf. Brandfeuer rannen in d5nnen Str5hnen dann in die Stadt und mischten sich GlockengelEut und dem grausamen Drang einer fressenden D5mmerung. Wie Sch15nde tagelEng entfeuerter Kannonen brachen die SchloBfenster 5ber die ausl5schenden H5user- quadrate, feierlich, hart und alt, eine Zeit noch hinaus. (SM 98) 3. Charaktere Der Gr58e der Raum-Zeit-Dimensionen und der Ubersteigerung der stimmungsgeladenen Metaphern entsprechen die Charaktere der Sechs M5ndungen. Das verwirklicht Edschmids Forderung: Die groBe Musik eines Dichters sind seine Menschen. Sie werden ihm nur groB, wenn ihre UmgeEung groB ist. Nicht das heroische Format, das f5hrte nur zum Dekorativen, nein, groB in dem Sinne, daB ihr Dasein, ihr Erleben teil hat an dem groBen Dasein des Himmels und des Bodens, daB ihr Herz, ver- schwistert allem Geschen, schl5gt im gleichen Rhythmus wie die Welt. (TKZ 52- 52) Eine Exotik der Figuren wird sogleich aus ihren Namen ersichtlich: Raoul Perten, Helen, Jim ("Der Lazo"); Jehan Bodel, Sire d'Arras und Beautrix ("Der auss5tzige Wald"); Joaquin Pelayo, Manitoni und Rodriguez ("Manitonis Hochzeit"); Fifi und Partufa ("Fifis herbstliche Passion"); Yup Scottens, 71 M18 Laura, Tim Porker und die Boys (”Yup Scottens"). Auch ihre Berufe haben den Hauch des Exotischen: Cowboy, Dichter und Troubadour, Diamantenschleifer, Jahrmarktt5nzerin, Priratenj5ger usw. Die Darstellung des exotischen Wesens dieser Menschen beschr5nkt sich aber auf ihre Namen und Berufe sowie ihr Erscheinen an exotischen Schaupl5tzen. Die physische Gestalt der Menschen wird wenig oder kaum beschrieben. Dabei ist Fifi eine Ausnahme; jedoch ist ihre Beschreibung eingentlich recht sp5rlich. Dann: Leere . . . und Fifi . . . Schmal doch k5st1ich in einen gelben Gummimantel geh511L fr5ste1nd, den Platz mit Adel ausf511end, kam sie auf den Ausgang zu. Mit der d5nnen linken Hand krampfte sie den Kragen 5ber die Brust vor dem Hals zu wie mit einer weiBen Agraffe. Die Lippen waren rot und merkw5rdig wie mit feinem Lack auf das bleiche Gesicht aufgetragen. (SM 109) (Ellipsen im Original--d. Verf.) Die dargestellten Figuren der sechs Erz5hlungen tragen die Funktion, auf den Zwiespalt zwischen dem begrenzten, allt5glichen Leben in der Stadt und den groBen M5g1ichkeiten einer exotischen Welt hinzuweisen, die irgendwo in der Ferne liegt. Dies wird in "Der Lazo" und "Der auss5tzige Wald" sehr deutlich. 5hnliches gilt aber auch f5r ”Yousouf" und "Yup Scottens”. In diesen vier Erz5hlungen werden die vitalen Hauptfiguren von Gruppen tr5ger und gew5hn1icher Menschen umgeben und dadurch in dem allt5glichen, langweiligen, belanglosen Leben der Stadt quasi gefangengehalten. F5r Raoul Perten ist das der Kreis der Freunde seines Onkels. An ihnen wird das sich st5ndig wiederholende, banale Gesellschafts- Leben gezeigt. 72 Wenn ich dies so durch die Nase ziehe, 5berjagt mich etwas wie die Ahnung eines maBlosen Flugs. In f5nf Minuten aber ist das vor5ber und ich weiB nur noch, daB wir den Abend zu sechs G5ngen soupieren, daB Onkel den Louis Sch5tz mitbringen wirL daB Blumenthal morgen (was macht es mir?) seinen zweiten Rekord feiern wird, 5bermorgen vielleicht Hans stirbt oder Mella mit dem Russen verschwindet. Und was geht das Wissen da all mich im Grunde an . . . ? Onkel hat einen neuen Chablis entdeckt und denkt, daB man ihn den Abend drum feiert. Der Pr5sident wird gegen zw5lf wie gewohnt seinen Witz erz5hlen. Rosenheim lacht durch die Nase. (SM 2- 3) Jehan Bodel langweilt sich bei seinen Bekannten. Ihre Intrigen, Skandale und unsittlichen Anspielungen lassen ihn "grenzlos 5d." (SM 42) Las Casas und Yup Scottens werden beide durch die Liebe zu einer Frau wenigstens kurzfristig an das begrenzte Dasein in der Stadt gebunden. SchlieBlich wird das Stadt- 1eben mit seinen eingeschr5nkten M5glichkeiten diesen Menschen zuviel. Die Notwendigkeit eines Aufbruchs wird den Charakteren in dem Augenblick bewuBt, da sie sich von der in der Ferne liegenden exotischen, abenteuerlichen Welt angelockt, oder zum Verlassen der vertrauten Ode getrieben f5hlen. E. DIE AUFBRUCHSKAUSALITKT DER HANDLUNGEN Die Handlungen der sechs Erz5hlungen berichten von der Vorbereitung, der empfundenen Notwendigkeit, der Ausl5sung und den Folgen eines A u f b r u c h s der Hauptfigur.12 Der Aufbruch ist der Kausalnexus, um den die Handlungen gestaltet werden, wobei der Handlungsbeginn der einzelnen Erz5hlungen in dem Schema: Vorbereitung, Notwendigkeit, 73 Ausl5sung, Folgen fr5her oder sp5ter angesetzt wird. Der eigentliche Aufbruch der Hauptfiguren wird in den sechs Geschichten auf verschiedene Arten ausgel5st, von Personen, Objekten oder Zust5nden. Das ausl5sende Moment bewegt immer die Gef5hlswe1t der Betroffenen. Das ist ganz im Sinne von Edschmids Forderung f5r den Menschen der Dichtung. "Sein Leben reguliert sich ohne die kleinliche Logik, ohne Folgerung, besch5mende Moral und Kausalit5t lediglich nach dem ungeheuren Gradmesser seines Gef5hls." (TKZ 58) Die Aufbruchskausalit5t ist eine Kausalit5t des Gef5hls, wobei der Charakter dem "Ausbruch seines Innern" folgt. (ebd.) In diesem Sinne zeigen die Handlungen dann eine Dynamisierung des Gef5hls. Diese Dynamisierung wird oft vom Reiz des Aben- teurlich-Exotischen ausgel5st und sie vollzieht sich an exotischen Schaup15tzen. Die Gef5hle, die den Aufbruch not- wendig erscheinen lassen, sind jedoch nur zum Teil mit den "unendlichen Dreiklang unserer endlichsten Sensationen:~-des Verzichts--der tiefen Trauer--und des grenzlosen Todes" gleich- zusetzen, die Edschmid in der Widmung der Sechs M5ndungen beschreibt. Die Analyse der sechs Handlungen wird dies n5her erk15ren. Im "Lazo" gibt es f5r Raoul Perten zwei Aufbr5che, oder besser: der Aufbruch vollzieht sich in zwei Stadien. Das erste setzt da ein, wo Raoul, angeekelt von der Belanglosigkeit seines Daseins, sich bei der Begegnung mit seinem Onkel p15tz- lich dazu entscheidet, auf "ein paar Tage" zu verreisen, ohne sich jedoch dar5ber im Klaren zu sein, wohin er reist. (SM 7) 74 Nur eines ist ihm wichtig: er muB weg! Das zweite Stadium und damit der eigentliche Vollzug des Aufbruchs wird an der Stelle erreicht, wo Raoul, nachdem er seinen Rivalen erschossen hat, sich 5berlegt, ob er zu Helen und der Farm zur5ckkehren 5011. Br glaubt Helen zu lieben. Aber es schien ihm, daB er wieder da dann ange- langt sei, wo er ausgegangen. Kein Himmel werde seine n5chtliche Lockung uber ihn w51beL Der Himmel w5rde eine Mauer sein, fest um ihn herum gebaut. Das Leben w5rde nichts mehr zum Steigern f5r ihn haben. (SM 29) Das Gef5hl, auf den dieser EntschluB beruht, ist nicht der Verzicht, wie I. Jens es interpretiert, sondern das Gef5hl der Notwendigkeit einer gesteigerten Selbstverwirklichung. (vgl. I. Jens, S. 200) Perten begreift, "daB nur ein Reiz ewig und wertvoll in ihm sei: sich selbst h5her zu werfen und weiter zu steigern . . ." (SM 29) Die Verbildlichung dieses Reizes ist der Lasso aus geflochtenen Pferdehaaren, der das h5chste Ziel eines jeden Daseins ist. Durch das Duell hat Raoul ihn erworben und mit ihm reitet er dann ”auf ein St5ck Himmel zu . . ." (SM 31) Auch der Aufbruch von Jehan Bodel in "Der auss5tzige Wald" vollzieht sich in zwei Stadien. Jehan wird durch die Sch5nheit der Sklavin Beautrix von seinen ehemaligen Freunden weggelockt. Aber wie bei Raoul Perten ist dieser nur ein vorl5ufiger Aufbruch, denn Jehan wird nach kurzer Zeit durch seinen Aussatz dazu gezwungen, auch Beautrix zu verlassen und in den Wald zu gehen. Auch hier kann nicht von einem Verzicht (im Sinne der Widmung) Jehans gesprochen werden. Aufgrund seines 7S Aussatzes sieht sich Jehan zu neuen Zielen gezwungen. Beautrix aber begreift nicht, wie alles in ihm get5tet sei und daB allEs Weibliche in allen Eeziehungenuzu tief fur ihn liege und kaum die auBersten Rander seines Hori— zonts noch streife, da sein Geist schon ganz ein- gerichtet wag auf den neuen Sinn seines Lebens, der ihr entruckt auf einem fremden Schwerpunkt lag. (SM 65) Beautrix will mit in den Wald gehen, was ihr Jehan nicht erlaubt. Die Konsequenzen des ihm auferzwungenen Aufbruchs hat Jehan allein zu tragen, denn der Aufbruch ist eine Sache des Individuums. In "Manitonis Hochzeit" findet der Aufbruch der Titel- figur erst ganz am Ende der Erz5hlung statt. Dabei hat I. Jens eigentlich Recht, wenn sie meint, daB in diesem Text "eine 'Handlung konstruiert wird, nur um der Heldin Gelegenheit zu geben, dem sterbenden M5rder ihres Mannes ins Gesicht zu treten." (I. Jens, S. 206)13 Die ganze Handlung ist nur die Vorbereitung zu diesem Moment des Aufbruchs, zu dem aber Manitoni erst durch den Mord an Rodriquez getrieben wird. Da der Aufbruch sich so sp5t ereignet, kann sein Vollzug nicht dargestellt werden. Seine Abwesenheit macht sich bemerkbar, und der Gesamteindruck, den die Erz5hlung hinterl58t, ist im Vergleich zu den anderen weniger intensiv. Hinzu kommt ein erz5h1technischer Mangel, der sp5ter behandelt wird. Der Aufbruch von Fifi ("Fifis herbstliche Passion") vollzieht sich nach ihrem Uberfall. Die ausl5senden Faktoren sind ihre Uberlegungen 5ber die Gr5nde ihrer Aktionen w5hrend 76 des Uberfalls sowie die Entdeckung ihrer Liebe zu Franz. Wie schon beschrieben, ereignet sich der Fortgang des Aufbruchs nach dem Muster der Dynamik. (5.0. S. 68-69) Endlich durch die Liebe von der Bedingtheit ihres Lebens befreit, tanzt Fifi sich soweit in die Ekstase hinein, daB sie, ohne zu bemerken, daB Franz sie nicht versteht, schlieBliCh von der Intensit5t des Aufbruchvollzugs verzehrt und aufge15st wird. Die scheinbare Negativit5t des Ausgangs dieser Handlung ist jedoch positiv zu bewerten. Als die direkte Folge ihres Aufbruchs ist Fifis Tod zugleich die durch die h5chste und dynamisierte Ubersteigerung vom Gef5hl erreichte Befreiung von ihren begrenzten, miserablen Existenz auf dem Jahrmarkt. Insofern wird die Metapher, die ihren Tod als "grenzlos" charakterisiert, synonym mit Entgrenzung. Auch der Aufbruch von Las Casas ("Yousouf") endet mit seinem Tod. Daran ist aber nur er selber schuld, weil er sich, nachdem er das Ziel seines Aufbruchs (den Kampf gegen Yousouf) erreicht hatte, sofort nach der Geliebten und dem mit ihr verbundenen Leben in der Stadt sehnte. Das f5hrt dazu, daB er sein Versprechen gegen5ber den Sklaven bricht, woran er dann zugrunde geht. Das Negative der Handlung wird dadurch ver- mindert, daB die Ermordung von Las Casas einen Aufbruch von Juana ausl5st, "da sie nicht allein das Stolze liebt und die St5rke, sondern das Endg5ltige und vor allem den Sieg." (SM 199) Da die Folgen von Juanas Aufbruch nicht dargestellt werden, wirkt dieser SchluB, wie der von "Manitonis Hochzeit" auch weniger intensiv. 77 Bei "Yup Scottens" stellt die Wette das den Aufbruch ausl5sende Moment dar. Angelockt von Abenteuer und Gefahr nimmt Yup die Wette an, ”um zu beweisen, daB er trotz seiner Verlobung 'ein Kerl' ist." (I. Jens, S. 205) Da er sein Ziel erreicht und dann zur5ck zu Laura will, scheinen die Konse- quenzen des Aufbruchs zun5chst nicht vollzogen zu werden. Ihm wird jedoch dank der Entgleisung des Personenexpresses und der falschen Nachricht von seinem eigenen Tod, auf die hin Laura wahnsinnig wird, die Notwendigkeit eines zweiten Auf- bruchs erspart. Er wird dazu gezwungen, kraft seines Gef5hls den begonnen Aufbruch in der Exotik des Westens zu vollziehen. ,F. DIE VISIONKRE ERZKHLWEISE Um die Intensit5t der Aufbruchskausalit5t und der daraus folgenden Handlung ad5quat darzustellen, werden f5nf der sechs Erz5hlungen zumindest teilweise aus der Perspektive der 14 Dabei konzentriert sich die Darstel- Protagonisten erz5hlt. lung auf Geschehnisse, Personen und Zust5nde, die von der Hauptfigur wahrgenommen werden. Insofern ist die oft 5ber- steigerte Darstellungsweise eine direkte Konsequenz der 5ber- steigerten Gef5hlszust5nde dieser Charaktere. Die eigentlichen Erz5hler halten sich aber nicht streng an diese Perspektiven. Sie machen mit Hilfe kurzer Erk15rungen und Kommentare auf ihre eigene Gegenwart aufmerksam. Die Erz5hlereinsch5be haben die Funktion, die Intensit5t des Er25hlten weiter zu steigern. Sie wirken jedoch bisweilen st5rend und aufhaltend. Bin 78 besonders auffallendes Beispiel daffir ist in "Der Lazo” am Ende von Raouls innerem Monolog zu finden. Innere Monolge dieser Art dauern in der Regel straBenweit und haben den Vorzug, in abenteuer- liche Stimmung zu versetzen und den Weg aufs angenehmste zu verkurzen, da man sich hierbei des Gehens als physischer Erscheinung nicht bewuBt wird. (SM 5) Khnliche Einschfibe kommen in jeder der sechs Erzahlungen vor, obwohl sie,--Edschmids Verbannung der Psychologie nach, die nur ein "Erklarenwollen" und "Besserwissen" anstrebe,--in seiner Dichtung eigentlich zu vermeiden waren. (vgl. TKZ 60) "Manitonis Hochzeit" weicht ab von der vorherrschenden Tendenz, die Geschichte aus der Perspektive des Protagonisten zu erzahlen. Der Erzahler ist eine der dargestellten Figuren, nicht aber die Hauptfigur, und berichtet in der Ich-Form. Obwohl er keine langen Kommentare von sich gibt, kann er nur aus seiner eigenen limitierten Perspektive erzahlen. Dadurch kommt es in der Erzahlung zu einer minder intensiven Darstel- lung der Erlebnisse und Geffihle, die zu Manitonis Aufbruch ffihren. Das gleiche Phanomen last sich in "Yup Scottens" beobachten. Die Binnengeschichte dieser Rahmenerzahlung wird aus Yups Perspektive erzahlt: "Yup habe ihm alles erzahlt. 80:" (SM 205) Jedoch werden diese Ereignisse von einem weiteren Erzahler im Rahmen fibermittelt, der seinen Bericht aber in indirekter Rede bringt. Dabei werden die Ereignisse der Binnen- Geschichte um zwei, wenn nicht um drei Schritte von dem 'wirk- lichen' Geschehen zurfickgenommen. Die Intensitat des Erzahlten 79 wird dadurch sehr verringert. Eine ahnIiChe Verminderung der Intensitat ist auch in "Yousouf" festzustellen. Hier wechselt der Erzahler zwischen der Perspektive von Las Casas und der von Juana. Nach dem Tod von Las Casas schwankt die Erzahlperspektive zwischen Juana und Luis Quijada. An den Stellen, wo der Erzahler sich konsequent an die Perspektive der Hauptfigur halt, entsteht in den Erzahlungen ein l y r i s c h e s Moment: die von dem Geffihl des Auf- bruchs betroffene Figur sagt sich selber aus. In der visio- n5ren Erzahlkunst Kasimir Edschmids entstammt die Intensitat der Darstellung von Empfindungen unmittelbar der Vision und dem Geffihl der Charaktere, und ist folgerichtig an deren Erlebnis- und Darstellungsperspektive gebunden. G. ZUSAMMENFASSUNG Bei den vorangehenden Analysen der Sechs Mfindungen ging es darum, anhand der exemplarischen Ausseinandersetzung mit einem Beispiel expressionistischer Prosa die Kriterien des Pols "Expressionismus der Sprache" auszuarbeiten. Dabei muB noch betont werden, daB Die sechs Mfindungen nur als einer von vielen moglichen Vertretern dieses Poles ausgewahlt wurde. Aus den Analysen lassen sich folgende Schlfisse zu der Definition dieser Art expressionistischer Prosa ziehen. Im Expressionismus der 8 p r a c h e konzentriert sich die Darstellung zuerst auf die Bedeutungen der einzelnen Worter. Werden die Bedeutungen additiv verknfipft, so kommt es zu 80 gesteigerten bzw. ubersteigerten Bedeutungsgewichten bei den Satzen und Satzteilen. Die Art der Steigerung/Ubersteigerung wird von der Erzahlabsicht des Dichters determiniert, da diese die Kategorien der Wortwahl bestimmt. Prosawerke, die dem Prinzip einer additiven Verknfipfung von Wortbedeutungen folgen und dabei das Dargestellte in ubersteigerter Form prasentieren, haben die Tendenz, sich zum Visionaren (wie das Beispiel von Edschmid zeigt), aber auch zum Hymnisch-Pathetischen zu neigen. Jedoch deutet sich daraus eine Moglichkeit einer entgegen- gesetzten Tendenz an: n5mlich eine Bedeutungskollision der Wortreihen, durch die der Sinngehalt Gefahr lauft, ins Absurde umzuschlagen. Die Verlegung des Erzahlens in die Perspektive der Haupt- Figur ermoglicht eine Steigerung der Intensitat des Erzahlten. Die Analysen der anderen Pole werden zeigen, daB diese eine gemeinsame Tendenz der meisten expressionistischen Prosawerke ist. V. ZWEITER POL: EXPRESSIONISMUS DES SPRACHLICH DARGESTELLTEN AM BEISPIEL VON CARL EINSTEINS BEBUQUIN1 Beim ”Expressionismus des sprachlich Dargestellten” erfolgt die Darstellung von Erfahrungsintensit5t durch das Medium der poetisch entworfenen Gegenst5nde. Die Darstel- lungsweise von Raum und Zeit, von Metaphern, Bildern, Themen, Charakteren usw. hat groBen EinfluB auf die gesamte Poly- phonie des Erzahlwerkes. Der Roman Bebuguin ist ein Beispiel dieser Art der Intensitatsdarstellung, und diene zur Analyse der Kriterien dieses Poles. A. DIE VORBEDINGUNGEN; DER TEXT Carl Einstein konnte lange keinen Verleger fur seinen kurzen Roman Bebuguin finden, bis sich Franz Pemfert 1912 bereit erklarte, den Text zu drucken.2 Das Erscheinen des 3 Romans erregte "groBes Aufsehen." Herbert Kraft hat in seiner Dokumentation zu Carl Einstein die wichtigsten Beispiele. fur die kritische Auseinandersetzung mit dem Roman gebracht.4 Fraz Blei, der ein Geleitwort zum Erscheinen von Bebuguin in der Aktion schreiben sollte, fand sich "ratlos vor die Aufgabe gestellt, einen Leser auf ein Buch vorzubereiten, dessen groster Wert mir scheint, daB es, wie die Dinge heute liegen, keinen Leser finden kann, keinen wenigstens, den ich 'einffihren' konnte.” Denn Einstein habe es versaumt, den Fall einer verzwickt-genitalen Frauenseele zu bringen und habe es ver- 81 82 schmaht, Gestalten zu schaffen, die Fleisch und Blut haben, "das dem Rayonchef eines Warenhauses gelaufige Fleisch und Blut n5mlich." Dabei habe Einstein "fiberhaupt Enthaltung von allen 'modernen Problemen' bis zur Askese getrieben." Aus diesen Grfinden wfinscht Blei also, daB das Buch "m6g1ichst unverkauft beim Verlag bleibe, damit die erhofften Leser in dreiBig Jahren dort die sch5nen sauberen Exemplare finden-- in dreiBig Jahren, was ich als die Zeit annehme, wo man sich um die paar Biicher, welche die Literatur unserer Tage bilden, kfimmern wird.”S Ahnlicher Meinung war auch Gottfried Benn, der Einsteins Bebuguin mit Gides Paludes als die zwei Bficher der "absoluten Kunst” ansieht.6 Hugo Ball meinte, Einsteins Werk habe ihm die Richtung fur seine Plane fur ein Mfinchener Kfinstlertheater gewiesen.7 Bevor zur Analyse des Romans ubergegangen wird, seien zuerst die wichtigsten Handlungsereignisse kurz zusammen- gefaBt. Der Roman hat keine Handlung im herkomlichen Sinne. Die Handlung von Bebuguin ist die Darstellung eines Erlebnis- prozesses der Titelfigur, in dessen Verlauf sie sich selber "zum Schicksal" wird. (GW 118) Der Roman erzahlt von den Erlebnissen eines Giorgio Bebuquins, der angstlich abbiegt, "dem Uberlegen uber die Zusammensetzung seiner Person vorzubeugen. " (GW 192) Auf einem Jahrmarkt geht er in das Museum zur billigen Erstarrnis, wo Euphemia, ein "breite verschwimmende Dame," nackt an der Kasse sitzt. Dort trifft er Nebukadnezar Bohm, dessen kleiner Kopf mit einer silbernen Hirnschale "mit wunder- voll ziselierten Ornamenten, worin feine glitzernde Edelstein platten eingelassen waren," versehen ist. (GW 193) Bohm bringt die Lehre von einer "neuen Logik," die er mit den Formen der Ziselierung schafft, 83 und spricht auch von dem "Wunder der Qualit5t." (GW 199) Bei einer Begegnung mit Euphemias massigen Busen, der von seiner Hirnschale und einem anderen Spiegel doppelt gespiegelt wird, merkt er, ”daB sein Leib barst fast im Kampfe zweier Wirklich- keiten," und daB seine Gestalt sich fast aufloste, da die gesehene Welt nicht mit ihr ubereinstimmte. " (GW 195) Jedoch ist ihm dieser Tod von keiner groBen Konsequenz, da sein silbernes Gehirn ihm "fast: Unsterblichkeit verleiht. Danach taucht Bohm uberall auf: aus einem Nachtstuhl; in der Bar, wo er nach seinem Auftritt sich in eine selt- same Kognaksorte legt, "die er von jeher geliebt hat"; an detheckevon.Bebuquins Zimmer usw. SchlieB- 11ch versucht Bebuquin Bohm zu begraben, da er laBtig wird. Bebuquins ErlebnisprozeB beginnt in dem Museum zur billigen Erstarrnis, wo ihm "das Talglicht eines Verstehens" peinlich aufgeht, "daB er, in Erwartung eines Schauspiels, einem anderen zum Theater gedient habe. " (GW 193) Er schreit: "Ich bin ein Sp1ege1, eine unbewegte, von Gaslaternen glitzernde Pfutze, die spiegelt. Aber hat ein Spiegel sich je gespiegelt?" (ebd. ) Bebuquin versucht, sich mit Bohms Lehre von der neuen Logik auseinander- zusetzen und sieht ein, daB "das Phantastische die Logik ist." (GW 196) Aber er hat damit keinen Erfolg, da er nur e i n e Logik und ein Nicht- logisches annimmt. Der tote Bohm sagt ihm hingegen, daB es in dem Menschen viele Logiken gebe, die sich bekampfen, und aus deren Kampf das Alogische hervor- gehe. (GW 201) So belehrt, geht Bebuquin in ein Cafe (spater Bar genannt), wo die Kunden Themen wie KunsL Form, PhiloSOphie, Wunder, Vernunft, Alogik, Verrucktheit usw. diskutieren. Der Maler Heinrich Lippenknabe singt ein Lied von Einsamkeit. Euphemia berichtet von ihrem Sohn, der als Embryo eine phi1050phische Arbeit schrieb ("Die zerstorte Nabel- schnur oder das Principium indiv1duationis"), der bei Geburt promovierte und den Bohm immer stillen will. Bebuquin erzahlt von seiner letzten Lieb- schaft ("der Abschied von der Symmetrie"), wobei die Geliebte eine Vase aus Knidos ist. Die Schau- spielerinFredegonde Perlenblick kommt an. Sie wird von einigen Arbeitern samt ein paar Likorflaschen unter dem Arm mitgenommen. In einem Zirkus tritt Euphemia als Seiltanzerin auf und beim Mielingen eines Tricks beschlieBt sie "aus formalen Grunden, sich das Genick zu brechen. " (GW 217) Sie ergreift aber noch rechtzeitig das Seil und geht dann "moralisch ruiniert" in das Kloster des kostenlosen B1utwunders.Vorher halt sie jedoch vor einem sich begattenden Affenpaar ein 84 Gesprach mit Bebuquin. uber das Wesen Gottes. Zu Hause denkt Bebuquin uber Sunde und die Kunst nach und betet, daB der Herr ihm ein Wunder gebe. Dann geht auch er mit Bohm zusammen zum Kloster. Dort erfahrt er, daB die Verwandlung "vielleicht" mit dem Tod eintrete. "Entweder bleiben wir dort, was wir sind, oder wir werden vernichtet und verwandelt." (GW 229) Auch wird ihm gesagt, daB er der Grund- verwandlung bedurfe, "die ist der Tod. " (GW 230) Wieder zu Hause angekommen, halt Bebuquin die "Rede vom Tod im Leben. " Zum SchluB erkennt er: "Herr, ich weiB, am Ende eines Dinges steht nicht sein Superlativ, sondern sein Gegensatz, und die Erkenntnisse gehen zum Wahnsinn. " (GW 234) Wieder bittet er den Herrn, ihn eine unabhangige Tat, "ein Wunder” tun zu lassen. (ebd. ) Er geht dann in einen Zirkus, wo eine spiegelnde Saule in die Arena fahrt. Die Menschen dort werden 1rrsinnig, weil sie die Verzerrung des Spiegels fur wahr halten. Auf einem Friedhof, wo er Bohm begraben wi11,ste11t sich Bebuquin hinter einer offenen Grube als Gekreuzigter auf, und "allmahlich ging diese Stel— lung in ein geregeltes Freiturnen uber. " (GW 240) Wahrend der letzten drei Nachte liegt Bebuquin im Bett. Zuerst kann er nicht sprechen, dann redet er "sehr beherrscht. " In der zweiten Nacht will er nicht einschlafen, "wohl die Traume furchtend. " In der dritten Nacht schlaft er ruhig ein. "Gegen Morgen wachte er auf, war unfahig zu reden und konn1e nicht mehr allein essen. Nur einmal schaute er kuhl drein und sagte: 'Aus'." (GW 240-241) B. CARL EINSTEINS SUBJEKTIVE SEHWEISE UND DIE ”UNOPTISCHE VBRKNUPFUNG DER WORTE."3 Die Darstellungsweise, die Carl Einstein zur Gestaltung seines Bebuguin anwendet, beruht auf einer neuen Art des Sehens. "Uber die spezifisch gesonderte Stellung hinaus bestimmt die Kunst das Sehen uberhaupt," heist es im Aufsatz "Totalit5t". (GW 72) Aber nicht nur das Sehen eines Betrachters wird bestimmt, sondern auch wird das Sehen zum Grundprinzip 85 des Kunstwerkes. "Gegenstand der Kunst sind nicht Objekte, sondern das gestaltete Sehen. Es geht um das notwendige Sehen, nicht um die zufalligen Objekte." (GW 74) Dieses neue Sehen, das kein Naturobjekt mehr als Gegenstand hat, sondern das Sehen selbst, ist ein subjektives Sehen, wie Einstein mit Bezug auf den Kubismus in seiner Abhandlung Die Kunst des 20. Jahrhunderts notiert: Jetzt aber errichtete man in selbstandigen abge- schlossenen Bezirken Bildkorper, die gesondert von gegebenen oder mythisch dauernden Gegenstanden sich behaupten; gegen Wahrnehmung stellte man subjektives Schauen. Form ist nicht mehr ein Ausgleich oder Weg- 1assen widerstrebender Teile des aufgenommenen Motivs, nicht mehr ein KompromiB zeitlich getrennter Wahrnehmungsteile, sondern Form ist nun die Ganz- heit des undurchbrochenen subjektiven Aktes. In die§er Ganzheit der subjektiven Funktionen als dem SchOpferischen und Primaren ruht nun das Entschei- dende des Sehakts, man meidet das Vorbestimmende, die Fatalitat des Gegebenen. Diese Kunstler erhoben leidenschaftlich die Frage menschlicher Freiheit. Man verwechsle solchen Subjektivismus nicht mit anarchischem Individual1smus; denn gerade das typisch Subjektive ist der Trager des Fatalen. Da man vom Subjektiven ausgeht, ist nun eine Mehr- zahl formaler Typen moglich, je nachdem, welche Elemente als Ausgangspunkt gewahlt werden. Dies subjektive Schauen wird kaum vom Gegenstand durch- brochen; denn Bilder sind nicht mehr Fiktion einer anderen Wirklichkeit. Es handelt sich nun darum, den Sehakt innerhalb der subjektiven Konzeption und ganzlich innerhalb des subjektiven Vorstellens ver- laufen zu lassen. Der allegor1sierende Vergleich mit den wechselreichen Gegenstanden fallt weg, die Isoliertheit und somit Ganzheit des Bildes wird gewahrL da nun der Vergleich mit einem auBeren Motiv sinnlos geworden ist. Man versucht mehr als ein farbiges Deuten, schlaues Stilisieren, anderes als den Ausgleich oder ein Typisieren des Gegebenen. Etwas anderes ist es, ob solches Sehen allmahlich dem konventionellen Gegenstand angepaBt w1rd, oder ob es, in gegenstandliche Ubereinkunft spater ver- wandelt, siegreich durchdringen wirL 86 Aufgrund dieser Erlauterung wird klar, warum Einstein in seinem "Brief an die T5nzerin Napierkowska" schreibt: "Man muBte eine Sprache finden, die ans Sichtbare grenzte, deren Laute ihrerseits den Korper zum Tanze hinrissen . . .” (GW 43) Einstein meint damit aber nicht, daB diese Sprache die Gestik des Tanzes zu imitieren habe, sondern daB mittels dieser Sprache Vorstellungen und Empfindungen, die dem Tanze ahneln, hervorgerufen werden sollen. Denn "die Sprache des Dramas muB Gesten erregen, die des Epos klingende Vorstellungen." (GW 113) In der Prosa wird also der Sprache die Aufgabe auferlegt, die Vorstellungen und Empfindungen des neuen subjektiven Sehakts hervorzubringen. Die Schwierigkeit dieser Aufgabe wird in einem Satz aus Bebuguin zum Ausdruck gebracht, wo es heist, daB "die sprachliche Darstellung eben nur unreine Kunst sei, gemessen an der Musik." (GW 197) Die Sprache, die in der mimetischen Dichtung noch als "Spiegel" der Wirklichkeit dienen konnte, hat bei Einstein nun die Funktion, das subjektive Sehen zu gestalten und zur Selbst- spiegelung zu bringen. Das heiBt, sie soll die innere Wirk- lichkeit des subjektiv Schauenden spiegeln. Dieses Konzept findet in Bebuquins Schrei am Anfang des Romans ein sicheres Echo: "Ich binefiJISpiegel, eine unbewegte, von Gaslaternen glitzernde Pffitze, die spiegelt. Aber hat ein Spiegel sich je gespiegelt?" (GW 193) Die Bemfihung, eine ad5quate sprachliche Formulierung des subjektivens Sehens aufzubringen, durchzieht den Bebuguin. In dieser Hinsicht meint H. Oehm, bei Einstein werde 87 die schriftstellerische T5tigkeit zu einer bestandigen Revision der Sprache und auch zu einem permanenten Kampf gegen die Sprache. (Oehm 101) Hier ist die bekampfte Sprache die alte, fiberholte, tote, mimetische Sprache, also eine "unzureichende Sprache." (KB 141) Einstein meint, "die toten sprechen in unserem sprechen und kaempfen um unser leben." (zit. nach Oehm 101) Den Kampf gegen die Sprache der Toten fangt Einstein beim Wort und bei der Wortfolge an. Es geht ihm zuerst darum, eine "unoptische Verknupfung der Worte" zu erreichen, wodurch dem einzelnen Wort das Deskriptive entzogen werde. (KB 144) D i e W i r k l i c h k e i t d e r D i c h t u n g i s t d i e W o r t f g 1 g e. et son fond sub- conscient. Nun aber genugt es nicht diese n a t u- r a 1 i s t i s c h e W o r t f o l g e in dich- terischer Weise zu Ornamentieren oder mit Metafern zu verdecken; ein Nonsens das dem freien Charakter des Wortes widerspricht. Hier wird v.dNaturalisten Wort uDing identifiziert. sondern man muss, sowie die ollen Griechen ihre geschlossene litterarische Vorstellungswelt hatten oder Swift, so muss man end1ich das Wort vom naturalistischen Vorgang ablosen, d a m i t e s n i c h t n u r I m i- t a t i o n, e i n e s g 1 e i c h s a m b e r e i t s v o 1 l zuo g e n e n" V o r g a n g s sei, a l s o e 1 n e u b e r f 1 u s s 1 g e T a u t o l o g i e, sonder man muss Geschehnisse durch arbeiten, s o w i e s i e 1 n n e r11 1 c h v o r g e s t_e 1 1 t v e r 11a u f e n. Realisme spiritue1 interieur. Also zunachst die Accidents der Vorgange feststellen und dann die 5 eue l i- s c h e n D i m e n s i o n e n t a t s a c h- i c h d u r c h W o r t v e r b i n d u n g 1 d a r s t e 1 1 e n. (KB 145) In Bebuguin werden diese Forderungen vor allem mit Hilfe der Kollisionen von Bedeutungen auf der Satzebene poetisch verwirklicht. Dadurch entsteht eine Art subjektive Metaphorik, 88 die in verschiedenen Interpretationen des Romans ”sur- realistisch" genannt wird.10 Die unoptische Wortverknfipfung zeigt sich bereits in den ersten Satzen des Romans: Die Scherben eines glasernen, gelben Lampions klirrten auf die Stimme eines Frauenzimmers: wollen Sie den Geist Ihrer Mutter sehen? Das haltlose Licht trOpfte auf die zartmarkierte Glatze eines jungen Mannes, der angstlich abbog, dem Uberlegen fiber die Zusammensetzung seiner Person vorzubeugen. (CW 192) In diesen zwei Satzen wird das UnOptische vor allem durch die Verben erzeugt. Dabei sind sie Beispiele einer Dar- stellungsweise Einsteins, bei der er "das richtige Verbum ffir eine Sache einsetzte, das dem Optischen Eindruck ganz zuwider lauft." (KB 144) Scherben konnen 'klirren', aber nicht ”auf die Stimme eines Frauenzimmers." und Licht kann 'haltlos' sein, aber nicht "trOpfen". Hier wird das "natu- ralistische," mimetische Element der Wirklichkeitsbeschreibung durch Kollisionen von Bedeutungen abgebrochen und aufgehoben. Das dadurch entworfene Bild ist nach den MaBstaben der realen Welt unmoglich. Jedoch ist ein solches Bild einem Leser nicht unvorstellbar. Die einzelnen Wortbedeutungen lassen sich ohne weiteres verstehen und mitvollziehen. Das "Problem" liegt bei der Verknfipfung der Bedeutungsfelder der einzelnen W5rter, bei der Satzbedeutung also. Das Bild ist unaptisch, keine Abbildung der auseren Wirklichkeit. Es ist das Produkt einer subjektiven Sehweise, die nicht Objekte, sondern das Sehen selbst als Gegenstand hat. Insofern ist dieses Bild das 89 Bild von dem gestalteten Sehen, das fur Einstein den Gegenstand der Kunst ausmacht. Da "die unoptische Verknfipfung der Worte" fast jedes Bild und jeden Satz des Romans kennzeichnet, wird hier nur exemplarisch untersucht. Zunachst werden einige Varianten der sprachlichen Verwirklichung des UnOptischen betrachtet. Unoptisch verknfipft werden nicht nur Substantive und Verben, sondern auch Adjektiv-Substantivkombinationen und Verb-Adverbfolgen. Es kommt dabei wieder zu Bedeutungs- kollisionen, die sich schon auf der ersten Seite des Romans zeigen. Besonders auffallend sind die Namen der Jahrmarktsbuden: der "Zirkus zur aufgehobenen Schwerkraft", das "Theater zur stummen Ekstase”, das Bebuquin mit ”stolz geneigtem Haupt" meidet und das "Museum zur billigen Erstarrnis", wo Euphemia nackt an der Kasse sitzt, und ihre Strumpfbander "den Korper mit sparsamen Arabesken schmficktenfl' In dem "Banalen" des Museums, dessen Raum nur "mfihsam" erleuchtet ist, findet Bebuquin "eine stille, freundliche Schmerzlosigkeit, die ihm jedoch gleichgfiltig war." (GW 192) Das UnOptische wird weiter durch eine quasi aphoristische Schreibweise fortgesetzt, auf die Sokel hinweist. (Sokel a.a.O., S. 157) Sokel hat recht, wenn er meint, daB der Aufbau der Satze die Tendenz aufweise, zu Kfirze und Pragnanz des Ausdrucks zu neigen und daB sich bei Einstein diese syntaktische Knapp- heit und Pragnanz als Aphoristik geltend mache. (ebd.) Jedoch ist diese Aphoristik nur eine scheinbare. Denn, obwohl die 90 Schreibweise und die Satze die generelle Form von Aphorismen nachahmen, werden aber dadurch hauptsachlich nur sich selber entlarvende Banalitaten und Widersinnigkeiten ausgedrfickt: "Genus verlangt Selbstbeherrschung und Qual. Grundsatz: Vermeiden Sie das Gleichgewicht." (GW 199) Oder: "Kfihe sind Wiederkauer, sei es Heu, sei es Shakespeare. Kfihe lieben Stiere." (GW 215) Falls etwas wirklich Sinnvolles im Text in der Form eines Aphorismus gebracht wird, wird dessen Aus- sage sofort in Frage gestellt, indem es einer groBen Anzahl von widersinnigen Aphorismen gegenfibergestellt wird.11 Die kurzen Satze, die die scheinbare Aphoristik kenn- zeichnen, werden auch dazu verwendet, eine Kak0phonie von Bildern, Ausrufen, Empfindungen und Geschehnissen zu entwerfen. Dabei werden die Satze so geordnet, daB jeder ein neuer Absatz ffir sich ist. Nach dem "Aphorismus” zu den Kfihen und Stieren heiBt es ferner: Man horte von der StraBe die schimpfende Trag6die. "Explosive Seele." Sie hob ihre Rocke sehr hoch. Ihr Auto raste gierig davon. (GW 215) An einer ffiheren Stelle steht auch: Er zog sich notgedrungen zurfick. Die Frauen lagen verzuckt unter den starren, stechenden Dolchen der Bogenlampen. Sie stohnten wie Tiere. Die Lampen begannen zu zucken, sie zischten. Bebuquin drehte die Leitung ab. 1 Die Frauen schraken ve1stort auf. Der Maler sagte eifersuchtig ”Sonnenkult" und ging. (GW 211) 91 Diese kurzen Satz-Paragraphen haben den Effekt, das Tempo des Erzahlten zu erhoben und eine hektische Schnelligkeit hervorzurufen. Dazwischen kommen aber langere diskursivere Passagen, die nun das schnelle Tempo verlangsamen bzw. an- halten. Der Wechsel von Schnelligkeit und Verlangsamung durchzieht den Roman und verhutet, daB ein Gleichgewicht des Erzahlens entsteht. Das Tempo wird auch durch lyrische Ein- schube verlangsamt, wie z.B. Lippenknabes Lied, "das der bleiche lange Pikkolo mit dem Rauschen der Vorhange und dem Klingen der metallenen Schnfirgriffe akzentuierte." Weit stinkt uns die Einsamkeit entgegen, Auf allen unseren grauen Wegen Krallt unser Auge sich an einen blauen Fleck Die Einsamkeit. Es ist ein dunkelklitschig Zimmer 1 Ohne Wande, doch hat keiner ihre Hohe je ermessen. Um uns tanzt der Kosmos voll Finessen, Doch fallt auf mich kein Schimmer. (GW 204) Das Lied ist auch ein Beispiel der unoptischen Wortverknfipfung, die auf einem subjektiven Sehen beruht und keinen "Sinn" evoziert.12 Eine letzte Variante sprachlicher Kollision, die hier behandelt wird, ist der abrupte Tempuswechsel. Die Kollision besteht darin, daB nach langem Erzahlen im Indikativ Imperfekt plotzlich ein Satz im Indikativ Prasens erscheint. Diese Technik wird nicht oft im Roman benutzt, aber an den wenigen Stellen, wo sie vorkommt, wie z.B. im SchluBsatz des ersten Kapitels: "Spitzengardinen werden zusammengezogen.", wirkt sie auf den Leser "wie ein Schlag ins Gesicht." (GW 195)13 92 C. DAS SPRACHLICH DARGESTELLTE ALS "SYMPTOM” Mit der ”Umbildung des Sehens" kommt eine ”Umbildung des Sprachlichen Aequivalents und der Empfindungen." (KB 139) In dem "Kahweiler Brief" berichtet Einstein ferner von der Umbildung der zwei Grundkategorien der Darstellung: Raum und Zeit. Er bemuht sich zuerst um eine Umbildung der Raum- empfindungen, aber nicht theoretisch, damit man uns nicht immer die Theorie zwischen die Fuse werfe, sondern (ich wollte--L Verf. ) zeigen erzahlend, wie sich Dinge, Vorstellungen usw. als Raumempfindungen umbilden in einem Menschen. Dass eben die Art des Sehens, die wir suchen, keine theoretische Angelegenheit ist, sondern ein Erlebnis dessen, was ich geistige Empfindungen nennen mochte, und wie Dinge, die so theoretisch scheinen, tatsachlich etwas wie ein Schicksal oder eine Leidenschaft ausmachen. (KB 139) Zu der Umbildung der Raumempfindungen kommteahuaUmbildung der Zeitempfindungen und es geht Einstein dann um "Zeit und Raum als reine Qualitaten." (ebd.) Die Umbildung der Zeitempfin- dungen ist der Versuch, das Empfinden von Erlebnissen und deren Ausdruck in der Zeit ad5quater darzustellen. Wollen wir sagen, jemandem entgleiten Worte, wie das Raumgefuhl wachst, oder jemand fuhlt. Denn nicht im Jetzt, sondern Erinnerungs- und Zukunfts- dimension werden ausgesprochen, aber nicht futuristisch, sondern die P e r s o n nimmt an Volumen, an Ichempfindung oder Sachgefuhl, Zeit- einspannung usf. z u u n d a b, dann man gibt nicht die Geschichte eines Accidents oder mehrerer, die unter dem Vorwand, dass sie dieselbe Person betreffen, ffir komponiert gelten, sondern die Geschichte eben der Empfindungen, die Erlebnisse naher herangeruckt, deren Symptom im besten Fall sogenannte Dinge sind. (KB 139- 140) 93 Problematisch wird es aber bei der sprachlichen Dar- stellung von den umgebildeten Raum- und Zeitempfindungen. Mit Beziehung auf die Werke, die er noch zu schreiben plante, meint Einstein, er wolle bestrebt sein, "Vorgange als Zeit- erlebnisse vorurteilsfreier auszusprechen, sie nicht zu malen wie die meisten Literaten, sondern diesen Wechsel der Intensitat, der immer ein k 0 m p 1 e x e s 2 e i t g e f a h 1 umfaBt," auszudrucken. (KB 140) Er zielt dabei auf eine "moglichste Beschrankung der Metaphern, die das Gegenteil von Dichtung sind.” (ebd.) Das Deskriptive bedeutet nur "eine Umbildung der Erlebnisinhalte, der Gegenst5nde usf." (KB 139) Einsteins Darstellungsweise erfordert eine neue Sprache, welche die M5g1ichkeit hat, die empfundenen Gegenst5nde und Zustande so darzustellen, "dass sie sind, was sie sind, n5mlich Empfindungen und Funktionen." (KB 142) Das ist eine Sprache also, die auf einer subjektiven Sehweise beruht und die sich der Form der Erlebnisse und der umgebildeten Raum- und Zeitgeffihle, deren "Symptom eben eine Gruppe von Dingen oder Zustanden ist,” anpassen kann. Die Moglichkeit einer solchen Sprache wird durch die "unOptische Verknfipfung der Worte" gegeben, wodurch Deskription mit Hilfe von Bedeutungs- kollisionen aufgehoben und das einzelne Wort "zerschlagen" wird. (KB 141) Bei dieser Art sprachlicher Darstellung geht es nicht um Gegenst5nde, sondern um umgebildete Empfindungen und letztlich um den, der empfindet. Einstein meint, er habe solche Dinge in Bebuguin 1906 unsicher und zaghaft begonnen. (KB 140) 94 1. Zeit und Raum als reine Qualitaten a. Die Zeit Im Kahnweilerbrief schreibt Einstein im Hinblick auf die Zeit: Von der Zeit rede ich uberhaupt. nicht, sondern von Empfindungen und geistigen Vorgangen, die immer qualitativ sind, dh keine metaphysische Zeit (eine Unzeit) wie bei Bergson ist, sondern dadurch als Zeit empfunden wird, dass sie in verschiedenen Dimensionen gleichzeitig gefuhlt wird, dh ihre Inhalte das Wortbild im entscheidenen uberragen. (KB 142) Das Konzept der qualitativen Zeit wird in dem Aufsatz "Totali- tat" weiter erklart. Dort heiBt es: Zeit, rein vorgestellt, muB qualitativen Unterschied der Erlebnisse bedeuten . . ." (GW 78) Da Zeit als Qualit5t ein Teil der Totalit5t ist,-- denn "Totalit5t ist nichts anderes als ein geschlossenes System spezifischer Qualitaten und dieses ist total, wenn eine ausreichende Intensitat die Totalit5t begleitet",--unter- scheidet sich die Zeit auch durch Intensitat. (GW 78) Das heiBt, "je kraftiger und reicher der Bezug ihrer Inhalte ist, je starker diese Elemente darstellen." (GW 79) Fur Einstein ist es die Totalit5t, die es erm5glicht, "daB wir an jedem beliebigen Punkte unserer Erlebnisse diese wie ein Ganzes betrachten, und Zeit das Synonym von Qualitat bedeutet." (ebd.) Als Qualit5t ist die Zeit nicht durch GroBen oder Zahlen zu bestimmen, sondern nur durch Intensitat. Diese entstammt "Empfindungen und geistigen Vorgangen", die 95 als Zeit empfunden werden, da sie gleichzeitig gefuhlt werden. (KB 142) Die Zeit wird insofern eine E r 1 e b n i s z e i t, eine Zeit der Existenz, in der es keine Vergangenheit, keine Zukunft, keine Gegenwart, sondern nur Intensitat der Erfahrung gibt. In Bebuguin wird sowohl qualitative als auch quantitative Zeit dargestellt, wobei es schlieBlich zu einer Konkurrenz zwischen den beiden Zeitarten kommt. Bei der quantitativen Zeit muB zwischen unmittelbarer und mittelbarer Darstellung unterschieden werden. Unmittelbar wird die Zeit dreimal als Dauer dargestellt: im Kapitel vier: "Seit Wochen starrte Bebuquin in einen Winkel seiner Stube . . ." (GW 200);ifllKapitel ffinf: "Man hatte sie (Euphemia--d. Verf) seit langem nicht gesehen, da sie mit einem Knaben nieder- gekommen war." (GW 204) und im Kapitel zwolf: "Herr, gib mir ein Wunder, wir suchen es seit Kapitel eins." (GW 224) Bei der dritten Angabe entsteht eine Kollision. "Seit Kapitel eins" bezieht sich nicht auf die dargestellte fiktive Zeit der Figuren, sondern auf die reale Zeit des Erzahlens. Es durchbricht die Fiktion der Handlung und last sich als eine unoptische Darstellung einer quantitativen Zeit auffassen. Eine zweite unmittelbare Darstellung der quantitativen Zeit erfolgt dort, wo die Zeit als Punkt dargestellt wird. Fredegonde Perlenblick fahrt "durch die regengepeitschte Nacht" zur Bar. (GW 212) Am Ende der Barszenen fallt "aus dem farbigen Morgenwind der beginnende Regen." (GW 217) In der "folgenden Nacht" seines Klosterbesuchs beginnt Bebuquin 96 seine Rede vom Tod im Leben. (GW 231) Auf dem Weg zum Zirkus tritt er "in die neblige Nacht." (GW 234), und das letzte Kapitel ist der "Bericht der letzten drei Nachte." (GW 240) Mehrere Male werden Zeitpunkte auch mittelbar dargestellt. Bebuquin und Euphemia sprechen fiber das Wesen Gottes in der leeren Zirkusarena, und "wenige sparliche Sterne leuchteten durch die Luken." (GW 218) "Sterne konkurrieren wiederum vergeblich mit dem bestimmten Licht der Bogenlampen", als Bebuquin zum Kloster geht. (GW 225) Und im Friedhof, wo Bebuquin Bohm begraben will, ging die Sonne "auf und funkelte auf ihn, der als Gekreuzigter darstand." (GW 240) Auf der Seite der qualitativen Zeit gibt es wiederum am Ende der Barszene ein Erlebnis der Zeit, das unoptisch dargestellt wird: "Die Uhr tonte die Sekunden, jede Sekunde war plastisch, das Auge sah den Klang. Die Erde war ihnen einen Augenblick ein kristallen Feuer, die Menschen von durch- sichtigem Glas." (GW 216-217) Dieses Zeiterlebnis kann als Muster fur die Darstellung der Zeit als reine Qualit5t ange- sehen werden. Da das Qualitative nur aus der Intensitat der Erlebnisse hervorgehen kann, muB die Darstellung von der qualitativen Zeit auf der Darstellung von Erlebnissen beruhen. Insofern kann also jedes Erlebnis als Darstellung qualitativer Zeit im Roman betrachtet werden, obwohl die Zeit bei den meisten Erlebnissen weder unmittelbar noch mittelbar dargestellt wind. Diese'zeitlosen' Erlebnisse ergeben eine Erlebnis- progression, welche die Handlung des Romans kennzeichnet und eine qualitative Erlebniszeit ausmacht. 97 Betrachtet man noch einmal die drei Angaben der qualitativen Zeit als Dauer: "seit Wochen", "seit langem" und "seit Kapitel eins", so ist hier auch eine Progression festzustellen. Die dritte Angabe kommt eindeutig von Bebuquin (und wahrscheinlich die zwei anderen auch) und zeigt, daB sich Bebuquins ZeitbewuBtsein von der quantitativen zur qualitativen Zeit gewandelt hat. Er wird von der Intensitat seiner Erfahrungen hingerissen, ffir deren Messen nur die zeitlose qualitative Zeit ad5quat ist. b. Der Raum Die Merkmale des qualitativen Raumes werden von Einstein in seiner Theorie nicht eingehend erlautert. Als Qualit5t mfiBte der Raum, analog zu der Zeit, ein Erlebnisraum sein, ein Raum also, in dem Erlebnisse sich ereignen und der 14 selber zum Erlebnis wird. Die Angaben fiber den Raum im Bebuquin sind lokalisierbar, denn sie werden benannt. Es gibt den Jahrmarkt mit dem "Museum zur billigen Erstarrnis" und die anderen Buden (Kap.l), Bebuquins Zimmer (Kap. 2-4, 12, 15, 17, 19), das Cafe (die Bar) (Kap. 5-9), einen Zirkus (aber wahrscheinlich nicht der auf dem Jahrmarkt) (Kap. 10-11, 16), das Kloster des kosten- losen Blutwunders (Kap. 14), einen Kirchhof (Kap. 18) und einen Wald (Kap. 13). Die dargestellten R5ume in Bebuquin stehen ffir sich abgeschlossen und vereinzelt da und haben, mit Ausnahme des Waldes, der von Bebuquins Zimmer zum Kloster ffihrt, 98 das aber von einer Wfiste umgeben am Horizont steht, (Kol- lisionl), keine raumlichen Beziehungen zu einander. Sie werden zu Erlebnisraumen der Figuren. Bei der Darstellung der Raume im Bebuquin bedient sich Einstein wiederum der Technik der unoptischen Wortverknfipfung, und wie fiberhaupt Charakteristisch ffir die expressionistische Prosa, werden die Raume nur dfirftig beschrieben. Bin Bei- spiel ist die Darstellung der Bar am Anfang von Kapitel ffinf: "Um die Tische verbanden sich die Wiener Rohrstfihle zu rhyth- mischen Girlanden. Die Nase eines Trinkers konzentrierte die Kette jah. Die Lichter hingen klumpenweise von der Decke und zerplatzten die Wande zu Fetzen." (GW 202) Ahnlich wird der Zirkus im Kapitel 10 geschildert. Die Menschen, die lfiffelweise, keiner wuBte vom anderen, in den Zirkus, eine kolossalische Rotunde des Staunens, geflattert waren, saBen zur Masse verkeilt, und man erwartete MiB Euphemia. An den Ranggelandern liefen Ornamente erregter Hande entlang, Bogenlampen schwangen ihre ener- getischen Milchkfibel. (GW 217) Die Erlebnisse, die in den Raumen stattfinden, entsprechen nicht notwendigerweise Erlebnissen, die bei den einzelnen Orten immer zu erwarten w5ren. In der Bar kommt es z.B. zu unverhalt- nismaeig langen Reden und Diskussionen fiber Themen wie Kunst, Form, Intelligenz, Vernunft, Logik, Alogik, das Wunder u.a.m. In der Zirkusarena gibt es zwischen Bebuquin und Euphemia, die dort nackt steht, ein Gesprach fiber das Wesen Gottes. Aus solchen Szenen ergibt sich eine qualitative Unabh5ngigkeit der R5ume im Roman von der auBeren Wirklichkeit. 99 Die Auffassung von Zeit und Raum als reine Qualitaten ffihrt zu einer Simultanitat der Darstellung, eben weil Qualitaten keinen Anfang und kein Ende haben. Im Bebuguin aber kann die Simultanitfit der Darstellung nur im Nachein- ander gestaltet werden, denn die "Wirklichkeit der Dichtung ist die Wortfolge.” (KB 145) Hier schlieBt sich Einstein den kubistischen Malern an, die sich um eine "Rfickbesinnung auf die Logik des Bildmaterials" bemfihten. (Oehm 76) Wollten die Kubisten nicht das Zweidimensionale der Leinwand durchbrechen, so muB sich Einstein an das Nacheinander der Sprache halten. Insofern sind die Satharagraphen und die Vielfalt der in den Raumen stattfindenden Erlebnisse zu verstehen, als der Versuch, mit Rficksicht auf das Nacheinander der Sprache eine Simultanitfit des Dargestellten zu evozieren. 2. Die dargestellten Charaktere als "Schicksale" Mit Beziehung auf Dostojewskis Idiot auBert sich Einstein zu dem Menschen im Roman: Der Mensch ist von Anbeginn Roman. Dieser ent- faltet sich in jedem Kapitel mehr und nach immer neuen Seiten hin. Er wird plastisch und das Epos ffihrt ihm neue Menschen zu, woran er sich auBert und seiner selbst gewahr wird. Dann erschrickt er fiber sich selbst, denn so viel Schicksal ffir Menschen zu sein ertrfigt er nicht. (GW 117) So werden die Menschen im Bebuquin dargestellt. Sie werden einander und sich selber zum Schicksal, wodurch ihnen die Mfig- lichkeit angeboten wird, sich ihrer selbst gewahr zu werden. 100 Die auBerliche Erscheinung der Figuren wird im Roman sparlich und vor allem unoptisch dargestellt. Vom Bebuquin wird nur mitgeteilt, daB er eine "zartmarkierte Glatze" hat, und von Euphemia, daB sie eine "breite verschwimmende Dame" mit einem "massigen Busen" ist. (GW 192 und 194) "Sie trug einen ausgeladenden Federhut, smaragdfarbene Strfimpfe, deren Bander bis zu den Achselhfihlen liefen und den Kfirper mit sparsamen Arabesken schmfickten." (CW 192)15 Die am ausffihr- lichsten beschriebene Figur ist Nebukadnezar Bfihm. Die Beschreibung bezieht sich jedoch im Wesentlichen nicht auf seinen Kfirper, der "dick" bzw. "korpulent" ist, sondern auf seinen "kleinen KOpf" und die "silberne Hirnschale mit wunder- voll ziselierten Ornamenten, worin feine glitzernde Edelstein- platten eingelassen waren." (GW 193) Es gibt u.a. auch den Maler Heinrich Lippenknabe, der nicht malt, sondern singt, und eine Hetare, die sich an den Ereignissen in der Bar beteiligt und auf einem Werbeplakat zu Hause ist. (GW 212) Von den Namen der Figuren ausgehend ist schon verschie- dentlich versucht worden, den einzelnen Figuren selber eine 16 Bedeutung beizumessen. Auch hat man sich darum bemfiht, verschiedene Figuren als "Mitgestalten" von Bebuquin zu 17 Solche Deutungsversuche, die auf auBerhalb der bezeichnen. poetischen Wirklichkeit des Romans Existierendes Zielen, k5nnen wegen der unoptischen Charakterdarstellung nur fehl- schlagen. Die dargestellten Figuren im Bebuguin tragen keine Symbolbedeutungen,sondern sie dienen der Funktion, einander Erlebnisse zu bereiten und dabei einander und sich selber zum Schicksal zu werden. 101 Das Ganze besteht darin, Menschen so stark zu sehen, daB sie einander zum Schicksal werden, aber nichts auBer diesen Menschen. Das heiBt, sie mfissen von sich ausgehen und in sich ver- bleiben. Nicht von einer auBenstehenden Sache oder Idee. Es darf nichts mehr sein auBer diesen Menschen; denn anderes schwacht und lenkt ab. Diese Menschen mfissen sich stark lieben, befeinden und alle zwischendinge absorbieren. Sie dfirfen nicht selbst- sfichtig sein und ihre Biographie bringen, keine Gedanken fiber Dinge oder Apercus, keine Gegen- stande zwischen sich aufbauen, keine Philosophen und Privatgeffihle. Sie mfissen sich ganz dem Geschehen hingeben. Der Sinn des Romans ist, Menschen und Dinge in einem Zug zu bewegen, der Roman gibt nicht das Leben der Menschen, sondern die Zeit, da sie sich bewegen, um ihr Schicksal zu erzeugen. (GW 118-119) D. DIE HANDLUNG ALS ERLEBNISPROZESS Die unoptische Darstellung der einzelnen Geschehnisse im Bebuquin verhindert, daB man eine sofortige, klare Bestim- mung des Handlungsganges im Roman findet. Bezieht man sich aber auf Einsteins AuBerung, daB es immer um das Erlebnis gehe, "dessen Symptom eben eine Gruppe von Dingen und Zustanden ist," so kann man die eigentliche Handlung aus dem unOptisch Dargestellten entschlfisseln. (KB 142) Jeder der dargestellten Gegenst5nde, jedes Bild, jedes Motiv, jedes Objekt, jeder Raum und sogar jeder Charakter ist ein Symptom einer Erfahrung und hat die Funktion darauf hinzuweisen. Also sind nicht die dargestellten Geschehnisse, sondern die Erfahrungen und Erlebnisse der Charaktere als die Handlung des Romans zu betrachten. 102 Eine Handlung, die auf Erlebnissen beruht, ist wider- spruchslos vereinbar mit der im Roman dargestellten Kritik des logisch-kausalen Denkens und mit Bfihms Lehrsatz: "Das Umgekehrte ist genauso richtig." (GW 199); oder mit Einsteins Mahnung: ”Jede Handlung kann auch anders endigen . . ." (GW 53) Die Erlebnisse haben keine auBere Kausalit5t, sondern gehorchen der inneren Kausalit5t dessen, der erlebt. Wenn hier von der Handlung als ErlebnisprozeB gesprochen wird, so heiBt das, daB der Erlebnisgang der Handlung einen klaren Anfang, einen Mittel- punkt und ein Ende hat. Dazwischen steht eine Progression, ein Sammeln, eine Anhaufung von Erlebnissen. Vor der Analyse der Handlung im Bebuguin ist vorwegnehmend zu berichten, daB die Erlebnisse der Handlung in erster Linie auf Bebuquin bezogen werden. Erlebnisse der anderen Figuren werden auch oft und sogar breit dargestellt, aber letztlich geht es immer um Bebuquin und um seine Versuche, sich mit seinen fortlaufenden Erfahrungen abzufinden. Dabei wird der ErlebnisprozeB als Handlung zum ProzeB des Sich-gewahr-werdens ffir Bebuquin, der dadurch sich selber und anderen zum Schicksal wird. Der ErlebnisprozeB von Bebuquin beginnt mit der sich spater als tfidlich erweisenden Frage im ersten Kapitel, wo Bebuquin, nachdem ihm das "Talglicht eines Verstehens" peinlich aufgegangen ist, "daB er in Erwartung eines Schau- spiels, einem anderen zum Theater gedient habe," aufschreit: "Ich bin ein Spiegel, eine unbewegte, von Gaslaternen glitzernde Pffitze, die spiegelt. Aber hat ein Spiegel sich 103 je gespiegelt?" (GW 193) Hier zeigt sich die Grunderfahrung der Titelfigur, die auch der Auslfiser der Gesamthandlung ist. Bebuquin stellt die Frage nach einem neuen Sehen, wobei das Sehen selbst thematisch wird. Diese Frage nach einer subjek- tiven Sehweise ffihrt Bebuquin letztlich zur Erfahrung seines eigenen BewuBtseins im Sein, trotz allen Zfigerns. Die Intensitat und auch die existentielle Gefahr, die ein ErlebnisprozeB des Sich-bewuBt-werdens ffir einen Menschen darstellt, wird am Spiegelmotiv symptomatisch klar. Das Motiv kommt ffinfmal im Text vor, wovon es viermal schon im ersten Kapitel erscheint. Im ersten Absatz des Textes steht: Das haltlose Licht tropfte auf die zartmarkierte Glatze eines jungen Mannes, der angstlich abbog, dem Uberlegen fiber die Zusammensetzung seiner Person vorzubeugen. Er wandte sich ab von der Bude der verzerrten Spiegel, die mehr zu Betrach- tungen anregen als die Worte von ffinfzehn Profes- soren. (GW 192) Am Anfang will Bebuquin also noch das Erlebnis meiden, das er wenig spater bei der Spiegelfrage zu haben wollen scheint. Bei Bfihms Begegnung mit einem Spiegel zeigen sich die Folgen, die das Erlebnis einer sich bewuBten Selbstbetrachtung nach sich zieht. Als Bfihm den KOpf fiber Euphemias "massigen Busen" neigt, kann er mit Hilfe eines fiber ihm hangenden Spiegels die Funktion seiner silbernen Hirnschale beobachten. "Nebu- kadnezar starrte in den Spiegel, sich gierig freuend, wie er die Wirklichkeit gliedern konnte, wie seine Seele das Silber und die Steine waren, sein Auge der Spiegel." (CW 194) Die Doppelspiegelung der Hirnschale im Spiegel kann er aber nicht 104 aushalten, "und sein Leib barst fast im Kampfe zweier Wirklichkeiten." er glaubte in einer anderen, immer neuen Welt zu sein mit neuen Lfisten. Er begriff seine Gestalt im Tasten nicht mehr, die er fast vergessen, die sich in Schmerzen wand, da die gesehene Welt nicht mit ihr fibereinstimth (GW 195) Darauf reagiert Bebuquin, dessen dfinne Stimme im Spiegel klingt: "MiBbrauchen Sie mich, bitte, nicht . . ." (ebd.) Nachdem er Bfihm vor der Aufregung an Gegenstanden gewarnt, die Logik verteidigt und den Wahnsinn als Mittel der Origi- nalitfit gepriesen hat, meint er: "Ich entziehe mich Ihnen ohne weiteres. Dann spiegeln Sie sich in sich selbst." (ebd.) Das Motiv kehrt erst im 16. Kapitel wieder, wo Bebuquin zum zweiten Mal in den Zirkus geht, denn "er muBte aus sich AuBerungen solcher kfinstlichen unlogischen Bewegungen abzwingen, um zunachst die Physik mit der Kraft seines abster- benden Aktes zu widerlegen.” (GW 235) Dabei geschieht etwas Sonderliches: Wahrend eines Radlertricks fuhr eine spiege1nde Saule in die Arena, blitzend; eine Flfitenb1aserin ging nebenher in einer NonnenkuttL Die Bfirger sahen sich darin, bald strahlend fibergroB, bald verzerrt; diese Spiegelzwangen, immer wieder hin- einzuschauen. Mauler schluckten die Arena, und die Finsternis aufgerissener Gurgeln verdunkelte sie. Die Blicke versuchten, die hohe Spiege1sau1e zu durchbrechen. Ein Weib stfirzte aufgewolbten Rocks hinunter unter dem Druck des neugierigen Staunens. Eine Galerie brach durch; inmitten die Spitzen der unermfidlichen Finger der Blaserin und die Spiegel, die mit dem Schatten der andern sprechend tanzten. Die Saule trat in die Schatten geschwungenen Sprunges. 105 Die Menschen verwandelten sich in sonderliche Zeichen in den Spiegeln; das Publikum wurde leise irrsinnig und richtete in drehendem Schwindel seine Bewegungen nach denen der Spiegel; um die Spiegel sausten farbige Reflektoren. (ebd.) SchlieBlich h5ngen Spiegel fiber der Stadt und werden zum Schrecken. (GW 236) A15 Gegenstand und dadurch als Symptom der Erlebnisse ’zwingt der Spiegel zur Selbstbetrachtung. Er erzwingt ffir den Betrachter Bebuquin eine neue Sehweise, eine neue Wirk- lichkeitsauffassung, die rein subjektiv ist. Aber nur wenige der im Roman dargestellten Figuren vermfigen, diese neue Wirk- lichkeitsauffassung auszuhalten. Unter den Zirkusbesuchern gibt es Tote und Irre, Bebuquin zieht sich in den Tod zurfick und auch Bfihm stirbt "im Kampfe zweier Wirklichkeiten." Er kehrt jedoch als Toter gleich wieder zurfick, da ihm seine Hirn— schale "fast Unsterblichkeit" verleiht. (GW 195) Das Spiegelmotiv macht deutlich, wie die Menschen einander und sich selber zum Schicksal werden. Die Erkenntnis Bebuquins, einem anderen (n5mlich Bfihm) zum Theater gedient zu haben, ffihrt dazu, daB er die Spiegelfrage stellt. Schick- salsvoll ist z.B. Bfihms selbstbereitetes Erlebnis der Funktion seiner Hirnschale, das "im Kampfe zweier Wirklichkeiten " die Auflfisung seiner Gestalt verursacht. Dazu gehfirt auch EuphemiasnflBlungenersaltOIhnZirkus, wobei sie "aus formalen Grfinden" beschlieBt, sich das Genick zu brechen. DaB sie diesen BeschluB nicht durchffihrt, wird ihr auch zum Schicksal, denn sie geht "moralisch ruiniert" in das Kloster des kostenlosen Blutwunders. (GW 217) 106 Die existenzgeffirdende bzw. existenzvernichtende Intensitat, die aus der Konfrontation der Menschen mit den Spiegeln hervorgeht, zeigt, daB es bei der Handlung nicht um Erkenntnisse, Ideen oder sonstige Manifestationen der 'ratio' geht, denn Erkenntnisse, die von einem Spiegel gewonnen werden, kfinnen h 6 c h s t e n s Spiegelbilder sein und haben also keinen Wirklichkeitsbezug zu den Menschen. Hier geht es um Erfahrungen, deren Symptome die Gegenst5nde sind. Der ErlebnisprozeB des Handlungsablaufs vollzieht sich in zwei Stadien, wovon jedes eine Hfilfte des Romans einnimmt. In der ersten Hfilfte (Kapitel 1-9) geht es in erster Linie um Fragen und Erlebnisse des Daseins, deren Symptome die Diskus- sionen und Reden fiber Logik, Qualit5t, Kausalit5t, Kunst, Denken, PhiloSOphie, Verrfickheit, Vernunft, Wahnsinn usw. sind. In der zweiten Halfte (Kapitel 11—19) dominieren Fragen und 18 Erfahrungen des Seins. Bebuquin beginnt, sich mit diesen Fragen im Kapitel 12 auseinanderzusetzen, das mit seinem Ruf nach neuen Existenzbedingungen endet: Seht, mein Leben ist mir verhaBL es ist gfinzlich zerstort. Um moralisch weiterzumachen, bedarf ich neuer Existenzbedingungen, eher als des Brotes; ich kann nicht in der Kette weiterleben, ich will nicht, es ware moralisch inkonsequent. Man treibe mich nicht in die alten Gleise und sei .barmherzig. Es muB eine Anderung eintreten, die starker ist, als meine Sfinde und meine Reue, ich muB eine Erneuerung haben, ich bedarf einer Erdperiode. (GW 224-225) In diesem verzweifelten Ruf von Bebuquin zeigt sich die Kausalitfit des Romans: Das BewuBtsein wird "im Kampfe zweier 107 Wirklichkeiten" verwickelt. Bebuquin, der am Anfang des Romans fingstlich abbog, um "dem fiberlegen fiber die Zusammen— setzung seiner Person vorzubeugen," wird durch die Erleb- nisse, die ihm in der ersten Hfilfte widerfahren, doch zu solchen Uberlegungen gezwungen, mit dem Resultat, daB er sein Leben als "verhaBt" und "ganzlich zerst5rt" empfindet. Der Kausalnexus der Handlung besteht also aus dem Zerfall von Bebuquins Wirklichkeitsorientierung, der von der Ent- 1arvung seiner alten, vertrauten Sehweise verursacht wurde, und aus Bebuquins Versuchen, sich mit dem Erlebnis des Zer- falls abzufinden. Raum und Zeit als "reine Qualitaten" und Gegenstande, die nur un0ptisch dargestellte Symptome von Erlebnissen sind, k5nnen ihm nicht mehr als Orientierungs- hilfen dienen. Er hat sich an die Intensitat seiner Erfah- rungen zu halten, wenn er jene unterscheiden und sich darin zurechtfinden will. Eine Mfiglichkeit, dies zu erreichen, bietet ihm die 19 Eine Kunst, ein st5ndig wiederkehrendes Motiv im Roman. Lfisung durch die Kunst zu seinem Problem gibt Bebuquin sich selber, als er im Kapitel 13 auf dem Weg zum Kloster ist. "O Kunst . . . du bist gewaltig, wenn man Perspektiven weg- schickt, ersehnte Verfinderung der Zust5nde, wie ist eine Sache zugleich wahr und falsch, es kommt auf den Standpunkt an.” (GW 225) Diesen Standpunkt, der zwischen subjektiver und objektiver Wirklichkeit (zwischen Sein und Dasein) liegt, nimmt Bebuquin nicht ein, sondern er sucht Zuflucht bei zweifelhaften ”Erkenntnissen", die ihm allerdings auch keinen 108 Halt gewahren. "Herr, ich weiB, am Ende eines Dinges steht nicht sein Superlativ, sondern sein Gegensatz, und die Erkenntnisse gehen zum Wahnsinn." (GW 234) Den Zerfall seiner Wirklichkeitsorientierung hofft Bebuquin dadurch aufzuhalten, daB er eine Erneuerung durch Verwandlung sucht: "Wenn man jedoch wie ich zu der Uberzeugung gelangte, daB wir weiter- mfissen, daB wir uns verwandeln mfissen; ist es dann nicht mfiglich, daB eine neue Art Mensch entsteht, die es verschmaht, in den gleichen StraBen weiterzugehen." (GW 230) Mittels subjektiver Verwandlung will Bebuquin sich aber in der objektiven Wirklichkeit neu etablieren. Diese scheint jedoch, nur im Tod mfiglich zu sein. Bfihm deutet das im Kloster des kostenlosen Blutwunders an: "Eine Hoffnung besteht, Bebuquin; die Verwandlung tritt vielleicht mit dem Tode ein. Entweder wir bleiben dort, was wir sind, oder wir werden vernichtet und verwandelt." (GW 229) Wenn aber Bebuquin danach fragt, ob es nicht m5g1ich sei, sich im Leben zu wandeln und das elende Gedachnis zu verlieren, wird ihm erwidert, er sei an sich selbst erkrankt. (ebd.) Was er brauche, sei die "Grundverwandlung, die ist der Tod." (GW 230) Um der Verwandlung durch den Tod zu entgehen, sucht Bebuquin den gleichen Effekt im Wunder und fleht zu Gott: "Sieh mich an, ich bin ein Ende, laB mich eine unabhangige Tat, ein Wunder tun." (GW 234) Aber gleich danach sehnt er sich nach der "Nacht der Verwandlung". (ebd.) In der letzten der drei N5chte schlaft Bebuquin 109 ruhig ein, fuhr im Schlaf einigemal mit den H5nden empor; sein Gesicht lag allmahlich wie im Krampf, die Haut faltete sich und umrunzelte den ganzen Schade1.Ruckweise fiffneten sich auf Sekunden seine Lider, er zog Finger und Zehen sich spreizend in die Lange, dann ging er eng zusammen und zitterte heftig. Gegen Morgen wachte er auf, war unfahig zu reden und konnte n1cht mehr allein essen. Nur einmal schaute er kuhl drein und sagte: A u 5. (GW 239-240) "Aus" ist also der ErfahrungsprozeB dieser Figur, die am Anfang sicher gewesen war, daB sie noch nie gehandelt oder erlebt habe. (GW 197) Bis zum "Aus" hat Bebuquin aber viel erlebt, in mancher Hinsicht zuviel. Auch Bfihm verliert den Kampf zweier Wirklichkeiten, in den ihn sein Spiegelerlebnis geffihrt hatte. Dank seiner silbernen Hirnschale kehrt er jedoch gleich wieder zurfick und lebt als Toter weiter. Bebuquin hat diese M5glichkeit der Rfickkehr nicht. Der Kampf zwischen subjektiver und objektiver Wirklichkeit bringt ihn dazu, die Grundverwandlung im Tode zu suchen, statt im Sein. Bebuquins geteilte Meinung fiber den Tod deutet schon voraus, daB die Verwandlung dadurch ungewiB und nicht gesichert ist. "Alles kommt auf den Tod an. Ist's hier zu Ende, dann k5nnen wir nicht vollendet werden. Kommt es denn auf mehr als den einzelnen Menschen an; und geht es weiter, dann ist auch dies Leben nur hinderlich." (GW 238) Hier begegnet man Fragen, die in fast jedem expressionis- tischen Prosawerk auftauchen: Warum stirbt die Titelfigur? Ist ihr Tod nur die Konsequenz, die "bruchlos" auf einen Wahnzustand folgt? (Oehm 156) Ist er das Resultat einer 110 Resignation, oder die Folge eines selbstmfirderischen Pes- simismus? Weder noch. Bebuquins Tod ist die notwendige Folge des Zerfalls seiner Wirklichkeitsorientierung in der objektiven Wirklichkeit, der ihn im "Kampfe zweier Wirk- lichkeiten" verwickelte. Sein Tod ist der Versuch, sich auf dem einzigen ihm in der objektiven Wirklichkeit bekannten Weg zu verwandeln, sich im D a s e i n neu zu etablieren, um so im S e i n zu siegen. Dabei steht Bebuquin in der gleichen absurden Situation wie die Maus in Kafkas "Kleine Fabel": "Ach," sagte die Maus, "die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, dag ich Angst hatte, ich lief weiter und war glucklich, daB ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilten so schnell aufeinander zu, daB ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, 1n die ich 1aufe."--"Du muBt nur die Laufrichtung andern," sagte die Katze und fraB sie. Auch Bebuquin hatte die Perspektive seiner Betrachtungs- weise andern mfissen. BewuBtsein seiner selbst, deren Manifes- tation subjektive Sehweise bedeutet und sich in qualitativer Raum-Zeitempfindung ausdrfickt, hatte ihn der tfidlichen Folge der Spiegelfrage entkommen lassen. Trotz seiner Behauptungen und Versuche kann Bebuquin "den Weg zu den Dingen" nicht vergessen. Bfihm hat recht, wenn er Bebuquin vorwirft: "Sie sind Phantast mit unzureichenden Mitteln." (GW 201) 111 E. EINE SUBJEKTIVE ERZAHLWEISB Der Erzahler des Romans macht an nur drei Stellen auf sich aufmerksam: ”Jetzt mag d'Annunzio weiterschreiben." (GW 215); ”Armer Bebuquin, du hfifliches Tierchen." (GW 222) und ”Oh, ihr gefetteten Stimmen der Nacht . . ." (GW 239). Sonst ist im Text (mit Ausnahme des Erzahlens an sich) von der Anwesenheit eines Erzfihlers nichts zu bemerken. Die Zurfickhaltung normaler Erzfihlerfunktion ist sogar zu erwarten, da dieses traditionelle Eingreifen des Erzfihlers sich bei einer "unoptischen" Darstellungsweise, die Raum und Zeit als Qualitaten betrachtet und behandelt,als unnfitig erweist. In Bebuquin wird auch der grfiBte Teil des Erzfihlten nicht direkt von einem selbstfindigen Erzahler an den Leser fibermittelt, sondern es wird unmittelbar aus der Perspektive der Figuren erzahlt. Ihre Gesprfiche, Reden, Reflexionen und Exkurse, in denen die verschiedenen Motive und Themen dargestellt und auch erfirtert werden und die nicht logisch auf einander folgen, lassen sich nach Sello wohl als "assoziative Monologe mit verteilten Rollen" bezeichnen.21 Die Tendenz, den Roman von den Figuren erzahlen zu lassen, liefert einen Hinweis auf die Erzahlperspektive. Der Erzahler des Bebuquin ist kein allmachtiger, olympischer, allwissender Erzfihler. Er steht nicht fiber seinen Figuren. Er ist viel mehr ein Teil von ihnen und erzahlt aus ihren Perspektiven, sogar in deren eigenem Wortlaut. Da Bebuquin im Mittelpunkt der meisten geschilderten Erlebnisse steht, wird der Roman 112 zum grfiBten Teil aus seiner Perspektive erzfihlt. Deshalb ist die Erzahlweise im Roman als subjektiv zu bezeichnen. Wenn die wfirtliche Rede nicht mehr durch Anffihrungszeichen aus- gewiesen wfirde, wie bei der Qpalg-Ausgabe des Romans der Fall war, so wareeusunmfiglich zu unterscheiden, wo die Dialoge der Figuren aufhfiren und wo die Berichte des Erzahlers beginnen. (S.a. Oehm 95f.) Ein Roman, der die Intensit5t von Erlebnissen behandelt, list sich am besten von denen erzahlen, die erleben. An manchen Stellen wird aus mehreren Perspektiven, die an mehreren Figuren gebunden sind, erzahlt. Diese Technik dient dem unoptischen Erzfihlprinzip und ist mit dem Schwinden der frontalen Perspektive bei kubistischen Bildern zu ver- gleichen. Daraus entsteht ein kontrastreiches Nebeneinander im Nacheinander, also nur die "Vorstellung" von Bewegungen, Gegenst5nden, Ideen und Erkenntnissen.22 Die Tendenz, aus den Perspektiven der Figuren zu erzfihlen, erzeUgt im Bebuquin, wie es auch bei Edschmid der Fall war, ein lyrisches Moment. Einstein halt nicht viel von dem pantheistischen oder kosmischen Lyrismus, den er als "Koketterie" bezeichnet. (GW 52, Oehm 95) "Dagegen setzt Einstein sein Konzept des Erzahlers, der zu seinen Figuren in ein Verh51tnis 'metamorphotischer Identit5t' tritt . . ." (Oehm 95) Die Identit5t wird durch die wieder- kehrenden Gleichsetzungen der Perspektiven von Erzahler und Figur erzeugt und fortgesetzt. In dem lyrischen Moment, in der perspektivistischen Identifikation des Erzahlers mit der erzfihlten Figur, wird die Distanz zwischen Subjekt und Objekt 113 aufgehoben, so daB ein Ich sich selber aussagen, wie ein Spiegel sich selber spiegeln kann. Die subjektive Erzfihlweise und die damit verbundene unOptische Darstellungsweise verhindert, Bebuquin als einen Roman fiber "Weltanschaulich-Ideelles” (Sokel 156), oder als "Roman fiber Weltanschauung” (Sello a.a.O. 236) zu charak- . . 23 ter151eren. Auch Oehm liegt falsch, wenn sie behauptet, Bebuquin sei ein "Roman der Kritik der zeitlichen Anschauung." (Oehm 87) Bebuquin ist vielmehr ein Roman fiber subjektive Wahrnehmungen und Erfahrungen. "Gegenstand der Kunst sind nicht Objekte, sondern das gestaltete Sehen. Es geht um das notwendige Sehen, nicht um die zuf51ligen Objekte." (GW 74) A15 so verstandene Kunstform soll der Roman mit Hilfe subjektiver Erzfihlweisen und unoptischer Darstellungsweise den Leser zu einem korrespondierenden Erlebnis des Sich-gewahr- werdens ffihren, das die dargestellten Figuren erfahren. "Uber die spezifisch gesonderte Stellung hinaus, bestimmt Kunst das Sehen fiberhaupt." (GW 72) F. ZUSAMMENFASSUNG In diesem Roman geht es um Bebuquins Erlebnis der subjektiven Sehweise, die ihm Zeit und Raum als "reine Qua- litfifl'vermittelt. Dieses Erlebnis lfist in ihm einen Kampf zweier Wirklichkeiten (d.h. subjektiver und objektiver) aus, der einen Zerfall seiner Wirklichkeitsorientierung verursacht. Den ErlebnisprozeB, durch den er sich seiner selbst bewuBt 114 wurde, kann Bebuquin nicht durchstehen und er versucht, sich durch den Tod zu verwandeln, um sich in seiner alten, objektiven Wirklichkeit neu zu etablieren. Der Versuch kann aber nicht gelingen, da das Ziel auBerhalb seiner subjektiven Wirklichkeit liegt. Die Intensitit einer solchen subjektiven Erfahrung wie das Seiner-selbst-gewahr-werden (ein BewuBtwerden des eigenen BewuBtseins also) wird im Roman mittels des Prinzips der "unoptischen Verknfipfung der Worte" geformt. Das Unop- tische des Dargestellten verhindert, daB den auf dieser Weise dargestellten Gegenstanden, Objekten, Bildern, Motiven und sogar Charakteren eine ideelle Bedeutung beigemessen werden kann. Die aufgrund der subjektiven Sehweise und mittels der unoptischen Wortverknfipfung dargestellten Gegenst5nde usw. sind nur die "Symptome" von Erlebnissen und haben die F u n k t i o n, auf die subjektiven Erfahrungen eines Individuums hinzuweisen. Das un0ptisch Dargestellte soll, als zweite Funktion, das Sehen des Lesers bestimmen. Durch die Erfahrung und die Auseinandersetzung mit dem unoptisch Dargestellten soll auch der Leser zu einem Erlebnis der subjektiven Sehweise gebracht werden. Im "Expressionismus des s p r a c h 1 i c h D a r- g e s t e 1 1 t e n” konzentriert sich die Darstellung der Erfahungsintensitfit auf die mittels Kollisionen der Bedeutungs- felder des Wortmaterials entworfenen poetischen Bilder und Gegenst5nd1ichkeiten. Damit wird die Mfiglichkeit eines Bezugs zur objektiven Wirklichkeit bzw. zu einer ideellen Bedeutung 115 abgebrochen und aufgehoben. Die poetischen Bilder und Gegenst5ndlichkeiten werden zu funktionellen "Symptomen" der Erfahrungen der dargestellten Figuren. Wie das Beispiel Bebuquin zeigt, bezeugen die so entworfenen Bilder und Gegen- st5nd1ichkeiten einen ErlebnisprozeB der Titelfigur, der sich als ProzeB eines "Ihrer-selbst-bewuBt-werdens" bezeichnen last. Der konsequente Vollzug dieser Darstellungstendenz ware der Verzicht auf jede Darstellung von Erfahrungsintensit5t mittels des sprachlich Dargestellten, um die Handlung (als "ErlebnisprozeB" bzw. "Lebensereignis") und deren Kausalit5t als Trager der Intensititsdarstellung vorzuziehen. Die Erzahl- weise von Bebuquin, "assoziative Monologe mit verteilten Rollen," wobei der Roman von den den ErlebnisprozeB durch- machenden Figuren erzahlt wird, erweist auch ffir diesen Pol ein l y r i s c h e s Moment des Erzahlens, n5mlich die Tendenz des "Sich-selber-aussagens." VI. DRITTER POL: EXPRESSIONI§MUS DER HANDLUNG AM BEISPIEL VON ALFRED DUBLINS "DIE TANZERIN UND DER LEIB," "DIE ERMORDUNG EINER BUTTERBLUME" UND "DER KAPLAN".1 Beim ”Expressionismus der Handlung" manifestiert sich die Darstellung expressionistischer Erfahrungsintensit5t auf der Ebene des poetisch entworfenen Geschehnisablaufes und dessen vom Dichter konzipierten Kausalnexus. Diese drei Erzfihlungen sind Beispiele dieser Art Intensit5tsdarste11ung. A. DIE VORBEDINGUNGEN: DIE TEXTE Die drei Erzfihlungen geh5ren in die frfihere Schaffens- periode von Dfiblin und erschienen in der Zeit zwischen 1910 und 1914.2 In seinem "Epilog" (1948) distanzierte sich Dfiblin aber von diesen frfihen Werken. "Die Herrschaften im 'Sturm' goutierten diese Sachen. Sie schienen ihnen 'expressionistisch' und Fleisch von ihrem Fleisch und Blut von ihrem Blut zu sein. Als ich aber das Visier hob und vom Leder zog im Wang-lun, da war es aus,--dabei fing ich erst an." (AZL 386) Ob es sich bei diesen drei Erzfihlungen um eine "Vorstufe" oder eine Vorbereitung auf das folgende groBe Romanwerk handele (vgl. Liede a.a.O., S. 1); oder inwiefern sich diese Erzahlungen von Dfiblins Werken nach der ”naturalistischen Wende" unter- scheiden, die 1aut Mfiller-Salget mit dem Aufsatz "Der Geist des naturalistischen Zeitalters" (1924) eingetreten sei, sei hier nicht untersucht.3 Die Analyse der drei Erzfihlungen 116 117 geht von der Voraussetzung aus, daB die Erzihlungen unter- einander ausreichende kompositorische Ahnlichkeiten aufweisen, um als Gegenst5nde der Analyse in Betracht zu kommen. Zu Beginn der Analyse seien zun5chst die Handlungen der drei Erzfihlungen kurz zusammengefaBt. "Die T§n1erin und der Leib" erzahlt von einer jungen Tanzerin Ella, die m1t neunzehn Jahren "ein bleiches Siechtum" befallt. Ihre Glieder, die sie durch jahrelanges Training, so seh1 zu zwingen gelernt haL daB es ihr gelingt, "fiber den uppigsten Tanz Kalte zu sprfihen," werden schwer. Trotz der Schmerzen spielt sie weiter und erzahlt niemandem von ihrer Schwache.1edoch d1oht sie ihrem Leib und knirscht mit den Zahnen "uber das Dumme, Kindische, das sie eben zu besiegen gelernt" haL Von ihrer Mutter endlich ins Krankenhaus gebracht, empfindet die Tanzerin zuerst Wut und dann Ekel ihrem Kfirper gegenfiber, der ihr nicht mehr gehorcht. Eine "leise, dunkle" Angst folgt. Sie versuch1, den Leib einzusperren und wehrt sich gegen die Ar1ze, die ihn b1hande1n, befragen, abklopfen und abhoren. Sie belfigt die Artze und verheimlicht ihren Schmerz. Aber auch diese Einstellung konnte die Tanzerin nicht lange aufrechterhalten. Sie wird ihrem Kfirper und dessen Behandlung gegenfiber gleichgfiltig. "Es ging sie nichts an, was geschah. Ein kindisches Wesen lag d1, das sie elend machte; was sollte sie um ihn kampfen, was sollte sie ihn um seine Ehren beneiden?" Der Leib wird ihr zu einem "Stfick Aas", und sie ffihren "getren1te Wirtschaft. " Ella empfindet Schadenfreude fiber das MiBgeschick der Artze und den Verderb des Leibes, wobei ihre K51te zurfick- kehrt. Die Trennung zwischen sich und dem Kfirper stellt die T5nzerin auf einer Stickerei dar. Ab- g1bildet sind drei Figuren: ein kugelffirmiger Kfirper auf zwei Beinen ohne Kopf und Arme, daneben ein groBer Mann der den Korper mit einem Thermometer streichelt und auf der anderen Seite des Bildes steht ein kleines M5dchen, das dem Mann eine lange Nase macht und mit der 1nderen Hand eine spitze Schere in den Kfirper stoBL der in dickem Strahl auslauft. Nach einem letzten Tanz, bei dem sie ihren alten Willen wieder ffillt, ruft Ella einen Artz zu sich. Wahrend er die Stickerei anschaut, 118 stBBt sie sich die Nihschere in die linke BrusL "Ein geller Schrei stand irgendwo in einer Ecke des Saales. . Noch im Tode hatte die Tanzerin den kalten, verachtlichen Zug um den Mund. " "Die Ermordung einer Butterblume" ist die Geschichte von Herrn Michael Fischer, einem Kaufmann, der eines Abends bei einem Spaziergang nach St. Ottilien in eine Konfrontation mit einer Butter- blume gerat. Wahrend Fischer schwarzgekleidet und seine Schritte zahlend weitergeht, bleibt sein Spazierstock im Unkraut hangen. Er reiBt den Stock aus, fixiert die verwachsenen Blumen, sturzt mit dem Stock auf sie und zerschlagt sie. Im Weitergehen erschrickt ihn der Gedanke, jemand (”etwa von seinen Geschaftsfreunden oder eine Dame") konnte ihn gesehen haben. Den Vorgang entschuldigt er, indem er meinL die Stadt mache ihn nervos. Nach kurzer Zeit sieht Fischer, ”wahrend sein Blick leer uber den Wegrand strich, wie eine untersetzte Gestalt, er selbst, von dem Rasen zurucktrat, auf die Blumen sturzte und einer Butterblume den Kopf glatt abschlug. " Gepackt und entsetzt von diesem Bild versucht er, durch Selbstbeherrschung und Geschaftsspruche (”Was steht zu DiensteL In meiner Firma ist solch Benehmen nicht ublich. ") seine Haltung zuruckzugewinnen. Das Bild laBt ihn aber nicht los. Er glaubt, er musse zu der "Mordstelle" zuruck, aber das kommt ihm lacherlich vor. Aber weitergehen will er auch nichL denn vielleicht lebt die Butterblume noch. Er ruft nach ihr, nach "Ellen" und sucht sie. Getroffen letztlich von der GewiBheit, daB sie von seiner Hand getotet sei, empfindet er, er musse den Schwestern der Toten kon- dolieren, obwohl Butterblumen ihm gleichgultig seien. Mit der Frage: "Was werden sie noch mit mir machen?" flieht er aus dem Wald. Zu Hause weiB er nur, daB irgendetwas geschehen ist. Am nachsten Tag stellt Fischer verblufft fest, er hat der Butterblume zehn Mark gutgeschrieben. Er bittet aber, die Rechnung weiterzufuhren und eroff- net ein eigenes Konto fur sie. Er geht so weit, daB er ihr auch Essen und Getranke opfert und sogar an Selbstmord denkt. Zwischendurch ‘betrugt er sie, indem er das Opfer umkippt oder sich zu ihrem Nachteil verrechnet. Nach mehr als einem Jahr schwebt er noch immer zwischen Todespein und Entzucken, denn "die Blume gehorte zu ihm, zum Komfort seines Lebens. Als er eines Abends wahrend eines Spazierganges glaubt, wieder an der Mordstelle zu sein, entschlieBt er sich eine Butterblume, eine ”Tochter" der Toten auszugraben und bei sich zu Hause einzupflanzen. Auf dem 119 DlumentOpf markiert Fischer die Paragraphen uber die Kompensation der Schuld. Die neue Pflanze pflegt er mit ubergroBer Sorge und meint, Ellen damit ein Leid anzutun. Eines Abends erklirt ihm seine Wirtschafterin, der Topf sei beim Reinmachen umgesturzt, und sie hatte die Pflanze, "das gemeine Mistzeug”, in den Mulleimer werfen lassen. Fischer meint jetzt die ganze "Butterblumensippschaft" los zu sein. Da jetzt Recht und Gluck auf seiner Seitestehenq 'will er gleich in den Wald gehen, wo er morden konnte, so viel er wolltL Voller Schadenfreude, laut lachend und prustend ver- schwindet er schlieBlich "in dem Dunkel des Bergwaldes." In "Der Kaplan" wird von einem jungen Priester erzahlt, der auf der StraBe die Gestalt sieht, die zu einer Stimme gehorL die er in der Beichte gehort hat. Er stellt sich der jungen Dame vor, die darauf zuerst erschrocken reagiert, sich aber bald beruhigt. Er begleitet sie nach HauSL Ohne es zu merken, geht Anselm, der Priester, zu dem Schuhgeschaft zuruck, vor dem er Alice zuerst gesehen hat, und kauft dort "in einer lacherlichen Versunkenheit" eine Dose Schuhcreme. Ohne Vor- anmeldung oder Einladung besucht er Alice, die gerade am Kaffeetisch mit dem Reserveleutnant Robert v. Wahlen sitzt, am nachsten Tag. Anselm setzt sich zwischen die zwei Liebenden, und Robert fangt an, sich uber die Situation und uber den Kaplan lustig zu machen. Nachdem die zwei Herren sich von Alice verabschiedet haben, bittet Robert den Priester um einen Gefallen: Anselm solle dem Regerveleutnant ein Madchen "abnehmen" und dieses fruhere Verh51tnis dadurch losen, daB er sich von Robert "in flagranti" erwischen laSSL Anselm laBt sich von Robert versichern, daB dieser Alice liebt, was ihm nach etwas ngern auch bestatigt wird; darauf willigt er ein. Nach dem ersten Besuch bei dem "Madchen" Bertha, das ihn als das "ausgebliebene Geburtstagsgeschenk" von Robert betrachtet, beichtet der Kaplan alles. Auf die Feststellung seines Beichtvaters, er sei in Alice verliebt und begehre sie, erwidert Anselm: "Das sind Worte, die mich nicht treffen. Ich habe eine sanfte Empfindung in mir, die sehr stark ist. Ich bete und mein Gebet ist innig. Ich fuhle mich in keiner Weise geandert. " Da Robert bei dem zweiten Besuch bei Bertha noch nicht erschienen ist, ruft Anselm ihn an. Wahlen meint, es eile damit nicht, und ladt den Kaplan zu einem Maskenspiel bei Alice ein. Die Wohnung ist in eine japanisch Fruhlings- 120 landschaft verwandelt wordeL Robert gibt dem Priester ein ausgeschnittenes Nachthemd, hellblaue Strumpfe und perlenbesetzte Nachtpantoffeln dazu. Anselm zieht sich um, berauscht von der Gelegen- heit, Alice wiederzusehen. Jedoch als sie ihn so verkleidet sieht, schickt sie ihn weg mit der Bitte, er solle morgen wiederkommen. Amnachsten Morgen erscheint Anselm in seinem weiBen Priesterkleid und geht zu der noch nicht Angezogenen ins Schlafzimmer. Alice sagt ihm, sie wolle Robert verlassen und bittet ihn, ihr dabei zu helfen. Der Kaplan gesteht ihr seine Gefuhle fur sie; sie kfissen sich und fahren gleich danach ins GrunL Ihr Gluck wird aber gestort, als Robert sie mit seinem Pferd einholt. Robert greift nach Alice, um sie aus dem Wagen zu holen. Alice schreit, Robert werde sie umbringen. Aber in dem entscheidenden Moment, wo er sie noch hatte retten konnen, uberkommt Anselm ein "blinder Wille: Weg von Alice, weg von ihr." Er last sie unter die Rader fallen und spricht das Totengebet fur sie. Spater wird er von Robert mit der Reitgerte zusammengeschlageL In einem Waldkloster versetzt, will Anselm, daB die Frau in der Holle brennt. Aber nach drei Wochen bringt er der Jungfrau ein Opfer, und da er fuhlt, daB sie ihn versteht, liest er die Messe fur die Tote, die er fruher Frosch nannte. "Und wahrend er die Hande aneinandergelegt vor die Stirn hielt, kam ihm vor, als ob ein Frosch aus der Mulde zwischen ihnen hervorhupfte, 1aut "quak, quak" machte und behend vor die FuBe der Gottesmutter sprang. B. ALFRED DOBLINS "NATURALISTISCHE" SBHWEISE UND SEIN "KINOSTIL" Das gestaltungsbestimmende Moment seiner Erzfihlungen geht zurfick auf Doblins Auffassung vom Naturalismus, die er in seinem offenen Brief an F. T. Marinetti, "Futuristische Worttechnik" (1913), darlegt: 121 . . wir wollen keine Versch5nerung, keinen Schmuck, keinen Stil, nichts AuBerliches, sondern Harte, K51te und Feuer, Weichheit, Transzendentales und Erschutterndes, ohne PackpapieL . . . Was nicht direkt, nicht unmittelbar, nicht ges5ttigt von Sachlichkeit ist, lehnen wir gemeinsam an; das Traditionelle, Epigon5re bleibt der Hilflosigkeit reserviert. Naturalismus, Naturalismus; wir sind noch lange nicht genug Naturalisten. (AZL 9) Wie V. Emegaé zutreffend festgestellt hat, hat D5blins Auf- fassung von Naturalismus nichts mit der schon als veraltet empfundenen Kunstnorm zu tun. Sie ist "eine Ann5herung an eine bestimmte Wirklichkeitsauffassung."4 Das wird von D5blin selber best5tigt: Der Naturalismus ist kein historischer Ismus, sondern das Sturzbad, das immer wieder uber die Kunst hereinbricht und hereinbrechen muB. Der Psychologismus, der Erotismus mus fortgeschwemmt werden; Entselbstung, Ent5u8erung des Autors, Depersonation. Die Erde muB wieder dampfen. Los vom Menschen! Mut zur kinetischen Phantasie und zum Erkennen der unglaublichen realen Konturen! Tatsachenphantasie! Der Roman muB seine Wiedergeburt erleben als Kunstwerk und modernes Epos. (AZL 18-19) Der Ruf nach einer "Tatsachenphantasie" charakterisiert D5blins Sehweise. Sie liegt zwischen der vision5r gestei- gerten Wirklichkeitsauffassung Edschmids und der subjektiven, kubistischen Einsteins. D5blins Sehweise ist n a t u r a- 1 i s t i s c h o b j e k t i v und beruht auf der "drei- mal heiligen Sachlichkeit." (AZL 10) A15 Leitsatz dieser Sehweise gilt: "Der bestirnte Himmel 5ber mir und die Eisenbahn- schienen unter mir." (AZL 66) 122 Der Drang nach Objektivit5t, der seiner Sehweise zugrunde liegt, f5hrt D5blin dazu, eine neue Darstellungs- art f5r seine Prosa zu entwerfen. Dabei bezieht sich D5blin auf seine T5tigkeit als Nervenarzt, um ein Modell zu formulieren. Man 1erne von der Psychiatrie, der einizigen Wissenschaft, die sich mit dem seelischen ganzen Menschen befaBt: sie hat das Naive der Psycho- logie l5ngst erkannL beschr5nkt sich auf die Notierung der Abl5ufe, Bewegungen, --mit einem Kopfsch5tte1n,Achselzucken f5r d5s Weitere und das "Warum" und "Wie". (AZL 16) Damit will D5blin die Psychologie, die er als "Rationalismus" also "der Tod der Kunst" bezeichnet, aus seinen Werken verbannen. (ebd.) Die Psychiatrie als Vorbild f5hrt zur Forderung nach Objektivit5t der Darstellung. Ebenso h51t sie den Autor davon ab, sich st5ndig erkl5rend einzumischen. H der Gegenstand des Romans ist die entseelte Realit5t. Der Leser in voller Unabh5ngigkeit einem gestalteten, gewordenen Ablauf gegen5bergestellt; er mag urteilen, nicht der Autor." (AZL 17) Diese Forderungen fast D5blin zusammen und bezeichnet sie als "Kinostil". Die Darstellung erfordert bei der ungeheuren Menge des Geformten einen Kinostil. In h5chster Gedr5ngt- heit und Pr5zision hat die "F5lle der Geschichte" vorbeizuziehen. Der Sprache das AuBerste der Plastik und Lebendigkeit abzuringeL Der Erz5hler- schlendrian hat im Roman keinen Platz; man erz5hlt nicht, sondern bauL Der Erz5hler hat eine b5urische Vertr5ulichkeit. Knappheit, Sparsamkeit der Worte ist n5tig; frische Wendungen. Von Perioden, die das Nebeneinander des Komplexen wie das Hinter- einander rasch zusammenzufassen erlauben, ist umf5nglicher Gebrauch zu machen. Rapide Abl5ufe, In di mehrere Ans Kunstwerkes der Sprache abzuringen; gef5hr1ich; schlieBlich schlendrian Anhaltspunk 123 Durcheinander in bloBen Stichworten; wie 5ber- haupt an allen Stellen die h5chste Exaktheit in suggestiven Wendungen zu erreichen gesucht werden muB. Das Ganze darf nicht erscheinen wie gespro- chen, sondern wie vorhanden. Die Wortkunst muB sich negativ zeigen in dem, was sie vermeidet, ein fehlender Schmuck: im Fehlen der Absicht, im Fehlen des bloB sprachlich Sch5nen oder Schwung- haften, im Fernhalten der Manieriertheit. Bilder sind gefahrlich und nur gelegentlich anzuwenden; man mus sich an die Einzigartigkeit jedes Vorgangs heranspuren, die Physiognomie und das besondere Wachstum eines Ereignisses begreifen und scharf und sachlich geben; Bilder sind bequem. (AZL 17-18) eser Definition des Kinostils vereinigen sich ichten 5ber die Gesamtheit des literarischen . Sie enth5lt AuBerungen zur S p r a c h e: sei das AuBerste der Plastik und Lebendigkeit zur B i l d l i c h k e i t: Bilder seien zur H a n d 1 u n g: rapide Abl5ufe und zur E r z 5 h l t e c h n i k: der Erz5hler- habe keinen Platz. Diese Kriterien seien te f5r die folgende Analyse. C. "KINOSTIL" UND DIE SPRACHE UND DAS SPRACHLICH. DARGESTELLTE "Kinostil" und Sprache In ihren Kommentaren zu dem neuerschienenen Erz5hlband Die Ermordung einer Butterblume (1913) machten schon zeit- gen5ssische Kritiker auf die Eigenartigkeit von D5blins Sprache aufmerksam: "edle Leidenschaftlichkeit des Stils, 124 Glut einer gleichwohl hartgeschmiedeten Sprache . . ." (Ehrenstein 9); "Alfred D5blin bringt seine Erz5hlungen in klarer, ungespreizter Sprache vor, die nur leicht pers5n- lich gef5rbt ist . . ." (Pick, Lloyd 12) und ”Die Sprache kann nicht plastischer sein. Die S5tze sind kurz und wuchtig wie Sch15ge." (Adler 15).S Diese Kommentare weisen auf das Verh51tnis zwischen Kinostil und der Sprache bzw. dem sprachlich Dargestellten von D5blins Prosa hin. Neben der Forderung des Kinostils, ein H5chstmaB an Plastik und Sachlichkeit mit Hilfe einer m5g1ichst groBen syntaktischen Knappheit hervorzubringen, zeigen die Erz5h- lungen zwei weitere Eigenschaften der D5blin'schen Sprache: eine strenge perspektivische Einheit und eine Neigung zur Dynamik. Beide Eigenschaften werden sowohl bei den einzelnen W5rtern als auch bei der sprachlichen Darstellung festgestellt. EineTextprobe aus "Die T5nzerin und der Leib" kann diese f5nf Charakteristika (Plastik, Sachlichkeit, Perspektivit5t, Dynamik und syntaktische K5rze) erl5utern. Sie wurde mit elf Jahren zur T5nzerin bestimmt. Bei ihrer Neigung zu Gliederverrenkung, Grimassen und bei ihrem sonderbaren Temperament schien sie f5r diesen Beruf geeignet. L5ppisch bis dahin in jedem Schritt, lernte sie jetzt ihre federnden B5nder, ihre zu glatten Gelenke zwingen; sie schlich sich behutsam und geduldig in die Zehen, die Kn5chel, die Kniee ein und immer wieder ein, 5berfiel habgierig die schmalen Schultern und die Biegung der schlanken Arme, wachte lauernd 5ber dem Spiel des straffen Leibes. Es gelang ihr, 5ber den 5ppigsten Tanz, K51te zu spr5hen. (EB 17) 125 Die strenge Bindung der Sprache an eine Perspektive zeigt sich darin, daB die einzelnen W5rter aus der Perspektive der T5nzerin ausgew5hlt und auch angewendet werden. Hieraus entsteht auch die Sachlichkeit der Darstellung. Alles Dargestellte (inklusiv der Handlung) stimmt mit der Perspektive der es erlebenden Figur 5berein. Einer T5nzerin k5nnten ihre Glieder "zu glatt" sein; auch w5rde sie bis in die entferntesten K5rperteile "behutsam und geduldig” einschleichen wollen und andere "habgierig" 5berfallen. Insofern fungiert die Haupt- figur als kinematographische Optik der Darstellung, da alles aus ihrer Perspektive dargestellt wird.6 Dies erf5llt die Forderungen des Kinostils und schlieBt einen Psychologismus aus, denn in dieser Passage und in den restlichen Erz5hlungen werden keine psychologisch motivierten Deutungs- oder Erkl5rungs- versuche unternommen. Die Dynamik der Sprache und auch deren Plastik und Lebendigkeit zeigen sich besonders in der verbalen Dar— stellungsweise, aber auch in der Wortwahl. Dynamisch sind die W5rter, deren Bedeutungen Vorg5nge ausdr5cken, wie in der eben zitierten Passage gesehen wurde: Gliederverrenkungen, Schritt, Spiel, federnd, Biegung, lauernd usw. Die Dynamik der Darstellungsart liegt ferner bei den Verben, die den Handlungsvorgang ausdr5cken: die T5nzerin lernte "zwingen", "schlich . . . ein und immer wieder ein", "5berfiel", "wachte" usf. Diese Art Dynamik, die aus der verbalen Darstellung der K5rperbeherrschung seitens der T5nzerin erfolgt, verleiht der Sprache und der Darstellung eine groBe Anschaulichkeit. 126 Im Hinblick auf die Dynamik bietet sich ein Vergleich mit Edschmid an. Dabei zeigt sich, daB trotz einer Ahnlich- keit der Mittel zur Erzeugung der Dynamik die Funktion und die Darstellung der Dynamik bei beiden Autoren v511ig verschieden von einander bleiben. Bei Edschmid wird die Dynamik zur Herstellung einer dynamisierten Ubersteigerung der Sprache und des sprachlich Dargestellten gebraucht; bei D5blin aber entsteht die Dynamik aus der konsequenten Anwen- dung des Kinostils und der naturalistischen Sehweise, bei denen Vorg5nge als Vorg5nge zu gestalten sind. Mit Hilfe der Dynamik verdichtet sich D5blins Sprache zum "Wortfilm", (Adler a.a.O. 8.14) und weist keine Ubersteigerungen auf.7 Die syntaktische Verknappung in D5blins Sprache ist eine direkte Folge der Dynamik, denn Dynamik und syntaktische Verknappung arbeiten oft zusammen, wie z.B. in diesem Satz aus der "T5nzerin": "Die Stimme hell, ohne Buhlerei und Musik, abgehackt, ein rascher Gang." (EB 17) Hier wird die unruhige Dynamik und die nerv5se Energie der T5nzerin mittels einer vollkommen auf Verben verzichtenden Syntax erzeugt. Dieses Stilmittel f5hrt in D5blins Erz5hlungen zu einer Erh5hung des Erz5hltempos. Ein besonders gutes Beispiel daf5r ist die Stelle in ”Die Ermordung einer Butterblume", wo Fischer nach dem "Mord" aus dem Wald fliehen will. An dieser Stelle erscheint nicht nur die 5bliche Parataxe der syntaktische Verknappung, sondern auch ein Wechsel des Tempus vom Imperfekt ins Pr5sens. 127 Wieder rennt er hart gegen eine niedrige Tanne; die schl5gt mit aufgehobenen H5nden auf ihn niedeL Da bricht er sich mit Gewalt Bahn, w5hrend ihm das Blut stromweise 5ber das Gesicht flieBt. Er Speit, schl5gt um sicD, st58t 1aut schreiend mit den F5Ben gegen die B5ume, rutscht sitzend und kollernd abwarts, l5uft schlieBlich Hals 5ber Kopf den letzten Abhang am Rand des Waldes herunter, den Dorflichtern zu, den zerfetzten Gehrock 5ber den Kopf geschlagen, w5hrend hinter ihm der Berg drohsam rauscht, die F5uste sch5tte1t und 5berall ein Bersten und Brechen von B5umen sich h5ren l5Bt, die ihm nachlaufen und schimpfen. (EB 49) Die Tempoerh5hung resultiert zumeist aus einer Aus- gleichung von erz5h1ter Zeit und der Erz5hlzeit, die teils durch den Tempuswechsel, teils durch die syntaktische Ver- knappung hervorgebracht wird. Dadurch werden die poetischen Vorg5nge in einer quasi "realen" Zeit geschildert, wie z.B. im Satz: "Er speit, schl5gt um sich, st58t 1aut schreiend mit den F5Ben gegen die B5ume . . ." An solchen Stellen wird der Text tats5ch1ich zum "Wortfilm". Diese PasSage illustriert auch das Verh51tnis zwischen Perspektivit5t und Temposteigerung. Je strenger die Einheit der Perspektive der Hauptfigur beim Erz5hlen beibehalten wird, desto schneller wird das Erz5hltempo. 2. "Kinostil" und die sprachlich dargestellten Figuren Auch die poetischen Figuren werden in den Erz5hlungen nach den Prinzipien des Kinostils gestaltet. Wie im Film werden die Figuren nur durch optische Mittel, also durch Beschreibung von Aussehen und Bewegung dargestellt. Durch 128 diese zwei Mittel wird jeder Aspekt der Figuren entworfen, und psychologische Darstellung ist ausgeschlossen. Seelische, geistige und andere innere Vorg5nge oder Zust5nde werden durch Optische und dramatische Mittel wie Aussehen, Bewegung, Geb5rde, Dialog, Monolog (erlebte Rede) usw. zur Darstellung gebracht.8 Die T5nzerin wird haupts5chlich durch Beschreibung der Dynamik ihrer Ubungen und K5rperbeherrschung vorgestellt. Sie hat eine "Neigung zu Gliederverrenkungen, Grimassen", hat ihre Gelenke "zwingen" gelernt und schlich sich in sie ein. (EB 17) Auch die Beschreibung ihrer 5u8eren Erscheinung kommt mit einem Minimum von Einzelheiten aus: "eine kleine seiden- leichte Figur, 5bergroBe schwarze Augen. Ihr Gesicht fast knabenhaft lang und scharfgeschnitten." (ebd.) Ihre Abneigung den anderen T5nzerinnen gegen5ber wird auch mit Hilfe einer Geb5nh3dargestellt: "Sie war lieblos, sah klar auf die unbe- f5higten Kolleginnen und langweilte sich bei ihren Klagen." (ebd.) Beim Eintritt der Krankheit wird die Sprachdynamik zum alles beherrschenden Prinzip der Gestaltung. Die Fahlheit ihres Gesichts wird von der Schwere ihrer Glieder akzentuiert. Als Zeichen ihrer Schmerzen beiBt sie sich auf die Lippe und auf den Vorschlag der Mutter, daB sie ins Krankenhaus gehen sollte, antwortet sie nicht, sondern wirft "nur einen geh5ssigen Blick auf das runzlige, hoffungslose Gesicht . . ." (ebd.) Die Wut, die Ella--der Name f5llt erst im vierten Absatzg-- gegen ihren K5rper aufbringt, wird auch in Bewegungen ausge- dr5ckt: "Wenn sie allein war, stampfte sie mit dem Fuse, drohte 129 ihrem Leib und m5hte sich mit ihm ab . . . Sie knirschte mit den Z5hnen 5ber das Dumme . . .” (ebd.) Wie ihre Wut wird auch ihre Angst mit Hilfe der Sprachdynamik geschildert: "Klein wie eine Fliege wurde sie; und nachts stand die Todes- angst hinter ihrem Bett. Ihre Augen, die in Unheimliches sahen, wurden steif." (EB 18) Auch Herr Michael Fischer, der butterblumenmordende Kaufmann, wird durch Sprachverk5rzungen und sorgf5ltige Wort- wahl vorgestellt. Der schwarzgekleidete Herr hatte erst seine Schritte gez5h1t, eins, zwei, drei, bis hundert und r5ck- w5rts, als er den breiten Fichtenweg nach St. Ottilien Dinanstieg, und sich bei jeder Bewegung mit den H5ften stark nach rechts und links gewiegt, so daB er manchmal taumelte; dann vergaB er es. Die hellbraunen Augen, die freundlich hervor- quollen, starrten auf den Erdboden, der unter den F5Ben fortzog, und die Arme schlenkerten an den Schultern, daB die weisen Manschetten halb 5ber die H5nde fielen. Wenn ein gelbrotes Abendlicht zwischen den St5mmen die Augen zum Zwinkern brachte, zuckte der Kopf, machten die H5nde ent- r5stete hastige AbwehrbewegungeL Das d5nne Spazierst5ckchen wippte in der Rechten 5ber Gr5ser und Blumen am Wegrand und vergn5gte sich mit den Bluten. (EB 42) Ahnliches ist auch beim "Kaplan" zu finden, wie z.B. an der Stelle, wo Anselm glaubt, "die Gestalt zu einer Stimme, die er in der Beichte geh5rt hatte," gesehen zu haben. "Und der Gedanke bewirkte, daB er seinen Schirm tiefer 5ber sich zog, den schmalen Kopf auf die fallende linke Schulter legte und ein paar Sekunden die Augen schloB." (BB 181) Was bei den Figuren nicht durch Beschreibung der Bewegungen dargestellt werden kann, wird in Dialogen oder 130 Monologen geschildert, die h5ufig in der Form der erlebten Rede auftreten. In diesen Szenen werden meist schwerwiegende seelische Konflikte zum Ausdruck gebracht. W5hrend eines Gespr5ches mit seinem Beichtvater kommt die ungew5hnliche innerliche Verfassung des Kaplans ans Licht. "Bruder Anselm, Sie sind verliebt in das M5dchen, Sie begehren sie." "Das sind Worte, die mich nicht treffen. Ich habe eine sanfte Empfindung in mir, die sehr stark ist. Ich bete und mein Gebet ist innig. Ich f5h1e mich in keiner Weise ge5ndert. " Und dann schwammen seine Augen, er ber5hrte den Pater am Armel. "Meine Auffassung klingt unm5glich, ich weiB. Ich staune, was mit mir geschehen ist." (EB 192-193) In einem inneren Monolog 5berlegt Herr Michael Fischer, wie er die Butterblume 5bervorteilen k5nne: Und w5hrend er sich eines sonnigen Abends auf einem gefallenen Baumstamm ausruhte, blitzte ihm der Gedanke: hier an der Stelle, wo er jetzt saB, hatte seine Butterblume, Ellen, gestanden. Hier muBte es gewesen sein. Wehmut und 5ngst1iche Andacht ergriff den dicken Herrn. Wie hatte sich alles gewendet! Seit jenem Abend bis heute. Er lieB versunken die freundliche, leicht verfinsterten Augen 5ber das Unkraut gehen, die Schwestern, viel- leicht T5chter Ellens. Nach langem Sinnen zuckte es spitzb5bisch 5ber sein glattes Gesicht. Oh sollte seine liebe Blume jetzt eins bekommen. Wenn er eine Butterblume ausgr5be, eine Tochter der Toten, sie zu Hause einpflanzte, hegte und pflegte, so hatte die Alte eine junge Nebenbuhlerin. Ja, wenn er es recht 5berlegte, konnte er den Tod der Alten 5berhaupt s5hnen. Denn er rettete dieser Blume das Leben und kompensierte den Tod der Mutter; diese Tochter verdarb doch sehr wahrscheinlich hieL Oh w5rde er die Alte 5rgern, sie ganz kaltstellen. (EB 52- 53) "Die T5nzerin und der Leib" gebraucht erlebte Rede, um einen fingierten Dialog zwischen der T5nzerin und dem Leib zu 131 zeigen. Dabei werden allerdings nur die 'Reden' der T5nzerin dargestellt. Wenn es sie nachts stach und qu5lte, sagte sie zu ihm (dem Leib-~d. Verf. ): "Sei ruhig bis morgen zur Visite; sag es den Arzten, deinen Arzten, laB mich zufrieden. " Sie f5hrten getrennte Wirtschaft; der Leib konnte sehen, wie er sich mit den Doktoren abfanL "Es wird schon proto- kolliert werden." Damit schnitt sie der Bel5B- tigung das Wort ab. (EB 19) Die Gestaltung der Figuren mittels kinostilistischer und kinematographischer Techniken l58t sich als D5blins poetische Verwirklichung seiner theoretischen Forderung bezeichnen: der Mensch sei nicht der Gegenstand des Romans. (AZL 21) Figuren wie diese tragen keine ideellen oder psychologischen Symbolverweisungen; dazu sind sie zu flach, zu einseitig, zu "filmisch" dargestellt. Der Kinostil erlaubt nicht, daB sie je Fleisch und Blut werden; sie bleiben als Figuren Tr5ger einer Funktion. D. DIE HANDLUNG ALS LEBENSEREIGNIS In seinen "Bemerkungen zum Roman" (1917) distanzierte D5blin sich vom traditionellen Handlungsschema des Romans. Der Roman hat mit Handlung nichts zu tun . . Vereinfachen, zurechtschlagen und -schneiden 5uf Handlung ist nicht Sache des Dpikers. Im Roman heist es schichten, h5ufeL w5lzen, schieben; im Drama, dem jetzigen, auf die Handlung hin verarmten, handlungsverbohrten: "voran!" Vorw5rts ist niemals die Parole des Romans. (AZL 19- 20) 132 Hier polemitisiert D5blin gegen jene Art Handlung, die einzig und allein von Spannung bzw. deren Erzeugung lebe. "Die Spannung ruiniert den Roman . . ." heiBt es am Anfang des Aufsatzes. (AZL 19) Dabei ist zu erkennen, daB D5blin nicht gegen die Handlung an sich, also gegen die dargestellte Aufeinanderfolge von Geschehnissen, ist, sondern daB seine Polemik den Handlungen bzw. den Romanen gilt, deren einzige Intention es ist, den Leser in Spannung zu versetzen. "Statt Gebete Worte, statt Ersch5tterung geistige Besch5ftigung, statt Dichtung Handlung." (AZL 21) In dem vier Jahre fr5her erschienenen "Berliner Programm" (1913) richtet D5blin eine 5hnliche Polemik gegen Handlungs- formen, die im Dienste der Psychologie stehen. Immer war der Rationalists der Tod der Kunst; der zudringlichste, meist gehatschelte Rationalismus heiBt jetzt Psychologie. Viele als "fein" ver- schrieene Romane, Novellen-~vom Drama gilt dasselbe --bestehen fast nur aus Analyse von Gedanken- g5ngen der Akteure; es entstehen Konflikte inner- halb dieser Gedankenreihen, es kommt zu d5rftigen oder hingepatzten "Handlungen". (AZL l6) Auch hier wird die Handlung als notwendige Aufeinanderfolge nicht angetastet. Die Polemik richtet sich gegen eine Tendenz, die D5blin von Frankreich nach Deutschland kommen sieht: "die Sucht nach Zusammendr5ngung, klipp und klarer Problemstellung, eine abstrakte Strenge, Balkenversteifung, entschlossene Abdachung und Beendung." (AZL 19) Mit Hilfe der Technik des Kinostils werden Spannung und Psychologie von den Erz5hlungen D5blins ferngehalten. Die 133 Stringenz der Erz5hlperspektive (die Hauptfigur als Optik) erlaubt keine stoffliche Spannung, und die kinematographische Gestaltung der Figuren verhindert Einblick in deren Psyche. Diese Tendenzen werden von dem, auf der naturalistischen Sehweise beruhenden,psychiatrischen Handlungsmodell unter- st5tzt: ”die Notierung der Abl5ufe, Bewegungen,--mit einem Kopfsch5tteln, Achselzucken f5r das Weitere und das 'Warum' und 'Wie'." (AZL 16) Im Mittelpunkt des psychiatrischen Handlungsmodells hat nicht der Mensch, sondern ein ”Lebensereignis" zu stehen. Es ist schon verkehrt, anzunehmen und unter dieser Annahme zu arbeiten und zu lesen: der Mensch sei Gegenstand des Dramas oder des Romans. Sie haben beide weder mit den Menschen noch der Wichtigkeit eines einzelnen Helgen oder seiner ProDleme etwas zu tun. Das alles uberlasse man dem Padagogen, Pfarrer, Psychologen, Psychiater; gedichtete Psychologie ist ein Unfug. Es handelt sich um buntes oder einfarbiges, freudiges, trauriges, tiefes, flaches Lebensereignis; mache mans wie mans will. (AZL 21) Die Handlungsabl5ufe der Erz5hlungen sind durch drei Grundelemente gekennzeichnet. Jede Handlung beginnt mit dem Einbruch eines unerwarteten, unnormalen, "ungeheueren Ereignisses" in den Lebensbereich der Hauptfigur.10 Diesem Einbruch folgt eine Ab- bwz. Gegenwehrreaktion der betroffenen Figur, wodurch sie versucht, den Einbruch von sich zu weisen (oder sich wenigstens dessen Konsequenzen zu entziehen), um sich dann wieder in der "normalen" Welt zu etablieren. Danach kommt ein Versuch seitens der Figur, sich mit dem eingebrochenen Unnormalen abzufinden und dabei das Unnormale zum Normalen zu 134 machen. Obwohl der Einbruch gew5hnlich zuerst erfolgt, haben diese drei Elemente keine feste Ordnung in den Handlungs- abl5ufen der Erz5hlungen und k5nnen mehrmals auftreten, so daB es zu mehreren Einbr5chen, Abwehr- und Eingliederungs- versuchen kommen kann. Dadurch entsteht eine gewisse Oszil- lation der Handlung. Das "Lebensereignis" ist nicht mit den einzelnen Grund- elementen der Handlung gleichzusetzen, sondern es bezieht sich auf den ganzen, durch den Einbruch ausgel5sten ProzeB der existentiellen Seinserfahrung der Hauptfigur. Es gilt jetzt, die verschiedenen Stadien dieses Prozesses n5her zu betrachten. Der Einbruch wird auf verschiedene Weisen ausgel5st: als Folge einer Erkrankung (die T5nzerin), eines belanglosen Zwischenfalls (Herr Michael Fischer) oder der unerwarteten Begegnung einer Person (der Kaplan). Insofern fungiert der Einbruch als Movens des Kausalnexus der Handlung, dessen Ent- faltung die Reaktionen (eben die schon erw5hnten Abwehr- und Eingliederungsversuche) der betroffenen Figuren sprachlich erfassen. Das ungeheure Ereignis im Leben der T5nzerin Ella ist der Ausbruch des ”bleichen Siechtums", von dem ihre Gleider p15tzlich schwer werden. Diese Erkrankung bedeutet nicht nur, daB sie nicht mehr tanzen kann, sondern auch daB sie die Kontrolle 5ber ihren K5rper verliert. F5r sie ist der Verlust der K5rperbeherrschung das allerschlimmste Ereignis und stellt den Einbruch dar. Auf die Beherrschung ihres K5rpers hatte sie seit acht Jahren ihre ganze Energie, ihr ganzes Leben gerichtet. 135 F5r den Kaufmann Michael Fischer stellt ebenfalls der Verlust der Selbstbeherrschung den Einbruch dar. Die Attacke gegen die Butterblumen ist bereits Fischers Abwehrreaktion gegen das ungeheure Ereignis. Vor die Blumen war er gesprungen und hatte mit dem Spazierst5ckchen gemetzelt, ja, mit jenen heftigen aber wohlgezielten Handbewegungen geschlagen, mit denen er seine Lehrlinge zu ohrfeigen gewohnt war, wenn sie nicht gewandt genug die Fliegen im Kontor fingen und nach der Gr5Be sortiert ihm vorzeigten. (EB 43) Noch kann Herr Fischer seine Selbstkontrolle retten. Der Einbruch ereignet sich jedoch ein zweites Mal: Nach kurzer Zeit war er wieder dabei, seine Schritte zu zahlen, eins, zwei, drei. FuB trat vor FuB, die Arme schlenkerten an den SchulterL Pl5tzlich sah Herr Michael Fischer, w5hrend sein Blick leer 5ber den Wegrand strich, wie eine untersetzte Gestalt, er selbst, von dem Rasen zur5cktrat, auf die Blumen st5rzte und einer Butterblume den KOpf glatt abschlug. Greifbar geschah vor ihm, was sich vorhin begeben hatte an dem dunklen Weg. (ebd.) Nach der Wiederholung des "Gemetzels" wird Fischers Fassung progressiv fragw5rdiger. Er versucht, sich noch einmal zusammenzureiBen: "Selbstbeherrschung. Diesem Mangel an Gehorsam w5rde er, der Chef, energisch steuern. Man muB diesem Volk bestimmt entgegentreten." (EB 44) Sein Verlust der Selbstbeherrschung ist aber nach einer dritten Wieder- holung des Einbruchs entg5ltig. "Der Rumpf ragt starr in die Luft, weiBes Blut sickert aus dem Hals. . . . Es gerinnt oben ganz dick und klebrig, so daB die Ameisen h5ngen bleiben. 136 Und daneben im Rasen fault der KOpf." (EB 45)11 V5llig auBer sich, flieht er vom Tatort. "Er hatte sich nicht zusammengenommen, biB sich in den Zeigefinger: 'PaB auf, du, ich sag dir's, paB auf, Lump, verfluchter.'” Inzwischen gehen seine F5Be weiter. (EB 46) Bin analoger Verlust der Selbstbeherrschung ereignet sich auch in "Der Kaplan" als Einbruch des "Unnormalen". Interessanterweise wird hier nicht erschrocken auf das ausl5sende Moment reagiert. Als "eine kleine Schlanke" (die Gestalt zu einer Stimme, die er in der Beichte geh5rt hatte) an dem Kaplan vorbeihuscht, geht er ihr einfach nach, von dem Rot ihres Mantels geleitet. (BB 181) Noch ist der Kaplan sich der Folgen des Einbruchs nicht bewuBt. Auf das Urteil seines Beichtvaters, e'r sei in das M5dchen verliebt und begehre sie, antwortet Anselm: "Das sind Worte, die mich nicht treffen. Ich habe eine sanfte Empfindung in mir, die sehr stark ist. Ich bete und mein Gebet ist innig. Ich f5hle mich in keiner Weise ge5ndert." (BB 192) Anstatt 5ber seine Erlebnisse entsetzt zu sein (wie die T5nzerin und Fischer), staunt der Kaplan nur. "Meine Auffassung ist unm5glich, ich weiB. Ich staune, was mit mir geschehen ist." (BB 193) Das, was geschehen ist, ist ein Verlust seiner Selbstbeherrschung; ein Verlust, der sich 5berall in seinem Handeln zeigt: beim Nachlaufen, beim Besuch bei Alice, bei der Bertha-Sache. In der Beicht-Szene wird jedoch der Anfang einer Abwehrreaktion seitens des Kaplans angedeutet. "Freilich schillert manchmal alles, jedes in mir, bewegt sich von mir weg. Dann habe ich 137 den Wunsch, daB ein Ende eintr5te damit.” (ebd.) Ein Ende tritt aber nicht ein, und der Kaplan l5Bt sich immer tiefer auf das ungeheure Unnormale ein: Maskenspiel, Besuch am n5chsten Morgen im Schlafzimmer von Alice, KuB, Fahrt ins Gr5ne. Jedoch als Robert, der fr5here Freund von Alice, versucht, sie aus dem Wagen zu ziehen, setzt endlich die Abwehrreaktion bei Anselm v511ig ein. "In seine Arme aber kam ein blinder Wille: weg von Alice, weg von ihr." (BB 200) Sie wird 5berfahren und get5tet, aber Anselm wehrt sich weiter gegen sie und dadurch auch gegen den Einbruch: er liest die Totenmesse nicht und duldete nicht, daB sie von anderen gelesen wurde. "Die Frau sollte brennen in der H5lle, das legte er sich auf." (BB 201) Sobald er nach drei Wochen aber meint, die Jungfrau werde ihn verstehen, er k5nne die Messe also lesen und sie dann auch liest, schl5gt der Einbruch in seiner ganzen Konsequenz durch. Und w5hrend er die H5nde aneinandergelegt vor die Stirn hielt, kam ihm vor, als ob ein Frosch aus der Mulde zwischen ihnen hervorh5pfte, laut "quak, quak" machte und behend vor die F5Be der Gottes- mutter sprang. Die Engel lachten feiD, wie wenn man ein Seidenpapier umwendet. Die F58e Marias Dewegten sich wenig. Das rosige Wolkenkleid 5ber ihren Schenkeln strich sich glatt, da h5pfte der kleine braune Frosch empor. Auf ihrem SchoB saB er mit seinen m5chtigen Augenb5llen und durfte still sitzenbleiben zwischen den Englein. (ebd. ) Die Begegnung mit dem Frosch--"Frosch" war sein Spitzname f5r Alice (EB 199)--bringt Anselm genau so aus seiner priesterlichen Fassung wie die Begegnung mit Alice. 138 Die Schwankungen zwischen Abwehr des Einbruchs und Wiedereingliederung ins Normale sind auch ein integraler Handlungsteil der anderen Erz5hlungen. Die T5nzerin schwankt zwischen dem FuBstampfen und Z5hneknirschen ihrer ersten Abwehr und einer Angst, die sie zu einem passiven Verhalten ihrem K5rper und dessen 5rztlicher Behandlung gegen5ber (als Eingliederung) f5hrt. "In leiser Angst 5ffnete sie die Augen, als sie die Glieder betastete, die sich ihr entzogen. Wie machtlos sie war, 0 wie machtlos sie war." (EB 18) Die passive Reaktion auf den Einbruch vergeht bald und macht einer Emp5rung gegen den Arzt Platz, der dem K5rper Ehrfurcht zollt, dem Verderbten, Verderbenden, und 5ber sie fortsehe, "als w5re sie tot." (ebd.) Danach f5hlt sich die T5nzerin beleidigt. "Sie sperrte den Leib ein, legte ihn in Ketten. Es war nun ihr Leib, ihr Eigentum, 5ber das sie zu verf5gen hatte. Sie wohnte in diesem Haus; man sollte ihr Haus zufrieden lassen." (EB 18-19) Wiederum ist die Begr5ndung dieser Abwehr in einem Verlust ihrer K5rperbeherrschung zu sehen. Jedoch scheitert auch dieser Versuch, und die T5nzerin wird wieder zur Passivit5t gezwungen: "Sie warf das Spielzeug wieder hin; dumpf ver- achtend lieB sie mit sich geschehen. Es ging sie nichts an, was geschah." (EB 19) Die Eingliederung durch Passivit5t geht so weit, daB sie bald "getrennte Wirtschaft" mit ihrem K5rper f5hrt. (ebd.) Diesem Eingliederungsversuch folgt eine neue und dieses Mal t5d1iche Abwehr, die mit dem Gef5hl der Schaden- freude 5ber "das MiBgeschick der Arzte und den Verderb ihres Leibes," das 5ber sie kommt und das auch in dem gestickten 139 Bild dargestellt wird. (EBZKU Die Abwehr erreicht ihren H5hepunkt in dem Walzer, zu dem sie ihren K5rper wieder einmal zwingt. Sie wollte einen Walzer, einen wunders58en, mit ihm tanzen, der ihr Herr geworden war, mit dem Leib. Mit einer Bewegung ihrDs Willens konnte sie ihn noch einmal bei den Handen fassen, den Leib, das trage Tier, ihn hinwerfen, herumwerfen, und er war nicht mehr der Herr 5ber sie. (ebd.) DaB sie den Leib (und da- bzw. nebenbei auch sich selber) gleich nach dem Tanz t5tet, kann nicht auf den selbst- nfirderiscthWillen eines Geisteskranken zur5ck gef5hrt werden. Der Tod des Leibes ist die h5chste Abwehr der T5nzerin gegen den Einbruch des Unnormalen. Durch den Meuchelmord ihres K5rpers kann die T5nzerin zum letzten Mal ihre alte Machtposition ergreifen, wenn auch nur f5r kurze Zeit. "Noch im Tode hatte die T5nzerin den kalten, ver5chtlichen Zug um den Mund." (EB 21) Die gr58te Anzahl solcher Schwankungen zwischen den beiden Extremreaktionen auf den Einbruch ist in "Die Ermor- dung einer Butterblume" zu finden. Sie ereignen sich gleich nach dem ersten und zweiten Einbruch und reichen auch nach dem dritten bis zum Ende der Erz5hlung. Die Entschuldigung nach dem ”Mord": Man wird nerv5s in der Stadt. Die Stadt macht mich nerv5s" ist als Abwehr zu bezeichnen, sowie die ganze Firma-Metaphorik, durch die Fischer versucht, seine Selbstbeherrschung zur5ckzugewinnen. (EB 43)12 Nach dem dritten Einbruch und der Flucht aus dem Wald ist es dem Kauf- mann klar, etwas sei geschehen. (EB 50) Obwohl er sich noch 140 von dem Einbruch sch5tzen will, indem er meint, daB alles wohl getr5umt sein m5sse, versucht er dem Unnormalen banale Eigenschaften aufzuzwingen: das eigene Konto f5r die ermordete Butterblume, die Opfer, das N5pfchen, der Betrug-- er behandelt sie wie einen Gesch5ftskonkurrenten und in dieser ihm wohlbekannten Weise meint er, das Bedrohliche unsch5dlich machen zu k5nnen. (EB 50-52) Auch der ”Guerillakrieg" und die Adoption einer der "T5chter" der Ermordeten (nach Para- graphen 2403 Absatz S) bezeugen diesen Eingliederungsversuch. Die Befreiung, die Herr Michael am Ende der Geschichte durch den unerwarteten und von ihm nicht verursachten "Tod" der adoptierten Tochter f5hlt, ist nur scheinbar. Obwohl er meint, die ganze "Butterblumensippschaft" los zu sein, den Wald 5bert51pelt zu haben, soviel zu morden, wie er wolle und auf s5mtliche Butterblumen pfeifen zu k5nnen, wird, ja muB die Oszillation der Handlung weiter gehen. (EB 54) Denn es war nicht der Mord an einer Butterblume, der der Einbruch war, sondern der Verlust seiner Selbstbeherrschung-~eine Fassung, die Fischer bei der "Freisetzung" wieder verloren zu haben scheint. Vor Schadenfreude und Lachen w5lzte sich der dicke, korrekt gekleidete Kaufmann Herr Michael Fischer auf seiner ChaiselonguD. DanD sprang er auf, stulpte seinDn Hut auf an Schadel und sturmte an der verblufften Haushalterin vorbei aus dem Haus und auf die StraBe. Laut lachte und prustete er. Und so verschwand er in dem Dunkel des Bergwaldes. (ebd.) 141 Die Stadien des Handlungsablaufs: Einbruch, Abwehr- und Eingliederungsversuch und KatastrOphe bilden den Kausalnexus 13 Der Einbruch, der von irgend einem dieser Erz5hlungen. belanglosen Zwischenfall oder Gegenstand ausgel5st wurde, f5hrt zu einem Verlust der K5rperbeherrschung der T5nzerin, der gesch5ftsf5hrenden Position des Kaufmanns und der pries- terlichen Distanz des Kaplans. Der Einbruch bringt diese Figuren aus dem ihnen gewohnten und vertrauten existentiellen Gleichgewicht, wodurch ein Schwanken zwischen Abwehr und Eingliederung einsetzt. Nach einem ersten ist ein zweiter oder dritter Einbruch unvermeidlich. Durch den Einbruch werden die Figuren von ihrer vertrauten "normalen" Welt abgel5st, bis sie schlieBlich isoliert und vereinzelt in ihrer bloBen Existenz da stehen. Damit ist das Lebensereignis, als Darstellung der expressionistischen Intensit5t einer Erfahrung, bei D5blin in Sprache gebracht. Der Einbruch, der Verlust der Selbst- beherrschung, vernichtet die alten Lebensbedingungen der Figur und konfrontiert sie dann mit der existentiellen Not- wendigkeit, entweder neue Existenzbedingungen zu schaffen (was anhand der nie gelingenden Eingliederungsversuche vor- genommen wird), oder, wie im Falle der T5nzerin, die Selbst- beherrschung so gewaltig an sich zu reiBen, daB damit der eigenen Existenz, dem eigenen Leben ein Ende gesetzt wird. F5r Fischer und den Kaplan bleibt die L5sung dieses exis- tentiellen Problems im Text offen. Die Konsequenz des Kausalnexus wird in den zwei Erz5hlungen nicht dargestellt, 142 weder als gelungener Versuch, sich wieder im Dasein anzu- siedeln, noch in der Form der Besinnung auf ihr Sein, also ihrer Annahme neuer Existenzbedingungen. Damit f5llt dem Leser die L5sung der aufgeworfenen existentiellen Problematik ZU. EXKURS: DER PSYCHOLOGISCHE IRRWEG Zum SchluB dieser Analyse der Handlungen der drei Erz5hlungen kommt eine kurze Betrachtung von zwei Problemen, die bei Interpretationen von D5blins Werken oft vorkommen: das Problem der Sexualit5t und das des Geisteskranken. Das Grundmotiv von der "Ermordung einer Butterblume" bezeichnet K. M5ller-Salget als "sexuelle Natur" und meint, dieses deute "auf eine unter- bzw. fehlentwickelte Sexualit5t" Fischers. (M5ller-Salget a.a.O., S. 75)14 Er f5hrt als Beweis das Am-Unkraut-h5ngenbleiben des Spazierst5ckchens an ("Das d5nne Spazierst5ckchen . . . vergn5gte sich mit den B15ten."), was er offensichtlich als eine Art Phallus-Metaphorik auffaBt. Was hier auBer Acht gelassen wurde, ist die strenge F u n k- t i o n a l i t 5 t der Bilder und Gegenst5nde, die bei D5blin nach den Prinzipien des Kinostils gestaltet werden. Das H5ngenbleiben, das sofort zum "Mord"-Anschlag auf die Butter- blumen f5hrt, ist nur der funktionelle Ausl5ser des Einbruchs, also nur die Ursache von Fischers Verlust der Selbstbeherrschung. Wenn M5ller-Salget im "Kaplan" als Grundmotiv "D5blins ambivalente Haltung zur Sexualit5t" angibt, wird auch hier die Funktion des Sexus als dargestellte Gegenst5nd1ichkeit 143 miBachtet. Alice, die kleine Schlanke, die Anselm zur Seite huschte, ist auch nur eine funktionelle Figur, indem sie den Ausl5ser des Einbruchs darstellt, der den Kaplan von seiner priesterlichen Distanz abbringt. Freilich wird dieser Verlust der Selbstbeherrschung seitens des Kaplans durch Sexualit5t und sexuelle Triebe motiviert, aber das ”Grundmotiv" dieser Erz5hlung ist nicht die Sexualit5t selber (und besonders nicht D 5 b 1 i n s Haltung dazu--"der Leser . mag urteilen, nicht der Autor." (AZL 17)--), sondern die dadurch verursachte Zerst5rung der existentiellen Lebens- bedingungen des Priesters. Zum Problem der Sexualit5t hat sich D5blin selber ge5uBert: Hier (in der Atelier-Schrifstellerei--d. Verf.) konnte sich der zweite Wahn, der erotische, etablieren. Die schriftstellerische Welt ist successive vereinfacht auf das geschlechtliche Verh51tnis; ein ProzeB, der durch das beif5llige Interesse eines schlechten oder schlechtgeleiteten Publikums beg5nstigt wurde. Diese Verw5sserung, Verd5nnung des bchhen Lebens, das in die Schreib- stuben drang. . . . Der Psychologismus, der Ero- tismus muB fortgeschwemmt werden . . . (AZL 18) Ebensowenig wie die Grundmotive der Erz5hlungen anhand der Sexualit5t zu definieren sind, gelingt auch der Versuch, die Figuren dieser Erz5hlungen als Geisteskranke abzutun und dadurch zu verwerfen. Was M5ller-Salget als "Wahn" von Fischer bezeichnet, ist eben nur die Abwehr auf den Einbruch des Unnormalen, gefolgt vom neuen Einbruch. (M5ller-Salget 76)15 Die Problematik, die in den Erz5hlungen geschildert wird, hat mit einer psychologischen BewuBtseinslage der Figuren wenig 144 zu tun. Die Figuren leiden an keiner so "normalen" BewuBt- seinsst5rung wie Wahnsinn. Sie sind bis auf die fundamen- talsten Ebenen ihres Seins von dem Einbruch betroffen. Wohl sind sie ver-r5ckt, aber nicht geistig, sondern existentiell! Sie werden aus den ihnen normalen, vertrauten Lebensbedingungen und Welten geworfen. DaB sie danach versuchen, sich wieder in der alten Welt mit allen m5g1ichen Mitteln und Methoden zu etablieren, ist menschlich verst5ndlich und alles andere als Wahnsinnstat. Solche Versuche bezeugen doch gerade die Intensit5t des Lebensereignisses einer Figur, eines Menschen, dessen existentiellen Gleichgewicht ins Schwanken gebracht wird. Solche Figuren als geisteskrank zu bezeichnen und sie dadurch bei Seite zu schieben, deutet auf den Versuch seitens des Lesers, sich gegen einen von D5blin in seiner Dichtung gestalteten Einbruch des ungeheuren Unnormalen abzuwehren. E. DER ERZAHLER Die "b5urische Vertraulichkeit" des Erz5hlers wurde schon bei der Diskussion des Kinostils er5rtert. (AZL 17) E5 gilt hier lediglich die verschiedenen Bemerkungen zum Erz5hler und zur Erz5hlperspektive zusammenzufassen. Die Bedingungen des Kinostils verlangen ein H5chstma8 an Objek- tivit5t seitens des Erz5hlers; er habe sich nicht in das Erz5hlte hineinzumischen, weder kommentierend noch erkl5rend. Aufgrund der naturalistischen Sehweise des Kinostils bedient der Erz5hler sich der Perspektive der jeweils handelnden 145 Hauptfigur als Erz5h10ptik. Er verschwindet so sehr hinter diese Perspektive, daB die Gedankeng5nge und Gef5hle der Figuren kinematographisch dargestellt werden, also durch ihr Handeln und ihre Aktionen oder in der Form von erlebter Rede, die auch als eine Art dramatischer Monolog zu bezeichnen ist. An manchen Stellen ist die Ubereinstimmung zwischen Erz5hler und Figurenperspektive so konsequent, daB es zu einer Identi- fikation Erz5hler—Protagonist kommt: z.B. als Fischer aus dem Wald flieht, wird diese Identifikation durch einen Tempus- wechsel Imperfekt-Pr5sens markiert. Die Perspektivit5t des Erz5hlens intensiviert die Darstellung des Lebensereignisses und untermauert die dadurch gestaltete Intensit5t der Erfahrung der Hauptfiguren. F. ZUSAMMENFASSUNG Ein "Expressionismus der Handlung" ist kein rein sprach- liches Ph5nomen, wie es bei den zwei vorangehenden Polen der Fall war. Nat5rlich ist die poetische Verwirklichung einer Handlung als Element eines literarischen Kunstwerkes nur durch Sprache m5g1ich, aber eine Handlung ist mehr als pure Sprache. Sie ist die vom Autor nach einem Kausalnexus gew5hlte und bewuBt gesetzte Anordnung gewisser Ereignisse. Eine Handlung kann auch ohne Sprache dargestellt werden, wie z.B. in der Pantomime oder im Stummfilm. In dieser Hinsicht ist es nicht verwunderlich, daB Erz5hlungen von D5blin, dem Erfinder des Kinostils, als Vertreter dieses Poles gew5hlt wurden. 146 Im Expressionismus der H a n d l u n g konzentriert sich die Darstellung der Erfahrungsintensit5t auf den dar- gestellten Geschehnisablauf und dessen vom Dichter konzipierten Kausalnexus. Die Sprache dieser Prosa ist gekennzeichnet von einer K5hle und Sachlichkeit, die bei D5blin auf einer "naturalistischen" Sehweise beruht. (Bei Sternheim ist dies als "Kampf der Metapher" bezeichnet.) Die Erz5hlweise erweist sich ebenso als sachlich und k5h1 und ist streng an die Perspektive des Protagonisten gebunden, noch strenger als bei den zwei vorangehenden Polen. Die "naturalistische" Sehweise und die Stringenz der Erz5hlperspektive weisen auf die Funktionalit5t der dargestellten Bilder, Gegenst5ndlich- keiten und Figuren und streiten vorschnelle ideelle oder psychologische Deutungsversuche ab. Die Handlung wird zur Darstellung eines existentiellen L e b e n s e r e i g- n i s s e s, das den betroffenen Menschen mit der Notwendig- keit konfrontiert, sich neue Existenzbedingungen zu schaffen, entweder als R5ckgliederung ins Dasein, oder als BewuBtwerden und Annahme des eigenen Seins. Hierin zeigt sich die expres- sionistische Intensit5t der (Seins)-Erfahrung. Die strenge Perspektivit5t der Erz5hlweise erweist auch f5r diesen Pol ein lyrisches Moment des Erz5hlens. Der Tempuswechsel, der eine Identifikation des Erz5hlers mit dem Protagonisten markiert, ist ein sprachliches Indiz eines "Sich- selber-aussagen" der vom Lebensereignis betroffenen Figur. Je enger die Perspektiven vom Erz5hler und Protagonisten anein- ander kommen, desto gr58er wird die lyrische Tendenz der Brz5hlweise. VII. VIERTER POL: EXPRESSIONISMUS DES ERZAHLENS AM BEISPIEL VON AUGUST STRAMMS "DER LETZTE"1 Beim "Expressionismus des Erz5hlens" erfolgt die Dar- stellung expressionistischer Erfahrungsintensit5t auf der Ebene des Erz5hlens. Der Begriff "Erz5hlen" bezieht sich auf den Gesamtkomplex: Erz5hlweise, Erz5hlperspektive und die Figur des Erz5hlers. Bei diesem Pol wird das Erz5hlen zum Ordnungsprinzip der Gestaltung der anderen Elemente der Erz5hlform. Als Beispiel dieser Art der Intensit5ts- darstellung stehe August Stramms kurze Prosaskizze "Der Letzte." A. DIE VORBEDINGUNGEN: DER TEXT Die poetische Schaffensperiode von August Stramm dauert nur drei Jahre und endet mit seinem Kriegstod am 1. September 1915 in RuBland. Seine Tochter berichtet von dem pl5tzlichen Ausbruch seines Dichtertalents: ” . . . 5ber Papa war das Dichten p15tzlich gekommen wie eine Krankheit, etwa im Jahre 1912. Ein D5mon war in ihm erwacht. Wir f5hlten es mit Erschauern."2 Im Herbst 1913 lernte Stramm Herwarth Walden (Herausgeber des §£EEE) kennen. Eine enge Freundschaft entstand zwischen beiden, und Walden wurde Herausgeber von Stramms Werken, auch nach dessen Tod. Stramms Vertrauen zu Walden ging so weit, daB er dem Freund seine Manuskripte (oft in d0ppe1ter Ausfertigung, die sich nur durch ein einziges Wort 147 148 3 unterschieden) 5bergab. Walden sollte sie 5berpr5fen und sozusagen "letzte Hand" an sie legen.4 Die enge Zusammenarbeit mit Walden hatte betr5chtliche Folgen f5r Stramms Werke. Erstens ist, wie T. Pokowietz bemerkt, nicht immer eindeutig festzustellen, wie weit die Texte von Walden "5berpr5ft" wurden.S Zweitens hat Stramm sehr wahrscheinlich eine Reihe fr5herer Gedichte vernichtet, weil sie ihm nicht mehr gen5gten. R. Radrizzani berichtet, daB beinahe kein erhaltenes Gedicht auf die Zeit vor 1914 anzusetzen sei.6 Seinen Dramen aus der Zeit vor 1914 blieb dasselbe Schicksal erspart. Wegen seiner K5rze, kann zum Beginn der Analyse der vollst5ndige Text von Stramms "Der Letzte" angef5hrt werden. He! da oben! lachen! ich lache! drei Tage st5rzen! br5llen! drei Tage Jahre Ewigkeiten! und bist noch nicht zerst5rzt! verfluchter Himmel! Blaubalg! pafft Zigarren und stiebt Asche. alles zusammen. den Graben. Sch5tzengraben. Schutz. Grab. die Stellung wird gehalten bis zum letzten Mann! vorw5rts Jungens. das Blaugespenst klimmt rote Augen auf. rot. feuerrot. verschlafen. der Tag h5lt nicht aus. so oder sD! schieBt! schieBt! der Wald! ja. in den Wald! Schadel. Wolken. lustig! der beste Sch5tze darf. ja, darf zuerst schlafen. Teufel! schlafen. Mord Mudigkeit Rasen Wut! He! Bursche! Bursche da vorn! willst du? willst du schieBen?! du? ja? der K0pf zwischen die Beine geklatscht? Dr5ckeberger! schieBen! knallen! seht! sie kommen aus dem WalL raus aus dem Lauf! die Backe gesetzt! brav! brav! Schnellfeuer! Blaue Bohnen! Bohnen! Blaue Augen! mein Schatz hat blaue Augen. haha! drauf! drauf! sie laufen. Korn nehmen. Zielscheiben. laufeD. Madchenbeine. ich beiBe. beiBL verflucht. Kusse scharfe. drauf gehalten! Standvisier Aug im Auge! Wasser? was? die L5ufe gl5hn? alle Schlauche g15hn. letzte Nacht hat die Feldflasche zerschlagen. das trockne Glas geleckt. die Zunge blutet. schluckt. schluckt. schieBt die Flinten kalt. euch selber kalt. kaltes Blut! da vorne pf5tzt Waser. pfui Teufel! gierig! Dreck! Blut. blutiger Dreck. Blut 149 modert zu schnell. Feuer! Schnellfeuer! raus! nicht einschlafen! wer? nehmt ihm die Patronen aus der Tasche. wir brauchen sie. der Kerl blutet! ein kleines Loch kann so bluten! schieBen! Zielpunkt. Donner! Knacken! das Flattern! so m58t ihr auch schieBen. zielen. zielen. gut. ruhig. die Hunde druHen. die arme Erde. Brief in der Tasche? naturlich. schlapp und gleich tot auf der Nase. "mein lieber Mann!" ja. M5nner brauchen wir. aber keine toten hier. essen. Br5cke1 Schokolade. Mutter. schieBt Kerle. ach M5tter weinen immer. schieBt! ich war ein weicher Junge. Teufel! Kopf hoch! die Nasen aus dem Dreck! was?! keiner? alle? Faulenzer! Verstarkung. h5rt ihr? Verst5rkung kommt. Feind nicht ranlassen! die Flinten vor! Teufel! totsein ist Schande! seht! ich schieBe. schieBe. Ver- st5rkung. h5rt! Trommeln. H5rner. tata trrr! eilt da hinten! eilt! Muttertr5nen. Vaterbr5nste. Dreck! drei Tage Dreck! Menschen! meine Mutter hat mich immer so sorgsam gewaschen. Grab. H511e. Teufel. mein Arm schieBt. Finger ladeL Auge trifft. hurrah! die Beine in die Hand! hurrah! Tod und Leben! hurrah! Eisen! hurrah! drauf! Mein KOpf! KOpf! wo ist mein KOpf? voran.f1iegt.kollerL brav. Bursche! in den Feind! beiBen beiBen! S5be1! ha! weich der Vaterbauch. weich. Mutter. wo bist? Mutter. seh dich nicht? Mutter du k5Bt. Mutter. rauh. halte mich. ich falle doch. Mutter ich falle. Mutter. B. ZUR MOGLICHKEIT EINER LYRISCHEN SEHWEISE Mit dem Begriff "lyrische Sehweise" ist ein unmittel- bares Sehen gemeint, wobei die wahrgenommenen Objekte kein Verh51tnis zu- bzw. untereinander zeigen, sondern sich direkt auf das betrachtende, wahrnehmende Ich beziehen. Insofern gibt es kein Verh51tnis, keine Ordnung zwischen den Objekten, die nicht vom Perspektiventr5ger selbst herkommt. F5r einen literarischen Text, der nach dieser Sehweise gestaltet wird, heiBt das, daB die Interrelation zwischen den dargestellten 150 poetischen Gegenst5nd1ichkeiten nicht der Objekt-Welt entspricht, sondern der inneren Subjekt-Welt des wahr- nehmenden Ichs entstammt. F5r die poetische Verwirklichung einer lyrischen Sehweise ist der innere Monolog besonders geeignet. Die N5he der Monolog-Form zur Lyrik ist oft bemerkt worden, sowie die Tatsache, daB diese Form sich der Grenze epischer Darstellungsm5glichkeiten n5here.7 Die N5he zur Lyrik zeigt sich darin, daB der innere Monolog "die Verschiebung der Erz5hlperspektive, die Fiktion des sich-selber-erz5hlen” mit sich bringt. (Zenke a.a.O. S. 24) Die Parallele zwischen dem "Sich-selber-erz5h1en" der Monolog-Form und dem "Sich- selber-aussagen" der Lyrik, sowie die verschiedenen Versuche, "Der Letzte" als Gedicht zu bezeichnen, zeigen, daB die Trennlinie zwischen innerem Monolog und Gedicht nicht immer klar zu erfassen ist.8 K. Vietta hat das Hauptkriterium der lyrischen Sehweise, der direkte Bezug vom wahrgenommenen Objekt zum wahrnehmenden 9 Stramms Briefe Ich, bei Stramms Lyrik schon festgestellt. aus dem Feld liefern weitere Indizien daf5r, daB f5r ihn eine lyrische Sehweise behauptet werden kann: "Ich dichte nicht mehr, alles ist Gedicht umher." "Was ist Dichten? . . . Was ist Sinn? Ich will nicht fragen--ich will nur schauen."10 151 C. DIE LYRISCHE SPRACHE DES BEWUSSTSEINSSTROMES Die 5hnlichkeit zwischen diesem Text und einem Gedicht f511t beim ersten Lesen auf. Der Text verlangt, 1aut gelesen zu werden, wobei seine wortlautliche Qualit5t besonders auff5llt. Ein alliteratives Staccato entsteht durch die Anwendung harter Konsonanten: "raus aus dem Lauf! die Backe gesetzt! brav! brav! Schnellfeuer! Blaue Bohnen! Bohnen! Blaue Augen!" Diese Art Alliteration evoziert das Staccato vom Maschinengewehrfeuer. In den n5chsten Zeilen, wo die Darstellung durch die Angabe von "Blaue Augen!" vom Gefecht abgelenkt wird, entf5llt die Alliteration. "Blaue Augen! mein Schatz hat blaue Augen. haha!" Sie kehrt jedoch gleich zur5ck, wenn das Gefecht wieder dargestellt wird: "drauf! drauf! sie laufen. Korn nehmen. Zielscheiben. laufen." Hier zeigt sich auch eine 1autmalerische Imitation eines abpral- lenden Schusses durch die S-Laute. Die Abwechslung der Laute durchzieht den ganzen Text. Bei der Darstellung vom Kriegsgeschehen wird es ein hartes Staccato. Wo Erinnerungen und dergleichen vorkommen, werden die Laute weicher und das Staccato l58t nach. Das Tempo des Erz5hlten wird durch Alliteration und Satzellipsen akzeleriert und an den Stellen, wo l5ngere, vollst5ndige S5tze vorkommen, wieder verlangsamt. Die l5ngeren S5tze sind fast g1eichm58ig im Text zwischen der Darstellung vom Krieg und nicht Krieg verteilt. Das Tempo 152 wird dadurch verunruhigt, denn es variiert nicht nur nach Thematik, sondern auch innerhalb der einzelnen Thematiken. Die Wortbedeutungsfelder der Skizze lassen sich in drei gr58ere Bereiche einteilen. Es gibt Wortbedeutungen, die sich auf die 5uBere Objekt-Welt beziehen. Diesem Bereich sind die W5rter zuzurechnen, die vom Krieg und Gefecht handeln bzw. mit dem Soldatenberuf der Hauptfigur zu tun haben. Als zweiter Bereich sind die W5rter zu bezeichnen, die von der inneren Subjekt-Welt der Hauptfigur handeln. In dieser Gruppe kommen die Vorkriegserinnerungen des Offiziers vor: "mein Schatz hat blaue Augen." "M5chenbeine." "ach M5tter weinen immer." "meine Mutter hat mich immer so sorgsam gewaschen." Zum dritten Bereich z5h1en W5rter, die sinnlich- k5rperliche, gef5hlsm5Big-geistige oder existentielle Wahr- nehmungen des Offiziers wiedergeben. Hierzu geh5ren Bedeutungs- felder wie "lachen! ich lache!" "drei Tage Jahre Ewigkeiten und bist nocht nicht zerst5rzt!" "Mord M5digkeit Rasen Wut!" "da vorne pf5tzt Wasser. pfui Teufel! gierig! Dreck! Blut!" Dieser Bereich ist nur um wenige Belege kleiner als der erste Bereich zum Krieg. (Der zweite Bereich ist der kleinste von den dreien.) Bis zur Zeile 40 sind die Wortfelder gleich- m5Big repr5sentiert. Ab Zeile 40 lassen die Kriegsmetapher nach und die Bedeutungsfelder der letzten zwei Gruppen dominieren. Der Gebrauch von unvollst5ndigen syntaktischen Einheiten, die als S5tze fungieren, und der Verzicht auf die GroB- schreibung von Satzanf5ngen sind besondere Charakteristika 153 des Textes. Es gilt als wahrscheinlich, daB Stramm, durch seine Verbindung mit Walden und dem Sturmkreis, die Manifeste von Marinetti und den anderen Futuristen vor der Entstehung von "Der Letzte” gekannt habe.11 In mancher Hinsicht zeigt der Text groBe Ahnlichkeit mit den Forderungen der futuris- tischen Worttechnik. J. Zenke macht in seiner Studie zu der deutschen Monologerz5hlung im 20. Jahrhundert auf einige Unterschiede zwischen Stramms Sprachgebrauch und den program- matischen Forderungen der Futuristen aufmerksam. Beim Satz- bau handele es sich bei Stramm nicht um eine totale Zerst5rung der Syntax, sonder eher um deren Reduktion. "Viele Ellipsen lassen sich m5helos zu regu15ren S5tzen vervollst5ndigen." (Zenke 86) Stramms eingestandene "Hinneigung zum Futurismus" beziehe sich wohl nur auf sehr spezielle Forderungen, die seinem bisherigen Stil entgegenk5men. (ebd.)12 F5r die Gestaltung der Sprache in der Skizze sieht Zenke eine "doppelte Legitimation", die nicht auf Marinetti zur5ck gehe. Dies ist der "Spielraum des inneren Monologs, der sich bis in den ungestalteten Bereich des Vorsprachlichen erstreckt, und die sorgf5ltige Motivation des stammelnden Sprech-Denkens durch das voraufgegangene dreit5gige Gefecht, das alle k5rperlichen und geistigen Reserven (der Hauptfigur-- d. Verf.) aufgezehrt haben muB." (Zenke 87) Der Schl5ssel zu Stramms Sprachgebrauch liegt in den formalen Voraus- setzungen des inneren Monologs. "Je tiefer die ins Sprach- liche gehobene BewuBtseinsschicht liegt, desto mehr wird 154 die Ebene der konventionellen Literatursprache und schlieB- lich der zusammenh5ngenden Sprache 5berhaupt verlassen." (Zenke 23)13 D. DAS SPRACHLICH DARGESTELLTE ALS "LITERARISCHER POINTILLISMUS" Die Darstellungsart der Skizze hat P. Michelsen als ”literarischer Pointillismus" bezeichnet.14 Obwohl dieser Begriff normalerweise zur Charakterisierung impressionis- tischer Malerei gesetzt wird, will Michelsen den Text nicht dem Impressionismus zurechnen, sondern er bezieht sich auf eine "Isoliertheit des einzelnen Wahrnehmungsreizes, der mit dem anderen, neben oder nach ihm eintretenden nur eine assoziativ-sumative, aber keinerlei logische Verbindung unter- h51t." (Michelsen 288) Der deutlich erkennbare Geschehens- zusammenhang werde durch die in den Interpunktionen ange- zeigte Separation der Eindr5cke--die als 5uBere Wahrnehmungen oder als innere, assoziativ sich einstellende BewuBtseins- reize--in eine Folge geballter Ladungen zerhackt. (Michelsen 289) Dadurch wird die Darstellung des Wirklichkeitsstromes "zu einem staccato des Punktuellen radikalisiert." (ebd.) Das Staccato, das schon bei der Sprache gesehen wurde, wird zum Gestaltungsprinzip des sprachlich Dargestellten. Diese Tendenz ist auch auf die Voraussetzungen des inneren Monologs zur5ckzuf5hren. Charakteristisch f5r die "stream-of-consciousness”-Technik der Monolog-Form ist: 155 das gleitende Ineinander5bergehen der BewuBtseins- inhalte, die ihrerseits nat5rlich nicht nur durch willk5rliche Assoziationen inhaltlich br5chig sein k5nnen, sondern auch dadurch, daB der BewuBtseins- strom zwischen den verschiedenen BewuBtseinsebenen fluktuiert, und zwar von den h5chsten Reflexions- stufen bis zu den tiefsten Schichten eines d5mmer- haften UnbewuBten. (Zenke 22) Der "literarische Pointillismus” zeigt sich auf der Ebene des sprachlich Dargestellten an solchen assoziativen Reihungen, wie: "da vorne pf5tzt Wasser. pfui Teufel! gierig! Dreck! Blut. blutiger Dreck. Blut modert zu schnell." Wie die Wortbedeutungsfelder, lassen sich auch die sprachlich, "pointillistisch" dargestellten Gegenst5nd1ichkeiten in drei Dimensionen einteilen: eine 5u8ere Dimension der Objekt- Welt, eine subjektive Erinnerungsdimension und eine Dimension geistig-existentieller Wahrnehmungen. Alle drei Dimensionen sind in der Darstellung der Zeit im Text festzustellen. Als erste kommt eine Angabe zur objektiv-meBbaren Zeit: "drei Tage st5rzen!" Durch die Erweiterung: "drei Tage Jahre Ewigkeiten!" ver158t die Darstellung der Zeit die Dimension der Objekt-Welt und trifft mit dem n5chsten Satz: "und bist noch nicht zerst5rzt!" die existentielle Wahrnehmungsdimension an, die die restlichen Angaben der Zeit dominiert. Der anbrechende Tag wird als Fluch erfahren: "verfluchter Himmel! Blaubalg!" nicht nur weil jeder neue Tag erneute Gefahr f5r den Offizier bedeutet, sondern auch weil an diesem Tag das Gefecht entschieden werden sollte, wie diese objektive Angabe mitteilt: "der Tag h5lt nicht aus. so oder so!" Die Angabe schl5gt auch in die 156 existentielle Dimension um. Bei "so oder so!" geht es um Leben oder Tod; im Wortlaut des Kommandos: "die Stellung wird gehalten bis zum letzten Mann!" Die subjektive Erinnerungszeit ist die Zeit, die bei Darstellungen wie: "M5dchenbeine" oder "meine Mutter hat mich immer so sorgsam gewaschen." auf Ereignisse verweist, die vor dem Krieg geschahen. Obwohl sie auf Vorhergeschehenes ver- weisen, werden die Erinnerungen im Jetzt des subjektiven Erinnerungsverm5gen des Offiziers wahrgenommen. Noch sparsamer als die Zeitdarstellung der Skizze ist die Raumdarstellung. Aus der Objekt-Welt wird nur von zwei Raumangaben berichtet, dem "Sch5tzengraben", worin die Hauptfigur sich befindet,und dem "Wald", in dem der Feind sich versteckt h5lt. Die objektive Darstellung vom "Sch5tzen- graben" schl5gt sofort in die existentielle Dimension um und zerf511t in die Reihung: "Sch5tzengraben. Schutz. Grab." Der Zerfall des objektiven Raumes (Sch5tzengraben) in einen existentiellen (Schutz. Grab) ist symptomatisch f5r die Raumwahrnehmungen der Hauptfigur 5berhaupt, f5r die nur noch das Grab eigentlichen Schutz bietet. Die Raumangabe "Grab" kommt gegen Ende der Skizze ein zweites Mal vor: "Grab. H511e. Teufel.” In dieser Reihung zerf5llt die m5gliche Schutzfunktion der Grabmetapher entg5ltig. (Die Darstellungen der subjektiven Erinnerungsr5ume stehen in Analogie zur Darstellung der Erinnerungszeit.) Die weiteren poetischen Gegenst5nd1ichkeiten lassen sich ebenso in die drei besprochenen Bereiche einteilen. Dies 157 kann z.T. als Folge der lyrischen Sehweise betrachtet werden, in der das Dargestellte nur einen direkten Bezug zum wahr- nehmenden Ich und keine Interrelationen der Gegenst5ndlich- keiten untereinander erweist. In der Hinsicht sind auch die Gegenst5nd1ichkeiten, die der Dimension der Objekt-Welt zugerechnet werden, als subjektiv zu bezeichnen, weil sie nur durch ihren Bezug zum wahrnehmenden Ich pr5sent sind. Sie werden, wie alles sprachlich Dargestellte in der Skizze, durch die Technik des subjektiven BewuBtseinsstromes ent- worfen. "Objektive" Raum- und Zeitdarstellung im Text bezeugen die Existenz eines subjektiv wahrnehmenden Ichs, nicht die einer Objekt-Welt. Insofern ist der Zerfall: ”Sch5tzengraben. Schutz. Grab." nicht als "Indiz f5r das Auseinanderfallen von Realit5t und BewuBtsein" aufzufassen. (Zenke 88) Der Zerfall der Reihung stellt vielmehr das Simultanerscheinen einer neuen subjektiven Realit5tsebene im BewuBtsein des erfahrenden Ichs dar. Es liegt am Wesen der Prosa, daB dies eine Simultanit5t im Nacheinander ist. E. DIE HANDLUNG ALS SEINSERFAHRUNG Analog zu den anderen Elementen der Erz5hlform dieses Textes l5Bt sich auch die Handlung in drei Dimensionen ein- teilen. Wiederum k5nnen subjektive Erlebnisse des objektiven Kriegsgeschehens als eine, subjektive Erinnerungen als die andere und Wahrnehmungen existentieller Erfahrungen als dritte Handlungsebene bezeichnet werden.Durch die Verknappung der 158 Erz5hlzeit, der die "stream-of-consciousness”-Technik und die "pointillistische" Darstellungsweise zugrunde liegen, erscheinen die drei Handlungsebenen im dargestellten BewuBt- seinsstrom als s i m u l t a n pr5sent. Der Handlungs- ablauf der Skizze ist also die Darstellung der A k t i o n des BewuBtseins, wie es von einer Handlungsebene zur anderen schaltet. (vgl. Zenke ZS) Es gilt jetzt die einzelnen Ebenen zu verfolgen. Die erste Handlungsebene bezieht sich auf das Gefecht. Nach drei Tagen m5rderischen Feuers hat ein Offizier mit einem kleinen Rest seiner Einheit 5berlebt. Ihr Auftrag ist, die Stellung bis zum letzten Mann zu halten. Einer nach dem anderen f511t, bis nur noch Tote um den Offizier leigen. SchlieBlich f511t auch er. Auf der zweiten Handlungsebene werden nur einige Bruchst5cke aus dem Leben des Offiziers vor dem Krieg dargestellt. Hier kommen oft Erinnerungen vor, die dem Kriegsgeschehen total entgegengesetzt sind. "M5dchenbeine." "ich war ein weicher Junge." "meine Mutter hat mich immer so sorgsam gewaschen." Die dritte Ebene bringt Wahrnehmungen, die direkt auf die Existenz des erfahrenden Ichs bezogen werden. Hier kommen Ereignisse vor, die als Bxistenzgef5hrdend bzw. -bedrohend erfahren werden. "Wasser? was? die L5ufe gl5hn? alle Schl5uche g15hn. letzte Nacht hat die Feldflasche zer- schlagen. das trockne Glas geleckt. die Zunge blutet. schluck. schluck." 159 Wegen ihrer assoziativen Verbindung zueinander, ist es im Text oft schwierig zwischen den einzelnen Handlungsebenen genau zu differenzieren. An manchen Stellen wird der Uber- gang von Ebene zu Ebene nicht zwischen den dargestellten Gegenst5nd1ichkeiten geleistet, sondern an einer davon. Bin Wortbedeutungsfeld geh5rt also zwei Ebenen an: "sie laufen. Korn nehmen. Zielscheiben. laufen. M5dchenbeine. ich beiBe. beiBe. verflucht. K5sse scharfe." An solchen Stellen fallen die separaten Handlungsebenen wieder zusammen, und das "gleitende Ineinander5bergehen der BewuBtseinsin— halte” wird durch die Simultanit5t der Darstellung dieser BewuBtseinsaktionen intensiviert. Der BewuBtseinstr5ger des Handlungsablaufes ist der Offizier, dessen Konfrontation mit dem unausweichlichen Ende seiner eigenen Existenz eine intensive S e i n s- e r f a h r u n g in seinem BewuBtsein ausl5st. Die Seinserfahrung setzt mit dem Lachen an, das am Anfang der Skizze steht. Das Lachen ist Zeichen eines erwachenden SelbstbewuBtseins: "He! da oben! lachen! I C H lache!" (Hervorhebung vom Verf.) Die Wahrnehmungen aus der Objekt-Welt des dreit5gigen, m5rderischen Gefechts werden von der beginnenden subjektiven Seinserfahrung des BewuBtseins- tr5gers mit der Feststellung "ich lache!" durchbrochen. Andere Zeichen der Seinserfahrung folgen dem Durchbruch: "drei Tage st5rzen! br5llen! drei Tage Jahre Ewigkeiten! U N D B I S T N O C H N I C H T Z E R S T U R Z T!" (Hervorhebung vom Verf.) Diesem Durchbruch folgen weitere subjektiv-existentielle Erfahrungen, sowie subjektive Erinnerungen. 160 Durch die Wahrnehmung subjektiver Realit5tsebenen entsteht ein Konflikt im BewuBtsein zwischen dem subjektiven Uberlebenswillen des Offiziers als Mensch ("und bist noch nicht zerst5rzt!") und seinem Auftrag als Soldat, die Stellung "bis zum letzten Mann" zu halten. Seine Wende in Erinnerungen aus der Zeit vor dem Krieg ist ein Fluchtversuch aus der brutalen Gegenwart. Aber objektive Wahrnehmungen bzw. subjektive Erfahrungen seiner eigenen Existenz holen ihn in die Gegenwart zur5ck. Der Konflikt intensiviert sich an der Stelle, als der Offizier merkt, daB er tats5ch1ich der Letzte seiner Einheit ist. Er schimpft auf die toten Kameraden: "Faulenzer! totsein ist Schande!" und versucht sie (und auch sich) dennoch durch die Illusion einer Rettung zu ermutigen: "Verst5rkung. h5rt ihr? . . . Verst5rkung. h5rt! H5rner. tata trrr! eilt da hinten! eilt!" Noch einmal flieht der Mensch in die Subjektivit5t: "Dreck! drei Tage Dreck! Menschen! meine Mutter hat mich immer so sorgsam gewaschen." Gleichzeitig befiehlt der Soldat, als ob der K5rper verdinglicht w5re: "mein Arm schieBt. Finger ladet. Auge trifft." Sobald der Feind auf S5be1n5he eindringt: "S5be1! ha! weich der Vaterbauch. weich.", schl5gt die Sprache in rein subjektiv-existentielle Signale um. Der Soldat ist am Ende; nur der Mensch bleibt. "Mutter du k58t. Mutter. rauh. halte mich. ich falle doch. Mutter ich falle. Mutter." Der BewuBtseinsstrom erl5scht mit der subjek- tiven Erfahrung des eigenen Todes. 161 Aus dieser Schilderung entsteht eine sprachgewaltige Kritik am Krieg, der nicht nur Soldaten, sondern generell alles existentiell Menschliche bedroht. F. ZUSAMMENFASSUNG: EINE LYRISCHE ERZKHLWEISE Die Form des inneren Monologs und die "stream-of- consciousness”-Technik bestimmen, daB die Skizze sich selber erz5h1t. Der BewuBtseinsstrom duldet keinen Erz5hler, dessen fiktiver Verstand die Darstellung simultan ablaufender BewuBtseinsinhalte durch Kommentare oder Verweise aufhalten k5nnte. Als innerer Monolog ist "Der Letzte" die Darstellung eines von einer existentiellen Seinserfahrung betroffenen sich-selber-erz5hlenden BewuBtseins. Die Subjektivit5t dieser Brz5hlweise (das Sich-selber- erz5h1en) 5hnelt der des Sich-selber-aussagens des lyrischen Ichs. Durch die Form des inneren Monologs wird ein BewuBt- sein dargestellt, das nur noch mit sich selber besch5ftigt ist und das keinen direkten Bezug mehr zur Objekt-Welt wahr- nimmt. Auf die Intensit5t dieser lyrischen Erz5hlweise weist Zenke hin, als er bemerkt, daB "Der Letzte" am weitesten in den "Bereich der 'stream—of-consciousness'-Technik vorst58t und deshalb die Grenze zwischen Prosa und Gedicht vergessen l58t." (Zenke 92) Im "Expressionismus des E r z 5 h 1 e n s" ereignet sich die Darstellung expressionistischer Erfahrungsintensit5t auf der Ebene des Erz5hlens. Stramms Monologskizze steht als 162 eine M5glichkeit solcherart Intensit5tsdarstellung. Dabei ist nicht auszuschlieBen, daB es unter der Vielfalt der Erz5hlformen der expressionistischen Prosa auch andere Brz5hl- weisen gibt, die sich neben der Monolog-Form als Vertreter dieses Poles bezeichnen lassen. In "Der Letzte" bestimmt die "lyrische" Erz5hlweise die Kriterien, nach denen die anderen Elemente seiner Erz5hlform gestaltet werden. Die lyrische Unmittelbarkeit dieser Erz5hlweise intensiviert die Darstellung der existentiellen Seinserfahrung des BewuBt- seinstr5gers. VIII. SCHLUSSBETRACHTUNGEN A. VIER POLE EXPRESSIONISTISCHER PROSA Die vorliegende Arbeit ging von der Pr5misse als Arbeitshypothese aus, daB sich die Intensit5t individueller Erfahrungen in den E r z 5 h 1 f o r m e n expressionis- tischer Prosawerke niederschlug. Um die Kriterien der Dar- stellung einer Erfahrungsintensit5t zu erfassen, wurden die F u n k t i o n e n der Aufbauelemente der Erz5h1formen in den untersuchten Werken analysiert, und Versuche, die Texte auf ideelle oder psychologische Bedeutungen zu befragen, vermieden. Der Definition der hier erarbeiteten Charakterisierung exemplarischer expressionistischer Kurzprosa liegt eine These Roman Ingardens zum Wesen des literarischen Kunstwerkes zugrunde. Laut Ingarden erweist das literarische Kunstwerk einen "polyphonen Charakter". (LK 26) Der literarische Text ist also eine "Polyphonie" von mehreren gleichzeitig exis- tierenden, aber aufeinander aufbauenden "Schichten". Bei der Entwicklung des analytischen Instrumentariums der vor- liegenden Arbeit wurden Ingardens "Schichten" als Basis f5r die Erarbeitung der "Elemente der Erz5hlform" verwendet. Das Konzept der "Polyphonie" erm5glicht Analysen der behandelten Prosawerke, die zur Definition typischer Erz5h1- formen, hier als "Pole" bezeichnet, gef5hrt haben. Die 163 164 Berechtigung, von verschiedenen "Polen" expressionistischer Prosa zu sprechen, basiert auf der These, daB eine Knderung, die an einem der involvierten Elemente der Erz5hlform vorge- nommen wird, analoge, simultane 5nderungen an den anderen Elementen verursacht. Der e r s t e Pol wurde mit Hilfe der Analyse von Kasimir Edschmids Erz5hlband Die sechs M5ndungen definiert. Die Analyse wies auf eine dynamisierte S p r a c h e hin, deren Wortbedeutungsfelder durch Assoziationen 5bersteigert werden. Die Kriterien der Wortwahl: Dynamik, Exotik und das Gef5h1, zeigten sich auch bei der Darstellung von Zeit, Schau- pl5tzen und Figuren. Bei den Handlungen der Erz5hlungen erwies sich als Movens des Kausalnexus ein Aufbruch der Haupt— figur, die aus der Enge ihrer fr5heren Lebensweise verlockt bzw. getrieben wird. Aufgrund der entscheidenden Funktion sprachlicher Kriterien bei der Gestaltung der Erz5h1formen dieser Erz5hlungen wurde dieser Pol als "Expressionismus der S p r a c h e" bezeichnet. Die Definition des z w e i t e n Poles leistete die Analyse von Carl Einsteins kurzem Roman Bebuquin. Die Analyse zeigte eine Darstellungsart der 5 p r a c h l i c h e n t- w o r f e n e n G e g e n s t 5 n d l i c h k e i t e n, die sich als unOptisch, aperspektivistisch erwies. Der poetischen Realisierung des sprachlich Dargestellten liegt Einsteins Konzept der "unoptischen Verkn5pfung der Worte" zugrunde. 165 Der Bezug zu auBerliterarisch existierenden Objekten wird dem unOptisch Dargestellten entzogen, und die so dargestellten Gegenst5nd1ichkeiten verstehen sich als "Symptome" subjektiver Erfahrungen der Figuren. Auch die Erz5hlweise ist vom Unop- tischen gepr5gt und erscheint als "assoziative Monologe mit verteilten Rollen". (Sello a.a.O.) Die Darstellungsweise und deren Konsequenzen f5r die anderen Elemente dieser Erz5hl- form, erlauben, diesen Pol als "Expressionismus des s p r a c h- 1 i c h D a r g e s t e 1 1 t e n" 25 definieren. Aus den Analysen von drei Erz5hlungen Alfred D5blins: "Die T5nzerin und der Leib", "Die Ermordung einer Butterblume" und "Der Kaplan", ging die Definition des d r i t t e n Poles hervor. Die Sprache der Erz5hlungen zeigt die "dreimal heilige Sachlichkeit", deren Ursprung in D5blins Konzept des Natura— lismus liegt. (AZL 10) Die Anwendung des "Kinostils" als Darstellungsprinzip erzeugte eine distanzierte K5hle bei den sprachlich entworfenen Gegenst5nd1ichkeiten. Die H a n d- 1 u n g e n der Erz5hlungen erwiesen sich als Darstellung eines "Lebensereignisses". Bin Einbruch des "unerwarteten, ungeheueren Unnormalen" bringt die davon betroffene Figur aus dem existentiellen Gleichgewicht, 15st die Grundlage ihres alten Lebens auf und konfrontiert sie mit der Notwendigkeit, neue Existenzbedingungen zu schaffen. Als Darstellung eines existentiellen Lebensereignisses ist dieser Pol als "Expres- sionismus der H a n d l u n g" 25 bezeichnen. 166 Die Definition des v i e r t e n Poles erfolgte aus der Analyse von August Stramms Monologskizze "Der Letzte". Die Form des inneren Monologs und die Anwendung der "stream- of-conciousness"-Technik bestimmen, daB die Skizze zur Darstellung eines "sich-selber-erz5h1enden” BewuBtseins wird. Die Anwendung des BewuBtseinsstromes als E r z 5 h 1 w e i s e zeigt sich an allen Elementen dieser Erz5hlform. An den assoziativen Reihungen der Wortbedeutungsfelder und der "pointillistischen" Darstellung sprachlich entworfener Gegenst5ndlichkeiten wird das "gleitende Ineinander5bergehen der BewuBtseinsinhalte" ersichtlich. (Zenke a.a.O.) Die Handlung erwies sich als die Darstellung der BewuBtseinsaktionen einer von existentieller Seinserfahrung betroffenen Figur. Die Intensit5t, die aus der Anwendung des BewuBtseinsstromes als Erz5hlweise erfolgt, erm5glicht die Charakterisierung dieses Poles als "Expressionismus des E r z 5 h 1 e n s". B. GEMEINSAME FORMALE TENDENZEN DER DARSTELLUNG EINER ERFAHRUNGSINTENSITAT Die Analysen und die Definition der hier erarbeiteten "vier Pole expressionistischer Prosa" haben bei der Dar- stellung einer subjektiven Erfahrungsintensit5t zwei formale Tendenzen erfaBt, die allen untersuchten Werken gemeinsam sind: 1. die Suche nach neuen Sprachformen und Ausdrucksm5glich— keiten und 2. ein "lyrisches Moment" des Erz5hlens. 167 An der Sprache als "erste und letzte Realisierungs- ebene des Dichterischen" begegnen die Dichter des literarischen Expressionismus einem unausweichlichen Problem. (Hasselblatt a.a.O.) Indem das Individuum den Regeln der Wort- und Satzf5gung in seinem Sprechen folgt, ist es dem, was vorweg, unabh5ngig von ihm, schon geleistet wurde, ausgeliefert: es ist--gleich, was es, und gleich, wie es etwas sagt--einem Bild der Welt unterworfen, das nicht von ihm selber stammt. Solche Erkenntnis muB aber eine Kunstgesinnung, die Eigenes m5g1ichst unmittelbar zum Ausdruck bringen m5chte, zutiefst erschrecken. (Michelsen a. 5.0. S. 290) Die L5sung dieses Problems erzielen die expressionistischen Prosaisten durch Versuche in der Dichtung, traditionelle Sprach- und Ausdrucksformen zu entfremden. Es gilt, die alten Bedeutungsschablonen zu beseitigen, und den auBer- literaischen Bezug der Metaphorik abzubrechen. (ebd.) Manch- mal werden sogar die Metapher selber angegriffen, wie bei Carl Einstein oder Carl Sternheim. Die Tendenz, neue Sprachformen zu gestalten und anzu- wenden und alte, abgenutzte zu zerst5ren, ist bei jedem der vier Pole ersichtlich. Als Schriftsteller waren die hier besprochenen Expressionisten, trotz individueller Absichten bei der Gestaltung ihrer Werke, jedoch auf Sprache als Medium ihres k5nst1erischen Ausdrucks angewiesen. Edschmid versucht, die Sprachm5glichkeiten durch dynamische Ubersteigerungen und mit Hilfe der "Vision" zu erneuern. F5r C. Einstein ist es die "unoptische Verkn5pfung der Worte". Bei D5blin erfolgt 168 dies durch die Anwendung des "Kinostils", w5hrend sich Stramm der "stream-of—consciousness"-Technik bedient. Obwohl ihnen die Tendenz der Suche nach neuen Sprachformen gemeinsam ist, geschieht deren poetischen Verwirklichung auf individuell k5nstlerische Weise. Die zweite formale Gemeinsamkeit der behandelten Werke ist die Tendenz, aus der Perspektive des Protagonisten zu erz5h1en. Diese Tendenz ist am konsequentesten im BewuBt- seinsstrom bei Stramm zu sehen, aber sie ist auch in ver- schiedenen Graden bei D5blin, Einstein und Edschmid festzu- stellen. Das Erz5hlen aus der Perspektive des Protagonisten evoziert ein l y r i s c h e s Moment im Erz5h1prozeB des Prosawerkes. Es steigert die Intensit5t des Erz5hlens und dadurch auch die Intensit5t des Dargestellten. Erz5hlt aus der Perspektive der erfahrenden Hauptfigur, wird ein solcher Text zu einer Art lyrischer Ich-Aussage. Eine dritte gemeinsame Tendenz expressionistischer Prosa, die aber nicht die Erz5hlform betrifft, ist ihre Neigung, kleinere Prosaformen vorzuziehen. Es scheint, daB die E r z 5 h 1 u n g und die ihr verwandten Kurzformen der Prosa sich als ad5quateste Form der Darstellung expressionistischer Erfahrungsintensit5t erwies, weil f5r eine Bewegung, die alles Alte und Traditionelle verabscheut, die kleineren Prosaformen eine M5g1ichkeit bieten, gem58 der individuellen Absicht der Dichter, die Intensit5t des Dargestellten zu konzentrieren und dadurch zu steigern. ANMERKUNGEN ANMERKUNGEN I. EINFUHRUNG 1 Albert Soergel, Dichtung und Dichter der Zeit: vom bhturalismusbis zur Gegenwart, Neuausgabe, BdT II, (Dflssel- dbrf: August Bagel Verlag, 1963), S. 181-182. 2 . . Richard Brinkmann, Expressionismus: Forschung_- Probleme 1952-1960, (Stuttgart: J. B. Metzlerséhe Verlags— buchhandlung, 1951),S . 72. S. a. S. 95. Ahnlicher Meinung ist Brinkmann noch in der erweiterten Neuausgabe seines Forschungsberichts, Expressionismus: Internationale Forschung zu einem internationalen Ph5nomen, (Stuttgart: 3.B. Metzlersche VerlagsEuEhHandIung, 1980), S. 265ff. 3 Erich v. Kahler, "Die Prosa des Expressionismus", in Der deutsche Expressionismus: Formen und Gestalten, hrsg. v. Héns Steffen, 2. Aufl., (Gattingen: Vandefihoeck E Ruprecht, 1970), 8.165. S. 5. Fritz Martini, "Expressionismus", in Deutsche Literatur im 20. Jahrhundert: Strukturen und Gestalten, 5hrsg. v. Otto Mann und Wolfgang Rothe, ’Bd. I, "Strukturen" (Bern und M5nchen: Franke, 1967), 8.317 und 322. 4 Wie z. B. f5r Carl Einstein, Alfred D5blin, August Stramm und neulich auch Robert Walser u.a.m. 5 Wie z. B. die Erl5uterungen der Theorien Carl Einsteins von Sibylle Penkert, Carl Einstein: Existenz und Asthetik, (Wiesbaden: Franz Steiner verlag, 1970), oder He1demarie Oehm, Die Kunsttheorie Carl Einsteins, (M5nchen: Wilhelm Fink Verlag, 1976). 6 Wie z. B. Roy P. Allen, Literary Life in Germag Expressionism and the Berliner Circles, (Gbppingen: Kummerle, I974), oderELothar Peter, Literarische Intelligenz und Klassen- kampf: die "Aktion" 1911-1932, (Kbln: 'P5hl-Rugenstein, 1972). 7 Folgender Forschungsbericht beschr5nkt sich auf Studien, die das Ph5nomen "Prosa des Expressionismus" als Hauptthema oder wesentliches Unterthema behandeln. Unter- sucHungen zu einzelnen Dichtern bzw. Werken seien hier nicht ber5cksichtigt. 169 170 8 Wolfhart Klee, Die charakteristischen Motive der. expressionistischen Erzahlungsliteratur, (Berlin: Max Licht- witz, 1934), zuerst Diss. Ieipzig, 1934. 9 S. a. ihr Unterkapitel, "Das Groteske und der expres- sionistische Versuch einer Uberwindung der Dekadenz", S. 27ff. 10 Gunter Martens, Vitalismus und Expressionismus, (Stuttgart: Kohlhammer, 1971). 11 Zn Nietzsches EinfluB 5. Paul B5ckmann, "Die Bedeutung Nietzsches f5r die Situation der modernen Literatur", Deutsche Vierteliahresschrift, XXVII (1953) 77-101. 12 Thomas Anz, Literatur der Existenz, (Stuttgart: J.B. Metzlersche Verlagsbuchhindlung, 1977). 13 Soergel behandelt andere expressionistische Prosaisten jedoch unter anderen Rubriken. 14 Walter Sokel, "Die Prosa des Expressionismus", in Expressionismus als Literatur: Gesammelte Studien, hrsg. v. W61fgang Rothe, (Bern und M5nchen: Franke Verlag, 1969), S. 153-170. 15 Armin Arnold, Prosa des Expressionismus: Herkunft, Analxse,_Inventur, (Stuttgart: Kahlhammer, 1972). 16 Viele interessante Arbeiten 5ber den literarischen Expressionismus verdienten n5her besprochen zu werden. Ihre Untersuchungsfelder zielen jedoch zu sehr 5ber eine Betrachtung der P r o s a dieser Bewegung, als daB sie im vorliegenden Forschungsbericht h5tten untergebracht werden konnen. In dieser Hinsicht sei auf die Studien von Silvio Vietta und Hans Georg Kemper, Expressionismus, (Munchen: Wilhelm Fink, 1975), (= UTB 362); und Gerhard P. Knapp, Die Literatur des deutschen Expressionismus, (M5nchen: C. H. Beck, 1979), Hin- gewiesen. 17 Vgl. Eberhard L5mmert, Bauformen des Erz5hlens, (Stuttgart: Metzler, 1955). 18 Vgl. Armin Arnold, "Die Prosa der Expressionisten: ein vorl5ufiges Inventar", in A. A, Prosa des Expressionismus, a. a. 0. S. 166- 188. 19 Dies gilt f5r Stramm nicht. 171 II. EXEMPLARISCHES ZUR THEORIE EXPRESSIONISTISCHER PROSA 1 Alfred D5blin, Aufs5tze zur Literatur, (Olten, Frei- burg im Br. : Walter Verlag, 1963), im folgenden als AZL zitiert. Kasimir Edschmid, "Uber den Expressionismus in der Literatur und die neue Dichtung", Trib5ne der Kunst und Zeit, Bd. 1, hrsg. v. Kasimir Edschmid, (Berlin: Er1ch Re1B Verlag, 1919), im folgenden als TKZ zitiert. 3 S. I. Jens, "Studien zur Entwicklung der expres- sionistischen Novelle", a.a.O., S. 235. 4 S. a. I. Jens, L 5.0. Diese sehr platonische Idee erscheint auch in Carl Einsteins Erz5hlung ”Der unentwegte Platoniker. " (1918) 5 Karl Herbert Blessing, Die Problematik des "modernen Epos" im Fr5hwerk Alfred D5blins, (Me1senhe1m am Glan: Verlag Anton H51n, 1972), S.11ffT’ 6 Blessing bespricht weitere Unterschiede zwischen D5blins Konzept des Romans und des Dramas, a. a. O. 8. 13—14. 7 Viktor Zmegac, "Alfred D5blins Poetik des Romans", in Deutsche Romantheorien, hrsg. v. Reinhold Grimm, (Frankfurt/M.: Athenaum Verlag, 1968), S. 303. S. a. W. Sokel, a.a.O. S. 155. 8 Carl Einstein, Gesammelte Werke, hrsg. v. Ernst Nef, (Wiesbaden: Limes Verlag, 1962), Im folgenden als GW zitiert. 9 Heidemarie Oehm, Die Kunsttheorie Carl Einsteins, a.a.O., im folgenden als Oehm zitiert. 10 Nach Oehm, S. 71. u = und; )(= usw. 11 S. a. Einsteins Brief an Danie1-Henry Kahnweiler (CL April 1923), abgedruckt in Sibylle Penkert, Carl Einstein: Beitrafizu einer Monggraphie, (G5ttingen: Vandenhoeck’fi Ruprec t I969), (= Palaestra Bd. 255),S . 139—145, im folgenden als KB zitiert. 12 13 Carl Einstein, Die Kunst des XX. Jahrhunderts, 3. Aufl. (Berlin. Propy15en Verlag, 1931),S . 64. l Vgl. Oehm s. 73. 172 14 Zur Fuktionalit5t der Sprache s. Dieter Hasselblatt, Zauber und Logik: eine Kafka- Studie, (K51n: Verlag Wissen- scH5ft und PoIitik, 1964), S. 46-53. III. DAS ANASYTISCHE INSTRUMENTARIUM ZUR ERSCHLIESSUNG DER ERZAHLFORMEN EXPRESSIONISTISCHER PROSA Roman Ingarden, Das literarische Kunstwerk, 4. Aufl. (T5bingen: MaxNiemayer Verlag, 1972),S . 25. Im f51genden als LK zitiert. 2 Dieter Hasselblatt, Zauber und Logik: eine Kafka- Studie, a.a.O., S. 44. 3 u . . . . Zum Phanomen "Tempo" 1n der express1onistischen Literatur s. a. Vietta/ Kemper, Expressionismus, a.a.O., S. 110ff. 4 Besonders wichtig zur ErschlieBung der Funktion der dargestellten Gegenst5nd1ichkeiten ist der von D. Hasselblatt erarbeitete Unterschied zwischen dem h o m o 1 o g e n und dem a n a 1 o g e n Vergleich. D. Hasselblatt, a.a.O. S. 37-46. 5 Vgl. D5blin: "Was tun die von heute oder was haben sie getan mit den Dingen, die die Humanisten getrieben haben, was ist aus den Fragen und Problemen philosophischer, reli- g5ser, 5sthetischer Art geworden, die sie aufgeworfen haben? Die Antwort: die von heute haben alle Probleme gel5st, auf die einfachste Weise: sie haben sie liegen gelassen. Es sind neue Probleme gekommen. Man hat die GroBe und Wichtig- keit der alten Probleme respektvoll anerkannt und sich dann mit der Herstellung von Zahnpasta besch5ftigt. " (AZL 68) 6 Die Charakterisierung dieses Elements beruht auf einem Thesenzettel von Dr. Kurt W. Schild, "Von der Analyse zur Interpretation". (Masch.) Michigan State Univers1ty. 7 Vgl. den folgenden "Exkurs zur sprachtheoretischen Voraussetzungen der expressionistischen Prosa". S. 49. 8 Carlo Mierendorff, "Wortkunst/ Von der Novelle zum Roman", in Paul P5rtner, Literaturrevolution 1910-1925: Dokumente, Manifeste, Programme, Bd} 1, "Zur Aesthetik und Poefi ", (Darmstadt, Neuwied am Rhein, Berlin-Spandau: Hermann Luchterhand Verlag, 1960), S. 308. 9 Hugo v. Hofmannsthal, "Ein Brief", Gesammelte Werke in Einzelaus aben, Prosa II, (Frankfurt am M.: S. Fischer VerIag, I959i, S. 11. 173 10 ebd., S. 12 11 ebd., 5. 19-20 12 In dieser Hinsicht s. a. Kafkas kurzes Prosastfick: "Die Sorge des Hausvaters". 13 F.T. Marinetti, "Technisches Manifest der futuristischen Literatur”, in Paul Portner, Literaturrevolution 1910-1925, a.a.O., Bd. 11., S. 47-56. 14 Besonders in den Arbeiten von Armin Arnold, Die Literatur des Expressionismus: sprachlich und themafigche uellen, (Stuttgart: Kohlhammer, 1966) und Gunter Martens, Vital1smus und Expressionismus, a.a.O. 15 Nach dem "vorl5ufigen Inventar" von A. Arnold, Prosa des Expressionismus, a.a.O., S. 166-168. 16 Die Bezeichnung der einzelnen, hier zu definierenden ”Pole” erfolgt absichtlich ohne Anwendung des bestimmten Artikels. D i e vier Pole bzw. d e r erste Pol usw. ware zu limitiert. Die vorliegende Arbeit beabsichtigt eine D e s k r i p.t i o n dieser Prosa, nicht ein Auf- stellen starrer, pr5skriptiver Kategorien. IV. ERSTER POL: EXPRESSIONISMUS DER SPRACHE AM BEISPIEL VON KASIMIR EDSCHMIDS DIE SECHS MUNDUNGEN Kasimir Edschmid, Die sechs M5ndungen: Novellen, (Leipzig: Kurt Wolff Verlag, 1915), zitiert nach der Kraus Reprint Ausgabe, (Neudeln/Liechtenstein, 1973). Im folgenden als SM zitiert., 2 Zittiert nach Kurt Pinthus, "Nachwort", zu Kasimir Edschmid, Die Sechs Mundungen, (Stuttgart: Philipp Reclam Jun., 1967), S. 123. 3 Vgl. A. Arnold, Prosa des Expressionismus, a.a.O., der Edschmid (und auch Otto Flake) als "Kuékuckseier" bezeichnet, S. 108ff. S. a. Vietta/Kemper, a.a.O., S. 115. “ 4 Diese basieren z. T. auf den Zusammenfassungen der Erzahlungen, die I. Jens in ihrer Arbeit bringt, a.a.O. S. 199-203. 5 S. o. Kapitel III der vorliegenden Arbeit, S. 20f. 174 6 Zum Verh51tniszwischen dem K5nst1er und dem Gef5hl s. TKZ 52 und 64f. 7 Vg1.I. Jens, a. a. O. S. 212ff. und Gunter Engels, ”Der Stil expressionistischer Prosa im Fr5hwerk Kasimir Edschmids", Diss. , K51n, 1952, S. 39. 8 25 anderen Bedeutungsfeldern.(z.iB. Erotik und Tech- nik) bei diesen Erz5hlungen s. I. Jens, 5.5.0.5. 213- 214. 9 Liedes Behauptung: "Die r5umliche und zeitliche Ferne enthebt Edschmid einer Auseinandersetzung mit der Ifirklichkeit, in der er zu Hause ist, " (a. a. O. S. 110) ignoriert die bedeutende Kontrastfunktion der Darstellung :fiemdl5ndischerSchaupl5tze. Die Auseinandersetzung mit der objektiven Wirklichkeit wird dadurch intensiviert, nicht vermindert. 10 In dieser Erz5hlung wird die Exotik des Schauplatzes und der Figuren im Text selber entlarvt. "Zuerst groB~ spurig und in der starken L5ge der hohen bespornten Leder- schuhe sich wiegend, die Cowboys aus Dresden und Garmisch. " Die "Brutalit5t der Ringk5mpfertruppe ist "bewuBt", und ihr B5r "haarlos". Lydia (die ”Dame ohne Unterleib") ist ein "dickes aufgeschollenes Tier" und geht "idiotisch, £551 in gr5nen Samthosen. " Sogar die "Menschenfresser des Mexikaners sind nur Krokodile. (SM 109) 11 Arnold verkennt die Ubersteigerungsfunktion dieser Zeitangaben, wenn er die dargestellten Bntfernungen auf Distanzen in den USA direkt ubertr5gt. Prosa des Expres- sionismus, 5.5.0.5. 115.8. a. Vietta7Kemper 5.5.0. 8. 330f. 12 Der Terminus "Aufbruch" wird von Kemper angewendet, um Pertens EntschluB zu charakterisieren, seine Heimatstadt zu verlassen. Vietta/Kemper, a.a.O., S. 333. 13 S. a. Liede, a.a.O., S. 119. 14 I. Jens behauptet das Gegenteil und schreibL daB Edschmid "mit der allwissenden Haltung des Erz5hlers berichtet, der souver5n 5ber dem Geschehen steht. " a. 5.0. S. 218. 175 V. ZWEITER POL: EXPRESSIONISMUS DES SPRACHLICH DARGE- STELLTEN AM BEISPIEL VON CARL EINSTEINS BEBUQUIN 1 Bebuguin zitiert nach Carl Einstein, Gesammelte Werke, hrsg. von Ernst Nef, a.a.O., im folgenden als GW 21t1ert. 2 Die ersten vier Kapitel des neunzehn Kapitel umfassenden Romans erschienen 1907 als Vorabdruck in der von Franz Blei herausgegebenen Zeitschrift Die Opale (Halbbd. 2, 1907, S. 169-175) mit dem Titel: "Herr Giorgio Bebuquin". Der vollst5ndige Roman erschien 1912, zuerst als Fortsetzungsroman in der Aktion (Jg. 2, Nr. 2§-41) und dann als erster Band der "AEtionsbucherei fur Aeternisten" mit dem Titel: Bebuquin: oder die Dilet- tanten des Wunders, (Berlin-Wilmersdorf: Verlag der Aktion, 1912). Bei der zweiten Buchausgabe (1917) wurde der Titel auf Bebu uin gekurzt. Der hier behandelte Text entspricht der AusgaEe vom Jahre 1912. 3 Sibylle Penkert, Carl Einstein: Beitrag zu einer Monographie, a.a.O., S. 62. 4 Herbert Kraft, Kunst und Wirklichkeit im Expres- sionismus-~mit einer Dokumentation 25 Carl Einstein, (Bebenhausen: Verlag Lothar Rotsch, 1970), S. 30-52. 5 Franz Blei, "Carl Einstein", Die Aktion, Jg. 2, (1912) Sp. 1424f., zitiert nach Kraft, a.a.O., S. 30. 6 Gottfried Benn, zitiert nach Gert Quenzer, "Absolute Prosa: Carl Einsteins Bebuquin oder die Dilettanten des Wunders", Der Deutschunterricht, Jg. I7, Heft 5, Okt. 1965, S. 53. 7 Sibylle Penkert, Carl Einstein: Beitrag zu einer Monographie, a.a.O., S. 64. 8 Carl Einstein, "Brief an Daniel-Henry Kahnweiler", a.a.O., im folgenden als KB zitiert. 9 Carl Einstein, Die Kunst des XX. Jahrhunderts, a.a.O., S. 60. Fur eine detaillierte Untersua'nung Hes Schauens als Element von Einsteins Kunsttheorie s. Heidemarie Oehm, Dig Kunsttheorie Carl Einsteins, a.a.O., S. 28ff. 10 Das trifft f5r alle hier erw5hnten und im Literatur- verzeichnis angefuhrten Arbeiten uber Bebuguin zu. 176 11 Wie z. B. in der Bar, als B5hm sagt: "Man hat bis jetzt die Vernunft benutzL die Sinne zu vergr5bern, die Wahrnehmung zu reduzieren, zu vereinfachen. " (GW 209) 12 Quenzer sieht dieses Lied als Parodie auf Novalis' Hymnen an die Nacht und behauptet: "Der Sinnbezug ist durch die BezeiEhnung 'blauer Fleck' zu Novalis .hergestellt und verzerrt. " Auch sieht er den Namen des S5ngers, Heinrich Lippenknabe, als Parodie auf den Namen Heinrich von Ofter- dingen. 5.5.0., 8. 63. Auch als Parodie verstanden erweist das Lied keinen Bezug zu einem ideellen Sinngehalt. 13 Ewald Wasmuth, ”Die Dilettanten des Wunders: Versuch 5ber Carl Einsteins Bebu uin", Der Monat, 14. Jg., Heft 163, April 1962, S. 52. E1n anaeres Beispiel ist in der Bar- szene: "Ein Sturmregen pointilliert die groBen Scheiben- fenster." (GW 209) 14 Dabei ist nicht klar, wodurch sich qualitative Zeit und qualitativer Raum unterscheiden. Da nach Einstein Q5alit5t nur mithilfe der Intensit5t zu differenzieren ist, ware es m5g1ich, daB Raum und Zeit als Qualit5ten zusammen- fielen. Dann bliebe f5r den Menschen nur der Intensit5ts- grad der Raum- Zeitempfindungen als Orientierungspunkt und Kategorisierungshilfe der Erlebnisse im Dasein. 15 Oehm behauptet, Euphemia sei mit der Wachspuppe. im "Museum zur billigen Erstarrnis" gleichzusetzen, wof5r es im Text keinen Beweis gibt. Oehm, a. 5.0. S. 125. 16 Auf Quenzers Versuch, Heinrich Lippenknabe mit Heinrich von Ofterdingen zu verbinden, wurde schon hinge- wiesen. (s. o. Anm. V. 12) Nebukadnez5r B5hm will er auf einen gleichgenannten chald5ischen K5nig zur5ckf5hren, (a. a“0., S. 55) und meint, der Name ”Bebuquin" m5sse jedoch entratselt werden. (a. a. O. 54) Penkert bringt die erste Deutung vom Namen "Bebuquin", den sie "m5g1icherweise" aus der Zusammensetzung zweier franz5sischer W5rter entstammen sieht: "bebete = unsinnig, kindisch, n5rrisch und mannequin = Kunstfigur, M5nnchen, Gliederpuppe".(Siby11e Penkert, Carl Einstein: Beitrag zu einer Monographie, a. 5.0. , S. 66, Anm. ’79) K. Sello bezeichnet den Namen "Bebuquin" als "franz5sierend n5se1nde Nachbildung von Babychen, zumal Bebuquin seine Gef5hrten mit 'Babys' anredet und alle seine Handlungen in den Pr5liminarien steckenbleiben. " Katrin Sello, "Revolte und Revolution: Vorschl5ge zu einer Inter- pretation des Bebu uin," Alternative, 13. Jg., Heft 75,1970, S. 235. Oehm scHlieBt sich der Deutung von Penkert an. Oehm, a.a.O., S. 103f. 17 Quenzer stellt Bebuquin mit B5hm zusammen als "real- irreale Doppelgestalt" auf. (a.a.O., S. 55) Penkert macht aus der Doppelgestalt die Konstellation "Christ: Antichrist". 177 (Sibylle Penkert, Carl Einstein: Beitrag zu einer Mono- ra hie, a.a.O., S. 66, Anm. 82) SelIo erweitert die DoppeIgestalt zum "Dilettanten- -Tripe1": Bebuquin, Bohm, Euphemia. (a.a.O., S. 236.) Oehm betrachtet Bebuquin als "multiple person”. (a. 5.0. S. 105) Sie f5gt jedoch hinzu, Einstein m5chte ihn von den anderen Figuren, den Dilettanten des Wunders, underscheiden. (ebd. S. 107) 18 Kapitel 10 l58t sich als Ubergang zwischen den zwei H5lften des Romans bezeichnen. Es ist auch das einzige Kapitel, in dem Bebuquin nicht pr5sent isL 19 Der Darstellung und Erl5uterung des Kunstmotivs im Roman liegen Einsteins eigene Kunsttheorien zugrunde. In dieser Hinsicht wird Bebuguin zum Roman 5ber den Roman, wie auch Friedrich Schlegels Lucinde. Oehms Versuch, diese Tendenz mithilfe einer Interpretation des Namen "Bebuquin" und der Kunsttheorie von Baudelair zu best5tigen, erweist sich als unzul5nglich. Vg1.0ehm, a. a. O. S. 103ff. , bes. S. 105. 20 Franz Kafka, Gesammelte Werke: Taschenbuchausgabe in sieben B5nden, Bd. 5, Die Beschreibung eines Kampfes,S hrsg. v. Max Brod, (Frankfurt am M. S. Fischer, 1976),S . 91. 21 Sello, a.a.O., S. 236. 22 Carl Einstein, Die Kunst des XX. Jahrhunderts, a.a.O., S. 64. 23 Vgl. Einsteins Kritik an den Weltanschauungsdichtern, GW S. 116—117, 5.5. Oehm, a.a.O., S. 87. VI. DRITTER POL: EXPRESSIONI§MUS DER HANDLUNG AM BEISPIEL VON ALFRED DOBLINS "DIE TANZERIN UND DER LEIB", "DIE ERMORDUNG EINER BUTTERBLUME" UND "DER KAPLAN" 1 Alfred D5blin, Die Ermordung einer Butterblume: Ausgew5h1te Erz5hlungen l910-1950,(01ten, Freiburg im Br.: walter Verlag, 1962). Im folgendem als EB zitiert. 2 fDie T5nzerin und der Leib" Erstdruck in Der Sturm, Nr 10, M5rz 1910; "Die Ermordung einer Butterblume" Erst— druck in Der Sturm, Nr. 28 und 29, 8. und 15. September 1910; "Der Kaplan" Erstdruck in Der Sturm, Nr. 5, Juni 1914. 3 Klaus M511er- Salget, SAlfred D5blin: Werk und Entwick- lun , (Bonn: Bovier, 1972),S . 12ff und S. 44ff'. S. a. Leo reuzer, "Abl5ufe oder Geschichten: 5ber das Romanwerk Alfred D5blins", Akzente, 14. Jg., Heft 4, August 1967, S. 321. 178 4 Viktor imegaé, "Alfred D6blins Poetik des Romans", a.a.O., S. 303. S. a. W. Sokel, "Die Prosa des Expressionis- mus", a.a.O., S. 155. 5 Zitiert nach Alfred D6blin im Spiegel der zeitg#- n6ssischen Kritik, hrsg. v. Ingrid Sdhuster und Ingrid Bode, (Bern, Munchen: Franke Verlag, 1973). Die in den Klammern stehenden Seitenangaben beziehen sich auf diese Ausgabe. 6 Die strenge Perspektivit6t der Darstellung ist mit einer Ausnahme Charakteristisch fur alle fruhen Erz6h1ungen von D6blin. In "Die Segelfahrt" (1911) wird die Geschichte aus zwei Perspektiven erz6h1t: als COpetta stirbt, wird weiter aus der Perspektive der Frau berichtet. 7 Zum Verh61tnis bei D6blin zwischen der Dynamik und den Forderungen der Futur1sten s1ehe Muller— Salget, a. a. O. S. 105ff. und Kasimir Edschmid,"A1fred D6blin und die Futuristen", in Kasimir Edschmid, Die dogpe1k6pfige flymphe: Aufs6tze uber die Literatur und die Gegenwart,TBer1in: Paul C6551erer, 1926). 8 Siehe hierzu Helga Stegemann, Studien zu Alfred D6blins Bildlichkeit (Bern, Frankfurt am M. , Ias Vegas: Peter I6ng, 197977. fiber die Rolle der Bildlichkeit im "Kinostil" stellt Stegemann fest: "Sie ist vom Brzahler so geformt, daB sie den Leser instand setzt, intuitiv und erlebnishaft zu erfassen, was im Inneren eines Menschen vor sich geht, und zwar nicht nur das, was in sein BewuBtsein dringt." (S. 61) Aufgrund der Untersuchung von Stegemann sei hier auf eine weitere Analyse der Bildlichkeit verzichtet. 9 Die Figuren der Erz6h1ungen werden selten sofort mit Namen bezeichnet. In "Die Ermordung einer Butterblume" f611t der Name der Hauptfigur erst im achten Absatz (BB 43), und in "Der Kaplan" erst auf der zehnten Seite! (EB 19D). Davor werden die Figuren nach ihren Berufen benannt: T6nzerin, Kaufmann, Kaplan. 10 Kurt W. Schild, "Formen des Verschlfisselns in Franz Kafkas Erz6h1kunst", Diss. , K61n, 1970, S. 31. Die Defini- tion der Grundelemente des Handlungsaublaufes bei D6blin basiert im wesentlichen auf Schilds "Fabelanalyse", S. 31ff. 11 Der Tempuswechsel: Imperfekt--Pr6sens ist ein weiteres Beispiel der Perspektivit6t des Erz6h1ens und zeigt, wie sehr Fischer vom Einbruch betroffen ist. 12 Zur Funktion der Firma-Metaphorik Siehe Stegemann, a.a.O., S. 115. 13 Bin analoger.Kausa1nexus 16Bt sich bei s6mt1ichen fruhen Brz6h1ungen D6blins erweisen. 179 14 Mfiller-Salget steht hier stellvertretend ffir die vielen Interpretationen des Doblin'schen Erzahlwerkes, die von der psychologischen, sexuellen Motivation der Figuren (und des Autors) ausgehen. Vertreter dieser Richtung sind bei Muller-Salget verzeichnet. a.a.O., S. 75ff. 15 S. a. Stegemann, a.a.O., S. 110ff., et passim. VII. VIERTER POL: BXPRESSIONISMUS DES ERZKHLENS AM BEISPIEL VON AUGUST STRAMMS "DER LETZTE" 1 August Stramm, "Der Letzte", in August Stramm, Das Werk, hrsg. v. Rene Radrizzani, (Wiesbaden: Limes, 19627: S. 123:124. Seine Kfirze macht Seitenangaben bei Zitaten uberfldssig. Inge Stramm, zitiert nach René Radrizzani, "Nachwort", zu August Stramm, Das Werk, a.a.O., S. 422. 3 Vgl. Stramms Brief an Walden vom 22. Mai, 1914, abgedruckt in Paul Portner, Literaturrevolution, Bd. I, a.a.O., S. 45. 4 Thea Pokowietz, "August Stramm", in Expressionismus: Gestalten einer literarischen Bewegung, hrsg. v. Hermann Freidemann und Otto Mann, (Heidelberg: Wolfgang Rothe Verlag, 1956), S. 116-117. S ebd. 6 Radrizzani, "Nachwort", a.a.O., S. 426. 7 Zuletzt Jfirgen Zenke, Die deutsche Monologerz6h1ung im 20. Jahrhundert, (K61n, Wien: Bthau Verlag, 1976), STSZ6. Im fOlgenden als Zenke zitiert. 8 Zenke, S. 87, Anm. 15, und Radrizzani, "Nachwort", a.a.O., S. 432-433. Auf die sehr interessante Frage, wo der Unterschied zwischen dem inneren Monolog und einem Gedicht liegt, sei in der vorliegenden Arbeit nicht eingegangen. 9 Vietta/Kemper, Expressionismus, a.a.O., S. 45. 10 Briefe vom 6. Oktoberl9l4 und 14. Dezember 1914 an Walden. Zitiert nach Paul Portner, Literaturrevolution, Bd.I, a.a.O., 8. 47-48. 180 11 Vgl. Radrizzani, "Nachwort", a.a.O., S. 432ff. und A.Arnold, Die Literatur des Expressionismus, a.a.O., 8. 28-31. 12 Aus einem Brief vom 29. Dezember 1914 an seine Frau. Zitiert nach Radrizzani, "Nachwort", a.a.O., S. 433. 13 S S. 236-237. 14 Peter Michelsen, "Zur Sprachform des Frfihexpres- sionismus bei August Stramm”, Euphorion, Jg. S8, 1964, S. 289. Im folgenden als Michelsen zitiert. a. L6mmert, Bauformen des Erz6hlens, a.a.O. LITERATUR A. LITERATUR TEXTE D6blin, Alfred. Aufs6tze zur Literatur. Ausgew6hlte Werke in Einzelb6nden in Verbindung mit den Sohnen des Dichters. Herausgegeben von Walter Muschg. Olten, Freiburg im Br.: Walter Verlag, 1963 (=AZL) ------ . Die Ermordung einer Butterblume: Ausgew6hlte Erz6h1ungen 191051950. Ausgew6hlte Werke in Einzel- b6nden in Verbindung mit den S6hnen des Dichters. 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