DIE E-LEMENTE DES REAUSMUS IN WELH‘ELM RAABES KRAHENFELDER GESCH‘ECHTEN Thasis for the Degree of M. A. MKHIGAN S'MTE UNWERSWY Anne Marie Fuhrég E965 THESIS R5533 USE (ELEM ABSTRACT ELm-mr-ITE DES REALISMUS m ewes KRAHENPTJLDER GESCHICHTEI‘J by Anne Marie Fuhrig As a realistic writer, Wilhelm Raabe tried to describe life without idealization or romantic subjectivity. His earlier works of this kind had been quite popular in Germany. In the 1870's, however, his success among the reading public began to wane. In order to determine the cause of this development, this study first assesses the characteristics of German society in Raabe’s times and then analyzes Raabe's realism in a representative part of his later work, the Krihenfelder Geschichten. The first part of the essay describes the social, economic, and political conditions in the decade before and after the foundation of the Second Reich. These facts help to explain the literary reading interests of Raabe's contemporaries as well as his own development away from their views and aspirations. The detailed interpretation of the Krfihenfelder Geschichten in the second part provides the evidence for the conclusions offered in the third part. In the middle of the nineteenth century, the pace of life in Germany quickened remarkably. Her industrialization increased the geographic and social mobility of the people while, on the political scene, Bismarck's rapid political and military campaigns hastened national unification. Under the impact of these developments, the reading public looked for literature which, in style and content, reflected and reinforced the changes in society: entertaining, fast-moving stories with heroic and romantic plots. Raabe, however, grew more introspect and contemplative. The Krfihenfelder Geschich- tgn_offered simple plots but all the more detailed character analyses of modest, unpretentious, altruistic people who, with a sense of humor, resign themselves to the limitations of their bourgois life. In the context of these stories, Raabe criticizes the evils of his time as he saw them: egoism, avarice, arrogance, and the glorification of aggressiveness, militarism, and war. It is this critical realism which cost Raabe much of his earlier popularity. However, he refused to curry favor with his contemporaries when his personal convictions were at odds with their actions and expectations. DIE FLEMENTE DES RFALISMUS IN WILHELM RAABES KRKHEHFFLDER GESCHICHTLN By Anne Marie Fuhrig A THESIS Submitted to Michigan State University in partial fulfillment of the requirements for the degree of MASTER OF ARTS Department of German and Russian 1905 ii ANERKE‘J NUN G Das in der vorliegenden Arbeit behandelte Problem erwuchs aus dem Studium der deutschen Literatur und ware ohne die sachkundige Anlei- tung durch alle Mitglieder der deutschen Abteilung nicht mdglich gewesen. Besonderer Dank gebflhrt dem Vorsitzenden des Prfifungsaus- schusses, Herrn Professor Gallacher, der in haufigem Gedankenaus- tausch fiber das behandelte Problem der Autorin half, die endgflltige Form der Arbeit zu finden. Das Ausmass an Geduld, das er sowie die anderen Mitglieder des Ausschusses, Professor Hadimerski und Profes- sor Kistler, beim Lesen des Manuskripts aufbrachten, hat die Autorin sehr zu Dank verpflichtet. EINLEITUNG . . iii II'.’ HALT RAABES VERHKLTNIS ZU 513mm ZEIT . INHALT UND BEDEUTUNG DER KRKMINFELDER GESCHICHTEN DIE ELEMENTE DES E-IACHSENDEN REALISMUS RAABES IN DEN mine: 1713an (ESCHICHTm SCHLUSSBETRACHTUN GEN LITERATURVERZEICHI‘I IS SEITE 31 60 87 91 EINLEITUNG Wilhelm Raabes frflhe Romanerzahlungen, besonders seine erste, Die Chronik der Sperlingsgasse (1856), erfreuten sich grosser Beliebt- heit und stehen noch heute in Norddeutschland in vielen Bficherschrfin- ken. Aber sein Spateres Werk, beginnend mit den Erzéhlungen Der Draum- ling (1872) und Horacker (1876) sowie den Krahenfelder Geschichten (1873 - 1876), fand nicht mehr den gleichen Widerhall bei den Lesern und geriet schnell in Vergessenheit. Raabe sagt selbst in seinem Vor- wort zur zweiten Auflage des Draumling, "dass das deutsche Volk damals kein Chr fur jemand hatte, der ihm statt von warth, Metz, Sedan, Paris und dem Frankfurter Frieden: von der achtzehnhundertneunundfflnfziger Schillerfeier in Paddenau erzahlen wollte, durfte freilich ... der Au- tor ... nur sich selber zuschreiben."l Pongs findet den Grund fflr den Erfolg der frflhen Werke in der reiz- vollen Neuheit der bis ins Einzelne sensual vergegenwflrtigenden Darstel- lung. "Diese ... Einbildungskraft, die aus dem Ganzen der Existenz herauf- dringt, ist schon das Geheimnis der Wirkung, mit der sich Raabes Erst- ling, die 'Chronik', in der Kritik und im Publikumsgeschmack durchsetzt."2 "Mach anfanglichem Frfolg" kAmpfte der Autor aber "lange vergeblich um "3 Anerkennung. Das "0hr" des deutschen Volkes fur sein spateres Werk ver- lor er nicht nur in den siebziger Jahren. Er hat auch spéter nicht mehr lWilhelm Raabe, Sfimtliche Werke, hrsg. von Karl Hoppe, Braunschweig, 1953, Bd.X, 5.7 (zit. als Raabe, Werke, X). 2 , Hermann Pongs, Wilhelm Raabe, Heidelberg, 1958, 8.8h. 3Fritz Martini, Deutsche Literaturgeschichte, Stuttgart, 1961, S.h22. 2 jene breite Anerkennung von Lesern und Kritikern wiedergewinnen kdnnen, die er in seinen jflngeren Jahren genoss. I! . . Raabes eigene Ausserungen zu der Frage sow19 einige Verdffentli- chungstatsachen sollen dazu beitragen, den Zeitpunkt dieses Wandels fest- zulegen. Nachdem der Erfolg des Kungerpastor (1863) und einer laufenden Reihe von Novellen Raabe in Stuttgart 186h einige Sicherheit gegeben hat- i te;, erwachte sein Mut, etwas stilistisch Neues zu versuchen. Er schrieb Drei Federn (1865) und hatte genaue Plane mit dem Roman. Die Zerstflcke- lung in Zeitschriftenbeitrage lehnte er ab und wollte "lieber fflr weni- ger Geld die Genugtuung haben, ein Werk, an welchem so viel Schweiss und Vergnflgen hflngt, einmal wieder besser ausgestattet als 'Buch‘ in die welt zu schicken.”S Gleichzeitig vollzog sich ein bewusster Stilwandel. Raabe bekennt einem Freund:"Man wird eben filter, und auch ich glaube meine sehr lyrische Periods glficklich hinter mir zu haben." Es entstand Abu Telfan (1867), mit dem er gedachte "als deutscher Sittenschilderer noch einen guten Kampf zu kampfen."6 "Dieses Buch der Heimkehr" hatte Raabe voll freudiger Erwartung der allgemeinen Anerkennung "fur alle Je- ne geschrieben, welche ... wieder zu lippenburg sitzen, um das Leben in Geduld hinzunehmen."7 Der Roman konnte aber kaum abgesetzt warden, sodass der Verlag 1870 von dem Restbestand von 1500 Exemplaren eine Titelaufla- ge zur "Eisenbahnlektfire" veranstaltete.8 So hat sich Raabes Befflrchtung Hans Oppermann im Anhang zu Drei Federn, Raabe, Werke, IA/l, S.h92. J 5Raabe an den Verleger Janke, 6. Febr. 1865, Raabe, Werke, Il/l, S.h92. 6 Raabe an Adolf Glaser, l6. Febr. 1866, Raabe, werke, IX/l, S.h56. 7Raabes Selbstanzeige aus dem Nachlass, Werke, VII, S.j99. 8Anhang, Raabe, Werke, VII, S.h00. 3 bestfitigt, er werde bei seinem Bemflhen, die "Luge in unserer Literatur ... heraus zu bringen" keinen Dank gewinnen. Darunter litt mehr als nur seine Lebensbehaglichkeit."9 In der Braunschweiger Einsamkeit nach 1870 "fiberkommt" ihn manchmal "physisch" der "Drang, einen Schrei aus- zustossen, dass ihn ein Mensch hdre." In demselben Brief an Heyse (1875) klagt Raabe: "Fur eine dritte Auflage meines Hungerpastors sind mir neu— lich 150 Thaler geboten worden ..." Den anderen zwei Romanen des "Zyklus" ergeht es nicht besser.lo Was verursachte diese Abwendung von einen beliebten Dichter? Das ist das Hauptthema der nachfolgenden Untersuchung. Ganz allgemein kann man immer wieder zwei Hauptursachen fflr das nachlassende Interesse an Paabes Schaffen unterscheiden: Der Wandel des Dichters und der Wandel der Welt um ihn herum. Es scheint, als ob sich beide in zunehmendem Masse fremder wurden: Die welt wurde lauter und materialistischer, der Dichter besinnlicher und versonnener. wahrend Raabe von Stuttgart in seine norddeutsche Heimat zurflck- kehrte und sich in Braunschweig niederliess (1870), schmiedete Bismarck Deutschland zu einer politischen Einheit und bald auch zu einer wirt- schaftlichen Weltmacht. Die Industrialisierung und die Reichsgrflndung, die kapitalistische und die nationalistische Neuorientierung des deut- schen Bfirgertums kennzeichneten den wandel der Welt vom jungen zum a1- teren Raabe. Anders Autoren verstanden es, sich dem zunehmenden Inter- esse an sozialem Aufstieg, staatlicher Macht und militarischer Glorie anzupassen. Die Werke dreier Preussen, Gustav Freytags Soll und Haben, 9 Vergl. Anm. 6. lo Haabe, Werke, Ix/l, 3.1:.10. h Friedrich Spielhagens In Reih und Glied und Theodor Fontanes 225 deg Sturm gehdren zu den beliebteren Erzahlwerken jener Zeit, besonders in Norddeutschland. Darfiberhinaus bleibt zu bedenken, dass der Auf- schwung des unterhaltenden Zeitschriftenwesens dem Lesen von Bflchern Abbruch tat, obwohl Zeitschriften wie die Gartenlaube auch in erheb- lichem Masse neues Leserpublikum gewannen. Was Raabe von seiner Zeit unterscheidet, soll hier vor allem an einer Untersuchung der Krahenfelder Geschichten gezeigt werden. Diese Sammlung von sechs Erzahlungen entstand mit nur einer wesentlichen Unterbrechung in schneller Reihenfolge zwischen 1873 und 1876. Die an- fflngliche Absicht, die Sammlung nach ihrer letzten Erzéhlung 222.3l: 11 ten Proteus zu benennen , liess Raabe wieder fallen. So wurde das Sammelwerk "nach dem Krflhenfeld benannt, vor den Toren Braunschweigs, wo Raabe damals wohnte."12 Ein neuer, sehr persdnlicher Novellenstil und eine eigenwillige Beschrankung der Themen auf Einzelschicksale unterscheiden die sechs Geschichten von anderen Werken Raabes und ma- chen die Sammlung thematisch verwandt. Das Unverstfindnis, das Haabes spatere werke fanden, wird nach den oben angeffihrten Beispielen fflr diese Abhandlung vorausgesetzt. Die Skiz- ze des zeitgendssischen Burgertums 1ehnt sich neben historischen Stan- 13 dardwerken an Emil H. Maurers Der Spfltbfirger an. Als Textgrundlage fur 1h die Interpretation diente Karl Hoppes Ausgabe der samtlichen Werke lPongs, 8.369. Hans Butzmann betont die geringe Bedeutung des Titels fur die sechs Geschichten, vergl. Raabe, Werke, IX, S.L78. 12 Pongs, 3.338. 3 . Emil H. Maurer, Der Spatbfirger, Bern, 1963. lb Vergl. Anm. 1. S mit textkritischem Anhang, die seit 1953 bei Klemm in Braunschweig er- schien. Die Interpretation und Analyse des Themas schliesslich haben sich in Anregung und Auseinandersetzung an Hermann Pongs' Darstellung des Lebens und‘WerkesWilhelm'Raabeslg orientiert und hilfreiche Hin- weise aus Fritz Martinis Deutsche Literatur im bfirgerlichen Realis- 16 mug gewonnen. Zeitschriftenbeitrflge erwiesen sich nur dann als hilf- reich, wenn sie sich inhaltlich auf das enge Gebiet dieser Untersu- chung beziehen. 15 Vergl. Anm. 2. l6 Fritz Martini, Deutsche Literatur im'bfirgerlichen Realismus, Stutt- gart, 196h, 2. Aufl. (zit. als Martini, Realismus). H RAABES VERHALTUIS ZU SEINFR ZEIT A18 1856 Wilhelm Raabes Chronik der Sperlingsgasse erschien, wurde der Vierundzwanzigjahrige mit einem Schlage berflhmt. "Die idyllisch harm- lose Schilderung kleiner Leute und ihres einfachen Lebens entsprach, nach dem 18L8er Sturm dem Bedfirfnis der Deutschen nach Einkehr und Stil- ls."17 Mit der Aufldsung des Frankfurter Parlaments waren die Bestrebun- gen um freiheitlichere und reprflsentativere Regierungsformen wie auch die Hoffnung auf nationale Einigung auf unabsehbare Zeit hinaus zerschla- gen worden. Fflr die fortschrittlich gesinnten Kreise des deutschen Bur- gertums bedeutete diese Entwicklung eine schwere Enttauschung. Ein Jahr lang schien es, als wflrden sich jene in den Freiheitskriegen erwachten liberalen und nationalen Wfinsche endlich erffillen. Die Niederwerfung der Revolution von 18h8 und 18h9 verhalf den konservativen Krflften fiberall zur Starkung ihrer Position. Trotz liberalisierter Landesverfassungen gelang es den Fflrsten - gestfitzt auf Militar, Polizei und die zivile Be- amtenschaft -, ihre politische Macht zu behaupten. Viele der bflrgerli- chen Freunde und Anhanger der Revolution waren enttauscht und kehrten der Politik den Rucken. Da gab die Entwicklung der Technik dem freiberuflichen Barger die willkommene Mbglichkeit, sein Aktivitfitsbedflrfnis auf wirtschaftlichem Gebiet zu kompensieren. Die Ausbreitung des Bankwesens machte das Ka- l9 pital verffigbarlB, die Verkehrsmittel wurden rationalisiert , und neue l7 Emil Ermatinger, Deutsche Dichter, Frankfurt am Main, 1961, 5.789. 18 Bruno Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, 8. Aufl., Nach- druck, Stuttgart, Union, 1953) Ed. III, SThOl (zit. als Gebhardt III). 19 Gebhardt III, 3.392 - 39S. 7 Konsumbedflrfnisse erwachten.20 Das bot dem fortschrittlich denkenden Bflrger den Anreiz, etwas Neues zu wagen. WAhrend sich aber auf diesen praktischen Gebieten die Aktivitat ausdehnte, verengte sich vielfach der geistige Horizont. Das universale Bildungsideal der Klassik wurde von dem praktisch orientierten, standes- gebundenen Ideal der Zweckbildung abgeldst. Gleichzeitig demokratisier- te aber auch die Verbreitung des Schulwesens die Bildungsgrundlagen, so- dass zu der humanistischen Elitebildung nun die breitere Volksbildung trat. Schon zu Anfang des Jahrhunderts hatte sich der Schwerpunkt in He- gels Denken von der moralischen Verantwortung fflr den Mitmenschen zum wertfreien Gehorsam gegenfiber den Forderungen des Weltgeistes verschoben. Vor der Mitte des Jahrhunderts stellten dann Feuerbach und Marx diese geistesgebundene Philosophie ”auf die Fflsse". Das Bewusstsein einer Epo- che unterlag nicht mehr dem geistigen Prinzip, das Hegel ausserhalb der Welt noch annahm, sondern allein den materiellen Bedingungen. Dieser Ma- terialismus erfuhr seine Popularisierung durch Ludwig Dflchners BAndchen Kraft und Stoff (1855). Dies und der Siegeszug der Naturwissenschaften materialisierten alle Lebensgebiete. Diesem konsequenten Rationalismus unterlag selbst die christliche Religion. Die Bibel wurde auf ihre Glaubwfirdigkeit fflr das aufgeklfirte Denken untersucht und das vorstellbar'Wahre von der belehrenden Legen- de gesondert. Der Glaube wandelte sich so zur blossen Weltanschauung. 20 Maurer, 8.156. 8 Das entscheidende soziale Ereignis des neunzehnten Jahrhunderts, die Bildung des Proletariats, ist dem deutschen BUrgertum nie tief ge- nug zum Bewusstsein gekommen, um seine eigenen geistigen Grundlagen zu erschilttern.2l Auch bleibt die Arbeiterschaft nach Herkunft und Produk- tionszweig noch hinreichend differenziert, um den Eindruck einer nivel- lierten Klasse zu verwischen. Fur die Geisteshaltung des Bfirgertums wirkte sich die Aufldsung des Handwerkerstandes am entscheidendsten aus. Der Handwerker, der in Deutsch- land weit fiber das Mittelalter hinaus der stfidtische Barger war, sah sich nun seiner Existenzgrundlagen entzogen; denn die Fabriken konnten Fer- tigwaren in grbsseren Mengen billiger herstellen. Die selbstandigen We- ber hatten schon zu Beginn des Jahrhunderts der rationalisierten Maschi- nenproduktion weichen mflssen. Jetzt erschwerten die grossen lnvestitio- nen und die Rationalisierung des menschlichen Kraftaufwandes in den Fa- briken den Wettbewerb immer mehr und machten die Lage der betroffenen Iandwerker immer schwieriger. Viele der Handwerksgesellen wanderten als Facharbeiter in die Industrie ab. Die verkleinerten Betriebe sanken oft zu reinen Reparaturwerkstatten ab. Mur wenige Handwerksmeister waren in der Lage, ihren Detrieb den veranderten Verhflltnissen anzupassen und sich zum Unternehmer aufzuschwingen. Seit dieser Zeit musste sich das freie Handwerkswesen im alten Sinne auf die Gebiete besehrflnken, die sich nicht oder nur zu einem gewissen Grade industrialisieren 1assen.22 21Die Literatur bleibt bis zu Thomas Manns "Buddenbrooks" (1900) Ausdruck des selbstbewussten, "von keinen unmittelbaren then geplag- ten Bflrgertums." Vergl. Permann Friedmann und Otto Mann, Deutsche Lite- ratur Em 20ten Jahrhundert, heidelberg, 1961, Ed. I, 8.180. 22Es ist an die Baugewerbe, den Kleinhandel und alle Dienstleistungs- und Reparaturbetriebe zu denken. 9 Die fflhrende Schicht des Bflrgertums bildete sich aus der Gruppe, die im Finanzwesen, im fiberregionalen Handel, in der Spekulation und in der Industrie am erfolgreichsten war. Hier zeigte sich in Krisen— zeiten oder innerhalb von Gebieten starker Konkurrenz eine Entwicklung zugunsten des rdcksichtslosen Geschéftemachers. Das traditionelle Ethos, das den Handwerker zu guter Arbeit und Fhrlichkeit verpflichtete, wich mehr und.mehr dem Manchesterliberalismus. Dieses neue Bflrgertum schuf sich neue Leitbilder. Nach der Reichs- grflndung orientierte es sich zunehmend an der Aristokratie, deren Gesell- schaftsformen ihrerseits schon in lebloser Gleichfdrmigkeit erstarrt waren. So leiteten die Fabrikherren ihre Betriebe mit der patriarchali- schen Pose adeliger Grossgrundbesitzer. Das Wohnhaus des arrivierten Bdr- gers war ein Schloss im historisierenden Stil. Darin wurde ein reges ge- sellschaftliches Leben gefflhrt, bei dem der Frau die Rolle eines empfind- lichen Luxusgeschdpfes zukam. Sie hatte in ihrer dusseren Erscheinung und in der Haushaltsfflhrung die Finanzkraft des Gatten augenfallig zu ma- chen. A15 Krdnung des Lebens galt der kaufliche Erwerb eines Adelsbrie- fes oder die eheliche Verbindung eines Familienmitgliedes mit einem Ari- stokraten. Das mittlere und niedere Bfirgertum ahmte diese Lebensform sei- nen Mitteln entsprechend nach. Auf dieser Grundlage konnte die realistische Selbsterkenntnis, die zur konstruktiven Kritik an den bestehenden Verhfiltnissen geffihrt hatte, nicht gedeihen. Zwar wurde es in den 90er Jahren des neunzehnten Jahr- hunderts modern, einzelne Erscheinungen der bestehenden Gesellschafts- ordnung zu kritisieren, aber an die Grundlagen liess man sich nicht rfih- ren, wie verlogen sie auch sein mochten. 10 Schopenhauers pessimistischer und Marx' optimistischer Materia- lismus waren die letzten Versuche zu einem philoSOphischen System. 1h- nen blieb aber mit dem Lehrkatheder auch der originale Einfluss auf ihre Zeit versagt. Schopenhauers Pessimismus ging im Siegeszug des libe- ralen Fortschrittsglaubens unter, und Marx wurde fur die Arbeiterbewe- gung zur sozialistischen Doktrin verwassert. Die Schulphilosophie ver- lor sich nach 1850 in eine Ffllle von Einzelanschauungen, und die grossen PhiloSOphen des ausgehenden Jahrhunderts, Nietzsche und Kierkegaard, blie- ben unbeachtet. Von dieser Seite war keine Gegenbewegung zu erwarten. Stattdessen haben sich aber auf der Seite traditionell gebundenen naiven Menschentums, besonders im r8misch-katholischen Sflden Deutschlands, unverbildete 1Andliche Inseln erhalten. we die Verkehrsverhfiltnisse den Anschluss an die industrielle Entwicklung verhinderten, bewahrten die Men- schen eine grdssere Anspruchslosigkeit. Diese verband sich mit einer un- bekflmmerten Lebensfreude, die in ihrer Bindung an die unkontrollierbaren Naturkrafte keine Uberheblichkeit aufkommen liess. Diese Bewahrung der Tradition entvdlkerte aber auch die betreffenden Gegenden Deutschlands von fortschrittlich gesinnten jungen Menschen, und die Ffihrungsrolle der urbanen Zentren pragte sich immer deutlicher aus. Zwei Emanzipationsbewegungen orientierten sich negativ an den sozia- len Verhaltnissen in der zweiten HAIfte des neunzehnten Jahrhunderts. Die sozialistischen Arbeitervereinigungen versuchten durch kollektiven Druck die Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu erreichen, die der Einzelne in seiner Abhflngigkeit nicht mehr durchsetzen konnte. Die Emanzipations- bewegung der Frauen grflndete sich teilweise auf die Arbeiterbewegung, hat- te aber im aufgeklarten Bfirgertum begonnen. 11 Die Hauptleistung der Arbeiterbewegung vor 1878 war die Bildung und Erziehung breiter Massen mit einer wachsenden Zahl von Spezial- publikationen. waohl dies mit materialistischer Zielsetzung und aggres- siver Ideologie geschah, stimulierten doch erst die Sozialistengesetze Bismarcks (1878) ein solidarisches Bewusstsein. Der Frau kam nach dem Ideal des Biedermeier die untergeordnete Stel- lung der Vasallin unter dem Schutz des Mannes zu. Sie hatte ihre per— sdnliche Eigenart wie ihre Leidenschaft erst in der Phe zu entfalten und allein fflr diese gesellschaftlich gebilligte Gemeinschaft zu 1eben.23 Diese bflrgerliche Auffassung hat heute noch Einfluss, obwohl sie schon damals in Widerspruch zur Wirklichkeit stand. Die Arbeiterfrauen mussten seit Beginn der Industrialisierung neben den Mfinnern ffir einen weit ge- ringeren Lohn arbeiten. Hdher bezahlte gelernte Stellungen blieben den Arbeiterfrauen ebenso verschlossen wie den bflrgerlichen MAdchen eine for- male Schulbildung. Obwohl schon bald einzelne Frauen zum Universitats- studium zugelassen wurden, Anderte sich die allgemeine Lage doch erst, als der erhdhte Bedarf an Arbeitskraften im ersten Weltkrieg die Gleich- stellung der Frauen erforderte. Die Weimarer Verfassung (1919) sicherte das allgemeine Wahlrecht und die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau. wenn sich diese Bewegungen auch negativ an den bestehenden Verhfilt- nissen ausrichteten, so strebten sie doch innerlich zu sehr nach dem Er- werb der ihnen vorenthaltenen gesellschaftlichen und politischen Rechte, um die Gesellschaftsordnung als solche in Frage zu stellen. Selbst die sozialdemokratische Partei, die sich ideologisch zum Klassenkampf ver- 23Helmuth Himmel, Geschichte der deutschen Novella, Bern, 1963, 8.185. 12 pflichtete, besass in Bernsteins "Revisionismus" einen bedeutenden kon- servativen Flfigel. Das Bedfirfnis nach "Einkehr und Stills", dem Raabes Sperlingsgasse so vollkommen zu entsprechen schien, hielt im deutschen Bflrgertum nach der Revolution nicht langs an. Schon mit der wende zu den sechzigsr Jah- ren machte sich sin neuer Geist bemerkbar. Besonders in Preussen erwies sich die Sachs der bfirgsrlichsn Selbstbsstimmung und nationalen Eini- gung sehr bald als scheinbar wohl vertrsten. So gross war die Enttéu- schung gewesen, dass man es jetzt hinnahm, wenn die Parlamsnte keinen grossen Einfluss auf die politischen Entscheidungen gswannen, und wenn dis nationale Einigung unter Ausschluss asterreichs und allein auf Ini- tiative der Obrigkeit zustande kam. Da Bismarck sich seit 1862 weitgehend auf das 1859 im Nationalvsrein organisierte liberals prsussischs Bfirger- tum stfltzte, srstand mit der Frweckung neuer Hoffnungen auch ein neues burgerlichss Selbstvsrtrauen. Es fand seinen zukunftsfrohen Ausdruck in den vielen Feisrn zu Schillers hundertstem Geburtstag (1859). Keins Bflr- gerschaft des deutschen Sprachgebietes, dis etwas auf sich hislt, liess diess Gelsgenhsit ungenutzt verstreichsn. Raabe hat das mit heitersr Ironie in seinem Draumling festgehaltsn. Bis zum Krisgs 1870/71 war die innere Anteilnahme der Bevdlkerung am Einigungswsrk so gewachsen, dass die Ersignisse mit grosssm Jubel be- grflsst wurden. Nicht umsonst Spielts man mit dem Sprichwort vom deutschen "Schulmeister", der dis Schlacht von Sedan gewonnen habe, auf die Tat- sache an, dass die allgemeine Bildung nun sin sinigermassen sinheitliches Bewusstsein ermdglichte. 13 Bismarcks Innenpolitik nach der Reichsgrfindung brachte dann fflr viele Bevdlkerungsteile sin unsanftes Erwachen und ldste das einheit- liche Volksbewusstsein wieder auf. Dis Liberalen wurden mit der Schutz- zollpolitik vor den Kopf gsstossen. Mit dem Kulturkampf trieb Bismarck den grdssten Teil der katholischen Bevdlkerung in sine Opposition, die ihren politischen Ausdruck in der lange starr ablehnenden Zentrumspar- tei fand. Die Sozialistengesetze brachten die arbeiterschaft in sine Abwehrhaltung gegenflber dem Staat, die selbst dis vorbildliche Sozial- gesstzgebung der 80er Jahre als erniedrigendes Almossn erscheinsn liess. Opposition gegen Preussens Vorherrschaft gab es nicht nur in den natio- nalen Grenzgebieten wie Westprsussen und dem Elsass, sondern auch in den innerdeutschen Landern, die sich zu Unrecht fiberrannt fflhltsn. Dis hanno- versche welfenpartsi gab ihrer Opposition den andauerndsten Ausdruck. Alle Opposition gegen Bismarcks eigenmachtigs Reichspolitik konnts aber nicht die ausssnpolitischen Erfolge dss Reiches leugnen. Die Tat- sache, dass aus einem zsrrissenen Staatenbund innsrhalb weniger Jahre sine Weltmacht geworden war, musste alle Upponentsn flberzsugen. So wur- den grosse Teile der politischen Opposition immer wieder dazu gewonnen, die bestehenden Vsrhaltnisse grundsatzlich anzuerkennen und ihre Kritik auf solche Einzelheiten zu beschranken, die ihre eigenen Interessen be- ruhrtsn. Im Zeichen dsr "Binkehr und Stills" des Biedermeier, in dem sich das Bildungsintsrssse des gsistig regen Bfirgertums nur unpolitisch-literarisch ausdrficken konnte, war die Novells zur Unterhaltungsquelle ersten Ranges aufgerflckt. Die populare Novelle dieser Jahre besass aber noch keine feste Form und umschloss den feuilletonistischen Reisebericht, die Diskussions- 1h novelle und die Dorfgeschichte ebenso wie dis spischen Kurzformen dsr Sitten- und Charaktsrdarstsllung. Taschenbflcher, Zeitungsbeilagen und Kalender verdffsntlichten diess Literatur.2h Nach der Aufhebung dsr Zensur 18h8 zsigten sich neue publizisti- sche Ideen. Rsclam kam mit seiner "Universalbibliothek" (seit 1867) dem Bildungsbedflrfnis auf dem Gebiet dsr Literatur entgegen. Dis Zeitschrif- ten srwsiterten ihren Themsnkreis und stellten zur Literatur den poli- tischen Kommentar, die Kulturkritik, dis naturwissenschaftliche Infor- mation und den Rat zu Problsmen dss taglichen Lebens. 1857 sntstanden nach amsrikanischem Muster Westermanns Monatshefts, "deren Autor vor a1- J 1em Raabe wurde."2b Die treussten Lsser disses Braunschweiger Blattes sind in der ngend ndrdlich und westlich dss Harzgebirges zu suchsn. Eine weiters Demokratisisrung dsr Bildung zeigte sich an dsr zunsh- msndsn Popularitat dsr Familisnblatter, die nicht nur den Wissensdurst grosser Massen srffllltsn, sondern auch der politischen Absicht ihrer Heraus- 26 geber disnten. Beispielhaft ist die Gartenlaube, deren Auflage zwi- schen 1853 und 1863 von Staussnd auf 157tausend anstieg. Bier bildsts sich sin grosses Publikum mit zunehmend verflachendem Lessbsdfirfnis. A15 in den Jahrsn nach 186? die Familisnromans dsr Marlitt alle anderen 1i— 27 tsrarischsn Beitrdgs aus der Gartsnlaubs verdrflngtsn , vollzog sich die sndgflltige Trsnnung zwischen unterhaltendsr Trivial- und anspruchsvollsr Erzahllitsratur. 2h Vsrgl. Anm. 23 25 ’Martini, Rsalismus, 8.92. 26Josef Nadler, Literaturgsschichts dss deutschen Volkss, Berlin, 1938, L. Auf1., Bd. III, 5.512'(Eit. als‘Nadlsr III). c7, . . . Martini, Realismus, 8.93. 15 Es gslang immer weniger Autoren dieser Zeit, ihre dichterische Aus- sags dem Gsschmack grosser Massen anzupassen. Dennoch konnte keinsr von ihnen den Versuch aufgebsn, Lsssr zu gewinnen. Nicht nur Raabe, sondern auch Storm, Fontans und selbst Heyse mussten ihre Wsrke in Zeitschriftsn zu verdffsntlichsn suchen, um nicht vsrgesssn zu werden. Fflr die anSpruchs- volls Erzahlliteratur zeigte sich 1871;28 sin Auswsg, als Julius Rodsnberg seine Deutsche Rundschau grflndete. Er beschrankte sich auf die Vermitt- lung zwischen den schdpfsrischen Autoren seiner ngsnwart und einem klei- nen, rslativ festsn Lsserkrsis. Gustav Frsytag nutzts die Eigenartsn dss neuen Mediums gsschickt aus, als er in dem 18L8 zusammen mit Julian Schmidt 2 fibernommenen Grenzboten dis Entwfirfe zu seinen sigsnen‘Werken abdruckts. 9 Das deutsche Bdrgertum besann sich seit den 60sr Jahren auf seine Ursprflngs, und sein historischss Interssse fand einen Ausdruck in der zu- nshmsndsn Zahl geschichtlicher Themen. Der kulturgeschichtlichen Tsndsnz der Zeit entsprach das Drama dss aristokratischen Einzslmenschsn nicht mehr. Es sollte dsr Mensch dargestsllt werden, wie er als Reprasentant fur seine Epochs erschien. Dis neue Ausdrucksform dieser kulturgsschichtli- chen Tendenz wurds dsr historische Roman. Dis historische Novells lief ihm sogar im kfinstlsrischsn Ausdruck den Rang ab, weil sie angesichts dsr zunshmsndsn Partikularisierung dss Lebensbszuges der Gsstaltungsabsicht dsr Autorsn sntgsgsn kam. So wurds sis zur hauptsachlichen Ausdrucksform dsr Erzflhler dss spflten postischen Rsalismus. Gleichzeitig srmdglichte dis Novelle auch die Publikation in wenigen Fortsstzungsn, wie sis dis Zsitschriften vsrlangten. 8 Martini, Realismus, $.93. 29 Nadlsr III, 8.512. 16 Nash 1870 erwarb sich Paul Heyse "den Ruf eines Arbiter elegantias 30 auf dem Gebiet dsr Novells." Wahrend er die Beitrags zu seinem Deut- schen Novellenschatz (1871) sammslte, stellte er anhand von Eoccaccios berfihmter Novells seine "Falksntheoris" auf. Danach sollte sine schlfis- sigs, prAgnante und ungewdhnlichs Handlung in klarsr Form dargsstsllt werden, wobei sins Ubersinstimmung zwischen dem Wendepunkt dsr Handlung und ihrsm Sinnbild im Dingsymbol (dem Falksn) anzustreben war. Diese Movellentechnik ffihrte in Heysss sigsnem Frzahlsn zu einer Glatte dss Stils, dis trotz dsr psychologischen Tisfs dsr Handlung an innsrsn Problemen vorbsiging. Heyses damalige Popularitat wirft sin bszsichnsndss Licht auf den Zeitgeschmack. In allsn beliebten wsrken dieser Zeit blieb dis Kultur- kritik obsrflachlich genug, um sich innerhalb dsr bflrgerlichsn Konven- tion zu halten. So zsigts sich auch in dsr Auswahl dss Lsssstoffes dis Zeittendsnz zur Verherrlichung der herrschsndsn Gesellschaftsordnung. wenn hier das Frfihwsrk Wilhelm Raabes auf seine Bindung an den Rea- lismus untersucht wird, so muss das mit zwei Einschrankungen geschehen. Erstens ist die weltanschauliche Bindung dss Autors von ihm nie eindeu- tig eingestanden werden, wedsr in seinem werk, noch in seinen persbn- lichen Xusssrungen. So mflssen die Bestandteile seiner Interpretation dsr Welt aus seinem'Werk zusammengestellt werden, ohne in irgsndeiner weise den Anspruch eines durchdachten, logisch folgerichtigen Systems zu er- fflllen oder auch nur zu stellen. Es handelt sich eigentlich nur um den Versuch des Dichters, die welt mit den sehr psrsdnlichsn Mitteln dss eigensn Vsrstdndnisses zu beschreiben. Zweitsns soll die Biografie dss BOHimmel, 5.253. 17 Autors nicht zur Interpretation seines Werkss herangezogen werdsn. Sis bsschaftigt uns nur in dem sehr allgemeinsn Sinn, in dem seine Kind- heit und Jugsnd ihn zu einem Mitglied dsr bfirgsrlichen Gsssllschaft Norddsutschlands in der zweiten Halfts dss neunzehnten Jahrhunderts gemacht haben. fiber seinen geschichtlichen Standort hinaus mdgen Ein- zelheiten aus dsr Biografie im Rfickblick dazu bsitragsn, ermittelts Be- sonderheitsn in Raabss Aussags zu srhellen oder zu bestatigen. Der Vater war zur Zeit von Wilhelm Raabes Geburt am Anfang einer vsrwaltungsjuristischen Laufbahn. So bindet seine Hsrkunft den Dichter an das traditionsreichs Beamtsnbflrgertum. Die Stationen von Raabes Ju- gend waren die wsssrstadtchsn Fschsrshausen, Holzmindsn und Stadtol- dendorf. Durch den frfihsn Tod seines Vaters gshindert, besuchte Raabe die Schule nicht bis zur Hochschulreife, sondern durchlisf sine vier- jéhrige Buchhandelslshre in Magdeburg. Die reiche Lssssrfahrung dieser Jahre schlug sich nisder, als er in Berlin Die Chronik der Sperlings— gasse (lBSh - 55) schrieb. Die Universitat konnte er nur als Gasthdrsr besuchen, wsil ihm dsr erfordsrliche Schulabschluss fehlte. So musste sich Raabe als Burger ffihlen und war doch von vornhersin in sine Sonderstellung am Rande seiner Zeit gedrangt. So weit das in der klsinstfidtischsn Umgsbung seiner Jugsnd m8glich war, hatte sr an den geistigen Zeitstrdmungsn teilgenommen. In sein letztss Schuljahr in Wol- fsnbflttsl fiel die Revolution von 18h8. Auch ohne ausfflhrlichs Dokumen- ts schliesst Pongs aus sinigen Zeichnungen und einer autobiografischsn Stelle in Altershaussn auf den grossen Eindruck, den dsr Traum von dsr 1 Frsiheit auf ihn machte.3 31 Pongs, 3.67. 18 Raabss Vsrhaltnis gsgsnflbsr der Welt war zu dieser Zeit reali- stisch und romantisch. Er sah die Menschen bis hinsin in seine eigene Familis an den Unzulanglichksitsn dsr Welt lsidsn, absr er erlebts such ihren Trost. Das Leid schien ihm nicht so sehr aus den ganz konkretsn Zustflnden seiner Zeit zu flissssn, als vielmehr aus dem unvsrandsrlichsn weltzustand. So erregt z.B. in einem dsr "Bildsr" dsr Chronik dsr ver- armts, proletarische Arbsiter unssr Mitlsid nicht wsgen dss bloss ausse- ren Mangsls, sondern wegen dss seelischen Leids, das Sterbebett seiner Frau verlassen zu mflsssn. Dass es um dsr paar zu verdisnendsn Pfenni- ge willen geschisht, ist nur in zweiter Linie von Bedsutung. Dis Fami- lis aus dsr Kellerwohnung entschliesst sich zur Auswandsrung nicht aus Mangel an Vsrdiensthglichkeiten, sondern weil nach den politischen Ent- tauschungen das Leben im Deutschland ihrer Zeit sis nicht mehr befrie- digen kann. Dem Rsalismus und selbst dem Materialismus fehlt noch das sozialwis- senschaftlichs Dsnken, das uns heute diess Misstflnde als einen vorflber- gshenden Auswuchs dsr wirtschaftlichsn Entwicklung vsrstehsn lasst. So gelingt es aber auch den bflrgerlich gebundenen Autoren nicht, sich ange- sichts dsr Aussichtslosigksit dss Lebens dis rettungslose Verzwsiflung vorzustsllen, wie sis im Expressionismus gestaltst wurde. Selbst die er- schflttsrnde soziale Anklage dss Naturalismus bleibt im bflrgerlichsn Den- ksn befangen.32 Da Raabe nicht sehen kann, dass viele der Schwierigkei- ten seiner Helden von der spezifischen Situation zwischen den Gesellschafts- klasssn abhangig sind, betrachtst er sis als sin Beispiel dsr zeitlosen Ausgeliefertheit dss Menschen an sine feindlichs Umwelt. Als unverander- lichsr Teil dsr menschlichen Existsnz muss disses Leid akzsptisrt werdsn. 32 Frisdmann - Mann, 8.180. 19 Sshr visl gsnausr bezieht sich Raabs auf die Misstande seiner Zeit, wo sis sich innsrhalb einer Gsssllschaft5klasss - meist dss Bfirgertums - zsigen. Wenn Antonie Edusslsr am Ends dss Romans Der Schfidderump von ih- rem Grossvater hsrzlos in dis Wiener Lebewslt verpflanzt wird, so zsigt sich dsr Autor als Kulturkritiksr. Der ngensatz dss unaufrichtigen ge- ssllschaftlichsn Lebens zur natflrlichsn Ehrlichksit in Antoniss Kind- heitswslt auf dem Lausnhof tragt visl dazu bei, dass dsr Lessr dsutlich die Umgsbung vor sich sisht, in die diess Gsssllschaft vor dsr Natur und dsr Ehrlichksit flisht. Plflschvorhflnge und bunte Scheiben mflssen das Ta- geslicht ausschlisssen. Die Gebrauchsgegsnstande werdsn ihres Nutzcharak- ters sntkleidet und vdllig zu Schmuckformsn umgestaltst, und die Moral wird vsrdorbsn. So ist es nicht vsrwundsrlich, wenn das slfsnartigs Na- turkind Antonie in dsr Wohnung dss Grossvatsrs dahinsischt. Auf der Su- che nach einer Hsimat kann ihre zarte Seels dissen Beanspruchungen nichts entgegsnsetzen. Das Leiden wird noch vergrdssert, wenn dsr Junker, dsr zur Hilfe fur die Jugendgefahrtin nach Wien gskommsn ist, selbst naiv das weltstfldtische Vsrgnflgsn genissst. Trotz seines ungsbrochensn Ver- haltnissss zur Natur vsrmag er dis Heuchelei nicht anzugrsifsn, als das vom Grossvatsr einem Geschaftsfreund verlobte, kranke Madchsn die Gra- tulation dsr Freunde entgegsnnshmen muss. An anderen Stellen bindet Raabe seine Gsssllschaftskritik an sins be- stimmte Person. So wird dsr gessllschaftliche Egoismus, mit dem Moses Freudenstsin im Hungsrpastor seine Mitmsnschsn ausnutzt, nie auf andsre Personsn fibertragen. Juden wie Christen verfluchsn ihn. Seine trotzige An- massung stsht weniger offensichtlich mit einem allgemeinsn bflrgsrlichsn Misstand in Verbindung. wenn Raabs absr Moses' Ubsrheblichkeit mit dsr in- nsrsn Unsichsrheit seiner geringsn Lsrkunft in Zusammenhang bringt, dann 20 scheint Mbses doch als typischer Vsrtrster fflr dis srsts Generation dsr finanziell Arriviertsn zu stehen; denn Baabs war sich dss Ubsls wohl be- wusst, das er in einem Brief an Paul Hsyss vom Marz 1875 den "jstzt in unsersm Volk umgehsndsn Grdsssnwahnsinn" nannts.35 Die Welt dss Philistsrs in dem klsinstAdtischsn Fflrstsntum, wie Haa- bs sis im Abu Tslfan srstehen lasst, sntbshrt dsr tragischsn Grundkonflik- ts. Raabs lasst ssinsn Heimkehrsr aus dem Tumurkislands, Leonhard Hage- buchsr, zwischen dsr materiellen Bindung an die sich selbst gsnfigsnds Gs- sellschaft und dsr innsrsn Auflshnung dagsgsn schwanken. Nur dis bsidsn Frauengestaltsn dss Romans, Frau Klaudine und - unter ihrer Fuhrung - Nikola von Einstein, findsn ihren Lebenssinn ausserhalb dsr Gesellschaft. Beids haben absr schon dsr Gssellschaft sntsagt, bsvor dsr Heimkehrsr sis in ihrer Haltung bestarkt. Das konssrvativs Bfirgertum dss spatsn neunzehnten Jahrhunderts war trotz seiner dskadsntsn Statik dis Gsfflhlsheimat, aus dsr Raabs dis Kraft zu seiner eigenen Stellung bezishsn musste. Er konnte es noch nicht grund- satzlich verdammen; denn "wohin wir blicksn, zieht ststs und flbsrall dsr gsrmanische Genius sin Drittsl seiner Kraft aus dem Bflrgsrtum." Und Raabe wsiss sich in der Gsssllschaft "hoher Mdnnsr", wenn er sich auf die bflrb gsrlichsn Bindungsn in Luther, Goethe und Jean Paul bsruft. Erst im A1- terswsrk konnte Raabe aus sigsner bittsrer Erfahrung dis Aussinandsr— sstzung bis zur Ablshnung weitsrtrsibsnfih 33 Raabe, Werks, IX/l, 3.1111. 38 Pongs, 5.263. 21 Ein Problem seiner Zeit klingt vor 1870 immer wieder in Raabes Schriften an, vor allsm in sinigen Novellsn. Das ist die Sehnsucht nach dsr Einhsit dss Reichss, und sis wird dsutlich in Else von dsr Tanne, Der Marsch nach Hauss, Des Reiches Krone und Ksltische Knochen. Das Thema kann sowohl sins sehr srnste FSrbung annehmsn als such in den Humor umschlagen. Immer wieder ist das deutsche Volk gegen sich selbst gsrichtst und findet grossen Schadsn darin. Diese Thematik trug Raabs den Ruf eines "Rsichshistoriografen"35 sin, den er absr als Ein- engung seiner Schaffsnskraft ablshnts. Raabs wollte also das Bfirgertum seiner Zeit vor dsr Selbstzsrstd- rung warnen. Immer wieder zeigt er dis Ergsbnisse dsr gsffihllosen K81- te gegenflber den Mitmenschen. Darflberhinaus drehen sich seine Themsn absr in einem allgemeineren Sinn um den Lebenskampf, in dem dsr Einzel- ns seine aufrichtige Charakterstérke bewsisen muss. So rflckt Raabes wsrk unter den Aspekt dsr stenshilfs. Er muss sich die sigsnsn Enttauschun- gen von der Sesle schrsibsn und will mit seinem eigensn Trost dis ande- ren Kampfsr trdsten. Disses didaktischs Bestreben bildst Raabss stark— sten Gsstaltungsantrieb. Das Leiden bringt dis Menschsn zur Verzwsif- lung an dsr welt, denn die welt wird nicht mehr als Bewahrungsfsld angs- sehsn, auf dem sich dsr Mensch dss kommendsn ausssrwsltlichsn Glfickss ffir wflrdig srwsissn muss. Ssitdsm Hsgsls Idsalismus und sein Bezug auf sins ausssrwsltlichs Gsrechtigksit philosophisch fibsrwundsn ist, ist der Mensch nicht nur ffir den vollsn Gebrauch und Gsnuss dsr Welt befreit, sondern auch ihrer Ungsrschtigksit voll ausgeliefert. Raabe sisht die BSPOHgS’ 5.57s. 22 Leiden und das Glfick von einem seslenlosen Zufall sehr ungsrscht vsr— tsilt und gewinnt sins psssimistische Grundhaltung. Indsm er sich zunshmsnd mehr an d i s Msnschsn unter seinsn Ls- ssrn wendst, dis diess Ungsrechtigksit dsr Welt ksnnen, wird Raabs zum Realist. Von Anfang an gsstaltst Raabe einen ganz konkretsn Einzelfall mit stark individualisierten Charaktsren. Dis Wirklichkeit kann zu Raa- bes Zeit nicht mehr flbsrhdht und idealisisrt werden, wie in dsr klassi- schen Epik, sondern muss zu jedsr Zeit in allsn Einzslheitsn vorstell- bar bleibsn. Im Gegensatz dazu gsstaltste noch dis romantische Epik ih- re Charakters als Trager bestimmtsr Idsen. So lange das Kunstwsrk den Menschen srbauen und bessern sollte, wie in dsr klassischen Theorie, musste dis realistische Sicht dsr Wirklichksit vsrmiedsn werden. Zur Zeit Raabss ist die Wirklichkeit absr so unausweichlich gswordsn, dass sich die Schreibabsicht dss Dichters mit ihr verbinden muss. Wenn dsr realistische Dichter sine Handlungssituation genau bs- schreibt und sis in sins geschichtliche Zeit und an einen vorstellba- rsn Ort setzt, gsrét er in dis Lage eines Historikers, dsr srfundene Ersignisse behandelt. Um sein Tun zu rechtfertigen, braucht dsr Dichter trotz allsn Realismus' einen weltanschaulichsn Bezug. So wird zusrst sinmal dis Einzelsituation verallgsmsinsrt. Sis ahnslt vielen Situatio- nen dsr Wirklichksit so sehr, dass jsdsr Leser eigene Erfahrungsn in der dichterischen Darstellung wiedsrsrkennt. Das allein motiviert die kflnstlerischs Gsstaltung absr noch nicht. Seine Absicht, seinsn Mit- menschen aus ihrer Vsrzwsiflung zu hslfsn36 vsrbindst Raabes Realis- mus mit seiner'Wsltanschauung. Diese Absicht ist absr nicht konkret in 36 Martini, Realismus, 8.68h. 23 seinsn Werksn ausgedrflckt, sondern so verschlflsselt, dass sis immer wieder fibersehen oder missverstanden wird. Warum machte Raabs seine Schrsibabsicht nicht deutlicher? Diese Frags rfihrt an die umfangreiche Problematik dsr politischen Tsndenzlitsratur. Kein monolytischer Staat hat bishsr grosss Kunst hsrvorbringen kdnnsn, weil dis Aufsicht dss Staatss die kflnstlsrischs Gsstaltung an mittelmflssigs Schablonsn bin- det. So ist beispielsweise dis Literatur dss deutschen Nationalsozia- lismus nie fiber das Niveau tsndsnzids-bslshrsnder Unterhaltung hinaus- gskommsn. Eins freiwilligs Bsschrankung auf sins einseitigs Sicht dsr Wirklichksit kann im pluralistischsn Staat dissslben Wirkungsn haben. Das zeigt sich an den Arbsiterdichtern. Der von innsrsm Gsstaltungs- drang bestimmts Dichter blickt tisfer und drfickt sich in sigsnen Kate- gorisn aus. Es macht den Rsiz gutsr Literatur aus, dass sich die Absicht dss Dichters in individusllsn Inhalten, sigsnen formalsn Ldsungsn und Sprach- lichen Besonderheiten versteckt. Das Medium daffir sind die Idsen und Ge- danken, densn sich dsr Dichter verbunden ffihlt. Aber er halt dabsi sei- ne Eindrucksfflhigkeit fflr dis Problems seiner Zeit offen und setzt sich ehrlich und ungebundsn mit der Wirklichkeit aussinandsr. Dis Weltanschauung, die Wilhelm Raabes kflnstlsrischs Aussage aus- macht, kommt weniger aus dsr Philosophie als aus dem Grunde seines gs- fflhlsmassig gebundenen Gsmuts. Dis Aufldsung dsr natflrlichen Vsrbindung dss Msnschsn mit der Landschaft, in dsr sr lsbt, und mit dem sozialsn Stand, den er reprasentisrt, hat ihn nicht nur befreit und individuali- siert, sondern auch innerlich unsichsr gemacht.Disss Unsicherhsit muss in gegenssitigsr Hilfsbersitschaft fiberwundsn werden. Wis dieser Aspskt aus dsr lyrischsn Befangsnheit dss Jugsndwsrkss und der hoffnungslossn 2h Vsrzwsiflung siniger Wsrks dsr Stuttgartsr Zeit immer mehr in den Vor- dsrgrund rfickt, soll im folgenden gezsigt werden, denn diess mitmensch- lichs Hilfsbsrsitschaft stellt den Punkt dar, an dem sich Raabss Realis- mus mit seiner weltanschauung vsrbindst. Dem unbefangsnsn Lsssr srschsint Raabss Chronik dsr Sperlingsgasse als sin abgsklfirter Rfickblick auf die Schicksale dsr Menschsn eines be- grenzten Raumss. Eins mslancholischs Beschaulichksit besanftigt dis Tra- gik, sodass dsr Lsssr das Buch aus dsr Hand legsn kann mit dem beruhi- gsndsn Gsffihl: Das ist der Lauf der Welt. WAhrend absr dsr Inhalt den trdstlichen Ausblick auf einen allwis- ssndsn Lsnksr dsr Geschicks erlaubt, srdffnsn sich dsr stilistischen Un- tersuchung unfiberbrfickbars Gegsnsétzs. Die Welt dsr sngsn Gasss mit ih- rsn alten Haussrn, in dsr sich die dargestslltsn stsnswsgs vollsnden, lisgt als Insel inmitten feindlichsn Grosstadttrsibsns. Die Darstellungs- wsiss dss Erzfihlers Wachholdsr setzt oft einen Zwischsnraum zum Erzfihl- ten, so wenn er aus seiner Dachkammer fiber den Raum dsr Strasse auf die hsimlich Gslisbts schaut. Absr auch sein Kommsntar schwankt zwischen Exp tremsn hin und her. Sis reichsn vom Vsrtrausn auf einen Ausgleich allsn Lsidsns durch hdhsrs Ffihrung bis zur Verzwsiflung an dsr Vsrkshrthsit dsr "bfissn Zeit". Absr ss fibsrwiegt doch dis lyrischs Ubsrbrfickung aller Gs- gsnsatzs, wie sis sich in Eaabss Anspislungsn auf Matthias Claudius am Anfang dss Wsrkes andsutst. Die sich humorvoll bsschsidends Skspsis wachholders srhfllt absr in dem Sarkasmus dss zweiten Erzahlsrs, dss jungsn Malsrs Strobsl, einen ngsnsatz. Dis beidsn Aspskts nahsrn sich nur andsutungswsiss in dsr Lisbe zu einem naiven Kindsrhsrzen. AuSgsglichsn wird dsr Gegsnsatz hier nicht. J 2b ‘Wfihrsnd dis Schicksalsschlags in dsr Chronik aus der Band einer all- wisssndsn Weltmacht zu flissssn schisnsn, vsrbindsn sis sich in den fol- gsndsn Wsrksn mit bestimmtsn Personen. Die schwarz-weiss Malsrei, dis Raa- be dabsi srrsicht, srschsint noch nicht voll rsalistisch. Dis Verlogen- heit dsr grosstadtischen Gssellschaft ist in Die Lsute aus dem walds (1862) z.B. in dem jungen Aristokratsn reprassntisrt, dsr dis Madchsn aus ego- istischer Sslbstgsffilligkeit umwirbt. Er vsrmag zwar deren Trsus nicht zu brschen, absr er vsrursacht doch schwsrs Vsrwicklungen, besonders wenn sr dis Bankisrstochtsr Helene durch ssinsn Einfluss auf die Eitsl- ksit dss gsistesschwachsn Vaters zu gswinnsn sucht. Dis bigotts alts Jung- fsr, die ihre Psobachtungsn an dem hsimlichsn Lisbespaar Helene - Robert giftig dsn Erzishern dsr beidsn in die hfinds spislt, sinkt zur rsinen Schablone ab. Am Ends absr srffillsn sich doch alle Schicksale zur vol- lsn Zufrisdsnhsit dss alten Drsigestirns von Erziehern, die die gsfahr- dsts Jugend "aus dem walds" in der Stadt in ihre Obhut genommsn haben. wenn Eva, dis jungs Witws von Roberts Brudsr, in Kalifornisn resignis- rend dahinsischt, so st8rt das nicht dis Ordnung dsr Welt, sondern wird shrffirchtig als notwendig anerkannt, weil dis Sterne es so gslenkt haben. Diese elsgischs welttrausr hat ihre sindrucksvollsts Gsstaltung ge- fundsn in dsr Novells Holunderblfite. Sis Spislt auf dem Prager Judsnfrisd- hof und bshandelt den sigsntfimlichsn Zaubsr dss Judsnmfldchsns Jemima, dem dsr Erzfihler als jungsr Msdizinstudsnt vsrfisl. Das MAdchsn ffihlt sich auf dem Friedhof zu Hause, weil sis weiss, dass sis bald stsrbsn wird. Sis weiht den Studsnten, dem sie sigsntfimlich gewogen ist, in alle Gs- heimnisse dss dunklsn Ortes sin. 1hr Tod besisgslt nur dis elsgischs Hin- nsigung ihres ganzsn Wessns zum Vsrzicht. Sis hat sin zu weites Herz, mit dem sis in dieser Welt nicht leben kann. Dsr Erzahler, sin bsrfihmter 26 Arzt, scheint den Tod einer jungen Patientin, dsr diess Erinnerung in ihm wachrisf, nicht zu bedauern. Seine Weltkenntnis ffihrt ihn dazu, den Tod als sinzigsn ng zur Bewahrung dsr reinsn Seels dss MAdchsns anzusshsn. Reine Gsldgisr ist das Tatmotiv, das die sehr geschlossens Hand— lung dsr'Novslls Dag letzte Eecht in Gang halt. Der alts Heyliger vsr- trieb vor zwanzig Jahrsn den rschtmfissigen Besitzer dsr "Silbsrburg" durch einen falschsn Prozess. Doch die Lisbe zwischen den Kindern dsr Prozessgegner scheint das Unrecht auszugleichsn. Heyliger ist absr mit einem Vertrag seinem damaligsn Advokatsn vsrpflichtet, desssn Sohn, dsr neue Scharfrichter dsr Stadt, nach Ablauf der Frist sein Recht fordsrt. So erklfirt sich Peyligers wachsende Unruhe und sein Selbstmord am Mer- gen dss Tsrmins. Die rschtmassigen Erben bekommsn absr ihr "letztss Rscht", als sins hdhsre Macht das morsche Baus fiber dem gierig ssinsn Rsichtum zahlendsn Scharfrichter zusammsnstfirzen lésst. Allss vergan- gsns Unrecht wird hier in der ssgensrsichsn Vsrbindung dsr Kinder wis- dsr gutgemacht. Das Motiv hatte schon in dsr Chronik dazu gsdisnt, das von einem rficksichtslossn Aristokratsn bsgangsne Unrecht in dsr Ehs zwischen ssinsn Enkelkindsrn auszuglsichen. Disssr Ausgleich aller Schwisrigksiten in der welt srwies sich als lsicht verstfindlichs Ldsung. Der Leser, der dis Mfihe dss Nachdsnksns um- gshen wollte, nahm die Wéndung aller Dings zum Gutsn als sslbstverstfind- lich hin, ohne dis rsalsn Grundlagen dieser Annahme zu prfifen. So unre- flektiert konnten die Grenzsn zwischen Gut und Bdss srhalten bleibsn, wie es dis traditionsvsrbundsns Moral verlangts, und die bsstshends Gs- sellschaftsordnung wurds nicht in Frags gsstsllt. Obwohl dieser lyrisch getdnts Optimismus dis Belisbthsit von Raabss Jugsndwsrk bsgrfindets, liess er zu viele Fragsn offsn, um dsn Rsalistsn Raabs auf die Dausr 27 zu befrisdigsn. Im Hungsrpastor vsrlsiht Raabe disssm Cptimismus den tisfstsn Aus- druck, indsm er den stsnswsg zwsisr Msnschsn aus ahnlich firmlichen Milieu vsrfolgt. Hisr konstruisrt Raabe den Gegsnsatz zwischen dem "Hun- ger" nach Erffillung einer Ruhesshnsucht in Hans Unwirrsch und dem ego- istischen, zerstdrsrischen "Hunger" Moses Freudsnstsins. Lstztsrer sr- fahrt sins fibsrhfihung bis zum Damonischsn, wenn sein scheinbar gutmfi- tiger Humor und wendiger Zynismus dis stills Ordnung von Unwirrschs Wer- tswslt gsfahrdst. hans bleibt absr doch seiner Eigsnart treu und sr— reicht, im Grunde seines Wessns unbsrfihrt, seine "Hungsrpfarrs" an der pommsrschsn Kfiste. Dort bekommt er bald Gslsgsnhsit, dsn Opfsrn von Mosss' Unmsnschlichkeit zu helfsn, die in einem Schiffbruch an Land gs- ratsn. Hans ist nun so in seine eigene Wsrtswslt sntrfickt, dass es ihm gelingt, allsm Gram gegen den Jugsndgsnosssn zu sntsagen. Auch diess Weltentrfickung kann keine dausrnds Ldsung ffir dis Problems dsr Zeit sein. In Abu Tslfan konzsntrisrt sich die Problematik auf gessllschaft- lich-politische Spannungen. Der Fnttauschung dss Hsimkshrsrs Hagebuchsr stsht sin visl diffuserss ngenbild im "Behagsn" dss philistsrhaftsn "Nippsnburg" gsgenfibsr. Dis beidsn Frauen in dsr Katzsnmfihls, dis allsn Wfinschsn nach den gsssllschaftlichsn Zsrstreuungen dss korruptsn Resi- dsnzstfidtchsns sntsagt haben, stellsn ksinsn sindsutigsn Uegsnsatz da- zu dar. Gegsnfibsr dem einen ngsnsatz "dss aufbausnden und zsrstdrendsn Hungers"37 im Hungerpastor zsigt diess Vislfalt einen grdssersn Realis- mus. Es fehlt dann allsrdings auch dis sindsutigs Ldsung dsr Konflikts, 37Pongs, 8.255. 28 in dis dsr aufrichtige Hagsbuchsr gerat. stor Raabe zu einer Ldsung dsr menschlichen Konflikte mit dsr Wirklichkeit vordringt, gsstaltst er dis Auswsglosigksit dsr Resigna- tion. Im Schfiddsrump, Raabss letztsm Roman, gibt sr dsr Welt sine 0rd- nung, in dsr dsr smpfindsams Mensch sich nur durch Resignation bis zum Ausssrsten vor den zsrstdrerischsn Angriffsn dsr Wirklichksit rst- tsn kann. Dis bsidsn alten Erzisher auf dem Lausnhof, die in dem Kind aus dem Armsnhaus, Antonie HHusslsr, sin willkommenes Objekt ffir ihre Botschaft dsr Resignation gsfunden haben, leben in der landlichsn Ab- geschisdsnhsit nur ihren Erinnsrungen. Der angestrsngte "Krsuzzug" dss Rittsrs von Glaubigsrn in dis Wirklichksit seiner Zeit nach Wisn, wo er den gslisbtsn Schfitzling Antonie rsttsn zu mfisssn glaubt, bringt ihn zur vsrtisften Resignation in den Irrsinn. Antonie kann sich vor dem gsdanksnlossn Egoismus dsr Gssellschaft und den Angriffen auf ihre smpfindsams Seels nur in dis fiusssrste Resignation, den Tod, rsttsn. Der Grossvatsr dss Mfidchens ist sins sindrucksvolls Inkarnation allss Zsrstdrsrischen und erfahrt durch die srzfihlerischs Verbindung mit dem Symbol dss Pestwagsns sins dsutliche Damonisisrung. Der Ton dis- ses Romans ist von Anfang an durch dis Bsrufung auf disses Zeichen menschlicher Verganglichkeit tragisch gsstimmt. Dadurch snthfilt jsdsr Wagsn, dsr in dsr Handlung srschsint, diess tragische Bedrohung aller diesssitigsn stsnswsrte. Selbst dsr Triumph, mit dem dsr jungs Guts- herr seine Jugsndgsfahrtin Antonie als Erntekfinigin auf dem letzten Gs- treidewagen hsimffihrt, wird durch den Hdhenrauch vsrdunkslt und von dsr srzfihlsrisch angskfindigtsn Ankunft Hausslers fiberschattet. Unter den Novellsn Raabes aus dieser Zeit stellt Else von dsr Tanne sin sindrucksvollss Gegsnstfick dar zu dieser Auswsglosigksit vor dsr 29 Zsrstdrung allss stenswsrten in dsr Welt. Fachdsm das Licht dsr Mensch- 1ichksit mit dem jungen MAdchen aus dsr Welt dss Pfarrers gegangsn ist, stirbt auch sr willsnlos im Schnss. In den humoristischsn Erzahlungsn Raabss aus dieser Zeit fehlt auch noch dis Ldsung dsr Konflikte mit der Wirklichksit. Die Génss von Bfitzow (1855) stellt dis Ereignisse dsr franzdsischen Revolution am Beispiel dss Aufruhrs ffir dis Frsiheit dsr GAnss in den Rahmen dsr deutschen Kleinstadt. Nur dsr humorvolls Kommsntar dss fiktivsn Erzahlsrs steht hier gegen den Angriff auf die Wirklichkeit im sigsnnfitzigen Vsrrat dsr Anstiftsrin. Ksltische Knochen (186h) enthfilt sine Ffills burlesksr Pa- rodisn, absr keine Substanz, dis dsr Handlung ffir die Aussinandsrsstzung mit dsr Wirklichksit Bedsutung vsrleihsn kdnnte. Gsdsldks (1866) ist si- ns hdhnischs Satire auf die Rsligionsstrsitigksitsn, und das kurzs Bild Thsklas Erbschaft (1865) zsigt nur dis Abssitigkeit siniger Charaktsre. Ein Ausblick auf sins innsrweltlichs Aufldsung dsr ngsnsfitzs zsigt sich in De: Marsch nach Hauss (1870). Der schwedischs Landsknscht fin- dst am Ends dss dreissigjéhrigen Krieges in dsr irdisch gebundenen Mut- tsrwslt dsr Wirtin im Bregsnzsr wald sins Zuflucht. Einmal sntflisht er auf dsr Suchs nach dem mannhaftsn Heldsnlsben dsr Vergangsnhsit und sr- 1sbt von weitsm dis Schlacht von Fshrbsllin. Der Tod seines Kameradsn bekehrt ihn sndgfiltig, er vsrzichtst auf das Absnteusrlsbsn und damit auch auf seine Individualitat und kshrt rsusvoll in das frisdlichs Reich zurfick, wo das Leben srhalten und nicht zerstdrt wird. Die Novells snt- stand 1870 wahrend dsr allgemeinsn Kriegsbsgsistsrung in Deutschland. Dis Lsssr vsrmochten Raabs in dieser Wendung zum Realismus nicht mehr zu folgen. Erstsns sntsprach dis Vielfalt dsr Aspekts nicht dem Fassungsvsrmbgsn dsr Frauen, die vor dsr Einffihrung dss Achtstundsntages 30 sichsr einen grossen Tsil dsr Lessr bildetsn. Zwsitsns widerprach dsr Psssimismus dsr allgemeinsn Zufrisdsnheit mit den Vsrhfiltnisssn dieser Zeit und dem glsichzsitigsn Bestreben, die in ihr gsgenwartigen Konflik- ts zu vsrtuschsn. Drittsns schliesslich waren dis Lessr auch zum Tsil Raabss Stiles und seiner sigsnartigsn Darstellung mfids gsworden. Der Dichter selbst bildsts ssinsn Rsalismus weitsr aus auf der Suchs nach den Mdglichksitsn zur Bswahrung dsr Persdnlichksit innsrhalb dsr Welt. 31 N INHALT UND BEDEUTUNG DER KRAHENFELDER GESCHICETEN Bei dsr Darstellung dsr sechs Geschichten wird sin Grad von Ausffihr- lichksit angsstrebt, dsr in allsn sntscheidsndsn Finzelheitsn Raabss Gs- staltungsabsicht folgt. Dabei wird dsr individuslls Stil jsdsr Erzah- lung hsrvorgshobsn und sin Blidk auf die dargsstsllten Charaktsre und die Interpretationsmdglichksitsn geworfsn, soweit dsr Inhalt ihn srlaubt. Dis Auswahl dsrjsnigen Darstellungsfaktorsn, dis als Elements dss Rsa- 1ismus anzusprschen wfirsn, bleibt dem folgendsn Kapitsl vorbehaltsn. Bsi Zum wilden Mann handelt ss sich um sins Erzahlung mit zwei aus- ffihrlichsn Vorgeschichtsn. Sis bsginnt damit, dass Philipp Kristeller, dsr Apothsksr "Zum wildsn Mann", am Abend seines drsissigjahrigsn Gs- schfiftsjubilaums zwei Frsundsn gsstsht, wie er in seiner Jugsnd das nd- tige Kapital bskam. Das macht sin Drittsl dsr Erzfihlung aus. In den fol- gendsn zwei Drittsln verlagsrt sich absr das Aktionszentrum auf den zum Freundsskrsis geladsnsn brasilianischsn Obsrst Dom Agostin Agonista38, dsr sich als dsr Jugendfrsund August und zurfickfordsrnds Gsbsr srwsist. Kristellsr ist in disssm Tsil dsr Erzahlung dsr dankbars, schwsigends Erffiller aller Forderungen dss Obsrstsn. Diese Handlung spislt in den sschzigsr Jahren dss neunzehnten Jahrhunderts zwischen Oktobsr und weih- nachten und findst ganz in Kristellers Apothsks statt. JBSpanisch: Kampfsr. 32 Vor fiber drsissig Jahrsn traf Philipp bei ssinsn botanischen Streif- zfigsn am Sfidrand dss Harzes einen stwa glsichaltrigen Frsmdsn, mit dem sr nun dftsr gemsinsam botanisisrts. Er srfuhr nis mehr von August als ssinsn Namsn. Dsnnoch erzfihlts sr ihm in seiner unbskfimmsrtsn Offenhsit von allsn ssinsn Verhaltnisssn und stellte ihm bei Gslsgsnhsit auch ssi- ne Braut vor. Das MAdchen, dem August Mitlsid und Bangsn srrsgts, srkann- ts schnsll, dass er schwer an einem gshsimnisvollen Schicksal trug. Mach langsrsr Pause traf Philipp ssinsn Freund spat im herbst auf dem Blutstuhl, einem alleinstshsndsn Fslssn. Dort lag August scheinbar irr- sinnig am Boden und schien Philipp nicht zu erksnnsn. Dessen gfitigss Zu- rsden bewog ihn sinzulenksn, absr sin bsfreisndss Gssténdnis blieb aus. Bsi dem gsffihlvollen Abschisd versprach August: "'Du sollst noch sinmal von mir hdrsn'" (XI, 8.195). 9500 Taler waren dsr Inhalt dss Abschisds- brisfes aus Hamburg. Auf den Rat seiner Braut nahm Philipp das Geld als willkommenes Darlshsn an. Die Rraut konnte dis damit gsgrfindsts Existenz nicht mit Philipp tsilsn. Sis starb am vorgssshsnen Hochzsitstag. Absr auf ihren Rat stsht seit drsissig Jahren sin unbsnutztsr Ehrenssssel ffir dsn Glfiubigsr bei Philipp und seiner Schwester am Tisch. Dis Handlung in dsr Erzfihlzsit bsginnt, als dsr Arzt dss Ortes den Oberst, den er auf einem seiner Kranksnbesuche aufgslesen hat, zu den Frsunden mitbringt. Der Obsrst srwsist sich sehr schnell als dsr erwahn- ts Jugsndfrsund Kristellers und erzfihlt bersitwillig auch seine Geschichte. Als Scharfrichtsrssohn vom Vater in allsn Kunst- und.Natur1isbhabe- rsisn des achtzehntsn Jahrhunderts ausgebildst, trieb ihn der Widerspruch zwischen einer Erziehung im Geist Matthias Claudius' und dem ersrbten Amt nach des Vaters Tod aus dem Hans. Indsm er bei ssinsn Strsifzfigen Philipp ksnnenlernte, machte dessen Gfite und zartliches Vsrhfiltnis zu sei- 33 ner Brant dissen Widerspruch noch unertrfiglicher. Drsi Tags bsvor Philipp ihn auf dem Blutstuhl traf, hatte sr seine erste Hinrichtung dffentlich vollstrecksn mfissen. Das war sin so schreckliches Erlebnis, dass sr sich entschloss, den Belastungen sowie den Erbgfitern seiner Vsrgangsnhsit nach Amsrika zu entflishsn. Augusts Bericht fiber seine sfidamsrikanischs Soldatenkarriere verliert sich im Klischss dss Abentsuerromans und wird bald abgsbrochen. Mach seiner Rfickkehr von diessm Bssuch in dsr Hsimat will er sich mit einer rsichsn Witwe vsrheiratsn. Der Obsrst ist ffir dis nachsten WCChsn dsr Gast dss Apothsksrs. In dem Bestreben, seinem Freund die Schuld gebfihrlich zurfickzuzahlen, vsr- kauft der Apothsksr allsn ssinsn Besitz und gibt ihm sin Vielfaches dss- sen, was er einst bekam. Chne Abschisd verschwindet der Obsrst eines Mor- gens durch die Hintertfir und nimmt auch noch das Rezept ffir den "Kristeller" mit, dss Apothekers selbsterfundenen Likdr. Philipp und ssi- ne Schwester kann dsr "Brasiliansr" nicht fiberreden, ihn.zu einem Neube- ginn nach Brasilien zu begleiten; sie sitzsn am Weihnachtsabend allein im ungeschmfickten, kalten Zimmer. Nach dem Fest verkaufsn sie ihre letz- ten habseligkeiten und gehen aus dem Ort. Den Hausfrsunden verschweigt Kristeller aus Rficksicht auf den Obsrst den wahren Grund ffir diess Ver- anderung. Sis vsrmuten das Wehrschsinlichste, nAmlich er habs sich in Wsrtpapiersn vsrspekulisrt. Bei dsr Betrachtung dss Stiles srwsissn sich verschiedene Einzelhei- ten dsr Erzahlung als handlungswirksam. Sie beginnt mit einer Beschrei- bung der fiberregionalen wetterlags, die typisch ist ffir Raabss generali- sisrende, doch phantasieanrsgende Naturschilderungsn. Ein regnerischer Herbststurm bildst den Stimmungshintergrund dsr ganzsn Erzfihlung. Trotz 3h Punschbowls und kuriossr Bildsrsammlung will nach dss Oberstsn Erschsi- nen dis gswohnts Gsmfitlichksit nicht mehr im Apothskenhintsrstfibchsn sinzishsn. Der Raum wird dsm Gsschwistsrpaar zunshmsnd fremder. In der abschliessendsn stns am Wsihnachtsabend ist er schliesslich auch phy- sisch kalt. Der lsicht ironisisrends Wortrsichtum dsr Einlsitung, wo dsr Lessr in schnellsm Wschssl dsr Erzfihlsbsnsn mit liebevollsr Sachksnntnis in dis artlichksitsn und Umstfinds dsr Apothske und ihrer Besitzer einge- ffihrt wird, weicht dem unpathetischen, beschsidsn-rsalistischsn Bericht dss Jubilars. Hier bsrfihrsn nur gslsgsntliche Einwfirfe dsr Zuhdrer si- ne zweite Erzfihlebsne und bswahrsn dis Spannung. Erst am Ends kommt den Zuhdrern dsr Herbststurm wieder zu Bewusstsein. Dis stfirmische Unruhe bsgleitst den Obsrst in dis Grupps und zsntralisisrt sich nun immer mehr um ihn. lmmsr charaktsrisiert sich dsr Sprschsr bei Raabs selbst durch Aus- druckswsiss und Reaktion. Das lsbhafts Gesprfich bei der Ankunft dsr neu- sn Gfiste typisiert jsdss Mitglisd dsr Tischrunde. Des Obsrstsn absicht- lich undeutliche Andeutungen fiber einen "Schwarzsn", den er jsdesmal mit Gswinn als Hslfsr aus dsr Not gerufsn habs, machsn den Krsis dsr Haus- freunds unhsimlich gsspannt auf das Kommsnds. Auch die Lessr werdsn mit dsr Andeutung gefssselt, dass nur dis Umstfinds dissen "Tisch von Phi- listsrn" daran hindsrten, "von dem muntsrsn Erzfihlsr abzurficken ... " (IX, 5.208). Wieder leitst sins Wetterbetrachtung zum nsusn Abschnitt fiber. Agonista ist ein visl geschicktsrer Erzfihlsr als Kristellsr und geffihls- massig kaum beteiligt. Er gsffillt sich in dem Findruck, den sein unge- wdhnlichss Schicksal auf die Zuhfirer macht. Nur als sr die Hinrichtung 35 und die Begsgnung auf dem Blutstuhl bsrfihrt, zsigt sin gswisser Sarkas- mus seine Bswsgung. Er nimmt seine Erlebnisss lsicht gsnug, um sich im- mer wieder zu untsrbrschsn. Das macht seine Erzfihlung lsbendig. Ausssr- dem disnt manchs Pause dem Dichter dazu, die Nirkung dss Erzfihlten auf die Zuhdrsr zu bsschrsibsn. WAhrend dss Obsrstsn Aufsnthalt in dsr Apo- thsks srklaren Gssprfichs zwischen den drsi Betsiligten jsdssmal einen nsusn Aspskt dsr Situation. Sis srhalten ihre Bstonung dadurch, dass sis in dsrsslbsn Hintsrstubs dsr Apothsks stattfinden, in dsr anfangs sr- zfihlt wurds. Der ironische Ton dsr Einleitung kommt in den bsschrsibsn- dsn Zwischenstficksn immer wieder dutch. Das Geschshsn bsschrfinkt sich auf die Gsschwistsr Kristellsr und den Obsrstsn. Dis drsi Hausfreunds Spislsn nur sins Statistsnrolls. Sis sind absr stilistisch von Bedsutung als typisch bfirgsrlichs Kommsntatoren dss Gsschshsns. Ffirstsr, Pastor und Doktor sind, wie dis ganzs ngsnd, von dem galantsn, ungswdhnlichsn Frsmdsn faszinisrt. Ffir dis tragischs Situa- tion dss Geschwistsrpaarss und das sigsntlichs Geschshen sind sis jsdoch blind. Sis laden dsn Obsrst dsr Rsihe nach zum Essen sin und gsnissssn den Glanz, dsr von seiner sindrucksvollsn Erschsinung auf sis ffillt. Unsingsschrfinkt bswundsrt dsr Ffirstsr den Abentsursr, dsr das per- sonifizisrt, was er in seiner Jugend vsrsfiumts. Auch dsr Pastor kann sich dem Eindruck von dss Frsmdsn Muntsrksit nicht entziehsn. Er wird absr von der kaltblfitigsn Cffsnhsit in psrsdnlichsn Erlebnisssn und von den unbskfimmsrten Anspielungsn auf sins Bekanntschaft mit dem Bdssn ab- gsstosssn. Das bsrfihrt dis sozialsn Tabus dss Pastors, wfihrsnd dsr Fdr- ster es als ungehsusr unterhaltsnd smpfindst. Allss an dem Obsrst prsist dsr Fdrstsr mit Bsrufsjargon im Bisrtischton. Dis Brudsrschaft, die sr 36 mit dem unterhaltenden Frsmdsn wfinscht, srlangt dsr Doktor, dsr ihn in den Frsundeskrsis singsffihrt hat. Sis haben gsmsinsame Interssssn und 1ernen sich auf Kranksnbssuchsn nahsr ksnnsn. Der Obsrst lfidt dsn Dok- tor sin, ihn nach Brasilien zu bsgleitsn. Der sisht absr auch die Un- ruhe, dis dsr "Brasiliansr" unter dsn Einwohnsrn dsr ganzsn ngsnd vsr- breitst und kommt bald zu dem Punkt, dass er dssssn Abrsise wfinscht, denn er hat ihm und "der ganzsn ngsnd dis Phantasis vsrdorben" (XI, 5.251). Dis Interpretation dsr Erzfihlung muss vom Charaktsr dsr hauptpsr- sonen ausgshsn. Bsids sind von ihrem Schicksal Vsrsinzslte, dis sich unabhfingig von ihrer Hsrkunft durchschlagsn mfisssn, allein von ihrer Eigenart gsleitst. Mach dem Tod dsr Braut, an die Kristellsr nur mit Ssufzsn dsnkt, erwartst er kein Glfick mehr im Leben. Er ist zufrisdsn, wenn er - still in sich gskshrt - das anvsrtrauts Gut vermehrsn und in der ngsnd ssgensreich wirksn kann. Absr auch Agonista ist sin Enttfiusch- tsr. Das Leben dss Hsnksrs, vor dem er floh, muss er in etwas verandsrtsr Form doch ffihrsn. Er hat gslsrnt, das Leben zu nshmsn wie es gsrade kommt, und ist dabsi zum skrupellossn Egoistsn gsworden. Unbswusst plagt ihn zwar immer noch dsr Neid auf Kristellers gsnfigsams Gfits und das bsschsi- dsns Idyll seines Hausss, absr er vsrstsckt das hinter seiner aggressi- vsn Munterksit. Sein rficksichtslosss Auftretsn gegsnfibsr dem Jugsndfreund ist psychologisch als Rachs zu verstshsn. Fr kann Kristeller nicht vsr- dsnksn, dass seine Gfits ihn auf die Suchs nach fihnlichsm Glfick in Amsrika trieb, wo es dann allss so ganz andsrs kam. Nur sinmal, als Philipp nach seiner Braut ssufzt, rsagisrt sr unmittslbar und srwidert, sis hatte ihm "doch stsrbsn mfisssn, und dann -- wsr unter uns hat wohl sin bssssres Los gszogsn als sis?" (XI, 3.217) Disssr Fatalismus halt allsrdings nicht 37 an, und seine Weltanschauung fasst er zusammen in dem Trinkspruch: "Vsrshrts Frsunds, da wir sinmal da sind, so leben wir, wie es sbsn gs- hsn will; und da das, was uns aus dem Dassin hinausschiebt, immer am Werk ist, so schisbsn wir ohne Skrupsl glsichfalls ... " (XI, 8.220). Wis fibsrall, so behsrrscht Agonista auch bei Kristellers sofort dis Situation und ordnst allss nach seinem Sinn. Den drsissig Jahre lang ffir ihn bsrsit gshaltsnsn Ehrsnssssel vsrwsigsrt er und drfickt dis wider- strsbsnde Dorstts hinsin. Den Abschisdsbrisf, den er ssinsrzsit mit dem Geld schickts, vsrbrsnnt sr unbskfimmsrt als Fidibus ffir seine Pfsifs. Gswissensbisse plagsn ihn auch nicht, als sr sich im Hauss dss Freundss wie sin Ffirst bsdiensn lfisst und endlich mit allsm vsrschwindst, was sr nur von ihm bskommsn kann. Diabolisch macht er sich absr nur aus sigsnem Geltungsbedfirfnis. Seine msnschliche Seite zsigt sich, als sr Glfick und Ruhs wie jsdsr andsrs in dsr bfirgsrlichen Institution dsr Ehs sucht; "denn ffir sin fernsrss junggsssllsnhaftes Umhsrschweifsn wird's allmfih- lich sin wenig Spat" (XI, 8.220). Kristeller hat ssinsn Freund wahrscheinlich nis richtig vsrstandsn. Fins lfigsnds bauerliche Kundin vsrmag er mit seiner msnschsnfrsundlichsn Gfits zu durchschausn; absr gsgenfibsr dem Obsrst vsrsagt seine Menschsn- ksnntnis. Mehrfache dsutlichs Hinwsiss darauf, dass dsr Obsrst nach ssi- nsm Geld kam, verstsht sr erst, als seine Schwsstsr es ihm sagt. Und noch am Weihnachtsabsnd im kalten, dunklen Zimmsr trdstst er sich mit dsr "Gswisshsit, dass nismand ss so hsrzlich mit uns msint als er" (XI, 8.225). Die rsalistischere Schwsstsr hat seit dsr Ankunft dss Obsrstsn in dsr wachsenden Gewisshsit dssssn, was gsschshsn wfirde, nur still vor sich hin ssufzen konnsn. Vsrstfindnis konnte sis von dem in seiner grsnzsnlossn Gfi- ts wie traumwandslndsn Brudsr nicht srwartsn. 38 Wsnn Kristellsr dis Hausfrsunds glaubsn lasst, sr habs sich in Wertpapisren verpskulisrt, wenn sr jsds Andsutung an sin Hilfsgssuch nach Brasilien unwirsch ablshnt und allss Erworbsne vsrkauft, erscheint diess Gfits dem heutigsn Vsrstfindnis sinnlos. Auch sprschen dis Geschwi- ster in ihren Unterhaltungsn nach dss Obsrstsn Ankunft immer deutlicher aneinandsr vorbsi. Jedsr drfickt nur aus, wie ihm ums Hsrz ist. Da, wo Kristellers Taten dem unvorbsrsitstsn Lessr dis Vsrmutung nahslsgen, dass er Agonista shsr ffir ssinsn Glfiubigsr als ffir ssinsn Frsund hfilt, sonnt s r sich nur in dem Glfick, den Freund glficklich gsmacht zu haben. Ver- standlich wird sein Verhaltsn nur von dem Gssichtspunkt vfilligsr Resig- nation. Da Philipp nach dem Tod dsr Braut kein Glfick mehr vom Leben sr- wartst, kann sr auf das Geld vsrzichten. Absr auf seine Person konnte dsr Eindringling seine Herrschaft nicht ausdehnsn. Er, seine Schwsstsr und dsr Doktor bleibsn dsr gswohnten Umgsbung unsrschfitterlich verbunden. Dis unhsilvolls Wirkung einer Vsrpflanzung zsigt sich an dsr Unruhe, die von dem "Brasiliansr" auf die ganzs ngsnd ausgsgangsn ist. detsr und Corvgy ist sins historische Erzfihlung und beschrsibt sin wahres Ereignls dsr detsrschsn Stadtgeschichts aus dem Jahre 1673. Es handelt sich um Konfsssionsspannungsn wie sis nach dem drsissigjfihrigen Krisg im schwsr vsrwfiststen Dsutschland fibsrall dis Gsmfitsr aufregtsn und die Menschen zu Handgreiflichksitsn hinrisssn. Raabs hat die Tatsachsn ssi- nsr Erzahlung genau nach dsr Rdxtsrschsn Stadtgsschichts gsstaltst und nur seine Hauptpersonsn, dis dsr Gsschichts dis gswfinschts Aussage vsrlei- hsn, dazugsstsllt. Um dis Authentizitat dsr Psrsonsn seiner Erzfihlung zu srhdhsn, bsnutzts er Namsn und Sprachmustsr dsr Erzahlzeit. Im ngensatz 39 an ssinsr Reihs kulturhistorischer Erzahlungsn39 fiber sin bsispislhaf- tss Einzelschicksal gsstaltst Raabs diess Eandlung fibsrindividusll und behandslt sis als sin allgemein gfiltigss Beispiel msnschlicher Empfin- dungen. Dis hier dargsstslltsn Emotionsn kommsn nicht nur zur Zeit die- ser Erzahlung vor, sondern sis sind immer dann wirksam, wenn dis mensch- lichs Natur sich zu Aufstfindsn hinrsisssn lasst. Dsshalb ist die Lehre dieser Geschichts zsitlos. Im biscthlich Mfinstsrschsn detsr an dsr Wessr lsbt unter dem Schutz dsr nahsn Abtsi Corvsy sins katholische Mindsrhsit und sins klsine jfidi- sche Gsmsinds. Dis Spannungsn zwischen dissen und dsr protestantischen Mshrhsit trstsn offsn zutage, als sins franzdsischs Bssatzung dis Stadt aller Vorrfits entledigt und fiberraschend abzisht. So ist im Spfithsrbst nismand auf den Winter vorbersitet, und die Einwohnsr suchsn "die gssig- netsn Psrsfinlichksiten, an densn sis ihren Grimm und Groll auslasssn" (XI, S.30h) kdnnsn. Dis Katholiksn und Lutheransr zsrtrfimmsrn gsgsnssi- tig dis Fenstsr ihrer Pfarreisn und vsrprfigsln die Kfistsr, dis durch das Lfiuten dsr Glocken um Hilfs rufsn wollsn. Das weckt auch die letzten Stddtsr und alarmiert dis Abtsi. Dann wenden sich die Stfidtsr gsmsinsam gegen ihre Juden, dis von der inzwischen herbsigssiltsn Klostermann- schaft vor weitsrem Wfitsn bewahrt werden mfissen. Unter dem Eindruck dsr singetretensn Ruhs vsrlfisst dis Corvsysr Mannschaft dis Stadt und lasst nur sins klsine Ordnungsmacht zurfick. 39Der Junker von Dsnow (1858), Die schwarze Galesre (1860), Die hfimel- schen Kinder (18:3), Else von dsr Tanns (186E), Des Rsiches Krone (1870). hO Danach setzt dis Aggression dsr Stfidtsr mit nsuem Ziel wieder sin. Die Handlung zsntralisisrt sich nun mehr um die visr hauptpsrsonen. In vollsm Ornat fibsrnimmt der luthsrischs Pfarrsr dis Ffihrung. In dem Be- streben, dis mittslaltsrlichs Stadthohsit wisdsrherzustellen und als Machtdsmonstration gsgsnfibsr der Abtsi sollsn die Judsn ausgswiessn wer- den. Die Einwohner treiben das Eduflsin jfidischer Einwohnsr auf der Strasse zusammsn und wendsn sich dann zu dsr alten "Krdppel-Leah" in ihrsm von der franzdsischsn Besatzung bssudsltsn und ausgsrfiumtsn Haus. Der Student Lambert Tewss und der Befehl ffihrends Klosterbruder Henricus sind schon bei dsr "Krdppsl—Lsah" und ihrer Enkelin, weil dis beiden von drsi Schurksn mit einem Raubfiberfall bedroht wurdsn. Ihr Ver- such, dis singsdrungensn Bfirger zur "Vsrnunft" zu bringsn, ist vsrgeb- 1ich. Erst als dis grsise Jfidin unter den Augen dsr sis fordernden Men- gs stirbt, kommsn sis zur Besinnung. "Kenn einer in diessr’Nacht in detsr an dsr Wessr Vsrnunft gssprochen hatte, so war das dsr Tod ge- wsssn." (XI, 8.3L9) Der Hdhspunkt bildst auch das Ends der Handlung. Eier werden alle Psrsonen wieder zusammengeffihrt, dis am Anfang der Frzfihlung bsim fiber- setzsn fiber den brfickenlosen Fluss vorgestsllt wurdsn. Nach dsr Sterbe- szens vollsndet dis Vsrfolgung dsr vsrschiedensn Hauptpsrsonsn auf ih- rem ng zurfick in den Alltag das Zeitgemalde. Dis ganzs Handlung vollsndet sich zwischen Nachmittag und Nacht des- selbsn Tages und snthfilt visl gleichzeitigss Geschshsn. Raabs findst im- mer einen Sinnzusammsnhang, dsr zum neuen Schauplatz fiberleitst. In dsr zweiten Hfilfts konzsntrisrt sich die Handlung auf einen Ort, und die Er- signisss diktisrsn dsn Wechssl. Dis Ffihrszene dss Nachmittags ffihrt den . u Lessr in die Zeitsituation sin und zsigt die Stimmung bei den Vsrtretsrn dsr vsrschiedensn handslndsn Gruppsn. Der frfihsrs Soldat, Brudsr Henricus, kshrt von einem Lotsngang am Braunschweigischsn Wessrufsr zurfick. Da muss er dis jfingstsn Ersignisss von ssinsn Mitrsissndsn srfragsn. Leah schlsppt sin Bfindsl Erbschaft ihres stfsn, das den Ffihrmann raublfistsrn macht. Der Pastor kshrt von einem Bssuch fiber Land hsim. Er wird am detsrschsn Ufsr von seinem stfsn, dem Student Lambert Tswes, mit dsr Bit- ts um sin Nachtlagsr srwartst. Der Pastor weist den von dsr Universitfit Helmstsdt religisrtsn jungen Mann ab, und alle gehen ihrer ngs. In dsr billigen Knsips, wo Lambert Zuflucht suchts, trifft er sins Unruhe plansnds Grupps um den Fahrmann. Er will damit nichts zu tun haben und kann mit ssinsn swigsn Horaz-Zitatsn gsnug Achtung gswinnen, um sis abzuschfitteln. Nash einem halbstfindigsn Schlfifchsn auf dsr Bank lockt ihn das Sturmgslaut absr doch auf den Schauplatz dsr Handlung. Dis ausffihrlichs Beschreibung dss Empfangs von Brudsr Henricus in Corvsy schafft sins stimmungsvolls Besinnungspauss. Absr dann wsckt das Lsuten auch die Abtsi aus dem Schlaf. In detsr ffihrt dsr swig zitierends Student dsn Lessr durch dis sich fiberstfirzendsn Ereignisse. Belustigt sisht sr Onksl und Tants beschimpft und angsgriffsn, und belustigt erinnsrt er sich angesichts dss fibsl zu- sammengsschlagsnen katholischsn Kfistsrs an die vor drsi Jahren Seite an Seite mit ihm gsfochtsne Bausrnschlacht. Lstztsre ffihrt den Lessr zurfick nach Corvsy, wo nun dis Mannschaft nach deter aufbricht. Dsr desl stsckt das Hans eines Judsn in Brand und misshandslt die Bewohner. Damit vsrtisft sich dsr Ausdruck dsr Erzéhlung, dis visr Hand- lungsfadsn laufsn zusammsn, und die Aktion gsht auf die sinlsitsnd vor- gsstslltsn visr Hauptpersonsn fiber. Dis alts Leah und ihre Enkslin ducksn h2 sich vor dsr mit dsr Brandstiftung drohsnden Gsfahr in ihrsm ungsschfitz- ten Haus, wahrsnd dsr zurfickgsblisbsns, greiss Corvsysr Ksllsrmsistsr auf ssinsn Bsobachtungspostsn rfickt. Gleichzeitig vergsht dem Student das Zitisren, sr grsift sin gegen den ausssr Kontrolls gsratsnsn desl, und die Corvsysr Mannschaft dringt ruhsstiftsnd zum Tatort vor. Wfihrsnd dsr Brandwachs findsn sich dsr Student und Brudsr Heinrich zu einem Gssprfich zusammsn, in dem dsr Mdnch schmsrzlich dis Erinnsrung an ssinsn luthsrischsn Zishbrudsr Just von Burlsbscks ausdrfickt und dss- ssn tollkfihns Strsichs wfihrsnd dss "grossen Krisgss" (XI, 3.327) prsist. Der Name Just von Burlsbscks durchzieht von nun an wie sin Symbol von Menschlichksit und Toleranz - oder wis es hier hsisst, von "Vsrnunft" - das letzte Drittsl dsr Erzfihlung. Durch dis Hilfsrufs aus dem Haus dsr Leah wird disses Gssprfich unterbrochen, absr nicht dsr Faden dsr Erzah- lung. Nachdem dis drsi Disbs fibsrrumpslt und abgsffihrt sind, srwsist sich, dass Leah als ganz jungss Madchsn Just von Burlebscks kannts. Sis hat ihm bei seinem tollkfihnen Ubsrfall unter seinem zsrschosssnen Pfsrd her- vorgsholfen und zum Dank einen seiner gesticktsn Handschuhs srhalten. Disssr Handschuh hat sich unter dsr Erbschaft wieder singsfundsn, und sr erinnsrt den Mdnch an seine Mutter, die dsn Spruch: "Gsh' grad” hinsin- gsstickt hatte. Da fragt dis Grsisin dsn krisgsgsfibtsn Mdnch unvsrmittslt: "'Habt 1hr den Frisdsn gsfunden in den Mausrn dsr grossen Abtsi?'" (XI, S.3h0) Der bleibt ihr dis dirskts Antwort schuldig, absr sein Fatalismus klingt dsr alten Jfidin sehr vsrtraut. Dis patriarchalisch-biblischs Ausdrucks- wsiss dsr bsidsn Alten in diessm Gssprfich wird von dem Studsntsn in ih- rer Symbolkraft nicht srfasst. Er zsrstdrt mit seinem Zitisren die pro- phetischs Kraft dsr Aussage. Sein Trost: "Item man hat Jerusalem mehr h} als sinmal wieder aufgsbaut" (XI, 8.3hl) ist in diessm Zusammsnhang rein rhstorisch. Der Vsrgleich mit dem Hochwasssrschlamm, dsr noch dis ngsnd vsr- unstaltet, wenn sich das Wasssr schon lange vsrzogen hat, bildst hier dis Hbsrlsitung zu dem Ansturm auf das Haus dsr Leah. Das singsdrungsns VOlk Idsst sich nicht mit Wertsn abwsissn, denn "wer ist sins Stunds nach dsr Sfindflut imstands, Vsrnunft anzunshmsn?" (XI, 8.387) Und nun muss dsr Tod das ausrichtsn, was keine menschlichs Macht vsrmochte. Der Mdnch nimmt den Studentsn ffir dis Nacht mit nach Corvsy. Doch kann ihn wedsr dsr Corvsysr Weinkellsr noch dis Aussicht auf den detsr- schen Bfirgsrmeistsrpostsn zu langsrsm Elsibsn bewsgsn. Der nfichsts Tag sisht ihn auf dem ng nach Wittsnbsrg. Als Professor dsr Bersdsamksit ist er in Halls gsstorbsn. Des Studentsn Lambert fiusssrlichs Hauptrolls in dsr Erzfihlung lsgt dis Frags nach seiner Bedsutung ffir dis dichtsrischs Aussags nahs. Un- srschrocksn gsgsnfiber dsr drohsndsn Msngs, hilft er doch msist nur mit wortsn. Das unbstsiligts Zuschausn disnt ihm zur Stsigsrung dss sigsnen Vsrgnfigsns, wobei sr im Falls dss zusammengsschlagsnsn Kfistsrs hart an die Grsnzs dss Sadismus gsrfit. Den Mdnch besindruckts am msistsn sein un- bsdsnkliches Zugrsifsn, wc Hilfs wirklich ndtig war. Da Lambert dabsi sein Urtsilsvsrmdgsn nis vsrlor, erinnert sr den Klostsrbrudsr wohl an Just von Burlsbscks, dsr auch diess klars Hsitsrksit zu vsrbrsitsn vsr- stand. Raabs fasst zusammsn: In dissen schlschten und stinksnden Tagsn sisht absr dsr Herr mit Vorliebs auf solche lsichte, unvsrwfistliche Gssellsn, dis lachsnd fiber den Schmutz hinwsghfipfen und ihre Hand zur Hfilfelsistung gsrn und lachsnd da anbistsn, wo sich mancher Ehr- bars, WOhlwsiss und Hochansehnlichs mit Eksl und Unlust abwsndst ... . (XI, SeleZ) Lb Dsnnoch srschsint Lambert Tswss, mit ssinsn Kommsntaren den umstfindli— chen zeitgsndssischsn Gslshrtsnstil parodisrsnd, von allsm msrkwfirdig unberfihrt. Er wandsrt gsnauso frdhlich und innerlich unbskfimmert nach 'Wittenbsrg weitsr wie sr am Vortags nach detsr kam. Als Hauptpsrson kommt sr darum kaum in Frags. Er ist Conférsncisr. Absr such keine dsr fibrigsn Psrsonen ist genfigsnd individualisiert, um als solche gsltsn zu kdnnsn. Statt von den Charaktsrsn und ihren Handlungsn auszugshsn, fin- dst sich die Interpretation mit dsr Frags nach dem Thema verbunden. Rein formal lisgt dis Unterhaltungsszsne zwischen dem Mdnch und dsr greissn Jfidin an einem Ruhs- und Bssinnungspunkt, dsr unmittslbar in den Hdhs- und Wsndspunkt dss Geschshsns, den Tod dsr Jfidin fibsrlsitst. Dis- ss stns wird schon durch dis Erinnsrungsn dss Mdnches gsgsnfibsr dem Studentsn vorbsrsitet, wobei das Handgemsngs mit den Rfiubsrn mehr einen sffsktvollen Kontrast als sins wirklichs Unterbrechung darstsllt. An dis- ssm Ruhspunkt nun bsantwortst dsr Mdnch dis Frags dsr Jfidin mit einem ffir Christen und Judsn gleich vsrstfindlichen Fatalismus. Hab ich denn den Frisdsn suchsn wollsn, als ich sin Mdnch wurds? ... Ich bin frsilich sin alter Gssell, und da hab ich msin Gsnfigsn in Corvsy; ... was Blut und Feusr?! Da das uns vom Herrgott bestimmt war, so mag auch er - sein Name ssi gspriessn - die Rschnung bs- schliesssn. Sis wird wohl stimmen, sowohl ffir ihn als ffir uns. Und Leah ffigt rationalisisrsnd hinzu: ... dis Stolzsn bsugsn sich, und dsr Herr lacht fiber sis ... . (XI, S.3h0) Der Name dss lachsndsn Krisgsrs Just von Burlebscks steht wie sin lsuch- tender Stern fiber diessm Rsalismus, und sein Handschuh ist als Symbol seiner unbskfimmsrtsn Menschlichksit gsgsnwartig, und dsr Student hat disselbs Hsiterksit und Tolsranz gezsigt. 16 So ffillt durch dis hsitsrsn, gsraden Msnschsn sin Schimmsr dsr rsalistischsn "Vsrnunft" auf die Mitmsnschsn, und wsr von ihnen so of- fens Sinns hat wie dsr Mdnch oder dis Jfidin, dsr sisht das und kann sich daran aufrichtsn. Die von vsrstfindigen Msnschsn angestrebts, doch nur von ausssrmsnschlichsn Machten durchsstzbars "Vsrnunft" gsgsnfibsr dsr Intoleranz und Grausamksit dsr Durchschnittsmsnschsn kristallisisrt sich als das sigsntlichs Thema dsr Erzfihlung heraus. Dis dritte Erzfihlung dsr Sammlung, Eulsnpfingsten, beginnt mit den Wortsn dss Rsinscks Fuchs: "De dag was schdns, dat wedsr klar" (XI, 8.357): was sis soglsich als Satire ksnnzsichnst. Dis Vordsrgrundhandlung vollsndet sich zwischen Nachmittag und.Macht dss Pfingstsonnabsnd 1858. Es ist die Geschichts dss Zsrwfirfnissss zwi- schen zwei langjahrigsn Nachbarn und Frsundsn an dsr Hanausr Landstrasss in Frankfurt am Main. Disses Zerwfirfnis fiber den vsrstorbensn Ffirstsn eines liquidiertsn norddeutschen Kleinstaatss und die sndlichs Verlobung dsr Nachbarskindsr bildsn absr nur den Vordsrgrund ffir das Aufrollsn si- nss fiber drsissig Jahre zurficklisgendsn Ersignissss und seine Vollsndung im Wiedsrsshsn dsr Hauptbstsiligtsn. Diese Handlung birgt wenig Satirischss. Das fiusssrt sich vielmehr im Stil dsr Erzfihlung. Allss wird bis zur Akribis genau lokalisisrt und vsranschaulicht. Der Plan dss Schauplatzss lissss sich danach zeichnsn. Das srmdglicht es dem Autor, durch fibsrtrsibung zu ironisisrsn, sin wich- tigss Stilmittsl dsr Erzfihlung. Anders Mittel haben einen Ubsrraschungs- sffskt. Das sind WOrtspisls, Zitatvsrdrshungsn, unpassends Vsrglsichs und Bildsr, unsrwartsts Rsihsnfolge in Aufzahlungen, fibermassige Romantisis- rungsn und stfindigsr'Wschssl dsr Erzfihlsbens. Diese unterbrechsn immer A6 wieder den Gang dsr Handlung und objsktivisrsn sis. Das srschwsrt zwar dis Lsktfirs, bringt den Lessr absr auch zum Nachdsnksn und gibt dsr Erzfihlung sinsn didaktischsn Aspskt. Kfitchen Nsbslung muss ihre nach zwanzig Jahrsn aus Amsrika zurfick- kshrsnds Tants Lina allein vom Bahnhof abholsn, weil ihr Vatsr nach dem Zsrwfirfnis wie kopflos aus dem Hauss gsrannt ist. Der Bericht disses Zsr- wfirfnissss bleibt einer Rfickblsnds vorbshaltsn und.kommt erst, nachdsm er in Andsutungen Kfitchsns gsgsnfiber dsr Tants vorbsrsitst ist. Bis Raabs schliesslich am Ends dss drittsn Kapitsls dsn Strsit bsschrsibt, hat sr auch dis Strsithfihne - den Legationsrat Alexius Nsbslung und den Kommer- zisnrat Florsns Nfirrsnbsrg - sowie dis fibrigsn Psrsonsn charaktsrisisrt. Dis Tants Lina.Nsbs1ung ksnnt ihren Bruder gut gsnug, um nicht in sein blindwfitigss Rsnnsn sinzugrsifsn, als hatchsn und sis den Lsgations- rat vom Fuhrwsrk aus nach Sachssnhausen "rennsn" sshsn. Sis fragt das naiv "rawwslnde" (K1, 3.365) MEdchsn gsschickt aus, bis sis dis nachbar— 1ichsn Bsziehungen durchschaut und den Grund dss mysteridssn Strsitss ahnt. Mit ihrer in dsr Erziehung amsrikanischsr Ladies am Vassar College srprobten Objsktivitfit - dis Trans ist ihr sins "ssrfis-schlsimigs Fsuch- tigksit" (XI, 8.366) mit einem bsstimmtsn spszifischsn Gswicht - nimmt sis sich vor, "hier Ordnung zu stiften" (XI, S. 367). Dsr Kommsrzisnrat Florsns Nfirrsnberg - wie sein Nachbar Witwsr - bswohnt mit seinem Sohns Elardus, Professor dsr Literatur und Asthstik in Heidelberg, und seiner Haushfiltsrin sin Haus mit Gartsn. Zurfickgszo- gsnsr Zigarrsnfabrikant, ist sr begeistsrtsr Blumsn- und besonders Kak- tsenzfichtsr und gsniesst dis Ruhs seiner Gartsnlaubs gsrn mit seinem Nach- bar, dsr nur sins Etage gsmistst hat. Alsxius Nsbslung vsrtrat frfihsr sein 1:7 Lfindchen bsim Bundssrat in Frankfurt und lsbt nun auch im Ruhestand. Der letzte Ffirst seines Landss, Alexius dsr dreizshnts, war sein Tauf- pats gewessn. Um seine Loyalitat zu diessm sehr gnadigsn Ffirstsn - und wegen dsr Namensglsichhsit auch um ihn selbst - gsht es in dem Strsit. Der Kommerzisnrat hat ihn, dsn Namsn bswusst falsch aus dem Latsinischsn fibersstzsnd, einen Hering gsnannt, und dieser Schsrz ist ffir den shema- 1igsn Schfitzling seines Landssvatsrs zu grob, um ihn humorvoll zu fiber- gshsn. So schlagt er mit einer bissigen lesidigung Rottweils, dsr Hei- matstadt dss Freundss, zurfick. Disssr Blitzschlag aus hsitsrsm Himmsl ist "das srrsgends Moment". Er bringt dis Beziehung dss unsingsstandsnsn Lis- bsspaarss in Bewsguxg, knfipft sin Band wohlwollsndsn Einverstfindnissss zwischen dsr Tants und dem Kommsrzienrat und schafft schliesslich auch den shemaligsn Verlobtsn dsr Tants Lina, Friedrich Pssssnbsrg, zur Stells. Den zweiten Tsil dsr Erzfihlung nehmen gleichzsitigs Ersignisss wsch- sslwsiss sin. Der Professor Elard Hfirrenbsrg, von Katchsn brfiskisrt, gsht in dis Stadt auf dsr Suchs nach dem Lsgationsrat, dsr an Sachssnhaussn vorbei dis Darmstfidtsr Landstrasss sntlang "rennt". Zu Hauss an dsr Hanau- sr Landstrasss ffihrt sich untsrdsssen dsr Blumsnzfichtsr Hfirrsnberg mit- tsls eines grossen Rossnstraussss selbst bei Tants und Hichts sin. Unter dissen Ersignisssn nimmt dis Geschichte der Trsnnung Linas von ihrsm Vsrlobtsn inhaltlich und formal sine Sonderstellung sin. Schon bei der ersten Rfickblsnds, dsr rsusvollen Besinnung dss mfidegslaufsnen Legationsratss auf seine Ungsrschtigksit gsgsnfibsr dsr Schwsster, wird dsr Stil um einen Grad srnsthaftsr. Da handelt es sich um sins Art "innsrsr Reds", dis sowohl den "Sprschsr" ironisiert, als auch die Frinnsrung lang- sam bswusst macht. Nach dsm Zusammsntrsffsn mit Fritz Hessenberg wird dis Vsrgangenhsit auch angssprochen, und es gsbfihrt dieser Handlung dsr Vor- b8 rang. Gsmsinsam srinnsrn sich die Altergsnosssn und Studisnfrsunds dsr vsrgangsnsn Zeit, und dsr erfolgrsichs Lohgsrber und Familisnvatsr zu Romanshorn in dsr Schwsiz, hssssnbsrg, spricht immer wieder aus, dass er ksinsn Groll mehr hsgs. Mittslbar racht er sich absr doch an ssinsn charaktsrlosen Zsitgsnosssn, und zwar im ironisisrendsn Bsrufsjargon. So weit scheint ss noch ganz gsmfitlich zuzugshsn. Js mehr er absr dsn Lsgationsrat an seine Rolls bei dsr alten Geschichts srinnsrt, umso un- bsqusmsr wird dem zumuts. Schlissslich srgrsift die Rsus auch physisch von ihm Besitz und srfasst ihn wie sin Rausch, sodass er nur noch in Be- gleitung dsr bsidsn anderen den Rfickweg schafft. Es ging vor drsissig Jahren um einen Hochvsrrat im Polizsistaat dss Vormfirz. Das jungs Madchsn Lina Febelung intersssisrts sich lebhaft ffir dis Einhsit dsr deutschen Nation und unterhislt sins geheime Bsziehung gegenssitigsr Anrsgung zu dem Jurastudsntsn und Kommilitonsn ihres Bru- dsrs, Friedrich Hesssnbsrg. Den Ehsplansn dsr bsidsn kam Hesssnbsrgs Vsr- haftung "wsgsn dsmagogischer Umtrisbs" (K1, 8.395) zuvor. Bsi dsr Gs- richtsvsrhandlung ffihrts Nsbslung das Protokoll so zur Zufrisdsnheit dss Hofss, dass er den Alexiusordsn und Hesssnbsrg mshrsre Jahre Fsstung sr- hielt. Dis Bsziehung zu Lina wurde natfirlich gshsimgshaltsn, das Mfid- chen absr umgehend zu Verwandtsn geschickt. Seitdsm haben sis sich nicht mehr gssehsn. Diese Rfickblends ist in das immer wieder zur Komddie neigsnds Gssprfich zwischen Legationsrat und Lohgsrbsr singsflochten, zu dem Spatsr auch dsr Professor bsitragt. Disses Stilmittsl halt den Lessr in Spannung und vsr- bindst Nebslungs Rsus wirkungsvoll mit den Enthfillungen. In Kapitsl drsi bsgann dis erste Rfickblends mit den WCrtsn: A9 Dass wir diesnal, wie ss sich gehfirt, dem Strich nach srzahlsn, kann nismand verlangsn. Ganz und gar Ephsmsron ffihrt dis Gs- schichts auf dem Wasssrspiegsl unter den fiberhfingendsn wsidsn hin und wider und krsuzt sschsmal, she du sechs zfihlst, dis eben hingszuckte Bahn. (XI, 3.368) Raabs flicht in fast alle seine Erzfihlungsn sins Vorgsschichts sin, sr- zfihlt also kaum sinmal "dem Strich nach", und auch sonst ist die Vsrfloch- tsnheit dsr ngsnwart in dis Vsrgangsnhsit eines seiner immer wisdsrksh— rsndsn Themsn. Gswichtslos wie sine fiber dem'Wasssr spielsnds Eintags- flisgs ist seine Geschichts dsshalb noch lange nicht. Und das hfiufigs "hin und her" Fahrsn ist keine Eigsnheit dsr "Geschichts", sondern al- lein Raabss Stilmittsl. Wsnn dem Absatz fibsrhaupt sins fiber den unmittsl- barsn Stimmungsgsgsnsatz zwischen dsr Ruhe dsr Natur und dem menschlichen Zank hinausreichends Bedsutung zukommt, dann die, die Raabs auch mit ssi- nsn fibrigsn Stilmittsln vsrfolgt. Er lenkt den nach Unterhaltung suchsn- dsn Lessr bswusst von dsr tisfsrsn Bedsutung ab, die dsr weitsr Dsnksnds mit sigsner Anstrengung srgrfindsn 3011. So gewinnt sr auch dis Frsihsit ffir die satirischs Darstellung und kann alle seine Einffills, Bildungszi- tats und zeitgebundsnen Kommsntars einflschtsn. Diese Stilmittsl werdsn in wechsslndsm Ausmass bis zum Ends durchgs- haltsn. Erst als nach dem Professor und dem Lsgationsrat auch Fritz Hessenberg zu dsr Tssrunds von Tants, Hichts und Nachbar tritt, werdsn sis ffir dsssen Trsuhsrzigkeit aufgsgebsn. "Tisfsr gsschfittslt als einer dsr anderen" (XI, S.hh6), sshsn sich die Jugsnlisbsn wieder, und Lina macht dis bei weitsm kfirzssts Aussags dsr ganzsn Erzfihlung. 1hr Ssufzsr: m0 Frisdrich"'(XI, S.hh6) enthfilt die ganzs Last dsr Enttfiuschung, in dis ”diess zankischs, nichtsnutzigs, katzbalgsrischs Wslt"'disss'"zwei mit wohlmsinsndsm Herzen und gutsr Gesinnung"'(Frisdrich Hesssnbsrg, dass.) bsgabtsn Msnschsn hinsinstisss. Demgsgsnfibsr kdnnen dis anderen nur 50 "stupide" dasitzsn. Diese allgemein msnschlichs Aussags bskommt einen besondersn Aspskt dadurch, dass zwei Auslandsdeutschs sis dsr klsin- staatlsrischsn Hsimat demonstrisrsn. Dis Bedsutung disses Aspsktss soll weitsr untsn behandslt werden. Die Charaktsrs dsr visrtsn Erzfihlung, Frau Salome, sind jsdsr auf seine Art ungswdhnlich. Das mag mit dem Schauplatz zusammsnhangsn. Der Harz war vor hundsrt Jahrsn noch unwsgsam und wild, und seine Menschsn lsbtsn kfimmerlich und abgssondsrt von dsr "Rbsns". Dis jfidischs Bankiers- witws Baronin Salome von Vsitor aus Berlin und dsr Justizrat Scholtsn aus Hannovsr lisbsn sinsame Bergwandsrungsn, zu densn sis sich gslsgent- lich zusammsntun. Scholtsn und der Bildhausr Querian stammsn beids aus Quaksnbrfick im Ffirstentum Osnabrfick. Desssn halbwfichsigsr Tochtsr Eiliks wsgen vsrbringt dsr Justizrat seine Somnsrferisn in diessm Jahr in dem Dorf dss Hechplatsaus, wo dsr Bildhausr sich mit dem Mfidchen vor dsr Welt vsrstsckt. Auch ohne singsborsns Bswohnsr dss Harzss zu sein, haben sis alle sigsnbrddlsrische Neigungsn. Einss Nachmittags treffsn sich die Baronin und dsr Justizrat zufal- lig. Mit einem angsrsgtsn Gssprfich, bsi dem sis sich, singsklsidst in vis- ls Bildungszitats, gsgsnssitig dis Msinung und die Achtung aussprschsn, machsn sis sich nach dem WOhnort Scholtsns auf. Scholtsn will sein Paten- kind Eiliks dsr Baronin vorstellsn, weil er auf ihr Mitgsffihl und ihre Hilfsbsrsitschaft ffir das Madchsn spskulisrt. Damit hat sr Erfolg, und auch das fiddchsn ist von dsr wohlhabsndsn Frau besindruckt. Eiliks wird sogar von solchsr Unruhe srgriffen, dass sis nachts aus dem Hauss lfiuft, um zu dsr Frau zu kommsn. Sis wagt sich dann absr nicht 51 in ihre Ndhs und streicht zwei Tags lang um die Villa Vsitor. Als Querian seine Tochtsr vsrmisst, bsschuldigt er ssinsn Frsund Scholtsn. Dabsi wird er von vielen Einwohnern unterstfitzt, bsi densn er dank ssi- nsr Ksnntnisss dsr Naturkrafts belisbt ist. Filiks wird gsrads dann vom Gartnsr dsr Villa Vsitor aufgsgriffsn, als sich die Baronin mit dem hi1- fssuchsndsn Scholtsn auf die Rfickfahrt ins Dorf bsgsbsn will. So sitzsn sis nun an dem ungswdhnlich schwfilsn Hochsommsrnachmittag zu dritt in dsr Kutschs. Querian srwsist sich als zismlich unintersssisrt an seiner Tochtsr, absr fiusssrst smpfindlich ffir das Vsrstfindnis dsr Besuchsr, was sein Wsrk betrifft. Als Scholtsn dann doch angesichts dss Gigantsn mit dem toten Kind im Arm lachsn muss, wirft dsr Bildhauer in seiner Vsr- zwsiflung einen brennsndsn Zwsig aus seinem Herdfsusr in dis hsrumlisgsn- den sagsSpfins und zsrstdrt das unhsimlichs Standbild mit dem Hammer. Dis Besuchsr kdnnen sich noch gsrads rechtZeitig vor den schnell zfingslndsn Flammen in Sichsrhsit bringsn, doch Querian kommt darin um. Der nsu aufgskommsns Sturm von dem vorbsizishsndsn Gswittsr trfigt das Vsrdsrbsn nun weitsr, bis zwei Drittsl dss ganzsn Dorfss in Flammen aufgehsn. In dieser Katastrophe srwsissn sich die Baronin und dsr Justiz- rat als schnell zupacksnds Helfsr. Eiliks ist nun pldtzlich in Gsfahr von den aufgsbrachtsn Dorfbswohnsrn, absr Frau Salome bringt sis rechtzeitig in Sichsrhsit und wird nun ihre Erzishung fibsrnshmsn. Diese handlung wird vergleichswsiss zusammenhangsnd srzahlt. Dis sin- zigs Rfickblende von Bedsutung ist in dem Brief Scholtsns an den Pastor Peter Schwanewsds in Pilsum an dsr Ems enthaltsn, wo er von seinem er- sten Trsffsn mit dsr Baronin vor drsi Jahren im Thfiringsr wald bsrichtst und dissen drittsn im Quakenbrficker Frsundssbund zwischen vielen AnsPis- 52 lungsn auf die gsmsinsams Jugsnd um Hilfs ffir das vsrnachlfissigts Paten- kind anruft. Er wsiss nicht, dass Schwanewsds schon seit einem Jahr tot ist. In dieser Frzfihlung trstsn dis Psrsonsn in den Vordsrgrund, und ih- rsn Gssprachsn wird visl Platz singsrfiumt. Dis Jfidin und dsr Justizrat haben mehr als die Lisbe zum Gsbirgs gsmsinsam. Bsids leben ausserhalb dsr Gssellschaft, und es ist ihnen sin gegenssitigsr "Trost, einem Kameradsn zu bsgsgnen, dsr gleichfalls hinkt und mit allsn Hundsn gs- hstzt wurds” (XII, 8.68). Dis Jfidin hat sich "'ducksn mfissen vor jsdsm Affront, dsr mir (ihr) argstan worden ist zu Affrontsnburg'" (XII, 8.67), und dsr Justizrat nsnnt sich und seine zwei Frsunds "'drsi geborstsns pofs ... jsdsr mit seinem Sprungs vom Henksl bis zum Bodsn, und nur ich von dsr alten Drahtbinderin Notwsndigksit ... notdfirftig konserviert'" (XII, $.75). Damit spislt sr an auf die Praxis, gesprungsns Tontdpfs mit einem Draht um den obsrsn Rand wieder haltbar zu machsn. Entgsgsn den Wor- tsn seines Bildss srhalt diess Methods sis oft noch rscht lange. So ist Scholtsn dann auch dsr Notwsndigksit sehr gut gswachssn, wahrsnd sich Querian von seiner vsrzweifeltsn Lsidenschaft zur rficksichtslossn Selbst- zsrstdrung vsrlsitsn lasst und Peter Schwanewsds sich vor dsr Hotwsndig— ksit in mystischs Betrachtungen Jakob Bdhmss vsrgrfibt und, von den Men- schsn vdllig unbsachtst, stirbt. Gegsnfibsr Scholtsns sinnlossn Beschwdrungsn auf Querians Schwslls wird Frau Salome von dieser Notwsndigksit zu dem Ausruf bewsgt: "‘Der Himmsl schfitzs und srhalts mir msin kfihl semitisch Gehirn'" (XII, 8.85). Und unter dsr praktischsn Anfordsrung dsr Katastrophe srwsissn sich bsi- ds als fiusserst umsichtig und leistungsfahig und fibsrnshmen in Panik und Unordnung dis Ffihrung. Diese Katastrophs bildst dis Bewfihrungsprobs, dis 53 sis dank ihrer gsfsstigtsn Psrsdnlichksit glanzend bestehen. Gleichzei- tig zsigt dis Wsndung zu den Mitmsnschsn bsidsn einen Auswsg aus ih- rer Bildungsisolisrung, dsr im nachstsn Sommsr in Pilsum auf den Spursn Peter Schwanewsdss weitsr vsrfolgt werdsn 5011. In ihren Gssprachen wird dsr Justizrat vor lsuter Bersdsamksit oft aggressiv, und die ebenso bsrsdts Jfidin muss ihn in seine Grenzsn wsissn. Sis hat nicht nur zu jsdsr Zeit sins Erwidsrung, sondern auch ffir jedss Problem sins konkrsts Ldsung schnell zur Hand. Scholtsn srksnnt das an, wenn sr bei ihr Rat und Hilfs sucht in ssinsn Sorgen um sein Patenkind. Das Besondsrs dieser Erzfihlung ist sins Symbolik, die ihre Aussags vsrdsutlicht. Wenn dsr alts Querian in seiner immer vsrdunkeltsn, fiber- hsiztsn Hdhls "Dorfpromsthsus" (XII, $.85) gsnannt wird, so steht das so- wohl ffir seine irrationalsn Haturkrfifts, als auch ffir das Bild dss Fsusrs, das fiber ihn hinausweist. "Fsusr, Herr Wirtl" (XII, 5.11) ruft dsr Justiz- rat glsich im Anfang dsr Geschichts, als sr im Hochgsbirgsgasthaus sitzt und sein Zundsr kein Feusr fangsn will. Er holt sich dann selbst einen brsnnsndsn Zwsig ffir ssins Pfsifs aus dem Kfichsnhsrd. Da es wisdsrum sin brsnnsndsr Zwsig ist, dsr dis Katastrophs ausldst, so stellt disses Bild den Zusammsnhang dsr Erzfihlung her. Ohns dissen Aspekt stfinds auch die ausffihrlich bsschrisbsns Episode im Gasthaus bszishungslos vor dem Ganzsn. Bins neue Richtung ffir das Vsrstandnis disses Bildss wird uns gswiesen, wenn dsr Justizrat in einer Kontsmplation fiber das stsnsbshagsn von dem zsrstdrerischen "Fsusr dsr Lsidsnschaftsn" (XII, 3.31) spricht. Querians lsidsnschaftlichsr Ausbruch in sine Vsrzwsiflungshandlung, mit dsr er zsr- stdrerischs Naturkrfifts frsisetzt, ist jsdoch nur gegen sich selbst gerich- tst. Chne die Trocksnhsit und den Wind hatte sich dsr Brand auf sein Haus Sh bsschrfinkt. Dis Gssellschaft wird nur bedroht, weil sich die Natur dsr sinmal bsfrsitsn Krafts bsmfichtigt. Auf das Vsrhfiltnis dss Menschen zur Umwslt dsutst auch das fast sinsinhalbssitigs Zitat aus Lsgationsrat Falks Frinnsrungsn an Goethe, das vor dem sigsntlichen Anfang dsr Erzfihlung steht. Es enthalt Gosthss Kommsntar zur hilflosigksit einer in einem Glassgsffiss gsfangsnsn Schlan- gs. Dis Baronin grsift einzelne Wsndungsn disses Bsrichtss wieder auf, als Scholtsn ihr zu nahe tritt: "'Sis wisssn, ich beisss, wenn man dis Hand zu vsrmssssn in msin g l a s s r n H a u s u n d G s f a n g - n i s stsckt'" (XII, 8.77). Absr auch anderen Psrsonsn dsr Erzfihlung wird sins Schlanganualitfit zugesprochsn. "Mit einer schlfinglsinglsichsn Bshsndigksit war die Eiliks in ihr Dachfenstsr gsglittsn" (XII, 8.59). Und selbst von Querian sagt Scholtsn: "'Wsnn sr nur aus seiner Haut heraus kdnnts, wfirs sr sin grosser Mann'" (XII, 3.89). Diese letzte Aussags dsutst darauf hin, dass Raabs wis Goethe das Bild als Symbol dsr verlstzbarsn menschlichen Psrsdnlichkeit vsrstshsn will, die sich vor den Angriffsn dsr Gssellschaft in ihr sngss "Haupt- futeral" (XII, 3.8) zurfickzisht und dann nicht mehr heraus kann, ob sis such will. Dies gilt ffir alle Personsn dsr Erzéhlung, doch in vsrschiede- nem Ausmass. Frau Salome gilt die hfiufigsts Bezugnahme auf das Bild, und bei Querian hat ss durch das "Fsusr dsr Leidsnschaften" den zsrstdrsnd- sten Effskt. Absr auch dsr Justizrat rechnst sich in dem Bild von den gs- borstensn pofsn zu den vom Leben Verlstztsn, und sein desschwall wird ihm zum Gefangnis. Ein drittss Bild bskommt durch seine Ethymologis symbolischs Quali- tfiten. Ichor ist das farblose Blut dsr griechischsn Gdttsr, das nach den zwei Beispielen, dis seiner ersten Erwfihnung durch den Justizrat folgsn, 55' von schmerzhaftsn Vsrlstzungsn zum Flissssn gsbracht wird (XII, 8.21/22). Scholtsn nsnnt das Wort mshrmals, absr ss bleibt immer unsrwidsrt und steht ausserhalb seines Gssprfichss mit dsr Baronin. So muss es als das Zsichsn interpretisrt werden, das allsn Menschsn gsmsinsam ist, die sich unter vielen, schmerzhaftsn Vsrlstzungsn ihren kfihlsn Vsrstand und ihre unbsirrts Hilfsbsrsitschaft srhalten haben. Dis ffinfts Erzfihlung, Dis Innsrsts, hsbt sich durch ihre Ausgswogsn- heit von den anderen ab. Sis hat sins straffs Handlung, sin klares Thema und einen sindsutigsn Aufbau. Das Thema ist dsr Sisg dsr lsbsnsbswahrsn- den Krfifts dsr hauslichsn Ordnung fiber Hass, blinds Lsidsnschaft und die Zsrstdrung dss Krisgss. Dis Handlung spislt fiber etwas mehr als sin Jahr um 1760. Der Schauplatz ist dsr Nordharz, oder gsnausr dis Mfihle an dsr Innsrsts zwischen Gross-Fdrsts und Sarstsdt. Das Auf und Ab dss ersten Schlesischsn Krisgss spislt entfsrnt in dis Handlung hinsin und macht auch diess Gegsnd unsichsr. Der Sohn Albrecht Bodsnhagen kommt nach drsi Jahren in dsr prsussi- schen Armss unsrwartst nach Hauss und wird mit dsr Bauerntochtsr Lisschsn Papsnberg verlobt. Am Tag dsr Vsrlobungsfsier spricht sein shsmaligsr Untsroffizisr, dsr sinarmige Korporal Jochen Brand, in der Mfihls vor. Er gswinnt dis Achtung dss alten Mfillsrs, dsr dis Krisgsabsntsusr seines Sohnes vorher mit Schlfigsn bestraft hatte. Spfit absnds in der schwach- srlsuchtetsn Stubs in Spukgsschichtsn und Bier hinsin hdrt dsr alts Mfil- 1er die Innsrsts schrsisn. Disses erste Mal ist es ganz klar, dass es sich da um einen Absrglaubsn handelt, dsmzufolge dem Bach etwas stsndiges ge- opfsrt werdsn muss, damit er es sich nicht innsrhalb eines Jahres selbst 56 holt. So fibergibt dsr Mfillsr am n3chstsn Mergsn sin gsbundsnss, schwar- zes Huhn dsm'Wasssr, dsr Korporal wandsrt dsr Heimat zu, und allss scheint in bsstsr Ordnung. Zwischsn den Krisgskamsradsn ist absr schon dis Bedrohung dieser Ordnung angeklungsn. Vor seinem Soldatsnabsntsuer hatte Albrecht sins Zsitlang bei der Doris aus der Buschmfihls am Harzausgang dsr Innsrsten gslsbt und ffirchtet sich vor deren Rachs, wenn sis von seiner Hochzeit erfahrt. Der Korporal bistst ihm als Alternative an, ihm wieder in die Armes zu helfsn, absr dazu kann sich Albrecht auch nicht sntschliessen. Das frfihliche Lachsn seiner schmucksn Braut und die Bequsmlichksit dss wohlgsordnstsn Hausss bedeuten ihm jstzt mehr. Im Frfihjahr ist Hochzsit, und durch den pldtzlichsn Tod dss alten Mfillsrs ist Albrecht auch gleich sein sigsner Herr. Im August, wahrsnd eines Lisbssstrsitss dsr jungsn Ehelsuts im Gartsn, schrsit die Innsrsts wieder, absr diesmal ist es dem jungen Mfiller zismlich klar, dass es Doris war. 80 nimmt er den Hund und sucht das Weidsngsstrfipp am gsgsnfibsr- liegsnden Ufsr ab. Als er unverrichtstsr Binge zurfickkshrt, ist die Mut- ter ganz still fiber ihrsm Gssangbuch gsstorbsn. Der Korporal hat sich zu Albrechts Ffirsprscher bei der wildsn Doris gemacht, srreicht absr nur das Bskenntnis ihrer unverfinderten Rachslust. In dsr Macht wird er mit dsr Vsrbrschsrbands, die sich in dsr Buschmfihls zu verstecksn pflsgt, festgsnommsn und vor Gericht gestsllt. Da seine Verwandtsn ihn im Stich lasssn, schlsppt er sich zu seinem Krisgskamsra- den, wo sr sich erst sinmal gssund pflsgsn lasssn muss. Dis letzten Fr- lsbnisss scheinsn dem Vstsransn absr den Humor gsnommsn zu haben, sr ist visl stiller, gsht dsr Hausfrau zur Hand und lisst dis weihnachtsgsschich- ts in dsr Bildsrbibel und gsnissst die ruhigs HQuslichksit. Umso entschlos- 57 ssnsr ist er, dis gsordnsts Familis dss Mfillers vor dem zu srwartsndsn Angriff dsr aus dsr Haft sntwichsnsn Doris zu vsrtsidigen. Bsi dsr Abwshr dsr fibermacht dsr Angrsifsr spfit am Hsiligabsnd ist der Mfillsr dsr schnellsts, absr dsr Korporal dsr mutigsts. Fr verlasst das Haus zu einem fibsrraschungsangriff von hintsn, schlfigt dis Banditsn auch in dis Flucht, wird absr von einem Messerstich dsr Doris tddlich vsrlstzt. Nit einem letzten, grfiulichsn Schrei bricht diess durch das Eis dss fiberschwsmmtsn Flussss und srtrinkt. Der Korporal absr stirbt zufrisdsn in dem Bewusstsein, das Haus dss Frsundss gsrsttst zu haben. Alls Spannungsrsihsn dsr Erzfihlung weissn darauf hin, dass diess Vsr- teidigung dsr Mfihls dsr Hdhspunkt dsr Frzfihlung ist. A13 Jochsn dis Doris bssucht, droht sis ihm schon sinmal so ganz nsbenbsi mit ihrem Mssssr. Auch dis anfangs allgemeins Bedrohung dsr Mfihlenbswohnsr durch dis Natur konzsntrisrt sich immer mehr auf Doris, dis sis schliesslich allein psr- sonifizisrt. Die erste Andsutung auf dissen Zusammsnhang findst sich in Albrechts Gsstfindnis dieser Bsffirchtung gsgsnfibsr dsm Korporal. Da setzt sr zum ersten Mal synonym: "Die Innsrsts, dis Doris wollt ich sagsn ..." (XII, 8.129). Der Erzfihler bsschrsibt dann ihr nixenhaftss Lausrn, als sis dis Ehslsute im Gartsn belauscht. Bsi seinem vsrhangnisvollsn Besuch in dsr Buschmfihls gsbraucht schliesslich auch Jochsn dis bsideanamsn sy- nonym. Ins Haus dss Frsundss zurfickgskshrt, warnt sr: "So wahr ich ... msinsrzsit dsr wilds Brand gewesen, so wollt ich um dsin arm, lisb, jung weib, du wfirst sichsr vor dsr Innsrsts ..." (XII, 8.181), wobei kein Zwei- fsl daran bssteht, dass er nicht den fiberschwsmmten Bach, sondern dis sntflohsns Doris msint. 5’8 Auch im Aufbau dsr Erzfihlung ist sins Entwicklung zum Hdhepunkt zu bsobachtsn. Der dis Zeit beschrsibsnden Einlsitung folgt Albrechts Hsim- kehr in die Idylls, in dis dsr Tod dss zu den Preussen angsworbsnsn Mfil- lsrgsssllen nur sins kurzs Unterbrechung bringt. Dann lsnksn dis robust- humorvollsn Erzfihlungsn Brands von ssinsn Bataillsn und seinem bei Minden lisgsngsblisbsnsn Arm zusrst dis Aufmsrksamksit auf die Rsalitat dss Kris- gss zurfick. Auf dssssn Abschisd und die Hochzsit folgt im achtsn Kapitsl dis Idylls dss unbskfimmsrt einen Paul-Gerhart-Choral schmsttsrndsn jun- gsn Ehspaarss. Durch die Voranstsllung eines Augsnzsugsnbsrichtss dsr gleichzeitigen Schlacht bei Lisgnitz bskommt diess stne sins Zentralstel- lung. Dis anfangs so sfiubsrlich abgstrsnnte Bedrohung kommt durch den Schrei dsr Doris schon nahsr, bleibt absr noch unrealistisch. Selbst dsr Tod der alten Frau ist so sanft, dass sis erst nur ffir singsnickt angs- sehsn wird. So bleibt dis Ruhs hier noch srhalten. Dann konkrstisisrt sich die Bedrohung absr immer mehr, zusrst ffir Jochsn Brand bei dsr Festnahms mit den Banditsn in dsr Buschmfihls. Nur mit Mfins kann sr seine Unschuld bewsisen und ssinsn Freispruch srrsichsn. wenn ihm dabsi auch sein Humor und sin Tsil seiner Lebenskraft abhandsn kommsn, so sisht er doch aus dsr Ksnntnis dsr Umstfinds heraus sehr rsa- listisch, wie dis Frontsn stehen. Fr will dsm Hfillsr nun anstslls dss un- ffihigsn wachhundes "den Hofhund Spislsn" (XII, 8.183). was folgt, ist nur noch die Konsequsnz dieser psrsfinlichsn Opfsrbsrsitschaft. Dis Vsrfindsrung, die mit Jochsn Brand vor sich gsht, kann nicht als Fntwicklung bszsichnet werden. Es handelt sich vielmehr um sins Entfaltung seiner Psrsdnlichksit zu ihrsm vollsn Potential. Gleichsr Art ist die Vsr- wandlung, dis an Albrecht dodsnhagsn zu bsobachtsn ist. 59 Durch dis tatkrfiftigs Vsrtsidigung von Haus und Hof erwirbt sr sich nachtrfiglich das Rscht zu dem Glfick, das ihm bishsr so unverdisnt in den Schoss fiel. Dsnnoch verlasst er in dsr Darstellung nis dis Schablons dss naiven Heldsn. Selbst dsr Korporal glaubt ihm nicht den "wildsn" Bodsnhagen von frfihsr, und die widerspruchsloss Untsrordnung unter das fiberstrengs Regiment dss Vatsrs macht ihn nicht sindrucksvollsr. Er lisbt und freit dis ihm bestimmts Frau, und selbst seine Suche nach dem Schrei- sr ist mit dem Hund am lichtsn Tag keine besonders Muttat. was ihn vsrtsi- digungswsrt macht, ist ssin Lisschsn, denn wo immer es srschsint, ist es, "als ob sin frdhlichsr Schsin von ihm ausgehs" (XII, 8.131). Besonders dsr Korporal bsruft sich immer wieder auf die junge Frau, wenn sr von dsr Erhaltung "dsr Frisdlichksit und Stilligksit" (XII, 8.186) ihres Hsim- wsssns spricht. So sisht es fast so aus, als wsnn Albrecht ohne sein Lisschsn dsr sigsnen Raivitfit und lepslhaftigksit zum Opfsr gsfallsn wa- rs. Absr da er dank vatsrlichsr Weishsit "jstzo dem Stabs Sanft parisrsn" (XII, 8.1h8) muss, scheint sr auch unter dem Schutzs disses Frisdsns zu stehen, und als dis Ehelsuts gar noch sins Wisge anschaffsn, ist es klar, dass sr nicht angsgriffsn werden darf. So srwsist sich die jungs Hausfrau als das ngsnbild zu dsr zsrstfirungswfitigsn "Tollhsit" (XII, 8.168) dsr grfinfiugigen Nixs Doris, alias Innsrsts. Am Schluss dsr Krfihenfelder Geschichten steht sins "Hochsommsrgs- schichte", wie es im Untsrtitsl hsisst, dis ursprfinglich den Titsl ffir dis Sammlung abgsbsn sollte. Egg alten Proteus ist bei dsr Auflfisung dsr Sammlung in Einzslsrzfihlungen am unbskanntsstsn gebliebsn, obwohl Raabs sis ffir wfirdig fend, ihn in ssinsn P sammsltsn Erzfihlungsn (1897) zu vsr- trstsn, densn sr Zum wildsn Mann nicht bsiffigts. Dis Handlung ist unbe- 60 deutsnd und wenig schlfissig, dsr Schauplatz bleibt unbsstimmt, und die Charaktsrs vsrlisrsn sich in dsr Allsgoris. Das Ganzs ist mit einer grossen Zahl srzfihlsrischsr Exkurss durchsstzt, dis sich in antiksn und zsitgsschichtlichsn Andsutungen ergshen und einen kulturkritischsn Ton pflsgsn. Hans Butzmann versucht, diess Eigsntfimlichksit biografisch zu srkla- rsn, wenn sr andsutst, dass Raabss Wsrk zu dieser Zeit als "Kulturhisto- ris" und "Dichtsrjournalismus" katsgorisisrt wurds. Um sich darfibsr hin- wsg zu sstzsn, "bsstand ffir ihn nicht dis Mdglichksit, sich im freisn Spiel dsr Phantasis vom Stofflichsn zu lfisen?" (XII, 8.526) Friedrich i ., Nsumann nsnnt dis Erzahlung "sin opsrnhaftss Satyrspiel". Hisr 5011 ver- sucht werden, sis von dsr Aussags dsr anderen ffinf Geschichten her zu interpretisrsn. Frsiss PhantasisSpisl scheint Raabs den ersten Absatz singegsbsn zu haben, in dem er mit bskanntsn Bildern dis Erds als Schauplatz aufbaut. Er ruft das absr ab: "Rein, ss gsht wirklich und wahrhaftig so nicht." (XII, 8.199) Dann folgt fiber sinsinhalb Seitsn sins stimmungsvolls Einlei- tung zu Shakespearss Sommsrnachtstraum, an den sich die "Hochsommsrge- schichts" in dsr Folgs anlshnt. Ohns dsn Protest von "ffinf Sschstsl dss Publikums" (XII, 8.200) zu bsrficksichtigen, wendst sich dsr Dichter an die Leser, dis "sich mit einem Male ... im walde vor dem Tor von Athsn vsrlorsn" (das.) haben. Hit dsr Hilfs dieser "geschsitsn Lsute" (XII, 8.201) baut sr sein Phantasiegsbilds auf. LO Friedrich Nsumann, "Wilhelm Raabss Erzfihlung 'Vom alten Proteus'", Zsitschrift ffir deutsche Philologis, 78, 8.150. 61 Raabss Gsstaltsn vsrteilsn sich nicht auf drsi stsnsbsrsichs wie bei Shakespeare, sondern hdchstsns auf zwei, und das Kauzigs dsr Hand- wsrksrparodis findst sich in dsr Bfirgsrwelt ebenso wie in dsr Gsistsr- welt. Das Stilmittsl dazu ist sins sigsntfimlichs Wisdsrholung gswisssr Satztsils oder Worts, die die Aussags ausmachsn. Bsispislswsise "trug dieser waldbrudsr natfirlich einen langen, shrwfirdigsn, grauen Bart und sins sbsnfalls lange, shrwfirdigs, graus Kutts, dis er mit einem Strick ... um die Hfiftsn zusammsnzog und -hielt" (XII, 8.202). Oder "diess Stadt ... war voll von allsrlsi Volk, vom Kdnig abwfirts bis zum Bsttsl- mann und von dsr Kdnigin bis zur Bsttlsrin." (XII, 8.203) In positivsr wie negativer Vsrstfirkung disnt dies nicht zur Vsrtisfung dsr Aussags wie in der vorklassischsn Possis, sondern macht die Aussags mit rsalsn Mittsln vdllig diffus. Dansbsn bsnutzt Raabs oft sein beliebtss Selbst- zitat, das disselbs Wirkung zsigt. Ausssrdsm vsrwsndst sr Sondersprachsn seiner Zeit mit parodistischer Absicht. So spricht das banalisisrts Lisbespaar in den Schablonsn dsr zsitgsndssischsn Schnulzsnlitsratur und lsbt in einer fibsrindividusllsn, vsrallgsmsinsrtsn Umwslt. Dies ldst zusammsn mit den hfiufigen Exkurssn dis gsrings Substanz dsr Handlung noch mehr auf. Einzslns mit stilistischsn Mittsln konkretisisrts stnsn, die in dsutlichem ngsnsatz zur Unbsstimmthsit dss Gssamtschauplatzss stehen, vsrstarksn dis humoristischs Wirkung. Dis Handlung spinnt nur sins sehr lsichts Verbindung zwischen den sinzslnsn Konkrstisisrungsn. Das Lisbespaar Hilarion Abwartsr und Ernssta Pispenschnieder trifft sich hsimlich, und zwar wie Pyramus und Thisbs auf vsrschiedensn Ssitsn dss.hintsrsn Gartsnzaunss am Fltsrnhauss dss Mfidchsns. Der Onksl Pfitsrich 62 fibt absr auf die Eltsrn dss MHdchsns einen "Zaubsr" aus, indsm sr an die Erbschaft seines Vsrmdgsns dis Ehs dsr Tochtsr mit seinem Schfitzling Magsrstsdt als Bedingung knfipft. Dies stellt sich bsim Schachspisl dsr Komplizsn heraus, das im lsdsrtapezisrten, dunklsn Zimmer dss Pfitsrichs- hofss stilgsrecht in Schlafrdcksn und mit langsn Tabakspfeifsn stattfin- dst. Das Gaunsrgssprach wird unterbrochen, als sin altes Damenbild sich von dsr Wand 18st und zu Bodsn ffillt. Sis srschrscksn zu rscht, denn jstzt grsift dis Gsistsrwelt in Gestalt dsr Rosa von Krippsn sin, dis ihren Irrtum in dsr Lisbe zu Pfitsrich - sis starb an gsbrochsnsm Herzsn - durch ihre drsissigjfihrige Vsrbannung hinter die Tapsts im Zimmer dss shemaligsn Gsliebtsn bfissen musste. Der Geist srschsint mittsrnfichtlich dem dichtsnden Hilarion und schickt ihn zu dem Einsisdler, dem sinzigsn, dsr ihm helfen kann - wie er behauptst. So vsrabrsdst sich das jungs Paar zur "Wallfahrt" in den'Wald. Auf dem Weg bsgsgnst ihnen dsr swig bstrunksns Forstgshilfs Oppermann, und ss srschsint ihnen die sbsnfalls zur Busss vsrbannts shsmaligs Theatertfinzsrin Innocentia. Dsr Einsiedlsr, Vatsr Konstantius, ist, wie vorhergssagt, von Zahnweh gsplagt und vsr- sucht, sich das mit Strfimpfestricksn zu vsrtrsiben. Hisr ist die sinzigs Vsrdichtung dsr Geschichts zur Handlung, denn dsr gsplagts Einsisdlsr flisht vor dem Paar. Gswalt kann ihn nicht zum Zuhfirsn bewsgsn. Erst als Hilarion die Grfisss dsr zwei Geistsrjungfsrn bestsllt, bringt er den A1- tsn zur Bssinnung. Der gsgsnssitigs Bericht klart dis gshsimnisvolls Vsr- bindung als zwei unsingsstandsns Lisbssvsrhfiltnisss auf. Pfitsrich vsr— shrts aus rsinsr Vsrgnfigungssucht dis Tanzsrin, dis Konstantius lisbts, welchsr ssinsrssits seine Neigung zu Rosa unsrwidsrt fand, weil sis Pfitsrich gswogsn war. 63 Disssr ganzs zweite Tsil dsr Handlung srwsist sich absr als hand- lungsunwichtig, denn Ernssta wird nicht durch das Eingreifen dss zu Zahnarzt und Welt zurfickgskshrtsn Einsisdlsrs, sondern durch den Bankerott dsr zwei Vsrschwdrsr vor deren Anschlag auf ihre Hand gsrsttst. Es vsr- lisrt absr auch dsr erste Tsil dsr Handlung ssinsn Sinn, weil dis Vsr- sinigung dss Paarss am Ends offsn bleibt. Bei aller Unbsstimmthsit vsrlsgsn doch dis Konkrstisisrungen dis Geschichts sindsutig in das bfirgerlichs Deutschland dsr zweiten Hfilfts dss neunzehnten Jahrhunderts. Zum Beispiel findst sich das Paar zum nficht- lichen Stelldichsin durch "das zisrlichs, wenn auch solids sissrns Gittsr" (XII, 8.211) dsr mit allsm Komfort dsr Zeit auSgsstattstsn Villa. Dort bittet das Madchsn: "Sish nicht wieder mit dem Dpsrnglass nach unsersr Logs wie nsulich in Romeo und Julie. ngsn das, was ich nachhsr bsim Nach- hausefahrsn von Mama anzuhdren hatte ... war das ganzs Trauerspiel ... nichts." (XII, 8.210) Hilarion srwartst am Ends den vsrmsintlich ordnungs- stiftendsn Ex—Einsisdlsr in einer Konditorsi, wo sr "innsrhalb dsr hal- ben Stunds seines Aufsnthalts" im Wettbewsrb mit "den grossartigstsn Ku- chsnssssrinnsn und Paststen- und Likdrkonsumisten dsr Stadt" so stark "in Sfissigkeitsn gewfitst” hat (XII, 8.282), dass sr "'sich grfindlich den Magsn vsrdorbsn'" hat (XII, 8.288). Modischs Schablonsn findsn sich fiberall. Hilarion dichtst, malt und Spislt Pianino nachwsislich stfimpsrhaft, absr vollsr Geffihl. Dr rsdst wie sin Held dsr Vorstadtbfihns. Bsids Lisbsnds sparsn nicht mit Geffihlsfiusss- rungsn und fallen von einem "Ah" und "0h" ins andsre. 6h Dis fiberscharfs Sicht dsr ngsnwart und ihre humorvoll-kritischs Darstellung macht das ganzs Stfick kulturkritisch. Diese Kritik bshandslt absr nur Ausssrlichksitsn. Die Frags nach dsr von Raabs beabsichtigtsn tisfsrsn Wirkung drsht sich darum, wo dis Wirklichksit sich vom Phanta- sisgsbilde absstzsn 5011. In 213 Innsrsts rationalisiert dis Gestalt dsr Doris den Absrglaubsn. hundsrt Jahre spfitsr steht das dichtsrischs Phan- tasisgsbilds einer durch und durch rationalisiertsn und gfinzlich srklar- ten Welt gsgsnfibsr. So selbstsichsr ist man in seinem Vsrtrausn auf die Manipulisrbarksit dsr sinnlich wahrnshmbaren Phfinomsns, dass sins Gsistsr- geschichts nur mitlsidigss Lficheln hsrvorruft. So muss sich Raabs an das sins Sschstsl dss :uolikums wendsn, dem dis Phantasisgsbilds bsiSpisls- weiss eines Sommsrnachtstraums noch Spass machsn. Nur bei dissen kann er auch Vsrstfindnis srwartsn ffir seine Msinung zu dem "beliebten Versuch, allss ganz natfirlich" zu srklarsn (XII, 8.220), wie ss dis bsidsn Schach- spielsr angesichts dss scheinbar grundlos von dsr Hand geldstsn Bildss tun. Wir, dsr Autor, gshstzt mit allsn Hundsn dsr Kultur dss neunzehn- tsn Jahrhunderts wisssn das (es ging nicht 'natfirlich' zu.) und gsbsn den N s r v s n dsr bsidsn alten Herrsn rscht und nicht dem Fassungsvsrmdgsn ihrer logischsn Dsnkffihigksit; wobei ... dis srstsrsn immer sins Rsalitfit sind, wfihrend das letzters dann und wann sins schdns deensart ist. (XII, 8.220) Dis Nervsn dsutsn also auf die Tatsachs, dass es Rsalitatsn gibt, von ds- nsn sich die Realisnforschsr dieser Zeit nichts trfiumsn lasssn. Disssr Angriff auf die Wirklichksits- und Fortschrittsglfiubigksit seiner Zeit ist gleichzsitig sins Vsrtsidigung ffir dss Dichters idealistischsn Rea- lismus. Ffir diess Geschichts bsdsutst das, dass Raabs seiner fast substanzlossn Handlung und ihren gsistsrhaftsn Trfigsrn dis grdssts Bedsutung zukommsn 6S lasst. Bsids Gsistsr stammsn von gsffihlvollsn, jungsn Damen, die ffir dis Unnatfirlichksit, an gsbrochsnsm Herzsn zu stsrbsn, sins drsissig- jahrigs Busss angesichts dss sinstmals Gsliebtsn absitzsn mfisssn. Ihr Ringrsifsn und ihre Grfisss an Konstantius ffihrsn dem Einsisdlsr dis vol- ls Sinnlosigksit seiner Absondsrung vor Augsn und bringsn ihn in dis msnschlichs Gssellschaft zurfick. Darfibsr hinaus wendst sich die Aussags gegen dis Untsrlassung dsr sntscheidsndsn Handlung. Dis Lisbe dsr MAdchsn konnte nicht srwidsrt werden, weil sis nicht gsstanden wurds. Dsshalb vsrlief sis unglficklich. Der rfickhaltloss Gsffihlssrguss dss jungsn Paares wird jsdoch auch ironisch gsgsissslt. Raabs lasst dis glficklichs Ldsung ihrer Bszishung offsn. Seine Sympathis gilt wohl dem Einsiedlsr, dem sein realistischsr Blick von ausssn trotz seiner freiwilligsn Rfickkehr in dis Gssellschaft sins Sonderstellung bewahrsn muss. Ein "Pispsnschniedsr" kann er nicht mehr werden, auch nicht durch Einhsirat wie Hilarion. Er bleibt sin schar- fer Kritiksr dieser "grossen Familis" (XII, 8.20h) und rfickt damit in dis Nahs einer Raabsschsn Sslbstdarstsllung. DIE ELEMENTE DES WACHSENDEN REALISMUS RAABES IN DELI KRAHEVFELDER GESCHICHTEN Es ist ein angeborenes Rscht des Menschsn, sich nach jsdsm ... Vsrdruss schnellstsns in alle mdglichsn ... Ssligkeiten ... hinsinzulfigen. ... Manchmal ist die wiedergewonnene gute Laune von Dausr, manchmal absr ffihrt sis auch vorfibsr wie sin Sonnsn- blick an einem Apriltags. In letztersm Falls rsdst dis Welt in allsn Zungsn von Eulsnpfingstsn - St. Nimmsrlsinstags - vsr- schisbt das Bshagsn am Erdsnlebsn at latter Lammas ... (XI, S.h26-h27) Diese sausr-humorvolls Resignation findst sich in vislfachsn Abstufungen bei allsn Heldsn dsr sechs Geschichten und bildst dis Grundlags ihrer thematischsn Einhsit. Der Apothsksr Philipp Kristellsr gibt das voll- kommensts Beispiel ffir den selbstlossn Vsrzicht auf alle materiellen Gfitsr. Die Zeit hat allsn Menschsn in detsr und Corvey immer wieder die materiellen stsnsgrundlagsn zsrstdrt, ohne ihnen den hoffnungsvollen Ls- bsnswillsn zu nshmen. Angssichts ihres jfingstsn "Eulsnpfingstsn" kdnnsn absr nicht alle so ruhig sntsagsn wie dis alts Jfidin Leah. Als dis Fran— zossn endlich mit dsr gssamtsn Ernts dss Jahres abzishsn und nur Zsr- stdrung und Drsck in dsr Stadt zurfickblsibsn, macht sich die Vsrzwsiflung Luft. Lambert Tswss vsrmag immer noch sein "Bshagen am Erdsnlsbsn" zu findsn. Er ist sogar so fest sntschlosssn, als unbstsiligtsr Zuschausr sein ”Bshagsn" in dsr Wut dsr Msngs zu suchsn, dass sr fast sins Untsrlas- sungssfinde begsht. Der Klostsrbrudsr kann als sinfachsr alter Mann sein "Bshagsn" in den physischsn Gsnfisssn findsn, die die Abtsi ihm bistst. Den Studentsn vsrmag sr wedsr damit noch mit dsr Klostsrbibliothek zu haltsn. Dsr wird sin belustigtsr Zuschausr und Kommsntator dsr Tollhsi- tsn seiner Zsitgenossen bleibsn. 6? Als dis Frzfihlung sinsstzt, haben dis Tants Lina und Fritz Hesssnbsrg ihr "Eulenpfingstsn" langst hinter sich. Dsnnoch gsrfit‘immsr wieder sine anklagends Bittsrksit in ihre Worts, wenn sis sich dsr gros- sen Enttauschung srinnsrn, denn diess Enttfiuschung war grfisssr, als sis zugsben wollsn. Dsnnoch muss man annehmsn, dass bsids in ihrer tatkrfif- tig aufgsbautsn, nsusn Existsnz sin gswissss "Behagsn am Erdsnlsbsn" gswinnsn konnten. Absr dis alts Heimat und die shsmaligsn Bstsiligtsn haben sich so srschrscksnd unvsrfindert srhalten, dass ihnen angesichts dsr verhasstsn Missténds dis humorvolls Resignation schwsr ffillt. Dem— gsgsnfibsr nutzt das jungs Lisbespaar sein "angeborenes Rscht", sich in dis "Ssligksitsn dsr Zukunft sslbsr hinsinzulfigsnfl,sifrig aus. Ichor, das hsimlichs Ksnnzsichsn aller Menschsn, densn oft sin "Eulsnpfingsten" bsrsitst wurds, umfasst neben Resignation und Hoffnung auf "Behagsn" einen drittsn Aspskt. Hisr kommt dis mitmsnschlichs Vsr- antwortung dazu, die die Baronin Vsitor und dsr Justizrat Scholtsn nicht nur bei dem Brand im Dorf, sondern auch gsgsnfibsr dem Mddchsn Eiliks fibsn. Dadurch srhellt sich im Rfickblick auch dis aufopfsrnds Trsus Dorstts Kristellers zu ihrsm Brudsr, dssssn fiberzsugungsn sis nicht tsilt. Lambert Tswss und dsr Mdnch greifen sbsnfalls helfsnd sin, wo immer es ndtig ist. Sis sind absr angesichts dsr aufgsrsgten Menge hilflos. Dis Tants Lina smpfindst sins vergnfigts Rachslust an ihrsm Brudsr, als sis wfihrend dss- ssn Abwsssnheit dis Ehs dsr Nachbarskindsr plant. Diese Hilfs ist absr kaum von opfsrwilligsr Mitmsnschlichksit bestimmt. Das Opfsr an Kraft und ssslischsm Zuspruch, das dis bsidsn Hauptpsr- sonsn in Frau Salome bringsn, wird weit fibsrragt durch das bswussts Sslbst- opfer dss Korporals Brand in Die Innsrsts. Der alts Haudsgsn hat das bs- schsidsns "Bshagen" dss einfachen Lebens bei den Mfillsrslsutsn als so hsils- 68 krfiftig srfahrsn, dass er sein Leben ffir dssssn Fortdausr sinsstzt. Dis Aussags dsr letzten Geschichts ist durch den Humor vsrschlsi- srt und wird oft vsrschisdsn vsrstandsn. Friedrich Nsumann z.B. stellt Al sis in seiner Interpretation mit Abu Telfan zusammsn. In dsr Zusammsn- schau mit den anderen ffinf Geschichten findst sich sin visrtsr Aspskt dsr thematischsn Einhsit. Zwei Lisbespaars sind vor drsissig Jahren nicht zu- sammsn gskommsn, weil sich die Madchsn in den Tod flfichtstsn. Vom Mssr- gott Proteus, dsr hier symbolisch ffir das "Leben" steht, wurds ihnen si- ns drsissigjfihrige Busss aufsrlegt. Disses obsrsts Prinzip, das "Leben", kann den Menschsn nicht sich selbst zsrstdren lasssn, sondern zwingt ihn, sich mit seiner Lage gsduldig abzufindsn, wie ss dsr Ex-Einsisdlsr am Ends dsr sschstsn Geschichts tut. Auch dis anderen ffinf Gsscnichtsn bs- schrsibsn Bsispiele disses hoffnungsvollsn stsnswillsns, dsr fiber alle Enttauschungen sisgt. Wilhelm Raabs hat seine Krfihsnfslder Geschichten nicht als Novellsn bstitslt, "wfihrend er in Brisfsn durchaus von 'Novsllen' spricht." Pongs vsrmutst darum, dass Raabs diess erzfihlsrischs Kurzform in bswuss- tsm ngsnsatz zu Hsysss gsrade srschisnsnsr Novellsntheoris schrisb};3 Das kann hier nicht untersucht werden, doch wird sin kurzsr Vsrglsich helfsn, Raabss individuslls Form zu srfasssn. Hsyss verlangt sins klars, markants Geschichts, die, von einem sinn- ffilligsn Symbol bsglsitst, sich zfigig von Episode zu Episode sntwickslt. hlergl. Anm.A0. A2 Pongs, 8.338. A3 das. 69 Bsim Wsndspunkt dsr Handlung soll das Symbol gleichfalls in den Vordsr- grund trstsn. Ein Rahmsn hat den Erzfihler zu legitimisrsn und die Aus- sags dsr Geschichts mit dsr ngsnwart zu vsrbindsn. Raabss Form ist wenigsr streng. Er mag dis Novells als Arbsits- hypothsss bsnutzt haben (XII, 8.25h), ist absr in allsn Einzslhsitsn ssi- nsn sigsnen ng gsgangsn. Raabs hat den Rahmen aufgsgebsn und vsrbindst seine Erzfihlsrrolls stattdssssn mit dem ganzsn Gsschshsn. Die lronis dsr Sprachs, sin dirsktsr Kommsntar dss Erzfihlers und sinigsmal sogar dis wdrtliche Rsaktion dss srwartstsn Lsssrs drficksn dis Stellung dss Autors zu seiner Geschichts aus. Symbols in isysss strengsm Sinn werdsn nicht vsrwsndst. Auch ist nur in Zum wildsn Mann dis handlung gsschlosssn gs- nug, um den Lessr zu fssseln. Dis Wsndspunkts schliesslich stehen an den vsrschiedenstsn Stellsn und fallen nur zwsimal mit dem Hdhspunkt dsr Handlung zusammsn. So sehr das nach einer nsgativsn Orientisrung an Hsysss Fordsrung aussisht, so ist es doch auch in Raabss Schrsibintsntion bsgrfindst. Der singrsifsnds und unterbrschends Kommsntar dss Erzfihlers wird in den sechs Geschichten vsrschisdsn vsrwsndst. wo dis handlung einen Zusam- msnhang hsrstsllt, tritt sr nur an Ruhsnunktsn dsrsslbsn auf. Bsi dsr of- fsnsn Handlung von Fulenpfingstsn und Vom alten Proteus vsrteilt er sich fiber dis ganzs Erzfihlung. Diessr Kommsntar stellt die Ersignisss neben Ahnlichs aus dsr Vsrgangsnhsit, unterbricht dis Gsffihlsbindung dss Lsssrs an den Stoff und rsgt ihn zum Nachdsnksn an. Er hat dsmnach sins vsrall- gsmsinsrnds und objsktivisrsnds Wirkung. Disssr Kommsntar vsrwsndst Sslbstzitats in vsrschiedensr Form, von dsr simplsn Wisdsrholung oder Vsrdoppslung von Aussagsntsilsn bis zur Wiedsrvsrwsndung einer Psrsonsnbsschrsibung. Lstztsrs rsicht in sinigen 70 Ffillsn in dis Ffihs dss Lsitmotivs; so wird z.B. dis Einarmigkeit dss Korporals Jochsn jsdssmal angssprochsn, wenn er auftritt,und bsglsi- tst ihn wie sin bsstimmtss musikalischss Thema den Heldsn einer Wagner-Opsr. Diese Vsrstfimmslung ist das Schlfissslersignis, das dss Korporals Leben verandsrt hat. Er vsrstsht sis ganz bswusst als Schick- salhafts Bsschrfinkung und trfigt sis mit Humor. Ahnlichss gilt ffir dis krisgsrischs Harriers Agostins in Sfidameri- ka. Der Erzfihler rsduzisrt sis zu den Attributsn "dsr brasilianischs Obsrst" oder sinfach "dsr Obsrst", die ihm immer wieder gsgsbsn werden. Der Soldat selbst bssindruckt geschickt dis ganzs Gegsnd mit seiner lautsn Aggressivitfit. Der gslisbts Horaz dss Lambert Tswss setzt dis Rsihs dsr Lsitmoti- vs fort. Als dis Ersignisss das Zitisren vsrbistsn, tritt das Bush selbst in Aktion, z.B. als Waffe gegen dis Plfindsrsr im hauss dsr Leah. Dis jfidischs Hsrkunft dsr Frau Salome ist sin fortlaufsnd srwfihntss Kenn- zsichsn ihrer Person. Msistsns ist es Scholtsn, dsr sis bsrsdt daran srinnsrt, absr auch sis selbst ruft dissen psrsdnlichsn Umstand immer wieder ins Gedfichtnis dss Lsssrs. Ein Element dss Rsalismus, das sich in allsn'Wsrksn Raabss anfindst, ist seine Vsrwsndung sinsr individusllsn Ausdruckswsiss. Seine Psrsonsn rsdsn visl und ausschwsifsnd und oft in dsr Weiss einer bsstimmtsn Zeit oder Bsrufsgrupps. Altsrtfimlichksitsn gibt es in den historischen Er- zfihlungsn. So disnt sin mittslaltsrlichss Gsmisch von Deutsch und Latsi- nisch dsr Typisisrung Vatsr Adslhardus', dss hellsrmsisters dsr Abtsi Corvey. Bibsldsutsch bsnutzsn alle Psrsonen in detsr und Corvey, absr besonders dsr luthsrischs Pfarrsr. In Dis Innsrsts ist es neben einer gslsgsntlichsn Umstfindlichksit dss Ausdrucks in srster Linie dis Art dsr 71 Anrsds, die das achtzshnts Jahrhundsrt lsbendig machsn 3011. Der Fdr- ster in Zum wildsn Mann sowie dsr Gerber Fritz Hesssnbsrg bsnutzsn ihre Bsrufssprachs. Damit werden sis nicht nur charaktsrisiert, son- dern bezishsn auch - naiv oder ironisch ~ alle Frfahrungen auf das (bbist ihres Vsrstandnissss. Eins vsrbrsitsts Vsrwsndung dss eigentli- chen Dialskts lfisst sich bsi Raabs absr noch nicht fsststsllsn; doch wurden gswisss Anklangs an das Jiddischs von Frau Salome vsrwsndst, "wenn sis in Lsidsnschaft gsrist‘I (XII, 8.67). Alls diess formalsn Besonderheiten Raabss gsbsn ssinsn Erzfihlun- gen sins persfinlichs Form, dis sich schwsr in irgsndein Schema dsr Literaturkritik sinffigt. Raabs legt grdsssren Wsrt auf die inhaltlichs Aussags und bsachtst dis Form nur, sowsit sis zur Aussags bsitragt. Diese Aufgsldsthsit wirkt vsrallgemsinsrnd und srwsitsrt den konkretsn Stoff zum Sinnbild ffir die Vsrlorsnhsit dss Einzslnen in dsr Welt. Raabss Frzfihlungsn sind oft von dsr Bsschrsibung dsr Gharakters gstragsn, absr nur zwsimal wird sin Charaktsrgsgsnsatz inhaltlich und formal gsstaltungswirksam. Philipp Kristellsr und Agostin Agonista haben bsids das Leben gsmsistsrt und sins gswisss weltwsishsit gewonnen. Doch steht gfitigs, humorvolls Sslbstbsschsidung gegen anmasssnds, hsrrschsfichtigs Ichsucht. Kristellers Gfits und Resignation kann den grundsfitzlichsn Gegsnsatz dsr Charaktsrs nicht fibsrwindsn. Dis Frauen Doris und Lisss rsprfissntisrsn jsde ihre eigene Welt. Ksins kann die andsrs in ihrsm Machtbsrsich duldsn, sodass sis sich kfimpferisch gsgsn- fibsrstshsn. Dabsi stellt dis zsrstdrsrischs, egoistischs Lsidsnschaft dsr Doris dsn Aggressor dar, wfihrsnd Lisss ihrsm Wssen gsmass passiv bleibt. Absr auch ohne ihr Zutun srstsht ihrer lsbsnsbswahrsndsn Welt 72 dsr Hauslichksit sin Vsrtsidiger. Innerhalb einer Person nsigsn Charaktsrgsgensfitzs.dazu, den Zusam- msnhang dsr handlung aufzuldssn. Justizrat Scholtsn ist unter dem Gegsn- satz zwischen aggressivsr Schfirfs im Ton - "selbst dis Hunds wagen sich nicht an ihn" (XII, 8.20) - und dsr gfitigen sozialsn Vsrantwortung zum Kauz gsworden. Frau Salome wird trotz ihrer Gfits von dsr habgisrigen Vsrwandtschaft zur Harthsrzigksit getriebsn, absr sis hat sich die Frsi- hsit dss Urtsils bswahrt, dis sis den richtigsn Augsnblick zum hilf- reichsn bingrsifsn srksnnsn lasst. Gegsnfibsr hellhdrigsn Ausssnssitsrn findsn sich in detsr und Corvey und in Vom alten Proteus dis Masssn gisrigsr Alltagsmsnschsn. Ihr Egoismus wird sehr rsalistisch gssehsn. Der Pfarrsr vsrschlissst dem stfsn hartherzig seine Tfir. Der Ffihrmann und seine Kumpans sind bsrsit, Menschsn um ihres bisschsn Hab und Gut willsn anzugrsifsn. Dis ganzs Sipps dsr Piepenschnisdsr, Abwartsr und Pfitsrichs sucht den sigs- nsn Vorteil in dsr Welt. Formal gsstaltst Raabs starks ngsnsfitzs,und keine Stimmung wird lange durchgshaltsn. Der ngsnsatz zwischen dsr Idylls im Mfihlsngartsn und dsr Schlacht bei Lisgnitz ist das Mustsrbsispiel. Ebsnso ruhsn die Hslfsr in dsr Fsusrsnot dss Harzdorfss nicht lange auf einem Grabstsin dss Frisdhofs aus. Frau Salome murmslt zwar in der.Erinnerung einigs Psalmsnvsrss und vsrfallt in Apathis. Absr schon vsrwandslt Scholtsn ihre Erinnsrung an "die Thora - das Gssstz" in dis seines juristischsn tudiums, und dsr Erzfihler ldst dis Stimmung ganz auf, wenn er "dis Bshdrdsn dss modernsn Staatss" ffir ihre "srstaunlichsts Tétigksit" lobt (XII, 3.96). 73 Stilistischs ngsnsfitzs sntstshsn in grosser Zahl durch dis Vsr- wsndung von Wdrtsrn verschisdsnsr Sprachebsnen in einem Zusammsnhang. So sagt dsr brasilianischs Obsrst von sich: "'Mein Leben ... hat F r fi c h t s gsbracht, dis auf jedsm Markts Vsrwundsrung srrsgen mfisssn‘" (XI, 8.206) und gibt dem Wort "Frfichte" einen Doppslsinn. Dsr Student Lambert Tswss sisht sich im Zukunftstraum als Dichter. "'Disss trojanischs Blutnacht haben mir dis Gdttsr eigens zubsreitst. Es ssi ihnen Dank gssagt.’ So schrie er, und sein Horaz schlug ihm im Laufsn an die Schsnksl." (XI, 8.319) Absr dis postische Bsgsistsrung im Ausruf dss Jfinglings wird durch dis realistische Bsschrsibung seines Laufens sofort wieder aufgsldst. Eindeutig humoristische Wirkungen rufsn dis Zusammsnstsllungsn dss Erzfihlsrs hsrvor bei dsr Bsschrsibung dsr gemeinsamen Rfickkshr dss Legationsratss Nsbslung mit Fritz iesssnberg. "Der guts Fritz hatte dsn Jugsndfreund und Protokollffihrer ... doch fiber den Gerbsbaum gszogen und ihn mit dem Abflsischsissn bsarbsitst." (XI, S.A28) Dis Zusammsn- stellung von "Jugsndfreund" und "Protokollffihrer" snthfilt den unfibsr- windlichsn ngsnsatz, dsr sich aus dsr Vorgsschichts ergibt. Das vsr- wsndets Bild fiberstsigt in seinem Rsalismus das tatsfichlichs Ausmass dsr Rachs so stark, dass es sich dsr Grotesks nAhsrt. Auch in Raabss Naturbeschrsibungen wird die Stimmung hfiufig durch unpassends Zusammsnstellungsn aufgsldst. Justizrat Scholtsn wanderte auf einem kaum sichtbarsn Fusspfads, dsr sich durch sin Gswirr von abgswaschsnsn Granitbldcksn schrfig bsrgan zog. Disssr Pfad ... stisg in dis Tfilsr hinab. ... Dem Justizrat Scholtsn kam er nicht a b h a n d s n . ... Eins Dams hislt allein in dsr Einsamksit, ..., ssitab dss ngss auf einem Felssnvorsprung, dsn Blick fiber das zu ihren u n d i h r s s T i s r s s Ffisssn schroff sich ssnkende waldtal ... gsrichtst. (XII, 8.21) 7A "Abhandsnkommsn" kdnnsn nur klsine Gsbrauchsgsgsnstfinds, sodass Raabss Vsrwsndung disses Verbs den Zusammsnhang dss Bildss stdrt. Dis dsn Pfad noch unnatfirlich bstonsnde Subjsktkonstruktion ffigt sin Element dsr Komik hinzu, das dis ganzs Bsschrsibung unwirklich macht. Ebsnso wirkt dsr vollkommen fiberflfissigs Zusatz "und ihres Tisrss". Mit dsr Schilderung dsr Baronin auf ihrem Rsittisr parodisrt Raabs ausssrdsm die Bsgsgnung Heines mit einer schdnen Frau am Brooksn, dis Heine in seiner Harzreiss (1853) bsschrsibt. So srwsissn sich Raabss stilistische ngsnsfitze als sin besonders wirksames Gsstal- tungsmittsl. Dis Handlung ist in allsn sechs Geschichten zismlich alltfiglich, und das Bssondsrs liegt in den Psrsonsn und ihrer Haltung gsgsnfibsr ihren jswsiligsn Problemsn. Die stilistisch vsrwsndstsn ngsnsfitzs vsr- sinigsn sich mit dsr sauer-humorvollsn Resignation und dsr aufgsldstsn Form zur Aussags dss Dichters. Dis Individualisisrung dss Menschsn und seine sinsams Auseinandersstzung mit dsr fremden und unfrsundli- chen Welt bildst den rsalistischsn Grundton. Damit stehen dis Krfihsnfelder Geschichten nicht nur in Zusammsn- hang mit vielen wsrksn dss "postischen Rsalismus", sondern bshandeln auch das grdssts Problem dsr menschlichen Existenz seit Beginn dsr Neu- zsit. Im Mittslaltsr galt dsr bindungsloss Ausssnseiter als ddmoni- sche Bedrohung dsr Gssellschaft, absr die Rfickbssinnung auf die Antiks machte die Ldsung dsr traditionsllsn Bindungsn von Familis, Stand und sozialsr Gemeinschaft zu einem befreisndsn Willsnsakt. Dsmgegsnfibsr Hans Butzmann im Anhang XII, S.A86. 75 ist die Bindungslosigksit seit Beginn dsr Industrialisisrung und dsr vsrstfirktsn Mbbilitdt dsr stdlksrung unauswsichlich gsworden. Mit dsr Wandlung dsr Bindungslosigksit vom freisn Willsnsakt zur schick- salhaftsn Notwsndigksit wandslt sich ihr wart. Dis Frsihsit dss Indi- viduums wird zur Ungeborgsnhsit. Diese Ungsborgsnhsit und Unsichsr- heit nimmt in dem rasch industrialisisrtsn deutschen Reich schnell zu. Das Bewusstsein dsrsslbsn ist absr noch lange nicht Allgsmsin- gut. Der Bfirgsr rsagisrt auf diess Entwicklung, indsm er sich neue Bindungsn sucht, densn absr dis frfihsrs Qualitat dsr naiven Natfirlich- ksit fehlt. Man neigt jstzt zu Ersatzbindungsn, die das Problem fiber- sshsn, vsrstscksn oder leugnsn hslfsn. Man bswundsrt die in langsr Tradition gswachssne, ”natfirlichs", soziale Ordnung "auf dem Land" und in abgslsgsnsn Gebieten und sucht seine standssgsmfisse Zsrstreu- ung in Crganisationsn wie Herrsnstammtischsn, Damsnkrfinzchen, Gssang- und Turnvsrsinsn. Bsrufszusammsnschlfisse und Gssinnungsgemeinschaftsn tretsn an die Stelle dsr traditionsllsn Standssbindungsn. Diese nsu- en Bindungsn und die vsrhfiltnismassig unbsrfihrte Fbrtdausr dss Altsn in abgslsgsnsn Gebieten kdnnsn das Problematischs dsr Bindungslosig- ksit noch sine Zsitlang vsrtuschen. Mit dsr zunshmsndsn Bsschlsuni- gung dsr damals bsgonnsnsn Entwicklung ist die Aussinandsrsstzung mit dem Problem heute unauswsichlich gsworden. Raabs weiss um die Unsichsrhsit dsr modsrnsn menschlichen Existsnz und vsrsieht seine Ausnahmsmsnschsn mit dieser Erksnntnis. Dis Ersatz- bindungsn kdnnsn den "Pispsnschnisdsrn" und anderen Durchschnittsmsn- schen gsnfigsn, wsil sis sis nis ausserhalb ihrer scheinbar gssichsr— ten Existsnz auf die Probe stellen. Raabss Heldsn sind absr dis Ausssn- 76 ssitsr, dis den ngsnsatz zwischen dem Sichsrhsitsbsdfirfnis dss Men- schsn und dsr Ungeborgsnhsit seiner Situation srlsbt haben. Sis ha- ben sich den Wind um die Mass wshsn lasssn und die Problems ihrer Zeit srfahrsn. Der brasilianischs Obsrst selbst rfickt in die Rsihs dsr Helden, wenn er diess Erfahrung in botanischsr Tsrminologis so ausdrfickt: 'Dsr grosss Hurricane kam, ... - dis Blfittsr wurdsn weggsfegt ... Endlich fand sich so ungsffihr drsi bis visr Fuss unter dsr Er- de etwas ... - allsrlsi Knollsn durch Fassrn ansinandsrhdngend - ungenisssbar, zfih, sin abgsschmacktss Produkt dsr alten Mutter Erds. ... Js frfihsr absr dsr Mensch herausfindst, in welche Klasse sr nach Linné oder Buffon gshdrt ... , dssto schnellsr kommt sr zur Ruhs und zur Zufrisdsnhsit mit ssinsn Zustfindsn.’ Und Philipp Kristellsr fasst das in seiner Erwiderung zusammsn: "'Solan- gs absr dsr Mensch jung ist, findst er dis grosss Mshrhsit seltsn. Ja, viele - dis msistsn findsn sis nis und glaubsn an ihre Palmbaumbsrsch- tigung bis zum Ends.'" (XI, 8.206) Dis spszifischsn Qualitfitsn, dis Raabss weltsrfahrsns Heldsn den Mfingsln ihrer Zeit sntgegsnsstzsn, sind aus dsr vdllig unromantischsn, aktivsn Auseinandsrsetzung mit dsr Wirklichksit gewonnen. Die Welt- flucht im Gsists Claudius' wird in dsr ersten Erzfihlung durch das Schicksal Agonistas sndgfiltig ausgsschlosssn. Dis Helden Raabss snt- wicksln dis Krfifte zur Hbsrwindung dss Egoismus und seiner zsitlichsn Erschsinungsformen in sich selbst und geben damit sin Vorbild ffir den Rat suchsndsn Lessr. Dem Nsid.und.der Missgunst z.B., dis auch innsrhalb gsmsinsamsr Rsicthrsnzen noch einen partikularistischen Geist unter den Deutschen srhalten, stellt Raabs dis Weltksnntnis zwsisr Auslandsdeutschsr gs- gsnfibsr. wenn dis Angehdrigsn vsrschiedensr Stfimms ihren Regional- 77 patriotismus fiber ihre Bindung an das Reich stsllen, so kann Raabs diess Haltung in Eulenpfingstsn nur noch verSpotten, und die tragi- schs Geschichts um Fritz Hesssnbsrg bildst allein dsn historischen Hintsrgrund. Dass Hesssnbsrgs "Hochvsrrat" damals aus dem Besitz republikanischsr und nationalistischsr Schriften konstruisrt wurds, setzt den Partikularismus dss frfihsn neunzehnten Jahrhunderts von vornhersin ins Unrecht. Der Egoismus, dsr damals alle bstsiligtsn Frsunds Hesssnbsrg vsr- lsugnsn liess, wird durch die Charakterstfirks fiberwundsn, die die bei- den Auslandsdeutschsn gsgsnfibsr dsn Personsn ihrer Vergangsnheit bs- wsissn. Sis haben inzwischsn allein und ohne hilfrsichs Bsziehungsn in dsr Frsmde ihre Existsnz aufgsbaut und konnten mit gestfihltsr Per- sdnlichkeit aus dieser Prfifung hsrvorgshen, weil sis dsn Idsen dsr Frsihsit schon in dsr Heimat gswogen waren. Bsi ihrer Rfickkshr be- trachtsn sis dis Fortdausr dsr alten Verhfiltnisss, ja selbst dis Loyali- tfit Nsbslungs zu seinem ffirstlichsn Patsn, mit dem saursn Humor dsr weltwsissn. Dis Sinnlosigksit dsr Treue dss Legationsrats zum vsrstor- bensn Ffirsten eines vsrschwundsnsn LAndchsns - Nullmalnullsnburg - wird mit der satirischsn Behandlung dss Stoffes demonstrisrt. Raabss Klags fiber dis Zsrrisssnheit dss deutschen Volkes durch seine ganzs Geschichts wird in detsr und Corvey srnstsr angsstimmt. Hisr handelt es sich absr nicht um die rsgionalsn, sondern um die reli- gidsen ngsnsfitzs. Dis spaltendsn Wirkungsn dsrsslbsn sind so stark, dass dsr Humor dsr Welterfahrensn zu ihrer fiberwindung nicht gsnfigt. Sis muss aus einer fibsrmsnschlichsn Harmonie flissssn, auf die an an- dsrsr Stells zurfickgskommen werden soll. 78 In Zum wildsn Mann und noch klarsr in Die Innsrsts gibt Raabs Bsispisls ffir dis hsilsndsn Krfifte dsr menschlichen Bindung an die Tradition. Hisr handelt es sich absr nicht um die lsbloss Loyalitfit, sondern um die schfitzsnde Bindung dss Menschsn an seine Hsimatland- schaft und an die traditionsgsfsstigte Rolls seines Standss. Philipp Kristellsr hat schon bsim Tod seiner Braut jsds Hoffnung auf sin Glfick im stsn aufgsgebsn. Dis unsrwartsts finanziells Hilfs, dis ihm dis Grundlags zu einem "behaglichsn" Leben bistst, akzsptisrt er nis als dauerhaftss Eigentum. Dis Brant hatte ihm gsratsn, als Symbol daffir, dass sr dsn Gsbsr jsdsrzsit zurficksrwartst, einen Ehrsnsssssl am Tisch seines Hausss ffir ihn frsizuhalten. So wird dieser Ssssel zur tfigli— chen Mahnung an die Unsichsrhsit seiner Stellung und macht ihn dank- bar ffir jeden Tag, an dem ihm das Geld dss Frsundss das hilfrsichs Wirken in seinem Dorf srlaubt. Der dargsstsllts Vsrzicht ist aus dis- ssm Blickwinksl nur dsr Vollzug dieser unaufhfirlichen Resignation und kann Philippe innsrss wsssn nicht mehr erschfittsrn. Er gfinnt dem Frsund aus dsr Erksnntnis dsr Vsrgfinglichksit aller materiellen Rsich- tfimsr gsrn dis Frsude an dem Geld und kann dis fibergrosse Rfickzahlung nicht als Vsrlust smpfindsn. Der Mfillersohn Albrecht findst seine stfirkste Kraftquslls in dsr Gsffihlsbindung an Familis und Bodsn. Er selbst ist sich dssssn kaum bswusst, wenn sr schon bei dem Duft dss gsbratsnen Specks, dsr ihm bsi dsr Rfickkshr vom Militfir aus dem hsimischsn Schornstsin sntgegsnstsigt, von einer unwidsrstshlichsn Sentimentalitfit fibsrfallsn wird. So kdn- nsn ihn wedsr dsr Rohrstock dss Vatsrs noch dsr Spott dss Krisgskams- radsn vom hfiuslichsn Herd vsrtrsiben. Er sitzt schon bald hinter dem Ofen und frsut sich an Lisschsn, seiner vom Vatsr bestimmtsn Braut. 79 Wsnn ihm diess psrsfinlichs Schwfichs vorfibsrgehsnd dis Sslbstachtung raubt, so siegt er doch mit Bsharrlichksit fiber alle Nsidsr. Ebsnso naiv aus dsn lsbsnspsndsndsn Krfiftsn dsr Landschaft lsbt dis jungs Mfillsrin, doch besitzt sis darfibsr hinaus die rfickhaltlose Gfite eines unkomplizisrtsn Gsmfits. Ihr Mann nimmt dsn alten Krisgskamsradsn ws- gsn dsr bswfihrtsn Kameradschaft auf, absr sis nimmt sich seiner an als eines Menschsn in Not, wie sis ss ohne Ansshen dsr Person so auch manchsm anderen tun wfirds. Sis gibt ihm das Gsffihl, willkommsn zu sein und sin neues Zuhauss gsfunden zu haben. Aus diessm Gsffihl srwfichst Jochsn Brands prerbsrsitschaft ffir das Hsim, und die positivsn Krfif- ts kdnnsn sich bshauptsn. Dis erfolglossn Angriffs von Habgisr und zsrstfirerischsr Lsidsn- schaft auf diess “Festungsn” sind bsidsmal dsn Sisgsrn an List und Skrupsllosigksit fibsrlsgsn. Bsids Angrsifsr ffihlen sich von dsr Ruhe dss wohlgsordnetsn Lebens ins Unrecht gesstzt und vsrfallsn dem Nsid. Noch nach drsissig Jahren kann Agonista nicht vsrwinden, dass er bei Philipp damals sin Glfick mit ansshsn musste, das ihm nicht vsrgdnnt war, und Doris hasst ihrs‘Nsbsnbuhlsrin, weil sis sich sinmal an ihrer Stells sah. Der Nsid dsr Doris ffihrt zu einem offsnsn Vsrbrschen, wfih- rend dsr dss Obsrstsn in wilds Habgisr umschlfigt. Bsids handeln aus einem sinsamen und bsdrfingtsn Herzen, absr ihr Egoismus hat sis ins Unrecht gesstzt. Raabss Einstsllung zum Tod hat sich in den Krfihsnfsldsr Geschich- ten umgswsrtet. Der Tod ist nicht mehr dsr letzte Schritt auf einer Flucht vor dsr feindlichsn Welt, sondern das dusssrsts prsr im Disnst an dsr Bswahrung dss frisdlichsn Lebens. Ffir dsn Pazifist Raabs bedeu- 81 dsutung gewonnen, dis sis alle Lebensgebists bestimmsn lfisst. Dis luthsrischsn Einwohnsr von detsr stehen unter dsr politischen Herr- schaft dss katholischsn Bischofs von Mfinster, dis von dsr nahsn Abtsi wahrgsnommsn wird. Ihr Glaubs lfisst sis absr fiber dis Wessr blicksn und von dem luthsrischsn Herzog von Braunschwsig Hilfs srwartsn. Dis franzfisischs Allianz dss Bischofs lfisst es dem Herzog als unklug sr- schsinsn, sein klsinss Hssr in einen Krieg um die sxponierts Stadt zu vsrwicksln, sodass dis Bfirger dsrsslbsn keine Vsrfindsrung srwartsn kfinnsn. So hat ihr Aufruhr und besonders die gsplants Machtdsmonstra- tion gsgsnfiber dsn Judsn, zu dsr sich Lutheransr und Katholiksn dsr Stadt unter dsr Ffihrung dss luthsrischsn Pfarrers vereinigsn, auch si- nsn politischen Aspekt. Raabss Ablshnung dsr Gswalt lasst ihn seine Sympathis auf die Frisdsnsstifter richtsn, dis fiber allsn Gegensfitzsn stehen, und dsr Vsrlauf dsr Handlung soll ihnen rschtgsbsn. Der Bruder Henricus gs- winnt seine Sonderstellung aus der gsmsinsamsn Jugsnd mit dem Pro- testantsn Just. Das Symbol disses Ausglsichs ist dsr Handschuh mit dem Lsitspruch dsr Mutter. Diese Frau srzog jsdsn Jungen in Loyalitfit zu seinem Glaubsn, lehrts sis absr dsn fibsrkonfsssionsllsn Humanismus als oberstss Gssstz. Der Student Lambert Tswss 1srnts dis Konfsssionen objsktiv bstrachtsn, weil er bei sinigen Katholiken mehr Menschlich- ksit srfuhr, als im Hauss seines luthsrischsn Onksls, wo sr aufgszogsn wurds. So haben dis zwei ffir ihre Person dis konfsssionsllsn Gegsn- satzs fibsrwindsn gslsrnt. ngsn dis Zsrrissenhsit dsr Zeit sind ihre Bsmfihungsn absr fruchtlos. 80 tst dsr Tod dis letzte Konssquenz dsr Wsndung zum Mitmenschsn. Im Proteus berfihrt er die alts Auffassung in den bsidsn Gsistsrdamsn und vsrdammt sis durch das Irrsals dsr drsissigjfihrigen Busss wie durch dsn humorvollsn Ton. Diese Einsicht hilft dann dsm Einsisdlsr, sich aus seiner sslbstaufsrlegtsn waldeinsamksit zu befrsisn, um zu Mit- menschlichksit und Zsitgsnosssnschaft zurfickzukehrsn. Der offsns Schluss dsr Handlung bistst hier nur keine fibsrzsugsndsn Alternativsn an. Der Auswsg zsigt sich in Frau Salome, wo dis drsi Erwachssnsn ei- ns Anlags zur Narrheit und zur Absondsrung von dsr Welt vsrbindst. Frau Salome lsbt absr in ihrer Zeit, z.B. wenn sis dis politischen Er- signisse in den Zsitungsn vsrfolgt, und Scholtsn schliesst seine Per- son in die spdttischs Bstrachtung dsr menschlichen Narrhsitsn sin. Nur Querian in seinem fiberhsiztsn, verdunkeltsn Haus bei Bstrachtung dsr heimlichsn Krfifts dsr Erds und plastischer Gsstaltung ist das Gs- gsnbild zu den zwei aufgsschlosssnsn Harzwandsrern. Querians selbst- zsrstdrsrischsr Egoismus steht in scharfem Gegsnsatz zu deren tatkrfif- tiger Hilfe im sntschsidsndsn Augsnblick. Dis Ksims zur Kfinstlsrtra- gddis in dsr Querian-Handlung werden von Raabs nicht vsrfolgt. Des Dich- ters Rsalismus kann dis psychologischsn Implikationsn disses sxtrsmsn Ausssnssitsrtums nur noch andeuten, absr nicht ffir handlungswirksam srksnnsn. In detsr und Corvsy fiberwindsn die Heldsn nur ffir ihre eigene Per- son dis Bsfangsnheit ihrer Zeit in Konfsssionsspannungsn. Die handlungs- wirksame Aufldsung dsr Spannungsn wsist auf Raabss metaphysischs Grund- lagen, dis spfitsr bshandslt werden. Mach dem drsissigjfihrigsn Krisg hat die schicksalhafts Spaltung zwischen dsn luthsrischsn und den r8- misch-katholischsn stfilksrungstsilsn sins zusfitzlichs politische Bs- 82 Wurde so weit Raabss Handlungskonstruktion von rsalsn, innsrwslt- lichen Krfiftsn gstragsn, so lfisst sich nun dahintsr sins fiberrsale Bindung fsststsllsn, dis vsrsinzslt auch handlungswirksam wird. Hisr fiffnet sich das Reich dsr Idsen, auf das Raabs seine Weltbstrachtung bezieht. Dis Krfifts dss Menschsn sind gsgsnfibsr dsn Mfingsln dsr Welt zu gsring, um allein zu bsstshsn. Raabss Vsrpflichtung an den von dis- ssr Erfahrung gsplagtsn Lessr lasst ihn ssinsn psrsdnlichsn Trost auf- zsigsn. Dabsi bezieht er sich interessantsrwsise auf Gosthss Einhsit dsr Welt in dsr kosmischsn Harmonie aller Dings. Das ist sins quasi- rsligifiss Transzsndsnz, dis einem Gsffihlsurtsil vislsr Menschsn zu snt- Sprschsn scheint. Ffir die Krfihsnfsldsr Geschichten zsigt sich diess Harmonie hauptsfichlich in drsi Aspekten, dis hier erlfiutsrt werden sol- lsn. Der erste ist das Leben als obsrstss Prinzip, das im Mssrgott Proteus symbolisiert wird. In Person tritt Proteus nur am Ends dsr letzten Geschichts auf, wo sr dsn Menschsn sein Gssstz gibt. Eins po- sitive Einstsllung zum Leben behsrrscht absr alle Geschichten ausssr Zum wildsn Mann, und auch da ist Agonistas zerstdrerischs Wirkung nur obsrflfichlich. Disses Leben srschsint dsr rsalistischsn Sicht nur in ssinsn Manifestationsn und kann sich nie vollstfindig offsnbarsn. Raabs ist rsalistisch gsnug, seine fibsrirdischsn Prinzipisn nicht dirskt auszu- sprschsn, und selbst da, wo er sis symbolisch vsrklsidst, wie in Vom alten Proteus, vsrstsckt er seine Aussags noch zusfitzlich in humori- stisch vsrbrfimtsr Allsgorie. So offsnbart sich nur einer wsitersn fiber- schau die positive Kraft dss Lebens als sin tragendss Prinzip, und in jsdsr Geschichts verstsckt sich diess Kraft in einer nsusn Erschsinungs- form. 83 Jochsn Brand stirbt bswusst ffir dsn Fbrtbsstand dss Lebens, als sr sich ffir dis jungs Mfillerfamilis gegen dis Angreifsr wirft. Absr es ist auch sin sehr persfinlichsr Groll gegen dis hasssrffillts Rixs Doris, dsr ihn in ihre Hfihs und in Rsichwsite ihres Messsrs zieht. Und das geschisht zu einer Zeit, als dis msistsn dsr angrsifsndsn Halunksn schon durch ssinsn mutigen "Ausfall" mehr abgsschrsckt als fibsrwfiltigt sind. So ist sein Tod nur sins Folgssrschsinung seiner Opfsrbsreitschaft. Dis Jfidin Leah stirbt wsnigsr bswusst ffir andere, absr dsr Zsit- punkt ihres Toass ist bei dsr Rsttung ihrer Glaubsnsgenossen vor dsn aufgsbrachtsn Stfidtsrn sntschsidsnd. Hisr grsift sins Macht sin, dis sich nicht mehr als "blindsr Zufall" abtun lfisst, denn sis kommt dsn Kfimpfern ffir Ruhs und Frisdsn in dem Augsnblick zu Hilfe, wo ihre sigs- ns Kraft vsrsagt. So hat sich das Leben als sins Gswalt gezsigt, dis sehr reals Wirkungen haben kann. Eins gshsimnisvolls innsrs Ubsreinstimmung mit den lsbensbewah- rsndsn Gswaltsn trfigt schliesslich alle dis Psrsonen in den sechs Gs- schichtsn, die dsn Mut zum Weitsrlsbsn fiber ihre Enttfiuschungsn und Prfifungsn hinaus zu bewahrsn vsrmfigen,und tatkrfiftig ffir ihre Mitmen- schsn sintrstsn. Die rfitselhafts stsnskraft, dis dsn Menschsn dsn Mut zum weitsr- machsn gibt, arbeitet auf diess Weise ununtsrbrochen an einem Ausgleich dsr zsrstdrsrischen Krfifte dss Bdssn, dis im Egoismus, in mitmsnsch- licher Rohsit und im Krisg immer wieder nsus Unterstfitzung srhalten. Dis Jfidin Leah hat dies besonders dsutlich srfahrsn. Dsnnoch fand sis nach jsdsm Vsrlust wieder dsn Mut zum.Nsubsginn und gswann Trost aus 8A dsr Geschichts ihres Volkes, dis sis lehrts, dass schlschts Zsitsn nicht swig dausrn und von gutsn gsfolgt werden. Das Volk kann nicht untergshsn, auch wenn dsr Einzelns im Existenzkampf untsrlisgt. Diese Erfahrung haben auch andsrs Heldsn Raabss gsmacht. Frau Salome ksnnt den ngsnsatz zwischen dsr Gsborgsnheit ihrer firmlichsn Jugsnd und dsr Langweils ihres jstzigsn Reichtums gut gsnug, um sich nicht gslsgentlich nach dem stillen Platz auf dsr Frauenssits ihrer hsimatlichsn Synagogs zu sshnsn. Doch ist sis sich ihrer unvsrfindsrtsn Hsimat zu "Affrontsnburg" allzu bswusst, um sich sentimental an ihre Erinnsrungsn zu vsrlisrsn. Sis srksnnt dsn Ausglsich durch sin Gleich- gswicht aufbausndsr und zerstfirsndsr Krfifts ebenso an wie Lina Nsbslung und Fritz Hesssnbsrg. Alls haben gsnug schwsrs Zsitsn srlsbt, um die Vsrgfinglichksit dsr gutsn zu ksnnsn. Handlungsbsstimmsnd wird das Gleichgswicht zwischen ffirdsrlichsn und zsrstdrsnden Krfiftsn dsr Welt in Die Innsrsts. Hisr werden dis ns- gativsn Wirkungen von Krisg, Naturkatastrophen und msnschlichsr Miss- gunst dsr lebsnsbswahrsndsn Kraft dss naiven hfiuslichsn Friedsns gs- gsnfibsrgsstsllt. Doch bsschrfinkt sich disses Gleichgswicht immer auf einen Augsnblick. Gegsnwfirtig ist die Bedrohung dsr Mfihls abgewsndst, absr dsr Enksl dss jstzt jungen Mfillsrs muss sis - wie dsr Erzfihlsr gleich anfangs feststsllt - doch aufgsbsn. Das Mittsl, mit dem dis fiberirdischsn MAChts dsn Menschsn dis ngsnsfitzs in der Welt fibsrwinden lasssn, ist die weiss, lfichslnds An- srksnnung dsr menschlichen Unvollkommsnhsitsn, dis dsn Bsgriff Humor ausmacht. Raabss Humor gsht nicht so weit, dis Boshsit dsr Wslt psycho- logisch vsrstfindlich zu machsn und zu nivellisrsn. Dis ngsnsfitzs 85 bleibsn in ihrer ganzsn vsrlstzsndsn Dsutlichksit srhalten und qua- lsn den Menschsn bis zur Vsrzwsiflung. Absr dis Macht dss Lebens kann dem Menschsn helfsn, sis mit dem vsrsdhnlichsn Blick zu sshsn, dsr ansrksnnt, dass allss Msnschlichs mangslhaft ist. In demselben Sinn kann Fritz Hesssnbsrg dis Misstfinds dss klsin- staatlerischsn Deutschlands mit ssinsn Gsrbsrallsgorisn zuglsich ana- lysisrsn, treffsn und humorvoll lachslnd fibsrwindsn. Oder dsr Korporal Brand findst sich mit seinem Armstumpf ab, indem er dem Mfissiggang die heitersn Ssitsn abgswinnt und mit dsr Nachsicht dsr anderen auch ssi- ns eigene auf disses Symbol dsr Unvollkommenhsit lenkt. Seine Sslbst- darstsllung snthfillt die letzten drsissig Jahre dss Apotheksrs Kristellsr als humorvoll getragsns Resignation. In der Erzfihlung ngtgr und Corvey hfilt sich das Lfichsln dss Humors zurfick. Absr nach dem Ernst dss Geschehens werden dsr Mdnch und dsr Student zur gfitigsn Humanitfit auch das bsfrsisnde Lfichsln zurfickgewinnsn. In den wortrsi- chen, gsbildstsn Unterhaltungsn zwischen dsr Baronin und Scholtsn ge- winnt dsr unzufrisdsns Sarkasmus manchmal fiber dsn Humor die Hbsrhand. Der volls Einsatz ihrer Krfifts bei der Brandkatastrophs befreit sis aus dsr sslbstbszogsnsn Absondsrung und srwirbt ihnen dsn mitmsnsch- lichen Bezug zur Welt und die bsschsidsn vorlisbnshmsnds Frdhlichksit dsr innerlich Rsichen. Seine letzte AuSprfigung bekommt dsr Humor dieser sechs Geschich- ten in Vom alten Proteus. Angssichts dsr offsnsn, fast burlssk paro- disrsndsn Handlung in einer vor lautsr Karikatur aufgsldstsn Sprachs scheint mit dsr rsalsn Welt auch dsr auf sis bszogsns Humor dsr Dul- dsr seine reals Bedsutung zu vsrlisrsn. Unssrs Interpretation findst absr trotz dsr Aufldsung dis ganz reals Botschaft dsr zwei fithsrischsn 86 Duldsrinnsn, dis sogar durch das Eingrsifsn dss "Vatsrs" Proteus noch unterstfitzt wird. So srhfilt ihr Humor noch einen fiberirdischsn Schsin, und die unbsschwsrts Frfihlichksit z.B. dsr nymphsnartigsn Seels Innocentias kann als dis rsinsts Form dsr humorvollsn Ansrksn- nung msnschlichsr Bsschrfinkung bsstshsn bleibsn. 87 CHLUSSBETRACHTUNGEN Goethe gab sichsr wedsr als Erstsr noch als Einzigsr seine Mei- nung zur Rolls dss "Rsalsn" in dichtsrischsr Gsstaltung zu bsdsnksn, als er gsgsnfibsr Eckermann dis folgends Ausssrung fiber ssinsn Impuls bei der Nisdsrschrift dsr Novells machte: "Dsnn was 8011 das Rsals an sich? ... Der sigsntlichs Gswinn ffir unssrs hdhsrs Natur lisgt doch allein im I d s a 1 s n , das aus dem Herzsn dss Dichters hsr- vorging." (18.1.1827) Wsnn Goethe damit auch nicht an die Problems dss spfiten postischen Rsalismus gsdacht haben kann, so dsutet doch Raabss Vsrehrung Gosthss darauf hin, dass ihm dss Altmeistsrs Anschauung nicht frsmd war. Raabss "Idsalss" srfuhr absr sins neue Gsstaltung und wurde in si- nsr weiss mit dsr Wirklichksit verbunden, die in ihrsm didaktischsn Aspekt an Bsrtold Brechts "spisches Theater" srinnsrt. Bsids lfissn dis Handlung ihres Stoffss in locker vsrbundsns Einzslszsnsn auf, in densn sis mit dem dargsstslltsn Fall sin grdsssrss Problem von allgemeinsr Bedsutung bsrfihrsn. Bsids bsnutzsn alle Mdglichksitsn dsr sprachlichsn Ironisisrung als Mittsl dss Rsalismus und wollsn damit dis smotionals Bindung dss Publikums an den Stoff aufhebsn. Bsider Ziel ist es, das Publikum mit ihrer Kunst zum Nachdenksn anzuregsn, damit ss besser ffihig wird, dsn Problemsn seiner Zeit zu bsgsgnsn. Bsids vsrwsndsn mit eben diessm Ziel dsn offsnsn Schluss. Damit sndet absr auch dis Lists dsr Ahnlichksitsn,dis hier dazu disnsn soll, Raabss Stil unter den Aspskt dsr Vsrfrsmdung zu stellen. 88 Den offsnsn Schluss tsilt Raabs mit anderen Dichtsrn dieser Epochs, wfihrsnd sein Stil sein Eigsntum ist. Dis ironische Mshrschich- tigksit in Raabss Erzfihlsn wirkt rsalistisch, weil sis srstsns dsn Lessr dem ohnshin oft nicht wichtigsn subjsktivsn Stoff sntfrsmdst und ihn zum Nachdsnksn anrsgt. Sis disnt absr zwsitsns auch dazu, si- nsn Aspskt dsr Wirklichksit von vielen vsrschiedensn Ssitsn zu bs- trachtsn, was ihn aus dem subjektiven Handlungszusammsnhang heraus- lfist, wie plastisch von allsn Ssitsn srlsuchtst und rsalistisch vsr- sinzslt. Drittsns schliesslich signst sich dieser Stil visl besser dazu, dsr Wirklichksit mit ihren vislfachsn Spaltungsn und ngsnsfitzsn gsrscht zu werden, als dis geradlinigs Darstellung in einer oder msh- rersn ungebrochsnsn Erzfihlsbsnsn. Alls diess Stilmittsl sollsn dsn Lessr zum dsnksndsn Mitvollzis- hen dsr Aussags gswinnsn, was Raabs ihm nie lsicht macht. Hindsrnisss tun sich nicht nur in dsr Komplsxitfit dsr Aussags auf, sondern such in ihrer Ortsgsbundenhsit und hauptsfichlich in der mangslndsn Bersit- schaft dss Lsssrs. Hat sr sich durch sin Dickicht von Gsdanksnffidsn an Raabss Absicht hsrangsarbsitst, so stellt sich heraus, dass er dsn im- mer genau lokalisiertsn Schauplatz dsr Handlung nicht ksnnt. Immsr snthfilt absr dsr Ort dsn Auftakt zur Handlung, sodass dsr Leser, dsr, sagsn wir, keine Vorstsllung von dem typischsn Hintsrstfibchsn einer alten, deutschen Apothsks besitzt, einen Tsil dsr Aussags in gum_wi1- SEE Mann vsrpasst. Gleichss gilt ffir dis Landschaft Norddsutschlands, in dsr alle sechs Geschichten Spislsn. Hem Raabss kurzs Andsutungsn dss jswsils konkretisisrtsn Schauplatzss nicht das beabsichtigts Bild wachrufsn, dsr muss sich dissen Tsil dsr Aussags mit Abbildungsn mfih- sam srschlissssn. 89 Das Nachdenken, das Raabss Geschichten vom Lessr srwartsn, soll ihn dis Khnlichksit dsr sigsnen stenssrfahrung mit dem vom Dichter dargsstslltsn Stfick Wirklichksit srksnnsn lasssn, dis sein sxistsntisl- 1ss Interssse an den Aussinandersstzungen dss Dichters aufrscht sr- hfilt. Das individusll Bssondsrs disses Raabsschsn Rsalismus' bildst dis Schwisrigksit. 'Rsalismus' hisss ffir Raabs sins Spannungsrsichs, subjsktivs Wsltsrfahrung so im Erzfihlwsrk zu gsstaltsn, dass nichts vsr- dsckt, gsglfittst, vsrharmlost oder in das Erbauliche vsr- ffilscht wurds. 'Rsalismus' bedeutete dsn Widerspruch gegen einen Optimismus in ggr Literatur wie im Leben, dsr sich dsr AlrkllChkelt sntzog. Hat Raabss Dichtung ihren gswfinschtsn Eindruck auf die Masss dsr Lessr singsbfisst, weil sein Rsalismus dis Zeit nicht richtig sah? Dis srarbsitsts fibersinstimmung zwischen Raabss komplsxsm Rsalismus und dsr wachsenden Unsichsrhsit dss Menschsn in seiner Zeit weist in sins andsre Richtung. Dis Frags kann bsjaht werden, wenn sis lautst: Warsn Raabss Lessr nicht bsrsit, Raabss realistische Ablshnung dss romanti- schsn Optimismus' seiner Zeit nachzuvollzishsn? Der Dichter sah dis Zeit richtig, absr die Lessr dsr 70sr Jahre wolltsn nicht ihre Schwis- rigksitsn im Spiegsl vsrgrdsssrt sshsn. Sis suchtsn in ihrsm Lsss- stoff Illusionsn, dis sis ihre Problems vsrgssssn liesssn. Statt dis bfirgsrlichs welt durch Analyse ihrer Schwfichsn in Frags zu stsllsn, musste dsr Dichter dem Lessr seine stsnsordnu g bestfitigsn, wenn er populfir sein wollte. Das tut denn auch dsr beliebts Gssellschafts- roman dieser Zeit. A SMartini, Rsalismus, 8.685. 90 Auch dis Suche dss Lsssrs nach sinsr srbaulichsn Handlung stisss bei Raabs auf'Widsrstand. Raabss Geschichten sind wedsr srbaulich noch fessslnd. Jsdsr Versuch, sich hier dsn Wfinschen dsr Lessr anzupassen, wird unter dem Aspskt dss Rsalismus abgswisssn. Wir haben es schon gssagt: wir lasssn uns auf nichts sin, was dis Ansprfichs dss Lsssrs an die Geschichts bstrifft. was wir zu tun haben, wisssn wir, und was wir zu sagsn haben, gleich- falls, und dies gsnfigt uns vollkommen. (XI, 8.383) Der "Realist" Raabs wussts um die Kluft zwischen seiner Dichtung und dem Lsssbedfirfnis seiner Zeit. 0ft gsnug betont sr, dis Gunst dss Publikums nicht zu suchsn. Dass er absr als bfirgerlichsr Ehsmann und Vatsr dis finanziellsn Ssitsn solchsr leisbthsit gslsgentlich doch suchsn musste, stellt das Dilemma dss Dichters dar. Dis kfinstlsrische Sslbstsucht eines Querian konnte nicht Raabss weg sein. So kommt zu ssi- nsm didaktischsn Interssse an dsr Aufmerksamksit mdglichst vislsr Lessr das materiells: zwei Ebsnsn, dis oft nicht klar gstrsnnt bleibsn. Ausssr- dem ffihrts das zu Vislschrsibsrsi, die die Ausrsifung mancher in dsr Anlags sehr wirksamsr Wsrke verhinderts. Gosthss "Idsalss, das aus dem Herzsn dss Dichters hsrvorging", seine humorvoll ausglsichsnde Weltsicht, macht dis Lsktfirs Raabss zum srfrsulichsn Erlebnis. Es gswann ihm such schon zu seiner Zeit einen klsinsn Krsis treusr Anhfingsr, bsi densn seine Absicht, anderen Bs- drfingten Hoffnung zu bringsn, Widsrhall fand. Disssr Krsis von Anhfin- gsrn war sehr konstant und nahm jsdss seiner Wsrks dankbar auf. Es ist die erste Generation dsr Raabs-Forschsr mit dsr Unterstfitzung dss Braunschwsigsr Vsrlagss Wsstermann daraus hsrvorgegangsn. Dissslbs trdstliche Menschlichksit hat sinigen von Raabss geschlosssnsrsn Er- zfihlungsn - nicht dsn Krfihsnfsldsr Geschichten - einen Platz im Reper- toire dsr Lsssbfichsr und Schullsktfirsn sichern kdnnsn. 91 LITERATURVERZEICHNIS Deutsche Literatur $9.323 Jahrhundert, hrsg. v. Hermann Frisdmann und Otto Mann. 2 Bds. Heidelberg, 1961. Ermatingsr, Emil. Deutsche Dichter 1750-1900. Frankfurt/Main, 1961. Fairlsy, Barker. Wilhelm Raabs. Oxford, 1961. Gebhardt, Bruno. Handbuch dsr deutschen Geschichts. Stuttgart,1960. Bd. 3. Himmsl, Helmuth. Geschichts dsr deutschen Novells. Bern, 1963. Hfillsrsr, Walter. 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